Frankreich

Frankreich

Frankreich (lat. Franco-Gallia, franz. la France; hierzu die Übersichtskarte »Frankreich« und Karte »Frankreich, nordöstlicher Teil«), Republik, eins der Hauptländer Europas, erstreckt sich zwischen 42°20' bis 51°5' nördl. Br. und 4°48' westl. bis 7°39' östl. L.

Tabelle

Lage und Grenzen.

F. bildet den schmälsten Teil des europäischen Kontinents und liegt überaus günstig zwischen zwei Meeren, dem Mittelländischen und dem Atlantischen. Die Küstenausdehnung beträgt im ganzen 3120 km, wovon 615 auf das Mittelländische Meer, 1385 auf den offenen Atlantischen Ozean (vom Vizcayischen Busen bis zum Kap Corsen im Depart. Finistère) und 1120 km auf den Kanal, Pas de Calais und die Nordsee entfallen. Abgesehen von den Meeren, grenzt F. im S. an Spanien, wovon es die Pyrenäen, im O. an Italien und die Schweiz, wovon es die Alpen mit dem Jura trennen, weiterhin im O. an Deutschland (Elsaß-Lothringen), im NO. und N. an das Großherzogtum Luxemburg und Belgien. Die Landgrenze hat eine Länge von 2170 km. Mit Ausnahme der im Mittelländischen Meer liegenden Insel Korsika bildet das Land eine ziemlich kompakte Masse von symmetrischer Gestalt. Eine nordsüdliche, 973 km lange Linie von Dünkirchen nach Prats-de-Mollo in den Ostpyrenäen teilt das Land, nahe östlich an Paris vorbeigehend, in zwei fast gleich große und einander ähnliche Teile. Die größte westöstliche Erstreckung, 888 km, erreicht das Land unter 481/2° nördl. Br. auf einer Linie, die, wiederum nahe an Paris vorbeigehend, den Vogesenkamm östlich von St.-Die mit Kap Corsen verbindet. Ferner entspricht der Einbuchtung der atlantischen Küste gegen La Rochelle hin eine solche der Ostgrenze gegen Genf, so daß hier die Breite des Landes nur 550 km beträgt.

Die französische Mittelmeerküste zerfällt in eine östliche Steilküste, die Küste der Provence, und eine westliche Flachküste, die von Languedoc. Die Steilküste der Provence ist außerordentlich reich an Buchten, Häfen, Vorgebirgen und vorgelagerten Felseninseln, mit herrlichem Klima und echt mediterraner Vegetation. Der Golf von Tropez und die Reede von Hyères mit den davorliegenden gleichnamigen Inseln bieten ganzen Flotten Schutz, und die fast ganz landumschlossene Bucht von Toulon ist Frankreichs großer Kriegshafen am Mittelmeer. Am günstigsten ist die Lage von Marseille, und dies ist darum am glänzendsten emporgeblüht. Westlich von Marseille ist die Küste durch die Deltabildungen der Rhone sowie der Cevennen- und Pyrenäenflüsse beträchtlich vorgerückt, Inseln sind hier landfest geworden, Meeresbuchten verlandet, Teile des Meeres selbst, durch Dünen abgeschnitten, zu Strandlagunen (étangs) geworden. Dieser Teil ist Flachküste und hafenlos, nur mit großer Mühe und Kosten sind Kunsthäfen, wie der von Cette, geschaffen.

Am Atlantischen Ozean finden wir von dem Flußhafen von Bayonne an wiederum bis zur Mündung der Gironde eine buchten- und hafenlose, von Dünen besetzte Flachküste. Das Garonnebecken vermittelt seinen Verkehr durch Bordeaux, das sich unter dem Einfluß der ozeanischen Flut noch weit oberhalb der Mündung zur großen Seehandelsstadt zu entwickeln vermocht hat. Von der Gironde an ist die Küste zwar auch noch flach, aber reich ausgebuchtet und mit Häfen, wie La Rochelle, Rochefort u. a., ausgestattet, die aber jetzt anscheinend durch Aufsteigen dieser Küste immer unbrauchbarer werden, so daß sich der Verkehr mehr und mehr wie südwärts auf die Gironde-, so nordwärts auf die Loiremündung mit den Häfen von Nantes und St.-Nazaire konzentriert. Mit der Mündung der Vilaine beginnt die Küste der Halbinsel Bretagne. Es ist eine merkwürdig verwitterte und ausgebuchtete granitische Steilküste, die mit ihren vielen vorgelagerten Granitinseln, mit ihren fjordartigen Einschnitten an die Küste von Norwegen erinnert. Von den zahlreichen Häfen ist Brest, der große Kriegshafen Frankreichs am Ozean, von der Natur am besten ausgestattet. Steile, klippenumstarrte Landtrümmer sind auch die Normannischen Inseln, die den großen zwischen der Bretagne und der Halbinsel Cotentin eindringenden Golf schließen. Von hier an aber fehlt es an der französischen Küste, die bis gegen die Somme hin noch meist, wenn auch mäßig steil bleibt, an guten Naturhäfen; es ist deshalb mit großen Kosten der Kriegshafen von Cherbourg England gegenüber angelegt worden, während sich der Handel in dem durch Kunst geschaffenen Flußhafen von Le Havre konzentriert, seitdem Rouen für die großen Seeschiffe der Neuzeit nicht mehr zugänglich wurde. Von der Somme an beginnt die von Dünen begleitete Flachküste, die der südlichen Nordsee eigen ist. Boulogne und Calais verdanken nur der Gunst der Lage am engsten Punkte des Kanals ihre Bedeutung.

Bodengestaltung.

Die Reliefformen Frankreichs zeigen eine reiche, günstige Gliederung, einen Wechsel von Ebenen, Hügel- und Berglandschaften, der nirgends Einförmigkeit aufkommen läßt, ohne daß aber, außer an der Südost- und Südgrenze, unbewohnbare Hochgebirge vorhanden wären. Die größten Erhebungen Frankreichs liegen im S. und O., so daß die allgemeine Abdachung des Landes eine nordwestliche ist und demnach die Hauptflüsse, mit einer Ausnahme, zum Ozean gehen. Als den Kern von F. haben wir das sogen. Zentralplateau anzusehen, das die historischen Landschaften Auvergne, Lyonnais, Bourbonnais, Marche, Limousin, Guienne und Languedoc ganz oder teilweise füllt. Es bildet mit ungefähr 80,000 qkm mehr als ein Siebentel von F. und ist sein wichtigstes Wasserreservoir, rings von Ebenen umschlossen, durch das Tal der Rhone und der Saône von Alpen und Jura, durch die Einsenkung von Castelnaudary, durch die der Canal du Midi in einer Höhe von 189 m geführt ist, von den Pyrenäen getrennt und nur nach NO. mit den östlichen Grenzgebirgen, den Vogesen und Ardennen, in erkennbarem orographischen Zusammenhang. Das zentrale Hochland läßt sich in zwei Unterabteilungen zerlegen: eine östliche, die den gehobenen, steil zur Ebene von Languedoc und dem Rhone-Saônetal abfallenden Rand des Hochlandes bildet und bald mehr, bald weniger deutlich den Charakter einer Gebirgskette trägt, und eine westliche, das Hochland von Auvergne.

Der östliche Plateaurand, der von der erwähnten Einsenkung von Castelnaudary bis zu der das Rhone- und Loiretal verbindenden Senke von Longpendu den Namen Cevennen (s.d.) führt, umfaßt als Hauptabteilungen die Montagne Noire, die Espinouseberge, die Garriguesberge, die Cevennen im engern Sinne (1567 m), die Lozèreberge (1702 m) und das Margeridegebirge (1554 m), die Berge des Vivarais (1754 m), Lyonnais, Beaujolais und Charolais. Der Abschluß der Cevennen im N., die Senke von Longpendu, ist wie jene von Castelnaudary im S. die natürliche Verbindung der mediterranen Abdachung Frankreichs mit der ozeanischen im N. des zentralen Hochlandes. Durch ihre tiefste Falte ist der Canal du Centre von der Saône zur Loire geführt. Von dieser Einsenkung an, die das zentrale Plateau von dem nördlich davon liegenden, schon zum Seinegebiet gehörigen Morvanplateau scheidet, wird die Wasserscheide zwischen Rhone und Seine nur noch durch niedere Rücken gebildet, die das zentrale Plateau mit den Vogesen verbinden. Es sind zunächst die Höhen der Côte d'Or (636 m, s.d.). Das Tal des Saônezuflusses Ouche, das die Côte d'Or im N. begrenzt, ist wiederum benutzt worden, um durch den Kanal von Burgund Saône und Seine zu verbinden. Nördlich von diesem Kanal nimmt die Wasserscheide immer mehr den Charakter eines steil gegen Burgund abfallenden Plateaus an, das bei einer mittlern Höhe von 500 m in seinem mittlern Teil an den Quellen der Marne, von der aus wiederum ein wichtiger Übergang aus dem Seine- ins Saônegebiet führt, Plateau von Langres genannt wird. Die dies Plateau ostwärts fortsetzenden Monts Faucilles (Sichelberge), die bis 613 m ansteigen, bilden weiter die Wasserscheide zwischen Saône und Mosel und stellen die Verbindung mit den Vogesen und dem Hochland von Lothringen her. Das Tal des Allier kann am besten als Scheide zwischen dem westlichen Teil des zentralen Hochlandes und seinem östlichen Rand angesehen werden. Es ist zuerst eng und tief eingeschnitten, erweitert sich aber bald zu der breiten Talebene der Limagne. Sie scheidet die Berge von Forez (s.d.) vom westlichen Hochland, dessen Kern die Berge der Auvergne bilden. Die Gebirge der Auvergne lassen deutlich Südnordrichtung erkennen und umfassen drei Gruppen: die Berge von Aubrac (1471 m), die vom Lot und seinem Nebenfluß, der Truyère, umflossen werden und durch einen engen Isthmus mit den Margeridebergen zusammenhängen; als mittlere und größte Gruppe den Cantal (1858 m) und als nördlichsten Teil, durch ein überaus ödes Hochland vom Cantal getrennt, die beiden Gruppen des Mont Dore mit dem Puy de Sancy (1886 m), dem höchsten Gipfel Innerfrankreichs, und des Puy de Dôme (1465 m). Das Plateau, auf dem sich diese alten Vulkane der Auvergne erheben, setzt sich noch weit nach W. fort. Der höchste und rauheste Teil desselben ist das Plateau von Millevaches (Mont Besson 984 m) mit den Quellen der Vienne, der Creuse, der Vézère und andrer Zuflüsse der Dordogne. Der westlichste Teil wird als Plateau von Limousin bezeichnet.

Im O. wird Hochfrankreich von Alpen und Jura durch die breite Talebene der Saône und der Rhone getrennt, die sich nach NO. im Tal des Doubs bis zur Ill und dem Elsaß fortsetzt als ein breites Tor von kaum 350 m Höhe, durch das eine Heer-wie Handelsstraße seit der ältesten Zeit aus Südwestdeutschland nach Südostfrankreich und dem Mittelmeer, jetzt auch Eisenbahn und (Rhein-Rhone-) Kanal führen. Daher die hohe strategische Bedeutung von Belfort und Besançon. Diese Pforte erweitert sich zur Ebene von Burgund, die bei einer Höhe von 200 bis 250 m, einer Breite von 41–50 km und auf weite Strecken fast wagerechtem Boden von der Saône, die sich oberhalb Châlon, dem Mittelpunkt der Ebene, mit dem Doubs vereinigt, entwässert wird. Sie hebt sich in dem Hügelland der Franche-Comté sanft auf die Höhen des Jura, während sie nach S. hin, zwischen Saône und Ain, dem Rhonezufluß aus dem Jura, sich zu dem von unzähligen kleinen Seen bedeckten kleinen Plateau (300 m) des Pays de Dombes hebt. Auch jenseit von Lyon, dem Vereinigungspunkt von Saône und Rhone, erstreckt sich die Ebene überwiegend auf dem linken Rhoneufer; aber im S. der Isère treten die Vorhöhen der Alpen näher an die Rhone heran, und die Ebene verengert sich; noch mehr südlich von der Drômemündung, jenseit Montélimar, tritt aber der Fluß durch die Enge von Donzère in die sich nun immer mehr erweiternde Ebene der Provence und des Languedoc, die sich, rings von Bergen umsäumt, ihrem Klima und ihrer Vegetation nach durchaus vom übrigen F. absondert. Die Ebene von Languedoc, von der Rhone bis zu den Pyrenäen, steht durch die bereits erwähnte Einsenkung von Castelnaudary (189 m) mit dem Garonnebecken in Verbindung, das sich als ein großes Dreieck zwischen dem Meer, dem zentralen Hochland und den Pyrenäen ausdehnt; Toulouse ist Mittelpunkt des obern, Bordeaux des untern Beckens, das selbst im erstern Teil nur 133 m Seehöhe erreicht. Nach W. hin, am Meer entlang zwischen Adour und Gironde, besteht die Ebene aus dem Sumpf- und Heidegebiet der Landes, an der untern Garonne bis an die Charente aus dem hügeligen Gebiet, das die berühmten Bordeauxweine hervorbringt. Nach NO. hin steht das Garonnebecken durch den fast genau von N. nach S. gerichteten Teil des Charentetals, darauf durch eine nur 150 m erreichende Schwelle und jenseit derselben durch den gleich gerichteten Clain, den Nebenfluß der Vienne, über Poitiers mit der großen nordfranzösischen Ebene im Loire- und Seinebecken in Verbindung. Diese Einsenkung zwischen Angoulême und Poitiers ist eine der wichtigsten Straßen von F., die den Norden mit dem Südwesten und Spanien verband, daher bezeichnet durch zahlreiche Schlachten, namentlich bei Poitiers. Die Ebene an der Loire breitet sich fast gleichmäßig zu beiden Seiten des Flusses aus (Orléans 93 m), zwischen Loire und Cher als das noch immer mit Seen und Sümpfen bedeckte und nicht völlig fieberfreie Gebiet der Sologne. Eine weite Ausbuchtung der Ebene begleitet südwärts die Vienne und den Cher bis Poitiers (190 m) und Bourges (130 m), eine noch größere im N. reicht an der Sarthe bis Le Mans, an der untern Loire verengert sich aber die Ebene wieder bis auf etwa 100 km. Nordwestfrankreich hat kein zusammenhängendes Gebirgssystem und unbedeutende Höhen; das kleine Plateau von Gâtine in Poitou, dem westlich die Ebene der Vendée vorgelagert ist, erreicht kaum 300 m und die Montague d'Arrée (s. Arrée) in der nordwestlichsten Bretagne nur 391 m. Dem Verkehr bieten sich hier bei der geringen Höhe nur geringe Schwierigkeiten, Kanäle, die jetzt freilich für den Verkehr fast unnütz geworden sind, verbinden mitten durch das Land Nantes mit Brest und St.-Malo. Ostwärts umfaßt dieses Gebiet der Bretagne auch noch den Südwesten der Normandie und die Halbinsel Cotentin, ja dort finden sich bei Alençon Höhen von 417 m, die höchsten Punkte Nordwestfrankreichs. Das Becken der Seine ist von der Loireebene nicht zu scheiden, und die Kanäle von Orléans und Briare, die beide Flußsysteme verbinden, übersteigen mit ihren Scheitelpunkten 100 m nicht beträchtlich. Das Becken der Seine ist fast kreisrund und trägt den Charakter eines Hügellandes, das sich nur an den Rändern bis zu 300 m und mehr hebt. Paris, das nur noch 25–30 m ü. M. liegt, ist der Mittelpunkt. Der Nordost- und Ostrand des Seinebeckens bildet zugleich einen Teil der vom Mittelmeer bis zum Kanal durch sich aneinander fügende Gebirge und Höhenzüge deutlich bezeichneten Ostgrenze Frankreichs. Dieselben beginnen an der engsten Stelle des Kanals, am Kap Gris-Nez, und bilden die Berge von Artois, die Wasserscheide zwischen dem belgischen Tiefland und der Somme und Oise. Kein Punkt in diesem Höhenzug erreicht 200 m. Hier ist also die Grenze Frankreichs völlig offen, hier liegen daher zahlreiche Schlachtfelder und starke Festungen. Günstiger ist das Verhältnis nach dieser Seite hin weiter nach SO., wo sich von den Quellen der Schelde und Sambre an die äußersten Ausläufer der Ardennen, des Westflügels des Rheinischen Schiefergebirges, anschließen, die noch von dichten Wäldern bedeckt und von der Maas und ihren Nebenflüssen Chiers und Semoy in tief eingeschnittenen, vielgewundenen Tälern durchbrochen werden, daher schwer zugänglich sind. Ihre früher reichbewaldete höchste Erhebung wird mit dem Namen Argonnen bezeichnet und bildet die Westgrenze des Plateaus von Lothringen. Mitten von der Mosel durchflossen, dacht sich dies Gebiet nach N. ab, hat aber eine mittlere Höhe von 300–400 m. Im S. verwächst es mit den Monts Faucilles (Sichelbergen), im SO. mit den Vogesen, deren Kamm vom Mont Donon südwärts die Grenze bildet. Der Abfall der Vogesen ist nach O. zur Rheinebene steil, zum westlichen Hochland sanft; bei einer mittlern Kammhöhe von 1000 m bildet der Honeck (1366 m) den höchsten Punkt auf französischem Gebiet. Nach S. fällt das Gebirge ziemlich steil zu der schon erwähnten Pforte von Belfort und Montbéliard ab, jenseit welcher sich der Jura (s.d.) erhebt. Dieses Gebirge, dessen Ketten und Längstäler einen merkwürdigen Parallelismus und Steilabsturz auf der schweizerischen, plateauartige Abdachung auf der französischen Seite zeigen, bildet bis zum Genfer See die Grenze, erstreckt sich aber bis zum Rhoneknie. Die höchsten Erhebungen liegen im südlichen Teil der innersten, im Mittel 1300 m hohen Kette (Crêt de la Neige 1723 m, Reculet 1720 m).

Von den Alpen (s.d.), die sich als weit höherer Grenzwall an den Jura anschließen, gehören die Westalpen zum größern Teil F. an. Insbesondere liegen auf französischem Gebiet die folgenden Teile der Urgebirgszone der Westalpen: die Seealpen (Mont Pelat 3053 m, Mont Tenibres 3032 m); die Kottischen Alpen (Monte Viso 3843 m, Mont Chambeyron 3400 m); die Dauphiné-Alpen mit der großartigen, gletscherreichen Gruppe des Pelvoux (Les Ecrins 4103 m); die Grajischen Alpen mit der Sassièregruppe (Grande Sassière 3756 m) und der Vanoisegruppe (Grands Couloirs 3862 m); endlich das kolossale Gebirgsmassiv des Montblanc (4810 m). Den genannten Hauptgruppen der Westalpen ist eine Reihe von Kalkalpenzügen westlich vorgelagert, die sich gegen das Rhonetal zu absenken. Dazu gehören: die Montagne des Maures (779 m) und das Estérelgebirge (616 m); ferner die Drôme-Alpen (Montagne de Lure 1827 m, Mont Ventoux 1912 m, die Dévoluygruppe 2793 m u. a.); die Jura-Alpen (Pointe Percée 2752 m); endlich die Alpen von Chablais und Faucigny (Mont Buet 3109 m).

Eine viel unzugänglichere Scheidewand als die Alpen bilden die niedrigern Pyrenäen (s.d.). Sie erheben sich, namentlich von F. aus gesehen, als eine gewaltige, wenig eingeschartete Mauer, von Meer zu Meer reichend, in ihrem zentralen Teil mit einer Kammhöhe von 2500 m. Der höchste Punkt auf französischem Gebiet ist der Vignemale (3290 m). Die Ostpyrenäen fallen als Monts Albères (von 1675 bis 200 m) zum Mittelmeer ab; mit dem Canigou (2785 m) schiebt sich eine bedeutendere Kette der Ostpyrenäen gegen N. vor, von der sich der niedere Zug der Corbières bis gegen Narbonne hin vorstreckt. Die französische Seite der Pyrenäen bildet, namentlich je näher am Ozean, mit ihren grünen Weiden und Wäldern und ihren Wasserfällen einen merkwürdigen Kontrast gegenüber den öden, kahlen Felsenhängen der spanischen Seite; aber auf beiden Seiten sind die Pyrenäen spärlich bewohnt und angebaut, selbst die Viehzucht ist dürftig, und auch Bergbau fehlt.

Vom ganzen Areal Frankreichs kommen ca. 245,000 qkm auf Bergland und 285,000 qkm auf ebenes Land. Diese Eb enen sind, wenn wir von wenigen, wie der versumpften Camargue, der Sologne, der Champagne pouilleuse, den Landes, der Crau, die aber mehr oder weniger jetzt der Kultur gewonnen werden, absehen, herrlich angebaut und dicht bevölkert.

Die Insel Korsika, die wie Nizza geographisch und ethnographisch zu Italien gehört, ist durchaus Gebirgsland, nur an der Ostseite finden sich flache Küstenebenen jüngerer Entstehung. Genaueres s. unter Korsika.

Geologische Beschaffenheit.

(Hierzu die »Geologische Karte von Frankreich«.)

Aus archäischen Schiefern (Gneisen, Glimmerschiefern etc.) und aus granitischen Gesteinen bestehen das Zentralplateau und die armorikanische Masse, welch letztere besonders das Gebiet der Vendée, der Bretagne und der Normandie umfaßt. An sie lagern sich kambrische Sedimente an; solche treten auch noch in den in ihrem Kern ebenfalls aus kristallinischen Schiefern und Granit aufgebauten Pyrenäen (in der Umgebung von Bagnères-de-Luchon) und in den Ardennen auf. Silurische Bildungen finden sich an zahlreichen Stellen der Normandie und der Bretagne, auch in Anjou und Maine und sind hier vielfach stark gestört; ebenso kennt man im Languedoc und in den Pyrenäen sowie noch an einigen andern Punkten des Landes silurische Ablagerungen. Bei weitem untergeordneter sind die devonischen Schichten, die in den Ardennen, in der Normandie, in Maine, Anjou, in den Vogesen, dem Languedoc etc., auch in den Pyrenäen entwickelt sind. Die karbonische und die permische Formation bedecken nur einen kleinen Teil des französischen Bodens. In den Pyrenäen findet sich das untere Karbon als Kalk (marbre griotte) entwickelt; die obere produktive Steinkohlenformation tritt besonders in Nordfrankreich (Nord und Pas-de-Calais) auf, wo die aus Belgien herübertretenden Steinkohlenflöze Anlaß zu einem lebhaften Bergbau gegeben haben, sowie im Loirebassin. Hier haben die abbauwürdigen Flöze bei Rive-de-Gier eine Gesamtmächtigkeit von 10–25 m, bei St.-Etienne eine solche von 40–50 m. Auch bei Commentry wird ein 15–20 m mächtiges Kohlenflöz abgebaut. Weniger bedeutend ist dagegen der Steinkohlenbergbau im Morvan und in der Umgebung von Autun, im Aveyron, in der Corrèze und im Becken von Alais. Der Flächeninhalt der französischen Kohlengebiete beträgt 54 QMyriameter, gegen einen solchen von nur 45,8 QMyriameter in Deutschland; ihre Ergiebigkeit ist aber nur sehr gering: so produzierte F. 1901 nur 30 Mill. Ton. (in 1900: 31 Mill.), gegenüber einer Förderung von 108,5 Mill. T. in Deutschland. Eng mit den Bildungen des Karbon sind in F. diejenigen des Perm verbunden, so daß die französischen Gelehrten beide als ein Ganzes, das Système permo-carbonifère, zusammenfassen. Das Perm ist als Rotliegendes besonders am Westrand der Vogesen und im N. und im S. des Zentralplateaus entwickelt. Frankreichs triassische Schichtenreihe weicht im wesentlichen kaum von den Sedimenten der germanischen Trias ab. Sie tritt am Westrand der Vogesen, in den Juradepartements, im Morvan, im Lyonnais, am Zentralplateau, in der Provence, im Languedoc, in den Pyrenäen, in Flandern, in Artois, im Boulonnais, auch in den Alpen, hier aber in andrer Fazies, auf. Sehr verbreitet ist auch das Jurasystem. Es ist besonders im Osten des Landes stark entwickelt, so in den französischen Alpen und zwar namentlich in dem am Mittelmeer gelegenen Teil der Provence und im Dauphiné, im französischen Juragebirge, ferner in Lothringen und im Ardennenlande, von wo sich diese Schichtenreihe dann im Osten der Champagne, das Pariser Becken südlich umfassend, bis an den Atlantischen Ozean hinzieht, um sich dann wieder nach SO. um das Zentralplateau herumzuwenden. Ein andrer Streifen jurassischer Bildungen zweigt am Atlantischen Ozean ab und schlingt sich dann um die Masse des armorikanischen Gebirges der Vendée herum, um bei Havre den Kanal zu erreichen. Auch bei Boulogne-sur-Mer findet sich ein vereinzeltes Vorkommen von Jura. Der Hauptteil der jurassischen Schichten Frankreichs gehört der mitteleuropäischen Fazies an, nur ein geringer Bruchteil tritt in der mediterranen Fazies auf. Der Lias, besonders aber Dogger und Malm sind zu gewaltiger Entfaltung gekommen. Berühmt wegen ihres Fossilienreichtums ist die Umgegend von Caen in der Normandie, von Havre und von Boulogne-sur-Mer. Das Kreidemeer verbreitete sich von England her über das nordfranzösische Gebiet, das sogen. anglo-französische Becken muldenförmig erfüllend. So sind die Kreideablagerungen des Pariser Beckens (vorwiegend mittel- und obercretazeïschen Alters) eine direkte Fortsetzung der englischen. Sie ziehen sich, bei Calais anfangend, am Saum der Juraberge längs des Fußes der Ardennen durch Marne, Aube, Yonne, Cher, Indre-et-Loire, Eure bis zurück an das Meer bei der Seinemündung. Besonders auffallend sind unter den Kreidebildungen die weiße Schreibkreide der Champagne mit Feuersteinknollen (Kreide von Meudon) und die tuffige und sandige, auch glimmerige Kreide der Touraine, beide dem Senon angehörig, die Mergelkreide des Turon und die glaukonitische Kreide von Rouen, cenomanen Alters. Die Kreide des Rhone- und Garonnebeckens, der Alpen und der Pyrenäen ist ausgezeichnet durch das Auftreten harter, massiger Kalke mit zahlreichen (in der nördlichen Fazies nur spärlich vertretenen) Hippuriten; sie gehört der südlichen oder mediterranen Fazies an. Die tertiären Sedimente sind besonders in zwei größern muldenförmigen Arealen in ziemlich vollständiger Folge zum Niederschlag gekommen, nämlich im Pariser Becken und im Becken der Garonne, das sich durch die ganze Gascogne hindurch bis zum Fuße der Pyrenäen zieht. Das Alttertiär des Pariser Beckens hat seiner Fossilien wegen große Berühmtheit erlangt; es besteht aus Sanden, Sandsteinen, Tonen, Kalken etc. Hervorzuheben ist der versteinerungsreiche Pariser Grobkalk, ein geschätztes Baumaterial für die französische Hauptstadt, und der Gips vom Montmartre, der Hauptfundort von Palaeotherium magnum, Anoplotherium commune, Xiphodon gracile etc. Im Becken der Garonne kommen im Quercy bei Montauban Phosphoritablagerungen oligocänen Alters vor, die ebenfalls Säugetierreste (Xiphodon, Hyaenodon, Anoplotherium, Palaeotherium) umschließen. Weitere berühmte Tertiärfundorte sind Sansan im Departement Gers (Pyrenäen) und das benachbarte Simorre, das prächtige Überreste von Mastodonten geliefert hat, ferner der Mont Lébéron in der Vaucluse mit reichen Säugetiereinschlüssen. Das Tertiär führt in der Provence, im Depart. Yonne etc. auch Braunkohlen; doch sind nur die aus der Provence technisch wichtig. Quartäre Ablagerungen weist F. allenthalben auf. Zunächst seien die glazialen Bildungen des ehemaligen Rhonegletschers erwähnt, der in diluvialer Zeit seine Moränen bis auf das Plateau von Dombes und die Höhen von Fourvières bei Lyon, etwa 460 km von seinem Ursprung hinweg, vorgeschoben hat. Ebenso hatten die Pyrenäen, die Vogesen und die Berge der Auvergne ihre z. T. weit ins Vorland hinein sich erstreckenden Gletscher. Zahlreich sind in F. die Ablagerungen quartärer Kalktuffe, besonders längs des Laufes der Seine (so bei Celle unweit Moret); sie führen Ficus carica, Zonites, Helix, Reste von Sus, Castor und Cervus und beweisen dadurch, daß das Klima zu ihrer Bildungszeit feuchter, aber auch wärmer war als das jetzt im Seinetal herrschende. Dafür sprechen auch die in andern ähnlichen Tuffgebilden (von Roquevaire bei Marseille, von Montpellier etc.) gemachten paläontologischen Funde.

Auch jüngere Eruptivgesteine (Trachyte, Andesite, Basalte und zugehörige Tuffe) treten in großer Mannigfaltigkeit, zumal in der Auvergne, im Velay und im Vivarais zutage. Die längst erloschenen Vulkane dieses Landstriches sind fast alle an den Ufern tertiärer Seen und Lagunen gruppiert, die gegen das Ende der aquitanischen Zeit zu ausgetrocknet sind. Die Eruptionen müssen schon im Miocän begonnen haben, um durch die ganze Pliocänzeit und bis in die quartäre Periode hinein anzudauern. Besonders schön sind unter den Vulkanen der Auvergne der Mont Dore und die Chaine des Puys mit dem Puy de Dome. Vgl. Europa, S. 175f., und Tafel »Gebirgsbildungen«, Fig. 3.

Der Erzreichtum Frankreichs ist im Verhältnis zum Umfang des Landes nicht sehr groß. Zinnerze finden sich im Morbihan, im Zentralplateau (bei Montebras) etc., Kupfererze verschiedener Art bei Chessy im Depart. Rhone, auch im Depart. Var, Antimonerze im Zentralplateau (Freycenet, Licoulne etc.). Bei Pontpéan, Huelgoat etc. in der Bretagne, bei Pontgiband in der Auvergne, bei Vialas in der Lozère, bei Pierrefitte etc. in den Pyrenäen treten reiche Bleierze, z. T. von Zink- und Kupfererzen begleitet, auf, bei Chessy und St.-Bel im Rhônedepartement, im Depart. Gard und bei Soyons (l'Ardèche) wird Pyrit abgebaut; Eisenerze gewinnt man auf Gängen in den Ostpyrenäen (Canigou) und im Ariège (Rancié), im Depart. Isère (Allevard und Vizille), besonders aber auf Lagern, so im Silur bei Segré im Depart. Maine-et-Loire, Diélette in der Manche, St.-Rémy (Calvados), in der Trias bei Mazenay und Changes (Saône -et-Loire), besonders aber im Jura in Lothringen (Minette bei Nancy, Briey und Longwy), tertiäre Bohnerze im Berry und in Lothringen (Briey, Thionville etc.). Im Limousin (bei St. Yriecix) und in Allier (Colettes), auch bei Queylon in der Dordogne finden sich schöne Kaolinlager, die zu industriellen Zwecken verwertet werden, und im Quercy die wertvollen tertiären Phosphorite. – Geologische Literatur und Karten s. unten, S. 872.

Flüsse und Seen.

Die fließenden Gewässer Frankreichs gehören einerseits dem Gebiet der Nordsee, dem Kanal und dem Atlantischen Ozean, anderseits dem Mittelländischen Meer an. Diese beiden Wasserbecken zerfallen weiter in 42 Flußgebiete und zwar in 5 große Stromgebiete (Garonne, Loire, Seine, Rhein mit Maas und Schelde und Rhone), 8 Flußgebiete zweiten Ranges (Somme, Orne, Vilaine, Charente, Adour, Aude, Hérault und Var) und 29 kleine Becken, die durch Küstenflüsse gebildet werden. Auffallend ist dabei, aber für den Verkehr wichtig, daß alle zum Ozean gehenden Flüsse von der Mosel bis zum Adour sich mit ihren Quellen, dagegen alle zum Mittelmeer gehenden mit ihren Mündungen einander nähern, die einen also divergieren, die andern konvergieren. Häufig wird das ganze Land in die fünf oben genannten Hauptstromgebiete geteilt, indem denselben die kleinern Becken angereiht werden. Von diesen fünf Strom gebieten gehören dann die der Garonne, Loire und Seine ganz und ausschließlich F. an, während das des Rheins mit einem sehr kleinen Teil, das der Rhone mit dem größten Teil auf französisches Gebiet fallen. Die zwei erstern folgen der westlichen Abdachung in den Ozean, das dritte der des Kanals, das vierte der zur Nordsee, das fünfte der südlichen Abdachung zum Mittelländischen Meer. Diese großen Stromsysteme sind somit für den Binnen-wie für den äußern Verkehr sehr günstig angeordnet. Sie setzen das Binnenland mit beiden Meeren und den Rheinlandschaften im NO. in Verbindung und hängen untereinander über ihre niedern Wasserscheiden durch Kanäle zusammen. Ein großartiges, freilich durch das Monopol der großen Eisenbahngesellschaften z. T. nutzlos gemachtes Kanalnetz, dessen Entwickelung noch ins 17. Jahrh. zurückreicht, bedeckt ganz F. Die Flüsse werden allerdings sämtlich in ihrem Werte dadurch beeinträchtigt, daß infolge maßloser Entwaldung ihr Wasserstand sehr wechselnd ist; auf sehr niedriges Wasser folgen furchtbare Überschwemmungen, namentlich im Garonne- und Loiregebiet, die Flußbetten versanden, und Seitenkanäle müssen sie ersetzen. Die Garonne (im Unterlauf Gironde, 575 km lang, wovon 468 km schiffbar sind, im Mittel 200 m breit) nimmt als Nebenflüsse auf: rechts Ariège, Tarn, Lot, Dordogne (mit Vézere und Isle, letztere mit der Dronne); links Gers und Baise. Die Loire (1002 km lang, 822 km schiffbar), Frankreichs größter Strom, empfängt als Nebenflüsse: rechts Arroux, Maine (gebildet durch Mayenne, Sarthe und Loir) und Erdre; links Allier, Cher (mit Indre), Vienne (mit Clain und Creuse), Thouet und Sèvre-Nantaise. Die Seine (776 km lang, davon 554 km schiffbar) ist für den Handel Frankreichs von großer Wichtigkeit, indem sie die Waren in den Mittelpunkt des Reiches bringt und die Hauptstadt mit den Meeren in Verbindung setzt. Ihre Nebenflüsse sind: rechts Aube, Marne (mit Saulx, letztere mit dem Ornain), Oise (mit Aisne), Epte; links Yonne (mit Serein und Armançon), Loing, Eure (mit Iton). Von dem eigentlichen Stromgebiet des Rheins gehört seit 1871 F. nur der Nebenfluß Mosel an, der auf französischem Gebiet 184 km lang (davon 40 km schiffbar) ist und die Meurthe und Seille (Grenzfluß gegen Deutschland) aufnimmt. Der Schelde, die nur zum kleinsten Teil F. angehört, fliessen von hier aus zu: links die Scarpe und die Lys (mit der Deule). Auch die Maas fällt nur z. T., mit 360 km (wovon 233 km schiffbar), auf französisches Gebiet, von dem ihr an Nebenflüssen rechts die Chiers und Semoy, links die Sambre (mit der Helpe) zufließen. Die Abdachung zum Mitteländischen Meer umfaßt, außer unbedeutenden Küstenflußgebieten, allein das große Flußgebiet der Rhone, die, aus der Schweiz kommend, F. nur z. T., mit 497 km schiffbarem Lauf, angehört. Nebenflüsse sind links: Isère (mit Arc und Drac), Drôme, Durance (mit Verdon); rechts: Ain, Saône (mit Ognon und Doubs), Ardèche und Gard. Von den Küstenflüssen sind die bedeutendsten, in den Kanal mündend: die Canche, Authie, Somme, Bresle, Béthune, Touques, Dives, Orne, Vire, Douve, Sélune, Couesnon, Rance, Guer etc.; in den Atlantischen Ozean: Anne, Blavet, Vilaine, Lay, Sèvre-Niortaise, Charente, Leyre, die sich in das Bassin von Arcachon ergießt, Adour; in das Mittelländische Meer: Tech, Têt, Agly, Aude, Orb, Hérault, Vidourle, Vistre, Gapeau, Argens, Loup und Var. Die schiffbaren Flüsse und Bäche Frankreichs belaufen sich insgesamt auf 141 mit einer Gesamtlänge von 8387 km.

Unter den Seen sind die Küstenseen des Mittelmeers und die des Gascognischen Meerbusens bemerkenswert, darunter der See von Thau im Depart. Hérault, in den der Südkanal mündet, und der See von Berre im Depart. Rhonemündungen. Kleine Gebirgsseen finden sich in den Alpen, Pyrenäen und Vogesen, darunter die Seen von Bourget und Annecy in Savoyen, und der hoch in den Vogesen gelegene See von Gerardmer. Abgesehen vom Genfer See, der in einer Länge von 50 km die Grenze Frankreichs bildet, ist der größte See der von Grandlieu im Depart. Niederloire, südlich von Nantes, ca. 70 qkm groß, aber von geringer Tiefe. Die Gesamtzahl der kleinern Seen Frankreichs mit Einschluß der Teiche beläuft sich auf 1700. Vgl. Delebecque, Les lacs français (Par. 1897).

Klima, Pflanzen- und Tierwelt.

Während die Gebietsteile südöstlich von den Cevennen dem mediterranen Klimagebiet angehören, steht der übrige Teil des Landes unter dem Einflusse des atlantischen Klimas. Die Mittelmeergestade und das Tal der untern Rhone sind nach N. hin meist nicht geschützt von Gebirgen, und daher sinken die Temperaturen bei vorherrschenden Nordwinden erheblich herab. Namentlich am untern Rhonetal tritt sehr häufig ein kalter, nördlicher und nordwestlicher Wind, der Mistral (s.d.), auf. Die Regenfälle sind am häufigsten im September und Oktober und fallen dann in Form von Platzregen; am trockensten ist der eigentliche Sommer. Die Regenmenge beträgt durchschnittlich etwa 67 cm. Dagegen sind an der Riviera, die durch die Seealpen und den Nordapennin geschützt ist, die Winter warm, so daß schon manche Pflanzen fortkommen, die sonst erst in Neapel gedeihen. Die mittlern Jahresextreme der Temperatur betragen in Montpellier 37 und -9°, Perpignan 37 und -4°, Nizza 31 und -1°. Der übrige, bei weitem größere Teil Frankreichs steht unter dem Einfluß des nordatlantischen Ozeans und hat Seeklima, das landeinwärts langsam kontinentaler wird, also milde Winter, kühlere Sommer, reichliche Niederschläge, große Bewölkung und im Winterhalbjahr stürmische Luftbewegung. Das ausgesprochenste Seeklima auf dem europäischen Festland, außer der Westküste Norwegens, hat die Bretagne, sie befindet sich in der Warmwasserheizung, die der Atlantische Ozean der Umgebung der Britischen Inseln verleiht. Die mittlern Wintertemperaturen gleichen denen von Genua und Fiume. In Brest hat man durchschnittlich im Jahr als Extreme 32° und -4° zu erwarten, also eine Schwankung von 36° (absolute Extreme 38°, -7°), in Brecour (Manche) 28°,-7° (absolute Extreme 31°,-11°). Die größte Winterkälte tritt meist bereits im Dezember ein. Bei durchschnittlich etwa 78 cm Höhe fallen die meisten Regen von September bis Januar und enden in Form von Landregen. Weiter nach O. hin nimmt die Feuchtigkeit langsam ab, der Unterschied der mittlern Sommer- und Wintertemperatur aber zu; die Jahresextreme zu Paris betragen 33° und -10°, also Wärmeschwankung 43°, Clermont absolute Extreme 18°,-23°, Puy-de-Dôme (1467 m) absolute Extreme 13°,-18°, Pau 33°,-6°. Die Sommerregen nehmen nach O. hin zu, die Regen überhaupt verteilen sich gleichmäßiger auf das Jahr; die durchschnittliche Regenmenge beträgt etwa 60 cm. Das Maximum fällt in den Mai und Oktober. An der obern Seine und obern Loire fallen, wenn auch weniger häufig, reichlichere Regen, häufig Platzregen; Überschwemmungen sind nicht selten.

Das Hochplateau Zentralfrankreichs hat ein rauhes Klima. Regenmengen: Westfrankreich (441/2-461/2° nördl. Br.) 66, Paris 58, Clermont 64 (Niederschlagstage 128), Puy-de-Dôme (1467 m) 150 (Niederschlagstage 197, Schneetage 62), Lausanne 107 (Niederschlagstage 148, Gewittertage 26), Pau 119 (Niederschlagstage 140). Am Vizcayabusen nordwärts bis zur Mündung der Loire sind die Sommer ziemlich warm und sonnig (St.-Martin [Landes], mittlere Jahresextreme 37° und -7°). In F. überhaupt sind die regenreichsten Gebiete an den westlichen Gehängen der Pyrenäen (120–200 cm), der Südabhang der Cevennen und das französische Alpengebiet. Gewitter kommen in Nordfrankreich durchschnittlich an etwa 17 Tagen vor, nach S. hin nimmt die Gewitterhäufigkeit zu; die Gewit ter ziehen am häufigsten und raschesten aus W. und SW. (50 km die Stunde), am seltensten und langsamsten aus nördlicher und östlicher Richtung (27–34 km die Stunde). Schneefreie Winter scheinen nur in den südlichen Küstengebieten vorzukommen.

Die Küstenländer am Atlantischen Ozean und am Kanal liegen im Gebiet der atlantisch-westbaltischen Flora, die durch atlantische Pflanzen, wie Ulex europaeus und nanus, Erica cinerea, Ilex Aquifolium u. a., charakterisiert wird. Das westliche und südwestliche Tiefland gewinnt südwärts mehr und mehr floristische Anklänge an die baskischen Provinzen Spaniens und zeichnet sich durch das Auftreten der immergrünen Quercus Ilex aus; Nadelhölzer verschwinden zuletzt bis auf Juniperus communis. Eine Reihe südlicher Pflanzen, wie Daboceia polifolia, Arten von Narcissus, Eryngium, Linaria u. a., ist an sporadischen Standorten der atlantischen Küste und ihrer Inseln verbreitet. Die Dünen der Gascogne tragen eine stark entwickelte Litoralflora mit einigen endemischen Arten. Der Süden Frankreichs gehört, soweit er Tief- oder Hügelland darstellt, der Mediterranflora an, deren immergrüne Strauchgürtel mit Pistacia, Arbutus, Phillyrea, Acer monspessulanum, immergrünen Eichen sowie Ölbaum- und Weinkultur etwa bis zu 350 m aufsteigen. Bei Nizza gedeihen Bambusa gracilis, Dracaena- und Ficus-Arten, die Dattelpalme, Chamaerops excelsior, Cycas revoluta u. a. Die mediterrane Pflanzenwelt dringt auch in die wärmsten untern Talstufen ein und geht z. B. längs der Rhone bis zum Genfer See. Das auf den Gebirgen des Dauphiné, der Auvergne, den Cevennen und den Pyrenäen verbreitete Florenelement gehört der zentraleuropäischen Alpenflora an, deren Ausstrahlungen in F. bis an die Vogesen reichen. Auf letztern ist der alpine Gürtel allerdings, ähnlich wie im gegenüberliegenden Schwarzwald, auf einen schmalen, etwa 130 m von der Kammhöhe herabsteigenden Streifen eingeschränkt. Am reichsten entwickelt ist die Alpenflora in den westlichen Zentralalpen und Voralpen Hochsavoyens und des Dauphiné sowie in den Seealpen. Hier beginnt der alpine Gürtel durchschnittlich etwa bei 1900 m; doch steigt derselbe, z. B. im Isèregebiet, auch viel tiefer hinab. In der Auvergne beginnen die Bergwiesen der Alpenregion etwa bei 1500 m. Das ganze übrige, zwischen dem alpinen Gürtel einerseits, der atlantisch-baltischen und der mediterranen Niederungsflora anderseits eingeschlossene französische Berg- und Hügelland gehört (von etwa 350 m aufwärts) der europäisch-asiatischen Laubholzzone an, die hier hauptsächlich durch Bestände von Edelkastanie u. Buche gekennzeichnet ist. Die übrige Berg- und Hügelflora Frankreichs zeigt eine eigentümliche Mischung atlantischer, mittelländischer u. mitteleuropäischer Pflanzenarten, die den Grundstock der Laubwaldzone ausmachen. Vgl. Acloque, Flore de France (Par. 1894).

Wie andre Mittelmeerländer weist die Fauna von F. sowohl Angehörige der europäischen wie der mediterranen Subregion auf deren Verbreitung z. T. noch der Ausdehnung dieser Subregionen entspricht, z. T. jedoch in ihrer Abgrenzung verwischt erscheint. Für den Süden charakteristisch sind unter andern zwei Arten der Gattung Hufeisennase und die Ginsterkatze; das Hermelin findet in den Pyrenäen seinen südlichen Verbreitungsbezirk. Für F. eigentümlich und von hier nach Belgien und Westdeutschland gehend ist die kurzohrige Erdmaus, F. und Italien gemeinsam die kurzschwänzige Erdmaus; der Biber geht der Ausrottung entgegen, in den Pyrenäen findet sich das Murmeltier, und z. T. noch sehr häufig ist in mehreren Departements Frankreichs der Wolf. Auf Korsika lebt der gemeine Mufflon. Die Vögel sind die der paläarktischen Region; die Ebenen Südfrankreichs bewohnt das Rothuhn. Von Reptilien enthält F. in 19 Gattungen ca. 27 Arten; die beiden Giftschlangen Kreuzotter und Aspisviper sind z. T. sehr häufig. Im S. Frankreichs finden sich Geckonen und andre südliche Eidechsenformen, so der mit der Blindschleiche verwandte Seps. An Amphibien ist F. viel reicher als die übrigen Länder Europas. Von Wassersalamandern (Tritonen) beherbergt F. alle in Europa vorkommenden Arten. Triton Blasii ist F. eigentümlich; auch der Schlammtaucher (Pelodytes fuscus) ist nur aus F. bekannt. Einheimische Fische sind Barsch, Stichling, Karpfen, Barbe, Weißfisch, Hecht, Salm, Forelle, Äsche, Stint, Maifisch, Aal, Stör (selten), Neunauge. Eingeführt sind: Zander, Waller, Saibling, Huchen, Seeforelle, Felchen, Sterlett. An den Küsten des Mittelmeers und des Atlantischen Ozeans spielt der Fang der Sardine eine bedeutende Rolle, doch werden auch Stockfisch, Hering und Makrelen in großer Menge gefangen. Die Molluskenfauna Frankreichs nähert sich nach S. zu der mittelländischen. In den Küstengewässern spielt die Auster eine große Rolle, deren künstliche Zucht große Erfolge aufzuweisen hat. Auch andre Muscheln werden viel gefangen. Die Verbreitung der niedern Tierwelt Frankreichs ist noch wenig untersucht. Das Meer liefert Hummern und andre Krebse. Vgl. Acloque, Faune de France (Par. 1895–99, 4 Bde.).

Areal und Bevölkerung.

F. zerfiel vor der Revolution in 33 Gouvernements oder Provinzen. Es waren dies, nach ihrer Größe geordnet, folgende: Guienne und Gascogne, Languedoc, Bretagne, Champagne, Normandie, Burgund, Lothringen, Provence, Orléanais, Poitou, Dauphiné, Isle-de-France, Franche-Comté, Berry, Auvergne, Picardie, Angoumois, Limousin, Maine, Anjou, Korsika, Bourbonnais, Lyonnais, Elsaß, Touraine, Béarn, Nivernais, Flandern, Marche, Artois, Foix, Roussillon und Venaissin. 1791 wurde eine neue Einteilung in 83 Departements eingeführt, die in nicht sehr glücklicher Weise hauptsächlich nach den sie durchziehenden Flüssen oder Gebirgen benannt wurden. Die Zahl der Departements vermehrte sich unter dem Kaiserreich bis 1811 auf 132. Gegenwärtig beträgt sie 87. Dieselben zerfallen in 362 Arrondissements, 2908 Kantone und 36. 192 Gemeinden. F. hat nach der neuen planimetrischen Berechnung des französischen Kriegsministeriums eine Fläche von 536,408 qkm (9742,2 QM.) mit (1901) 38,961,945 Einw. Areal und Bevölkerung der Departements sind aus der Tabelle auf S. 852 ersichtlich.

Die Zahl der Einwohner Frankreichs ward zu Ende des 17. Jahrh., wo der Staat Lothringen, Korsica und Avignon noch nicht besaß, auf 19,5 und vor der Revolution auf 24,8 Mill. geschätzt. Die seither vorgenommenen Volkszählungen ergaben:

Tabelle

Zur Vermehrung der Bevölkerung von 1856 auf 1861 trug hauptsächlich die Erwerbung von Savoyen und Nizza (mit etwa 669,000 Einw.), zur Verminderung von 1866 auf 1872 der Verlust von Elsaß-Lothringen (mit ca. 1,600,000 Einw.) bei. Die Zunahme der Bevölkerung im Zeitraum 1896–1901 mit 444,613 Seelen (1,15 Proz.) ist noch gering, indessen bedeutender als in den beiden vorhergehenden Perioden (124,289 in 1886–91 und 175,027 in 1891–96). Nur 25 Departements, hauptsächlich diejenigen, welche die größern Städte umfassen, zeigen eine Zunahme der Bevölkerung und zwar um 766,823 Seelen, während die Bevölkerung der übrigen 62 Departements zusammen um 322,210 Seelen abgenommen hat. Die Volksdichtigkeit stellt sich gegenwärtig auf 72 Einw. für das Quadratkilometer. Außer dem Depart. Seine (mit Paris), wo 7662 Menschen auf dem Quadratkilometer wohnen, besitzen die stärkste relative Bevölkerung die Departements Nord (323), Rhone (294), Belfort (151), Pas-de-Calais (142), Rhonemündungen (139), Loire (135), Niederseine (134); die dünnste Bevölkerung haben die Departements Niederalpen, Oberalpen, Lozère, Landes und Korsika. Die weibliche Bevölkerung hatte zu Anfang des 19. – Jahrhunderts infolge der Kriege ein bedeutendes Übergewicht über die männliche erlangt (1800: 725,000,1821: 868,000), das aber dann fast geschwunden ist (1866: 39,000) und sich erst neuerdings wieder gesteigert hat (1896: 423,709). Nach dem Zivilstand kamen 1896 auf je 1000 Einw.:

Tabelle

Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit waren unter der Bevölkerung Frankreichs 1901: 1,037,778 Fremde, d. h. 2,66 Proz. der Gesamtbevölkerung. Die meisten Ausländer befinden sich in den Departements Nord (1901: 230,821) und Seine (196, 241). Der Nationalität nach waren 1896 unter den Fremden: 395,498 Belgier (in den nördlichen Departements), 291,886 Italiener (im SO.), 90,746 Deutsche (in Paris und den östlichen Departements), 76,819 Spanier (in den südlichen Grenzdepartements), 74,735 Schweizer (in den an die Schweiz angrenzenden Departements, in Paris, Marseille etc.), 36,249 Briten (in Paris, den nördlichen Departements, den Seealpen) etc.


Tabelle

Was die Berufsarten betrifft, so lebten 1891: 47,3 Proz. der Bevölkerung von der Landwirtschaft, 25,9 Proz. von Bergbau und Industrie, 10,8 Proz. vom Handel; 3,3 Proz. waren beim Verkehrswesen tätig, 3,8 Proz. gehörten der öffentlichen Verwaltung und der bewaffneten Macht, 3 Proz. den freien Berufsarten an, und 5,9 Proz. lebten von Renten oder Pensionen. Die ackerbautreibende und industrielle Bevölkerung zeigt in den letzten Jahrzehnten eine bedeutende Verminderung. Vgl. Goldstein, Bevölkerungsprobleme und Berufsgliederung in F. (Berl. 1900).

Die Bevölkerungs bewegung ergibt in F. die bekannte Tatsache, daß sich die Bevölkerung trotz normaler Zahl von Eheschließungen wegen der verhältnismäßig geringen Zahl der Geburten äußerst langsam vermehrt. Auf 1000 lebende Einwohner kamen im Durchschnitt der letzten Jahre 7,5 (1901: 7,8) Trauungen, 22 Lebendgeburten, wovon die unehelichen Geburten 8–9 Proz. betragen, und 21 Sterbefälle. Der Überschuß der Geburten über die Sterbefälle ist demnach sehr gering (im Jahrfünft 1896–1900: 13 auf 10,000 Einw., gegenüber 147 in Deutschland), ja in den Jahren 1890–92 und 1898–1900 haben die Sterbefälle sogar die Zahl der Lebendgeburten überstiegen. Die bevölkertsten Städte waren nach der letzten Zählung: Paris (mit 2,7 Mill.), Marseille, Lyon, Bordeaux, Lille (mit 200–500,000); außerdem zählte man 10 Städte mit 100–200,000,22 mit 50–100,000 und 87 Städte mit 20–50,000 Einw.

Die französische Nation ist überwiegend keltischen Ursprungs mit im S. stärkerer römischer, im N. germanischer Mischung, daher die Südfranzosen kleiner, etwas dunkler gefärbt, lebhafter, die Nordfranzosen größer, ernster, häufiger blond und von frischer Gesichtsfarbe sind. Dazu kamen aber schon in ältester Zeit im SW. iberische Aquitanen, im SO. nichtkeltische Ligurer, im NO. die den Kelten verwandten Belgen. Weniger fällt ins Gewicht die normannische Beimischung im N., sarazenische im S. Gehört auch die große Masse der Bevölkerung der französischen Nationalität an, so gibt es doch an den Grenzen noch bedeutende nichtfranzösische Bevölkerungsbestandteile, die allerdings mehr und mehr französischen Charakter annehmen. So wohnen in der Bretagne noch Kelten, meist im 5. Jahrh. aus England eingewanderte Kymren, ungefähr 1 Mill., westlich einer Linie von der Vilainemündung nach St.-Brieuc. Im äußersten Norden leben 165,000 Flamen, im äußersten Südwesten etwa 100,000 Basken, im SO. und in Korsika etwa 600,000 Italiener; auch macht sich in Roussillon noch das katalonische, im Ardennengebiet das wallonische Element bemerklich. Über die Sprache der Franzosen s. Französische Sprache.

Nach dem Religionsbekenntnis wurde die Bevölkerung Frankreichs zuletzt 1872 ziffernmäßig erhoben und verteilte sich hiernach folgendermaßen: Katholiken 35,387,703 (98 Proz.), Protestanten 580,757 (1.6 Proz., davon 467,531 Reformierte, 80,117 Lutheraner und 33,109 protestantische Sektierer), Israeliten 49,439 (0,14 Proz.), andre Kulte nebst Konfessionslosen 85,022 (0,26 Proz.). Das französische öffentliche Recht erkennt, dem 1789 proklamierten Grundsatz zufolge, die Unabhängigkeit der Kulte an; es beschützt dieselben in ihren Äußerungen, unterwirft sie aber der Aufsicht der Regierung insoweit, als die geistliche Gewalt nicht in die weltliche eingreifen darf. Die Diener der Religion werden vom Staat besoldet. Alles dies gilt übrigens nur von den drei anerkannten Religionen (katholische, protestantische, israelitische), während sich die Gesetzgebung um die andern nicht kümmert. In der römisch-katholischen Kirche wird die oberste Leitung der geistlichen Angelegenheiten in F. von 17 Erzbischöfen und unter diesen von 66 Bischöfen wahrgenommen. Beide werden vom Präsidenten der Republik ernannt und erhalten vom Papst die kanonische Bestätigung; ihre Bullen müssen vor ihrer Veröffentlichung dem Staatsrat vorgelegt werden. Erzbischöfliche Sitze sind: Aix, Albi, Auch, Avignon, Besançon, Bordeaux, Bourges, Cambrai, Chambéry, Lyon, Paris, Reims, Rennes, Rouen, Sens, Toulouse, Tours. Man zählt (1900) 339 Generalvikare, 695 Domherren, 3448 Pfarrer, 34,671 Pfarrverweser und Vikare. Ordensgeistliche gab es 1880: 30,287 in 416 Orden und 127,753 Nonnen in 3798 Kongregationen, doch wurden seitdem bis in die neueste Zeit zahlreiche Orden aufgehoben. In der protestantischen Kirche ist die Kirchenverfassung auf dem Synodal- und Presbyterialsystem begründet. Als Gesamtvertretung fungiert für die reformierte wie für die augsburgische Konfession eine Generalsynode. Die obersten geistlichen Behörden sind der reformierte Zentralkirchenrat und die Exekutivkommission der augsburgischen Generalsynode, beide mit dem Sitz in Paris. Die reformierte Kirche zählt (1900) 629, die augsburgische 60 Pastoren und Vikare. Von den Israeliten (gegenwärtig auf 86,000 geschätzt) wohnen die meisten in den großen Städten, vor allem in Paris und Marseille. Der israelitische Kultus steht unter der obern Leitung eines Zentralkonsistoriums zu Paris, dem die Konsistorien, die 10 Oberrabbiner, 24 Rabbiner und 21 Kantoren untergeordnet sind.

Bildung und Unterricht.

Erst durch das Gesetz vom 28. März 1882 wurde der Primärunterricht für die Kinder beiderlei Geschlechtes vom vollendeten 6.–13. Lebensjahre für obligatorisch erklärt und somit der Schulzwang eingeführt. Jede Gemeinde von 500 Einw. ist hiernach verpflichtet, eine Knaben- und eine Mädchenvolksschule zu erhalten; jedes Departement muß zwei Normalschulen zur Ausbildung der Volksschullehrer, bez. – Lehrerinnen haben. Durch das Gesetz vom 16. Juni 1881 wurde der Elementarunterricht für unentgeltlich erklärt. Der Einfluß des Klerus auf die Elementarschulen wurde durch das Gesetz vom 30. Okt. 1886 beseitigt und 1902 die Schließung aller von Geistlichen geleiteten Schulen angeordnet, die nicht die Genehmigung der Regierung nachgesucht hatten. Parallel mit diesen legislativen Maßregeln lief allerdings auch eine bedeutende Erhöhung des vom Staat für das Volksschulwesen zu leistenden Aufwandes. Während 1870 der Staat zu den Kosten des Volksschulwesens 10,5 Mill. Fr. beitrug, ist dieser Anteil 1899 auf 152 Mill. gestiegen.

Das öffentliche Unterrichtswesen steht unter der Leitung eines eignen Ministers. Diesem zur Seite steht ein oberer Unterrichtsrat (Conseil supérieur de l'instruction publique), dem Generalinspektoren zur Überwachung des öffentlichen Unterrichts untergeordnet sind. In den Departements bilden die 16 Akademien, an deren Spitze ein Rektor steht, und denen Unterrichtsräte beigegeben sind, die Unterrichtsbehörden. Elementarschulen gab es (mit Einschluß der höhern Volksschulen) im Schuljahre 1899/1900: 83,361, davon 66.634 öffentliche und 16,727 Privatschulen. Hiervon standen noch 18,467 unter geistlicher, dagegen 64,894 unter weltlicher Leitung. Die Zahl der Lehrkräfte betrug 153,949, die der Schüler 5,419,032. Hierzu kommen noch 5747 Kleinkinderschulen (écoles maternelles), die von 721,492 Kindern besucht waren. An Bildungsanstalten für das Lehrpersonal bestehen 84 Lehrer- und 82 Lehrerinnenseminare (écoles normales). Die Zahl derer, die weder lesen noch schreiben können, nimmt allmählich ab; sie wurde bei der Volkszählung von 1872 bei den Personen von 6–20 Jahren mit 24 Proz., bei denen über 20 Jahre mit 331/3 Proz. erhoben; bei der Rekrutenaushebung 1899 bildeten diejenigen, die weder lesen noch schreiben konnten, 4,5 Proz. der Gesamtzahl der Ausgehobenen (1889: 9,5,1882: 13,1865: 24 Proz.).

Der mittlere oder Sekundärunterricht, und zwar der Regel nach realistischer und klassischer Unterricht vereint, wird an den Lyzeen (Staatsinstituten mit neun Jahreskursen) und an den Kommunalkollegien (s. Collège), die von den Gemeinden mit Subvention des Staates erhalten werden, erteilt. Daneben gibt es noch freie Lehranstalten. 1901 gab es 111 Lyzeen mit 51,997 und 220 Kommunalkollegien mit 32.569 Schülern, ferner 741 freie Anstalten mit 89,566 Schülern. Auch der Sekundärunterricht für Mädchen, der seit dem Gesetz vom 21. Dez. 1880 datiert und ein Studium von 5 Jahren, davon 3 mit durchaus obligatorischen und 2 mit teilweise fakultativen Kursen, umfaßt, macht Fortschritte. 1900 bestanden 41 Mädchenlyzeen und 30 Kollegien mit zusammen 13,190 Schülerinnen. Zur Heran bildung der Mittelschullehrer besteht eine höhere Normalschule zu Paris, zur Heranbildung der Lehrerinnen eine Anstalt zu Sèvres. Vgl. Mey, Frankreichs Schulen in ihrem organischen Bau und ihrer historischen Entwickelung (2. Aufl., Leipz. 1901); Brüggemann und Groppler, Volks- und Fortbildungsschulwesen Frankreichs im Jahr 1900 (Berl. 1901).

Hochschulen sind in F. die Fakultäten, von denen es fünf Kategorien gibt, nämlich die Fakultäten der Theologie, der Rechte, der Medizin, der mathematischen und Naturwissenschaften (sciences), dann der philosophisch-historisch-philologischen Wissenschaften (lettres), die, sofern sie Staatsanstalten, nicht in Universitäten vereinigt, sondern nur durch einen Generalrat für jeden akademischen Bezirk verbunden sind. Denselben werden auch die höhern pharmazeutischen Schulen und die Vorbereitungsschulen für Medizin und Pharmazie beigezählt. Solcher vom Staat erhaltener Lehranstalten gibt es folgende: 2 Fakultäten für protestantische Theologie (Paris, Montauban); 13 Fakultäten der Rechte (Paris, Aix, Bordeaux, Caen, Dijon, Grenoble, Lille, Lyon, Montpellier, Nancy, Poitiers, Rennes, Toulouse); 7 Fakultäten der Medizin (Paris, Bordeaux, Lille, Lyon, Montpellier, Nancy, Toulouse) nebst 7 höhern Schulen für Pharmazie und 15 Vorbereitungsschulen für Medizin und Pharmazie; 15 Fakultäten für Mathematik und Naturwissenschaften (Paris, Besançon, Bordeaux, Caen, Clermont, Dijon, Grenoble, Lille, Lyon, Marseille, Montpellier, Nancy, Poitiers, Rennes, Toulouse); 15 Fakultäten für philosophisch-historisch-philologische Wissenschaften (Paris, Aix, Besançon, Bordeaux, Caen, Clermont, Dijon, Grenoble, Lille, Lyon, Montpellier, Nancy, Poitiers, Rennes, Toulouse). Diese Hochschulen hatten 1901 eine Frequenz von 29,901 Studierenden (142 Theologen, 10,152 Rechtshörer, 11,974 Mediziner und Pharmazeuten, 3910 Studierende der »sciences« und 3723 Studierende der »lettres«). Außerdem gibt es seit 1875 freie Fakultäten, die sich zu freien Universitäten vereinigen dürfen. Gegenwärtig bestehen die freien katholischen Universitäten zu Paris, Angers, Lille, Lyon, Toulouse. Als höhere Lehranstalten sind auch das Collège de France und die praktische Schule für höhere Studien, dann die vier Anstalten für den höhern technischen Unterricht, nämlich die Ecole polytechnique, École nationale des pouts et chaussées, École centrale des arts et des manufactures und École spéciale d'architecture, sämtlich Staatsinstitute mit dem Sitz in Paris, zu erwähnen.

Fach- und Speziallehranstalten bestehen: für katholische Theologie die Priesterseminare; die Spezialschule für lebende orientalische Sprachen; die École des Chartes (für das Studium von Urkunden), das Conservatoire national des arts et métiers in Paris, 5 Kunst- und Gewerbeschulen, 18 Handels- und Gewerbeschulen, 13 Gewerbeschulen, 14 höhere und zahlreiche mittlere Handelsschulen, 2 Uhrmacherschulen, eine Tabakmanufakturschule, 24 hydrographische Schulen; das agronomische Nationalinstitut in Paris, die forstliche Nationalschule zu Nancy, 5 Agrikulturschulen, eine Gartenbauschule, 42 praktische Schulen für Ackerbau und Milchwirtschaft, 13 niedere Ackerbauschulen, eine Gestütschule und 3 Lehranstalten für Tierheilkunde; die höhere Bergschule in Paris, 3 niedere Bergschulen; 6 Nationalschulen der schönen Künste und eine Nationalschule der dekorativen Künste, ein Nationalkonservatorium für Musik und Deklamation (die beiden letztern in Paris), 18 Musikschulen. Die wichtigste unter allen gelehrten Gesellschaften Frankreichs ist das Institut de France (s. Akademie, S. 217f.). Ferner gibt es in Paris eine Akademie der Arzneiwissenschaft, eine orientalische, 5 geographische und viele andre wissenschaftliche Gesellschaften. Akademien und sonstige wissenschaftliche Gesellschaften finden sich auch in andern größern Städten Frankreichs. Vgl. Delaunay, Les sociétés savantes de France (Par. 1902). Unter den übrigen wissenschaftlichen und artistischen Anstalten verdienen Erwähnung: die Sternwarten zu Paris (2), Lyon, Marseille, Toulouse etc.; das Mineralienkabinett in Paris, die Naturalienkabinette in Lyon, Rouen etc., das große naturhistorische Museum und der Jardin des Plantes zu Paris, die botanischen Gärten in Angoulême, Bordeaux, Clermont, Lyon, Marseille, Montpellier, Nantes, Rouen etc.; das Bureau des Longitudes etc. Entsprechend der in F. herrschenden Zentralisation findet man große Bibliotheken und ansehnliche Kunstsammlungen hauptsächlich in Paris, wo auch die jährlichen Kunstausstellungen (Salon) abgehalten werden. Ebenso haben die Theater und die Presse (s. Zeitungen) ihren Zentralpunkt in Paris. Das Nähere ist deshalb im Artikel »Paris« zu ersehen.

Land- und Forstwirtschaft. Fischerei.

Unter den im allgemeinen rationell verteilten Berufsarten der französischen Bevölkerung nimmt die Landwirtschaft als die Beschäftigungsart des verhältnismäßig größten Teiles der Bewohner (45,7 Proz.) die erste Stelle ein. Der Boden Frankreichs ist im allgemeinen fruchtbar und wohlangebaut. Den reichsten Boden haben das Norddepartement, die Gebiete der Somme und Seine, die Täler der Loire, der Garonne und der Rhone, die Marschländer der Vendée etc. Zu den unfruchtbarsten Strichen gehören: die höhern Gebirgsgegenden der Pyrenäen, Alpen und Cevennen, der Kreideboden der Champagne pouilleuse, die Landes an den Küsten des Vizcayischen Meeres, die Sologne im Depart. Loir-et-Cher, das Rhonedelta mit dem Kieselland La Cran und der Insel Camargue etc. Der produktive Boden Frankreichs beträgt 442,417 qkm oder 83,7 Proz. der Gesamtfläche. Hinsichtlich ihrer landwirtschaftlichen Benutzung zerfällt die produktive Bodenfläche nach der Erhebung von 1892 in 257,714 qkm Ackerland (48,7 Proz. des Areals), 18,005 qkm Weinland, 44,028 qkm Wiesen, 18,106 qkm Weiden, 95,215 qkm Waldungen, 5007 qkm Baumpflanzungen, 3435 qkm Obstgärten, 906 qkm Garten- und Parkanlagen. Der Kaufwert des bebauten Bodens wurde 1882 auf 91,584 Mill. Fr., der Betriebsmittel (Inventarium und Aussaat) auf 6312 Mill., der Bruttoertrag auf 13,460 Mill. Fr. festgestellt. Der Kaufwert zeigt seit 1852 eine Zunahme von 46 Proz. Nach neuern Schätzungen ist jedoch der Wert seit 1882 etwas zurückgegangen.

Von der gesamten Bodenfläche sind im Besitz des Staates 1,011,155 Hektar, in dem der Departements 6513 Hektar; den Gemeinden gehören 4,621,450 Hektar, öffentlichen Anstalten 381,598 Hektar, Privatpersonen 45,025,598 Hektar. Die land- und forstwirtschaftlich benutzte Fläche (ausschließlich der Staatswaldungen) setzte sich 1892 aus 5,702,752 Betrieben zusammen, wovon 2,235,405 eine Fläche bis zu 1 Hektar, 1,829,259 eine solche von 1–5 Hektar, 788,299 von 5–10,429,407 von 10–20,189,664 von 20–30,92,047 von 30–40 und 138,671 Betriebe eine Fläche über 40 Hektar hatten. Auf die über 40 Hektar grosten Betriebe kommen 45 Proz. der ganzen Fläche. Was die Bewirtschaftung des Bodens betrifft, so werden 52,8 Proz. der kultivierten Bodenfläche vom Eigentümer, 36,3 Proz. von Pächtern (fermiers, namentlich in den nördlichen und östlichen Departements) und 10,9 Proz. von Meiern, die den halben Bruttoertrag beziehen (métayers, besonders in Zentralfrankreich), bebaut. Von den in der Landwirtschaft Erwerbstätigen (6,663,135 Personen) waren 54 Proz. Selbständige (33 Proz. Eigentümer, 15,9 Proz. Pächter, 5,1 Proz. Meier) und 46 Proz. Hilfskräfte (0,25 Proz. Angestellte, 18,25 Proz. Tagelöhner, 27,5 Proz. Dienstboten). Da der landwirtschaftliche Betrieb bei den erwähnten Grundbesitzverhältnissen sowie infolge der hohen Besteuerung, der Steigerung der Arbeitslöhne, der relativ bedeutenden Transportspesen, des mangelhaften Kreditwesens, endlich bei den durch die internationale Konkurrenz gedrückten Preisen der landwirtschaftlichen Produkte sich immer weniger gewinnbringend gestaltete, mußte man sich auch in F. zu Agrarzöllen entschließen, und so wurde seit 1885 der Einfuhrzoll auf Getreide und Mehl, Schlachtvieh und Fleisch beträchtlich erhöht. Die Organe der landwirtschaftlichen Verwaltung, die im Ackerbauministerium zentralisiert ist, sind die Generalinspektoren, die das Land zu bereisen und über den Landbau Bericht zu erstatten haben. Die Landesmelioration besorgt das Korps der Zivilingenieure, das dem Generaldirektor der Brücken und Chausseen untergeordnet ist. Jedes Arrondissement hat eine Landwirtschaftskammer, es bestehen Kommissionen für Drainierungen und für Viehzucht, ein Bureau für Lebensmittel, zahlreiche landwirtschaftliche Vereine sowie eine Anzahl landwirtschaftlicher Lehranstalten (s. oben). Die Regierung sucht die Verbreitung guter Viehrassen durch zwei Schäfereien, zu Haut-Tingry (Pas-de-Calais) und zu Rambouillet, und eine große Molkerei (vacherie) zu Corbon (Calvados), in denen jährlich Auktionen von Zuchttieren veranstaltet werden, zu heben. Wirksame Aufmunterungsmittel sind die landwirtschaftlichen und Viehausstellungen. Flachs- und Hausbau sowie Seidenraupenzucht werden durch Prämien unterstützt. Für den landwirtschaftlichen Kredit sorgt namentlich der 1852 gegründete Crédit foncier.

Die wichtigsten Getreidearten, deren Anbaufläche und Erträgnisse im Jahre 1900 sind:

Tabelle

Weizen ist die herrschende Brotfrucht Frankreichs; auf ihn kamen 1900: 42,3 Proz. der gesamten dem Zerealienbau gewidmeten Fläche, er liefert 55 Proz. des Werts der ganzen Getreideernte. Am schwächsten ist der Weizenbau in den Mittelmeer- und Alpendépartements. Roggen wird in größern Mengen hauptsächlich im französischen Zentralplateau angebaut, doch nimmt sowohl der Anbau von Roggen als auch der von Halbfrucht stetig ab. Gerste und Hafer werden am stärksten in den nördlichen und mittlern Landesteilen, Mais nur in den südlichen Departements, Buchweizen in der Bretagne gebaut. Die Einfuhr von Getreide und Malz hatte in den Jahren 1900 und 1901 einen Wert von 127,3, bez. 185,3 Mill. Fr., die Ausfuhr belief sich nur auf 19,1, bez. 13,8 Mill. Fr. Sehr gesteigert hat sich der Anbau von Kartoffeln; während demselben 1857 erst 957,000 Hektar gewidmet waren, betrug diese Fläche 1900: 1,509,898 Hektar mit einem Ertrag von 122,5 Mill. metr. Ztr. Die Produktion an Futterpflanzen umfaßte 1891 (in Millionen metr. Ztr.): Futterrüben 10,3, Klee 35, Luzerne 36,5, Esparsette 22,2, Wiesenheu 138.

Die wichtigsten Industriepflanzen und deren Ertrag sind: Zuckerrüben (1900: 85,861,510 metr. Ztr., namentlich in den nördlichen Departements); Hopfen 36,235 metr. Ztr. (in den Departements Nord, Côte-d'Or, Meurthe-et-Moselle); Tabak 227,598 metr. Ztr. (in 22 Departements, namentlich im Depart. Dordogne); Flachs 194,155 metr. Ztr. (in stets abnehmendem Maße, hauptsächlich in den nördlichen und nordwestlichen Departements angebaut); Hanf 185,125 metr. Ztr. (gleichfalls sehr reduziert, am stärksten in den Departements Maine-et-Loire und Sarthe angebaut); Raps (425,310 metr. Ztr., namentlich in Niederseine und Calvados). Doch müssen noch bedeutende Quantitäten von Industriepflanzen, insbes. von Hopfen (1901: 22,291 metr. Ztr., aus Deutschland und Belgien), Flachs (643,016 metr. Ztr.) und Hanf (254,846 metr. Ztr.), eingeführt werden. Von Handelsgewächsen baut man: Zichorien, Koriander, Senf (Dijon), spanischen Pfeffer, Meerfenchel, Kardendisteln, Sodapflanzen, Kardamome, Trüffeln (in den Departements Dordogne [Périgueuxtrüffeln], Corrèze, Lot, Aveyron), Champignons (in den mittlern und südlichen Departements). Gartenbau und Obstzucht wird in F. sehr rationell betrieben. Die französischen Tafelobstsorten gehören zu den feinsten; namentlich sind Pfirsiche und Pflaumen sehr gesucht. Die Ernte der letztern, die vorzüglich an der Garonne gedeihen, betrug 1900: 1,289,113 metr. Ztr. Im S. und SO., an den Abhängen der Cevennen und Pyrenäen sowie auf Korsika, wird die Edelkastanie gepflegt, die einen Ertrag von 3,948,042 metr. Ztr. ergab. Walnüsse gedeihen namentlich in den südlichen Departements und lieferten 725,297 metr. Ztr. Am meisten werden jedoch Äpfel zur Erzeugung von Zider, besonders in der Normandie, kultiviert; der Ertrag schwankt zwischen 31,6 Mill. hl Zider (1893) und 6,8 Mill hl (1897); 1901 betrug er 12,7 Mill. hl. In der Provence wurde zur Erzeugung von Aixer und Provencer Öl eine Ernte von (1900) 1,085,792 metr. Ztr. Oliven erzielt. Im mittlern und untern Rhonetal, im Lande der Seidenraupenzucht, trifft man den Maulbeerbaum an, der 1900: 2,132,704 metr. Ztr. Maulbeerblätter lieferte. An der Meeresküste bei Nizza und Marseille gedeihen endlich Südfrüchte, namentlich Orangen und Zitronen, woran die Fechsung zusammen ca. 120,000 metr. Ztr. beträgt. Tafelfrüchte bilden in F. einen wichtigen Ausfuhrartikel und wurden 1901 im Werte von 28,6 Mill. Fr. ausgeführt.

Weinbau. F. nimmt unter den weinbautreiben den Ländern die erste Stelle ein. Nur zehn Departements (in der Normandie, Bretagne und im N.) sind ganz ohne Weinbau. Das Zentrum und der Süden von F. sind die Hauptsitze des Weinbaues, der 1900: 1,609,353 Hektar Anbaufläche in Anspruch nahm und einen Ertrag von 68,514,906 hl im Werte von 1231 Mill. Fr. lieferte. Die weinreichsten Departements sind: Hérault, Aude, Gironde, Gard und Ostpyrenäen. Zu den feinsten Sorten gehören die von Oberburgund und Côte d'Or, von Médoc und Grave im Bordelais, von der Côte Rôtie an der Rhone, von der Champagne etc.; zu den gewöhnlichen die von Mâconnais und Beaujolais, Untermédoc, Unterburgund, der Franche-Comté, Languedoc, Roussillon etc. (näheres s. die Art. »Bordeauxweine, Burgunderweine« etc.). Die Statistik des Weinbaues reicht bis 1788 zurück, wo die mit Reben bepflanzte Fläche 15,677 qkm betrug. Infolge der Ausbreitung des Oidiums unterlag der Weinbau in den Jahren 1850–60 bedeutenden Schwankungen (1854 nur 10,8 Mill. hl Ertrag), bis von 1861 an wieder eine sich fortwährend steigernde Zunahme eintrat, die 1869 ihren Höhepunkt mit 26,432 qkm Anbaufläche und 70 Mill. hl Ertrag erreichte. Noch höher war der Ertrag 1875 (78,2 Mill. hl), aber seitdem hat die Ausbreitung der Phylloxera dem Weinbau großen Schaden zugefügt, und der Ertrag sank fortwährend (1889: 24 Mill. hl). Erst nachdem die Wurzelstöcke der Weinreben durch amerikanische ersetzt sind, ist der Ertrag wieder gestiegen. Die in den 1880er Jahren bedeutende Kunstweinfabrikation hat sich infolge hoher Besteuerung dieser Art von Weinbereitung stark vermindert (1899: 906,368 hl gegen 6,2 Mill. in 1890). Die Weinausfuhr hatte 1901 einen Wert von 228 Mill. Fr. (gegenüber einer Einfuhr im Werte von 84,8 Mill. Fr.). Vgl. Mayet, Le vin de France (Par. 1894); Berget, Les vins de France. Histoire, géographie et statistique (das. 1900).

[Viehzucht.] Das Grasland besteht in F. zu 2/3 aus natürlichen Wiesen und Weiden und zu 1/3 aus künstlichen Wiesen (mit Klee- u. Luzernebepflanzung). Am reichsten an natürlichen Wiesen sind die Normandie, die untern Bergpartien der Auvergne und Lothringens; künstliche finden sich besonders in Flandern und der Picardie. Die Anger (pâtures und pâtis), die Heiden und Steppen, die als Viehweide dienen (1/8 des Bodens), gehören ganz den bergigen Gegenden des Südens an. Im ganzen steht das Wiesland in einem Mißverhältnis zum Kulturland, da auf 4 Hektar von letzterm nur 1 Hektar Wiese kommt. Damit hängt es zusammen, daß die Viehzucht im allgemeinen nicht dem Bedürfnis entspricht und viel Schlachtvieh aus dem Ausland bezogen werden muß. Ende 1900 betrug der Viehstand Frankreichs:

Tabelle

Die Pferdezucht wird vorzüglich im N. und NW. Frankreichs betrieben. Die geschätztesten Rassen sind die normannischen (Reit- und Wagenpferde), die der Perche, Bretagne und der Ardennen (Zugpferde), die des Limousin, von Flandern und Burgund. Für die ausdauerndsten Pferde gelten die von Morbihan und Calvados. Zur Hebung der Pferdezucht bestehen 21 Stutereien. Hauptplätze für den Pferdehandel sind Fécamp und Fauville-en-Caux. 1901 wurden 17,420 Pferde nach F. ein- und 23,290 ausgeführt. Die Maultier- und Eselzucht wird besonders in den südlichen Gebirgsdepartements betrieben, doch nimmt die Zahl dieser Tiere ab. Die Rindviehzucht wird am besten in den grasreichen Gegenden im NW., im Jura, in den Vogesen und in Zentralfrankreich, am schwächsten in den südlichen Departements betrieben. 1901 wurden 36,461 Rinder ein-, dagegen 34,279 ausgeführt. 1900 wurde der Milchertrag auf 84,4 Mill. hl berechnet. An Butter werden große Mengen ausgeführt (1901 für 58,5 Mill. Fr., hauptsächlich nach England), desgleichen an Käse (für 13,2 Mill. Fr., meist nach Belgien und Deutschland). Die Schafzucht ist besonders in den östlichen Pyrenäen, dem Zentralplateau, den Ebenen von Berry, Orléanais, der Champagne und der östlichen Picardie stark vertreten, allerdings auch in Abnahme begriffen. Verfeinerten Rassen gehören nur etwa 12 Proz. der Gesamtzahl an. Die Schafwollproduktion betrug 1900: 57,7 Mill. kg. Sowohl an Schafen (namentlich an Hämmeln) als an Wolle findet jährlich eine bedeutende Einfuhr statt; dieselbe belief sich 1901 auf 1,316,522 Stück (hauptsächlich aus Algerien) und 248,3 Mill. kg. Die Schweinezucht ist ziemlich gleichmäßig über das französische Gebiet verbreitet; den größten Stand weisen die Departements des südlichen Zentralfrankreich auf. Wurst- und Speckbereitung sind in den Departements der Niederpyrenäen, Meurthe-et-Moselle, Maas, Aube und Marne wichtig. Die Ausfuhr von Schweinen (1901: 32,874 Stück) überwiegt (Einfuhr 8178 Stück). Die Ziegenzucht ist hauptsächlich auf die gebirgigen Departements des Rhonebeckens und Korsikas beschränkt. Von Bedeutung ist die Geflügelzucht. Gute Hühnerrassen sind die von Caux, Crèvecoeur, die Kotschinchina- und Brahmaputrahühner, die, mit den gewöhnlichen Rassen gekreuzt, diese bedeutend veredelt haben. Es werden jährlich bedeutende Mengen an Eiern (meist nach England) ausgeführt (1901: 11,9 Mill. kg im Werte von 14,4 Mill. Fr.).

Die Bienenzucht bildet in manchen Gegenden, namentlich in der Bretagne, eine nicht unerhebliche Erwerbsquelle der Landwirtschaft. Es gibt etwa 1,8 Mill. Bienenkörbe, die 1900 eine Produktion von 8,6 Mill. kg Honig und 2,3 Mill. kg Wachs lieferten. Die Seidenraupenzucht wird besonders in den Departements Gard, Ardèche, Drôme und Vaucluse betrieben; der Gesamtertrag an Kokons betrug 1900: 9,180,404 kg. Nicht zu vergessen ist endlich die Zucht von Kaninchen (lapins), von denen die Stadt Paris allein jährlich für mehrere Millionen Frank konsumiert. Vgl. Settegast, Die Viehzucht Frankreichs (Berl. 1879).

[Fischerei.] Von großer Bedeutung ist die Seefischerei, die sowohl an den französischen Küsten als auch an den Küsten von Island, Neufundland und auf der Doggerbank in der Nordsee betrieben wird. 1900 waren dabei 82,444 Personen mit 25,359 Fahrzeugen von 158,471 Ton. beschäftigt. Der große Fischfang umfaßt den Stockfischfang, der, hauptsächlich an der Küste von Neufundland, 1900 von 491 Schiffen mit einem Gehalt von 46,637 T. und einer Bemannung von 10,308 Köpfen betrieben wurde. Der Ertrag belief sich auf 32,7 Mill. kg, wovon (einschließlich Klippfisch) 26,3 Mill. kg ausgeführt wurden. Die Haupthäfen hierfür sind Bordeaux und Dünkirchen. Ferner ist zu erwähnen der Heringsfang, der 1900: 49,7 Mill. kg ergab. Die Haupthäfen sind Boulogne und Fécamp. Der Ertrag der Küstenfischerei war 11,8 Mill. kg Stockfisch, 24,1 Mill. kg Hering, 5,6 Mill. kg Makrelen, 40,2 Mill. kg Sardinen, 57,5 Mill. kg andre Fische, ferner 54,8 Mill. Stück Austern, 73,597 hl Muscheln, 1,7 Mill. Stück Hummern, 0,7 Mill. kg andre Krustazeen etc. Die Fischereiprodukte hatten einen Gesamtwert von 99,9 Mill. Fr. Die Haupthäfen für die Küstenfischerei sind Boulogne, Fécamp, Le Croisic, Dünkirchen, Granville, St.-Malo. Weiteres über die Organisation der Seefischerei in F. s. im Artikel »Fischerei«, S. 617. – Neben dem Fischfang ist auch die künstliche Fischzucht an einzelnen Punkten der Seeküste, insbes. zu Arcachon, auf der Insel Oléron, zu Marennes und Concarneau, von Bedeutung. Große Ausdehnung hat auch die künstliche Austernzucht gewonnen; der Jahresertrag derselben beläuft sich auf mehr als 1097 Mill. Stück im Werte von 18,1 Mill. Fr. und verteilt sich insbes. auf das Becken von Arcachon, die Insel Oléron, Marennes, Cancale und Auray. Die Flußfischerei ergibt namentlich Forellen in den Gebirgswässern der Alpen, Pyrenäen und Cevennen, Hechte und Barben insbes. in der Rhone, dann Aale, Barsche, Karpfen und Weißfische.

[Forstwirtschaft.] F. hat im allgemeinen wenig Holzbestände, wozu die Zerstückelung der großen adligen Güter während der Revolution und die Verwüstung zahlreicher Waldungen beigetragen hat. Gegenwärtig besitzt F. 95,215 qkm (17,7 Proz. des Gesamtareals) Wald, hiervon befinden sich im Staatsbesitz (1901) 11,524, im Besitz von Gemeinden und öffentlichen Anstalten 19,377 und im Privatbesitz 64,300 qkm. Die waldreichsten Departements sind Landes, Gironde, Var, Côte-d'Or, Korsika, Vogesen, Nièvre, Obermarne. Gegenwärtig sucht man der Entblößung der Abhänge und Höhen der Berge, der namentlich in den Gebieten der Loire und Garonne die furchtbaren Überschwemmungen zuzuschreiben sind, durch Wiederbewaldung entgegenzutreten. F. muß einen großen Teil seines Holzbedarfs, insbes. Bauholz, für mehr als 150 (1900: 177) Mill. Fr. jährlich vom Ausland beziehen. Abgesehen von den gewöhnlichen Waldbäumen sind zu erwähnen die im SW. zur Befestigung der Dünen angepflanzten Seestrandskiefern, die bedeutenden Teerertrag liefern, die Korkeiche, gleichfalls im SW., und die Edelkastanie in Zentralfrankreich. Die Jagd hat, seitdem in der Revolutionszeit die Jagdgerechtigkeiten aufgehoben und an die Gemeinden übertragen wurden, an Bedeutung sehr verloren. Außer den bereits oben (S. 856) erwähnten Kaninchen gibt es viele Hafen und Rebhühner, dagegen wenig Hirsche, Rehe und Damwild. Zur Zeit der Wanderung werden Wachteln, Schnepfen, Bekassinen, ferner Wildenten und andres Federwild erlegt. Wildschweine halten sich in den Bergwäldern, namentlich der Ardennen, auf. Von wilden Tieren finden sich nur noch vereinzelte Bären in den Alpen und Pyrenäen, Luchse und Murmeltiere in den Alpen, Wölfe und Füchse in den Waldgegenden. Seitdem durch das Gesetz von 1882 auf die Erlegung von Wölfen Prämien ausgesetzt worden sind, verschwinden diese immer mehr. Vgl. v. Seckendorff, Die forstlichen Verhältnisse Frankreichs (Leipz. 1879).

Bergbau und Hüttenwesen.

F. zählte 1900 im ganzen 1452 Bergwerke mit einer Schurffläche von 1,173,250 Hektar, wovon aber nur 511 im Betriebe standen. Dieselben beschäftigten 180,976 Arbeiter und verwendeten 3178 Dampfmaschinen von 2,497,929 Pferdekräften. Die Gesamtproduktion belief sich auf 40,658,079 Ton. im Werte von 550 Mill. Fr. Das wichtigste metallische Produkt ist Eisen. 1900 wurden 5,447,694 Ton. Eisenerz (Braun- und Roteisenstein, Bohnerz etc.) im Werte von 20,6 Mill. Fr. gefördert; den Hauptanteil (gegen 83 Proz.) lieferte das Depart. Meurthe-et-Moselle, geringere Quantitäten trugen die Departements Ardèche, Calvados, Cher, Ostpyrenäen, Gard, Obermarne etc. bei. Diese Produktion reicht jedoch für den Bedarf des Landes nicht aus, weshalb bedeutende Quantitäten aus dem Ausland bezogen werden müssen. Eisenhüttenwerke gab es 1900: 239 mit 124 Hochöfen. Trotz der geringen Vermehrung der Hochöfen hat die Produktion an Roheisen bedeutend zugenommen; sie betrug 1888: 1,683,350 T., 1893: 2,033,000 und 1900: 2,714,298 T. Die weitere Verarbeitung des Roheisens erfolgt in 463 Puddelöfen und 724 andern Feuern, die Stahlproduktion in 141 Martin- und Bessemerösen etc. 1900 betrug die Produktion an raffiniertem Eisen 708,274 T., an Stahl 1,226,537 T. Die Hauptsitze des Eisenhüttenbetriebes finden sich in den Departements Meurthe-et Moselle, Nord, Saone-et-Loire, Obermarne, Ardennen, Loire etc. Die Einfuhr von Eisen und Stahl hatte 1901 einen Wert von 14,7 (1900: 29), die Ausfuhr einen solchen von 26,2 Mill. Fr. Die Gewinnung andrer Metalle ist in F. von geringer Bedeutung. Hüttenwerke bestehen in den Departements Nord, Niederloire, Pas-de-Calais etc. Dieselben produzierten 1901: 14,067 kg Silber, 19,000 T. Blei, 6500 T. Kupfer, 22,000 T. Zink, 1650 T. Nickel, 1500 T. Aluminium. Sowohl Erze als Metalle müssen in bedeutenden Mengen eingeführt werden; 1901 belief sich die Einfuhr von Kupfer auf 77,2, Blei 23,8, Zinn 23,4, Zink 14,2 Mill. Fr.

An Mineralkohlen ist F. reich; auch sind die Reviere entsprechend über das Land verteilt. Die Hauptreviere sind: 1) das von Valenciennes in den Departements Nord und Pas-de-Calais; 2) das des zentralen Plateaus, wo Steinkohle in mehreren kleinern Becken auftritt, namentlich von St.-Etienne, Creusot, Aubin, Commentry; 3) das von Alais am Südostrande des Hochlandes. Die Produktion betrug 1900: 32,721,562 T. Steinkohle und Anthrazit (davon 14,594,575 T. im Becken von Valenciennes) und 682,736 T. Braunkohle (hauptsächlich im Becken von Fuveau im Depart. Rhonemündungen), beide zusammen im Wert von 499 Mill. Fr. Trotzdem bedarf die französische Industrie noch bedeutender Kohlenzufuhren aus dem Ausland; 1901 wurden 12,496,059 T. Kohle (davon 7,063,437 T. aus England, 4,591,664 aus Belgien und 781,965 T. aus Deutschland), dann 1,429,564 T. Koks (davon 782,976 T. aus Deutschland und 600,678 T. aus Belgien) eingeführt. Die Ausbeutung der Torfmoore ist sehr zurückgegangen; während sie 1860 ca. 640,000 T. Torf ergab, betrug die Produktion 1900 nur 95,630 T. im Werte von 1,4 Mill. Fr. Der Hauptanteil kam auf die Departements Isère und Somme. An Steinen und Erden ist F. sehr reich. Es besitzt wertvolle, zu Baumaterialien trefflich geeignete Granite, Syenite (auf Korsika, in der Provence, den Alpen und Pyrenäen), Porphyr und Basalt, Marmor (in den Alpen und Pyrenäen), Kalk- und Sandsteine, Schiefer im Ardennengebiet. Die Laven der Auvergne liefern gute Pflastersteine. Lithographische Steine kommen aus den Gegenden von Belley, Dijon und Châteauroux. Den besten Ziegelton haben die Champagne, Bourgogne und Isle-de-France; Porzellanerde findet sich bei Limoges und St.-Yrieix; Fayenceerde bei Beauvais und Montereau; Gips besonders in der Umgegend von Paris; treffliche Mühlsteine namentlich bei Fertésous-Jouarre. Phosphatlager werden zu Zwecken der Bodenmelioration, namentlich am Südabhang des Zentralplateaus und in den nördlichen Departements, ausgebeutet. Salz wird in F. aus Salzseen oder-Teichen an der Meeresküste, aus Salzbergwerken (in den Departements Meurthe-et-Moselle, Obersaône, Jura, Doubs) und aus Salzquellen (in den Pyrenäen) gewonnen. Der Ertrag belief sich 1900 auf 1,088,634'7., davon 604,097 T. Stein- und 484,537 T. See- und Siedesalz, zusammen im Werte von 12,1 Mill. Fr.; er übersteigt den Bedarf, so daß jährlich eine Mehrausfuhr von 130,000 metr. Ton. stattfinden kann. Mineralquellen sind in F. überaus zahlreich vorhanden. 1891 betrug die Zahl der benutzten Mineralquellen 1257, die der Etablissements 251; die letztern wurden von 290,000 Kranken besucht. Die Versendung von Mineralwasser umfaßte 55 Mill. Flaschen. Vgl. Jacquet und Willm, Les eaux minerales de la France (1894) und das oben (S. 848) unter »Geologie« über die Kohlengebiete und den Mineralreichtum Frankreichs Gesagte.

Industrie.

Die französische Industrie ist schon im 17. und 18. Jahrh. blühend gewesen und dankt ihren ersten Aufschwung, ebenso wie der Handel, den Bemühungen Colberts. Dieser Aufschwung wurde jedoch durch die Kriege mit England und die Zurücknahme des Edikts von Nantes, infolge welcher Maßregel sich eine Menge geschickter Arbeiter nach den Niederlanden, Deutschland und England wandte, wieder gestört. Erst im 19. Jahrh. machte die französische Industrie wieder außerordentliche Fortschritte. Das sprechendste Zeugnis für ihren Aufschwung ist die Vermehrung der in derselben verwendeten Dampfkraft. Während die Zahl der Dampfmaschinen (ohne die Eisenbahnlokomotiven und Schiffsmaschinen) 1840 erst 2591 (mit 34,350 Pferdekräften) betrug, hat sich dieselbe 1870 auf 26,146 (mit 320,447 Pferdekräften) und 1900 auf 74,636 Maschinen (mit 1,791,354 Pferdekräften) gehoben, die sich auf 57,306 Unternehmungen verteilten. Mit Einschluß des Eisenbahnwesens und der Dampfschiffahrt erhöht sich die Zahl der Dampfmaschinen auf 97,200 mit 8,510,016 Pferdekräften. Der Gesamtwert der industriellen Produktion wurde 1889 auf 12 Milliarden Fr. geschätzt, wovon 5030 Mill. auf die Textil- und Bekleidungsindustrie, 3015 auf die Nahrungsmittelindustrie, 1890 auf Baugewerbe und öffentliche Arbeiten, 890 auf die chemische und 886 Mill. auf die metallurgische Industrie entfallen. 1891 waren in Industrie und Gewerbe 4,198,932 Personen (2,793,545 männliche und 1,405,387 weibliche) tätig. Die Zahl der Arbeitseinstellungen betrug 1900: 902, woran 222,714 Arbeiter teilnahmen. Was die Gewerbeverfassung betrifft, so wurde 1791 die Gewerbefreiheit in F. eingeführt und das Zunftwesen aufgehoben. Bedingung der Ausübung eines Gewerbes ist die jährliche Lösung eines Gewerbepatents. Die Staatsgewalt übt einen Einfluß auf die Industrie insofern aus, als das Verhältnis der Gewerbtreibenden zu den Hilfsarbeitern, die Beschäftigung der Arbeiter, insbes. der Frauen und der jugendlichen Arbeiter in den Fabriken, die Anlage der letztern und der Betrieb der gefährlichen und gesundheitsschädlichen Industrien geregelt sind. Förderungsmittel sind: die Gewerbekammern (chambres consultatives des arts et manufactures), im ganzen 48; die Gesellschaft zur Aufmunterung der nationalen Industrie zu Paris; das Konservatorium der Künste und Gewerbe daselbst. Die Zentralverwaltung liegt im Handelsministerium, dem der Conseil supérieur du commerce et de l'industrie zur Seite steht. Auch ist im Handelsministerium ein Arbeitsrat (Conseil supérieur du travail) und ein statistisches Arbeitsamt (Office du travail) eingerichtet. Mit der Arbeitsvermittelung befassen sich die Arbeitsbörsen in Paris und mehreren Industriezentren. Zur Austragung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis bestehen die Conseils de prudhommes (124). Auch gab es in der Industrie 1900: 5831 Syndikate (Fachvereine von Arbeitgebern und Arbeitern einzelner Industriezweige) mit 787,906 Mitgliedern; 1900 wurden 12,400 Erfindungsprivilegien erteilt und 9125 Fabrik- und Handelsmarken eingetragen.

Was die einzelnen Zweige der Industrie und ihre Vertretung in F. anbelangt, so sind auf dem Gebiete der Metallverarbeitung die großen Stahl- und Schienenwerke, die Blech- und Drahtwerke und Eisengießereien hervorzuheben, die insbes. in den Departements Meurthe-et-Moselle, Nord, Saone-et-Loire, Loire ihren Sitz haben. Die Eisenwarenindustrie liefert Messerschmiedewaren (Nogent, Langres, Thiers, Châtellerault, dann Paris für feinste Waren), Feilen (Paris, Arnay-le-Duc, Portillon), Nadeln (Vaise bei Lyon, Pont-a-Mousson, Aigle), Stahlschreibfedern (Boulogne), Blechwaren (Audincourt, Beaucourt), Lampen (rühmlichst bekannte Ausfuhrindustrie zu Paris), Schlosserwaren (Beaucourt), feuerfeste Schränke (Paris) u. a. In Gold-, Silber- und Juwelenarbeiten, echten und unechten Bijouterieartikeln und Bronzewaren beherrscht Paris den Weltmarkt. 1901 belief sich die Ausfuhr von Gold-, Silber- und Juwelenarbeiten auf 38,6 Mill. Fr. Die Hauptsitze der Maschinenindustrie sind Paris, Lille, St.-Etienne, Lyon, Rouen etc.; dieselbe ergab 1901 eine Ausfuhr im Werte von 56 Mill. Fr. Die Industrie in Transportmitteln liefert insbes. Automobile (1901 Ausfuhr für 15,8 Mill. Fr.), Wagen von leichter, gefälliger Bauart (auch zur Ausfuhr), Fahrräder und Motorfahrräder. Wissenschaftliche und chirurgische Instrumente werden in vorzüglicher Qualität zu Paris, Marseille, Rouen etc. hergestellt und bilden gleichfalls Ausfuhrartikel (1901: 6,2 Mill. Fr.). In der Erzeugung musikalischer Instrumente steht F. in erster Linie; Klaviere liefern Paris und Marseille, Blasinstrumente Paris und Lyon, Geigen Paris, Lille und Mirecourt (Ausfuhr 1901: 12,5 Mill. Fr.). Weltberühmt ist auch die Uhrenfabrikation von Paris (namentlich Pendeluhren), Besançon (vornehmlich Taschenuhren) u. a. O.; Produktion und Ausfuhr haben neuerdings zugenommen (letztere betrug 1901: 21,6 Mill. Fr.).

In der Ton- und Glaswarenindustrie leistet F. Ausgezeichnetes; es steht obenan in der Erzeugung dekorierten Porzellans (Nationalmanufaktur zu Sèvres, Privatetablissements namentlich in Paris, Obervienne, Loiret, Cher, Gironde), produziert viel Steingut, Fayence und Majolikawaren (zu Paris, Beauvais, Choisy-le-Roi, Gien etc.) und liefert in seinen Glasfabriken (namentlich in den Departements Seine, Nord, Meurthe-et-Moselle) Flaschen, Fensterglas, Hohlglas, farbige Glastafeln, Gußspiegel (St.-Gobain und die davon abhängigen Etablissements) und Glasbijouterien (insbes. künstliche Edelsteine und Perlen). Es bestehen ca. 500 Etablissements für Ton und Porzellan mit 26,000 Arbeitern und einem Produktionswert von 80 Mill. Fr., dann 165 Glasfabriken mit 25,000 Arbeitern und 90 Mill. Fr. Produktionswerk. Ausgeführt wurden 1901 Tonwaren, Porzellan- und Glaswaren für 73,5 Mill. Fr. Auf hohem Standpunkt befindet sich weiter die Möbelindustrie, besouders in Paris und Bordeaux, ferner die gleichfalls in Paris konzentrierte Erzeugung von Drechsler- und Schnitzwaren, darunter von Fächern, Kämmen und andern dergleichen Artikeln von geschmackvoller, zierlicher Form, die Erzeugung von Kinderspielwaren (in Drechsler- und Spielwaren belief sich 1901 die Ausfuhr auf 183,4 Mill. Fr.), die Verfertigung von Flechtwaren, namentlich Korbgeflechten (zu Paris, Grenoble, Lyon und Vervins), von Kautschuk- und Guttaperchawaren, insbes. Gummischuhen (zu Paris, Rouen und Langlée). In den Artikeln der Lederindustrie, namentlich Ziegen- und Handschuhleder (Annonay, Chambéry und Paris), farbigem und lackiertem Leder (Paris, St.-Denis, Lyon, Pont Audemer), in seinem Oberleder, dann in den verschiedenen Lederwaren ist F. für den Welthandel tonangebend und hat unter allen europäischen Staaten die größte Ausfuhr (1901 in Leder, Handschuhen, für deren Herstellung Paris und Grenoble die Hauptsitze sind, Schuh- und andern Lederwaren für 188 Mill. Fr.).

Von der höchsten Bedeutung unter den französischen Fabrikationszweigen ist die Textilindustrie. Von ihren einzelnen Zweigen ist vor allem die Seidenindustrie hervorzuheben, in der F. unübertroffen dasteht. Die Erzeugung von roher Seide (jährlich im Durchschnitt 470,000 kg) genügt bei weitem nicht dem Bedarf und erfordert daher eine Ergänzung durch Einfuhr (1901: 6,97 Mill. kg Rohseide und 8,2 Mill. kg Abfälle). Für die Seidenspinnerei und-Weberei bestanden 1896: 1679 Etablissements mit 1,774,551 Spindeln, 65,000 mechanischen und 70,000 Handstühlen. Der Hauptsitz der Erzeugung von Seidenwaren ist Lyon (jährlicher Produktionswert ca. 500 Mill. Fr.), für Bänder St.-Etienne. Der Wert der Ausfuhr von Seidengeweben belief sich 1901 auf 266,9 Mill. Fr. (Einfuhr 71,3 Fr.). Die Schafwollmanufaktur ist seit langer Zeit einer der wichtigsten Industriezweige. Die einheimische Wollproduktion (57,7 Mill. kg) reicht bei weitem nicht zur Deckung des Bedarfs aus, der noch bedeutende Zufuhren (1901: 248,2 Mill. kg, meist aus Argentinien und Australien) erfordert. Die Zahl der Spindeln betrug 1896: 3,173,372. Hauptzentren der Spinnerei sind die nördlichen Departements (Nord, Marne, Ardennes, Aisne, Somme, Niederseine und Eure). Bei der Schafwollweberei sind etwa 50,000 Kraft- und 30,000 Handstühle im Betrieb. In Tuch und sonstigen Streichgarngeweben haben Sedan, Elbeuf und Louviers einen Weltruf; die Kammgarnweberei und Weberei in gemischten Stoffen (Damenkleider u. dgl.) wird am schwunghaftesten in Roubaix, Tourcoing, Cateau, Lille, Reims und Rouen, die Verfertigung von Schals in Paris, Lyon und Nimes, die Fabrikation von Teppichen in Paris, Beauvais und Aubusson, die Erzeugung von Borten, Tressen u. dgl. im Depart. Loire betrieben. Die Ausfuhr in Schafwollgeweben hatte 1901 einen Wert von 213,6 Mill. Fr. Die Baumwollindustrie hat, seit sie 1773 zuerst in Amiens eingeführt wurde, großartige Ausdehnung angenommen. Sie zählte 1896: 4,024,811 Spindeln, die insbes. in den Departements Nord, Niederseine, Vogesen und Eure konzentriert sind. Der Baumwollbezug belief sich 1901 auf 212,7 Mill. kg, großenteils von Nordamerika, dann von Ostindien und Ägypten. Bei der Baumwollweberei, die gleichfalls in Niederseine (Rouen), dann in den Vogesen (Senones), Meurthe-et-Moselle, Aisne (St.-Quentin) etc. ihre Hauptsitze hat, sind (1895) 86,491 mechanische und 21,811 Handstühle im Gang. Die Ausfuhr von Baumwollgeweben belief sich 1901 auf 176,3, die Einfuhr auf 46,2 Mill. Fr. Einer der ältesten Zweige der gewerblichen Tätigkeit ist die Leinenindustrie, an die sich die verwandte Hanf- und Jutemanufaktur angeschlossen hat. Bei der Spinnerei sind (1896) 473,592 Spindeln, vorwiegend im Depart. Nord, bei der Weberei ca. 20,000 Kraft- und 25,000 Handstühle, für Leinwand vornehmlich im Depart. Nord (Lille, Cambrai, Valenciennes etc.), für Hanfgewebe in Angers und Dünkirchen, für Jutegewebe gleichfalls im nördlichen F. tätig. Die mit der Erzeugung von Garnen und Geweben in Verbindung stehende Färberei und Druckerei ist ebenfalls sehr entwickelt. Die Hauptsitze für die Stoffdruckerei sind die Normandie, die Vogesentäler und Paris, für die Seidenfärberei Lyon, für die Baumwoll- und Schafwollfärberei Paris, Rouen, Roubaix, Reims etc. Noch sind als Zweige der Textilindustrie zu erwähnen: die Spitzenerzeugung, die in den Departements Orne (Alençon), Calvados (Bayeux und Caen), Nord (Bailleul, Lille, Valenciennes), Oise (Chantilly), Vogesen (Mirecourt) etc. zahlreiche Arbeitskräfte beschäftigt und einen Weltruf besitzt; die Tüllfabrikation (Calais und Caudry), die Weiß- und Buntstickerei (Paris und Lyon); die Wirkwarenerzeugung, insbes. in Seide. Tonangebend ist F. auch in der Erzeugung von Kleidungsstücken, Wäsche, Putzartikeln, künstlichen Blumen und Schmuckfedern, mit welchen Artikeln Paris, man kann sagen, die ganze Welt versorgt (Ausfuhr 1901 in Kleidern 102,6, in Wäschewaren 20,5, in Modewaren und künstlichen Blumen 130, in Schmuckfedern 25,3 Mill. Fr.). Auch die Erzeugung von Hüten aus Seide, Filz und andern Stoffen ist von großer Bedeutung.

Ein wichtiger Industriezweig ist ferner die Papierfabrikation; es bestehen in F. ca. 500 Papierfabriken mit 30,000 Arbeitern und einem Produktionswert von 120 Mill. Fr. Hierher gehört auch die Erzeugung von Buntpapier (Paris), Tapeten (Paris, Lyon, Marseille), Spielkarten, Buchbinder-, Kartonnagen- und Papiermaché-Artikeln. Von den Zweigen der Nahrungs- und Genußmittelindustrie ist vor allem die Zuckerfabrikation zu erwähnen. 1900/1901 standen 334 Rübenzuckerfabriken (hauptsächlich in den Departements Aisne, Nord, Somme, Pas-de-Calais und Oise) mit 48,000 Arbeitern und einer Produktion von 1,040,294 Ton. raffinierten Zuckers im Betrieb. Andre hierher gehörige, in F. in hervorragendem Maße vertretene Produktionszweige sind die Schokoladebereitung, die Erzeugung von Konditorwaren (Paris), konservierten und kandierten Früchten, getrockneten und komprimierten Gemüsen. Eine spezifisch französische Industrie ist die Schaumweinerzeugung, die in den Departements der ehemaligen Land schaft Champagne ihre Heimat hat. Neben der Weinkultur beginnt die Bierbrauerei in F., namentlich in den nördlichen Departements, Verbreitung zu sin den. 1901 betrug die Produktion 9,6 Mill. hl. Dabei findet allerdings auch eine bedeutende Biereinfuhr statt; dieselbe belief sich 1901 auf 187,641 metr. Ztr., wovon 155,316 aus Deutschland kamen. Branntwein wird namentlich aus Rüben und Melasse, aus Kartoffeln und andern mehligen Substanzen, dann aus Wein in bedeutender Menge bereitet. 1900 bestanden 8623 Brennereien, die 2,451,905 h I (1850 erst 940,000) lieferten. Tatsächlich konzentriert sich die gewerbliche Brennerei auf 250 Etablissements. Dazu gelangten aus dem Ausland in den freien Verkehr 1901: 98,502 hl Branntwein, wogegen 325,888 hl ausgeführt wurden. Die Tabakfabrikation wird als Staatsmonopol in 21 großen Manufakturen betrieben. Der Tabakkonsum umfaßte 1900: 38,1 Mill. kg und lieferte dem Staat einen Reinertrag von 412 Mill. Fr. Die chemische Industrie unterhält groß eingerichtete Etablissements, namentlich für Säuren und Soda, in Paris und Umgebung, Lyon, im Norddepartement etc. Die Parfümerieindustrie ist in Paris konzentriert und genießt weitverbreiteten Ruf (Ausfuhrwert 1901: 14,1 Mill. Fr.). Sehr bedeutend ist auch die Harzproduktion in der Gegend von Bordeaux und im Depart. Landes, die Seifenfabrikation (namentlich in Marseille, in Paris und den nördlichen Departements), die Kerzenerzeugung und die Zündhölzerfabrikation, die dem Staatsmonopol unterworfen und an eine Gesellschaft verpachtet ist. Endlich ist noch die Darstellung von Farben sowie die Erzeugung von Firnissen und Lacken (Paris) und Bleistiften (Givet) hervorzuheben.

Handel.

Der Aufschwung des französischen Handels datiert aus der Zeit Colberts. Später brachten die vielen Kriege bedeutende Störungen, und erst im 19. Jahrh. entwickelte sich der äußere Handel, durch Handels- und Schiffahrtsverträge mit andern Staaten begünstigt, in stetiger Weise. 1881 wurde ein autonomer Zolltarif, der einen weitern Fortschritt in dem seit 1860 begründeten System des mäßigen Schutzzolles bedeutete, eingeführt und auf Grund desselben eine Reihe neuer Handelsverträge für ein Dezennium abgeschlossen. Nach Ablauf dieser Periode trat mit 1. Febr. 1892 ein neuer, stark protektionistischer Zolltarif, bestehend aus einem Maximal- und einem Minimaltarif, ins Leben, welch letzterer mit seinen allerdings auch sehr hohen Zollsätzen gegenüber jenen Staaten angewendet wird, die dem französischen Handel Begünstigungen einräumen. Man suchte den Handel durch Errichtung von Handelskammern im In- und Auslande, Gründung von Handelsmuseen, Unterstützung der Handelsmarine und Entwickelung des Verkehrswesens zu fördern.

Der Handel Frankreichs mit dem Ausland und den französischen Kolonien scheidet sich in den allgemeinen und den Spezialhandel, welch letzterer die Einfuhr für den inländischen Verbrauch und die Ausfuhr von nationalen Produkten umfaßt. Während der auswärtige Spezialhandel im Durchschnitt der Jahre 1827–36 einen Wert in der Einfuhr von 480, in der Ausfuhr von 521 Mill. Fr. repräsentierte, stieg dieser Werk im Jahrzehnt 1847–56 auf 1001, bez. 1204, ferner 1857–66 auf 2200 und 2430, dann 1867–76 auf 3408 und 3307 und 1877–86 auf 4460 und 3347, sank aber 1887–96 auf 4106, bez. 3407 Mill. Fr. Für die letzten Jahre seit 1897 ergaben sich folgende Werte des allgemeinen und des Spezial-Ein- und Ausfuhrhandels in Millionen Frank:

Tabelle

In bezug auf den Verkehrsweg überwiegt der Seehandel bei weitem den Landhandel: 1901 entfielen auf den erstern in der Einfuhr 69, in der Ausfuhr 65 Proz. des Gesamtwertes des Generalhandels. Wenn man die Waren, die den Gegenstand des äußern Handels bilden, in die drei Kategorien der Lebensmittel, der industriellen Hilfsstoffe und der Fabrikate teilt, so entfallen auf die Lebensmittel vom Einfuhrwert 21,5, vom Ausfuhrwert 20,7 Proz., auf die industriellen Hilfsstoffe 54,6 Proz. der Einfuhr und 24,2 der Ausfuhr, auf die Fabrikate 23,9 Proz. der Einfuhr und 55,1 der Ausfuhr.

Die bedeutendsten Artikel der Ein- und Ausfuhr (im Spezialhandel) waren 1901 in Millionen Frank:

Tabelle

Der Edelmetallverkehr ergab 1901 in Millionen Frank:

Tabelle

Die Hauptverkehrsländer waren für den französischen Ein- und Ausfuhrhandel (Spezialhandel) 1901 in Millionen Frank des Warenwertes:

Tabelle

Der Entrepotverkehr um faßte 1901: 34,7 Mill. metr. Ztr. eingegangene Waren im Werte von 683 Mill. Fr., der Transit 7,1 Mill. metr. Ztr. im Werte von 670 Mill. Fr.

Die Handelsmarine zählte Ende 1901: 14,393 Segelschiffe mit 564,447 Ton. und 1299 Dampfer mit 546,541 T., zusammen 15,692 Schiffe mit 1,110,988 T. Gehalt, einer Bemannung von 85,798 Köpfen und 8089 Maschinisten und Heizern. Die Handelsmarine genießt staatlicherseits eine Unterstützung durch Prämien; durch das Gesetz vom 31. Jan. 1893 wurden Vergütungen für den Bau und die Umgestaltung von Seeschiffen sowie für die Ausstellung von neuen Schiffsmaschinen und Kesseln, dann Schiffahrtsprämien zugestanden. Der internationale Seeschifffahrtsverkehr in den französischen Häfen umfaßte 1901 an eingelaufenen Schiffen 28,818 mit 18,841,561 T., an ausgelaufenen Schiffen 29,659 mit 19,329,745 T. Hierzu kommt die Küstenschiffahrt (Kabotage) mit 78,397 ein- und ebensoviel ausgelaufenen Schiffen von 7,175,321 T. Von dem Gesamttonnengehalt der im internationalen Verkehr ein- und ausgelaufenen Schiffe (38,171,306 T.) kamen auf die französische Flagge 10,362,008, auf fremde Flaggen 27,809,398 T. Die bedeutendsten Seehandelsplätze (mit Angabe des Tonnengehalts sämtlicher 1901 ein- und ausgelaufenen Schiffe) sind:

Tabelle

Zur Unterstützung des Landverkehrs dienen die zahlreichen Messen und Märkte, die freilich infolge der Entwickelung des modernen Verkehrswesens ihre frühere Wichtigkeit großenteils eingebüßt haben. Berühmte Messen finden namentlich statt zu Beaucaire 22. Juli, Guibray (einer Vorstadt von Falaise) 10. August, Caen nach Ostern, Château-Thierry, St.-Denisle lendit«) im Juni, etc. Die wichtigsten Landhandelsplätze Frankreichs sind: Paris, Lyon, Lille, Montpellier, Nantes, Nîmes, Rouen, Rennes, Toulouse, St.-Etienne, Beaucaire, Aix, Carcassonne, Béziers, Nancy, Perpignan, Orléans, Tours, Troyes etc.

Verkehrswesen.

Die Länge sämtlicher Landstraßen betrug 1889: 690,439 km; davon sind 37,803 km Nationalstraßen, die hauptsächlich von Paris nach den Grenzen und nach den bedeutendsten Seeplätzen führen (größtenteils makadamisiert), 48,891 km Departementalstraßen und 603,745 Vizinalwege. F. ist verhältnismäßig reich an Wasserstraßen; dieselben hatten 1900 eine Ausdehnung von 12,153 km, wovon auf die schiffbaren Flüsse 7302 und auf die Kanäle 4851 km kamen. Mit Dampfschiffen waren hiervon befahren: 2619 km Flüsse und 1954 km Kanäle, zusammen 4573 km Wasserstraßen. Die bedeutendsten Kanäle sind: der Ostkanal von der Maas zur Saone nebst Abzweigungen (432 km), der Kanal von Nantes nach Brest (360 km), der Canal du Midi von der Garonne zum Mittelmeer (279 km), der Kanal von Berry zwischen Loire und Cher (261 km), der Kanal von Burgund zwischen Rhone und Seine (242 km), der Seitenkanal der Garonne (213 km), der Marne-Rheinkanal (210 km), der Seitenkanal der Loire (206 km), der Rhone-Rheinkanal (186 km), der Nivernaiskanal (178 km), der Kanal der Somme (156 km), der Canal du Centre zwischen Saone und Loire (130 km), der Kanal des Ourcq (108 km), der Ardennenkanal (100 km). Sehr entwickelt ist das Kanalwesen im Depart. Nord, das eine ganze Reihe meist kleinerer künstlicher Wasserstraßen besitzt. Der Schiffahrtsverkehr auf allen Wasserstraßen belief sich 1900 auf 4675 Mill. Tonnenkilometer (hiervon 1986 auf den Flüssen und 2689 auf den Kanälen). Die wichtigsten Artikel dieses Verkehrs sind: mineral ische Brenn stosse, Baumaterialien, Bodenprodukte und Lebensmittel, Metalle und Metallwaren, Holz- und verschiedene Fabrikate. Vgl. Schlichting, Über die Wasserstraßen Frankreichs (Berl. 1880); Keller, Die Wasserstraßen Frankreichs (in »Petermanns Mitteilungen«, Bd. 27, 1881), und die vom Ministerium der öffentlichen Arbeiten herausgegebene »Statistique de la navigation intérieure«.

Das französische Eisenbahnnetz hatte 31. Dez. 1899 eine Länge von 37,752 km. Die erste Eisenbahn in F. war die 1828 eröffnete Linie St.-Etienne-Andrézieux; 1842 zählte man 599,1850: 3083,1860: 9525,1870: 17,929 km. Von der obigen Länge der Eisenbahnen 1899 kamen auf das Staatsbahnnetz 2727 km, auf die konzessionierten Privatbahnen 33,738 km (und zwar auf die Nordbahn 3693, Est 4740, Ouest 5685, Paris-Orléans 6960, Paris-Lyon-Méditerranée 9043, Midi 3481, Pariser Gürtelbahn 127 km), ferner auf Sekundärbahnen 1484 km. Außerdem bestanden 4366 km Lokalbahnen. Der Verkehr auf den französischen Eisenbahnen (einschließlich Lokalbahnen) belief sich 1899 auf 426,9 Mill. beförderte Personen und bei der Güterbeförderung auf 12,558 Mill. Tonnenkilometer. Die Betriebseinnahmen bezifferten sich auf 1445, die Ausgaben auf 747 Mill. Fr. Auch die Straßenbahnen, von denen die erste 1854 vom Louvre nach Sèvres angelegt wurde, haben sich in den letzten Jahrzehnten rasch entwickelt, so daß Ende 1899: 2441 km solcher Bahnen (davon 521 km allein in Paris und im Depart. Seine) bestanden. Vgl. R. v. Kaufmann, Die Eisenbahnpolitik Frankreichs (Stuttg. 1896, 2 Bde.). Das Post- und Telegraphenwesen, dessen Verwaltung vereinigt ist, zählte 1900: 10,332 Postanstalten, 9165 Staats- und 3781 Privattelegraphenanstalten, 140,713 km Staatstelegraphenlinien und 529,317 km Drähte. Das Fernsprechnetz umfaßte 72,480 Sprechstellen und für den Lokalverkehr Linien von 17,263 km Länge, für den Fernverkehr Linien von 27,922 km Länge. Befördert wurden 1052 Mill. Briefe, 65 Mill. Karten, 1409 Mill. Drucksachen, ferner Geldsendungen im Wert von 6592 Mill. Fr., endlich 49 Mill. Depeschen. Die gemeinsamen Betriebseinnahmen wurden 1900 mit 270, die Ausgaben mit 201,8 Mill. Fr. beziffert.

Kreditinstitute, Maße, Münzen etc.

Unter den Banken und Kreditinstituten bildet die 1800 errichtete Banque de France (s. Banken, S. 347) die einzige Zettelbank Frankreichs. Andre bedeutende französische Bankanstalten sind mit ihrem eingezahlten Grundkapital:

Tabelle

Eine große Entwickelung weist auch das Versicherungswesen in F. auf. 1900 bestanden 17 Lebensversicherungsanstalten, die zusammen Kapitalien von 3663 und Renten von 81 Mill. Fr. versichert hatten. Die 18 Feuerversicherungsanstalten nahmen 1900: 116,6 Mill. Fr. ein und leisteten für Schäden 59,4 Mill. Fr. Vergütungen. 16 Unfallversicherungs-Gesellschaften hatten 1900 Einnahmen von 50,6 und Ausgaben von 46,3 Mill. Fr., davon für Unfallentschädigungen und Krankenkosten 32,4 Mill.

Sparkassen bestanden Ende 1899 in F. 546; Einlagebücher waren 6,998,213 im Verkehr, der Einlagenstand betrug 3407,3 Mill. Fr. Die Geldoperationen werden für die Sparkassen durch die Caisse des dépôts et consignations besorgt. Am entwickeltsten ist das Sparkassenwesen in den Departements Seine, Rhone und Nord. Hierzu kommt noch die National- oder Postsparkasse, die Ende 1900 einen Stand von 3,564,464 Einlagebüchern und Einlagen im Betrage von 1010,3 Mill. Fr. aufwies.

Wohltätigkeitsanstalten. 1899 verfügten die Armenunterstützungsanstalten (bureaux de bienfaisance) über 44 Mill. Fr. Einnahmen und unterstützten 1,411,809 Personen. Spitäler gab es 1747 mit 197,251 Betten, an Irrenhäusern eine Nationalanstalt (Charenton), 50 Departementsanstalten, 14 Spitalabteilungen und 45 Privatanstalten, zusammen mit 85,438 Pfleglingen. Findel- und Waisenkinder wurden 1899: 110,573 unterhalten. Ferner gibt es 42 Leihanstalten (monts-de-piété), die 1899 Pfanddarlehen im Betrage von 66,8 Mill. Fr. erteilten, und 1898: 11,842 wechselseitige Unterstützungsanstalten (sociétés de secours mutuel) mit 1,968,812 teilnehmenden Mitgliedern und 296 Mill. Fr. Guthaben. Von Bedeutung ist die staatliche Altersrentenkasse (doch ohne Versicherungszwang), die 1900 an Kapital 16,9, an Rente 55,7 Mill. Fr. auszahlte. Eine allgemeine obligatorische Unfallversicherung fehlt (außer für den Bergbau); seit 1898 besteht für Industrie und Verkehr eine erweiterte Haftpflicht mit staatlicher Garantie bei Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers; nur für die Seeschiffahrt besteht eine zwangsweise Unfallversicherung.

Maße und Gewichte sind seit dem Ende des 18. Jahrh. die des Metrischen Systems (s.d.), die zu den wissenschaftlich viel gebrauchten ältern Größen in ein festes Verhältnis gebracht wurden. Man berechnete die Toise von 6 Pieds du Roi zu 12 Pouces = 1949,03631 mm, die Liene von 25 auf 1 Grad = 4452,263 m, den Boisseau zu 16 Litrons = 13,0083 Lit., die Velte zu 4 Pots von 2 Pintes = 7,45054 L., die Livre poids de Marc zu 16 Onces von 8 Gros = 489.5058 g. Von 1812–39 waren, weil die Bevölkerung sich an die reine Zehnteilung noch nicht gewöhnt hatte, im Kleinhandel gewisse Maßgrößen mit Halbierung erlaubt (poids et mesures usuelles), die sich zwar an die metrischen anschlossen, aber ältere Namen trugen. Für manche Waren bestehen noch jetzt abweichende Bezeichnungen und Größen, so für Brennholz »Stère« zu 10 Décistères statt Kubikmeter, entsprechend Déastère, für Holzkohlen »Voie« = 2 hl, für Steinkohlen eine große »Voie« zu 21/2 Muids von 4 Mannes = 15 gestrichene oder 12 gehäufte Hektoliter, für Gips »Muid« = 9 hl zu 4 Sacs, für Wein »Velte« = 7,6 Lit. Das Tonneau métrique (Millier) hat 10 Quintaux métr. zu 100 kg; für Seefrachten ist das Tonneau de mer (oder de fret) 25. Aug. 1861 je nach der Ware ungleich festgesetzt. Für Juwelen enthält das Carat zu 4 Grains 205,9 mg, die Once 144 Carats. – Hinsichtlich des Münzwesens machte ein Gesetz aus dem Jahre XI (28. März 1803) 5 g Silber von 900 Millièmes Feinheit unter dem Namen »Franc« (s. Frank) zur Münzeinheit = 100 Centimes, 1 Frank = 81 Pfennig, mit Doppelwährung im Verhältnis des Goldes zum Silber = 15 1/2: 1. Die Bank von F. kauft Barrengold zu 3437 Fr. für 1 kg sein, aber nach Abzug von 1 pro Mille Kommissionsgebühr. Mit andern Staaten ist ein Münzvertrag (s. Lateinischer Münzvertrag) abgeschlossen. Geprägt sind in Gold von 9/10 Feinheit Stücke zu 20 (s. Tafel »Münzen V«, Fig. 12) und bis 1854 zu 40 Fr., seit 1848 zu 10 Fr. von 3,2258 g Gewicht, seit 1854 zu 100,50 und (bis 1885) 5 Fr.; das Remedium am Feingehalt beträgt 2, am Gewicht 2 und für die 5-Frankstücke 3 Tausendstel. Von den Silbermünzen hat volles Umlaufsrecht nur das seit 1795 zu 9/10 fein geprägte 5-Frankstück von 25 g Gewicht. Die geringern Münzen (monnaie d'appoint) brauchen im Privatverkehr nur bis zum Belauf von 50 Fr. angenommen zu werden; nach dem Gesetz vom 25. Mai 1864 sind mit 835 Tausendstel Feinheit geprägt: Stücke zu 2 Fr. von 10 g Gewicht, zu 1, 1/2 und 1/5 Fr. Das Remedium am Feingehalt der Silbermünzen ist 3, am Gewicht des Kurants 3, der 2- und 1-Frankstücke 5, der kleinern 7 und 10 Tausendstel. Aus Bronze von 95 Teilen Kupfer, 4 Zinn und 1 Zink wurden gemäß dem Gesetz vom 6. Mai 1852 Stücke zu 10 (Décime), 5 (Sol oder Son), 2 und 1 Centime mit entsprechend so vielen Gramm Gewicht geprägt. 1903 traten die ersten Nickelmünzen zu 25 cent von 7 g Gewicht hinzu. Hauptsächlichstes Zahlungsmittel sind die Noten der Bank von F. zu 50,100,200,500,1000 und 5000 Fr.

Staatsverfassung und Verwaltung.

Die Staatsverfassung Frankreichs ist seit der Beseitigung des Kaisertums (4. Sept. 1870) eine repräsentativ-republikanische und wurde besonders durch das Verfassungsgesetz vom 24. Febr. 1875 sowie durch einige spätere ergänzende Gesetze von 1875,1884 und 1885 geordnet. Die gesetzgebende Gewalt wird von zwei Versammlungen geübt, der Deputiertenkammer und dem Senat. Die erstere zählt 584 Mitglieder (worunter 6 aus Algerien und 10 aus den Kolonien), die auf Grund des allgemeinen, nur durch das Alter von 21 Jahren für die Wahlberechtigung und von 25 Jahren für die Wählbarkeit sowie durch den Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte beschränkten Stimmrechts direkt auf 4 Jahre gewählt werden. Die Wahlen finden nach dem Gese tz vom 15. Febr. 1889 arrondissementsweise statt, so daß jedes Arrondissement, das nicht mehr als 100,000 Einw. zählt, einen Deputierten und für je weitere 100,000 Einw. oder einen Teil davon einen weitern Deputierten wählt. Der Senat besteht aus 300 Mitgliedern; dieselben werden von Wahlkollegien der Departements und Kolonien, die aus den Deputierten, den General- und Arrondissementsräten und aus hierzu besonders gewählten Delegierten der Munizipalräte gebildet sind, auf die Dauer von 9 Jahren gewählt. Alle 3 Jahre scheidet ein Drittel der Senatoren aus. Die ursprünglich von der Nationalversammlung auf Lebenszeit gewählten (75) Senatoren sind unabsetzbar, werden aber seit 1884 nach ihrem Absterben ebenso wie die übrigen ergänzt (1902 waren noch 13 unabsetzbare Senatoren in Tätigkeit). Niemand kann Senator sein, der nicht Franzose, mindestens 40 Jahre alt und im Vollbesitz der bürgerlichen und politischen Rechte ist. Deputiertenkammer und Senat treten alljährlich am zweiten Dienstag des Monats Januar zusammen und müssen mindestens 5 Monate versammelt bleiben. Der Senat teilt mit der Deputiertenkammer die Initiative bei der Abfassung der Gesetze. Jedoch müssen die Finanzgesetze vorerst der Deputiertenkammer vorgelegt und von ihr genehmigt werden. Der Präsident der Republik wird mit absoluter Majorität von dem Senat und der Deputiertenkammer, die zur Nationalversammlung zusammentreten, gewählt. Er wird auf 7 Jahre ernannt und kann wieder gewählt werden. Der Präsident der Republik teilt die Initiative zur Gesetzgebung mit den Mitgliedern der beiden Kammern; er veröffentlicht die Gesetze, sobald sie von den beiden Kammern votiert sind; er überwacht ihre Ausführung; er hat das Recht der Begnadigung, Amnestien können aber nur durch ein Gesetz erlassen werden; er verfügt über die bewaffnete Macht; er besetzt alle Zivil- und Militärämter; die Botschafter und Gesandten der fremden Mächte sind bei ihm beglaubigt. Jeder Akt des Präsidenten der Republik muß von einem Minister gegengezeichnet werden. Der Präsident der Republik kann im Einverständnis mit dem Senat die Deputiertenkammer vor dem gesetzlichen Ablauf ihres Mandats auflösen, in welchem Fall die Wahlkollegien binnen 3 Monaten zu neuen Wahlen zusammentreten sollen. Der Präsident der Republik ist nur im Fall eines Hochverrats vor dem Senat verantwortlich.

Zur Vertretung und Wahrnehmung der Interessen der Departements und Arrondissements bestehen in jenen General-, in diesen Arrondissementsräte, deren Mitglieder auf die Dauer von 6 Jahren gewählt werden. Die Generalräte wurden durch das Gesetz vom 10. Aug. 1871 organisiert. Jeder Kanton des Departements entsendet ein Mitglied in den Generalrat; nur im Seinedepartement gehören demselben auch sämtliche Mitglieder des Munizipalrats von Paris an. Außerdem bestehen Arrondissementsräte, deren Organisation auf den Gesetzen vom 22. Juli 1833 und 10. Mai 1838 beruht. In jeder Gemeinde bestehen ein Munizipalrat und ein Maire mit Adjunkten. Der Munizipalrat wird, je nach der Größe der Gemeinde, aus 10–36, in Paris aus 80 auf 3 Jahre gewählten Mitgliedern gebildet. Auf dieselbe Zeit werden von den Munizipalräten die Maires und Adjunkten gewählt; nur in den Städten mit mehr als 20,000 Einw. und in den Hauptorten der Departements und Arrondissements werden diese durch Dekret der Regierung ernannt. In den beiden größten Städten, Paris und Lyon, die 20, bez. 6 Mairien zählen, vereinigt der Departementschef die Funktionen eines Zentralmaire. Der Maire präsidiert dem Munizipalrat; er ist mit der Gemeindeverwaltung, mit der Munizipalpolizei und mit den Funktionen eines Delegierten der Regierung betraut.

[Verwaltung.] Die Staatsverwaltung in oberster Instanz leiten elf Ministerien. Diese sind: 1) das Ministerium der Justiz; 2) der auswärtigen Angelegenheiten; 3) des Innern (auch für Algerien) und der Kulte; 4) der Finanzen; 5) das Kriegsministerium; 6) das Ministerium der Marine; 7) das Ministerium des öffentlichen Unterrichts und der schönen Künste; 8) das Ministerium des Handels und der Industrie; 9) das Ackerbauministerium; 10) das Ministerium der öffentlichen Arbeiten; 11) das der Kolonien. Der Ministerrat tritt unter Vorsitz des Präsidenten der Republik zusammen. Die Minister sind solidarisch vor den Kammern für die allgemeine Politik der Regierung und individuell für ihre persönlichen Akte verantwortlich. Eine selbständige Stellung neben den Ministerien genießt der Rechnungshof. Unter dem Vorsitz des Justizministers steht der Staatsrat, der sein Gutachten über die Entwürfe von Gesetzen und Verordnungen und über die Verwaltungsreglements sowie über alle Fragen, die ihm durch den Präsidenten der Republik oder die Minister vorgelegt werden, abgibt und über Berufungen in streitigen Verwaltungssachen erkennt. Erledigte Staatsratsstellen werden vom Präsidenten der Republik nach Anhörung des Ministerrats besetzt. Für die Verwaltung zerfällt F. in die oben angeführten 87 Departements (einschließlich des Gebiets von Belfort), diese wieder in Arrondissements und Gemeinden (s. oben, S. 852). In jedem Departement wird die Verwaltung vom Präfekten ausgeübt, dem ein Präfekturrat zur Seite steht. Außerdem bestehen in den Departements Unterrichtsräte (untergeordnet den 16 akademischen Räten, s. oben), Direktoren für die Einregistrierung und die Domänen, für die direkten und für die indirekten Steuern, für die Posten, Generalschatz- und Zahlmeister, Chefingenieure für Brücken und Chausseen und Militärkommandanten. Im Seinedepartement (mit Paris) befindet sich neben der Departementspräfektur eine Polizeipräfektur. Im Arrondissement wird die Verwaltung von dem Unterpräfekten (in dem Arrondissement, in dem die Departementshauptstadt gelegen ist, unmittel bar vom Präfekten) wahrgenommen, neben denen ein Steuereinnehmer fungiert In den Gemeinden sind die Maires mit der öffentlichen Verwaltung beauftragt.

[Rechtspflege.] Die Gerichtsverfassung Frankreichs beruht auf dem Organisationsgesetz vom 24. Aug. 1790, worin die Trennung der richterlichen von der gesetzgebenden Gewalt, der Verwaltung von der Rechtspflege ausgesprochen, das System zweier Instanzen und der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege eingeführt worden ist. Man unterscheidet zw ischen jurisdiction ordinaire, d. h. Gerichten, denen im Prinzip die Entscheidung aller Arten von Rechtsstreiten zusteht, und jurisdiction extraordinaire, die nur über die durch Gesetze ihnen ausdrücklich überwiesenen Sachen zu entscheiden haben. Zu den erstern gehören die Tribunale in den Arrondissements; sie entscheiden in Versammlung von drei Richtern (den Präsidenten eingerechnet) in Zivilsachen in letzter Instanz bis zum Betrag von 1500 Fr. bei Mobiliarklagen, bis zum Betrag von 50 Fr. jährlicher Rente bei Immobiliarklagen, dann als Chambre correctionnelle über die délits (Vergehen). Die Appellation geht an die Cours d'appel, die in Strafsachen (als Strafappellkammer) in Versammlung von fünf und in Zivilsachen in solcher von sieben Richtern urteilen. Außerdem ist bei den Appellhöfen die Chambre d'accusation, die über die Verweisung an die Schwurgerichte (assises) erkennt. Letztere urteilen über crimes (Verbrechen), ein Mitglied des Appellhofs präsidiert. Die juges d'attribution sind: die Friedensrichter (juges de paix), die namentlich in allen Rechtsstreitigkeiten, bevor sie an die Tribunale gelangen, Vergleiche (conciliations) zu versuchen haben; ferner die Handelsgerichte (tribunaux de commerce), aus drei Richtern, die aus den Notabeln des Kaufmannsstandes und von diesen gewählt werden, gebildete Gerichte, die bis zum Betrag von 1500 Fr. in Handelssachen entscheiden. Die Appellation von den Friedensrichtern geht an die Tribunale erster Instanz, von den Handelsgerichten an die Appellhöfe. Nicht als höhere Instanz, sondern als Gerichtshof zur Wahrung der Einheit der Rechtsprechung ist der Kassationshof aufzufassen. Eine eigne Organisation hat in F. die Staatsanwaltschaft (ministère public). Sie ist nicht nur als Anklägerin im Strafverfahren tätig, sondern hat auch die Oberaufsicht über eine Reihe von Beamten, die zu den officiers ministériels gezählt werden (Notare, Huissiers, Greffiers); sie wirkt vielfach bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit, z. B. Vormundschaft, Adoption etc., mit und ebenso bei der Zivilrechtspflege. Beim Kassationshof ist ein Generalprokurator mit einer Anzahl (sieben) Generaladvokaten, bei jedem Appellhof ein Generalprokurator mit zwei Generaladvokaten und einigen Substituten, bei jedem Tribunal erster Instanz ein Oberprokurator mit einigen Substituten angestellt. Es bestehen im ganzen 26 Appellhöfe, 87 Assisenhöfe, 362 Tribunale erster Instanz, 225 Handelsgerichte und gegen 2900 Friedensgerichte. Zentralgefängnisse gibt es 16 für Männer (mit durchschnittlich 12,000 Sträflingen) und 5 für Weiber (mit 1700 Sträflingen), ferner an Korrektionsanstalten 14 öffentliche und 30 private mit zusammen ca. 6000 Korrigenden, endlich an Departementsgefängnissen (für Untersuchungshaft, Verurteilungen bis zu einem Jahr etc.) 380 mit ca. 25,000 Gefangenen. Vgl. die »Kriminalstatistischen Karten«.

Die Gesetzgebung von F. beruht für Zivil- und Strafrecht, Zivil- und Strafprozeß auf den unter Napoleon I. zustande gekommenen Kodifikationen (weiteres s. Code).

Finanzen.

Die französischen Staatsfinanzen, die bis zur großen Revolution einen feudalen Charakter getragen hatten, wurden am Ende des 18. Jah rh. gründlich reformiert, indem alle alten Lasten beseitigt wurden. Als Ersatz wählte man zunächst die direkten Steuern; diese warfen 1832: 257 Mill. Fr. ab und wurden 1902 nur auf 531 Mill. Fr. veranschlagt, sind also nicht in einem der Steuerkraft entsprechenden Verhältnis gestiegen. Die direkten Steuern begreifen die folgenden Kategorien: die Grund- und Gebäudesteuer, seit 1791, zu deren Veranlagung ein Kataster bis 1850 durchgeführt wurde; die Personal- und Mobiliarsteuer, eine gleichfalls 1791 eingeführte Repartitionssteuer; die Tür- und Fenstersteuer, vom Jahr 1798; die Gewerbesteuer, 1791 ein geführt, bestehend aus einer fixen Abgabe und einer proportionalen Steuer; die taxes assimilées, umfassend die Steuer auf die unbeweglichen Güter der Toten Hand, die Bergbauabgabe, die Kutschen- und Pferdesteuer, die Eichgebühr, die Apothekersteuer, die 1871 eingeführte Billardsteuer und die Abgabe von geselligen Vereinen, gleichfalls seit 1871. Hierzu kamen in den letzten Jahren noch die Velozipedsteuer und die Wehrsteuer. Die wichtigste Rolle im französischen Staatshaushalt spielen die indirekten Steuern. Zu denselben sind zu rechnen: die Akten- und Besitzwechselabgaben, und zwar die Einregistrierungsabgabe, deren Grundlage 1790 geschaffen wurde, die Steuer auf Wertpapiere, die Erbschaftssteuer, die Gerichtssporteln und Hypothekengebühren und die Stempelabgaben (letztere seit 1798); ferner die Konsumtionssteuer, umfassend die innern Verbrauchssteuern, unter denen die Getränkesteuer (auf Branntwein, Wein und Bier) mit ihrem hohen Steuerfuß nebst der Zuckersteuer und Salzsteuer, die Transportsteuern (zuerst 1797), die Abgabe für Gold- und Silberkontrolle, die Steuer für Wachs- und Stearinkerzen, Öl, Essig und Dynamit, die Papier- und die Spielkartensteuer eine wichtige Rolle spielen. Zu den indirekten Steuern gehören ferner die Zölle, z. T. ausgesprochene Finanzzölle; die Monopole auf Tabak (schon frühzeitig ins Leben gerufen, 1790 aufgehoben, 1810 wieder eingeführt), auf Schießpulver (seit 1796) und Streichhölzer (seit 1872); die Gebühren der Post, des Telegraphen und des Telephons.

Die Domanialeinnahmen weisen verhältnismäßig geringe Erträge auf; der Kapitalwert der französischen Staatsgüter wird auf 3800 Mill. Fr. geschätzt. Einen erheblichen Prozentsatz der Staatsausgaben machen die Zinsen der Staatsschuld aus, die meist in der Form ewiger Renten aufgenommen ist. Die Revolution hatte mit den vorgefundenen Schulden ziemlich aufgeräumt; nur ein Drittel der ehemaligen Schulden wurde mit 38,6 Mill. Fr. in das »große Buch der öffentlichen Schuld« eingetragen und bildet die Grundlage der heutigen Schuld, deren Kapital 1. Jan. 1901: 30,096,632,622 Fr. betrug und deren Zinsenerfordernis 1902 aus 675,6 Mill. Fr. als Verzinsung der konsolidierten Rente, 324,7 Mill. Fr. Interessen rückzahlbarer Kapitalien und 244,9 Mill. Fr. für die nicht zur öffentlichen Schuld gerechneten Leibrenten und Pensionen besteht, zusammen also einen Jahresbetrag von 1245,2 Mill. Fr. umfaßt.

Die Beträge der Einnahmen und Ausgaben im Budget für 1902 sind aus der folgenden Zusammenstellung ersichtlich.

Tabelle
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Übrigens zeigt weder das Staatsbudget noch die Staatsschuld den vollen Umfang der öffentlichen Lasten; es kommen noch die Budgets der Departements (mit ca. 293 Mill. Fr. Einnahmen, bez. Ausgaben), dann die Budgets der einzelnen Gemeinden (mit ca. 794 Mill. Fr. Jahreseinnahmen und-Ausgaben) in Betracht. Die Schuld der Departements beläuft sich auf mehr als 770 Mill. Fr., die der Gemeinden auf über 3881 Mill. Fr. (wovon 2424 Mill. auf Paris kommen). Vgl. v. Kaufmann, Die Fi nanzen Frankreichs (Leipz. 1882; franz. Ausg., Par. 1884); Vührer, Histoire de la dette publiqueen France (1886, 2 Bde.); L. Say, Les finances de la France sous la troisième République (1898–1902, 4 Bde.); »Les impôtsen France« (1903, 2 Bde., mit Einleitung von Caillaux).

Heerwesen.

Geschichtliches. Die andauernden Kriege unter Ludwig XIV. führten zur Errichtung eines stehenden Heeres durch Louvois. Dieses enthielt Garde- und Fremdentruppen (letztere zu allen Zeiten in F.) sowie anfangs mehr, später weniger Kavallerie. Es wurde durch Werbung ergänzt. 1789 wurde die Nationalgarde geschaffen, und 1791 brachte man Freiwillige zusammen (Anfang der Freiwilligenarmee). Mit den Linientruppen gemischt und durch unfreiwillige Aushebung (Konskription, die levéeen masse) verstärkt, wurden die Freiwilligen 1793 in Halbbrigaden zu 1 Linien- und 2 Voltigeurbataillonen mit je 2 Bataillonsgeschützen aufgestellt. Sappeurs und Mineurs erscheinen zum erstenmal als Truppe. 1793 wurde die allgemeine Wehrpflicht ohne Stellvertretung eingeführt. Bonaparte begünstigte die Kapitulanten und Freiwilligen, stellte die während der Revolution abgeschaffte Garde sowie die Bezeichnung »Regiment« statt Halbbrigade wieder her, führte den Orden der Ehrenlegion ein und förderte die Ausbildung aller Waffen durch Übungslager. Das Heer gliederte sich in Brigaden, Divisionen, Armee- und Kavalleriekorps. 1805 bestimmte er die Nationalgarde (bans und cohortes) für die festen Plätze. Territorialdivisionen gaben die Grundlage für die Aushebungen. Die Restauration ersetzte die allgemeine Wehrpflicht und Konskription durch die Werbung, darauf durch Konskription, und die Kaisergarde durch die maison du roi. Schweizer etc. Napoleon III. erhöhte durch Prämien für Rengagement, Weiterverpflichtung zum Dienst Zahl und Güte der Unteroffiziere und hob das Jahreskontingent, dessen eine Hälfte (deuxième portion) nur flüchtig ausgebildet und dann beurlaubt wurde. Der Staat übernahm die Sorge für Stellvertreter (exonération) durch Rengagement oder Werbung gegen Zahlung. Die Truppen standen unter Marschallaten, Militärdivisionen und Subdivisionen als Territorialbehörden, in der Tat unter dem Kriegsminister. F. hatte die ersten gezogenen Feldgeschütze (Vorderlader, System Lahitte), die 1859 im italienischen Feldzug auftraten, führte 1866 ein dem preußischen Zündnadelgewehr ähnliches Infanteriegewehr (Chassepot) ein und nahm eine Reorganisation unter Marschall Niel vor. Franktireurtruppen wurden unter gewissen Bedingungen vorgesehen, Mitrailleusen eingeführt. Zur Geschichte der Uniformen vgl. Tafel »Uniformen I u. II«.

Organisation. Der Präsident ist Chef der Armee und besetzt die Offizierstellen. Es steht ihm frei, den Oberbefehl im Kriege zu übernehmen; das Recht der Kriegserklärung und die unmittelbare Einwirkung auf die Armee im Frieden hat er nicht. Diese wird durch den Kriegsminister vermittelt, der sogar berechtigt ist, in das Kommando der Armeen einzugreifen. Im Frieden gehen von ihm neue Organisationen, Verfügungen etc. aus; in letzter Zeit betrafen sie hauptsächlich die Hebung des Offizierkorps in disziplinarer Beziehung, die Beförderung, Heirat, Altersgrenze etc. der Offiziere Letztere, 1838 eingeführt, wurde herabgesetzt: für Divisionsgeneräle auf 60, Brigadegenerale 58, Obersten 56, Kommandanten 54, Hauptleute oder Rittmeister 52, Leutnants 51 Jahre. Die seit 1843 bestehende Bestimmung, daß die Heiratserlaubnis den Offizieren nur erteilt werden solle, wenn sie oder die zukünftige Gattin ein Jahreseinkommen von 1200 Fr. nachweisen können, wurde aufgehoben, es wird nur ein obrigkeitliches Zeugnis für die Unbescholtenheit der Braut verlangt. Die Bestimmungen über Ausstellung der Beförderungslisten s. unten bei »Heeresergänzung« (S. 867f.).

Die Inspizierungen der Truppen, Anstalten etc. werden durch die kommandierenden Generale, nicht mehr durch Mitglieder des Oberkriegsrats abgehalten, doch kann der Kriegsminister ständige oder zeitweilige Inspekteure für besondere Dienstzweige etc. ernennen. Der Oberkriegsrat (conseil supérieur de guerre), dessen Mitglieder im Kriegsfall den Oberbefehl über die Armeen erhalten, besteht aus einer Anzahl von Divisionsgeneralen unter Präsidium des Kriegsministers und hat alle Gesamtmaßregeln zu prüfen, die auf die Armee, ihr Personal und Material, Bewaffnung, Verwaltung und Lieferung Bezug haben. Eine Anzahl hoher Offiziere, Militärbeamten etc. von Heer und Flotte ist bestimmt, zu den Beratungen hinzugezogen zu werden. Außerdem hat der Oberkriegsrat über die zu Korpskommandanten zu Ernennenden sein Gutachten abzugeben. Die Angelegenheiten des Militärintendanz-, des Sanitäts- und Kontrollkorps (Kontrolle und Unterhaltung des Materials) sind durch das Heeresverwaltungsgesetz von 1882 geregelt. Das Personal ist Direktionen im Kriegsministerium unterstellt und erhält seine Ausbildung zum Sanitäts- und Verwaltungsoffizier auf der Administrationsschule zu Vincennes. Das Militärsanitätskorps besteht aus Ärzten und Apothekern im Range von Unterleutnants bis Generalleutnants. Alljährlich finden Übungen im Sanitätsdienst, Krankenträgerübungen etc., für die einzelne Militärgouvernements und Armeekorps vom Kriegsminister bestimmt werden, statt. Die Offiziere gehören, wie Dolmetscher und Tierärzte, zum Personal hors cadre, das sich 1901 auf 2366 Offiziere und 470 Mann bezifferte.

Das Militärbudget und die militärischen Gesetze, soweit sie Finanzgesetze sind, werden vom Kriegsminister dem Parlament vorgelegt, doch haben Deputiertenkammer und Senat sowie der Präsident der Republik das Recht der Initiative. Zur festgestellten Friedensstärke der Truppen wird das Personal der Stäbe, Militärschulen und hors cadres hinzugerechnet und ergibt die budgetmäßige Gesamtstärke. Über die Ergebnisse des Ersatzgeschäfts und die Ersatzverteilung erstattet der Kriegsminister alljährlich dem Parlament Bericht. Die Gesetze bedürfen der Unterschrift des Präsidenten, der sie veröffentlicht.

Dienstzeit. Bei der hauptsächlich durch Gambetta nach dem Kriege von 1870/71 betriebenen Neuorganisation des Heeres und der Flotte wurde 1872 durch das Rekrutierungsgesetz die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, die nach dem Militärgesetz von 1889, das alle gesetzlichen Befreiungen, auch die Ein richtung der Einjährig-Freiwilligen, aufhob, vom 20.–45. Lebensjahr dauert. Die Dienstzeit wurde durch das Wehr- und Dienstpflichtgesetz von 1892 im aktiven Heer auf drei (wie bis dahin), unter Verkürzung der Dienstzeit in Reserve um drei, in der Territorialarmee um vier Jahre festgesetzt. Dazu bestimmte das Cadregesetz von 1893, daß auch alle Wehrfähigen wirklich einzustellen seien. Die Gesetzesvorlage von 1900 über die Wehrpflicht setzt einen persönlich abzuleistenden Dienst von zwei Jahren für jeden Franzosen ohne Ausnahme bei der Fahne fest, ferner elfjährige Verpflichtung in der Reserve und zwölfjährige in der Territorialarmee. Von dem bisherigen Mindestmaß 1,54 m kann bei sonstiger Diensttauglichkeit abgesehen werden. Um den Ersatz zu sichern, sind Best immungen über Kapitulanten, Rengagements etc. gegeben.

Heereseinteilung und Heeresstärke. Nachdem die Organisation der Mobilgarde und der Marschregimenter (4. Bataillon der Linienregimenter) nach dem Kriege vollendet und durch neue Friedensformationen die Gesamtkriegsstärke auf rund 1,700,000 Mann anzunehmen war, teilte das Organisationsgesetz von 1873 das Land in 18 Regionen, denen je ein Armeekorps entspricht (19. Armeekorps in Algerien). Später kam das 20. Armeekorps (Nancy) und die Okkupationsdivision in Tunesien, deren Kommandeur die Befugnisse eines Korpskommandeurs hat, hinzu. Jede Region zerfällt in 8 Subdivisionen, jede mit einem oder mehreren Rekrutierungsbureaus (ähnlich den deutschen Bezirkskommandos). Die Bildung einer seit 1889 aus Eingebornen bestehenden Kolonialarmee (vgl. S. 867) wurde 1891 von der Deputiertenkammer angenommen, aber erst 1900 wurden die Kolonialtruppen dem Kriegsminister unterstellt. Nachdem 1890 aus den vierten Bataillonen und 2 Bataillonen des betreffenden Territorialregiments 145 gemischte Regimenter (regiments mixtes) zusammengestellt waren, forderte das Cadregesetz von 1893 in Rücksicht auf die Heeresverstärkung in andern Staaten auch für F. eine nicht wesentliche, jedoch eine anderweite Regelung der Etats und zwar: die Errichtung von 16 Festungsartilleriebataillonen, 18 Regional-Infanterieregimentern, 13 Kavallerieregimentern, 24 Jägerkompagnien, 12 Gebirgsbatterien, 35 fahrenden Batterien, einem Eisenbahnregiment und einem Infanterieregiment (Nr. 163).

Die Verteilung der Truppen (s. Tabelle, S. 866) erleichtert in Paris und Lyon dadurch, daß dort mehrere Korpsbezirke zusammenstoßen, größere Truppenzusammenziehungen. An Truppen, die keinem Armeekorps angehören, sind im Bereich des Militärgouvernements von Paris: 5 Bataillone Infanterie, je 1 Bataillon Jäger und Zuaven, 6 Regimenter Kavallerie, 2 Regimenter Feldartillerie, 1 Bataillon Fußartillerie, 2 Regimenter Genie, 1 Traineskadron etc. Infanterie: 40 Infanteriedivisionen, außerdem 3 Territorialdivisionen in Algerien, 1 Okkupationsdivision in Tunesien, zusammen 80 Brigaden, 1 Regionalbrigade in Lyon, 4 in Algerien, 2 in Tunesien. 145 Linienregimenter, 18 Regionalregimenter oder 652 Bataillone mit 2608 Kompagnien. Hier sind die vierten Bataillone eingerechnet, obwohl sie nicht vollzählig sind. Ein Teil gehört als Gebirgsinfanterie oder -Jäger zu den Alpentruppen. Mit 30 Jägerbataillonen zu je 6 Kompagnien, 2 Fremdenregimentern zu je 6,4 Zuavenregimentern mit je 5 Bataillonen, 4 algerischen Tirailleurregimentern zu je 6 Bataillonen


Tabelle

sowie den 5 Bataillonen leichter afrikanischer Infanterie zu je 6 Kompagnien und den 36 Bataillonen Kolonialinfanterie ergeben sich zusammen 779 Bataillone mit 3202 Kompagnien. Kavallerie. 7 Divisionen mit 20 Brigaden (31 Dragoner-, 21 Jäger-, 14 Husaren-, 13 Kürassier-, 6 Chasseur d'Afrique-, 4 Spahisregimenter und 2 Eskadrons Spahis der Sahara), zusammen 447 Eskadrons und 9 Kompagnien Remontereiter. Weitere Formationen von Kavalleriedivisionen aus den Korpsbrigaden sind geplant, eine achte wurde 1903 in Dôle formiert. Feldartillerie bisher: 40 Regimenter in 20 Brigaden, 432 fahrende, 52 reitende, 14 Gebirgsbatterien, 12 fahrende Batterien in Algerien u. Tunesien. Jeder Infanteriedivision sind 6 fahrende, jeder Kavalleriedivision 2 reitende Batterien dauernd zugeteilt. Man hatte bei 6 Geschützen in der Batterie dem Armeekorps 23 Batterien geben wollen, also 138 Geschütze, bei der jetzt angenommenen Geschützzahl 4 würde mithin die Zahl der Regimenter sich erhöhen müssen. Die mobilen 120 mm-Feldhaubitzbatterien sollen nicht den Armeekorps, sondern den Armeeoberkommandos unterstellt werden. Fußartillerie: 18 Bataillone, 2 in Algerien u. Tunis, zusammen 112 Batterien, von denen 14 in vier besondere Gruppen abgezweigt sind. Train: 20 Eskadrons mit 60 Kompagnien, 12 davon in Algerien und Tunis. Genie und Verkehr: 7 Genieregimenter, Zahl der Bataillone wechselt von 3–4, der Kompagnien von 3–7. Das 26. Bataillon steht in Algerien und Tunesien, im 25. sind 4 Luftschiffer-, im 24.: 6 Telegraphenkompagnien vereinigt. Im ganzen 98 Kompagnien, darunter 12 Eisenbahn-, 4 Luftschiffer-, 6 Telegraphenkompagnien, dazu noch 7 Geniefahrerkompagnien. Radfahrer, jedem Armeekorps zur Dienstleistung bei den Stäben, in Waffenplätzen etc. zugeteilt, seit 1899 auch 2 Kompagnien dem 2. und 6. Armeekorps (2. und 5. Jägerbataillon); Etat: 5 Offiziere, 19 Unteroffiziere etc., 4 Mechaniker, 100 Mann. Ausrüstung: Gérardsche Klappräder, Artilleriemusketen 92 mit Bajonett. Maschinengewehrabteilungen, die den Kavalleriedivisionen zugeteilt werden sollen, in der Bildung begriffen. Verwaltungstruppen: Bei den Armeekorps sowie den Militärgouvernements: 21 Sektionen Schreiber bei Rekrutierungs- und andern Bureaus, Arbeiter der Militärverwaltung, 25 Sektionen Lazarettgehilfen etc. Nicht eingerechnet sind die 8 Artilleriearbeiter- und 3 Feuerwerkerkompagnien.

Friedensstärke. Gemäß dem Budget 1902 entfielen von 715,5 Mill. Fr. auf: Sektion I Landarmee 638,5 Mill. Fr., II Kolonialtruppen in F. 28 Mill. Fr., III einmalige Ausgaben 49 Mill. Fr.: 30,565 Offiziere, 565,261 Mann, darunter 113 Divisions-, 220 Brigadegenerale, ferner 711 Offiziere, 23,996 Mann der Gendarmerie und republikanischen Garde, die zur aktiven Armee rechnen, sowie 142,595 Pferde. Die Stärke der taktischen Einheiten beträgt:

Tabelle

Auf erhöhtem Stand, 165 Mann in der Kompagnie, sind die Bataillone beim 6., 7. und 20. Armeekorps sowie die Eskadrons und reitenden Batterien in den Grenzbezirken.

Reservearmee: 145 Regimenter zu 3 Bataillonen (entsprechend den Linienregimentern) und 30 Jägerbataillone, zusammen 465 Bataillone, 40 Kavallerieregimenter etc. Die Reservetruppen sind den aktiven eng angeschlossen, auch für Mobilmachung etc. subdivisions-, bez. regionalweise. Vier Jahresklassen kommen zur Armee, sechs bleiben für neu zu formierende Truppenteile.

Kolonialarmee. Die Truppen (früher Marinetruppen) gliedern sich in einen Stab, in aus Europäern und Eingebornen bestehende Infanterieregimenter Tirailleurs von Tongking, Anam etc. Die Kolonialinfanterie besteht im Innern aus 12 in 6 Brigaden und 3 Divisionen zusammengefaßten Regimentern. Die 1. Division (Paris) mit den Brigaden in Paris und Cherbourg, die 2. (Brest) mit den Brigaden Brest und Rochefort, die 3. (Toulon) mit den Brigaden in Toulon und Perpignan. In den Kolonien stehen dauernd 5 Regimenter und die eingeborne Infanterie, aus 10 Regimentern und 4 Bataillonen Tirailleurs bestehend. Die Kolonial artillerie, zu der die bisherige Marineartillerie unter Neuaufstellung von 6 fahrenden und 2 Gebirgsbatterien übertrat, umfaßt jetzt 12 fahrende, 6 Gebirgs-, 58 Fußbatterien. Sie gliedert sich in die 3 im Innern im Brigadeverbande stehenden Regimenter, jedes derselben in 4 fahrende, 2 Gebirgs- und 6 Fußbatterien, dazu 5 Arbeiterkompagnien, 1 Feuerwerkerkompagnie. In den Kolonien stehen je 1 Regiment in Tongking und Kotschinchina, 15 Batterien in Westafrika, 1 Batterie in Neukaledonien. Die Zahl der Divisions- und Brigadegenerale wird durch besonderes Gesetz, die Zahlen der Regimenter nach Bedürfnis, Budget etc. ebenso festgesetzt. Die Kolonialtruppen dürfen außer in den Kolonien auch im Mutterland oder zu Unternehmungen außerhalb des Gebiets der Republik verwendet werden. Gesamtstärke der Kolonialtruppen einschl. Eingebornen, s. Tabelle, S. 866.

Bei der Mobilmachung gliedert sich das Armeekorps in 2, ausnahmsweise in 3 Infanteriedivisionen. Jede derselben soll enthalten: 2 Brigaden zu 2 Regimentern zu 3 Bataillonen, 1 Eskadron, 6 fahrende Batterien, 1 Geniekompagnie mit Divisionsbrückentrain, 3 Munitionssektionen (2 für Artillerie, 1 für Infanterie), 1 Ambulanz-, 2 Proviantkolonnen. Die Korpskavalleriebrigade (1 Dragoner-, 1 leichtes Regiment, Ambulanz), Korpsartillerie (6 fahrende, 2 reitende Batterien, 4 Munitionssektionen), Geniereserve (1 Kompagnie mit Korpsbrückentrain, Trains und Kolonnen, 1 Artillerie-, 1 Geniepark), 8 Feldlazarette, 2–6 Proviantkolonnen folgen dem Korps. Jede Kavalleriedivision enthält: 3 Brigaden (1 Kürassier-, 1 leichte, 1 Dragonerbrigade) zu je 2 Regimentern zu 4 Eskadrons, 2 reitende Batterien, 1 Ambulanz, 1 Proviantkolonne, 1 leichte Feldtelegraphensektion. Ob bei den Infanterieregimentern 3 oder 4 Bataillone zu rechnen sind, oder ob Reservedivisionen formiert und zugeteilt werden, ist unbestimmt.

Die Kriegsstärke, auf 4,053,000 Mann berechnet, und zwar 25 Jahrgänge mit 25 Proz. Ausfall, ist genauer nicht bekannt. Die im Artikel »Dreibund« angegebene Zahl dürfte auf die mit mindestens zehnmonatiger Ausbildung versehenen Mannschaften zutreffen. Die Kriegsgliederung soll 5 Armeen (davon 4 im Osten, 1 im Alpengebiet) vorsehen, das Armeekorps 36–38,000 Mann, in 2 Infanteriedivisionen, enthalten. Dazu treten 1200 Mann Kavallerie und voraussichtlich 138 Feldgeschütze. Je nach dem Kriegsschauplatz werden schwere Geschütze, Feldgeschütze, Gebirgsgeschütze und Maschinengewehre zugeteilt; ebenso scheint die Überweisung von Jägerbataillonen nach Umständen zu erfolgen. Die Stärke der taktischen Einheiten wird auf 250 Mann bei der Kompagnie, 160 Mann bei der Eskadron, 180–190 Mann bei der Batterie angegeben.

Heeresergänzung. Das Rekrutenkontingent betrug 1902: 217,000 Mann. Die Unteroffiziere (Korporale bei den Fuß- und Brigadiers bei den berittenen Truppen) ergänzen sich aus der Truppe und aus Militärschulen. Die Offizierkorps erhalten ihre Ergänzung im Frieden zu 2/3 aus Schulen, zu 1/3 aus Unteroffizieren; letztere müssen mindestens 2 Jahre in der Truppe gedient, eine Militärschule besucht und die vorgeschriebene Prüfung bestanden haben. Der Beförderung zu Offizieren geht eine Wahl voraus. Das Aufrücken in frei werdende Stellen, Verleihen der Ehrenlegion und der Militärmedaille findet nach den Beförderungslisten statt, welche die unmittelbaren Vorgesetzten, der Regimentskommandeur z. B. für Offiziere bis zum Oberstleutnant, aufzustellen haben. Schließlich gelangen die Listen an den Kriegsminister. Das Aufrücken erfolgt zum Hauptmann 1/3 nach der Anciennität, 2/3 nach Wahl.

Militärschulen. Für Ausbildung junger Leute (nicht Unteroffiziere) zum Offizierstande sorgen: die Militärschule von St.-Cyr, für Infanterie und Kavallerie, 1100 Schüler zwischen 17 und 20 Jahren, mit 6 Fr. monatlicher Löhnung; die Polytechnische Schule in Paris für Artillerie, Genie und bürgerliche Berufsarten, 520 Schüler von 16–20 Jahren. Für Ausbildung von Unteroffizieren zu Offizieren bestehen: Infanterieschule zu St.-Maixent, 400 Unteroffiziere, die zuvor 2 Jahre im Heer gedient haben; Kavallerieschule zu Saumur, gleichzeitig Hoch- (Reit-) Schule für ältere Leutnants der Kavallerie und Tierarzneischule. Artillerie- und Genieschule zu Versailles, für 100 Unteroffiziere. Sämtlich auch für Marine. Ferner die Administrationsschule zu Vincennes zur Ausbildung von etwa 50 Unteroffizieren zu Administrationsoffizieren. Für Offiziere sind bestimmt: Fachschule für Artillerie- und Genieoffiziere zu Fontainebleau; höhere Kriegsschule (wie die deutsche Kriegsakademie) für den Generalstab in Paris, Kursus von 2 Jahren, jährlich 80 Leutnants oder Hauptleute, die mindestens 5 Jahre als Offizier, davon 3 in der Front, gedient haben. Das Militärprytaneum zu La Flèche gibt Söhnen unbemittelter Offiziere die Bildung eines Realgymnasiums. In jedem Armeekorps hat man bei einem oder mehreren Infanterieregimentern Ausbildungsabteilungen für Reserveoffizier-Aspiranten eingerichtet. Der praktischen Ausbildung dienen: die Normalschule für Gymnastik zu Joinville-le-Pont; Normalschießschule im Lager von Châlons und 4 Regionalschießschulen in Châlons, Ruchard, Valbonne und Blida; ähnliche Anstalten sind die Kommissionen für die Erprobung des Schießverfahrens und die Schießausbildung der Feldartillerie zu Poitiers, der Fußartillerie zu Toul; endlich die Zentralschule für Kriegsfeuerwerkerei zu Bourges und die Schulen für Bedienung der elektrischen Beleuchtungsvorrichtungen zu Le Havre, für Eisenbahndienst zu Versailles, für Luftschiffahrt zu Meudon etc. Große Übungsplätze für die Truppen, wie bei Sissonne, Marseille etc., werden fortwährend, zuletzt bei Lerzac und Lafontaine-du-Beryer, eingerichtet. Besondern Wert legt man gegenwärtig auf Kavallerieübungen im Überschreiten von Flußläufen, und zwar derart, daß die Truppe am jenseitigen Ufer möglichst gefechtbereit anlangt.

Bewaffnung. Die Infanterie ist mit dem Lebelgewehr M/86/93 von 8 mm Kaliber bewaffnet; das Röhrenmagazin ließ man fallen und ersetzte es schon beim Karabiner M/90 durch ein Mittelschaftsmagazin. Die Feldausrüstung des Infanteristen beträgt 120 Patronen bei der aktiven, 112 Patronen bei der Territorialarmee. Ein Daudeteaugewehr war im Versuch im Gewicht von 3,7 kg und Kaliber 6,5 mm (s. Handfeuerwaffen). Offiziere, Unteroffiziere, Trompeter etc. führen einen Revolver. Kavallerie hat den Karabiner M/90, die Artillerie den M/92, die Dragonerregimenter sollen durchweg Lanzen erhalten, bisher führte nur das erste Glied solche bei den Regimentern der Kavalleriedivisionen; alle Reiter führen außerdem den Säbel. Ausrüstung mit Patronen 100 Stück. Die Feldartillerie hat Schnellfeuerkanonen M/97 (in Versuch M/9 8/1900), ein Rohrrücklaufgeschütz von 35 Kaliber Rohrlänge mit exzentrischem Schraubenverschluß, 530 m Anfangsgeschwindigkeit, Schußweite 7000 m, Feuergeschwindigkeit 22 Schuß in der Minute. Ein 68 mm-Gebirgsgeschütz, Erfinder Hauptmann Tournier, sollen die algerischen Truppen erhalten. Geschosse sind Schrapnells und Melinitgranaten. Lafette mit Stahlschild, das gegen Infanterie-, bez. Schrapnellgeschosse sichert. Ein kleiner Teil der Batterien führt kurze 120 mm-Kanonen (Haubitzen). Eine Mitrailleuse, bei der das Geschütz mit 2000 Patronen durch ein Pferd fortgeschafft wird, sollte in den Alpen, bei Kavalleriedivisionen etc. Verwendung finden, neuerdings ist von einer Waffe die Rede, die, von zwei Pferden gezogen, vier Mann Bedienung braucht und von letztern in der Lafette zur Schützenlinie gebracht wird. Die schwere Artillerie des Feldheeres verfügt über 120mm-Kanonen, 155mm-Haubitzen, 220 mm-Mörser. Der Belagerungstrain enthält in fünf Trains zu je 176 Geschützen 220 nun-Kanonen, lange und kurze 155 mm-, lange 120 mm- und die 95 mm-Kanonen, 270 und 220 mm-Mörser. Eine 10,5 cm-Haubitze und eine von größerm Kaliber sind im Versuch.

Militärfabriken. Geschützgießereien bestehen in Bourges für die Landartillerie und in Ruelle (Charente) für die Marine; 3 Waffenfabriken zu Châtellerault, St.-Etienne (Waffen M/86 wurden 1893 nur noch zu St.-Etienne angefertigt) und Tulle, außerdem 7 Konstruktionswerkstätten; 2 Feuerwerkslaboratorien, 10 Pulverfabriken, 4 Salpeterraffinerien, eine Fabrik für Schießwolle, eine Dynamitfabrik. Privatwerkstätten für Geschütze und Panzer sind: die Mittelmeerwerke des Ingenieurs Canet, die Werke von Creuzot, die Gesellschaft Hotchkiß in Paris und die Geschützfabrik Cail. In der Staatsfabrik zu Billancourt werden Fleischkonserven bereitet; der weitaus größte Teil der letztern wird aber durch Privatunternehmer hergestellt.

[Festungen.] (Vgl. hierzu die Karte von »Frankreich, nordöstlicher Teil«.) Nach dem Kriege von 1870/71 suchte F. durch den Bau von Sperrforts die über die Grenzen von Deutschland, der Schweiz und Italien führenden Heerstraßen und Pässe gegen den Einmarsch fremder Heere zu verschließen und Zeit für den Aufmarsch der eignen Armeen zu gewinnen. Während im gebirgigen Süden wenige Sperrforts (neuerdings Fort Queires) genügten, erforderte die 255 km lange deutsche Grenze eine Kette derselben, die, bei Verdun beginnend, bis zur Schweizer Grenze verläuft. Als Stützpunkte dienen nahegelegene Festungen, wie Toul, Epinal, Belfort u. a. Hier tritt überall ein defensiver Charakter hervor, dagegen zeigt die vordere Linie an der belgischen Grenze (270 km) einen offensiven. Defensive wie Offensive werden durch ein ausgedehntes Eisenbahnnetz erleichtert. Eine zweite Verteidigungslinie hinter der vordern Linie, den großen Festungen Lille, Maubeuge, Cambrai, Sperrfort Hirson, wird durch die ausgebauten Festungen Reims, Laon, La Fère und Befestigungen von Falaise nach Epernay zu gebildet, in der Mitte liegen dann Langres und Dijon, die mit Besançon ein starkes Festungsdreieck bilden, ferner Sperrforts bei Péronne etc., endlich die große Festung Lyon, Stützpunkt für die Saône-Rhonelinie. An der durch die Pyrenäen geschützten Südgrenze hat man die zur Verstärkung ihrer Endpunkte bestimmten Befestigungen von Perpignan und Bayonne. Bei diesen hat man, wie bei andern großen Festungen, die Umwallung zum Teil oder ganz niedergelegt, aber Verstärkungen durch Forts etc. angebracht. Die Küstenfront im N. ist durch Dünkirchen, Calais, Le Havre, Cherbourg und Befestigungen auf den Inseln an den Mündungen der Loire und Gironde gesichert; am Mittelmeer sind die große Festung Toulon, die Strandbatterien von Marseille, Cette und Befestigungen auf den Hyèrischen Inseln zu nennen. Die Straße nach Italien über den Col di Tenda ist durch das stark befestigte Nizza gesperrt, wie auch die übrigen Paßübergänge durch kleinere Befestigungen. Das Zentrum des Landesverteidigungssystems bildet Paris, dessen Fortslinie von 124 km (s. Karte von Paris) zuletzt noch bei St.-Germain und St.-Denis durch starke Werke ergänzt wurde. Diese sowie die Forts von Palaiseau, Villeneuve, Chelles, Vaujours, Ecouen, Cormeilles und St.-Cyr erfordern die Besatzung von mindestens je einem Bataillon Infanterie und je zwei Bataillonen Fußartillerie für die im Fort und im Anschluß an dieses verwendeten Geschütze; die ganze Festung bedarf etwa 150,000 Mann. Für diese sowie die etwa 3 Millionen betragende Zivilbevölkerung wird stets, wie bei andern bedrohten Plätzen, der Proviant etc. für die ersten beiden Monate einer Belagerung bereit gehalten. Bei andern Festungen haben die Fortgürtel eine geringere Ausdehnung: bei Besançon von 37 km, bei Belfort 35, Toul 40, Verdun 48, Dijon 45, Langres 46 und Reims 64 km. Gegen die große Sprengwirkung moderner Geschosse sind die Wälle der Forts durch Betonierung möglichst geschützt und die dort befindlichen Kampfgeschütze in Panzertürmen (meist je zwei 155 mm-Kanonen) nach System Galopin oder Mougin (Katakomben-Panzerfort) aufgestellt und dadurch der feindlichen Feuerwirkung entzogen; die Hauptgeschützaufstellung plant der Verteidiger außerhalb der Forts. Damit Führer und Truppen sich im Gelände und mit den Verhältnissen der Festung bekannt machen, sind für die Besatzung besondere Festungstruppen an Infanterie, z. B. Regionalregimenter, und Artillerie bestimmt. Für die Ausbildung der betreffenden Offiziere im Angriff und in der Verteidigung fester Plätze wird durch besondere Unterweisungen gesorgt. – Die festen Plätze befinden sich entweder im Friedens- oder im Kriegs- oder Belagerungszustand. Der Gouverneur einer belagerten Festung darf den Verteidigungsrat erst dann berufen, wenn alle Verteidigungsmittel erschöpft sind; stets bleibt ihm aber die Entscheidung. Vor einer etwaigen Übergabe sind alle Fahnen zu vernichten.

Vgl. Dally, La France militaire illustrée (3. Aufl. 1900); Delaperrière, L'armée française: Organisation (1898, 2 Bde.) und Administration (1902, 2 Bde.); »Historiques des corps de troupe de l'armée française« (hrsg. vom Kriegsministerium, 1900); Dussieux, L ' arméeen France, histoire et organisation (1884, 3 Bde.); »Aide-mémoire de l'officier d'état-majoren campagne« (Par. 1902); »Répartition et emplacement des troupes de l'armée française« (das. 1902); Keßler, Tactique des trois armes (das. 1902); Rohne, Die französische Feldartillerie (Berl. 1902); Jähns, Das französische Heer von der großen Revolution bis zur Gegenwart (Leipz. 1873); Obermair, Die Befestigungen Frankreichs (Berl. 1886); »Heere und Flotten der Gegenwart«, Bd. 5: Heerwesen, von Hepke u. Exner (das. 1900); Balck, Zusammenstellung der wichtigsten Angaben über die taktische Verwendung, Ausrüstung, Bewaffnung etc. der deutschen, österreichischen, italienischen, französischen und russischen Armee (das. 1901); Derselbe, Die französische Infanterietaktik (das. 1902).

Kriegsflotte.

Zum Schutze seiner Kolonien, besonders in Nordafrika, Ostasien und Madagaskar, sowie aus Rivalität mit England ist F. eifrig bemüht, seine Flotte, die seit Jahrhunderten nur der englischen an Stärke nach steht, immer weiter auszubauen. Nachteilig für stetige Entwickelung der Flotte ist der häufige Ministerwechsel. Der Marineminister ist häufig kein Fachmann, sondern nur Parlamentarier, und das Schwanken der leitenden Ansichten spiegelt sich im Schiffsbestande wider. Nach dem französischen Flottengesetz vom 14. Dez. 1900 sollen bis zum 1. Jan. 1907 neugebaut werden: 6 Linienschiffe von je 14,865 Ton., 5 Panzerkreuzer von je 12,600 T., 28 Torpedobootszerstörer von je 395 T. für insgesamt 421,5 Mill. Mk., außerdem noch für 94,6 Mill. Mk. Untersee- und Torpedoboote; gleichzeitig sollen 250 Mill. Mk. zum Ausbau der heimischen Kriegshäfen und der überseeischen Flottenstützpunkte ausgegeben werden. Aber da der letzte Marineminister, Admiral Pelletan, wieder zur »jungen Schule« gehört, wird der Bau der neuesten Linienschiffe wieder verzögert und den Unterseebooten der Vorzug ge geben. Dem Marineminister untergeordnet sind: der Generalstabschef der Marine, ferner die Direkt oren für Verwaltung, Schiffbau, Artillerie, submarine Verteidigung und für die Handelsmarine; ferner das hydrographische Amt (service hydrographique). Auch führt der Marineminister den Vorsitz im höhern Marinerat und im höhern Rat für die Handelsmarine. Anfang 1903 zählte die Flotte 21 moderne Linienschiffe von 211,904 T. Wasserverdrängung (Stapellauf 1886–1902), 11 alte Linienschiffe von 105,022 T. (Stapellauf 1873–85), 6 Küstenpanzerschiffe von 32,511 T. (1876–83), 8 Panzerkanonenboote von 11,515 T. (1884–91); ferner 26 große moderne Kreuzer (darunter 20 Panzerkreuzer, 8 von über 10,000 T. Größe), 3 ältere Panzerkreuzer, 1 Torpedobootstransportschiff, 26 kleine moderne Kreuzer, 21 Kanonenboote, 13 Torpedokreuzer, 28 Gegentorpedoboote, 41 Geschwadertorpedoboote, 126 Küstentorpedoboote, 66 Hafentorpedoboote, 14 Unterseeboote fertig, 22 im Bau und 9 weitere bewilligt. Ferner sind als Beischiffe zu rechnen (ohne oder mit geringem Gefechtswert): 6 Transportavisos, 6 Schulschiffe, 1 Kabeldampfer, 6 Transportdampfer sowie eine große Zahl von Werft- und Hasenschiffen. Das Personal zählte 1902: 1559 Seeoffiziere, 327 Maschineningenieure, 470 Sanitätsoffiziere, 343 Zahlmeister, 27 Geistliche, 263 Seekadetten und etwa 50,500 Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Die Marinemannschaften sind nach den 5 Kriegshäfen in 5 Flottenequipagen geteilt. Das Küstengebiet Frankreichs ist in 5 Bezirke (Marine-Arrondissements) mit den Kriegshäfen Cherbourg (Unterbezirke Dunkerque, Le Havre, Cherbourg), Brest (St.-Servan, Brest), Lorient (Lorient, Nantes), Rochefort (Rochefort, Bordeaux), Toulon (Marseille, Toulon, Bastia) geteilt, denen auch die Rekrutierungsbezirke entsprechen. Die Küste von Algerien hat 12 Bezirke mit dem Kriegshafen zu Algier. In Biserta, gegenüber Sizilien, wird ein starker Kriegshafen gebaut. Das Marinearmeekorps, die Marineinfanterie und Küstenartillerie umfassend, sowie die Kolonialtruppen sind dem Kriegsminister unterstellt. In jedem der fünf Kriegshäfen befindet sich ein Marinearsenal; die Marinegeschützfabrik in Ruelle, das Artillerielaboratorium in Gavres, die Artilleriewerkstätten in Nevers, Anker- und Kettenschmiede in Guérigny, Maschinenbauwerkstätte in Indret. Außerdem befinden sich noch Werften in Biserta, Saigon und Port-de-France sowie Werkstätten in Senegal und Neukaledonien. Die Marineausgaben betrugen 1902 insgesamt 252,8 Mill. Mk., darunter 122,3 Mill. Mk. für Schiffbau und Bewaffnung.

Die französische Marine zählte bereits 1672 unter Ludwig XIV. 60 Linienschiffe und mehr als 40 Fregatten und hatte bei seinem Tode noch 150 Schi sse. Ihre größte Stärke erreichte sie während des nordamerikanischen Krieges 1779 mit 89 Linienschiffen und 60 Fregatten. Beim Beginn des ersten Koalitionskrieges 1793 verfügte F. über 81 Linienschiffe, 68 Fregatten und 141 kleinere Schi sse mit 14,000 Kanonen und 78,000 Mann. Später litt die Flotte sehr durch die Engländer (Abukir 1798, Trafalgar 1805), so daß ihr nach dem ersten Pariser Frieden nur 73 alte Linienschiffe und 41 Fregatten blieben. Bei der Expedition nach Algier 1829 zählte sie 45 Linienschiffe mit 3920 Kau onen, 37 Fregatten mit 1852 Kanonen, 34 Korvetten mit etwa 800 Kanonen und 128 kleinere Fahrzeuge. Das zweite Kaiserreich fand eine Flotte von 206 Segel- und 105 Dampfschiffen vor, außerdem waren 53 Schiffe im Bau. Nach wenigen Jahren begann auf Befehl Napoleons III. der Bau der Panzerschiffe, nachdem sich dessen schwimmende Panzerbatterien bei Kimburn im Krimkriege bewährt hatten; 1859 lief die erste Panzerfregatte Gloire vom Stapel, welche die Engländer ebenfalls zum Panzerschiffbau veranlaßte. 1881 war die französische Flotte der englischen ungefähr gewachsen, an Panzerschiffen sogar überlegen; aber später wurde ihr Ausbau vernachlässigt, so daß sie jetzt kaum die Hälfte des Gefechtswertes der englischen Flotte hat. Im Bau waren Anfang 1903: 5 neue Linienschiffe von zusammen 74,325 Ton., 4 Panzerkreuzer von 50,400 T., ferner eine große Zahl von Torpedobooten und Unterseebooten. Vgl. »Heere und Flotten der Gegenwart«, Bd. 6: Die Flotte, von Batsch und Meuß (Berl. 1900); Lockroy, La marine de guerre. Six mois rue Royale (Par. 1896); Chevalier, Histoire de la marine française (vom amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bis 1870, das. 1877–1900, 4 Bde.); Derselbe, Histoire de la marine française depuis les débuts de la monarchie jusqu'an traité de paix 1763 (1902); Delpeuch, Un livre d'or de la marine française. Commandants morts á l'ennemi de 1217 á 1900 (1900); La Roncière, Histoire de la marine française (1899–1900, 2 Bde.); Durrassier u. Valentino, Aide-mémoire de l'officier de marine (Par. 1903, jährlich); De Cuverville, Armée et Marine (illustrierte Zeitschrift, seit 1899) und die Karte »Seestreitkräfte etc.« bei Artikel »Marine«.

Die Nationalfarben und die Flagge Frankreichs sind Blau, Weiß und Rot (Trikolore) in senkrechter Streifung (s. Tafel »Flaggen I«). Die Oriflamme (s. Fahne, S. 267) dient seit Karl VII. nicht mehr als Reichspanier. Das alte bourbonische Wappen bildeten zwei zusammengeschobene Schilde, auf dem rechten blauen drei goldene Lilien (Frankreich), auf dem linken roten ein goldenes Kettennetz (Navarra). Während der Revolution wichen die drei Lilien dem gallischen Hahn und unter Napoleon I. dem goldenen, auf einem querliegenden Donnerkeil sitzenden Adler; mit der Restauration kehrten die Lilien zurück, wurden aber nach der Julirevolution abgeschafft. Napoleon III. brachte den Adler wieder in das Wappen. Ein neues Wappen (Abbildung 1) ist 1896 angenommen: innerhalb eines Kranzes erscheinen die ineinander geschobenen goldenen Initialen R und F im blauen Feld. Hinter dem Kranz, der vom Orden der Ehrenlegion unterzogen ist, kreuzen sich französische Banner, zwischen denen oben ein Fascis sichtbar wird. Ein Eichen- und ein Lorbeerzweig umschließen die Gruppe.

Fig. 1. Wappenemblem der französischen Republik.
Fig. 1. Wappenemblem der französischen Republik.

Der Präsident der Republik führt ein ähnliches Emblem: die beiden Buchstaben auf einen Fascis gelegt, hinter dem sich ein unklarer Anker und ein französisches Banner kreuzen.

Fig. 2. Staatssiegel der französischen Republik.
Fig. 2. Staatssiegel der französischen Republik.

Lorbeer- und Eichenzweige durchziehen das Ganze. Das Staatssiegel zeigt nebenstehende Abbildung (Fig. 2). – Der einzige Orden in F. ist der Orden der Ehrenlegion (s. diesen Artikel und Tafel »Orden II«, Fig. 3).

Kolonien.

Das zuerst im 16. Jahrh. zutage tretende Bestreben verschiedener Franzosen, auswärtige Gebiete zu besiedeln, schien anfangs vielversprechend, wenn es auch bloß auf Raubbau hinauslief. Cartiers und Robervals Versuche, in Kanada festen Fuß zu fassen (1534–44), wurden abgel oft durch Villegaignons Unternehmungen in Brasilien (1555–66) und die ebenfalls von Coligny veranlaßten Festsetzungen Ribauts und Laudonmeres in Florida (1562–68). Doch all diesen mit einem gewissen Eifer begonnenen Gründungen ging bald der Atem aus, da eine nachhaltige Unterstützung des Mutterlandes fehlte. Besser wurde es damit um die Wende vom 16. zum 17. Jahrh., die ja auch im übrigen Europa glänzende Betätigungen privaten Unternehmungsgeistes gesehen hat. Unter den Männern, die seit 1600 vor allem in KanadaFrance-Nouvelle«), allen Anfeindungen selbst einflußreicher Franzosen entgegen, mit Zähigkeit operierten, ist in erster Reihe S. de Champlain (s.d.) zu nennen; doch wäre F. auch hier kaum zu Erfolgen gekommen, wäre nicht Richelieu lebhaft für kolonialen Handel eingetreten und hätte dieser später nicht in Colbert einen genialen Nachfolger gefunden. Durch kluge Verwaltung (Inschachhalten der Irokesen, Jesuiten und Briten) zeichnete sich General Frontenac als Gouverneur von Kanada (1672–98) aus. Kurz danach schien durch d'Iberville als ersten Generalgouverneur der 1700 begründeten Kolonie Louisiana französischer Einfluß auch am Mississippi maßgebend zu werden; von da an wiederholen sich aber die Anstrengungen der Engländer an der Ostküste, der drohenden Gefahr, vom Hinterland abgeschnürt und dadurch an jeder Weiterentfaltung verhindert zu werden, wirksam zu begegnen. Die Darstellung der Besitzergreifung etc. auf den »Karten zur Geschichte Amerikas« (im 1. Bd.) erläutert, soweit die Verhältnisse im östlichen Nordamerika des 18. Jahrh. in Frage kommen, diese weltgeschichtlich außerordentlich wichtige Tatsache. Wäre die ursprünglich schmale und schwache Verbindung New Orleans-Saint-Louis-Große Seen-Montreal-Quebec planvoll verbreitert und verstärkt worden, so säße das Romanentum an der Stelle, wo heute das Angelsachsentum die Wurzeln seiner imperialistischen Weltpolitik hat. Aber bereits unter Ludwig XIV. beginnt der Niedergang; und vier Fünftel des 18. Jahrh. drücken dem französischen Kolonialbesitze den Stempel des Zerfließenden auf. Eingeleitet werden die Rückschritte durch den Frieden von Utrecht (1713): er kostete den Franzosen Akadien (Neuschottland), Neufundland und die (allerdings strittigen) Rechte auf die pelzreichen Jagdgefilde an der Hudsonbai. Verluste über Verluste suchen auch die andern kolonialen Niederlassungen der Franzosen heim. Kurzsichtigkeit und Kleinmut verschulden den Verzicht auf den kostbaren Besitz in Vorderindien, wo ein Dupleix (s.d.) um 1750 nahe daran war, ein zweites großes französisches Kolonialreich zu schaffen; daß der Kampf um die indische Vorherrschaft, die ebenfalls an England übergeht, mit der Hinrichtung des unschuldig verurteilten Grafen Lally-Tollendal (s.d.) schließt, ist für Frankreichs überseeische Politik von damals bezeichnend. Der Friedensschluß von Paris (1763) machte nicht nur dem schönen Traum eines französischen Nordamerika für immer ein Ende (Kanada und Kap Breton, Louisiana bis zum Mississippi fallen an die Briten, das große westliche Stück von Louisiana an die Spanier), sondern lieferte auch in Westindien, wo sich F. mit gutem Erfolge festgesetzt hatte, Dominica, St. Vincent, Tobago (1713 gewonnen) und Grenada endgültig den Engländern aus; um dieselbe Zeit (1758) ging auch die noch aus den Tagen Richelieus und Colberts stammende Senegalkolonie an dieselben glücklichen Nebenbuhler verloren. Dem gegenüber bedeuten die vergeblichen Anstrengungen Choiseuls, Französisch-Guayana (Cayenne) zu fördern (1763 und 1764), und die Scheinerfolge des Abenteurers Benyowski auf Madagaskar (1773–1786) schlechterdings keinen Gewinn. Erst der Unabhängigkeitskrieg der 13 vereinigten Staaten, die 1778 durch Franklin ein Bündnis mit F. geschlossen hatten, wirkt durch die Bedrängnis, in die England gerät, günstig auf den französischen Kolonialbesitz zurück: der Friede zu Versailles (1783) gab F. Tobago und Senegambien wieder. Im März 1790 erhielten die Kolonien (außer denen in Ostindien, am Senegal, auf St.-Pierre und Miquelon) das Recht der Selbstverwaltung: ein Prinzip, das, nach dem es in den Stürmen der großen Revolution zum Verluste der Antillen geführt hatte und schließlich in Vergessenheit geraten war, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. von England mit viel Glück in die Tat übersetzt worden ist. Das Zeitalter Napoleon Bonapartes (vgl. Roloff, Die Kolonialpolitik Napoleons I., 1899) brachte F. nichts weniger als überseeische Erfolge ein: Ägypten konnte nicht behauptet werden, General Leclerc erlag 1802 dem Fieber auf dem aufständischen St. Domingue, das sich 1803 den Engländern ergeben mußte; das 1800 erlangte Louisiana rechts vom Mississippi wurde 1803 wieder verkauft, 1805 wurde die sowieso nie recht schlagfertige Flotte durch Nelson fast vernichtet etc. Wenn F. aus dem zweiten allgemeinen Niedergange, der auch Ostindien ergriff, schließlich doch noch einen Teil seiner ehemaligen Kolonien gerettet hat (Pariser Friede von 1814), so verdankte es dies lediglich dem bekannten Wohlwollen der Verbündeten, die dem Hause Bourbon die Wiederkunft erleichtern wollten. Nachdem dann die Unabhängigkeit von St. Domingue (Haiti) 1825 ausdrücklich anerkannt war, besaß F. nur noch Martinique und Guadeloupe, Saint-Martin zur Hälfte und Guayana teilweise, Saint-Pierre und Miquelon, Senegambien und Réunion (Bourbon), gewisse Rechte auf Madagaskar, Mahé (Malabar), Karikal (Koromandelküste), Pouditscherri, Yanaon und Tschandernagor; hiervon waren die beiden an erster Stelle genannten Kolonien noch am wertvollsten. Einen bemerkenswerten Aufschwung zu neuer Höhe nahm die französische Expansion erst 1830, als es noch unter dem letzten Bourbonen gelang, Algier zu erobern. Seitdem bewegt sich Frankreichs Kolonialpolitik in aufsteigender Linie. 1842–1843 wurden neue Gebiete in Westafrika (Gabon etc.), 1842–47 solche in Ozeanien (Tahiti, Tuamotu und Tubuai, Markesas und Mangareva-Inseln; 1853 Neukaledonien [s. auch Deportation]) erworben. Danach folgt, durch die das Mutterland beschäftigenden inn ern Systemwechsel von 1848–52 verursacht, für die überseeischen Dinge eine kleine Ruhepause. Der Senatsbeschluß vom 3. Mai 1854 schuf für Verfassung und Verwaltung der Kol on ien eine Grundlage, die trotz des Sturzes des Zweiten Kaiserreichs im großen ganzen (abgesehen von inzwischen notwendig gewordenen kleinern Änderungen und Zusätzen) heute noch besteht; über die Behandlung, die F. der Sklaverei angedeihen ließ, s. diesen Artikel. Erwerbungen von ähnlicher Bedeutung, wie die Algiers gewesen war, wurden seit 1862 in Hinterindien (Mekhongmündung) mit immer steigendem Erfolge gemacht (s. den Art. »Französisch-Indochina« mit Karte): wegen der Aussichten auf Südchina tatsächlich ein nahezu vollwichtiger Ersatz für die vorderindischen Versäumnisse ein Jahrhundert vorher. 1881 wurde das französische Protektorat über Tunis erklärt. Und schon richtete sich das Interesse über die Sahara hin weg nach dem Sudân. Auf der soliden Basis der Faidherbeschen Organisation Senegambiens fußend, sind seit 1878 (Soleillet) fast ununterbrochen Expeditionen, Schritt für Schritt nach dem Niger, Tsadsee und darüber hinaus vordringend, tätig gewesen, den Riesenplan durchzuführen, die afrikanische Nordküste und die Oasen des Saharahinterlandes mit Senegambien, Französisch-Guinea, der Elfenbeinküste und dem 1892 eroberten Dahomé einerseits, das französische Kongoland (s. Brazza 1) mit dem mittlern Sudân anderseits zu einem einzigen großen Kolonialreich, einem Großfrankreich in Afrika, zusammenzuschweißen (s. die Karte »Afrika, politische Übersicht« im 1. Band). Sonach steht nur die ostafrikanische Besitzung Obok (1862–83) für sich allein: der 1898 anscheinend geglückte Versuch Marchands, im westöstlichen Zug auch das Nilgebiet zu erreichen, scheiterte 1899 am drohenden Einspruch Englands (s. Faschoda), das sich den Ostsudân vorbehielt. Inzwischen hatten sich aber auf Madagaskar die Dinge dermaßen zugunsten Frankreichs zugespitzt, daß die drittgrößte Insel der Erde 1895 fast ohne Schwertstreich gewonnen ward.

Anstatt der vom Mutterland ausgehenden staatlichen Bevormundung mehr oder weniger privater Handelsunternehmungen (vgl. auch Artikel »Kolonien«, Geschichtliches) in Nord- und Mittelamerika und in Vorderindien hat sich im Laufe der Jahrhunderte eine planvolle Selbstverwaltung kolonialer französischer Tochterstaaten in Nordwestafrika und Hinterindien (Extrême Orient) durchgesetzt.

Die außereuropäischen Besitzungen Frankreichs zerfallen in drei Gruppen: 1) Algerien, das wie die französischen Departements verwaltet wird; 2) die Kolonien, die dem Ministerium der Kolonien unterstehen; 3) die Schutzstaaten unter dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten. Alle diese Besitzungen, deren gesamter Flächeninhalt nicht genau angegeben werden kann, haben zusammen eine Bevölkerung von 51,560,000 Einw. Areal und Bevölkerung der Besitzungen (vgl. Karte »Kolonien«) zeigt nachstehende Tabelle. Über den Aufwand Frankreichs für seine Kolonien (das Budget für 1902 s. oben, S. 864) vgl. das Textblatt zur genannten Karte.

Tabelle

Geographisch-statistische Literatur.

I. Frankreich. Außer den in den einzelnen Abschnitten, besonders über Finanzen (S. 864), Heerwesen (S. 869), Marine (S. 870) angegebenen Werken vgl. »Dictionnaire topographique de la France« (1861ff., auf Veranlassung des Unterrichtsministeriums herausgegeben; jedes Departement bildet einen Band); Joanne, Dictionnaire géographique et administratif de la France et de ses colonies (1890ff., bisher 6 Bde.); Meyrat, Dictionnaire national des communes (7. Aufl. 1904); »Dictionnaire des communes, France et Algérie« (Berger-Levrault, zuletzt 1903); E. Reclus, La France (Bd. 2 der »Nouvelle Géographie universelle«, 1877); Hahn, F., in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, 2. Teil (Prag 1890); Maltebrun, La France illustrée (neue Ausg. 1895–97); Marga, Géographie militaire, Bd. 1 u. 2: France et colonies (4. Aufl. 1885); O. Reclus, La France et ses colonies (1886, 2 Bde.); Levasseur, La France et ses colonies (neue Ausg. 1890–93, 3 Bde.); Schrader, Geographie de la France et de ses colonies (neue Ausg. 1903), ebenso von Gasquet (2. Aufl. 1901); weitere Werke über die Kolonien s. unten, S. 873; Havard, La France artistique et monumentale (1892 bis 1895, 6 Bde.); Brossard, Geographie pittoresque et monumentale de la France (1899–1903, 5 Bde.); Ardouin-Dumazet, Voyageen France (Sammelwerk, 1893ff.); Baudrillart, Les populations agricoles de la France (1880–93, 5 Bde.); Risler, Géologie agricole (1884–97, 4 Bde.; Bd. 1 in 2. Aufl. 1898); Meunier, Géologie regionale de la France (1889); A. Lacroix, Mineralogie de la France et de ses colonies (1893–98, 2 Bde.); Hellwald, F. in Wort und Bild (Leipz. 1884–87); Boisjoslin, L es peuples de la France (1879); Heller, Realenzyklopädie des französischen Staats- und Gesellschaftslebens (Oppeln 1888); Fernandez, La France actuelle. Études d'économie politique et de statistique (1888); Lebon, Das Staatsrecht der französischen Republ ik (Freiburg 1886); Brie, Die gegenwärtige Verfassung Frankreichs (Bresl. 1892); Leverdays, Nouvelle organisation de la Republique (1892); Bellangé, Le gouvernement localen France (1900); Turquan, Manuel de statistique pratique, statistique générale de la France (1891); Block, Dictionnaire de l'administration française (4. Aufl. 1898); Voisin- Bey, Die Seehäfen Frankreichs (deutsch, Leipz. 1886); »Ports maritimes de la France« (bisher 7 Bde, 1874 bis 1900); die offizielle »Statistique de la France«; »Annuaire statistique de la France« (seit 1878) und das jährlich erscheinende Staatshandbuch: »Almanach national«. Reisehandbücher in der Collection des Guides Joanne (Paris), von Bädeker (in verschiedenen Bänden: La Nord-Est, Le Nord-Ouest, Le Sud-Est, Le Sud-Ouest de la France) und MeyerParis und Nordfrankreich«).

Kartenwerke (Speziallarten): Cassini, Carte topographique de la France (1: 86,400, Par. 1744 bis 1793, in 182 Bl., nur noch von historischem Wert); »Carte de la France« (1: 80.000, das. 1818–82, in 267 Bl.; offiziell vom Service géographique de l'armée); seit 1889 erscheint eine neue, gründlich korrigierte Ausgabe dieser Karte, in Viertelblättern, in ca. 950 Bl., ferner eine photographische Vergrößerung, 1: 50,000, liegt fertig vor. Eine vollständige Umgestaltung der Generalstabskarte und Neuzeichnung in 1: 50,000 ist geplant; »Carte de France dressée par le service vicinal« (1: 100,000, offiziell vom Ministerium des Innern, 587 Bl., 1893); »Carte de la France« (im Maßstab 1: 320,000, in 33 Bl., 1852 bis 1881, wird nicht kurrent gehalten); »Carte de France« (1: 200,000, sechsfarbig, 81 Bl., seit 1883); »Carte de France« (1: 500,000,15 Bl., hauptsächlich Wegekarte); über die Fortschritte der offiziellen Kartographie in F. vgl. Berthaut, La Carte de France 1750–1898, étude historique (1898–99, 2 Bde.). Saunois de Chevert, Carte économique de la France (1889); Cuny, Atlas forestier de la France (1: 320,000,1889); Prudent, France en 6 feuilles (1: 1,000,000), in Hachettes »Atlas universel«. Generallarte von Vogel (1: 1,500,000, in Stielers »Handatlas«, 4 Bl.); Levasseur, France au 600,000 (6 Bl., 1895). – H. Pigeonnot und F. Drivet, Carte hypsométrique de la France (1: 800,000,1878,6 Bl.); die amtliche »Carte géologique de la France« (1: 80,000, seit 1867), daneben eine Reduktion 1: 320,000, und Übersichtsblatt in 1. 1,000,000 (1339); Vasseur u. Carey, Carte géologique de la France, 1: 500,000 (1889); Thoulet, Cartes lithographiques, 22 Bl. (1903), für Fischerei von großem Wert. Verkehrskarten: vom Service géographique de l'armée herausgegeben, 1: 800,000, 6 Bl. (1900); vom Ministère des travaux publics, 1: 1,000,000,2 Bl. (1903). Für die Topographie ist Joanne, Atlas de France (95 Bl.), von Wert. Ein auf ca. 1900 Blätter berechneter »Atlas linguistique«, hrsg. von Gilliéron u. Edmont, erscheint seit 1900.

II. Für die Kolonien vgl. A. Zimmermann, Die Kolonialpolitik Frankreichs von den Anfängen bis zur Gegenwart (Berl. 1901); Lanessan, L'expansion coloniale de la Frau ce (1886); Henrique, Les colonies françaises (1889–90, 6 Bde.); Gaffarel, Les colonies françaises (6. Aufl. 1900); E. Petit. Organisation des colonies françaises (1894–95, 2 Bde.); Guénin, Histoire de la colonisation française. La Nouvelle France (1896–1898, 2 Bde.); Chailley-Bert, Les compagnies de colonisation sous l'ancien regime (1898); Darcy, France et Angleterre, cent années de rivalité coloniale (Bd. 1: L 'Afrique, 1903); »Les colonies françaises«, Monographien verschiedener Verfasser (1900–01, 5 Bde. und ein Einleitungsband von Roux); M. Petit, Les colonies françaises. Petite encyclopédie coloniale (1902, 2 Bde.). Morel, The French in Western and Central AfricaJournal of the African Society«, Bd. 2, 1902); »Annuaire coloniale« (amtlich); Pelet, Atlas des colonies françaises (1903,27 Karten mit Text).

Geschichte

(Hierzu die »Geschichtskarte von Frankreich«, mit Registerblatt.)

F. ist ebenso wie Deutschland aus dem Frankenreich (s.d.) hervorgegangen, das der deutsche Stamm der Frau ken unter Chlodwig 486 begründet und das sich über das alte Gallien und Germanien verbreitet hatte. Erst 843 durch den Vertrag von Verdun, in dem sich die Söhne Ludwigs des Frommen das Frankenreich teilten, erlangte das alte Gallien (s.d.) wieder eine Sonderexistenz, indem der jüngste Sohn, Karl der Kahle, das Land westlich von Rhone, Saône und Maas (auch das Gebiet zwischen Pyrenäen und Ebro gehörte dazu) als westfränkisches Reich erhielt. Dessen Bevölkerung war allerdings keine gleichartige; zwar waren die eingewanderten Franken infolge des Übergewichts der alten Kultur romanisiert worden, aber sie hatten doch bedeutende Einwirkung auf Sprache, Wesen und Art der Bevölkerung nördlich der Loire ausgeübt. Aber südlich der Loire, wo die Franken erst später erschienen waren und sich nur in sehr geringer Anzahl niedergelassen hatten, bestand die galloromanische Bevölkerung in unvermischter Reinheit fort, während im Südwesten Basken, im Nordwesten, in der Bretagne, nicht romanisierte Kelten wohnten.

Tabelle

Daher gab es in Sprache, Sitte und Rechtsleben einen wesentlichen Unterschied zwischen Nord- und Südfranzosen, der noch lange auch in der politischen Entwickelung nachgewirkt hat.

Frankreich unter den Karolingern (843–987).

Westfrankens Lage unter der Herrschaft der Nachkommen Karls d. Gr., der Karolinger, war sehr trübe. Während des Krieges der drei Söhne Ludwigs des Frommen gegeneinander hatten die großen Vasallen die Macht an sich gerissen, namentlich von dem Besitztum der kleinen Freien und der Kirche genommen, was ihnen gefiel. Karl (II.) der Kahle (843 bis 877) vermochte die Gewalttätigkeit der Großen und die dadurch verursachte innere Zerrüttung nicht zu bemeistern, zumal da er durch die alljährlich wiederholten Einfälle der Normannen und Sarazenen zu leiden hatte. Bordeaux, Paris, Nantes, Angers, Orléans und viele andre große Städte des Landes wurden von den Normannen ausgeraubt und niedergebrannt. Der Süden Frankreichs zwischen Loire und Pyrenäen (Aquitanien) machte sich völlig unabhängig von dem König in Paris, ebenso die Bretagne. Trotz seiner Ohnmacht in F. selbst war Karl auf Vermehrung seines Besitzes und seiner Macht eifrig bedacht. Nach dem Tode seines Neffen Lothar II. teilte er dessen Land, Lotharingen (Lothringen), mit seinem Bruder Ludwig dem Deutschen in dem Vertrag zu Mersen (870): Maas, Ourthe und Jura wurden die Grenzen Westfrankens gegen Ostfranken oder Deutschland. Als Kaiser Ludwig II. 875 starb, eilte Karl nach Rom und ließ sich vom Papst Johann VIII. die Kaiserkrone aufsetzen. Seine Nachfolger Ludwig II. (der Stammler, 877–879), Ludwig III. (879–882) und Karlmann (882–884) konnten während ihrer kurzen Regierungszeit den trotzigen Großen gegenüber ihr Ansehen kaum behaupten, geschweige befestigen. Da indes die Normannen furchtbarer denn je hausten, riefen die westfränkischen Großen nach Karlmanns frühem Tod (884) den ostfränkischen Kaiser Karl den Dicken zu ihrem Herrscher aus. Da aber Karl die Paris belagernden Normannen, anstatt sie zu bekämpfen, schmachvollerweise mit Geld zum Abzug bewog, wurde er 887 auf dem Reichstag zu Tribur abgesetzt; die zwei fränkischen Reiche trennten sich von neuem, und jedes ging fortan seinen eignen Weg. Bei der Neubesetzung des Thrones übergingen die westfränkischen Großen den einzigen noch lebenden Sohn Ludwigs II., Karl, und erhoben den tapfern Grafen Odo von Paris zum König, den Sohn Roberts des Tapfern, dem Karl der Kahle das Land zwischen Seine und Loire zu Lehen gegeben hatte. Als jedoch Karl III., der Einfältige, herangewachsen war, scharte er eine starke Partei um sich und erlangte nach Odos Tode (898) die unbestrittene Herrschaft. Um Ruhe vor den Normannen zu erhalten, trat er deren Führer, Hrolf Gangr, das Gebiet der untern Seine als westfränkisches Lehen ab (911), worauf derselbe zum Christentum überging und als Robert der erste Herzog der Normandie wurde. Die Raubzüge der Normannen in F. hatten nun ein Ende, und überraschend schnell nahmen die in der Normandie fest angesiedelten Skandinavier mit dem Christentum auch romanische Sprache und Kultur an.

Auch Karl III. vermochte auf die Dauer nicht, die verräterischen Vasallen im Zaume zu halten. Er wurde 923 von Robert, Odos Bruder, geschlagen und durch Hinterlist bis an seinen Tod (929) eingekerkert. Nach der Herrschaft Rudolfs von Burgund (923–936) folgte der nach England geflüchtete und deshalb der »Überseeische« (d'Outremer. Ultramarinus) genannte Sohn Karls III., Ludwig IV. Er war aber nur ein Werkzeug in der Hand Hugos d. Gr., Odos Neffen, der das ganze Land zwischen Aisne und Loire als Herzogtum Francien und dazu noch das französische Herzogtum Burgund beherrschte. Unter Kaiser Ottos Schutz folgte auf Ludwig IV. (954) dessen 13jähriger Sohn Lothar II., dessen Regierung ruhig, aber auch machtlos war, und diesem (986) sein Sohn Ludwig V., der, wegen seiner kurzen, tatenlosen Regierung »der Faule« (le Fainéant) genannt, schon 987, noch nicht 20 Jahre alt, starb. Der einzige noch übrige Karolinger, Lothars II. Bruder Karl, war als Herzog von Niederlothringen deutscher Vasall. Dies benutzte der Sohn Hugos d. Gr., Herzog Hugo von Francien, mit dem Beinamen Capet (Kapuze), um sich von den Großen die Königskrone zu erwirken. Ein Versuch Karls, sie ihm zu entreißen, scheiterte; Karl und sein Sohn beschlossen ihre Tage im Kerker. Damit endete die Herrschaft der westfränkischen Karolinger.

Die Herrschaft der direkten Linie der Kapetinger (987–1328).

987 gelangte die Dynastie der Kapetinger auf den französischen Thron, den sie in verschiedenen Linien bis zur Mitte des 19. Jahrh. behauptete. Das Reich, das sie antrat, befand sich in völligster Zerrüttung. Den politischen Zerfall Frankreichs verhindert, es neu organisiert und allmählich fast alle französisch redenden Gebiete des alten Frankenreichs zu Einem Staat vereinigt, so die französische Nation eigentlich erst geschaffen zu haben, das ist das Verdienst des kapelingischen Herrscherhauses. Auch der Name France (F.) rührt von ihm, seinem unmittelbaren Besitztum Francien her; seitdem wurden die Bewohner Frankreichs Franzosen genannt. Hugo Capet (987–996) mußte freilich erkennen, daß anfangs seine Macht durch die königliche Würde nicht verstärkt, sondern vermindert war. Nur durch Nachgiebigkeit, Schenkungen, Anerkennung der vollendeten Tatsachen vermochte Hugo sich zu behaupten und durch vorsichtiges, aber konsequentes Festhalten an der Oberlehnsherrlichkeit der Krone dieser allmählich eine moralische Macht zu verschaffen. Die Befestigung der Dynastie auf dem Thron und die Anerkennung der Erblichkeit der Monarchie in F. beförderten die Kapetinger ferner dadurch, daß die ersten Könige noch bei Lebzeiten den zur Thronfolge bestimmten Sohn krönen ließen und zum Mitregenten annahmen, wobei das Glück sie auffallend begünstigte. Fast nie hinterließ ein König einen unmündigen Sohn, nie war die Thronfolge zweifelhaft, so daß nie ein verderblicher Erbstreit entstand und die Großen des Reiches nie in Versuchung kamen, ihr Wahlrecht auszuüben.

Auf Hugo Capet folgte 996 sein schon mehrere Jahre zuvor von den Großen anerkannter und gekrönter Sohn Robert (996–1031), der, mit Dichtkunst und Musik beschäftigt, in mönchischer Zurückgezogenheit lebte, aber mit den großen Vasallen in gutem Einvernehmen stand. Heinrichs I. (1031–1060) Regierung war durch manche Kämpfe mit Verwandten und Vasallen beunruhigt und, abgesehen davon, daß er 1059 die Krönung seines Sohnes erreichte, erfolglos. Dieser, Philipp I. (1060–1108), war von zügellosen Sitten und zog sich durch sein anstößiges eheliches Leben den Bann der Kirche zu. Unter ihm erwuchs der französischen Monarchie eine schwere Gefahr dadurch, daß Herzog Wilhelm von der Normandie 1066 England eroberte und nun der mächtigste französische Vasall eine unabhängige Königskrone trug. Die Zeit größerer Kraft und stärkern Einflusses begann für das französische Königtum erst, als Philipp 1101 seinen Sohn Ludwig zum Mitregenten berief und dieser 1108 auf dem Throne folgte. Ludwig VI. (»der Dicke«, 1108–37) strebte zwar noch nicht die Unterwerfung der großen Vasallen unter den königlichen Willen an, aber in den unmittelbaren Besitzungen der Krone, in Isle-de-France und im Orléanais, in Sens und Bourges, wollte er Herr sein, wollte er die Kirche und das niedere Volk, die bisher schutzlos dem Wüten raubgieriger Burgherren preisgegeben waren, in ihren Rechten und ihrem Eigentum schützen. Mit Hilfe der von ihm begünstigten Städte, denen er mancherlei Freiheiten und Rechte verlieh, zwang Ludwig VI. bald auch seine trotzigen Lehnsträger zum Gehorsam, und als der deutsche Kaiser Heinrich V. 1124 den französischen König mit Krieg bedrohte, scharten sich Große, Ritter und Volk wetteifernd in Reims um das königliche Banner, so daß der Kaiser sein Vorhaben aufgab. Ludwig VII. (1137–80) folgte dem allgemeinen Zuge der Zeit, indem er gemeinsam mit dem deutschen König Konrad III. einen Kreuzzug nach Palästina unternahm (1147–49), der erfolglos blieb. Von Anfang an war die religiös-ritterliche Bewegung, die in den Kreuzfahrten ihren Ausdruck fand, in F. besonders mächtig gewesen und hatte in Verbindung mit dem Einfluß der höhern orientalischen Kultur auf das sittliche und Geistesleben Frankreichs bedeutend eingewirkt. Das idealen Enthusiasmus mit Abenteuerlust verbindende Rittertum erhielt in F. seine erste Ausbildung und entfaltete hier seine höchste Blüte; auch die ritterliche Poesie entstand auf französischem Boden. Die bildenden Künste erhielten gleichfalls eine wirksame Anregung, und die in F. erwachsene gotische Architektur brachte hier herrliche Bauwerke hervor und verbreitete sich über das ganze Abendland. So herrschte in F. im 12. Jahrh. außerordentliche Rührigkeit, Frische und Fruchtbarkeit des geistigen Lebens.

Allein die Macht des Königtums ward von neuem dadurch gefährdet, daß Ludwig VII. sich 1152 von seiner sittenlosen Gemahlin Eleon ore von Aquitanien trennte und es zuließ, daß diese ihr Erbgut (Poitou, Guienne, Gascogne u. a.) ihrem zweiten Gemahl Heinrich Plantagenet, der 1154 König von England wurde, zubrachte. Da Heinrich als französischer Graf Anjou, Touraine und Maine besaß, als englischer König Herzog der Normandie wurde und Ludwig VII. 1169 im Frieden von Montmirail noch zwang, ihm die Bretagne und Querry abzutreten, war die ganze westliche Hälfte von F. (27 der jetzigen Departements) im Besitz des englischen Königs. Deshalb strebte Ludwigs VII. Sohn, Philipp II. (»Augustus«, d. h. Mehrer des Reiches, 1180–1223), vor allem danach, die Macht des Hauses Plantagenet in F. zu brechen und dessen französische Besitzungen an sich zu bringen. Die Empörungen der Söhne Heinrichs II. gegen den Vater, dann ihr Zwist untereinander begünstigten Philipps Politik. 1189 mußte Heinrich II. Berrn und Auvergne an die französische Krone abtreten. Der Beteiligung am dritten Kreuzzug konnte sich Philipp nicht entziehen. Aber sofort nach der Eroberung von Akka (1191) kehrte er nach F. zurück und benutzte die lange Abwesenheit des Königs Richard Löwenherz von seinem Reich, um dessen treulosen Bruder Johann durch das Versprechen, ihm zum englischen Thron zu verhel sen, zur Abtretung des östlichen Teiles der Normandie und der größern Hälfte der Touraine zu bewegen (1193). Die Unwürdigkeit Johanns ohne Land brachte nach Richard Löwenherz' Tode die lange gärende Empörung in den französischen Besitzungen der Plantagenets zum Ausbruch. Philipp benutzte dies, um 1204 die Normandie, Anjou, Maine, Touraine und Poitou zu erobern, und behauptete im Waffenstillstand zu Thouars 1206 alle Länder nördlich der Loire, besonders die Normandie und Bretagne. Sein Sieg bei Bouvines (27. Juli 1214) über die englisch-welfische Streitmacht sicherte die Überlegenheit der französischen Krone über den englischen Ri valen, erhöhte das Nationalgefühl der Franzosen und verknüpfte sie durch die Bande des Ruhmes und der kriegerischen Ehre mit der kapetingischen Dynastie. Eine neue beträchtliche Machtvergrößerung des französischen Königtums wurde unter Philipp II. angebahnt, indem Simon von Montfort, dem die Kirche den Krieg gegen die albigensischen Ketzer und die Herrschaft in Toulouse übertragen hatte, den Schutz und Beistand des Königs anrufen und sich seiner Lehnshoheit unterwerfen mußte. Philipps II. Sohn, Ludwig VIII. (1223–26), erlangte von den Montforts die förmliche Abtretung aller ihrer Rechte auf die albigensischen Länder. Schließlich endete der Krieg gegen die Ketzer mit der Eroberung der Grafschaft Toulouse und der Ausbreitung der kapetingischen Herrschaft auch über Südfrankreich (1243).

Ludwigs VIII. Sohn, Ludwig IX. (1226–70), war bei des Vaters Tod erst 11 Jahre alt, und so übernahm seine Mutter Blanka von Kastilien die Regentschaft und führte sie mit Entschlossenheit und Tatkraft. Die Vasallen versuchten gegen das drückende Joch der Königsherrschaft eine Empörung, die Blanka 1231 niederschlug. Selbst zur Regierung gelangt, befestigte Ludwig »der Heilige« durch Wohlwollen und Weisheit das Königtum in den Herzen des Volkes. Mit dem englischen König schloß er 1259 einen Vertrag, in dem er jenem die bereits entrissenen Gebiete Aquitaniens zurückgab, wogegen England seinen Rechten auf die Normandie und die Grafschaften an der Loire entsagte und für Aquitanien die Oberlehnsherrlichkeit der französischen Krone anerkannte. Diese Oberlehnshoheit wurde nun von Ludwig IX. zu einer wirklichen Herrschaft ausgebildet und dem König eine höhere Stellung über den Vasallen verschafft. Das Parlament von Paris wurde zum obersten Gerichtshof erhoben, der meist aus rechtsgelehrten königlichen Räten bestand, und dessen Rechtssprüche auch die großen Vasallen anerkennen mußten, und durch die »Satzungen des heiligen Ludwig« (Etablissements de saint Louis), eine Zusammenstellung alter Rechtsgewohnheiten und neuer gesetzlicher Verordnungen, die aber nicht von dem König selbst veranlaßt ist, ein geordnetes Rechtsleben geschaffen. Die Entwickelung der Städte förderte der König durch Verleihung der Selbstverwaltung, Regelung der Abgaben, der Zölle, des Münzwesens etc. und durch Begünstigung von Handel und Gewerbe. Trotz seiner eifrigen Frömmigkeit wahrte er die alten Rechte der französischen Nationalkirche, die freie Wahl der Bischöfe und das Verbot von Abgaben an die Kurie ohne Zustimmung des Königs gegen die Ansprüche des Papsttums. In dem ihm unmittelbar unterworfenen Gebiet, das etwa 39 der jetzigen Departements umfaßte, übte der König seine Gewalt durch Beamte und erhob regelmäßige Steuern. Diese Erfolge wurden auch nicht durch die Kreuzzüge beeinträchtigt, die Ludwig IX. aus christlichem Eifer gegen die Sarazenen unternahm, und deren erster ihn sechs Jahre (1248–54) in Ägypten und Palästina von F. fernhielt, auf deren zweitem er vor Tunis 1270 starb. Die Früchte seiner Tätigkeit erntete sein Sohn Philipp III., »der Kühne« (1270 bis 1285), der auch nach dem Tode seines Oheims Alfons die Provence, Toulouse und Poitou wieder an die Krone brachte.

Philipps III. Nachfolger, Philipp IV., »der Schöne« (1285–1314), brach kühn mit allen Überlieferungen der mittelalterlichen Staatskunst, stellte sich nur auf den Standpunkt der Nützlichkeitstheorie und führte auf politischem und sozialem Gebiet eine völlige Umgestaltung des Reiches durch. Er befreite sich von dem Einfluß der Feudalität, indem er die Verwaltung und Rechtsprechung ausschließlich Rechtsgelehrten bürgerlichen Standes übertrug, aus denen er seinen Rat (conseil) bildete. Seine übergreifende Gewalt verteidigte eine stetig wachsende Polizeimacht (sergeants d'armes) im Innern, eine sein organisierte Diplomatie nach außen. Die geistliche Gerichtsbarkeit wurde beschränkt, durch Entfernung der Geistlichen aus der Rechtspflege und Verwaltung die Macht des Klerus gemindert. Durch Heirat brachte er die Champagne an die Krone. Auch erobernd trat er auf: dem König von England entriß er einige Gebietsteile an der Garonne und brachte die Bretagne unter französische Oberhoheit; den mit England verbündeten Grafen von Flandern nahm er durch Verrat gefangen und eroberte dessen Land (1300). Als er mit dem herrschsüchtigen Papst Bonifatius VIII. in Streit geriet, weil er einen den französischen Klerus zur Empörung aufreizenden Legaten eingekerkert hatte, und der Papst den Bann über ihn aussprach, stellte er sich ihm kühn entgegen. Er berief 1302 eine große Reichsversammlung (die ersten wirklichen Generalstände) nach Paris, auf der nicht bloß Adel und dritter (Bürger-) Stand, sondern auch die Geistlichkeit erklärte, daß sie zur Wahrung der Ehre und Rechte des Reiches und der Krone zum König stehen und ihn mit Gut und Leben unterstützen würden. Zugleich ließ Philipp durch einige Getreue, die den römischen Adel zur Empörung anstachelten, den Papst zu Anagni überfallen und gefangen nehmen; Kummer und Zorn töteten Bonifatius nach wenigen Wochen (1303). Sein Nachfolger Benedikt XI. hielt es für geraten, sich mit dem König auszusöhnen, und Clemens V., ein Franzose, verlegte zum Dank für die ihm bei seiner Wahl von Philipp gewährte Unterstützung seine Residenz auf französischen Boden (1305), schließlich nach Avignon (1309), wodurch das Papsttum in schmähliche Abhängigkeit von der französischen Krone geriet; dies zeigte sich, als der Papst 1312 den Templerorden aufhob und dem König die grausame Hinrichtung angesehener Templer sowie die Einziehung der reichen Güter des Ordens erlaubte. Philipp nahm Lyon dem machtlosen Deutschen Reich ab. Dagegen ging Flandern der französischen Herrschaft verloren, indem die Städte daselbst unter Führung des Webers Peter Koning von Brügge sich empörten und das französische Adelsheer 1302 bei Courtrai besiegten. Unter Philipps Sohn, Ludwig X., »dem Zänker« (1314 bis 1316), begann gegen die zentralisierende antifeudale Richtung des Königtums von seiten des Adels eine Reaktion, die zur Entlassung der meisten Räte Philipps IV. und zur Hinrichtung seines Finanzministers Enguerrand de Marigny führte und, von Ludwigs Bruder und Nachfolger, Philipp V., »dem Langen« (1316–22), zurückgedrängt, unter dem jüngsten der Brüder, Karl IV. (1322–28), vollständig triumphierte. Karl erhielt von den Flamen den südlichen, französisch redenden Teil Flanderns, von den Engländern den Distrikt von Agen abgetreten, indem er sich geschickt in die innern Streitigkeiten beider Völker einmischte. Aber da er gleichfalls keine Söhne hinterließ, erlosch nach seinem Tode (1. Febr. 1328) die ältere Linie der Kapetinger im Mannesstamm nach 31/2 hundertjähriger Herrschaft. Weil schon 1317 eine Reichsversammlung in Paris erklärt hatte, daß in F. auf Grund des Salischen Gesetzes der Franken Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen seien, wurde trotz des Einspruchs des Königs Eduard III. von England, der als Sohn Isabellas, einer Tochter Philipps IV., den französischen Thron beanspruchte, Philipp aus der kapetingischen Seitenlinie der Valois als König allgemein anerkannt.

Der 100jährige Krieg mit England.

Philipp VI. (1328–50) erwarb das Dauphiné (1349), nach dessen Fürstentitel die französischen Thronerben fortan Dauphin genannt wurden. Dagegen kam es (seit 1337) zum Krieg mit England, als Eduard III. sich in den Streit der flandrischen Städte mit dem von Philipp eingesetzten Grafen einmischte. Gleich bei Beginn des Kampfes wurde die französische Flotte von der englischen 1340 bei Sluys vernichtet, 25. Aug. 1346 das glänzende französische Adelsheer von den Engländern bei Crécy völlig besiegt. Philipps Sohn, Johann der Gute (1350–1364), ließ sich von dem Schwarzen Prinzen und dessen fünffach schwächerm Heer 19. Sept. 1357 bei Maupertuis schlagen und gefangen nehmen; es war dies die schmachvollste Niederlage des stolzen französischen Adels. Ergrimmt erhoben sich gegen denselben die Bauern in der sogen. Jacquerie, während die großen Städte, zumal Paris unter Etienne Marcel, die Gefangenschaft des Königs zu benutzen suchten, um die Regierung des Reiches an sich zu reißen. Indes gelang es dem Dauphin Karl, mit Hilfe des fest geeinten Adels beide Bewegungen unter furchtbarem Blutvergießen zu unterdrücken (1358). Mit England mußte er 1360 den Frieden von Bretigny schließen, in dem er den ganzen Südwesten Frankreichs von den Pyrenäen bis zur Loire sowie im Nordwesten das Gebiet von Calais und Guines (19 der jetzigen Departements) Eduard III. als souveränen Besitz überließ und die Freilassung König Johanns mit 3 Mill. Goldtaler erkaufte. Nachdem Johann noch dadurch schwere Gefahren für F. heraufbeschworen hatte, daß er 1363 das der Krone heimgefallene Herzogtum Burgund seinem zweiten Sohn, Philipp, übertrug und so eine Nebenlinie der Valois begründete, starb er 1364. Sein Nachfolger Karl V., »der Weise« (1364–80), nahm die Unzufriedenheit der unter englische Herrschaft gelangten Provinzen, in denen sich das französische Nationalgefühl regte, zum Anlaß, den Krieg gegen England wieder zu beginnen, der in folge des Siechtums des Schwarzen Prinzen sehr günstig verlief. Die Bretonen Duguesclin und Clisson entrissen den Engländern fast alle ihre Eroberungen wieder (1369–75); Kastilien und Neapel ordneten sich dem französischen Einfluß unter. Die Zuchtlosigkeit der Söldnerbanden (Routiers) unterdrückte der König, war auf gute und schnelle Rechtspflege bedacht und brachte trotz des Krieges Handel und Gewerbe in Aufschwung. Aber schon 1380 starb Karl V., das Reich seinem noch nicht zwölfjährigen Sohn Karl VI. (1380–1422) hinterlassend. Der Streik der Oheime des jungen Königs, Johann von Berry und Philipp von Burgund, um die Herrschaft und der Übermut und die Habgier des Adels riefen in verschiedenen Teilen des Reiches Aufstände des Volkes hervor, die indes gewaltsam unterdrückt wurden, so namentlich der in Flandern durch die Schlacht bei Roosebeke (1382). Als Karl VI. selbst die Zügel der Regierung ergriff und die alten Räte seines Vaters wieder einsetzte, besserten sich die Verhältnisse. Doch verfiel er schon 1393 in Wahnsinn, von dem er seitdem nur für kurze Zeit frei war.

Nun bemächtigten sich Philipp von Burgund, der die Erbschaft des flandrischen Grafenhauses an sich gerissen hatte, und der Bruder des Königs, Herzog Ludwig von Orléans, der Regentschaft, indem sie sich beständig um den maßgebenden Einfluß stritten. Der Tod Philipps von Burgund (1404) brachte die Ge walt ganz in die Hände des Herzogs von Orleans, der dieselbe aber, im Einverständnis mit der Königin Isabeau, auf das schändlichste mißbrauchte, um in Üppigkeit und Pracht zu leben, den König in Mangel und Schmutz verkommen zu lassen und das Volk auf jede Weise zu drücken. Die allgemeine Unzufriedenheit benutzte der Sohn Philipps von Burgund, Johann der Unerschrockene, um an der Spitze eines Heeres in Paris einzuziehen und die Macht des Herzogs von Orléans zu brechen (1405). Als dieser von neuem Streit erhob, ließ Johann ihn 1407 ermorden und erlangte damit die Herrschaft in F., die er zur Hebung des Bürgertums benutzte. Ihm stand die Adelspartei gegenüber, deren Haupt der Graf von Armagnac und die namentlich im südlichen F. zahlreich und mächtig war. Der Kampf zwischen den Bourguignons. die den Norden des Reiches mit Paris beherrschten, und den Armagnacs zerrüttete jahrelang das Reich. Als der Dauphin Ludwig sich den Armagnacs zuneigte, erhob sich wider ihn der Pariser Pöbel, von dem Fleischer Caboche geführt, und übte in der Hauptstadt einen blutigen Terrorismus aus, bis der Dauphin die »Cabochiens« 1413 unterdrückte und den Burgunder aus Paris vertrieb. Johann rief die Engländer um Beistand an, die 1415 unter König Heinrich V. in F. landeten und 25. Okt. das dreifach überlegene französische Heer bei Azincourt besiegten. Unterstützt von Burgund und der Königin Isabeau, die ihren eignen Sohn Karl (seit dem Tode Ludwigs Dauphin) bitter haßte, eroberten die Engländer einen großen Teil Frankreichs; 1418 fiel auch Paris in ihre Gewalt. Als der Dauphin 1419 den Herzog von Burgund verräterisch auf der Yonnebrücke bei Montereau ermorden ließ, erklärte sich der ganze Norden für Burgund und England. Heinrich V. heiratete eine Tochter Karls VI. und wurde 1420 im Vertrag von Troyes, den das Parlament zum Reichsgesetz erhob, als Nachfolger in F. anerkannt. Indes starb er schon im Sommer 1422 mit Hinterlassung eines einjährigen Sohnes, Heinrichs VI., und wenige Monate später (im Oktober 1422) folgte ihm der blödsinnige Karl VI. in das Grab. Der Norden Frankreichs huldigte nun dem unmündigen Heinrich VI. von England; der bisherige Dauphin wurde nur südlich der Loire als König Karl VII. (1422–61) anerkannt. Die Engländer griffen 1428 auch das wichtige Orleans an. Karl VII. verzweifelte an der Rettung des Landes. Allein im hartbedrückten Volke regte sich das Nationalgefühl. Im äußersten Osten des Reiches, in Domremy, erhob sich Jeanne d'Arc, ein 17jähriges schwärmerisches Landmädchen, das im Glauben, durch himmlische Visionen zur Rettung des Vaterlands berufen zu sein, an den Hof Karls eilte. Freilich fand sie, nach mehrfachen Siegen über die Engländer, tragischen Untergang (1431); allein der Anstoß zum nationalen Kampf war gegeben. Philipp von Burgund, der englischen Herrschaft überdrüssig, schloß gegen Bewilligung großer Vorteile 1435 zu Arras mit Karl VII. Frieden. Paris fiel 1436 gleichfalls von England ab, das sich immer mehr unfähig zeigte, das große französische Reich zu behaupten. Nachdem die Engländer aus einem Besitz nach dem andern verdrängt worden waren, unterlag ihr letztes Heer in F. unter Talbot 17. Juli 1453 einer großen französischen Übermacht bei Castillon. Nun fiel auch die Hauptstadt Aquitaniens, Bordeaux, in die Hände der Franzosen; ohne eigentlichen Friedensschluß war der mehr als 100jährige Krieg mit England beendet. Von allen ihren Besitzungen in F. blieben nur Calais und Guines den Engländern.

Begründung einer starken Königsmacht.

Unterstützt von trefflichen Ratgebern hatte Karl VII. noch vor der Befreiung des Reiches von den fremden Eroberern die Umgestaltung der innern Organisation begonnen. Indem die Generalstände des Reiches 1439 zu Orléans eine bleibende Kopfsteuer (taille) zum Unterhalt einer stehenden Armee bewilligten, wurde nicht allein die Sicherheit des Reiches nach innen und außen, sondern auch die Macht des Königtums bedeutend gesteigert. Zur Verwaltung der vermehrten Einnahmen wurden 1443 die Rechnungskammer und der Steuergerichtshof errichtet. Noch zielbewußter und beharrlicher strebte Karls VII. Sohn, Ludwig XI. (1461–83), nach Befestigung der königlichen Gewalt und der Einheit des Reiches. Es galt vor allem, die hohe Aristokratie zu vernichten, die mit Ausnahme der Häuser Bretagne, Armagnac und Albret meist (wie Burgund, Bourbon, Orléans, Nevers u. a.) aus dem königlichen Hause selbst hervorgegangen war. Um seine Pläne ungestört durchzuführen, wählte er seine Räte und Diener aus Menschen niederer Geburt. Zuerst erhoben sich die großen Vasallen in dem »Bund des öffentlichen Wohls« (Ligue du Bien public, 1465) siegreich gegen den König, der zumal 1468 in Péronne durch den stolzen Herzog Karl den Kühnen von Burgund eine tiefe Demütigung erfuhr. Bald aber gelang es ihm, die bisherigen Verbündeten zu entzweien und ihnen mit Hilfe des gefügigen Parlaments den Gewinn zum großen Teil wieder zu entreißen. Eine Empörung des Grafen von Armagnac gab dem König 1473 Gelegenheit, dessen weite Länder im südlichen Frankreich für die Krone einzuziehen. Von besonderm Vorteil war für F. die Katastrophe Karls des Kühnen 1477, in der die stolze Macht der burgundischen Valois zusammenbrach. Im Frieden von Arras, den Ludwig XI. 1482 mit Erzherzog Maximilian schloß, behielt er von den burgundischen Landen die Picardie, das Herzogtum und die Freigrafschaft Burgund, Artois und einige kleinere Herrschaften. Nach dem Tode des kinderlosen Königs René von Neapel und Provence zog er die Provence, Anjou und Maine für die Krone ein, so daß deren Gewalt bis an die natürlichen Grenzen Frankreichs, Jura, Alpen und Pyrenäen, reichte und sich des Königs Gerichtsbarkeit und Verwaltung über das ganze Reich erstreckten, dem sie Ordnung und Sicherheit, die Vorbedingungen materieller und geistiger Blüte, verliehen. Beschränkt wurde die königliche Gewalt nur durch zwei Institutionen: den durch die Finanznot veranlaßten und immer mehr sich ausdehnenden erblichen Verkauf der Richterstellen, der den in den Parlamenten (Obergerichten der einzelnen Gebiete) gipfelnden Richterstand unabhängiger machte, und durch die Generalstände (états généraux), Abgeordnete der Geistlichkeit, des Adels und der Städte, deren Zusammentritt aber gänzlich vom Belieben des Königs abhing, und die zu wirklich entscheidender Macht trotz wiederholter Versuche nicht zu gelangen vermochten.

Ludwigs XI. Sohn, Karl VIII. (1483–98), vereinigte 1491 durch seine Vermählung mit der Herzogin Anna, Erbin der Bretagne, dies große Kronlehen mit dem Königreich, trat aber, um einen Zug nach Italien zur Eroberung Neapels, auf das er als Erbe der Anjou Anspruch erhob, unternehmen zu können, Roussillon und Cerdagne an Spanien, Artois und die Freigrafschaft Burgund 1493 im Vertrag von Senlis an Maximilian ab. Er überschritt 1494 die Alpen und eroberte 1495 Neapel, mußte aber, als sich Kaiser Maximilian, Venedig und Spanien gegen ihn verbündeten, das Königreich wieder räumen und sich den Rückweg nach F. 6. Juli 1495 bei Fornuovo erkämpfen. Da er 7. April 1498 kinderlos starb, folgte ihm der Urenkel Karls V. aus der Seitenlinie Valois-Orléans, Ludwig XII. (1498–1515), der die Eroberungspläne seines Vorgängers in Italien wieder aufnahm. Indes seine Eroberung Neapels war nur vorübergehend (1501–03), und auch Mailand vermochte er, trotzdem der französische Feldherr Gaston von Foix 1512 bei Ravenna einen glänzenden Sieg über die Spanier erfocht, gegen die Heilige Liga nicht zu behaupten; die Schweizer schlugen die Franzosen 1513 bei Novara, die Engländer und Deutschen unter Kaiser Maximilian drangen in die Picardie ein und siegten bei Guinegate, und 1514 mußte Ludwig XII. Frieden schließen. Als er 1. Jan. 1515, tief betrauert vom Volk, für dessen Wohl er durch Gesetze und Verordnungen unablässig gesorgt hatte, starb, folgte ihm sein Neffe Franz I. (1515–47) aus der jüngern Linie der Orléans, dem Haus Angoulême. Der junge Herrscher schloß 1516 mit dem Papst einen Vertrag, der die Freiheit der galli kanischen Kirche vernichtete, indem er den Klerus teils von der päpstlichen, teils und besonders von der königlichen Gewalt abhängig machte; daher war Franz auch eifrig bemüht, den auch in F. sich kräftig entwickelnden Protestantismus durch grausame Gewalt zu unterdrücken. Mailand gewann er durch den glänzenden Sieg bei Marignano (1515) wieder. Aber die Macht und Unabhängigkeit Frankreichs wurden durch die Vereinigung der habsburgischen mit der burgundischen Macht in der Hand Karls V. nach dem Tode Maximilians I. 1519 ernstlich bedroht. Um wenigstens Karls V. Wahl zum Kaiser zu vereiteln, bewarb sich Franz I. selbst um die deutsche Kaiserkrone. Er unterlag aber, und so begann 1521 ein 250jähriger Kampf um die Vorherrschaft in Europa zwischen F. und Österreich-Spanien, indem Karl V. von Franz I. die Rückgabe von Burgund und Mailand forderte, dieser seine Ansprüche auf Neapel erneuerte.

Die vier Kriege, die Franzl. (s.d., S. 901) gegen den Kaiser führte, fielen unglücklich aus; ja 1544 rückte sogar eine kaiserlich-englische Armee gegen Paris, und. nur der Wunsch, die kirchlichen Angelegenheiten ungestört zu regeln, veranlaßte den Kaiser, F. den Frieden von Crépy zu bewilligen, der Italien den Habsburgern überantwortete. Glücklicher war Franz' Sohn, Heinrich II. (1547–59); er erlangte 1552 durch den Vertrag von Friedewald mit den aufständischen Protestanten in Deutschland den Besitz der lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun und behauptete ihn auch in einem neuen Kriege mit Karl V. Er behielt im Frieden von Cateau-Cambrésis (2. April 1559) die lothringischen Bistümer sowie das den Engländern entrissene Calais. Che Heinrich II. dazu kam, die gewonnene Ruhe, wie es seine Absicht war, zur Ausrottung der Ketzerei in F. zu benutzen, starb er infolge einer Verwundung beim Turnier 10. Juli 1559. Die Zahl der Protestanten in F. war trotz der Verfolgungen unter Franz I. groß, besonders unter den Gebildeten und Edelleuten, welche die mächtige geistige Bewegung ergriffen hatte; selbst Mitglieder des königlichen Hauses waren offene oder heimliche Protestanten, während das niedere Volk in seiner überwiegenden Masse am Katholizismus festhielt. Namentlich seit Calvin in dem französisch redenden Genf aufgetreten war, hatte sich durch seine Schüler französischer Nation die reformierte Konfession mit ihrer kriegerischen Richtung in F. verbreitet. An der Spitze der Reformierten oder Hugenotten stand das Haus Bourbon, eine kapetingische Nebenlinie, während die streng katholische Partei von der Familie Guise geleitet wurde; vergeblich suchte die Partei der Politiker unter dem Kanzler L'Hôpital in dem religiösen Parteistreit die Einheit des Vaterlands zu wahren. Schon unter Heinrichs II. ältestem Sohn, Franz II. (1559–60), brach der religiöse Zwist aus. Als nach seinem frühen Tode für den unmündigen Karl IX. (1560–74) Katharina von Medici die Regierung übernahm und, um die Übermacht der Guisen zu beschränken, den Protestanten 1562 durch das Januaredikt fast völlige Gleichberechtigung mit den Katholiken verlieh, führte Franz von Guise, indem er 1. März 1562 die protestantischen Bewohner des Städtchens Vassy überfallen und ermorden ließ, den Ausbruch der religiösen Bürgerkriege (Hugenottenkriege, s.d.) herbei. Der junge König zeigte sich endlich geneigt, dem Rate des Führers der Hugenotten, Coligny, zu folgen und durch Herstellung des innern Friedens F. in den Stand zu setzen, seine auswärtigen Interessen mit Erfolg wahrzunehmen. In ihrem herrschenden Einfluß gefährdet, stiftete Katharina die greuliche Bluttat der Bartholomäusnacht (23./24. Aug. 1572) an, der in Paris und den Provinzen mindestens 30,000 Protestanten zum Opfer fielen, ohne daß jedoch ihre völlige Unterdrückung gelang.

Unter dem schwachen König Heinrich III. (1574 bis 1589) brachen die religiösen Kämpfe von neuem aus. Obwohl er sich den Hugenotten feindlich zeigte, genügte dies doch den strengen Katholiken nicht, die unter Führung Heinrichs von Guise 1576 die Heilige Ligue schlossen, die sich die völlige Ausrottung des Protestantismus zum Ziel setzte und sich besonders feil dem Tode Franz' von Anjou, des jüngsten Bruders des kinderlosen Königs, (1584) gegen die nun in Aussicht stehende Thronfolge des Königs Heinrich von Navarra, des Führers der Hugenotten, auf das entschiedenste erklärte. Sie verbündete sich 1585 mit Philipp II. von Spanien und suchte durch Aufreizung des fanatischen Volkes der größern Städte den König einzuschüchtern und von sich abhängig zu machen; durch den sogen. Barrikadentag (12. Mai 1588) zwang Heinrich von Guise den König zur Flucht aus Paris. Heinrich III. rächte sich, indem er im Dezember 1588 in Blois Heinrich von Guise und seinen Bruder Ludwig ermorden ließ, mußte aber vor der Ligue in das Lager Heinrichs von Navarra flüchten, wo ein fanatischer Dominikaner, Jacques Clément, ihn erstach; mit seinem Tode (2. Aug. 1589) erlosch das Haus Valois, und nun folgte dem salischen Gesetz gemäß die kapetingische Nebenlinie Bourbon auf dem Thron, deren sehr bedeutende Länder in Mittelfrankreich nebst dem nördlich der Pyrenäen gelegenen Rest des Königreichs Navarra nun mit der Krone vereinigt wurden. Der erste Bourbon, Heinrich IV. (1589–1610), hatte aber trotz seiner Siege bei Ivry und Arques keine Aussicht, zum ruhigen Besitz seiner Herrschaft zu gelangen, da ihn nicht nur die Ligue unter Mayenne und Philipp von Spanien auf das erbittertste bekämpften, sondern auch zahlreiche gemäßigte Katholiken von einem ketzerischen König nichts wissen wollten; Heinrich IV. sah daher kein andres Mittel, um sich den ungestörten Besitz des Thrones und dem hartgeprüften Lande Ruhe zu verschaffen, als im Juli 1593 zur römisch-katholischen Kirche überzutreten. Nun wurde der Abfall von der Ligue allgemein, und bis 1598 unterwarfen sich dem König alle Städte und Provinzen. Philipp II. von Spanien, dem Heinrich IV. 1595 offen den Krieg erklärt hatte, mußte 2. Mai 1598 den Frieden von Verviers schließen und sich weiterer Einmischung enthalten. Seinen protestantischen Untertanen gewährte der König durch das Edikt von Nantes (1598) Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, ja sogar die Befugnis, ihre Rechte mit Waffengewalt zu verteidigen. Mit Hilfe seines trefflichen Ministers Sully war nun Heinrich IV. eifrig darauf bedacht, die Wunden zu heilen, welche die langen Religionskriege dem Lande geschlagen hatten. Durch eine umsichtige äußere Politik suchte er F. Bundesgenossen zu gewinnen, um der habsburgischen Übermacht mit Erfolg entgegentreten zu können. Schon hatte er mit den deutschen Protestanten Verbindungen angeknüpft und rüstete sich, in den jülisch-klevischen Erbstreit einzugreifen, um damit den Kampf gegen Österreich und Spanien zu beginnen, als der Dolch eines papistischen Fanatikers, Ravaillac, 14. Mai 1610 seinem Leben ein Ziel setzte.

Das Werk Heinrichs IV. drohte unter seinem unmündigen Nachfolger Ludwig XIII. (1610–43), für den seine Mutter Maria von Medici die Regierung zunächst führte, zugrunde zu gehen. Die Schwäche der Regentin führte mehrfache Aufstände des Adels herbei, bis der junge König 24. April 1617 seiner Mutter die Regierungsgewalt abnahm. Aber auch Ludwig XIII., schwächlich und beschränkten Geistes, vermochte nicht Ruhe und Ordnung herzustellen. Nach dem Tode des Günstlings Luynes (1621) und dem Sturz des unfähigen Vieuville (August 1624) übernahm jedoch Kardinal Richelieu die Regierung, ein ausgezeichneter Staatsmann, der mit Umsicht und Energie alle politische Gewalt im Königtum zu vereinigen strebte. Ein neuer Aufstand des hohen Adels wurde niedergeschlagen, die Niederreißung aller nicht dem Staat gehörigen Befestigungen angeordnet, eine von England begünstigte Empörung der Hugenotten durch die Eroberung des heldenmütig verteidigten La Rochelle (1628) unterdrückt und mit Zerstörung aller protestantischen Burgen und Festungen bestraft; doch bestätigte Richelieu den Protestanten ihre Religionsfreiheit und Gleichberechtigung (1629), nur daß die Hugenotten keine politische Bedeutung mehr besaßen. Aber auch der katholische Adel haßte Richelieu, und Maria von Medici und des Königs Bruder, Gaston von Orléans, verbanden sich mit ihm zum Sturze Richelieus. Ludwig XIII. liebte diesen keineswegs, erkannte aber doch, daß der Kardinal seine und Frankreichs wahre Interessen verteidigte, und hielt an ihm fest. So gelang es Richelieu, 1631 die Königin-Mutter zur Flucht nach dem Ausland zu zwingen und das Bündnis zwischen dem aufständischen Adel und Spanien durch den Sieg bei Castelnaudary (1632) zu sprengen; er scheute sich nicht, das vornehmste Haupt des Adels, den letzten Montmorency, dem Henkerbeil zu überliefern, und unterdrückte alle noch selbständigen Gewalten in den Provinzen. Ein gefährlicher Aufstand eines andern königlichen Prinzen, des Grafen von Soissons, endete mit dessen Tode in dem Gefecht von Marfée (1641), und als endlich der Marquis von Cinq-Mars durch Ränke, die er mit dem König selbst anknüpfte, den furchtbaren Minister zu stürzen versuchte, wußte dieser den kraftlosen Monarchen zur Unterwerfung und zur Auslieferung seines Günstlings Cinq-Mars zu zwingen, der nun das Schafott besteigen mußte (1642). Mitten unter diesen Schwierigkeiten organisierte Richelieu die französische Verwaltung im Sinne der Zentralisation und der ministeriellen Allmacht und schuf sich für diese geeignete Werkzeuge in den Intendanten, die, seit 1635 mit polizeilicher, gerichtlicher und finanzieller Gewalt ausgerüstet, von jeder Verantwortung außer gegen den leitenden Minister befreit und an keine andre Regel als dessen und ihr eignes Belieben gebunden waren. Politisch berechtigte Gewalten duldete das Königtum nicht mehr neben sich; die Generalstände des Reiches wurden nicht mehr berufen. Aber den niedern Ständen sicherte Richelieu Rechtsschutz und entschädigte sie für die hohen Steuern durch Begünstigung von Handel und Gewerbe; er gab die Anregung zu den ersten Kolonien in Asien und Amerika. Auch die Wissenschaften und Künste förderte er, gründete 1635 die Akademie und hauchte dem katholischen Klerus einen selbständigen wissenschaftlichen Geist ein. Mit nicht minderer Energie verfolgte Richelieu in der auswärtigen Politik sein Ziel, Schwächung des Hauses Habsburg. Schon 1626 nötigte er die Spanier zur Räumung des Veltlin, schützte 1629 den Herzog von Mantua gegen Spanien und den Kaiser und schuf sich durch dessen Anerkennung im Frieden von Chierasco (1631) eine französische Partei in Italien. In Deutschland unterstützte er während des Dreißigjährigen Krieges mit Geld alle Gegner des Kaisers, besonders Gustav Adolf von Schweden. 1635 schloß er mit Schweden und den Niederlanden ein offenes Bündnis und begann den Krieg gegen Spanien, während er in Deutschland Bernhard von Weimar in französischen Sold nahm; als dieser 1639 starb, gewann er seine Unterbefehlshaber für sich, so daß diese ihm ihre Truppen und das Elsaß überlieferten, und bekämpfte offen den Kaiser in Deutschland. 1640 wurde Artois von den Franzosen erobert und in Katalonien sowie in Portugal ein Aufstand angezettelt. Mitten in diesen Erfolgen starb Richelieu 4. Dez. 1642; wenige Monate später folgte ihm Ludwig XIII., 14. Mai 1643.

Die Regierung Ludwigs XIV.

Da Ludwigs XIII. ältester Sohn, Ludwig XIV. (1643–1715), noch nicht 5 Jahre alt war, übernahm seine Mutter, Anna von Österreich, die Regierung, die sie aber ganz einem neuen allmächtigen Minister, dem Kardinal Mazarin, überließ. Dieser führte nur die großen Gedanken Richelieus weiter, erzielte aber durch Schlauheit und Zähigkeit noch bedeutendere Erfolge. Im Westfälischen Frieden gewann Mazarin für F. das österreichische Elsaß und einen maßgebenden Einfluß in Deutschland, so daß er 1658 mit vier Kurfürsten und vielen Reichsfürsten den ersten Rheinbund schloß und sich für den jungen König um die Kaiserkrone bewarb. Im Kriege gegen Spanien siegte Condé bei Rocroy (1643) und Lens (1648) und machte mannigfache Eroberungen. Indes der Aufstand der Fronde (s.d.), 1648–53, unterbrach den französischen Siegeslauf. 1653 wurde die Fronde endgültig vernichtet: Adel und Parlament unterwarfen sich dem Minister und wagten fortan keinen Widerstand mehr gegen das absolute Königtum. Mit Hilfe Cromwells wurde nun auch der Krieg mit Spanien beendet. Nachdem Turenne mit dem französisch-englischen Heer im Frühjahr 1658 die Spanier bei Dünkirchen besiegt hatte, kam 7. Nov. 1659 der Pyrenäische Friede zustande, in dem Spanien Roussillon, Artois und einige belgische Plätze abtrat und die Vermählung der ältesten Tochter Philipps IV., Maria Theresia, mit Ludwig XIV. zugab, die dem Hause Bourbon eine Aussicht auf die spanische Erbschaft eröffnete. Als Mazarin im März 1661 starb, hinterließ er Ludwig XIV. das Reich mit erweiterten und wohlbefestigten Grenzen, im Besitz ausgezeichneter und zahlreicher Heere, geführt von den besten Feldherren Europas, mit gutgeschulten Beamten und einem geordneten Finanzwesen, so daß F. als die erste Macht Europas gelten konnte

Ludwig XIV. erklärte nach dem Tode Mazarins, die Geschäfte selbst führen zu wollen. Es erfüllte ihn ein hohes Gefühl von seiner Würde, die ihm selbst Pracht, Glanz, großartiges und würdevolles Benehmen auferlegte, ihn aber von andern unbedingte Unterordnung und völlige Hingabe verlangen ließ. Im Bewußtsein von Frankreichs Macht wollte er nach innen und außen als der erste und größte König der Christenheit auftreten. Während seiner ganzen Regierungsdauer widmete er selber seine Zeit und Kraft den Staatsgeschäften, gab stets die Ziele und Richtungen der Politik an und bewährte seine Herrschergabe vor allem in der Auswahl seiner Minister, die mit hingebendem Eifer, unermüdlicher Tätigkeit und teilweise mit genialer Schöpferkraft den Staat leiteten, ohne daß der König die Zügel der Regierung aus den Händen verlor. Colbert verwaltete die Finanzen, den Handel und die öffentlichen Arbeiten. Durch geschickte Maßregeln gab er der Industrie einen mächtigen Aufschwung, ermutigte zur Schiffahrt und Kolonisation und steigerte die Einnahmen des Staates zu nie geahnter Höhe. Hierdurch wurde die Aufstellung einer großen stehenden Heeresmacht ermöglicht, die Louvois trefflich organisierte. Die französische Armee war nicht nur an Zahl die stärkste, sondern auch die am besten ausgerüstete und geschulte Armee in Europa. Sie war ein außerordentlich wirksames Werkzeug in der Hand der französischen Staatskunst, um die äußere Machtstellung des Reiches zu erhöhen. Nicht wenig trug hierzu auch die von Lionne geleitete französische Diplomatie bei, die, mit reichen Geldmitteln ausgestattet und durch die Überlegenheit der französischen Kultur unterstützt, an allen Höfen die erste Rolle spielte. Das waren die Mittel und Werkzeuge, mit denen Ludwig XIV. das Ziel seiner äußern Politik, die Erwerbung der spanischen Monarchie, mit zäher Ausdauer zu erreichen strebte. Seine Erbrechte waren sehr anfechtbar, gaben ihm aber einen Anhalt, um Ansprüche zu erheben. Dies tat er zuerst nach dem Tode seines Schwiegervaters Philipp IV. (1665) in dem sogen. Devolutionskrieg (1667). Als England, Schweden und die Niederlande, zur Tripelallianz vereinigt, deshalb F. mit Krieg bedrohten, mußte sich Ludwig allerdings im Aachener Frieden (Mai 1668) mit einer Reihe belgischer Festungen begnügen. Um sich an den Niederlanden, deren unerwarteter Widerstand seinen höchsten Zorn erregt hatte, zu rächen, machte er ihnen durch schlaue Verhandlungen alle Bundesgenossen abspenstig und fiel im April 1672 über sie her. Anfangs errang er große Erfolge, aber Brandenburg, Spanien, endlich der Kaiser, das Deutsche Reich und Dänemark kamen den Niederlanden zu Hilfe. Doch selbst dieser Koalition gegenüber erwies sich Frankreichs militärische Kraft ebenbürtig, und infolge der Uneinigkeit der Verbündeten erfocht es die Siege von Sennef (1674) und Montcassel (1677) und erlangte im Frieden von Nimwegen (August 1678) die Franche-Com té und die wichtigsten Grenzfestungen Belgiens (Ypern, Cambrai, Valenciennes u. a.). Dieser Ausgang des Krieges steigerte Ludwigs Herrschsucht und Übermut so, daß er fremde Rechte rücksichtslos mit Füßen trat. Durch die von ihm errichteten Reunionskammern ließ er sich alle Gebietsteile zusprechen, die jemals zu den ihm im Westfälischen, Pyrenäischen, Aachener und Nimweger Frieden abgetretenen Ländern und Städten gehört hatten, und besetzte sie. Straßburgs und Luxemburgs bemächtigte er sich mitten im Frieden und erlangte 1684 auch, daß ein Waffenstillstand ihm die Reunionen auf 20 Jahre sicherte. Nicht minder despotisch und eigenmächtig verfuhr er im Innern. Nicht bloß in staatlicher, sondern auch in religiöser Beziehung sollte F. ein einheitliches Ganze bilden, in dem der Wille des Königs unumschränkt herrschte. Während er daher die Unabhängigkeit der gallikanischen Kirche gegenüber dem Papsttum verteidigte und in einem französischen Nationalkonzil die berühmten vier Artikel von 1682 beschließen ließ, verfolgte er mit immer größerer Strenge die französischen Protestanten, besonders durch Bequartierung mit Soldaten (die »Dragonaden«). Endlich erfolgte im Oktober 1685 die Aufhebung des Edikts von Nantes und damit das Verbot des reformierten Gottesdienstes. Trotz der strengen darauf gesetzten Strafen wußten an 200,000 Reformierte aus F. zu entkommen, das dadurch eine schwere Einbuße an Volkskraft, Intelligenz und Kapital erlitt. Ganz willkürlich wurde die innere Verwaltung des Landes eingerichtet. Der Adel wurde völlig in einen Hof- und Militäradel verwandelt. Alles sollte von oben gelenkt und geleitet werden, in alles durften sich die Beamten mischen. Individuelles Leben, provinziale und kommunale Selbständigkeit wurden unterdrückt, die Unabhängigkeit der höchsten Gerichtshöfe, der Parlamente, gebrochen. Dieses System lieferte der Regierung ungeheure und prompte Machtmittel, wie sie kein andrer Staat besaß; aber es machte die Franzosen politisch unmündig und reizte endlich durch seinen Despotismus und seine Mißbräuche das ganze Volk gegen das Königtum auf.

Auch im Ausland erregten Ludwigs Herrschsucht und Intoleranz und Frankreichs maßlose Einmischungen allgemeinen Haß und bewirkten die Bildung einer neuen Koalition fast aller europäischen Mächte 1688. Die französischen Heerführer und Truppen, die sich 1689 durch die Verwüstung der Pfalz schändeten, zeigten sich zwar zu Lande der schwerfälligen Kriegführung der Verbündeten in allen Schlachten, bei Fleurus (1690), Steenkerken (1692) und Neerwinden (1693) in den Niederlanden, bei Staffarda (1690) in Italien, überlegen, doch wurde die französische Flotte von der englisch-niederländischen bei La Hougue (1692) vernichtet, und es erlahmten vor allem die materiellen Kräfte Frankreichs in den unaufhörlichen Kriegen. Der französische Seehandel wurde fast vernichtet, die kolonisatorische Tätigkeit unterbrochen, das Volk durch unerschwingliche Lasten erdrückt. So schloß Ludwig im November 1697 den Frieden von Ryswyk, in dem er das Herzogtum Lothringen sowie alle seit 1679 gemachten Reunionen mit Ausnahme Straßburgs herausgab. Noch einmal setzte er die ganze Kraft seines Landes ein, als es sich darum handelte, die spanische Erbschaft, die ein durch diplomatische Künste errungenes Testament des letzten habsburgischen Königs von Spanien, Karls II., der am 1. Nov. 1700 starb, dem Hause Bourbon vermacht hatte, gegen Österreich und seine Verbündeten zu behaupten. Der Spanische Erbfolgekrieg (1701–14, s.d.) nahm seit der Schlacht bei Höchstädt für F. eine immer unglücklichere Wendung. Die wiederholten Niederlagen der Franzosen vernichteten den Kern ihrer Streitmacht und führten den Verlust Italiens, Bayerns, Kölns, der spanischen Niederlande und fast aller nordfranzösischen Festungen herbei. Allein der Tod des Kaisers Joseph I. und ein Ministerwechsel in England hatten einen Zwiespalt zwischen Österreich und den Seemächten zur Folge, und letztere schlossen 11. April 1713 mit F. den Frieden von Utrecht, den Kaiser und Reich 1714 auch anerkennen mußten. Unter Verzicht auf die europäischen Nebenländer behielt Ludwigs XIV. Enkel, Philipp von Anjou, Spanien als bourbonische Sekundogenitur, und F. erlitt keine bedeutenden territorialen Verluste; aber besiegt, gedemütigt, gänzlich erschöpft ging es aus dem Kriege hervor. Die Staatsschuld war auf 2 Milliarden Livres gestiegen, das Defizit chronisch geworden. So hinterließ Ludwig XIV., nachdem seine zahlreiche Familie fast ausgestorben war, bei seinem Tode (10. Sept. 1715) F. seinem Urenkel Ludwig XV.

Der Verfall.

Für den erst fünfjährigen Ludwig XV. (1715–1774) übernahm der geistreiche, aber sittenlose Herzog von Orléans die Regentschaft; sein Minister war der gleichgeartete Kardinal Dubois. Indem er in kirchlicher und politischer Beziehung eine freiere Bewegung gestattete, erwachte das französische Volk aus der dumpfen Betäubung, in die es der konsequente Despotismus Ludwigs XIV. versenkt hatte; aber dieser freiere Schwung richtete sich gegen Königtum und Kirche. Nach dem Tode des Regenten (Dezember 1723) übernahm Ludwig XV. dem Namen nach selbst die Regierung, überließ sie jedoch den Premierministern, dem Herzog von Bourbon und seit 1726 dem Kardinal Fleury. Diesem gelang es, im Polnischen Erbfolgekrieg (1733–38) kriegerische Erfolge für F. zu erringen und im Wiener Frieden die Herrschaft Österreichs über Italien zu brechen sowie für F. die Anwartschaft auf Lothringen zu erlangen, das 1766 wirklich an F. fiel. Auch im Innern wirkte er durch Milde und wohlwollende Einsicht segensreich; Ackerbau, Gewerbfleiß und Handel blühten wieder auf. Aber schon 1741 wurde F. in einen neuen Krieg mit Österreich verwickelt, indem es beim Aussterben des habsburgischen Mannesstammes (1740) die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen konnte, durch Unterstützung der bayrischen Erbansprüche die Macht Österreichs auch in Deutschland zu stürzen. Doch waren die französischen Waffen im Österreichischen Erbfolgekrieg, während dessen Fleury 1743 starb, weder in Italien noch in Deutschland glücklich; nur in Belgien errang der Marschall von Sachsen einige Siege. Erschöpft schloß F. 1748 den Frieden von Aachen, der ihm für seine großen Opfer gar keinen Ersatz bot. Noch verhängnisvoller wurde ihm sein Anteil am Siebenjährigen Kriege, in den es durch seinen Streit mit England über die Kolonien in Nordamerika und Ostindien hineingezogen wurde. Da Preußen sich 1756 mit England verbündete, so ging F. auf den Wunsch Österreichs, ein Bündnis mit Österreich gegen Preußen zu schließen, ein, wodurch die 250jährige Rivalität Frankreichs und Österreichs ihr Ende erreichte. Die Günstlings- und Maitressenwirtschaft unter Ludwig XV. verschaffte unfähigen Generalen den Oberbefehl; unter den schlecht genährten und bezahlten Soldaten herrschten Zügellosigkeit und Feigheit. Zahlreiche Niederlagen entrissen F. das militärische Übergewicht in Deutschland. Die französischen Flotten wurden von den Engländern besiegt, und durch deren Sieg bei Quebec (1759) wurde der Verlust Kanadas entschieden. Der Bourbonische Familienvertrag mit Spanien (1761) vermochte das Kriegsglück nicht zu wenden. Im Pariser Frieden (10. Febr. 1763) mußte F. Kanada und das Ohiotal an England, Louisiana an Spanien abtreten; wie es hiermit Nordamerika verlor, so büßte es auch seine Kolonien in Ostindien ein. 1100 Mill. Livres waren in unrühmlichen Feldzügen ohne jeden Gewinn vergeudet.

Nichtsdestoweniger trat die Regierung Ludwigs XV. im Innern tyrannisch und willkürlich auf. Der aufgeklärte Premierminister Choiseul, der die Vertreibung der Jesuiten aus F. veranlaßt und 1768 von den Genuesen Korsika erworben hatte, wurde 1770 durch den unfähigen Höfling Aiguillon ersetzt. Indem das Pariser Parlament sich der Jansenisten annahm, geriet es in Streit mit dem König, der es 1771 auflöste und seine Mitglieder einkerkerte. Jede Regung eignen Willens und freien Geistes im Volke wurde durch willkürliche Haftbefehle (lettres de cachet), die oft auch die Günstlinge zur Befriedigung ihrer Rachsucht mißbrauchten, bestraft. Die unglaubliche Sittenlosigkeit des Hofes und der Vornehmen, die mit der religiösen Intoleranz des herrschenden Systems im grellsten Widerspruch stand, die Frechheit, mit der das Volk ausgesogen und die versiegenden Hilfsquellen des Staates für unwürdige Vergnügungen und für die verschwenderischen Gelüste der königlichen Maitressen, einer Pompadour, Dubarry u. a., vergeudet wurden, die Zerrüttung der Finanzen, die Verminderung der äußern Macht: alle diese Umstände machten das Königtum und die herrschenden Klassen beim Volk ebenso verächtlich wie verhaßt. Während Montesquieu eine Reform durch Einführung einer konstitutionellen Verfassung nach englischem Muster für möglich hielt und empfahl, glaubten die Physiokraten durch Abschaffung des Merkantilsystems und Bevorzugung der Landwirtschaft die Lage des Bauernstandes verbessern und damit die sozialen Schäden heilen zu können. Dagegen wirkte Voltaire (abgesehen von seinem mutigen Eintreten für unschuldig verfolgte Protestanten) durch seine geistvollen, weitverbreiteten Schriften mehr negativ, indem er die Kirche, das Königtum und die Feudalität mit allen Waffen des Witzes und Spottes schonungslos bekämpfte und ihre Autorität unheilbar erschütterte. Zahlreiche jüngere Schriftsteller schlossen sich ihm an, gingen aber noch weit über seinen Standpunkt hinaus und verkündigten in Religion und Politik entschieden atheistische und materialistische Anschauungen; eine Zusammenfassung derselben bildete Diderots »Enzyklopädie«, deren erste Bände 1751 erschienen, und welche die öffentliche Meinung mehr und mehr beherrschte. Der Genfer Jean Jacques Rousseau endlich wandte sich vornehmlich gegen die unnatürliche Bildung (im »Émile«), die schreiende soziale Ungleichheit seiner Zeit (im »Contrat social«) und die überkommene Religion und MoralNouvelle Heloise«) und forderte unter Beseitigung aller geschichtlichen Bedingungen eine rücksichtslose Umgestaltung aller Verhältnisse bloß nach Vernunftgrundsätzen. Und nicht nur die unterdrückten Massen und die nach Freiheit und Fortschritt strebenden gebildeten Kreise nahmen diese Lehren begierig auf; auch viele aus den bevorrechteten Ständen, dem Klerus, dem Adel und der Beamtenhierarchie, huldigten ihnen, teils aus ehrlicher Überzeugung, teils in frivolem Leichtsinn, der sie die Gefahren der teils spottsüchtigen, teils radikalen Kritik übersehen ließ und sie von einer Besserung ihres eignen sittlichen Verhaltens abhielt. Indem die höhern Klassen die bestehenden Zustände schonungslos verurteilten, die ihnen vorteilhaften Mißbräuche aber doch nicht beseitigten, arbeiteten sie selbst an dem Umsturz der Gesellschaftsordnung, auf der ihre Stellung beruhte.

Ludwig XV. starb 10. Mai 1774. Der neue König, Ludwig XVI. (1774–92), Ludwigs XV. Enkel, ein junger, wohlwollender, aber schwacher und geistig unselbständiger Mann, stellte das Parlament wieder her und ernannte Turgot zum Finanzminister, der durch Aufhebung der Staatsfronen und Zünfte, durch Beschränkung der unverdienten Pensionen und Gnadengehalte und durch Einführung einer allgemeinen, auch die Privilegierten treffenden Steuer eine durchgreifende Reform der Finanzen begann. Als sich die Höflinge und die Geistlichkeit seinen Maßregeln widersetzten, ließ der König Turgot fallen und berief Clugny, der sie sofort rückgängig machte. Die Schuldenlast und das Defizit wurden beträchtlich vermehrt durch die Teilnahme Frankreichs am Kriege der nordamerikanischen Kolonien gegen England, die wesentlich zu deren Befreiung beitrug; auch erhielt F. im Frieden von Versailles (3. Sept. 1783) Senegambien, Tobago und einige andre Inseln. Aber der Krieg hatte 1750 Mill. Livres verschlungen, überdies die Sehnsucht nach Freiheit, die man ja für die Amerikaner verteidigt hatte, in der Bevölkerung gesteigert. Ein neuer Reformversuch des Finanzministers Necker (1777 bis 1781) scheiterte wiederum an dem hartnäckigen Widerstand der Kamarilla und auch der Königin Marie Antoinette gegen jede Verminderung der Hofausgaben und Gnadengehalte. Durch diese Schwäche büßte Ludwig XVI. den letzten Rest der Popularität ein. Die unfähigen Nachfolger Neckers, besonders der gewissenlose Calonne, brachten die Staatsfinanzen in solche Unordnung, daß der Bankrott unvermeidlich war, wenn nicht die privilegierten Stände (Adel und Geistlichkeit) auf ihre Steuerfreiheit verzichteten. Allein die Versammlung der Notabeln (1787) und das Parlament machten alle Reformversuche zunichte, so daß nur die Versammlung der Generalstände die Hoffnung auf Rettung verhieß. Der König wagte nicht mehr, sich dieser zu widersetzen, und ernannte (August 1788) Necker wieder zum leitenden Minister, um sie vorzunehmen. Sie rief eine ungeheure Aufregung hervor; 2000–3000 Flugschriften erschienen, unter denen die bedeutendste, die des Abbé Sieyès: »Qu'est ce que le tiers-état r«, dem Bürgerstand die hervorragendste Rolle in dem politischen Leben der nächsten Zukunft zusprach. König und Regierung standen der Bewegung ratlos gegenüber.

Die französische Revolution.

Die Generalstände traten 5. Mai 1789 in Versailles zusammen. Der dritte Stand forderte sogleich, daß nach Köpfen und nicht nach Ständen abgestimmt werde, und da Adel und Geistlichkeit hierauf nicht eingingen, konstituierte er sich allein als Nationalversammlung, die zur Beratung einer Verfassung berufen sei (Assemblée nationale constituante). Als die Regierung den Versuch machte, diese Versammlung aufzulösen, begaben sich die Mitglieder nach dem sogen. Ballhaus und schwuren hier, sich nicht zu trennen, bis sie die neue Verfassung des Königreichs beschlossen hätten (20. Juni 1789), worauf immer mehr Geistliche und Edelleute der Nationalversammlung beitraten. Als der unentschlossene König sich von der reaktionären Hofpartei bestimmen ließ, Necker zu verbannen und Truppen zu einem Gewaltakt gegen die Nationalversammlung zusammenzuziehen, kam es 14. Juli in Paris zu einem Aufstand und zur Erstürmung der Bastille, bei der sich die völlige Ohnmacht der Behörden und die Unzuverlässigkeit der Truppen zeigten. Der König rief Necker zurück; der Präsident der Nationalversammlung, Bailly, wurde in Paris zum Maire und der konstitutionell gesinnte Lafayette zum Befehlshaber der aus Bürgern gebildeten Nationalgarde ernannt. Auch in den Provinzen fanden Aufstände der Bauern gegen den Adel statt, und überall ging die Regierungsgewalt an die Erwählten des Volkes über. Hingerissen von der allgemeinen Strömung brachte der Adel 4. Aug. 1789 in der Nationalversammlung seine Vorrechte freiwillig zum Opfer, worauf allgemeine Gleichheit, persönliche Freiheit und Volkssouveränität von der Versammlung für unentbehrliche Menschenrechte erklärt wurden. Beunruhigt durch immer neue Reaktionsgerüchte und aufgehetzt von gewissenlosen Demagogen, unter denen sich der Herzog von Orléans, ein königlicher Prinz, befand, zog der Pariser Pöbel 5. Okt. nach Versailles, stürmte 6. Okt. das dortige Schloß und zwang den König, seinen Sitz und den der Nationalversammlung nach Paris zu verlegen. Unter dem Einfluß der revolutionären Elemente der Hauptstadt begann die Versammlung im November 1789 die Beratung der Verfassung, wobei man von den geschichtlichen Verhältnissen gänzlich absah und ausschließlich nach den Grundsätzen der Vernunft verfuhr. F. wurde ganz neu nach geographischen Rücksichten in 83 Departements eingeteilt und Verwaltung und Gerichtsbarkeit ausschließlich gewählten Deputierten und Beamten übertragen. Dem König wurde der Nationalvertretung gegenüber nur ein beschränktes Veto eingeräumt und jede engere Verbindung des Ministeriums mit der Mehrheit der Versammlung abgeschnitten. Der Adel wurde abgeschafft, allgemeine Religionsfreiheit verkündet, die Kirchengüter eingezogen und bis zu ihrem Verkauf auf ihnen ein Papiergeld, die Assignaten, fundiert; die Geistlichkeit wurde der Staatsgewalt unterworfen und zum Eid auf die neue Verfassung verpflichtet, den ein großer Teil des Klerus verweigerte (1790). Diese Bestimmungen über die Kirche hielten Ludwig XVI. hauptsächlich ab, der Verfassung seine Zustimmung zu geben und das Werk zum Abschluß zu bringen. Ebensowenig wollte er sich mit Mirabeau und der konstitutionellen Partei verbinden und ihr die Regierung übertragen. Daher erlangten die Klubs der Radikalen, die Jakobiner und Cordeliers, die den Pariser Pöbel beherrschten, immer mehr Einfluß auf die Bevölkerung, namentlich nach dem Tode Mirabeaus (4. April 1791), während die Anhänger des alten Regimes zahlreich auswanderten. Auch der König ließ sich zu einem Fluchtversuch bereden; er entkam 20. Juni 1791 glücklich aus Paris, wurde aber in der Nähe der Grenze in Varennes angehalten, nach Paris zurückgebracht und suspendiert. Indes nachdem er sich zum Eid auf die Verfassung verstanden hatte, setzte ihn die Nationalversammlung in seine Rechte wieder ein und löste sich, da nun die Verfassung zustande gebracht war, im September 1791 auf.

Unmittelbar nach der Verkündigung der neuen Verfassung trat die neugewählte Gesetzgebende Nationalversammlung (Assemblée nationale législative) zusammen, die einen sehr radikalen Charakter trug. Die leitende Rolle fiel den Republikanern zu, die, weil sie von den Abgeordneten des Girondedepartements (Brissot, Vergniaud, Isnard, Guadet etc.) geführt wurden, den Namen Girondisten empfingen. Sie kamen bald mit dem König in Zwist, da er den Gesetzen über die Bestrafung der den Eid auf die Zivilverfassung der Kirche verweigernden Priester und der ausgewanderten Adligen (Emigranten) seine Genehmigung versagte. Um die revolutionären Leidenschaften von neuem zu entstammen und jeder royalistischen Reaktion vorzubeugen, wünschte die Gironde einen auswärtigen Krieg, zu dem Streitigkeiten mit deutschen Fürsten und dem Kaiser den Vorwand gaben. Am 20. April 1792 beschloß die Nationalversammlung den Krieg gegen Österreich, das sich mit Preußen verbündet hatte. Bei der völligen Auflösung der französischen Armee verlief der Krieg anfangs ungünstig; aber gerade dieser Umstand erregte die Leidenschaft der hauptstädtischen Bevölkerung, da der Hof in der Tat mit den Landesfeinden in Verbindung stand. Ein Pöbelhaufe drang 20. Juni 1792 in die Tuilerien und beschimpfte den König und seine Gemahlin. Ludwig schützte nach diesen Szenen völlige Unterwerfung unter die Nationalversammlung vor, während er und die Königin im geheimen Österreich und Preußen um Rettung anflehten. Schon 10. Aug. 1792 stürmten unter Begünstigung des neuen girondistischen Maires Pétion zahllose Pöbelhaufen gegen die Tuilerien, die Nationalgarden verweigerten die Verteidigung, die brave Schweizergarde ward von dem Pöbel größtenteils niedergemetzelt, der König und seine Familie suchten bei der Nationalversammlung Zuflucht, die den König suspendierte und ihn in den Temple bringen ließ. Der wahre Sieger des 10. Aug. war der revolutionäre Pariser Gemeinderat. Seine Anhänger in der Nationalversammlung trennten sich als der »Berg« (la Montagne, weil sie die höchsten Sitzreihen einnahmen) von den Girondisten, und ihr Haupt, Danton, begann das Schreckensregiment, die blutige Verfolgung aller des Royalismus Verdächtigen mit den Septembermorden (2.–6. Sept. 1792), bei denen 2000 politische Gefangene hingeschlachtet wurden. Gleichzeitig drangen die Preußen und Österreicher unter dem Herzog von Braunschweig in die Champagne ein; die Unentschlossenheit des Führers aber, wie sie sich besonders bei der unentschiedenen Kanonade von Valmy (20. Sept.) zeigte, führte das Scheitern des Feldzugs und den Rückzug der Preußen herbei. Darauf brach Dumouriez in die österreichischen Niederlande ein und eroberte sie durch den Sieg bei Jemappes (6. Nov.); Custine nahm Trier, Speyer und Mainz (21. Okt.). Die Radikalen jubelten; sie beherrschten den am 21. Sept. 1792 zusammentretenden Nationalkonvent (Convention nationale), da sie den bewaffneten Pöbel von Paris zur Verfügung hatten. Der Konvent proklamierte 22. Sept. sofort die Republik. Die Gironde ließ sich von den Jakobinern dazu drängen, die Einleitung eines Hochverratsprozesses gegen Ludwig XVI. zu genehmigen, der dem Verlangen der Jakobiner gemäß 17. Jan. 1793 mit einer Stimme Mehrheit zum Tode ohne Aufschub verurteilt und 21. Jan. enthauptet wurde.

Die Hinrichtung des Königs erregte die Entrüstung ganz Europas; England, Holland, Spanien schlossen sich den Gegnern Frankreichs an. Belgien wurde von den Österreichern durch die Schlacht bei Neerwinden (18. März 1793), Mainz 20. Juli durch die Preußen wiedererobert; ein andres österreichisches Heer drang unter Wurmser in das Elsaß ein. Die auswärtige Gefahr steigerte die Leidenschaftlichkeit und Energie der herrschenden Partei in Paris. Aus der Mitte des Konvents wurde unter dem Namen des Wohlfahrtsausschusses, dessen Häupter Robespierre und Danton waren, eine revolutionäre Regierung eingerichtet und ein Revolutionstribunal gebildet, das alle politischen Vergehungen bestrafen sollte. Kommissare wurden in die Departements geschickt, um dort überall dem Schrecken zum Siege zu verhelfen. Der Gemeinderat von Paris erzwang 2. Juni 1793 die Verhaftung von 32 Führern der Gironde, die später zum größten Teil hingerichtet wurden. Dasselbe Schicksal traf die Königin (16. Okt.) und viele ausgezeichnete Männer der ersten Revolutionszeit. Im Süden, besonders in Lyon und Bordeaux, erhob sich das Volk für die Girondisten; Toulon überlieferte sich den Engländern; im Westen, in der Vendée und Bretagne, empörten sich die royalistischen Edelleute und Bauern. Die radikale Partei verfuhr jedoch mit furchtbarer Energie, indem sie aus den ihr ergebenen niedern Klassen 14 Heere gegen die innern und äußern Feinde aufstellte. Lyon und Toulon wurden überwältigt und mit Massenmord und schonungsloser Plünderung bestraft. Darauf unterwarfen sich zu ternd die Provinzen, wo nun meist eine sozialistische Pöbelherrschaft mit systematischer Beraubung der Besitzenden hergestellt wurde. Das Christentum wurde abgeschafft und der christliche Kalender durch einen revolutionären ersetzt. Eine Partei der Terroristen unter Hébert wollte den Sozialismus praktisch verwirklichen und die Religion durch den albernen Kultus der Vernunft ersetzen; aber Robespierre sah ein. daß sich mit solchen Grundsätzen überhaupt nicht regieren lasse, und bewirkte im März 1794 die Verhaftung und Hinrichtung dieser sogen. Wütenden (enragés); anderseits wußte er den gemäßigtern Danton als unbequemen Nebenbuhler auf das Schafott zu bringen. Robespierre und sein Vertrauter Saint-Just wollten nun durch blutige Ausrottung des unheilbar verderbten alten Geschlechts das Ideal eines allmächtigen Volksstaates verwirklichen. Das Verfahren des Revolutionstribunals wurde derart beschleunigt, daß täglich in Paris allein 60–70 Menschen hingerichtet werden konnten. Die Diktatur Robespierres wurde aber schließlich den Jakobinern selbst lästig, während das Volk des beständigen Blutvergießens überdrüssig zu werden begann, und als der Diktator seine Feinde in der Bergpartei zu vernichten versuchte, wurde er selber 9. Thermidor (27. Juli 1794) auf Befehl des Konvents verhaftet und mit etwa 100 Anhängern aus dem Konvent und der Kommune guillotiniert. Der Mittelstand sing überall an, sich gegen den Terrorismus des Pöbels zu regen; im Konvent faßten die Gemäßigten wieder Mut. Der Klub der Jakobiner wurde geschlossen (11. Nov. 1794); 73 früher aus dem Konvent gestoßene Girondisten wurden in diese Versammlung zurückgerufen, wo sie nun einer entschiedenen Reaktion huldigten; das Revolutionstribunal wurde aufgehoben. Die Zustände im Innern waren freilich wenig erfreulich. Während sich die wohlhabenden Klassen nach langem Schrecken in ausschweifender Lust entschädigten, litten die niedern nach Aufhebung der auf künstliche Herabsetzung der Lebensmittelpreise gerichteten Maßregeln unter der Teurung, den Folgen der allgemeinen Arbeitsscheu, den kolossalen Rekrutierungen, den Störungen von Gewerbe und Handel; die Assignaten, deren man für 27 Milliarden ausgegeben, waren bis auf 1/2 Proz. ihres Nennwertes gefallen.

Nach außen wurden mit den durch Carnot organisierten Heeren unter trefflichen Generalen, wie Hoche. Marceau, Jordan und Pichegru, glänzende Erfolge errungen. Durch den Sieg bei Fleurus (26. Juni 1794) wurde Belgien und fast das ganze linke Rheinufer erobert; im Winter von 1794 auf 1795 drang Pichegru in die Niederlande ein und gründete dort die batavische Schwesterrepublik. Preußen, mit Österreich wegen Polen zerfallen, und Spanien sagten sich durch den Frieden von Basel von der Koalition los. Überdrüssig der innern Parteikämpfe, strebte die französische Nation fortan nach äußerm Glanz und Ruhm. Die neue Regierung, die nach der Unterdrückung eines Aufstandes der Jakobiner 1. Prairial (20. Mai 1795) und eines Erhebungsversuchs der Royalisten 13. Vendémiaire (5. Okt. 1795) am 27. Okt. eingesetzt wurde, das Direktorium von fünf Männern (Barras, Carnot, Lareveillière, Letourneur und Rewbell), dem zwei Kammern, ein Rat der Alten und ein Rat der Fünfhundert, zur Seite standen, begünstigte eine kriegerische Politik, um durch die großen Kontributionen im Auslande den Finanzen aufzuhelfen. 1796 beschloß das Direktorium zugleich einen Angriff auf Deutschland und auf Italien. In Deutschland hatten die zwei französischen Heere, die über den Rhein vordrangen, keinen Erfolg: Jourdan wurde vom Erzherzog Karl bei Amberg (24. Aug.) und bei Würzburg (4. Sept.) völlig geschlagen und Moreau zum verlustvollen Rückzug über den Schwarzwald nach dem Elsaß gezwungen. Glücklicher war Bonaparte in Italien, uns dem er 1796 und 1797 in glänzenden Siegen die Österreicher vertrieb. Die Lombardei wurde zur Transpadanischen, einige römische und modenesische Provinzen zur Zispadanischen Republik umgewandelt, die später zur Zisalpinischen vereinigt wurden. Als Bonaparte darauf durch die Ostalpen auf Wien marschierte, entschloß sich Österreich 7. April 1797 zum Waffenstillstand von Leoben, dem am 17. Okt. der Friede von Campo Formio folgte. Belgien, das linke Rheinufer und die Lombardei wurden an F. abgetreten; Österreich erhielt Venetien und einige deutsche Stifter als Entschädigung. Mit Ruhm gekrönt kehrte der siegreiche Feldherr nach Paris zurück, wo sich die Stellung des Direktoriums immer schwieriger gestaltet hatte. Die kommunistische Verschwörung Babeufs wurde zwar zeitig entdeckt und durch die Hinrichtung ihrer Führer im März 1796 unterdrückt; den überhandnehmenden Royalismus konnte die Regierung jedoch nur durch den Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. Sept. 1797), durch den zwei Direktoren (Carnot und Barthélemy) und 52 Deputierte deportiert wurden, unschädlich machen, ebnete dadurch aber dem Militärdespotismus die Wege. Gleichwohl glaubte Bonaparte die Zeit noch nicht gekommen, um selbst die Zügel der Herrschaft zu ergreifen. Durch ein kühnes Abenteuer, die ägyptische Expedition, wollte er erst noch seinen Ruhm vermehren. Diese Unternehmung hatte jedoch trotz glänzender Siege nicht den erträumten Erfolg, und inzwischen hatte sich im Sommer 1798 auf Betreiben Rußlands eine neue Koalition Rußlands, Englands, Österreichs, der italienischen Fürsten und der Türkei gegen F. gebildet. Die Franzosen wurden 1799 aus Süddeutschland und Italien vertrieben; ein Angriff der Verbündeten auf F. selbst wurde nur dadurch verhindert, daß es Massena gelang, den Feinden in der Schweiz einige Niederlagen beizubringen und ihre Vereinigung zu hindern. Trotzdem sah das Volk in Bonaparte den einzigen Retter vor weitern Gefahren, und als Bonaparte, der die Armee in Ägypten im Stiche gelassen hatte, 9. Okt. in Fréjus landete, konnte er es wagen, das Direktorium durch den Staatsstreich vom 18. Brumaire (9. Nov. 1799) zu stürzen und eine neue Regierung, das Konsulat, einzusetzen, welche die Ruhe im Innern und die äußere Sicherheit und Machtstellung zu verbürgen schien.

Die Herrschaft Napoleons I.

Der Zustand Frankreichs machte eine starke Regierung notwendig. Die Finanzen befanden sich in völliger Zerrüttung, da die Steuern schlecht eingingen und die Ausgaben enorm waren; die Armee war unregelmäßig bezahlt und zur Insubordination geneigt; sowohl Republikaner wie Royalisten planten neue Staatsstreiche. Die drei Konsuln (neben Bonaparte Sieyès und Roger Ducos) suchten vor allem die Finanzen zu regeln, dann arbeiteten sie im Dezember 1799 eine neue Verfassung (Verfassung des Jahres VIII) aus, die den drei Konsuln einen Staatsrat, einen Senat von 60, ein Tribunat von 100 und einen Gesetzgebenden Körper von 300 Mitgliedern zur Seite stellte, deren Wahl und Befugnisse sehr künft lich festgesetzt waren. Die tatsächliche Gewalt fiel dem Ersten Konsul, Bonaparte, zu, der die äußere Politik, die Kriegsmacht und die Finanzen leitete; die beiden andern Konsuln, Lebrun und Cambacérès, hatten wenig zu bedeuten. Bonaparte organisierte die Gerichte neu und schuf eine ganz zentralisierte Verwaltung: die Präfekten an der Spitze der Departements und die Unterpräfekten an der der Arrondissements verwalteten diese Bezirke fast unumschränkt, waren aber ganz von der Regierung abhängig. Po litische und zumal Preßpolizei wurde mit großer Strenge gehandhabt. Die Errichtung der Bank von F. (Januar 1800) diente dazu, die finanziellen Maß nahmen der neuen Regierung zu unterstützen. Der Aufstand in der Vendée wurde durch den Frieden von Montfaucon (18. Jan. 1800) endgültig beschwichtigt. Darauf nahm Bonaparte den Krieg gegen die zweite Koalition, von der sich Rußland getrennt hatte, mit aller Energie auf. Seine und Moreaus Siege bedrohten die österreichischen Lande selbst, so daß der Kaiser 9. Febr. 1801 den Frieden von Lüneville schloß, in dem er das linke Rheinufer von neuem abtrat und in Italien nur das Land östlich der Etsch behielt. Die übrigen Teilnehmer der Koalition machten 1801 ebenfalls Frieden, zuletzt 1802 in Amiens England, das seine überseeischen Eroberungen, außer Ceylon und Trinidad, an F. und seine Verbündeten herausgab.

Den ehrenvollen Frieden benutzte Bonaparte zur Befestigung seiner Herrschaft. Die Straßen wurden zu Wasser und zu Lande ausgebessert und von den zahlreichen Räubern, die sie unsicher gemacht hatten, gereinigt. Ein neues Zivilgesetzbuch (Code Napoléon) wurde ausgearbeitet, die katholische Kirche durch das Konkordat mit Pius VII. (15. Juli 1801) hergestellt, aber von der Staatsgewalt abhängig gemacht. Den Emigranten wurde die Rückkehr nach F. gestattet, der öffentliche Unterricht in strenger Unterordnung unter die Regierung neu organisiert. Durch den frisch aufblühenden Handel und Gewerbfleiß und die treffliche Handhabung der Verwaltung gewonnen, war die Mehrheit der Bevölkerung auf seiten des Ersten Konsuls, der mehr und mehr als Herrscher auftrat, sich eine Garde und einen förmlichen Hofstaat schuf und den Orden der Ehrenlegion stiftete. Seine monarchische Gewalt wurde gesteigert durch die Änderung der Verfassung, die 11. Mai 1802 mit 3,568,885 von 3,577,399 Stimmen vom Volk genehmigt und auf Grund deren Bonaparte 2. Aug. durch Senatsbeschluß zum Konsul auf Lebenszeit ernannt wurde. Auch machte er sich zum Präsidenten der Zisalpinischen Republik und verleibte Piemont und Elba F. ein. 1803 brach der Krieg mit England von neuem aus. Die Entdeckung des Komplotts des Vendéers Cadoudal, der hingerichtet wurde, gab Bonaparte An laß, sich zweier unbequemer Nebenbuhler, der Generale Pichegru und Moreau, zu entledigen und durch die brutale Erschießung des Herzogs von Enghien (21. März 1804) die Bourbonen einzuschüchtern. Die Ruhe, die das Land hierbei bewahrte, ermutigte ihn zur Wiederherstellung der Monarchie. Der Senat nahm 18. Mai 1804 die neue Verfassung an, die Bonaparte als Napoleon I. zum erblichen Kaiser der Franzosen erhob; das Plebiszit hierüber ergab 3,572,329 Ja gegen 2169 Nein. Für die Kaiserkrönung, die am 2. Dez. 1804 unter Assistenz des Papstes Pius VII. in Paris stattfand, schuf Napoleon einen glänzenden Hofstaat von Erzwürdenträgern, Großbeamten und Marschällen. So war die französische Revolution wieder zu dem absoluten Regierungssystem zurückgekehrt, von dem sie ausgegangen war. Ja, der geniale Soldat, den die Wogen einer wilden Demagogie auf den Thron gehoben hatten, von dem aus er sie bändigte, war viel unumschränkter als je der legitime Herrscher, da er durch keine geschichtliche Überlieferung, durch keine alten Rechte und Privilegien gebunden war und seine Herrschaft nach Gutdünken organisieren konnte. Aber für den Verlust der Freiheit, die es nicht hatte handhaben können, wurde das französische Volk entschädigt durch die Vernichtung der Vorrechte von Adel und Geistlichkeit, die freie Laufbahn, die jetzt allen Talenten eröffnet wurde, durch den Glanz und die Macht, die F. nach außen gewann.

Nach der Errichtung des Kaiserreichs in F. wurde die Zisalpinische Republik in das Königreich Italien verwandelt, mit dessen Krone Napoleon sich gleichfalls schmückte, Genua mit F. vereinigt, Lucca für ein kaiserliches Lehen erklärt; Hannover war schon 1803 von französischen Truppen besetzt worden. So viele Übergriffe mitten im Frieden riefen eine dritte Koalition gegen F. hervor, die aus England, Rußland, Österreich und Schweden bestand. Napoleon schlug die Russen und Österreicher 2. Dez. bei Austerlitz so entscheidend, daß Österreich im Frieden zu Preßburg (26. Dez. 1805) Venetien und Dalmatien an Italien, Tirol an Bayern, Vorderösterreich an Württemberg abtrat und die Unabhängigkeit Süddeutschlands anerkannte. Neapel und Holland wurden in Napoleonische Vasallenstaaten umgewandelt und eine Reihe von Herzogtümern und Fürstentümern geschaffen, die Napoleon an seine Heerführer und Staatsmänner verlieh. Ein neuer, auf Verdienst und Vermögen beruhender Adel wurde gestiftet, dem der Kaiser konfiszierte fremde Staats- und Krongüter im Wert von 200 Mill. Frank verlieh. Die einzige noch einigermaßen selbständige politische Körperschaft, das Tribunat, wurde unterdrückt. Je despotischer Napoleon im Innern auftrat, desto mehr strebte er nach Erhöhung seines äußern Glanzes; die Krone Karls d. Gr. war sein Ziel. Daher suchte er vor allem Deutschland sich untertänig zu machen und stiftete 12. Juli 1806 den Rheinbund, der das Deutsche Reich völlig sprengte. Diese unerhörte Einmischung in die deutschen Angelegenheiten sowie mehrere Beleidigungen von seiten Napoleons veranlaßten Preußen, im Verein mit Rußland und England die vierte Koalition zu stiften. Allein die Niederlage bei Jena und Auerstädt (14. Okt. 1806) führte den Zusammensturz der preußischen Monarchie herbei. Die russische Hilfe kam zu spät, und nach den Schlachten bei Eylau und Friedland von Alexander I. von Rußland im Stiche gelassen, der sich von Napoleon für eine Teilung der Herrschaft über Europa gewinnen ließ, unterwarf sich Preußen im Frieden von Tilsit (9. Juli 1807) den Bedingungen des Siegers, der nun auch Norddeutschland beherrschte und hier ein neues Vasallenreich, Westfalen unter seinem Bruder Jérôme, errichtete. England glaubte er durch die Kontinentalsperre bezwingen zu können, die er 21. Nov. 1806 von Berlin aus dekretierte. Als Portugal sich weigerte, sich ihr zu unterwerfen, wurde es im November 1807 ohne weiteres besetzt. Hinterlistig wußte Napoleon einen Zwist in der königlichen Familie von Spanien zu benutzen, um den schwachen König Karl IV. und seinen Sohn Ferdinand VII. nach Bayonne zu locken und hier zur Verzichtleistung auf die spanische Krone zu bewegen, die er seinem Bruder Joseph verlieh (Mai 1808), an dessen Stelle Murat König von Neapel wurde. Indes selbst Napoleon vermochte die Erhebung des spanischen Volkes gegen die Fremdherrschaft nicht zu besiegen, zumal es von England unterstützt wurde. Durch das Beispiel der Spanier ermutigt, erhob sich Österreich 1809 zum viertenmal gegen F. Aber trotz heldenmütiger Tapferkeit unterlag die österreichische Armee, und im Wiener Frieden 14. Okt. 1809 mußte Österreich Westgalizien und die Provinzen in den südöstlichen Alpen und am Adriatischen Meer opfern, welch letztere unter dem Namen eines Königreichs Illyrien an Napoleon fielen.

Napoleons Macht war jetzt auf ihren Gipfel gelangt. Um seine Dynastie zu befestigen, trennte er seine kinderlose Ehe mit Josephine Beauharnais und vermählte sich 1. April 1810 mit der österreichischen Erzherzogin Marie Luise, die ihm 1811 einen Erben gebar, dem er den Titel »König von Rom« verlieh. Unersättlich strebte er nach neuem Ländergewinn. Schon 17. Mai 1809 hatte er den Kirchenstaat F. einverleibt; jetzt vereinigte er durch Dekret vom 9. Juli 1810 das Königreich Holland, 12. Nov. Wallis, 10. Dez. die Mündungen der Ems, Weser, Elbe und Trave nebst den Hansestädten mit dem französischen Reich, dessen 130 Departements sich bis zur deutschen Ostseeküste im Nordosten und bis Korfu im Südosten erstreckten. In Spanien aber erlitten die Franzosen wiederholte Niederlagen, in den unterworfenen Ländern herrschte dumpfe Gärung, und selbst im eigentlichen F. wurde man trotz des glänzenden Ruhmes und der reichen Beute, die der Staat und die Generale und Beamten aus den unterjochten Ländern zogen, des schrankenlosen Despotismus und der unaufhörlichen Aushebungen der waffenfähigen Jugend müde; das Zerwürfnis Napoleons mit dem Papst entfremdete ihm den Klerus. Anstatt sich aber von diesen drohenden Anzeichen warnen zu lassen, wollte Napoleon vielmehr auch mit Rußland den Entscheidungskampf herbeiführen, um unbestritten auf dem europäischen Kontinent zu herrschen. Zwar bereitete er diesen Feldzug auf das umfassendste vor; indem er nicht nur seine Vasallen, sondern auch Preußen und Österreich zur Heeresfolge zwang, brachte er ein Heer von 600,000 Mann (zum kleinsten Teil Nationalfranzosen) zum Kampf gegen Rußland zusammen und drang bis Moskau vor. Aber schon die ungeheuern Märsche, die Entbehrungen und das ungewohnte Klima schwächten das Heer um zwei Dritteile; der von den Russen angelegte Brand Moskaus machte den Besitz dieser Stadt unnütz, und der Winter nötigte Mitte Oktober 1812 die Franzosen zum Rückzug. Von den Russen unaufhörlich verfolgt, von der Kälte und dem Hunger aufgerieben, ging die »große Armee« fast gänzlich zugrunde. Dieser Ausgang des russischen Krieges gab den Anstoß zu einer allgemeinen Erhebung Europas gegen das übermächtige F. und zu dem Beginn des großen Befreiungskrieges (1813–14, s. Deutscher Befreiungskrieg). Zwar erschwerte der Kaiser, unterstützt von der Nation, welche die letzten Kräfte aufbot, um den vaterländischen Boden gegen die Invasion zu verteidigen, durch meisterhafte Kriegführung den Verbündeten das Vordringen in das Innere des Landes und errang noch mehrere glänzende Erfolge. Aber endlich erlag er der Übermacht. Die allgemeine Unzufriedenheit mit seinem Despotismus und seiner Eroberungssucht kam zum Ausbruch, und Napoleon wurde vom Senat abgesetzt und von den Verbündeten nach Elba verbannt. Napoleon unterwarf sich selber diesen Maßregeln durch Unterzeichnung des Traktats von Fontainebleau (12. April 1814).

Auf Antrieb der Verbündeten wurde der älteste von Ludwigs XVI. Brüdern, Ludwig XVIII., auf den französischen Thron erhoben und aus Rücksicht auf ihn F. im ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) sehr mild behandelt: es behielt die Grenzen vom 1. Jan. 1792 nebst der Hälfte von Savoyen und die meisten geraubten Kunstschätze. Auch verlieh der neue König eine konstitutionelle Verfassung, die sogen. Charte, welche die freiheitlichen Errungenschaften der Revolution gewährleistete, freilich das passive und aktive Wahlrecht für die Zweite Kammer an einen hohen Zensus knüpfte. Überdies wurden trotz der Charte die Zensur und die Polizeiallmacht beibehalten, und die Unzufriedenheit wuchs im Volke durch die Entlassung der Offiziere und Diener des Kaiserreichs. Daher wagte Napoleon von Elba aus 1. März 1815 in Südfrankreich zu landen und fand besonders bei den Soldaten Unterstützung. Unaufhaltsam rückte er auf Paris vor, wo er, nachdem Ludwig XVIII. und der Hof nach Gent entflohen, 20. März unter dem Jubel der Bevölkerung einzog. Er gewährte F. durch die Additionalakte vom 22. April eine freisinnige Verfassung, die er auf dem Maifeld 1. Juni feierlich beschwor, und rückte sodann mit 130,000 Mann nach Belgien gegen die verbündete preußisch-englische Armee. Allein von Wellington und Blücher ward er 18. Juni bei Waterloo völlig besiegt und sein Heer vernichtet. Vergebens suchte Napoleon seine Dynastie zu retten, indem er 21. Juni zugunsten seines Sohnes abdankte. Die Staatskörper gaben die Napoleoniden preis und bildeten eine provisorische Regierung, die mit den Verbündeten und mit den Bourbonen in Unterhandlung trat. Auf der Flucht nach Amerika fiel Napoleon in die Hände der Engländer, die ihn nach St. Helena brachten; hiermit hatte die Herrschaft der Hundert Tage ein Ende. Nachdem die Preußen Paris 7. Juli wieder besetzt hatten, kehrte Ludwig XVIII. 8. Juli dahin zurück und unterzeichnete 20. Juli 1815 den zweiten Pariser Frieden, der F. die Grenzen von 1790 ließ, also die Rückgabe des Saargebiets, Landaus, einiger Plätze im Hennegau und Savoyens auferlegte; ferner mußte es die geraubten Kunstschätze herausgeben und 700 Mill. Fr. Kriegskosten zahlen, bis zu deren Abzahlung 150,000 Mann verbündeter Truppen die nordöstlichen Departements besetzt halten sollten.

Die Restauration und das Julikönigtum (1815–48).

Obwohl wohlwollend und einsichtig, vermochte Ludwig XVIII. doch nicht den reaktionären Einflüssen seiner Umgebung (des »Pavillon Marsan«) zu widerstehen; namentlich sein Bruder, der Graf von Artois, und seine Nichte und Schwiegertochter, die Herzogin von Angoulême, drängten ihn zu strengen Rachemaßregeln, wie der Hinrichtung Neys und der Verbannung der Régicides (Königsmörder, d. h. aller Mitglieder des Konvents, die für die Hinrichtung Ludwigs XVI. gestimmt hatten); selbst Fouché und Talleyrand wurden im Herbst 1815 aus dem Ministerium entfernt, obwohl sie hauptsächlich zur Rückberufung der Bourbonen mitgewirkt hatten. Die Napoleonische Armee wurde gänzlich aufgelöst. Im Süden herrschte der »weiße Schrecken«, die blutige Verfolgung der Bonapartisten und der Protestanten durch den Pöbel unter geheimer Begünstigung der Behörden. Die Wahlen für die Kammer ergaben eine eifrig royalistische Mehrheit, welche die verheißene Amnestie erheblich beschränkte, das Einkommen des Klerus vermehrte, den Besitz der Toten Hand herstellte, die Ehescheidung wieder abschaffte etc. Der Herzog von Richelieu, ein gemäßigter Royalist, der seit 1815 an der Spitze der Regierung stand, löste daher im Herbst 1816 die Kammer auf; aber auch die neue zeigte sich für alle Reaktionsgelüste so gefügig, daß man sie als die »unfindbare Kammer« (chambre introuvable) bezeichnete. Richelieu ward Ende 1818 vom König entlassen, der einen Versuch mit einem gemäßigt-liberalen Ministerium Dessolle-Decazes machte. Jedoch die Ermordung des Herzogs von Berry, des Sohnes des Grafen von Artois, durch den fanatischen Republikaner Louvel (13. Febr. 1820) brachte das liberale Ministerium wieder zu Fall. Selbst Richelieu, der an Decazes' Stelle die Leitung der Regierung übernahm, genügte den royalistischen Ultras nicht, die auf Grund eines neuen Wahlgesetzes (29. Juni 1820) die Mehrheit in der Kammer erhielten, und wurde im Dezember 1821 durch Villèle ersetzt. Nun wurde das Beamtentum von allen freisinnigen Elementen gereinigt, der gesamte Unterricht dem Klerus unterworfen, durch ein Präventivpreßgesetz jedes freie Work erstickt. Dem Beschluß der Mächte der Heiligen Allianz entsprechend, schickte die französische Regierung im April 1823 eine französische Armee über die Pyrenäen, um die revolutionäre Bewegung in Spanien zu unterdrücken und den schändlichen Despotismus Ferdinands VII. wiederherzustellen, was mit leichter Mühe im September gelang. Nachdem durch Auflösung und Neuwahl der Kammer Ende 1823 fast alle liberalen Elemente aus ihr verdrängt worden waren, erlangte der Klerus neue Zugeständnisse. Trotz des übeln Eindrucks dieser reaktionären Maßregeln blühten Ackerbau, Industrie und Handel, Künste und Wissenschaften unter dem Schutz des äußern Friedens, den die Herrschaft Ludwigs XVIII. nach den Stürmen der Zeiten der Revolution und des Kaiserreichs F. brachte.

Nach dem Tode Ludwigs XVIII. (16. Sept. 1824) folgte sein Bruder, der Graf von Artois, als Karl X. (1824–30). Derselbe erließ zwar eine Amnestie und hob die Zensur auf, gab aber seine wirklichen politischen Anschauungen dadurch kund, daß er sich 29. Mai 1825 zu Reims unter Erneuerung des mittelalterlichen Zeremoniells krönen und mit dem heiligen Öl salben ließ. Die Kammern nahmen ein Sakrileggesetz, das die Entweihung der Kirchengeräte mit dem Tode bedrohte, und ein Gesetz über die Entschädigung der Emigranten durch eine Milliarde Renten an. Trotz dem wurde die Kammer der Abgeordneten, weil sie nicht hinreichend fügsam erschien, aufgelöst. Allein die Wahlen fielen nicht ministeriell aus; infolge der energischen Tätigkeit des Vereins »Aide-toi, le ciel t'aidera« erhielten die Doktrinäre unter Royer-Collard und die Liberalen (Indépendants) die Mehrheit. Villèle nahm daher 4. Jan. 1828 seine Entlassung, und der gemäßigte Royalist Martignac trat an seine Stelle. Derselbe wünschte namentlich durch Dezentralisation der Verwaltung und größere Selbständigkeit der Gemeinden und Kantone eine gedeihliche innere Entwickelung zu ermöglichen, stieß aber bei der mißtrauischen Kammer auf Widerstand, worauf der König, nachdem das Budget bewilligt worden und die Session der Kammern geschlossen war, Martignac entließ und 8. Aug. 1829 Polignac als Haupt eines streng reaktionären Ministeriums berief. Polignac suchte zunächst durch Erfolge der auswärtigen Politik der Eitelkeit des Volkes zu schmeicheln. Als der französische Konsul Deval vom Dei von Algier beleidigt wurde, beschloß die Regierung im April 1830 die Eroberung Algiers. Indes die Deputiertenkammer trat in einer mit 221 gegen 181 Stimmen angenommenen Adresse für die konstitutionellen Rechte gegen Polignac entschieden ein, und als sie 16. Mai 1830 deswegen aufgelöst wurde, wählte das Volk, obgleich der König sich selbst mit Ermahnungen und Drohungen in die Wahlbewegung einmischte, Ende Juni 202 von den 221 Deputierten, welche die Adresse beschlossen hatten, wieder. Ermutigt durch die Einnahme von Algier (5. Juli), beschloß Karl X. einen Staatsstreich: Sonntag, 25. Juli 1830, unterzeichnete er fünf Ordonnanzen, die am 26. Juli im »Moniteur« erschienen und die Veröffentlichung jeder Druckschrift von der Erlaubnis der Behörden abhängig machten, die Abgeordnetenkammer auflösten und das Wahlgesetz und die Rechte der Kammer willkürlich beschränkten.

Schon 27. Juli veröffentlichten die Zeitungen einen von Thiers entworfenen Protest. Nach dreitägigem Kampfe (27.–29. Juli) siegten die aufrührerischen Volksmassen, und schließlich räumten alle Truppen Paris. Die Julirevolution hatte gesiegt; doch erreichten deren Vorkämpfer, die Arbeiter, nicht ihr Ziel: die Errichtung der Republik. Die liberalen Deputierten nahmen die Leitung der Dinge in die Hand, ernannten eine provisorische Regierung und beriefen sofort die Kammern. Karl X. floh mit seiner Familie nach England. Die Mehrheit der Kammern glaubte die Freiheit und Ordnung am besten zu sichern, wenn sie den Herzog von Orléans, der stets zu den Liberalen gehalten hatte, auf den Thron erhob. Nachdem sie 7. Aug. eine von Guizot ausgearbeitete neue Verfassung beschlossen hatte, welche die persönlichen Rechte der Bürger mit festen Garantien umgab, die Rechte der Kammern so erweiterte, daß in F. das parlamentarische System herrschte, und durch Einführung eines hohen Zensus, der die Zahl der Wähler auf 200,000, der Wählbaren auf 24,000 Franzosen beschränkte, alle Macht dem wohlhabenden Bürgerstand (bourgeoisie) übertrug, wurde der Herzog von Orléans 9. Aug. 1830 als Ludwig Philipp zum König der Franzosen proklamiert.

Der neue König nahm anstatt der weißen wieder die dreifarbige Fahne als nationales Abzeichen an und berief die Führer der Liberalen, erst Laffitte (bis 1831), dann Casimir-Perier (bis 1832), an die Spitze des Ministeriums. Dennoch beruhte sein Thron auf schwachen Grundlagen und ward sowohl von den Legitimisten, die den König als einen Verräter ansahen, als von den um ihren Sieg betrogenen Republikanern aufs heftigste angefeindet. Schon 1832 kam es in der Vendée zu einer Erhebung der Legitimisten unter der Herzogin von Berry und in Paris zu einem republikanischen Aufstand, und die Verschwörungen und Attentate hörten seitdem nicht auf. 1832 wurde ein Koalitionsministerium, das Kabinett vom 11. Okt., gebildet, dessen Scheinpräsidentschaft Napoleonische Marschälle, wie Soult, Gérard, Mortier, führten, dessen einflußreichste Mitglieder aber Guizot und Thiers waren, und das sich mit einigen Veränderungen vier Jahre lang behauptete. Die Regierung beherrschte die Wahlen durch ihren Einfluß sowie durch direkte und indirekte Bestechung und schaffte sich in der Deputiertenkammer stets eine Mehrheit, die sie durch Befriedigung der Wünsche der einzelnen Deputierten sich willfährig und gefügig erhielt; die vom König ernannten Pairs waren noch weniger selbständig. Die schmähliche Gewinnsucht und Korruption der leitenden Kreise wurde durch mehrere skandalöse Vorfälle offenkundig. Auch der König verscherzte die öffentliche Achtung durch seine Habgier und die Beflissenheit, mit der er die Interessen seiner Familie wahrnahm; seine bürgerliche Einfachheit galt für Geiz, und man beschuldigte ihn offen gewinnsüchtiger Geldspekulationen. Aber auf ihre legale Gewalt trotzend, nahm die Regierung auf kein Symptom der Unzufriedenheit Rücksicht. Die immer zahlreichern Attentate auf den König, so das Fieschis (28. Juli 1835), und wiederholte Arbeiteraufstände in Paris, Lyon und St.-Etienne, die schon einen sozialistischen Charakter annahmen, wurden mit immer größerer Beschränkung der Vereins- und Preßfreiheit beantwortet; die politischen Prozesse wurden den Geschwornengerichten entzogen und der Pairskammer überwiesen.

In der äußern Politik hatte sich Ludwig Philipp, um sich die Gunst der legitimen Monarchen zu verschaffen, zurückhaltend gezeigt, den polnischen Aufstand nicht unterstützt und sich begnügt, durch Besetzung Anconas (1831) den französischen Einfluß in Italien gegenüber Österreich zu wahren und die Unabhängigkeit Belgiens durch militärische Intervention zu schützen. Die Eroberung Algeriens wurde unter rühmlichen Erfolgen der französischen Waffen fortgesetzt, durch die Flotte die französischen Interessen in Amerika und Ozeanien gesichert. Der unruhige Ehrgeiz der Armee, auch eines Teiles der öffentlichen Meinung, war dadurch freilich nicht zufriedengestellt, und Thiers, der nach dem Rücktritt des konservativen Kabinetts Molé im Januar 1840 die Leitung des Ministeriums übernahm, schmeichelte den chauvinistischen Neigungen der Nation durch die Überführung der Leiche Napoleons I. von St. Helena nach Paris und durch eine kühne Politik im Orient, wo er für Mehemed Ali von Ägypten gegen die Pforte und die mit ihr durch die Quadrupelallianz vom 15. Juli 1840 verbündeten Mächte eintrat. Er schien es sogar auf einen großen Krieg ankommen lassen zu wollen, in dem er die Rheingrenze zu gewinnen hoffte. Diesen wagte Ludwig Philipp jedoch nicht, und Thiers wurde 21. Okt. 1840 entlassen. Wenn auch die Versuche des Prinzen Ludwig Napoleon, die Armee zu einer Erhebung für den Bonapartismus fortzureißen, 1836 und 1840 scheiterten, verlor die Julimonarchie durch ihre kleinliche und engherzige auswärtige Politik, namentlich durch die Parteinahme für den Schweizer Sonderbund und durch die Ränke in der Frage der spanischen Heiraten, immer mehr an Ansehen. Ein empfindlicher Verlust war auch der tragische Tod des populärsten Sohnes Ludwig Philipps, des Thronfolgers Herzog von Orléans (13. Juli 1842). Am meisten aber schadete Guizot, der seit 1840 der tatsächliche, seit 1847 auch der nominelle Leiter der Regierung war, durch die Hartnäckigkeit, mit der er alle Klagen und Beschwerden über die Selbstsucht der herrschenden Bourgeoisie und die Korruption der Pairs und Deputierten unbeachtet ließ und jede Erweiterung des Wahlrechts verweigerte. Arbeitseinstellungen und Mißwachs verbreiteten Not und Elend. Anderseits nahm die Agitation für die Erweiterung des Wahlrechts von Jahr zu Jahr immer größere Dimensionen an und verbreitete sich über alle Schichten des Volkes. Selbst ein Teil der Anhänger der Julimonarchie, die sogen. dynastische Opposition unter Odilon Barrot und Thiers, schloß sich der Agitation an und verband sich mit den Republikanern zur Veranstaltung öffentlicher Bankette für Erweiterung des Wahlrechts. Vom Juli bis zum Dezember 1847 wurden 70 solcher Reformbankette abgehalten. Die Regierung verbot im Februar 1848 ein vom 12. Arrondissement in Paris beabsichtigtes Reformbankett. Dennoch erließ das Komitee die Einladungen zu demselben auf den 22. Febr. 1848. Die Regierung zog ansehnliche Truppenmassen in und um Paris zusammen, verhinderte das Bankett und unterdrückte die hierbei entstandenen Unruhen. Aber 23. Febr. machte die Nationalgarde mit dem Volke gemeinsame Sache, und am Abend kam es in folge einiger unbedachter Schüsse zum offenen Kampfe zwischen Militär und Volk (Februarrevolution); überall erhoben sich Barrikaden. Die Soldaten waren müde und entmutigt, zumal der König sich schwankend zeigte. Das Volk, zu dem mehrere Linienregimenter übergingen, rückte 24. Febr. zu den Tuilerien vor, und Ludwig Philipp entfloh, nachdem er zugunsten seines Enkels, des Grafen von Paris, abgedankt hatte. Jedoch die Aufständischen drangen in den Sitzungssaal der Kammer ein und erzwangen die Ernennung einer provisorischen Regierung unter dem Vorsitz Lamartines, die teils aus Republikanern, wie Arago, Crémieux, Garnier-Pagès, teils aus Sozialisten, wie Ledru-Rollin, Louis Blanc und Albert, einem Arbeiter, bestand. So brach die Julimonarchie zusammen, und diesmal erreichten die Leiter des Aufstandes ihren Zweck, die Errichtung einer Republik.

Die zweite Republik und das zweite Kaiserreich (1848–70).

Die neue Regierung schlug ihren Sitz im Stadthaus auf, proklamierte sofort die Republik und berief eine Nationalversammlung, welche die Verfassung beschließen sollte. Das sozialistische Abzeichen, die rote Fahne, wurde abgelehnt und eine sozialistische Demonstration 16. April von der Nationalgarde in Zaum gehalten. Doch mußte man die Errichtung von »Nationalwerkstätten« zur Beschäftigung und Ernährung der sozialistischen Arbeiter zugestehen. Nach Eröffnung der durch allgemeines Stimmrecht gewählten konstituierenden Nationalversammlung (4. Mai) wurde die provisorische Regierung durch eine Exekutivkommission ersetzt, die aus Lamartine, Arago, Marie, Garnier-Pagès und Ledru-Rollin bestand. Die Nationalversammlung war aber viel konservativer gesinnt als die Pariser Bevölkerung und verfügte 21. Juni die Auflösung der Nationalwerkstätten und die Entfernung ihrer nun beschäftigungslosen Arbeiter in die Provinz. Dies hatte 24. Juni den Ausbruch eines furchtbaren Arbeiteraufstandes zur Folge, der aber vom Kriegsminister Cavaignac nach dreitägigem, blutigem Kampfe (Junischlacht, 24.–26. Juni) mit Linientruppen und Nationalgarden besiegt wurde; über 10,000 Arbeiter wurden getötet, zahlreiche Gefangene wurden deportiert. Die republikanisch gesinnte Exekutivkommission wurde von der Nationalversammlung beseitigt und Cavaignac als Ministerpräsidenten die alleinige Leitung der Exekutive übertragen; gegen die Klubs und die Presse wurden die strengsten Maßregeln getroffen. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse wurde die Verfassung der Republik beraten. Auf Antrag Lamartines beschloß die Versammlung, daß der Präsident der Republik nicht von ihr, sondern direkt vom Volk in allgemeiner Abstimmung (Plebiszit) auf 4 Jahre gewählt werden solle. So kam es, daß, nachdem die neue Verfassung 12. Nov. verkündet worden, bei der Präsidentenwahl 10. Dez. nicht der Kandidat der Nationalversammlung, Cavaignac, sondern durch eine Koalition der Monarchisten, Bonapartisten, Klerikalen und Sozialisten der Prinz Ludwig Napoleon mit 5,434,226 von 7,327,345 Stimmen gewählt wurde. Ludwig Napoleon, der »Prinz-Präsident«, trat sein Amt 20. Dez. an und leistete den Eid auf die Verfassung, betrachtete sich aber von Anfang an als Erwählten der Nation.

Nachdem die konstituierende Nationalversammlung im März 1849 noch die Expedition gegen Rom zur Wiedereinsetzung des Papstes und zur Herstellung des französischen Einflusses in Italien beschlossen hatte, löste sie sich 26. Mai auf, und 28. Mai wurde die neugewählte Gesetzgebende Versammlung eröffnet. In dieser hatten die Monarchisten und Klerikalen die Mehrheit; die gemäßigten Republikaner hatten allen Einfluß verloren. Die Presse und die Vereine wurden durch strenge Strafgesetze geknebelt. In Rom wurde nach der Einnahme der Stadt (2. Juli) der päpstliche Despotismus hergestellt, Anfang 1850 die französische Schule dem Klerus überliefert und durch ein neues Wahlgesetz, welches das Wahlrecht an eine direkte Steuer und zweijährigen Aufenthalt band, die Zahl der Wähler von 9 auf 6 Mill. vermindert. Die Nationalversammlung machte sich durch dies Verhalten bei den niedern Klassen immer unpopulärer, während der Prinzpräsident auf wiederholten Reisen durch das Land um deren Gunst sich bewarb, die Gebrechen seiner Regierung dem Widerstand der Versammlung gegen alle Reformen schuld gab und durch Freigebigkeit, Gnadenakte und militärische Schauspiele die schlummernden Sympathien des Volkes für die Napoleonische Kaiserzeit weckte. In der Armee gewann er zahlreiche Anhänger, und bonapartistische Vereine waren unermüdlich für die Errichtung des Kaiserreichs tätig. Unter diesen Umständen beschloß der Prinz zu handeln und beantragte daher Anfang 1851 eine Verfassungsrevision, die das allgemeine Stimmrecht herstellte und die Wiederwahl des Präsidenten nach Ablauf seiner vierjährigen Amtszeit gestattete. Die Nationalversammlung verwarf im August diese Revision, versäumte es aber, sich gegen einen etwaigen Gewaltstreich zu schützen. Der Prinz schritt nun zu einem Staatsstreich, der aufs sorgfältigste vorbereitet wurde. In der Nacht vom 1. zum 2. Dez. 1851 wurden 60 Deputierte und hervorragende politische Persönlichkeiten (Changarnier, Cavaignac, Thiers, V. Hugo u. a.) verhaftet, am Morgen des 2. Dez. der Palast der Nationalversammlung mit Truppen besetzt und dieselbe durch eine Proklamation des Präsidenten für aufgelöst erklärt. 218 Abgeordnete, die sich in einer Mairie versammelten, wurden verhaftet, auch der höchste Gerichtshof und der Staatsrat gewaltsam aufgelöst. Dennoch verhielten sich die Arbeiter meist untätig, und nur an wenigen Stellen wurden Barrikaden errichtet und bewaffneter Widerstand versucht. Um von fernern Aufständen abzuschrecken, richteten die bonapartistischen Generale gleichwohl 3. und 4. Dez. in den Straßen von Paris ein großes Blutbad an; 100,000 Menschen wurden im ganzen Lande verhaftet und zahlreiche Personen nach Cayenne und Lambessa deportiert oder verbannt.

Der Prinz rief das Volk zur Entscheidung des Streites zwischen ihm und der Nationalversammlung an, indem er jenem eine neue Verfassung zur Abstimmung vorlegte. Das Plebiszit fand 20. und 21. Dez. statt, und da das Volk sich nach Ruhe sehnte, der Klerus für Napoleon gewonnen war und die Armee für ihn stimmte, ward mit 71/2 Mill. gegen 650,000 Stimmen die neue Verfassung angenommen, die einen Präsidenten der Republik auf 10 Jahre mit allen Herrscherattributen, aber dem Volk verantwortlich, einen Gesetzgebenden Körper, durch das allgemeine Stimmrecht erwählt, aber ohne jede legislative Initiative, und einen vom Präsidenten ernannten Senat einsetzte. Diese 14. Jan. 1852 verkündete Verfassung verlieh dem Staatsoberhaupt eine beinahe absolute Gewalt. Da nun auch die Wahlen für den Gesetzgebenden Körper ganz für die neue Regierung ausfielen, strebte Napoleon offen die Wiederherstellung des Kaiserreichs an. Ein Senatskonsult vom 7. Nov. 1852 legte die Frage dem Volk zur Abstimmung vor, die am 21. u. 22. Nov. mit 7,801,321 gegen 251,781 Stimmen für das Kaiserreich entschied. Als Napoleon III. ward der Prinz 2. Dez. 1852 in St.-Cloud zum Kaiser proklamiert. Die europäischen Mächte erkannten teilweise nur zögernd das zweite Kaiserreich an. Von mehreren fürstlichen Familien wurde der neue Kaiser mit seinen Heiratsanträgen abgewiesen und vermählte sich daher 29. Jan. 1853 mit der spanischen Gräfin Eugenie von Montijo. Ein glänzender Hofstaat wurde eingerichtet, zahlreiche Großwürdenträger ernannt, und der Luxus und die Pracht der Tuilerien bildeten das eifrig nachgeahmte Muster der vornehmen Welt.

Die neue Regierung widmete den wirtschaftlichen Dingen eine eifrige Fürsorge, Handel und Gewerbe blühten, der Wohlstand hob sich, und das Volk schien mit dem neuen System wohl zufrieden. Die Verhandlungen des Senats und des Gesetzgebenden Körpers vertiefen friedlich. Namentlich verstand es Napoleon, seine Popularität durch seine auswärtige Politik zu steigern. Indem er im Krimkrieg (1854–56) im Bunde mit dem liberalen England für die Türkei gegen Rußland auftrat, erschien er als Verteidiger der Freiheit Europas gegen die brutale Eroberungssucht des despotischen Zaren. Die französischen Truppen errangen wieder in ernstern Kämpfen, als die in Algerien waren, blutige Lorbeeren; F. führte auf dem Pariser Friedenskongreß das entscheidende Wort; die Regierungen, selbst die russische, wetteiferten in den Bewerbungen um die Gunst Napoleons; die Heilige Allianz war durch den Krimkrieg völlig zersprengt worden, und F. war wieder die erste Macht des Kontinents, sein Kaiser der angesehenste Herrscher, dessen Worten man gespannt lauschte. Die Geburt des kaiserlichen Prinzen (16. März 1856) schien die Dynastie dauernd auf dem Thron zu befestigen. Das Orsinische Attentat (14. Jan. 1858), obwohl erfolglos, erschreckte den Kaiser und erschütterte seine Zuversicht. Anfangs schrieb man es republikanischen Wühlereien zu, und die Regierung ließ 18. Febr. 1858 durch den Gesetzgebenden Körper ein »Gesetz der allgemeinen Sicherheit« beschließen, auf Grund dessen der Minister des Innern, General Espinasse, 2000 politisch Verdächtige deportieren ließ. Bald aber erklärte die kaiserliche Regierung für die alleinige Ursache des Attentats die unhaltbaren Zustände in Italien. Napoleon glaubte den Zeitpunkt gekommen, durch Begünstigung Sardiniens Österreich aus Italien zu vertreiben und die Halbinsel F. dienstbar zu machen. Er schloß im Juli 1858 mit Cavour den geheimen Vertrag von Plombières, der durch die Vermählung seines Vetters, des Prinzen Jérôme Napoléon, mit einer Tochter des Königs Viktor Emanuel (30. Jan. 1859) noch enger geknüpft wurde. Napoleon selbst führte ein französisches Heer über die Alpen, indem er: »Italien frei bis zur Adria!« für sein Ziel erklärte, und erfocht, mehr infolge der Unfähigkeit der österreichischen Generale als durch eigne kriegerische Überlegenheit, im Verein mit den Piemontesen die Siege von Magenta (4. Juni) und Solferino (24. Juni), schloß aber schon 11. Juli aus Besorgnis vor Preußens drohen der Haltung mit Österreich den vorläufigen Frieden von Villafranca, der in Zürich 10. Nov. näher bestimmt wurde und die Lombardei an Sardinien abtrat. Die unmittelbare Folge dieses Krieges war der überraschende Ausbruch des italienischen Nationalgefühls, das den Zusammenschluß fast der ganzen Halbinsel unter dem Hause Savoyen bewirkte. F. wagte nicht, hindernd einzugreifen; es begnügte sich, den Rest des Kirchenstaates zu schützen und die Anerkennung der vollendeten Tatsachen in Italien sich 24. März 1860 durch die Abtretung von Savoyen und Nizza abkaufen zu lassen.

Dieser Ausgang des italienischen Krieges verletzie nicht nur die Klerikalen, sondern erschien auch andern Franzosen als ein politischer Fehler. Selbst weise Maßregeln, wie der freihändlerische Handelsvertrag mit England (23. Jan. 1860). dem Verträge ähnlicher Richtung mit andern Staaten folgten, wurden dem Kaiser zum Vorwurf gemacht. Seine Politik wurde daher unsicher, haschte nach äußern Erfolgen und ließ sich von den abenteuerlichen Plänen der Vertrauten des Hofes, eines Morny, Persigny, Walewski u. a., beeinflussen. 1860 nahm F. an einem Krieg Englands gegen China teil und intervenierte in Syrien zugunsten der Christen. Auf Grund haltloser Privatansprüche begann Napoleon 1861 die mexikanische Unternehmung, in der Hoffnung, während die nordamerikanische Union sich im Bürgerkrieg zerfleischte, Mexiko und Zentralamerika unter französischen Einfluß zu bringen. Zwar wurde Mexiko durch die französischen Truppen erobert und der Erzherzog Maximilian auf den mexikanischen Thron gesetzt, aber der Krieg verschlang ungeheure Summen, und um ihre Höhe nicht bekannt werden zu lassen, wurden heimlich alle verfügbaren Geldmittel und alles in den Depots vorrätige Kriegsmaterial verbraucht. Schließlich vermochte die französische Armee doch nicht Maximilians Kaiserreich zu sichern und mußte auf die Drohungen der Union 1867 Mexiko räumen und Maximilian dem schmählichen Untergang preisgeben. Während es in Mexiko verwickelt war, mußte F. die Polen ihrem Schicksal überlassen, räumte nach der Septemberkonvention (18. Sept. 1864) Rom und konnte 1866 während des preußisch-deutschen Krieges nicht entscheidend auftreten. Der unerwartet schnelle und vollständige Sieg Preußens bei Königgrätz, den die Franzosen fast wie eine von ihnen selbst erlittene Niederlage und Schmach empfanden, warf alle Berechnungen des Kaisers über den Haufen. Er ließ nun zwar in einer Note seines auswärtigen Ministers Lavalette erklären, daß die Auflösung des alten Deutschen Bundes ein Vorteil für F. sei. Indes die öffentliche Meinung war der entgegengesetzten Ansicht, daß durch die Bildung zweier großer nationaler Staaten an seiner Ostgrenze Frankreichs legitimes Übergewicht in Europa ernstlich gefährdet sei.

Die Weltausstellung 1867 und die Besuche der Souveräne während derselben verliehen dem Kaiserreich wiederum einigen Nimbus. Dagegen gelang es nicht, Luxemburg durch Kauf zu erwerben. F. mußte sich mit seiner Räumung durch die Preußen und der Neutralisation begnügen, und die Intervention in Italien für den Papst, dessen weltliche Herrschaft durch das Gefecht von Mentana gegen die Garibaldianer (4. Nov. 1867) noch einmal gerettet wurde, ward dem Kaiser von den Liberalen und von Italien sehr verdacht und von der Kirche nicht gedankt. Napoleon richtete daher sein Hauptaugenmerk auf die Reorganisation der Armee, die der Kriegsminister Niel bei der Abneigung der Kammern gegen neue Lasten allerdings nur unvollständig durchführen konnte, wogegen ein vortreffliches Hinterladegewehr angeschafft wurde, und auf eine politische Reform, die dem Kaiserreich die Gunst der Nation sichern sollte. Das Schaukelsystem des gewandten »Vizekaisers« Rouher zwischen Zugeständnissen und Repressivmaßregeln hatte sich nicht bewährt, und die Neuwahlen für den Gesetzgebenden Körper 24. Mai 1869 ergaben trotz des offiziellen Einflusses der Regierung für dieselbe nur 4,467,720 Stimmen, für die Opposition 3,258,777. Im Gesetzgebenden Körper forderten im Juli 1869 bereits 116 Deputierte in einer Interpellation Verantwortlichkeit der Minister sowie Unabhängigkeit und freie parlamentarische Bewegung mit Initiative für den Gesetzgebenden Körper. Der Kaiser entließ 17. Juli Rouher und ernannte 2. Jan. 1870 Emile Ollivier, bisher Mitglied der Opposition, zum Präsidenten eines aus gemäßigt-liberalen Anhängern des Kaiserreichs gebildeten Ministeriums, das die »Krönung des Gebäudes« durch eine liberale Verfassung vollziehen sollte. Aber die Pariser Demokratie deutete diese Nachgiebigkeit als Schwäche und wurde durch sie zu großen Demonstrationen, ja sogar schon zu Aufstandsversuchen ermutigt. Da es dem alternden, kränklichen Kaiser an entschiedener Tatkraft fehlte, verzögerte sich die Ausführung der Reform, und seine Umgebung hielt es daher für nützlich, das Ansehen des Kaiserreichs durch eine neue Volksabstimmung zu kräftigen. Das Plebiszit 8. Mai ergab zwar 7,350,142 Ja gegen 1,538,825 Nein; aber die großen Städte hatten überwiegend mit Nein gestimmt, und aus der Armee und Marine waren gegen 50,000 Nein abgegeben worden. Nun hielt die Umgebung des Kaisers einen populären auswärtigen Krieg für unerläßlich, um das erschütterte Kaiserreich von neuem zu befestigen.

Dieser Krieg konnte nur gegen Preußen gerichtet sein und die Erwerbung der Rheingrenze zum Ziele haben. Der neue Minister des Auswärtigen, Gramont, der sicher auf den Beistand Österreichs und Italiens rechnete, nahm die spanische Thronkandidatur des Erbprinzen von Hohenzollern zum Kriegsvorwand: am 19. Juli 1870 ward die Kriegserklärung in Berlin übergeben. Das französische Volk ließ sich von der Kriegsbegeisterung anstecken; bei der Abstimmung im Gesetzgebenden Körper über den Kriegskredit 15. Juli fanden sich nur zehn Opponenten, die auch nur aus Opportunitätsgründen vor Überstürzung warnten. Indessen die Erwartungen, mit denen man sich in den deutsch-französischen Krieg (s.d.) stürzte, wurden bald getäuscht. Die süddeutschen Staaten blieben nicht neutral, sondern stellten ihre Truppen unter preußischen Oberbefehl; Österreich wollte erst einen Sieg Frankreichs abwarten, ehe es auf dessen Seite trat; in Italien verhinderte die Volksstimme den König, sich den Unterdrückern Roms anzuschließen; selbst Dänemark blieb schließlich neutral. Bei der Mobilmachung zeigte sich, daß die Armee keineswegs kriegsbereit war. So kam es, daß die Franzosen, statt Deutschland sofort mit ihren Scharen zu überschwemmen, in ihrem eignen Land angegriffen wurden. Nach den Niederlagen bei Wörth und Spichern wurden die Kammern schleunigst einberufen und das Ministerium Ollivier 9. Aug. durch ein streng bonapartistisches unter Palikao ersetzt. Aber der Untergang der Armee Mac Mahons bei Sedan (1. und 2. Sept.) und die Gefangennahme des Kaisers stürzten das Kaiserreich mit Einem Schlag. In Paris zwang die erbitterte Volksmenge 4. Sept. die Kaiserin zur Flucht nach England, sprengte den Gesetzgebenden Körper auseinander und rief auf dem Stadthaus die Republik aus. Die Pariser Deputierten bildeten unter dem Vorsitz des Generalgouverneurs Trochu eine provisorische Regierung, die sich Regierung der nationalen Verteidigung (Gouvernement de la défense nationale) nannte. Nirgends im Land erhob sich Widerspruch gegen den Sturz des Kaiserreichs, zumal man nun auf Wiederherstellung des Friedens hoffte. Aber die neue Regierung machte solche unmöglich, indem sie durch den Minister des Auswärtigen, Jules Favre, erklären ließ, daß sie keinen Zoll französischen Gebiets, keinen Stein seiner Festungen abtreten, lieber den Kampf bis zum äußersten fortsetzen wolle. Als Mitte September Paris von den deutschen Truppen eingeschlossen wurde, blieb die Regierung in der Hauptstadt; nur ein Teil von ihr schlug als »Delegation« seinen Sitz in Tours auf, und die Seele dieser Regierung für die Provinz ward Gambetta, der am 6. Okt. Paris in einem Luftballon verließ und sich bald zum Diktator Frankreichs aufwarf. Die französische Nation bewährte auch diesmal ihre Vaterlandsliebe, Opferfähigkeit und Gefügigkeit, so daß Gambetta aus dem scheinbar erschöpften Land immer neue Armeen aufstellen und noch fünf Monate den Widerstand fortsetzen konnte. Die Kämpfe der Nordarmee bei Amiens, Bapaume und St.-Quentin, der Loirearmee bei Orléans und Le Mans, der Ostarmee bei Belfort, endlich der Pariser Armee bei Villiers und am Mont Valérien endeten allerdings alle mit Niederlagen, Paris mußte Ende Januar 1871 kapitulieren, und die Verluste Frankreichs an Geld und Menschen waren sehr hoch. Aber es unterlag ehrenvoll.

Der Waffenstillstand vom 28. Jan. 1871 bestimmte, daß sofort Wahlen für eine Nationalversammlung stattfinden sollten, die über Krieg und Frieden zu entscheiden hätte. Die Wahlen ergaben 8. Febr. eine große Mehrheit von Konservativen, da diese friedlich gesinnt waren. Die Nationalversammlung, die, 750 Mitglieder stark, 13. Febr. in Bordeaux zusammentrat, entsprach den Erwartungen des Landes, indem sie sich von allem Parteizank fernhielt, den gemäßigten Republikaner Grévy zu ihrem Präsidenten und Thiers zum Chef der Exekutivgewalt wählte und ihm für die Friedensverhandlungen Vollmacht erteilte. Diese führten 26. Febr. zu den Friedenspräliminarien von Versailles, die freilich mit der Abtretung von drei Departements (Elsaß-Lothringen) und der Zahlung von 5 Milliarden Kriegskosten F. harte Opfer auferlegten, aber 1. März von der Nationalversammlung unter ungeheurer Aufregung mit 546 gegen 107 Stimmen angenommen wurden; gleichzeitig wurde die Napoleonische Dynastie fast einstimmig abgesetzt. Der definitive Friede ward 10. Mai 1871 in Frankfurt a. M. unterzeichnet.

Die dritte Republik.

Die Zahl der Monarchisten in der Nationalversammlung war so groß, daß die Herstellung der Monarchie in F. damals wohl möglich gewesen wäre. Aber weder der Graf von Chambord noch die Orléans besaßen den Mut, das Staatsruder mit fester Hand zu ergreifen und die Ausführung des von der Nation ersehnten, aber für ihren Stolz so demütigenden Friedens zu übernehmen. Die Monarchisten schlossen daher mit den Republikanern den Pakt von Bordeaux, wonach die Frage der definitiven Regierungsform vorläufig offen bleiben solle. Dagegen setzten sie es durch, daß der Sitz der Nationalversammlung nicht nach Paris, sondern nach Versailles verlegt wurde. Hierdurch erweckten sie in der aufgeregten Bevölkerung von Paris den Argwohn, daß die Herstellung einer reaktionären Monarchie beabsichtigt sei, und so versuchten die Kommunisten, die schon während der Belagerung zweimal, 31. Okt. 1870 und 22. Jan. 1871, sich empört hatten, 18. März einen neuen Aufstand, der glückte. Die Truppen mußten Paris räumen, wo die Kommune proklamiert wurde. Unter den schwierigsten Verhältnissen unternahm die Regierung von Versailles aus die Wiedereroberung von Paris, das erst in der letzten Woche des Mai 1871 unter schrecklichen Greueln und den Flammen der von den Kommunisten angezündeten Staatsgebäude von der Armee genommen werden konnte. Hierdurch wuchs das Vertrauen zu Thiers' Geschicklichkeit und Tatkraft. Ende Juni konnte er bereits eine Anleihe von 21/2 Milliarden machen, durch deren Bezahlung an Deutschland er einen großen Teil des Territoriums von der fremden Okkupation befreite. Er wurde daher 31. Aug. zum Präsidenten der Republik auf drei Jahre ernannt, wobei indes das Recht der Nationalversammlung, dem Land eine neue (monarchische) Verfassung zu gegen, ausdrücklich vorbehalten wurde. Schon im Juli 1872 beschaffte Thiers durch eine Anleihe von 3 Milliarden, die zur Genugtuung der Franzosen 14mal überzeichnet wurde, die Mittel, um das Ende der Okkupation im September 1873 herbeizuführen. Die Reorganisation der Armee wurde im großartigsten Maßstab bewirkt, die Ost- und Nordgrenze durch zahlreiche größere und kleinere Festungen gesichert und Paris mit einem neuen weitern Ringe von Forts umgeben. Allerdings stieg die Staatsschuld auf 22 Milliarden, die jährlichen Mehrausgaben um 600 Mill., und die Zölle auf fast alle Verbrauchs- und Genußmittel mußten erhöht, eine Menge neuer Steuern eingeführt werden. Dennoch nahmen Handel und Wandel einen glänzenden Aufschwung, und die Staatseinnahmen stiegen von Jahr zu Jahr. Die Republik wurde immer beliebter im Volke, wie die Nachwahlen zeigten, und auch Thiers hielt sie für die einzig mögliche Staatsform, da die Monarchie bei drei Prätendenten unhaltbar sei, und beantragte wiederholt, so namentlich 13. Nov. 1872, ihre definitive Proklamierung, ja er legte im Mai 1873 ein Gesetz hierüber der Nationalversammlung vor. Die monarchistische Mehrheit glaubte aber jetzt Thiers entbehren zu können, erteilte ihm 23. Mai ein Mißtrauensvotum und nahm, als Thiers seine Entlassung einreichte, diese sofort mit 368 gegen 339 Stimmen an; noch in derselben Nacht wurde Mac Mahon zum Präsidenten erwählt, der den Herzog von Broglie zum Chef eines durchaus reaktionären Ministeriums machte, das sich die Herstellung der legitimen Monarchie Heinrichs V., des Grafen von Chambord, zum Ziele setzte. Schon hatten 22. Okt. die Monarchisten einen entsprechenden Gesetzentwurf vereinbart, als plötzlich Chambord durch seine Weigerung, die Trikolore anzunehmen und sich zu Zugeständnissen und Bürgschaften zu verpflichten, alle monarchistischen Projekte zum Scheitern brachte (27. Okt.). Bei dieser Lage der Dinge beschloß die Rechte, um wenigstens die konservativ-klerikalen Interessen zu wahren, sich mit den gemäßigten Republikanern zu verständigen. Die Präsidentschaft der Republik wurde Mac Mahon 19. Nov. 1873 auf sieben Jahre übertragen (Septennat) und die Ausarbeitung einer Verfassung von der Dreißigerkommission begonnen. Am 25. Febr. 1875 wurde die Verfassung der Republik in der von Vallon beantragten Form mit 425 gegen 252 Stimmen angenommen. Dieselbe bestätigte das Septennat und setzte zwei Kammern ein, eine direkt vom Volke gewählte Deputiertenkammer von 533 und einen Senat von 300 Mitgliedern, von denen 75 lebenslänglich, die übrigen auf neun Jahre durch gewisse Klassen von Notabeln gewählt sein sollten. Die neue Verfassung trat 1. Jan. 1876 in Kraft.

Während die Mehrheit des Senats noch konservativ war, wurden in die Deputiertenkammer nur 170 Konservative, dagegen 360 Republikaner gewählt. Um dies Ergebnis umzustoßen, machten die Klerikalen, die jetzt an Stelle der Monarchisten in den Vordergrund traten, 1877 unter Leitung Broglies einen Reaktionsversuch; 25. Juni wurde die Kammer aufgelöst, und der Minister des Innern Fourtou wandle alle Mittel des Kaiserreichs an, um konservative Wahlen zu erzielen; auch Mac Mahon setzte in Manifesten und Reden seine persönliche Autorität dafür ein. Indes Gambetta leitete den Wahlfeldzug der Republikaner mit großer Mäßigung und mit solchem Geschick, daß 14. Okt. 1877: 320 Republikaner gewählt wurden. Mae Mahon unterwarf sich, entließ Broglie und berief Dufaure, einen gemäßigten Republikaner, im Dezember 1877 an die Spitze der Regierung. Als die Ergänzungswahlen für den Senat im Januar 1879 auch hier eine republikanische Mehrheit geschaffen hatten, verlangte die siegreiche republikan ische Partei die Entfernung aller Monarchisten und Klerikalen aus der Verwaltung und den höhern Justiz- und Armeestellen. Dies veranlaßte Mac Mahon, 30. Jan. 1879 seine Entlassung zu geben, worauf die zum Kongreß vereinigten Kammern Grévy, den Führer der gemäßigten Republikaner, zum Präsidenten wählten. Führer der Republikaner in der Kammer wurde nun Gambetta. Seine Anhänger, die republikanische Linke und die Union républicaine, hießen wegen ihrer Anbequemung an die Verhältnisse Opportunisten und waren gemäßigt gesinnt, ließen sich aber von den Radikalen immer weiter nach links drängen, um nicht die Volksgunst zu verlieren. Sie gaben 1879 ihre Zustimmung zur Verlegung des Sitzes der Kammern von Versailles nach Paris und zu einer teilweisen, 1880 zu einer vollständigen Amnestie der Kommunarden. Auch wurde energisch gegen den übermächtigen Klerus vorgegangen, die Volksschule reformiert und Unentgeltlichkeit des Unterrichts und Schulzwang eingeführt. Die Republik schien für immer gefestigt zu sein, namentlich seit die gefährlichste monarchistische Partei, die bonapartistische, durch den Tod des kaiserlichen Prinzen (1. Juni 1879) zur Ohnmacht verurteilt war. Gambetta selbst übernahm 14. Nov. 1881 die Leitung des Ministeriums. Man erwartete Großes von ihm, namentlich in der auswärtigen Politik. Gambetta rechnete auf einen Bund mit Eng land in der ägyptischen Frage und auf weitere Erfolge in Afrika, wo F. im Frühjahr 1881 sich Tunis angeeignet hatte. Indessen Gambettas Herrschaft endete schon 26. Jan. 1882, da die Kammer aus Mißtrauen gegen seine Diktaturgelüste die von ihm beantragte Listenabstimmung ablehnte. Durch die darauf folgenden sich überstürzenden Ministerwechsel wurde Frankreichs Aktion nach außen so gelähmt, daß England es ganz aus Ägypten verdrängte.

Endlich gelang es Ferry 21. Febr. 1883, ein Ministerium zu bilden, das sich längere Zeit behauptete, obwohl sich unter ihm schon bedenkliche Zeichen für die Republik einstellten. Die Prätendenten erhoben wieder ihr Haupt, die Staatseinnahmen minderten sich, und die Geschäfte stockten. Ferry entsetzte alle Prinzen des Hauses Orléans ihrer militärischen Stellen, beseitigte durch das Gerichtsreformgesetz 614 monarchistische Richter, brachte die Konversion der 5proz. Rente in eine 41/2proz. zustande und befriedigte die Ansprüche der Radikalen durch das Ehescheidungsgesetz und eine teilweise Verfassungsreform. Indes verwickelte er durch seine Kolonialpolitik F. in mancherlei Schwierigkeiten. Die französische Regierung wollte ihren Besitz in Hinterindien um Anam und Tongking erweitern und geriet bei der Eroberung des letztern Landes 1884 in einen Krieg mit China, wodurch sie genötigt wurde, in Europa zu den mitteleuropäischen Mächten, auch zu Deutschland, eine freundlichere Haltung einzunehmen und in der ägyptischen Frage sogar eine Verbindung mit ihnen gegen England einzugehen. Dies brachte die Revanchepartei gegen Ferry auf; und obwohl er einen ehrenvollen Frieden mit China, das Anam und Tongking F. überließ, angebahnt hatte, der am 9. Juni 1885 zu Tientsin zustande kam, genügte doch das Mißgeschick einer französischen Truppe vor Langson in Tongking (im März 1885), um Ferry zu stürzen (30. März). Der neue Ministerpräsident Brisson brachte noch das Listenskrutinium in beiden Kammern zur Annahme. Dann fanden 4. Okt. 1885 die Neuwahlen für die Deputiertenkammer statt. Dieselben fielen ungünstig für die Republikaner aus: die Opportunisten hatten nicht mehr allein die Mehrheit, sondern waren von den Radikalen unter Clémenceau abhängig, die jedes Ministerium, auch wenn es teilweise aus ihrer Partei entnommen war, stürzten, sobald es ihren Wünschen nicht ganz entsprach. Daher wechselten die Ministerien schnell hintereinander, und eine fruchtbare Politik war nicht möglich.

Der Ministerpräsident Freycinet suchte die Radikalen zu gewinnen, indem er 22. Juni 1886 ein Gesetz annehmen ließ, das die Prinzen des Hauses Orléans aus F. verwies, allein jene verbündeten sich gegen ihn mit den Monarchisten und brachten durch Annahme eines von dem Kabinett bekämpften Antrags auf Abschaffung der Unterpräfekten auch das Ministerium Freycinet zu Fall (3. Dez. 1886). Die neue Regierung erhielt ihre Signatur durch zwei Persönlichkeiten: den Ministerpräsidenten Goblet, einen revanchelustigen Radikalen, und den Kriegsminister Boulanger, der durch Ausbeutung der nationalen Rachegelüste eine herrschende Stellung zu erlangen hoffte. Er rüstete mit außerordentlichem Eifer, warf an die Ostgrenze zahlreiche Truppen, prahlte mit einem neuen Sprengstoff (Melinit) und bereitete die Mobilmachung der im Osten stehenden Armeekorps vor. Inzwischen drohte ein zufälliges Ereignis den Krieg zum sofortigen Ausbruch zu bringen. Ein französischer Polizeikommissar, Schnäbele, dessen Ergreifung in Deutschland wegen seiner wiederholten Spionage in den deutschen Grenzbezirken vom deutschen Reichsgericht angeordnet worden, kam auf Einladung des deutschen Polizeikommissars Gautsch zu einer dienstlichen Besprechung nach Novéant und wurde hier verhaftet und nach Metz gebracht (20. April 1887). Dieses zufällige Zusammentreffen von Umständen erschien den Franzosen als ein hinterlistiges Attentat und erregte einen Sturm der Entrüstung. Goblet, Boulanger und drei ihrer radikalen Kollegen im Ministerrat verlangten die Absendung eines Ultimatums an Deutschland, ja den Krieg; allein der weise Widerstand des Präsidenten Grévy entschied für eine friedliche Verhandlung, die dann auch binnen kurzem die Befreiung Schnäbeles herbeiführte.

Diese Vorgänge hatten die Stellung der radikalen Minister erschüttert, und da ihre Finanzverwaltung sehr ungünstige Ergebnisse hatte, führte die Budgetberatung 17. Mai 1887 den Sturz des Kabinetts Goblet herbei. Es wurde durch das gemäßigte Ministerium Rouvier ersetzt, das Boulanger in die Provinz sandte, als kommandierenden General in Clermont. Obwohl es gleichfalls eine bedeutende Vermehrung des Heeresbestandes bewerkstelligte, führte es doch im Budget Sparsamkeit und strenge Aussicht ein und brachte so beträchtliche Ersparnisse zuwege. Indes war die Lage der Republik gefährdet durch die Selbstsucht und Torheit der Radikalen und die Zettelungen der Boulangisten, die Vernichtung des Parlamentarismus sowie den Rachekrieg gegen Deutschland als Programm aufstellten. Grévy selber und seine Ratgeber genossen in F. wenig Achtung, und die Korruption in den höchsten Stellungen des Staates war ein offenes Geheimnis. General Caffarel, Generalstabschef im Kriegsministerium, wurde unter der Anklage, mit dem Orden der Ehrenlegion Handel getrieben zu haben, verhaftet; bald stellte sich heraus, daß nicht nur eine große Anzahl von andern Generalen daran beteiligt war, sondern auch besonders der Schwiegersohn Grévys, der Abgeordnete Wilson, der mit der größten Schamlosigkeit seine Stellung im Palast des Präsidenten zum Schacher mit Ämtern, Orden und Begünstigungen aller Art mißbraucht hatte. Grévy freilich verweigerte seine von allen Seiten geforderte Entlassung: als aber das Kabinett Rouvier seine Entlassung gab, niemand anders ein Ministerium unter Grévy annehmen wollte, die Abgeordnetenkammer sich in Permanenz erklärte, mußte der greise Präsident abtreten (2. Dez. 1887) und sich ins Privatleben zurückziehen.

Bei der Wahl eines neuen Präsidenten einigten sich die Republikaner auf den farblosen Sadi Carnot, der durch den Kongreß, d. h. die Vereinigung der beiden Kammern, schon 3. Dez. zum Präsidenten der Republik gewählt wurde. Carnot, ein ehrenhafter und wohlwollender Mann, suchte seine repräsentative Stellung mit Eifer und erforderlicher Prachtentfaltung auszufüllen und verschaffte dadurch wie durch seinen unanfechtbaren Charakter allmählich der Republik wieder Volkstümlichkeit und Achtung.

Zunächst bildete er das gemäßigte Ministerium Tirard (11. Dez.). Es hielt sich jedoch nicht lange. Boulanger suchte alle Unzufriedenen um sich zu sammeln, indem er den Ruf nach Verfassungsrevision und Einberufung einer konstituierenden Versammlung erhob. Zwar nahm ihm das Ministerium sein Kommando, und er wurde 26. März 1888 durch das Urteil eines Kriegsrates wegen grober Verletzung der Disziplin aus dem Heere gestoßen: aber diese Strafen erschienen dem größten Teile des Volkes im Licht eines politischen Martyriums, und so wurde Boulanger der gefeierte Führer der »Partei des nationalen Protestes«. Radikale und Monarchisten nahmen 30. März 1888 den von dem Boulangisten Laguerre gestellten und von der Regierung bekämpften Antrag auf Dringlichkeit der Verfassungsrevision an und brachten dadurch das Kabinett Tirard zu Fall. Es wurde durch das radikale Ministerium Floquet ersetzt. Aber dieses parlamentarische Schaukelsystem langweilte das Land und ekelte es an. Die Menge, zumal in dem radikalen Norden und in Paris selbst, feierte den General als ihren und Frankreichs Helden, Erretter und Rächer. Am 19. Aug. wurde er bei drei Neuwahlen zugleich zum Abgeordneten gewählt. Er arbeitete offen auf ein Plebiszit zu seinen Gunsten hin. Ende 1888 brach Lesseps' großes Unternehmen des Panamakanals zusammen, bei dem Hunderttausende kleiner Leute schwere Einbuße erlitten. Anfang 1889 fiel eins der größten Geldinstitute Frankreichs, das Comptoir d'Escompte, infolge wahnsinniger Spekulationen zur Monopolisierung des Kupfers. So wuchs die Unzufriedenheit mit der Republik, und nach erbittertem Wahlkampf wurde 27. Jan. 1889 Boulanger zum Abgeordneten von Paris erkoren. Das war ein glänzender Sieg des Generals, den man allgemein schon als künftigen Herrn Frankreichs betrachtete. Die Monarchisten, auf Rat des Grafen von Paris selbst, verbündeten sich mit Boulanger, dem seine Anhänger und zumal reiche Damen, wie die Herzogin von Uzès, ungeheure Geldmittel zur Verfügung stellten.

So war die innere Lage Frankreichs höchst bedrohlich, als wenige Wochen vor dem Beginn der großen Weltausstellung, die den hundertsten Jahrestag des Ausbruchs der großen Revolution verherrlichen sollte, das Ministerium Floquet über die Frage der Verfassungsrevision fiel (14. Febr. 1889). An seine Stelle trat ein abermaliges Kabinett Tirard. Dessen bedeutendstes Mitglied war der Minister des Innern Constans, der es als seine Hauptaufgabe betrachtete, die republikanische Verfassung vor den Umtrieben Boulangers zu retten. Er traf Boulanger persönlich, indem er die diesem durchaus ergebene »Patriotenliga« auflöste und dann den General und seine nächsten Freunde mit Billigung des Abgeordnetenhauses vor dem Senat wegen Verschwörung gegen die Sicherheit des Staates und wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder anklagte. Vergebens rieten die meisten Freunde Boulangers diesem, den offenen Aufstand zu versuchen, jedenfalls sich dem Gericht zu stellen; um sein Schlemmerleben fortführen zu können, zog er es vor (3. April), nach Brüssel und, als er von hier ausgewiesen wurde, nach London zu fliehen. Damit hatte der General seine politische Rolle aufgegeben. Die öffentliche Meinung brandmarkte seine Handlungsweise als feig und lächerlich, und seitdem schwand seine Partei schnell dahin. Seine Verurteilung in contumaciam durch den Senat (13. Aug.) und die unerfreulichen Enthüllungen, die der Prozeß über ihn und seine nächsten Anhänger gebracht, zerstörten völlig sein Ansehen.

So ging die Weltausstellung, die Carnot 5. Mai 1889 eröffnete, ungestört von statten und wurde in der Tat zu einer glänzenden Verherrlichung des Gewerbfleißes, des Geschmacks und Reichtums der französischen Nation. Die Kammern führten indes den Kampf gegen den Boulangismus weiter und nahmen dann das neue Wehrgesetz vom 15. Juli 1889 an, das die fünfjährige Dienstzeit durch die dreijährige ersetzte, das Institut des Einjährig-Freiwilligendienstes fast vollständig beseitigte, die Zahl der jährlich Einzustellenden um 60,000 erhöhte und für die nicht Diensttauglichen die Wehrsteuer einführte. Darauf wurden die Kammern geschlossen. Die Neuwahlen für die Abgeordnetenkammer ergaben für die Republikaner die bisherige Mehrheit, doch war eine erfreuliche Verschiebung zugunsten der Gemäßigten eingetreten. Um die Einheit der republikanischen Partei aufrecht zu erhalten, erwählten bei dem Wiederzusammentreten der gesetzgebenden Körperschaften auch die Gemäßigten den Radikalen Floquet zum Präsidenten der Deputiertenkammer. Die Monarchisten dagegen zeigten sich uneinig, da viele von ihnen das Bündnis mit den Boulangisten durchaus mißbilligten und sogar zu den konservativen Republikanern übergingen, auch eine Anzahl französischer Bischöfe, mit Billigung der römischen Kurie, diesem Beispiel folgte. Das Ergebnis aller solcher Ereignisse war eine bedeutende Festigung der parlamentarischen Republik. Freilich führte die handelspolitische Frage, da die freihändlerischen Anschauungen des Ministeriums Tirard von der Kammermehrheit nicht gebilligt wurden, schon 13. März 1890 den Rücktritt des Kabinetts herbei, das am 17. durch ein neues ersetzt wurde, in dem der bisherige Kriegsminister Freycinet auch den Vorsitz übernahm, Constans wieder das Innere und der ehemalige Unterrichtsminister Fallières die Justiz erhielt: der Radikalismus war allerdings in jenem vertreten, doch überwogen die gemäßigten Elemente. Die Niederlage des Boulangismus trat deutlich bei den Wahlen zum Pariser Gemeinderat hervor (28. April, 4. Mai), bei denen nur zwei Boulangisten gewählt wurden. Diese nachträgliche Rechtfertigung von Constans' Energie befestigte die Stellung des Ministeriums, das offen schutzzöllnerisch auftrat und verkündete, es werde die alten Handelsverträge, die bis 1. Febr. 1892 liefen, sämtlich kündigen, einen hohen Generaltarif für die Einfuhr festsetzen und etwaige Ermäßigung des letztern fremden Staaten nur gegen besondere Begünstigung der französischen Ausfuhr zugestehen. Die auswärtige Politik Frankreichs charakterisierte sich durch eine immer lauter und amt lich verkündete Annäherung an Rußland, bei dem man Schutz gegen den von Deutschland geführten Dreibund suchen zu müssen behauptete. Mit deutschfeindlichen Kundgebungen stand in um so grellerm Gegensatz der Freuden- und Verbrüderungstaumel, der bei dem Besuch einer französischen Flotte unter Admiral Gervais in Kronstadt (23. Juli bis 8. Aug.) in Szene gesetzt wurde. Indes wurde von allen Seiten der friedliche Charakter des russisch-französischen Bündnisses betont, als dessen Träger das Kabinett Freycinet erschien. Da aber traten drohende Vorzeichen für dessen Bestand ein durch Wiedererwachen der klerikalen Frage. Kaum waren 16. Febr. 1892 die Kammern wieder zusammengetreten, als sie eine Ministerkrisis heraufbeschwor. Freycinet brachte einen Gesetzentwurf über das Vereinswesen ein, der in sehr matter Weise den klerikalen Agitationen entgegentrat. Am 19. Febr. verlangte der radikale Abgeordnete Hubbard für die Beratung dieses Entwurfes die Dring lichkeit, und zwar in dem Sinne, daß damit die Kammer die Trennung des Staates von der Kirche fordere. Freycinet sprach sich gegen die Trennung aus und stellte darüber die Kabinettsfrage; indes die Tagesordnung, die er gebilligt hatte, wurde abgelehnt. Sofort reichte das Ministerium seine Entlassung ein. Nach vielen vergeblichen Versuchen wurde es 27. Febr. in dem Sinne rekonstruiert, daß Loubet das nominelle Präsidium und das Innere übernahm, Constans, dessen tatkräftiges Einschreiten für die Ordnung den Boulangisten und Radikalen stets verhaßt gewesen war, unter dem Vorwande sittlicher Mängel entfernt wurde. Die erhöhte Zuversicht der extremen Elemente sprach sich in einer Reihe von anarchistischen Dynamitattentaten aus, die Ende April 1892 Paris und die Provinzen in panischen Schrecken versetzten. Anderseits erhoben sich die Bischöfe, welche die Kirchlichkeit im Volke mehr und mehr schwinden sahen, immer heftiger gegen die Republik, selbst das Gebot des Papstes nicht achtend, der, aus Haß wider den Dreibund, Frankreich begünstigte. Daher wurde die monarchistische Erhebung der Geistlichkeit durch eine förmliche Enzyklika des Papstes bekämpft, der dem französischen Klerus die Anerkennung der republikanischen Regierung als einer von Gott gewollten durchaus anbefahl. Leo XIII. wünschte einerseits den im Schwinden begriffenen Einfluß der Kirche auf F. wiederherzustellen, anderseits in diesem Land ein Gegengewicht gegen die italienische Regierung und den Dreibund, zu dem letztere gehört, zu gewinnen. Er zwang deshalb auch die Partei der katholischen Monarchisten, sich der Republik zu unterwerfen; nur wenige überzeugungstreue Mitglieder dieser, wie der Herzog von La Rochefoucauld und der Marquis von Breteuil, leisteten den päpstlichen Befehlen Widerstand. Es war momentan ein glänzender Triumph der Republik.

Da das Ministerium Loubet den Radikalen gegenüber große Schwäche bezeigte, fiel es (28. Nov.), obwohl das französische Selbstgefühl durch die Unterwerfung des Landes Dahomé durch den Obersten Dodds befriedigt wurde. An Stelle Loubets übernahm der Minister des Äußern, Ribot, den Vorsitz. Es stellte sich bald heraus, daß der Bund zur Ausbeutung des Publikums durch den Panamaschwindel eine große Anzahl der leitenden Politiker umfaßt hatte. Am 13. Dez. mußte der Finanzminister Rouvier vor den gegen ihn geschleuderten Anklagen seine Entlassung nehmen; er wurde durch Tirard ersetzt. Floquet wurde nicht wieder zum Präsidenten der Kammer gewählt und durch Casimir-Perier ersetzt. Die Aufregung im ganzen Land über die beispiellose Korruption der regierenden Kreise war ungeheuer; fünf ehemalige Minister, zahlreiche hervorragende Politiker und Finanzleute wurden in Anklagezustand versetzt. Indes erkannte man bald, daß die Boulangisten und Monarchisten den Panamaskandal hauptsächlich als Waffe gegen die Republik gebrauchten. Die Regierung ließ also sämtliche Parlamentarier, mit Ausnahme des frühern Finanzministers Baïhaut, außer Verfolgung setzen. Fast alle andern Angeklagten wurden schließlich vom Kassationshof freigesprochen, und die ganze Angelegenheit, die soviel Aufsehen erregt hatte, verlief im Sande. Doch war darüber inzwischen, 30. März 1893, das Ministerium Ribot gefallen und hatte dem Ministerium Dupuy Platz gemacht, das gleichfalls die Vereinigung aller »wahren« Republikaner, d. h. der Opportunisten und Radikalen, repräsentierte. Mit allgemeinem Mißtrauen aufgenommen, erlangte es bald unerwartete Erfolge. Es zeigte sich sehr entschlossen gegen die Sozialisten, deren Mittel- und Vereinigungspunkt es durch die Schließung der großen Arbeitsbörse in Paris (6. Juli 1893) beseitigte. Es zwang Siam, trotz der engl ischen Gegenwirkungen, zur Abtretung des linken Mekhongufers (1. Aug. 1893). So trug es bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer 20. Aug. und 3. Sept. einen glänzenden Sieg davon. Die Festlichkeiten, mit denen die Ankunft eines russischen Geschwaders in Toulon und der Aufenthalt von dessen Offizieren in Paris gefeiert wurden (Oktober 1893), und die eine neue Bürgschaft für das russisch-französische Bündnis zu geben schienen, erhöhten das Ansehen der republikanischen Regierung in F. Indes waren die Radikalen wegen ihres sinkenden Einflusses unzufrieden; sie brachten das ganze Kabinett Dupuy zum Fall. Am 1. Dez. wurde es durch das konservativ-republikanische Ministerium Casimir-Perier ersetzt, das jede durchgreifende Verfassungsänderung ablehnte und Versöhnung mit der Kirche auf seine Fahne schrieb; dieses wurde jedoch schon im Mai 1894 gestürzt. Nur mit Mühe gelang es Dupuy, ein neues Kabinett, teilweise aus ganz neuen Männern, zu bilden, das wieder mehr zu den Radikalen hinüberneigte, aber bestimmt war, bis zur bevorstehenden Präsidentenwahl (im Dezember 1894) die Geschäfte weiterzuführen und den Streit mit England über dessen Vertrag mit dem Kongostaat auszufechten; ein Kenner der Kolonialverhältnisse, Hanotaux, übernahm daher das Auswärtige. Da trat ein unerwartetes Ereignis ein. Als der Präsident Carnot die Stadt Lyon, wo eine Ausstellung stattfand, besuchte, ward er bei der Fahrt zum Theater 24. Juni abends von einem Italiener, Caserio, durch einen Dolchstich tödlich verwundet; er starb nach wenigen Stunden. Der Mörder gehörte einer anarchistischen Verschwörung an, die an Carnot die Hinrichtung der anarchistischen Bombenwerfer Ravachol, Vaillant und Henry rächen wollte und Caserio durch das Los zur Ausführung der Tat bestimmt hatte. Der Tod des streng rechtlichen, ehrenwerten Präsidenten ward allgemein beklagt und bewirkte, daß in F. die Überzeugung zur Herrschaft gelangte, daß eine starke Regierung gegen die Umsturzbestrebungen notwendig sei. Daher wurde bei der Neuwahl des Präsidenten durch die Nationalversammlung, die am 27. Juni in Versailles stattfand, gleich im ersten Wahlgang der konservative Casimir-Périer mit 451 Stimmen zum Präsidenten gewählt. Er behielt das Ministerium Dupuy bei. Die Leiche Carnots wurde unter großen Feierlichkeiten 1. Juli im Pantheon beigesetzt. Casimir-Périer behielt nicht lange die Gewalt in Händen. Die Heftigkeit, mit der die Extremen (die Sozialisten und Radikalen auf der einen, die Klerikalen und Monarchisten auf der andern Seite) einander und die Regierung befehdeten, ließen ihn schon 15. Jan. 1895 zugleich mit dem Ministerium Dupuy zurücktreten. Seine kurze Präsident schaft war durch den Beginn des Feldzuges in Madagaskar (s.d.) bezeichnet.

An Casimir-Périers Stelle wurde 17. Jan. 1895 der gemäßigt republikanische Felix Faure, aus Gegensatz gegen Radikale und Sozialisten, zum Präsidenten der Republik gewählt. Er war durchaus machtlos und mußte mit ansehen, wie die Kammern Zeit und Kräfte in unnützem Hader und Verleumdungskrieg verbrachten, das gemäßigte Ministerium Ribot im November durch das radikale Bourgeois ersetzt, dieses wieder im April 1896 durch den Senat gestürzt wurde. Das am 29. April gebildete Kabinett Méline legte alle Reformgedanken, besonders auch die sehr notwendige Umgestaltung des ganz antidemokratischen Besteuerungssystems, beiseite und bildete in handelspolitischer Beziehung das Schutzzollsystem aus. Es konnte so verfahren, weil es in der auswärtigen Politik glänzende Erfolge davontrug. Die Eroberung Madagaskars wurde vollendet, dieses 1896 für eine französische Kolonie erklärt. Der Besuch des Zaren in F., Oktober 1896, und des Präsidenten Faure in Peterhof, August 1897, brachten das französisch-russische Bündnis zum öffentlichen Ausdruck, das auch von Nikolaus II. offizielle Anerkennung fand.

Die klerikale Partei, der sich Méline und auch Faure immer mehr zuneigten, hielt die Zeit zu einem entscheidenden Vorstoß gekommen. Unter dem Vorwande des Falles Dreyfus (s.d. 3) griff sie die Gleichberechtigung der Israeliten und Protestanten sowie die Aufklärung und das Freimaurertum leidenschaftlich an. Sie stellte ihre eigne Sache als die der nationalen Ehre und Größe hin und entzündete einen innern Kampf, der mit grenzenloser Heftigkeit und Erbitterung geführt wurde. Das Kabinett Méline stellte sich offen, der Präsident Faure deutlich auf die Seite der Nationalisten, wie sich die Klerikal-Monarchisten jetzt gern nannten. Die Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer (Mai 1898) ergaben wiederum keine feste Mehrheit. Allein der Übertritt Mélines und seiner Ministerkollegen zur Rechten fand doch die Mißbilligung einer wenn auch schwachen Kammermajorität, so daß 28. Juni 1898 sein Kabinett durch das radikale Brissons ersetzt wurde. Dieses aber sah sich sofort in neue Kämpfe in der Dreyfus-Angelegenheit (»l'affaire«) verwickelt. Oberst Picquart, Chef des Nachrichtenbureaus im Generalstab, erklärte, daß nicht Dreyfus, sondern dessen Ankläger Esterhazy das Bordereau, auf das hin Dreyfus hauptsächlich verurteilt worden war, verfaßt habe. Picquart wurde in strengste Einzelhaft genommen, obwohl der im Nachrichtenbureau angestellte Oberstleutnant Henry eingestand, daß er das Anklagematerial gegen Dreyfus gefälscht habe, und sich im Gefängnis den Hals durchschnitt (30./31. Aug.), und obwohl darauf der Chef des Generalstabs, General Boisdeffre, sich als getäuscht bekannte und seinen Abschied nahm.

Das Heer glaubte, daß seine Ehre an die Aufrechterhaltung von Dreyfus' Verurteilung durch das Kriegsgericht geknüpft sei, und die chauvinistische Gesinnung der Mehrheit des französischen Volkes ließ sie diese Anschauung teilen. Als daher die Regierung das Gesuch der Familie Dreyfus um Revision seines Prozesses dem Kassationshof unterbreitete, nahm die Abgeordnetenkammer eine dem Kabinett Brisson feindliche Tagesordnung an: es gab seine Entlassung, und Dupuy bildete ein neues Ministerium (29. Okt. 1898). Auch dieses konnte den leidenschaftlichen Streit zwischen Nationalisten und Dreyfusards nicht schlichten. Der Kassationshof sprach die Zulässigkeit der Revision des Dreyfusprozesses aus, die Nationalisten wendeten sich an alle heftigen Instinkte der Volksmassen und entfesselten zumal den Antisemitismus. Daß F. sich dazu verstehen mußte, vor den Kriegsdrohungen Englands das von der französischen Expedition des Majors Marchand besetzte Faschoda am obern Nil im Dezember 1898 zu räumen, verschlimmerte die Lage der Regierung.

Inzwischen starb der Präsident der Republik, Felix Faure, plötzlich 16. Febr. 1899. Die Mehrheit der Kammern konnte sich nicht dazu entschließen, durch die Wahl eines Nationalisten die demokratischen Grundsätze der französischen Republik offen zu verleugnen, und wählte 18. Febr. den gemäßigten, aber überzeugten Republikaner Emil Loubet zu Faures Nachfolger. Öffentliche Beleidigungen Loubets durch die Nationalisten glitten an der schlichten und ehrlichen Persönlichkeit des neuen Präsidenten ab, und der Versuch eines Militäraufstandes durch Déroulède scheiterte an der Ängstlichkeit seines Gesinnungsgenossen, des Generals Roget. Ein Vertrag mit England (März 1899), der alles Land im mittlern Afrika, westlich vom 23.° östl. L., an F. überwies, wetzte die Scharte von Faschoda einigermaßen aus und gab dem französischen Selbstgefühl Genugtuung. Die Verhandlungen vor dem Kassationshof erwiesen unwiderleglich die Schuldlosigkeit Dreyfus', die Fälschungen zu seinen Ungunsten, an denen auch der militärische Untersuchungsrichter von 1894, du Paty de Clam, teilgenommen hatte, sowie die Mitschuld der höchsten Heeresführer, besonders des ehemaligen Kriegsministers Mercier. Picquart wurde der Hast entlassen, der Kassationshof verwies die Angelegenheit Dreyfus vor ein neues Kriegsgericht, das zu Rennes (Juni 1899). Da das Kabinett Dupuy nicht mit hinreichender Entschlossenheit gegen die rohen Demonstrationen der Nationalisten einschritt, wurde es gestürzt und 22. Juni durch das Kabinett Waldeck-Rousseau ersetzt, das gewillt war, die Beruhigung Frankreichs mit fester Hand, aber doch mit Mäßigung durchzuführen und diese Aufgabe tatsächlich in glänzender Weise gelöst hat. Waldeck-Rousseau vereitelte die im August 1899 entdeckte Verschwörung der Orléanisten; sein Kriegsminister André reinigte unbarmherzig das Offizierkorps von den klerikal-monarchistischen Elementen und suchte militärischen Geist und Disziplin wiederherzustellen.

Das Urteil des Kriegsgerichts zu Rennes über Dreyfus wurde nach langen aufregenden Verhandlungen 9. Sept. gefällt; es lautete auf Schuldig unter Zubilligung mildernder Umstände und zehn Jahre Festungshaft. Die Verurteilung des angeblichen Verräters erfüllte die Nationalisten und Klerikalen, die sich zu Verteidigern der beleidigten Armee aufgeworfen hatten, mit Genugtuung. Die Regierung beeilte sich, 20. Sept. Dreyfus zu begnadigen, wodurch allerdings weder das Rechtsgefühl des Verurteilten und seiner Verteidiger befriedigt, noch der Haß der Gegner beschwichtigt wurde. Indes wurde doch die Affaire Dreyfus zunächst der öffentlichen Diskussion entzogen, deren Gegenstand sie seit Jahren gewesen war, die Aufmerksamkeit auf andre Dinge gelenkt; die Regierung brachte später einen Gesetzentwurf über eine Amnestie bei den Kammern ein, die der Affaire ein völliges Ende machen sollte. Das Urteil des Staatsgerichtshofs gegen Déroulède und dessen Genossen lautete sehr mild: ersterer wurde auf zehn Jahre verbannt, seine Mitschuldigen meist nur mit einer Verwarnung bedacht. Nahte doch schon die Weltausstellung von 1900, die F. einig und beruhigt sehen mußte.

Die Regierung, die sich durchaus auf die Linke, sogar auf einen Teil der Sozialisten stützte, denen der Handelsminister Millerand entstammte, schlug, wenn auch mit geringen Mehrheiten, alle wütenden Angriffe der Nationalisten und der mit diesen verbündeten Mélinisten in der Kammer zurück und vermochte die Weltausstellung auf das glänzendste zu Ende zu führen. Paris freilich war und blieb nationalistisch, hatte aber dafür die Enttäuschung, daß der Zar bei seinem abermaligen Besuche in F. Paris vermied. Nach außen verfolgte die Regierung eine versöhnliche Politik, wie sie denn in die Wirren in China (s.d., S. 54f.) möglichst wenig eingriff und das dortige französische Okkupationskorps dem deutschen Feldmarschall Waldersee unterordnete. Dagegen wurde das Kolonialgebiet Frankreichs in Nord- und Mittelafrika beständig ausgedehnt. Das feste und würdige Auftreten des Kabinetts Waldeck-Rousseau gewann ihm immer mehr Anhänger; die Leidenschaften beruhigten sich; die Stimme der »Intellektuellen« (Schriftsteller und Gelehrten), die von Beginn an die Nationalisten bekämpft hatten, schaffte sich Gehör: man sah mit Gleichmut einen der klerikalen Heeresführer nach dem andern seine Entlassung nehmen oder erhalten und durch republikanische Offiziere ersetzt werden. Zumal die Offizierschule von St.-Cyr wurde durch den Minister André gänzlich umgestaltet, da sie bisher die Wiege des klerikalen und monarchistischen Geistes im Heere gewesen war.

Das Jahr 1901 wurde besonders durch die Diskussion des Gesetzes über das Vereinsrecht bezeichnet, durch das die Regierung die Aufhebung aller nicht von der Staatsverwaltung genehmigten geistlichen Vereinigungen herbeizuführen beabsichtigte. Da diese Kongregationen die Leiterinnen und Ratgeberinnen im Kampfe waren, den die Klerikal-Nationalisten führten, galt das neue Gesetz als die schlimmste Gefahr für diese Partei. Die Verhandlungen in den Kammern gestalteten sich äußerst heftig. Allein die Abgeordnetenkammer nahm 29. März 1901 mit 303 gegen 224, der Senat 23. Juni mit 173 gegen 99 Stimmen das Vereinsgesetz an. Die Aussöhnung Frankreichs mit Italien nach fast 20jähriger Entfremdung sowie die glänzende Aufnahme, die der Minister des Auswärtigen, Delcassé, in Petersburg fand, endlich ein Besuch des Zarenpaares in Frankreich (September) verstärkten die Stellung des Kabinetts; die hohen russischen Gäste hatten es abermals vermieden, das oppositionelle Paris mit ihrer Anwesenheit zu beehren. Aber auch mit einer Macht des Dreibundes knüpfte F. an: es traf mit Italien ein Übereinkommen wegen der türkischen Gebiete am Mittelmeer und stellte überhaupt mit jenem Staat ein freundlicheres Verhältnis her, als solches seit zwei Jahrzehnten vorhanden gewesen. Die Kammern erteilten denn auch dem Ministerium ein glänzendes Vertrauensvotum, indem sie (Februar 1902) das von dem Handelsminister Millerand vorgelegte Gesetz über die Altersversorgung der Arbeiter sowie das Programm der Ausführung öffentlicher Arbeiten annahmen, obwohl letzteres eine Ausgabe von 663 Mill. vorhersah. Es war dies um so bezeichnender, als die Finanzlage Frankreichs sich bedeutend verschlechtert, das Jahr 1901 mit einem Fehlbeträge von 175 Mill. abgeschlossen hatte. Dafür fand sich ganz F. hoch geehrt, als Präsident Loubet eine offizielle Einladung zum Zaren erhielt, der er auch im Mai 1902 nachkam. Inzwischen hatten am 28. April und 11. Mai die Neuwahlen für die Abgeordnetenkammer stattgefunden. Es hatte sich um den Entscheidungskampf zwischen der fortschrittlich-demokratischen Republik und dem klerikal-monarchistisch-nationalistischen Bündnis gehandelt. Die erstere trug einen glänzenden Sieg davon, und in Paris triumphierten die Gegner. Die Wahlen ergaben 228 Radikale, 48 ministerielle Republikaner, 45 Sozialisten, 140 Fortschrittler, 50 Gemäßigte, 45 Nationalisten, 33 Konservative. Waldeck-Rousseau hielt sein Werk für getan; er wünschte Erholung von seiner gewaltigen politischen Arbeit und gab, mit dem ganzen Ministerium, 13. Mai seine Entlassung. Nachdem die Kammer durch die Wahl des Ministeriellen Bourgeois zum Präsidenten (1. Juni) ihren Willen, die bisherige Politik weiterzuführen, kundgegeben hatte, beauftragte Loubet den Radikalen Combes mit der Bildung eines neuen Ministeriums, das am 7. Juni 1902 ins Amt trat. Combes selbst übernahm Inneres und Kultus, Vallé die Justiz, Rouvier die Finanzen, Pelletan die Marine, Chaumié den öffentlichen Unterricht, Trouillot den Handel, Maruéjouls die öffentlichen Arbeiten, Mongeot den Ackerbau, Doumergue die Kolonien, Delcassé bewahrte das Ministerium des Auswärtigen und André das des Krieges. Die Erklärung des neuen Kabinetts, die Politik Waldeck-Rousseaus, den Kampf gegen den Klerikalismus und die Reaktion, kräftig fortsetzen zu wollen, wurde 12. Juni von der Kammer mit 309 gegen 117 Stimmen und 149 Stimmenthaltungen gebilligt. Die Regierung befahl darauf die Schließung aller von Geistlichen geleiteten Schulen, die nicht die vom Gesetz verlangte Autorisation von der Regierung erbeten hatten. Es kam hierüber in einigen Provinzen, besonders in der Bretagne, zu förmlichen Kämpfen zwischen der Bevölkerung und den mit der Schließung beauftragten Beamten. Jedoch die Regierung setzte, wenn auch mit Schonung, überall ihren Willen durch.

Inmitten dieser politischen Kämpfe war ganz F. erregt durch die furchtbare Katastrophe, die im Mai die Insel Martinique betroffen hatte. Wiederholte Ausbrüche des bisher als erloschen betrachteten Vulkans Mont-Pelé zerstörten weite Landstriche und die ganze blühende Stadt St.-Pierre; 40,000 Menschen fanden dabei den Tod.

Bei dem Wiederzusammentritt der Kammern fand die leidenschaftliche Kampfpolitik des Kabinetts Combes, die weit über die Mäßigung Waldeck-Rousseaus hinausging, die Billigung einer Mehrheit von 327 Abgeordneten, gegen 226. Die ministerielle Majorität wuchs beständig, ein neues Strafgesetz gegen nichtautorisierte Kongregationen wurde mit 336 gegen 223 Stimmen angenommen (Oktober 1902). Auch der Senat billigte das Verfahren der Regierung. Diese hatte auch das Glück, durch ihre Vermittelung den allgemeinen Ausstand der Kohlenbergleute in Nord- und Mittelfrankreich beizulegen (November 1902). Beunruhigend war nur die finanzielle Lage des Staates, die ein Defizit von mehr als 221 Mill. aufwies. Minister Rouvier schlug mehrere Steuererhöhungen vor, die, z. T. heftig bekämpft, endlich im März 1903 Annahme in der Abgeordnetenkammer fanden. So wurde die Stellung der Regierung von neuem befestigt. Diese setzte mit einer bis zur Leidenschaft gesteigerten Heftigkeit den Kampf gegen die geistlichen Kongregationen fort und fand dabei, trotz der scharfen Gegenwirkung der Klerikalen und selbst vieler Republikaner, die die Unterrichts- und persönliche Freiheit bedroht glaubten, eine wenn auch kleine Mehrheit in den Kammern. Als im Januar 1904 Bourgeois den Vorsitz in der Abgeordnetenkammer ablehnte, erhielt diesen der ministerielle Radikale Brisson. Selbst die Ausweisung des klerikalen Elsässers Delsor aus F., die von den Klerikal-Nationalisten als ein Vaterlandsverrat gebrandmarkt wurde, ward von der Abgeordnetenkammer 22. Jan. 1904 mit 295 gegen 243 Stimmen gutgeheißen.

Geschichtsliteratur.

[Geschichtsquellen.] Die wichtigsten Sammlungen der Geschichtsquellen für die französische Geschichte sind Duchesnes »Historiae Normannorum scriptores antiqui« (Par. 1619) und »Historiae Francorum scriptores coaetanei« (1636–49, 5 Bde.); namentlich Bouquets und seiner Nachfolger »Rerum gallicarum et francicarum scriptores« (1738ff., s. Bouquet), deren Inhalt zum größten Teil in Guizots »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France« (1823ff., 31 Bde.) französisch übersetzt wurde; Petitots »Collection complète des mémoirs relatifs à l'histoire de France depuis Philippe-Auguste jusqu'an commencement du XVIIe siècle« (1819–26, 52 Bde.), deren Fortsetzung die »Collection des mémoires relatifs à l'histoire de France depuis l'avénement de Henri IV jusqu'à la paix de Paris« von Petitot u. Montmerque (1820–29, 79 Bde.) bildet; Michauds und Poujoulats »Collection des mémoires pour servir à l'histoire de France depuis le XIIIe siècle« (1833–38, 32 Bde.); die »Gallia christiana« der Benediktiner (3. Aufl. 1715–1865, 16 Bde.); der von Jourdan begonnene, von Isambert, Decrusy und Jaillardier fortgesetzte »Recueil général des lois depuis 418 jusqu'en 1789« (1820–31); Gavet, Sources de l'histoire des institutions et du droit français (1899); endlich die großartige »Collection de documents inédits sur l'histoire de France«, die das französische Unterrichtsministerium herausgibt, sowie der »Recueil des instructions données aux ambassadeurs de France«, der von dem Auswärtigen Amt veröffentlicht wird. Vgl. Monod, Bibliographie de l'histoire de France (1888); Langlois und Stein, Les archives de l'histoire de France (1891 bis 1893); Molinier, L es sources de l'histoire de France, depuis les origines jusqu'en 1815 (1901ff.).

[Allgemeine Geschichtswerke.] Unter den Bearbeitungen der allgemeinen Geschichte Frankreichs sind seit Bernard Girard, Seigneur du Haillan (»Histoire générale des rois de France«, 1576, 2 Bde.) neben den umfangreichen, aber veralteten Werken von Anquetil (s.d. 1) und Simonde de Sismondi (s.d.) hervorzuheben: Monteil, Histoire des Français des divers États (4. Aufl. 1853, 5 Bde.); Michelet, Histoire de France (1833–74, 17 Bde.), nebst dem »Précis de l'histoire de France« (4. Aufl. 1841); Lavallée, Histoire des Français (1838–41; seitdem beständig neue Auflagen, die jüngste 1901, 7 Bde.); Martin, Histoire de France (4. Aufl. 1.856–60, 17 Bde.); Guizot, L'histoire de France, racontée à mes petits-enfants (1872–74, 3 Bde.); Zeller, L'histoire de France racontée par les contemporains, bis zum Tod Heinrichs IV. (1881–90, 17 Bde.); Lavisse, Histoire de France jusqu'à la Révolution (in Verbindung mit Bayet, Bloch, Carré u. a., 1899ff., 8 Bde.); Longnon, Atlas historique de la France, 15 Karten, mit Text (1889, bis 1380 reichend). Von deutschen Arbeiten ist von Wert: E. A. Schmidt, Geschichte von F. (Hamb. u. Gotha 1835–48, ck Bde., bis 1774; fortgesetzt von Wachsmuth).

[Werke über einzelne Perioden.] Cartailhac, La France préhistorique (1889); Thierry, Récits des temps mérovingiens (neue Ausg. 1887); von den Karolingern bis zur Reformation: Warnkönig und Gérard, Histoire des Carolingiens (Brüssel 1864, 2 Bde.); Lot, Les derniers Carolingiens (1891); Fustel de Coulange, Histoire des institutions politiques de l'ancienne France (1875–92, 6 Bde.); Luchaire, Manuel des institutions françaises; période des Capétiens directs (1892); Cartellieri, Philipp II. August (Leipz. 1899ff.); Boutaric, Saint Louis et Alfonse de Poitiers (1870); Derselbe, La France sous Philippe le Bel (1861); Luce, La France pendant la guerre de Cent-aus (1890); Du Fresne de Beaucourt, Histoire de Charles VII (1881–91, 6 Bde.); Cherrier, Histoire de Charles VIII (2. Aufl. 1870, 2 Bde.); Maulde de la Clavière, Histoire de Louis XII (1889–93, 6 Bde.); Leroux, Les conflits entre la France et l'Empire pendant le moyen-âge (1902); Barante, Histoire des ducs de Bourgogne de la maison de Valois, 1364–1477 (8. Aufl. 1858, 8 Bde.).

Von der Reformation bis zur Revolution: Lacretelle, Histoire de France pendant les guerres de religion (1814–16, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1815–16, 2 Bde.); Ranke, Französische Geschichte, vorzüglich im 16. und 17. Jahrhundert (3. Aufl., Stuttg. 1877–79, 6 Bde.); Mignet, Rivalité entre François I et Charles-Quint (2. Aufl. 1876, 2 Bde.); Alberi, Leben der Katharina von Medicis (deutsch, Augsb. 1847); Baumgarten, Vor der Bartholomäusnacht (Straßb. 1882); Capefigue, La Ligue et Henri IV (3. Aufl. 1843); Poirson, Histoire du règne de Henri IV (3. Aufl. 1866, 4 Bde.); Philippson, Heinrich IV. und Philipp III. (Berl. 1870–76, 3 Bde.); B. Zeller: Études critiques sur le règne de Louis XIII (1879–80, 2 Bde.), La minorité de Louis XIII (1892–97, 2 Bde.) und Marie de Médicis (1898–99, 2 Bde.); Avenel, Richelieu et la monarchie absolue (1884–90, 4 Bde.); Hanotaux, Histoire du cardinal de Richelieu (1893ff.); Chéruel, Histoire de France pendant la minorité de Louis XIV (1878–80, 4 Bde.) und Histoire de France sous le ministère de Mazarin (1883, 3 Bde.); Gaillard in, Histoire du règne de Louis XIV (1871–78, 6 Bde.); P. Clément, Histoire de Colbert (3. Aufl. 1892, 2 Bde.); Rousset, Histoire de Louvois (6. Aufl. 1879, 4 Bde.); Lacretelle, Histoire de France pendant le XVIII. siècle (5. Aufl. 1830, 6 Bde.); Wiesener, Le Régent, l'abbé Dubois et les Anglais (1891–1900, 3 Bde.); Bliard, Dubois, cardinal et premier ministre (1901–02, 2 Bde.); Aubert in, L'esprit public an XVIII siècle (3. Aufl. 1889); Tocqueville, Histoire philosophique du règne de Louis XV (2. Aufl. 1847, 2 Bde.); Jobez, La France sous Louis XV (1864–73, 6 Bde.) und La France sous Louis XVI (1877–81, 2 Bde.); Droz, Histoire du règne de Louis XVI (2. Aufl. 1858, 3 Bde.); Mac Kinnon, The growth and decline of the French monarchy (Lond. 1902).

Die Revolution und das Kaiserreich haben unzählige, z. T. sehr umfassende Werke hervorgerufen; als die historisch bedeutendsten dürften außer Buchez und Roux, Histoire parlementaire de la Révolution française (1833–38, 40 Bde.), und Berville und Barrière, Mémoires relatifs á la Révolution française (1820ff., 56 Bde.)-als Materialsammlungen – noch zu nennen sein: Mignet, Histoire de la Révolution française jusqu'en 1814 (13. Aufl. 1880; deutsch, Leipz. 1873); Thiers, Histoire de la Révolution française (15. Aufl. 1881, 10 Bde.; deutsch, das. 1854 u. ö.); Blanc, Histoire de la Révolution française (zuletzt 1878, 10 Bde.; deutsch, das. 1847–52, Bd. 1–3); Michelet, Histoire de la Révolution française (zuletzt 1899, 10 Bde.); Dahlmann, Geschichte der französischen Revolution (3. Aufl., Berl. 1864); Granier de Cassagnac, Histoire des causes de la Révolution française (2. Aufl. 1856, 3 Bde.); E. Arnd, Geschichte der französischen Revolution von 1789–1799 (Braunschw. 1851–52, 6 Bde.); v. Sybel, Geschichte der Revolutionszeit von 1789–1800 (zuletzt Stuttg. 1897–1900, 10 Bde.); Sorel, L 'Europe et la Révolution française (1885–1903, Bd. 1–6); Chuquet, Les guerres de la Révolution (1885–96, 11 Bde.); Taine, Origines de la France contemporaine (1877–94, 5 Bde., in vielen Auflagen); Lamartine, Histoire des Girondins (neue Ausg. 1884, 4 Bde.; deutsch, Stuttg. 1847–48, 8 Bde.); Barante, Histoire de la Convention nationale (1851–53, 6 Bde.); Ternaux, Histoire de la Terreur (1862–69, 7 Bde.); Sciout, Le Directoire (1895–97, 4 Bde.); Adolf Schmidt, Tableaux de la Révolution française (Leipz. 1867 bis 1870, 3 Bde.); die »Histoire de France, etc.« von Bignon (s.d.); Thiers, Histoire du Consulat et de l'Empire (1845–69, 21 Bde.; mehrfach deutsch); Lanfrey, Histoire de Napoléon I (1867–75, 5 Bde.; deutsch, 2. Ausg., Minden 1885, 6 Bde.).

Von der Restauration bis zur Julirevolution: Lacretelle, Histoire de France depuis la Restauration (1829–35, 4 Bde.); Capefigue, Histoire de la Restauration (3. Aufl. 1842, 4 Bde.); Lamartine, Histoire de la Restauration (neue Ausg. 1869, 8 Bde.; deutsch, Stuttg. 1853); de Vaulabelle, Histoire des deux Restaurations (8. Aufl. 1874, 10 Bde.); Viel-Castel, Histoire de la Restauration (1860–77, 20 Bde.); E. Daudet, Histoire de la Restauration (1882). – Von der Thronbesteigung Ludwig Philipps bis auf die neueste Zeit: Louis Blanc, Histoire des dix aus 1830–1840 (12. Aufl. 1877, 5 Bde.; deutsch, Leipz. 1847); Regnault, Histoire de huit aus 1840–1848 (4. Aufl. 1878, 3 Bde.); Hillebrand, Geschichte Frankreichs 1830–1848 (kl. Aufl., Gotha 1881, 2 Bde.); Thureau-Dangin, Histoire de la monarchie de juillet (1884–92, 7 Bde.); Lamartine, Histoire de la révolution de 1848 (2. Aufl. 1849; deutsch, Leipz. 1849, 2 Bde.); Garnier-Pagès, Histoire de la révolution de 1848 (1861–72, 10 Bde.); La Gorce, Histoire de la seconde République française (1887, 2 Bde.); Duvergier de Hauranne, Histoire du gouvernement parlementaireen France 1814–1848 (1857–72, 10 Bde.); Delord, Histoire du second Empire (1868–75, 6 Bde.); La Gorce, Histoire du second Empire (1894–1903, 6 Bde.); I. Favre, Le Gouvernement de la Défense nationale (1871–75, 3 Bde.); Valfrey, Histoire de la diplomatie du Gouvernement de la Défense nationale (1871–73, 3 Bde.); Derselbe, Histoire du traité de Francfort et de la libération du territoire français (1874–75, 2 Bde.); Sorel, Histoire diplomatique de la guerre franco-allemande (1875, 2 Bde.), und die bei dem Artikel »Deutsch-französischer Krieg« verzeichneten Werke; Zevort, Histoire de la troisième République (1896–1901, Bd. 1–4); Hanotaux, Histoire de la France contemporaine 1871–1900 (4 Bde., 1903ff.; deutsch, Berl. 1903ff.).

[Werke über besondere Verhältnisse.] Fouillée, Psychologie du peuple français (1898); Pigeonneau, Histoire du commerce de la France (1885 bis 1888, Bd. 1–2, bis 16. Jahrh.); Clamageran, Histoire de l'impôten France (1867–77, 3 Bde.); Guizot, Histoire de la civilisationen France (14. Aufl. 1886, 4 Bde.); Rambaud, Histoire de la civilisation contemporaineen France (umfassend die Entwickelung von 1789–1900, 6. Aufl. 1901); Picot, Histoire des Etats générauxen France (2. Aufl. 1888, 5 Bde.); Flassan, Histoire générale de la diplomatie française (2. Aufl. 1811, 7 Bde.); Warnkönig und Stein, Französische Staats- u. Rechtsgeschichte (Basel 1846–48, 3 Bde.); Félice, Histoire des protestants de France (8. Aufl. 1895; deutsch, Leipz. 1855); Guilbert, Histoire des villes de France (1844–49, 6 Bde.); Giguet, Histoire militaire de la France (1849, 2 Bde.); Paquier, Histoire de l'unité politique et territoriale de la France (1879–83, 3 Bde.); Babeau: La ville sous l'ancien régime (1880), Le village sous l'ancien régime (2. Aufl. 1884), Les artisans et les domestiques d'autrefois (1885) und La province sous l'ancien régime (1894, 2 Bde.); Chéruel, Histoire de l'administration monarchiqueen France depuis Philippe-Auguste jusqu'à Louis XIV (1855, 2 Bde.); Derselbe, Dictionnaire historique des institutions, mœurs et coutumes de la France (6. Aufl. 1884); Viollet, Histoire des institutions politiques et administratives de la France (1890–98, Bd. 1 u. 2); Debidour, Histoire des rapports de l'Eglise et de l'Étaten France, 1789–1870 (1898); Glasson, Histoire du droit et des institutions de la France (1887–1902, Bd. 1–8); Le Brun, L'ancienne France, étude sur les anciennes provinces françaises (1901); Levasseur, La population française (1889–92, 3 Bde.); Schöne, Histoire de la population française (1893); Hillebrand, F. und die Franzosen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (4. Aufl., Berl. 1898); Sarrazin, F., seine Geschichte, Verfassung und staatlichen Einrichtungen (Leipz. 1897); auch die bei den Abschnitten über Finanzen, Heerwesen, Marine etc. angegebenen Werke.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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