Hannover [1]

Hannover [1]

Hannover (hierzu die Karte »Hannover«), preuß. Provinz, bis zum deutsch-österreichischen Kriege von 1866 ein Königreich, grenzt im N. an die Nordsee, im NO. an Holstein, an den Hauptteil des Hamburger Gebiets und an Mecklenburg, im O. an die Provinz Sachsen und Braunschweig, im S. und SW. an Teile der Provinzen Sachsen und Hessen-Nassau und an Westfalen, im W. an die Niederlande und besteht im wesentlichen aus drei Teilen: aus dem Hauptteil an der Elbe, Weser und Aller, aus dem westlichen Teil an der Ems, der mit dem Hauptteil durch einen 6 km breiten Landstrich zusammenhängt, und aus dem südlichen, der vom Hauptteil ganz durch braunschweigisches Gebiet getrennt ist. Einige kleinere Parzellen liegen noch zerstreut an der Weser und am Harz. Die ältern Bestandteile der Provinz sind: das Herzogtum Bremen zwischen dem Ausfluß der Elbe und Weser, das Land Hadeln nahe der Elbmündung, das Fürstentum Lüneburg zwischen Elbe und Aller, ein Teil des Herzogtums Lauenburg zu beiden Seiten der Elbe, das Herzogtum Verden an der Weser und Aller, das Fürstentum Kalenberg an der Leine und bis zur Weser, das Fürstentum Hildesheim an der Innerste und zwischen der Leine und dem Harz, die Grafschaften Hoya und Diepholz zwischen Weser und Hunte, alle im Hauptteil; sodann im westlichen Teil: das Fürstentum Osnabrück, die Grafschaften Lingen und Bentheim, ein Teil des Stiftes Münster (Meppen), das Fürstentum Ostfriesland und das Harlingerland mit den Nordseeinseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog; endlich im südlichen Teil: die Fürstentümer Grubenhagen und Göttingen und getrennt am Harz das zur Grafschaft Hohnstein gehörige Amt Ilfeld. Seit der preußischen Herrschaft sind der Provinz noch das Jadegebiet und durch Vertrag mit Braunschweig (1874) ein Teil des Kommunionharzes einverleibt worden. Der Flächeninhalt der Provinz beträgt 38,511 qkm (699,49 QM.).

[Bodengestaltung.] Der größere Teil ist Ebene mit Sandhügeln, Heide und Mooren, während sich an der Meeresküste und an den Flüssen weit hinauf die Marschen ausbreiten. Nur die südlichen Gegenden sind gebirgig. Das Hauptgebirge ist der Harz (s. d.), von dem der größte Teil des Oberharzes in H. liegt. Hier befindet sich auch der höchste Punkt in der Provinz: der Bruchberg, 926 m hoch. Zwischen dem Harz im O. und der Weser im W. erstreckt sich vom Eichsfeld nordwärts ein zu den Wesergebirgen gehöriges Bergland, das aus verschiedenartig streichenden Gebirgsketten besteht, als deren bedeutendste zu nennen sind: der Göttinger Wald mit dem Treppenberg (440 m); der Sollinger Wald (Moosberg 510 m), an der Weser; der Hils (Bloßezelle 469 m) mit dem Ith, links von der Leine; der Sackwald und die Sieben Berge (Tafel 420 m), rechts von der Leine; der Osterwald, südlich, und der Deister (Höfeler 402 m), nordwestlich von Springe, und endlich das Süntelgebirge (437 m), westlich von Münder. Am weitesten gegen N. gehen östlich von der Weser die Lindener (125 m) und die Lokkumer Berge (163 m) vor. Im W. der Weser durchziehen das Gebiet von Osnabrück die beiden Ketten des westlichen Wesergebirges; der höchste Punkt in diesem Teil der Provinz ist der Dörenberg (356 m), nördlich von Iburg. Der Boden in den tiefern Lagen des gebirgigen Teiles ist von bedeutender Fruchtbarkeit und nächst den Marschen der Hauptsitz der Landwirtschaft in der Provinz. Die Tiefebene zerfällt in die Geest und die Marsch. Die Marsch en, von ausgezeichneter Fruchtbarkeit, reichen längs der Flüsse eigentlich nur bis zur Flutgrenze hinaus. Die vorzüglichsten Marschländer sind an der Elbe: das Alte Land, Kehdingen und Hadeln; an der Weser: das Land Wursten und der Rand von Ostfriesland. Alle diese Marschländer sind gegen die Fluten durch Deiche geschützt. Unausgesetzt finden Neubildungen von Marschen durch Niederschlag fetten Schlammes statt. Die Geest besteht wiederum aus Moor- und Hügelland. Das Moorland findet sich vorzugsweise an der Landgrenze der Marschen (Hochmoor), sodann zu beiden Seiten der Ems: auf der westlichen, wo das Bourtanger Moor, auf der Grenze gegen die Niederlande, noch fast ganz der Kultur entbehrt, auf der östlichen, wo die Moore des Hümmling liegen, und im SO. von Aurich; ferner zwischen dem Dümmersee und der Weser, am Steinhuder Meer etc. Der ganze ehemalige Amtsbezirk Lilienthal im jetzigen Kreis Osterholz besteht aus Moorkolonien, die Schiffgräben in einer Länge von 91 km unterhalten, und deren Gründung bis 1232 zurückreicht. Noch wichtiger sind die Moorkolonien (s. d.) in Ostfriesland. Seit der preußischen Herrschaft wird die Urbarmachung der Moore mit größern Mitteln erstrebt, und so sind zu diesem Zweck die Moore zwischen Ems und Vechte durch Kanäle zugänglich gemacht worden. Das Hügelland (Sandgeest) besteht größtenteils aus sandigen, wenig fruchtbaren Flächen. Bekannt ist die Lüneburger Heide (s. d.), im Hohen Mechtin 188 m hoch, die nur in den Einsenkungen der Flüsse und Bäche bessern Boden zeigt. Der Kultur der Heide widersteht ein unterhalb der Oberfläche liegender, vorzugsweise aus Quarzsand bestehender fester Stein, Ortstein genannt. Von ähnlicher Beschaffenheit ist der Hümmling (s. d.).

[Gewässer. Klima.] Die drei Hauptflüsse (Elbe, Weser, Ems) erweitern sich an der Mündung zu Meerbusen, unter denen der Dollart (s. d.) an der Ems der bemerkenswerteste ist. Die Elbe bildet im NO. größtenteils die Grenze und nimmt als schiffbare Nebenflüsse die Jeetze, Ilmenau, Seve, Este, Lühe, Schwinge, Oste und Medem auf. Die Weser durchströmt H. etwa in der Mitte in einer Länge von 220 km. Ihr wichtigster Nebenfluß ist die von Celle ab schiffbare Aller, der wiederum die Oker, Fuhse und Leine zufließen. Weiterhin empfängt die Weser rechts die Lesum und Geeste, links die Hunte. Die Ems, im westlichen Teil, durchströmt die Provinz auf mehr als 150 km Länge, ist in dieser ganzen Ausdehnung schiffbar und verstärkt sich (rechts) durch die Aa, Hase und Leda. Noch weiter westlich fließt die Vechte. An Seen ist H. nicht reich. Zu erwähnen sind: das Steinhuder Meer (41 m tief) auf der Grenze gegen Schaumburg-Lippe, der Dümmersee auf der Grenze gegen Oldenburg, der See von Bederkesa und einige andre in den nördlichen Mooren, der Seeburger See unweit Duderstadt und der 724 m hoch liegende Oderteich auf dem Harz. Die Kanäle sind zahlreich; hervorzuheben sind: der Hamme-Oste-Kanal (s. d.), der Kanal von Bremervörde zwischen Oste und Schwinge, der Hadelnsche Kanal, der aus dem See von Bederkesa nach S. zur Geeste (Ringstedter Kanal) und nach N. zur Medem geht, der Dortmund-Ems-Kanal, der östlich von Salzbergen in die Provinz eintritt, von Hanekenfähr ab den alten Emskanal und weiterhin das Flußbett der Ems benutzt, der Ems-Vechte-Kanal zwischen Ems und Vechte, der Nord-Südkanal durch das Bourtanger Moor, der Treckfahrtskanal zwischen Aurich und Emden und andre in Ostfriesland etc.

Das Klima ist verschieden: auf dem Harz rauh und großen Schwankungen unterworfen, in der Ebene ziemlich mild, an der Küste, in den Marschen und Mooren feucht. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt nur in der Stadt H. über 9°, sonst etwas darunter, in Göttingen 8,20°, in Emden, Norderney, Lingen und Lüneburg 8,35–8,75°, in Klausthal auf dem Oberharz nur 6°. Die Regenmenge beträgt in den ebenen innern Landschaften und zwischen den niedern Bergzügen 50–60 cm, an der Küste 70–75 cm, in Klausthal auf dem Oberharz aber beinahe 150 cm. Die vorherrschenden Winde sind die nordwestlichen, die besonders im Herbst in heftige Stürme übergehen. Der sogen. Herauch, eine Folge des Ausbrennens der Moore, gereicht den westlichen Teilen nicht selten zur Plage.

[Bevölkerung.] Die Zahl der Einwohner belief sich 1900 auf 2,590,939 Seelen (67 auf 1 qkm), darunter 2,227,816 Evangelische, 338,906 Katholiken und 15,393 Juden. Durchweg wird die deutsche Sprache gesprochen; eine fremde Muttersprache hatten im angegebenen Zählungsjahr im ganzen 22,024 Personen, davon sprachen polnisch (Arbeiter, über die ganze Provinz verstreut) 10,633, holländisch (besonders in Ostfriesland) 6066 Personen. Im O., bei Wustrow, findet man noch Spuren aus der Wendenzeit. Die Evangelischen überwiegen; die Katholiken sind in den ehemaligen reichsunmittelbaren Bistümern Hildesheim und Osnabrück am zahlreichsten und auf dem Eichsfeld, in Arenberg-Meppen (ehemals zum Bistum Münster gehörig) und in der Niedergrafschaft Lingen fast allein herrschend. An Bildungsanstalten sind (1903) vorhanden: eine Universität (Göttingen), eine technische Hochschule (Hannover), eine Forstakademie (Münden), eine Bergakademie (Klausthal), eine Kriegsschule und eine Tierarzneischule (Hannover), 26 Gymnasien, 3 Progymnasien, 10 Realgymnasien, 4 Realprogymnasien, eine Oberrealschule, 14 Realschulen, eine Landwirtschaftsschule, 11 Schullehrerseminare, eine jüdische Lehrerbildungsanstalt, 3 Präparandenanstalten, 4 Taubstummenanstalten, eine Blindenanstalt, mehrere Navigations- und Gewerbeschulen etc.

[Landwirtschaft. Bodenprodukte.] Die Hauptbeschäftigungen der Einwohner sind: Landwirtschaft, Viehzucht, Bergbau und Schiffahrt. Von der Gesamtfläche entfallen 12,781 qkm auf Acker- und Gartenland, 4025 qkm auf Wiesen, 4677 qkm auf Weiden, 6606 qkm auf Holzungen. Für den Acker- und Gartenbau kommen in erster Linie die Marschen, in zweiter das südliche Bergland in Betracht. Hier findet man alle norddeutschen Getreidearten, unter den Handelsgewächsen Raps und im S. auch Zuckerrüben, ferner allerlei Gemüse und Obstarten (Kirschen im Alten Land). Buchweizen ist die Hauptfrucht in den Heidegegenden; der Kartoffelbau findet am wenigsten in den Marschen statt. Die Lupine hat in neuester Zeit auf wenig fruchtbaren Ländereien Verbreitung gefunden. Die Preißelbeeren des Harzes und die Heidelbeeren der Lüneburger Heide bilden wichtige Handelsartikel. Die Waldungen sind am bedeutendsten in dem südlichen Bergland, wo die Buche auf den niedrigen Berglandschaften und die Fichte auf dem Oberharz vorherrschen. Weite Landschaften des Tieflandes sind dagegen ohne jeglichen Waldwuchs. Nach der Zählung von 1900 gab es in H. 243,861 Pferde, 1,115,022 Stück Rindvieh, 824,888 Schafe, 1,556,917 Schweine, 232,952 Ziegen und 218,726 Bienenstöcke. Die Pferdezucht wird durch das Landgestüt zu Celle unterstützt (s. Gestüte). Für die Rindviehzucht ist der Regierungsbezirk Aurich nicht allein durch die Zahl, sondern auch durch die vortreffliche Beschaffenheit der Tiere von großer Wichtigkeit. Die Schafzucht hat, wie in ganz Deutschland, auch hier abgenommen; auf der Heide werden die schwarzen Heidschnucken gezogen. Federvieh gibt es überall; in den Marschen ist die Gänsezucht bedeutend. Wild findet sich vorzüglich in der Göhrde und auf dem Harz; hier werden auch viele Singvögel gefangen, während zu Alfeld und St. Andreasberg bedeutende Zucht von Kanarienvögeln betrieben wird. Wichtig ist die Fischerei; für die Seefischerei bestehen mehrere Gesellschaften.

Die Produkte des Mineralreichs sind mannigfaltig. Auf dem Harz gibt es Silber-, Blei-, Eisen- und Kupfererze, Eisenerze auch sonst noch vielfach im Bergland, Steinkohlen in der Gegend von Osnabrück, am Deister, Osterwald etc., mehrfach auch Braunkohlen. Salinen gibt es zu Egestorfshall und Neuhall bei Hannover und zu Lüneburg, außerdem mehrere kleinere. Ein Distrikt für Erdöl erstreckt sich südlich von Celle zwischen den Dörfern Wieze, Oberg, Hänigsen und Klein-Eddesse hin, vielleicht selbst bis Soltau. Torf findet sich in ungeheuern Lagern im Tiefland. Sonst gibt es noch Gips, Kalk, Marmor, Tafelschiefer, Pfeifenton, Fayenceerde, Asphalt, einige Mineralquellen (Rehburg etc.) und mehrere Solbäder. Unter den Seebädern sind Norderney und Borkum die bedeutendsten. Der Ertrag an Mineralien belief sich 1902 unter anderm auf: 551,685 Ton. Steinkohlen, 193,303 T. Braunkohlen, 614,799 T. Eisenerz, 18,746 T. Zinkerz, 48,087 T. Bleierz und 24,434 T. Kupfererz. An Kochsalz wurden in demselben Jahr 124,026 Ton. gewonnen.

[Industrie, Handel.] Die Industrie beschränkt sich mehr auf die Städte und fehlt in einigen Gegenden beinahe ganz. Hervorzuheben sind: die Leinweberei (fabrikmäßig bei Osnabrück und Hildesheim betrieben), die Bleicherei, die Tuchfabrikation und Wollweberei im südlichen Bergland (Einbeck, Göttingen, Hameln); die Baumwollindustrie mit einigen großen Spinnereien und Webereien zu Hannover, Linden etc.; die Fabrikation von Leder, Papier, Holzwaren, Gummi- und Guttaperchawaren (Harburg), Tabak und Zigarren (besonders in der Nachbarschaft von Bremen, in Osnabrück, Emden, Hannover etc.), Zucker (im südlichen Bergland), Branntwein, Bier, chemischen Produkten (Goslar), Tonwaren, Glas, musikalischen, optischen und physikalischen Instrumenten (Göttingen). Hochöfen zur Bereitung des Roheisens gibt es vorzüglich auf dem Harz und bei Osnabrück, großartige Eisengießereien und Maschinenfabriken zu Hannover, Linden, Osnabrück, Hameln, Geestemünde, Harburg, Osterode etc., Maschinenwerkstätten zu Hannover und Göttingen, Gewehrfabriken zu Herzberg, Fabriken für Kleineisenwaren in den Städten des Harzes, im Sollinger Wald (Sensen, Messer) etc. Seeschiffe werden in den ostfriesischen Hafenstädten, zu Papenburg, Geestemünde, Harburg etc. gebaut. Handel und Schiffahrt sind bedeutend. Zur Unterstützung des erstern bestehen 10 Handelskammern, und zwar zu Hannover, Verden, Hildesheim, Goslar, Göttingen, Lüneburg, Harburg, Geestemünde und Emden (oder Leer, wechselnd). Die hannoversche Reederei zählte zu Anfang 1903: 750 Segelschiffe und 86 Dampfschiffe mit zusammen 55,498 Registerton. Nettoraumgehalt. Größere Schiffe besitzt aber nur Geestemünde. Als die wichtigsten Seeplätze müssen Geestemünde, Emden, Papenburg, Leer, Weener, Karolinensiel, Großefehn und Harburg genannt werden; den natürlichen Mittelpunkt für den Seehandel der Provinz bildet aber Bremen mit seinem Hafenort Bremerhaven. Die Binnenschiffahrt wird durch die Elbe, Weser, Ems etc. gefördert. Zu den wichtigsten die Provinz durchschneidenden Eisenbahnlinien gehören: Berlin-Bremen-Emden, Berlin-Amsterdam (über Hannover und Osnabrück), Berlin-Köln (einerseits über Hannover, anderseits über Kreiensen), Hannover-Altenbeken, Berlin-Frankfurt a. M. (über Kreiensen), von Bremen und Hamburg nach Frankfurt a. M., Venlo-Hamburg und die Linie von Emden in das Ruhrkohlengebirge.

[Verwaltung.] Die Provinz zerfällt nach dem Gesetz vom 6. März 1884 über die Kreisordnung (in Kraft getreten 1. April 1885) unter Umänderung der Landdrosteien in Regierungsbezirke und Aufhebung der Ämter in 6 Regierungsbezirke: Hannover mit 13, Hildesheim mit 17, Lüneburg mit 16, Stade mit 14, Osnabrück mit 11 und Aurich mit 7 Kreisen. H. besitzt eine provinzialständische Verwaltung, ferner sieben Landschaften: für die Fürstentümer Kalenberg, Göttingen und Grubenhagen, für das Fürstentum Lüneburg, für die Grafschaften Hoya und Diepholz, für die Herzogtümer Bremen und Verden, für das Fürstentum Osnabrück, für das Fürstentum Hildesheim und für das Fürstentum Ostfriesland. Gerichtlich bildet die Provinz einen Oberlandesgerichtsbezirk (Celle) mit acht Landgerichten (s. die Textbeilage »Gerichtsorganisation im Deutschen Reich«, Bd. 7, S. 643). Militärisch gehört der größere Teil zum Bezirk des 10., der Regbez. Stade zu dem des 9. Armeekorps. In den deutschen Reichstag entsendet H. 19 (s. Karte »Reichstagswahlen«), in das preußische Abgeordnetenhaus 36 Mitglieder. Das Wappen der Provinz (s. Tafel »Preußische Provinzwappen« beim Art. »Preußen«) ist ein laufendes, silbernes Pferd im roten Feld, die Farben sind Gelb und Weiß. (Über die Orden des ehemaligen Königreichs H. s. Georgsorden 3, Guelfenorden und Ernst August-Orden.)

Vgl. Guthe, Die Lande Braunschweig und H. (2. Aufl. von Renner, Hannov. 1888); J. Meyer, Die Provinz H. in Geschichts-, Kultur- und Landschaftsbildern (2. Aufl., das. 1888); Ringklib, Statistisches Handbuch der Provinz H. (6. Ausg., das. 1897); Tappen, Handbuch für die provinzialständische Verwaltung der Provinz H. (das. 1880); »Hannoverland in Wort und Bild« (hrsg. von Mitgliedern des Architekten- und Ingenieurvereins zu Hannover, das. 1891); Gostkowski, Die Gemeindeverfassungsgesetze für die Provinz H. mit den neuen Verwaltungsgesetzen (Berl. 1891); J. H. Müller, Die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer der Provinz H. (Hannover 1893); Wolff, Die Kunstdenkmäler der Provinz H. (das. 1900 ff.); »Gemeindelexikon der Provinz H.« (Berl. 1897); »Staatshandbuch über die Provinz H.« (Hannov.); Brackebusch, Geologische Karte der Provinz H., 1: 500,000 (das. 1899).

Geschichte.

Die älteste Geschichte des ehemaligen Königreichs H. fällt mit der des Herzogtums Braunschweig (s. d.) zusammen. Den Kern beider Länder bildeten die welfischen Allodialgüter in Niedersachsen, die 1235 unter dem Namen Herzogtum Braunschweig-Lüneburg Otto das Kind, ein Enkel Heinrichs des Löwen, als Reichsfürstentum erhielt. Otto ist der Stammvater der zahlreichen braunschweigischen Linien, von denen nur die ältere Linie Braunschweig-Wolfenbüttel (1884 erloschen) und die jüngere Linie Braunschweig-Lüneburg, später H., längern Bestand hatten.

Die jüngere Linie Braunschweig-Lüneburg.

Die besondere Geschichte Hannovers beginnt mit der Stiftung dieser jüngern oder neuen Linie Braunschweig-Lüneburg durch Wilhelm, den jüngsten Sohn Ernst des Bekenners, der 1569 mit seinem Bruder Heinrich, dem Stammvater der wolfenbüttelschen Linie, die Lande der mittlern Linie Braunschweig-Lüneburg teilte; Wilhelm erhielt Lüneburg und Celle und führte den Titel Herzog zu Celle. Bei seinem Tode 1592 hinterließ er sieben Söhne: Ernst II., Christian, August, Friedrich, Magnus, Georg und Johann. Nach Ernsts II. Tode (1611) beschlossen die überlebenden sechs Brüder, um das Land nicht durch Teilungen zu zerstückeln, daß der älteste Bruder immer allein regieren, aber nur einer sich vermählen und das Los hierüber entscheiden solle; das Los fiel auf Georg, der somit der Stammvater des Hauses wurde. Zuerst trat Christian die Regierung an und erwarb 1617 Grubenhagen, ihm folgte 1633 August, der bei der Teilung der Lande der 1634 erloschenen mittlern Linie Braunschweig 1635 Kalenberg nebst Hoya und Diepholz empfing, aber seinem jüngern Bruder, Georg, überließ. Auf August folgte 1636 Friedrich, der alle seine Brüder, auch Georg (gest. 1641), überlebte, 1643 die Besitzungen der Linie Braunschweig-Harburg erbte und 1648 starb. Hierauf teilten die zwei ältesten Söhne Georgs, Christian Ludwig und Georg Wilhelm, das Land so, daß ersterer Lüneburg, Grubenhagen, Diepholz und Hoya mit der Residenz Celle, letzterer Kalenberg und Göttingen mit der Residenz H. bekam, während die jüngern Söhne, Johann Friedrich und Ernst August, nur Apanagen erhielten. Im Westfälischen Frieden fiel dem Hause das Bistum Osnabrück mit der Beschränkung zu, daß dasselbe alternierend mit einem katholischen Prälaten und einem lutherischen Prinzen aus dem Hause Lüneburg besetzt werden solle. Als Christian Ludwig 1665 ohne Kinder starb und nun der dritte Bruder, Johann Friedrich, dem väterlichen Testament gemäß einen der beiden Landesteile erhalten sollte, wählte Georg Wilhelm, kraft des »Kürrechts«, als der Ältere Celle und überließ Johann Friedrich H. Georg Wilhelm von Celle nahm an den Welthändeln, namentlich den Kriegen des Reiches gegen Frankreich, teil, half dem Herzog Rudolf August von Wolfenbüttel 1671 bei der Unterwerfung der Stadt Braunschweig, erhielt von demselben die Ämter Dannenberg, Lüchow, Hitzacker und Scharnebeck abgetreten und erwarb 1689 Sachsen-Lauenburg. Johann Friedrich von Hannover, seit 1651 katholisch, hielt es mit Frankreich, ließ sich Subsidien zahlen und führte nach dem Vorbild Ludwigs XIV. einen prächtigen Hofhalt. Nach seinem kinderlosen Tode (1679) wurde der jüngste der Brüder, Ernst August (1679 bis 1698), seit 1662 Bischof von Osnabrück, Herzog von H. Mit Sophie, der Tochter Friedrichs V. von der Pfalz und der Elisabeth Stuart, vermählt, verheiratete er 1682 seinen ältesten Sohn, Georg Ludwig, mit der einzigen Tochter und Erbin Georg Wilhelms von Celle und führte 1682 die Primogenitur in seinem Land ein. Er brachte den Landeshaushalt ins Gleichgewicht und ordnete, unterstützt von seinen Ministern Graf Platen und v. Grote, die Verwaltung; unter dem Geheimen Rat standen vier Verwaltungskollegien: die Kanzlei (Rechtssachen), die Kammer (Finanzen), das Konsistorium und der Kriegsrat. Wie andre Fürsten strebte auch er nach einer Standeserhöhung und erwarb 1692 seinem Hause die mit dem Erzbanneramt verbundene neunte Kurwürde als Lohn für die dem Kaiser Leopold I. geleisteten Dienste (zwei Söhne des Herzogs fielen unter den kaiserlichen Fahnen) und gegen das Versprechen, daß H. dem Hause Habsburg stets verbunden sein und bei allen Kaiserwahlen ihm die Stimme geben werde. Ihm folgte Kurfürst Georg Ludwig (1698–1727), der beim Tode seines Oheims und Schwiegervaters Georg Wilhelm von Celle (28. Aug. 1705) dessen Lande erbte, damit alle Lande der jüngern (oder Kur-) Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg unter seiner Herrschaft vereinigte und die Anerkennung seiner Kurwürde bei den Mitkurfürsten erreichte.

Hannover in Personalunion mit Großbritannien.

Georg Ludwigs Mutter, die. Kurfürstin Sophie, war als Enkelin König Jakobs I. von England durch Parlamentsbeschluß 22. März 1701 zur Erbin von Großbritannien und Irland erklärt worden; nach ihrem Tode (8. Juni 1714) und dem der Königin Anna bestieg Georg Ludwig 31. Okt. 1714 als Georg I. den britischen Thron, und die Personalunion des Kurfürstentums H. mit der britischen Großmacht dauerte bis 1837. Für H. und ganz Deutschland wurde dieses Verhältnis trotz handelspolitischer Vorteile verhängnisvoll, indem beide im Interesse des fremden Landes in die europäischen Händel verwickelt wurden, dem Königshaus, das 1714 nach England übersiedelte, von seiten des hochmütigen englischen Adels empfindliche Demütigungen zuzog und in H. ein selbstsüchtiges Adelsregiment großzog. Als Trabant Englands spielte seitdem H. in den deutschen Angelegenheiten eine hervorragende Rolle. Georg Ludwig half dem Kaiser im Spanischen Erbfolgekrieg, nahm 1709 persönlich am Feldzug in den Niederlanden teil und suchte aus dem Nordischen Kriege für sich die reichen Stifter Bremen und Verden zu gewinnen, die Dänemark nach Wiedereröffnung des Krieges mit Schweden besetzt hatte. Aus Besorgnis vor der russischen Übermacht lud König Friedrich IV. von Dänemark Anfang 1714 die Fürsten des niedersächsischen Kreises zu einem Kongreß ein und schloß 1715 ein Schutz- und Trutzbündnis mit H. ab, wonach diesem Bremen und Verden, jenem Schleswig zufallen sollte. Im Frieden von Stockholm (November 1719) trat Schweden die beiden Stifter gegen Zahlung von 1 Mill. Tlr. an H. ab; die kaiserliche Belehnung mit denselben erfolgte 1733.

Bei seiner Übersiedelung nach England ernannte Georg I. einen Statthalterin H., dem der Geheime Rat zur Seite stand; der letztere führte die Verhandlungen mit den Ständen, die Kontrolle der Landesverwaltung, der Finanzen, der Rechtspflege, der geistlichen, Militär- und auswärtigen Angelegenheiten und ernannte unter Vorbehalt der kurfürstlichen Bestätigung die Beamten, mit Ausnahme der höchsten Chargen, war also die eigentliche Regierung des Landes, die übrigens dem Landesherrn regelmäßig Bericht erstattete. Die trotz der verhältnismäßig beträchtlichen Ausgaben für das Beamtentum und die zu Hannover bestehen bleibende Hofhaltung erzielten Überschüsse flossen in die Kasse des Kurfürsten, der daraus einen bedeutenden Hausschatz sammelte. Der Geheime Rat und das höhere Beamtentum ergänzten sich fast ausschließlich aus dem Landesadel und einigen eine Art Amtsadel bildenden Familien. Besuchsweise hielten sich Georg I. und sein Sohn und Nachfolger Georg II. (1727–60) oft und gern in H. auf. Georg II. stand mit seinem Schwager, dem König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, auf schlechtem Fuß, und die Eigenmächtigkeit preußischer Werbeoffiziere in H. hätte 1731 beinahe zu einem Kriege geführt, den nur die Vermittelung der Herzoge von Gotha und Braunschweig verhütete. Ein großes Verdienst erwarb sich Georg II. 1737 durch die Stiftung der Universität Göttingen, die, durch die Bemühungen des trefflichen Ministers v. Münchhausen ins Leben gerufen und reich dotiert, bald die ausgezeichnetsten Gelehrten Deutschlands und eine große Zahl Studierender an sich zog. Während des Österreichischen Erbfolgekriegs (1741–48) trat Georg als Bürge der Pragmatischen Sanktion entschieden für das Thronfolgerecht Maria Theresias ein, seit 1743 auch mit Waffengewalt. Als der Streit mit Frankreich um den Besitz Nordamerikas eine französische Besetzung Hannovers besorgen ließ, schloß er 1756 zum Schutze seines Stammlandes ein Bündnis mit Preußen und verpflichtete sich 1757 zur Ausstellung eines englisch-hannoverschen Heeres im Siebenjährigen Krieg, aber nach der Niederlage von Hastenbeck (26. Juli 1757) schloß der Herzog von Cumberland, in den nördlichen Winkel Hannovers zwischen Weser und Elbe zurückgedrängt, 8. Sept. die Konvention von Kloster-Zeven, durch die er das Land den Franzosen überließ. Georg II. genehmigte sie nicht, stellte ein neues Heer auf, das, durch preußische, braunschweigische und hessische Truppen verstärkt, unter Ferdinand von Braunschweig Anfang 1758 H. wieder von den Franzosen befreite, und bis zum Schluß des Krieges blieb H., mit Preußen verbündet, im wesentlichen vom Kampfe verschont.

Georgs II. Nachfolger, sein Enkel Georg III. (1760–1820), residierte ständig in England und richtete in London ein ständiges Kabinett für H. ein, das aber dem Statthalter und dem Geheimen Rat eine große Selbständigkeit in der Verwaltung des Landes einräumte. Seit dem Frieden mit Frankreich (1762) erfreute sich H. ein ganzes Menschenalter hindurch ungestörten Friedens, trat 1785 dem Fürstenbund bei und verband sich noch enger mit Preußen und Kursachsen dahin, für den Fall eines Krieges 15,000 Mann Hilfstruppen zu stellen und dem Streben des Kaisers, die Hochstifter des Reiches an Prinzen seines Hauses zu bringen, entgegenzutreten. Im Kriege gegen die französische Republik stießen 16,000 Mann Hannoveraner zu dem englisch-niederländischen Heer in Belgien; durch den Frieden von Basel 1795 wurde H. in den neutralen Teil Deutschlands einbezogen. Da Napoleon das verhaßte England nur in H. verwunden konnte, forderte er wiederholt Preußen zu dessen Besetzung auf; 1801 rückten, um Rußland zuvorzukommen, 24,000 Preußen unter General v. Kleist in H. ein und hielten das Land bis zum Frieden von Amiens (1802) besetzt. Durch den Reichsdeputationshauptschluß erwarb H. nur das Stift Osnabrück, während das sehr begehrte Hildesheim an Preußen fiel. Als 1803 der Krieg zwischen Napoleon und England von neuem ausbrach, glaubten der König und sein Kabinettsminister v. Lenthe H. durch eigne Kraft verteidigen zu können und erließen ein allgemeines Aufgebot aller waffenfähigen Mannschaften, das aber an dem Widerwillen der besitzenden Klassen scheiterte. Zum Schutz des Landes war nur eine geworbene Armee von 16,000 Mann unter dem Feldmarschall v. Wallmoden-Gimborn vorhanden, und als ein französisches Heer unter Mortier von der Weser her gegen H. heranrückte, schlossen einige landständische Deputierte auf eigne Hand die Konvention von Sulingen (3. Juni 1803), wonach die hannoverschen Truppen sich hinter die Elbe zurückziehen sollten. Wallmoden wollte ohne einen Schwertstreich diese Konvention anerkennen, aber Napoleon genehmigte sie nicht, und da ersterer nun erst recht keinen Widerstand wagen konnte, mußte er 5. Juli die Konvention von Artlenburg unterzeichnen, die das hannoversche Heer entwaffnete und auflöste, Munition und Pferde den Franzosen auslieferte und das Land unter französischen Sequester stellte. Die Franzosen hielten H. mit 30,000 Mann besetzt und organisierten eine Exekutivkommission und eine Landesdeputation. Obwohl der Marschall Bernadotte 1804 die Lasten der Okkupation etwas minderte, so betrugen die Kosten derselben für H. doch 26 Mill. Tlr. Als beim Ausbruch des dritten Koalitionskriegs die Franzosen im Herbst 1805 das Land bis auf Hameln räumten, um zum Kriege gegen Österreich nach Süden zu ziehen, ward es von Russen und Schweden und einer englisch-deutschen Legion besetzt, die meist aus ehemaligen Soldaten des Wallmodenschen Heeres bestand. Im Schönbrunner Vertrag (15. Dez. 1805) trat Napoleon H. an Preußen ab, das es nach dem Abzug der Russen und Schweden im Januar 1806 besetzte. Doch besaß Preußen es nicht lange, denn nach der Katastrophe von Jena drangen die Franzosen von neuem ein und nahmen nach der Kapitulation von Hameln (8. Nov.) das ganze Land in Besitz. Der südliche Teil kam 1807 an das Königreich Westfalen, der nördliche (außer Lauenburg) erst 1810, nachdem er von den Franzosen systematisch ausgesogen und die Domänen von Napoleon an seine Generale verschenkt worden waren; 2. Aug. 1810 hielt König Jérôme einen glänzenden Einzug in die Stadt H. und nahm auf dem Allstädter Markte die Huldigung entgegen. Im Dezember 1810 trennte Napoleon der Durchführung der Kontinentalsperre wegen die Departements der Oberems, der Weser- und Elbmündung ab und vereinigte sie mit dem französischen Kaiserreich. Als Teil des Königreichs Westfalen wurde H. nach französischem Muster organisiert und verwaltet, aber das Volk empfand die Fremdherrschaft schwer, und zahlreiche Hannoveraner kämpften in der englisch-deutschen Legion in Spanien. Im Herbst 1813 rückten die Russen unter Tettenborn ein; es bildete sich sofort eine neue englisch-deutsche Legion unter dem jüngern Wallmoden; Anfang November trat das alte Ministerium wieder in Tätigkeit, und der Prinz-Regent von England ernannte den Herzog von Cambridge zum Militärgouverneur.

Auf dem Wiener Kongreß 1814–15, wo H. durch den dirigierenden Minister Grafen Münster vertreten war, erhielt H. durch den Einfluß Englands eine erhebliche Gebietsvergrößerung (Ostfriesland, Hildesheim, Lingen, Meppen und mehrere kleinere Distrikte), trat Lauenburg ab und bildete nun eine zusammenhängende Masse (nur Göttingen war durch das Braunschweigische getrennt), die sich zwischen die preußischen Provinzen Sachsen und Westfalen hinein schiebend die preußische Monarchie in zwei Teile zerlegte. Mit großem Geschick arbeitete Münster, ein anerkannter deutscher Patriot, aber Gegner Preußens, einer Verstärkung des preußischen Einflusses in Norddeutschland entgegen und hob die Stellung Hannovers im neuen Deutschen Bunde durch die 1814 verkündete Erhebung zum Königreich, die der Kongreß anerkannte. Obwohl Münster auf dem Kongreß konstitutionelle Verfassungen für die deutschen Staaten forderte, blieb man in H. selbst bei der ständischen Vertretung: aus den Ständen der einzelnen Provinzen, die in die drei Kurien der Prälaten, der Ritterschaft und der Städte geteilt waren, wurde 1814 eine provisorische allgemeine Ständeversammlung gebildet, die aus 10 Deputierten der alten geistlichen Stifter, 43 ritterschaftlichen, 29 städtischen und 3 nichtadligen Abgeordneten bestand und in Finanz- und Steuersachen mitzuentscheiden haben sollte. Erst 7. Dez. 1819 wurde eine vom Geheimen Kabinettssekretär Rehberg entworfene Verfassung, die zwei Kammern einführte, verkündet: die Erste bestand außer einigen Prälaten nur aus den Standesherren und den Deputierten der Ritterschaft, die Zweite aus den übrigen Prälaten sowie aus den Deputierten der Städte, der Flecken und der freien Landeigentümer. Ihre Befugnisse bestanden vornehmlich in dem Recht, Steuern zu bewilligen und über die Finanzverwaltung Aussicht zu führen; in der Gesetzgebung war ihnen nur eine beratende Stimme eingeräumt; die Regierung führte nach wie vor die zumeist aus dem Adel hervorgehende Bureaukratie. Dem streng aristokratischen Prinz-Regenten, der 1820 als Georg IV. König geworden war, folgte 24. Juni 1830 sein Bruder Wilhelm I. (IV.), der unter dem Drucke der Julirevolution den Grafen Münster entließ und den allgemein beliebten Herzog von Cambridge zum Vizekönig von H. ernannte. Dieser erteilte einer aus 21 Mitgliedern, darunter Dahlmann, bestehenden Kommission den Auftrag, ein neues Staatsgrundgesetz auszuarbeiten, dessen Entwurf 1832 der Ständeversammlung vorgelegt, von dieser angenommen und nach erfolgter königlicher Sanktion 26. Sept. 1833 als neues Landesgrundgesetz veröffentlicht wurde. Der Bauernsland erhielt eine Vertretung in der Zweiten Kammer, der Landtag außer dem Rechte, die Steuern zu bewilligen und den Staatshaushalt zu genehmigen, auch die Initiative in der Gesetzgebung; sämtliche Domänen wurden Staatsgut; für den königlichen Hofhalt wurde eine Zivilliste eingeführt; alle Staatsdiener wurden auf die Verfassung vereidigt, und die Minister waren für alle Akte der Regierung verantwortlich. Während in der Ersten Kammer v. Scheele, dann auch Graf Münster die neue Verfassung bekämpften, trat in der Zweiten Kammer die liberale Mehrheit unter Führung Stüves entschieden dafür ein. Während dieser Kämpfe starb König Wilhelm 20. Juni 1837, dem in England seine Nichte, Königin Viktoria, folgte. Aber das Königreich H. kam auf Grund des salischen Gesetzes an seinen jüngern Bruder, den Herzog von Cumberland, und damit löste sich die Personalunion.

Hannover als selbständiges Königreich.

Der neue König Ernst August (1837–51), ein hochmütiger englischer Aristokrat, der nur mangelhaft deutsch sprach, stark verschuldet und durchaus absolutistisch gesinnt, erklärte 5. Juli 1837 bei Bekanntmachung seines Regierungsantritts, daß er das Landesgrundgesetz von 1833 nicht anerkenne, da es ohne seine Zustimmung erlassen sei, was übrigens nicht wahr war; der wirkliche Grund war, daß er, mit der Zivilliste nicht zufrieden, lieber über die Einkünfte der Domänen verfügen wollte. Die Ständeversammlung wurde erst vertagt, dann aufgelöst und 1. Nov. 1837 die Verfassung von 1833 mit Berufung auf Artikel 56 der Wiener Schlußakte als den König nicht bindend für ungültig erklärt und die von 1819 wiederhergestellt. Die Beamten mußten den Huldigungseid leisten; die Mehrzahl gehorchte, einige verweigerten den Eid unter Berufung auf den Eid, den sie auf die Verfassung von 1833 geleistet hatten; namentlich taten dies sieben Professoren in Göttingen (Göttinger Sieben): Albrecht, Dahlmann, Ewald, Gervinus, Jakob und Wilhelm Grimm und Wilh. Weber. Sie wurden ihrer Ämter entsetzt und Dahlmann und die Brüder Grimm sogar wegen Verbreitung ihres Protestes des Landes verwiesen. Zahlreiche hannoversche Gemeinden, auch die 1838 auf Grund der Verfassung berufene Ständeversammlung riefen den Bundestag zum Schutz des Grundgesetzes von 1833 an. Dieser lehnte aber 5. Sept. 1839 jede Einmischung ab, und der Minister v. Scheele setzte auf der Ständeversammlung von 1840 die Annahme einer neuen Verfassung durch, die am 6. Aug. 1840 verkündet wurde: der Landtag hatte nur neue Steuern zu verweigern, seine Verhandlungen waren geheim, die Ministerverantwortlichkeit wurde aufgehoben; der wertvollste Teil der Domänen fiel der Krone zu, und im Hinblick auf die Blindheit des Kronprinzen wurde bestimmt, daß nur die geistige Unfähigkeit des Thronerben eine Regentschaft erforderlich mache.

Obwohl H. seit seiner Trennung von Großbritannien nur ein Mittelstaat war, pochten König und Regierung auf ihre Souveränität, wahrten besonders gegen Preußen eifersüchtig ihre Selbständigkeit, lehnten zum Schaden des Landes den Eintritt in den Zollverein ab und hielten an dem 1834 gegründeten Steuerverein fest. Unter dem Druck der liberalen Bewegung versprach der König 20. April 1848 die Herstellung der Verfassung von 1833 in ihren wesentlichsten Bestimmungen und berief das liberale Ministerium Stüve-Bennigsen, das mit den Kammern 5. Sept. 1848 wichtige Reformen in der Verfassung, besonders eine andre Zusammensetzung der Ersten und die Änderung des Wahlrechts zur Zweiten Kammer, vereinbarte, aber 7. Juli ließ er durch die Minister erklären, daß er eine Reichsverfassung, welche die Selbständigkeit der Einzelstaaten nicht sicherstelle, nie annehmen werde. Dem Dreikönigsbündnis vom 26. Mai 1849 trat H. zwar bei, aber mit dem Vorbehalt des Einverständnisses der andern Königreiche, sagte sich, als Österreich wieder erstarkt war, im Februar 1850 von der preußischen Union los, schloß zuerst mit den übrigen Königreichen das Vierkönigsbündnis ab und trat dann im September 1850 in den alten Bundestag wieder ein. Dem Zollverein trat Ernst August 7. Sept. 1851 vom 1. Jan. 1854 an bei, aber erst, nachdem H. besondere Vorteile gewährt worden waren. Das liberale Ministerium Stüve-Bennigsen wurde Ende 1850 durch das konservative Kabinett Münchhausen ersetzt, und noch mehr entfaltete sich die Reaktion unter König Georg V. (1851–66), der, obwohl erblindet, dennoch 18. Nov. 1851 seinem Vater folgte. Seine Minister Bacmeister, Borries, Lenthe suchten zunächst, den Landtag gütlich zur Abschaffung der Reformen von 1848 zu bewegen. Als dies nicht gelang, beschwerte sich die Ritterschaft über Schmälerung ihrer Vorrechte, besonders die Aufhebung der Provinziallandschaften, beim Bundestag, der bereitwilligst darauf einging. Zur Verantwortung über die Beschwerde der Ritterschaft aufgefordert, versuchte die Regierung zuerst 1855 beim Landtag die Zustimmung zu einer andern Zusammensetzung der Ersten Kammer zu erlangen. Da der Landtag diese ablehnte und gegen die Einmischung des Bundestags Einspruch erhob, berief der König das Ministerium Kielmannsegge-Platen-Borries, das am 4. Aug. 1855 die vom Bund geforderte Verfassungsrevision oktroyierte, d. h. die Reformen von 1848 aufhob und das Wahlgesetz und die Zusammensetzung der Kammern von 1840 wiederherstellte. Durch Kammerauflösungen oder Oktroyierungen wurde der Wille des Königs und des feudalen Adels durchgesetzt, vor allem die Ausscheidung der wertvollsten Domänen für die königliche Kasse. In den deutschen Angelegenheiten partikularistisch, widersetzte sich H. entschieden der von Preußen vorgeschlagenen Zweiteilung des Bundesheeres und nahm als deutscher »Admiralstaat«, mir um die maritimen Bestrebungen Preußens zu kreuzen, die Bildung einer Kriegsmarine auf der Nordsee für sich in Anspruch. Die liberale Opposition in der Zweiten Kammer und die Ausbreitung des Nationalvereins in H. reizten den König, der prahlerisch äußerte, daß das Welfenhaus bis an das Ende aller Dinge herrschen werde, und Borries drohte 1. Mai 1860 offen mit auswärtigen Bündnissen gegen die nationale Bewegung. Auch als der König nach der Niederlage in dem von der orthodoxen Partei heraufbeschwornen Katechismusstreit 1862 Borries entlassen mußte, verfolgten die gemäßigten Ministerien Hammerstein (1862) und Bacmeister (1865) eine rein welfische Politik, widersetzten sich dem französischen Handelsvertrag, den Preußen 1862 abgeschlossen, erklärten sich 1863 für die Integrität des dänischen Gesamtstaats und ließen sich auch durch alle Niederlagen in ihrer Politik nicht irre machen.

Gegen Preußen, das 1864 die hannoverschen Exekutionstruppen aus Holstein hinausgedrängt hatte, gereizt, ließ König Georg, sowie der Konflikt zwischen Österreich und Preußen im Frühjahr 1866 ernstlich wurde, im April rüsten. Alle Vorstellungen und Anträge Preußens, das Neutralität forderte, wurden abgewiesen, da Österreich durch den Prinzen zu Solms-Braunfels, einen Halbbruder des Königs, den Verbündeten nach dem als sicher betrachteten Siege glänzende Belohnungen in Aussicht stellte. H. stimmte 14. Juni 1866 im Bundestag für Mobilmachung der Bundeskorps gegen Preußen. Dieses richtete sofort 15. Juni ein Ultimatum an H., forderte Abrüstung und Neutralität und sicherte Integrität des Gebiets und Souveränität nach Maßgabe des neu zu schließenden Bundesvertrags zu. Der König, vom auswärtigen Minister Graf Platen-Hallermund beraten, lehnte ab; 16. Juni erfolgte die preußische Kriegserklärung, und von Holstein und von Westfalen. rückten sofort preußische Truppen in H. ein, die hannoversche Armee zog eiligst nach Göttingen, wohin in der Nacht vom 16. zum 17. Juni auch der König mit dem Kronprinzen reiste (s. Preußisch-deutscher Krieg). In wenigen Tagen besetzte Preußen das Land, das am 20. Juni General Vogel von Falckenstein zum Generalgouverneur, v. Hardenberg zum Zivilkommissar erhielt. Das Schicksal der hannoverschen Truppen entschied sich rasch. Der hannoversche Befehlshaber, General v. Ahrentschild, rechnete auf die Hilfe der Bayern, zögerte aber, ihnen entgegenzuziehen, während König Georg jede friedliche Verständigung zurückwies. Bei Langensalza siegten die Hannoveraner über die numerisch erheblich schwächern Preußen unter General v. Flies 27. Juni, mußten aber, inzwischen auf allen Seiten von überlegenen Streitkräften umstellt, 29. Juni in der Kapitulation von Langensalza die Munition und das Kriegsmaterial den Preußen übergeben, die Mannschaften entwaffnet nach Hause entlassen, während die Offiziere sich verpflichteten, in dem gegenwärtigen Kriege nicht gegen Preußen zu dienen; der König und der Kronprinz erhielten die Erlaubnis, ihren Wohnsitz außerhalb Hannovers zu nehmen, wo es ihnen beliebe, und begaben sich nach Österreich. Nach dem Waffenstillstand von Nikolsburg war Georg V. geneigt, mit Preußen Frieden zu schließen, das aber schon die Annexion des Landes beschlossen hatte.

Der König von Preußen ergriff mittels Patents vom 20. Sept. 1866 vom Königreich H. Besitz, das fortan eine Provinz des preußischen Staates bildete; die preußische Verfassung wurde 1. Okt. 1867 eingeführt. Während ein Teil der Bevölkerung mit der neuen Ordnung einverstanden war und die meisten Beamten und Offiziere in den preußischen Dienst übertraten, konnten sich namentlich der Adel, die lutherische Geistlichkeit und die Bewohner der Residenz nicht mit der preußischen Herrschaft befreunden, und der Welfenhof in Hietzing bei Wien bemühte sich, die Hoffnungen auf seine Rückkehr nicht schwinden zu lassen. Für die in Frankreich gebildete Welfenlegion wurden in H. Mannschaften und Geld gesammelt, so daß die preußische Regierung 1868 das Vermögen des Königs Georg unter Sequester nehmen mußte (s. Welfenfonds). Selbst nach dem Kriege von 1870/71, an dem die hannoverschen Regimenter im 7. und 10. Korps ruhmreichen Anteil nahmen, erloschen die welfischen Agitationen nicht, zumal der Herzog von Cumberland, Georgs V. Sohn, nach dessen Tode (12. Juni 1878) die Gelegenheit der Versöhnung mit Preußen nicht ergriff, sondern seine Erbrechte im vollsten Umfang wahrte und sich auch 1884 weigerte, durch den Verzicht auf H. sich die Herrschaft in Braunschweig zu sichern, während die Anhänger des Welfentums die Wiederherstellung des selbständigen Königreichs H. auf gesetzlichem Wege durch eine freie Tat der deutschen Fürsten und Völker erhofften. Die Regierung fuhr fort, die Provinz mehr und mehr mit dem preußischen Staat zu verschmelzen, und führte 1885 eine neue Provinzial- und Kreisordnung ein, durch welche die Landdrosteien in Regierungsbezirke verwandelt, an die Spitze der Kreise Landräte gestellt und mittels eines neuen Wahlgesetzes das Übergewicht der Ritterschaft im Provinziallandtag beseitigt wurde. Zur Versöhnung der Althannoveraner geschah dann mancherlei. Insbesondere wurde 1899 eine Feier zur Erinnerung an das 100jährige Bestehen früherer hannoverscher Truppenteile veranstaltet und 1903 zur Erinnerung daran eine »Hannoversche Jubiläumsdenkmünze« gestiftet. Die wiederholt auftauchenden Gerüchte von einer bevorstehenden Versöhnung des Hohenzollernhauses mit der Familie des Herzogs von Cumberland erwiesen sich jedoch bisher als unbegründet.

Vgl. Hüne, Geschichte des Königreichs H. und des Herzogtums Braunschweig (Hannov. 1824–30, 2 Bde.); Havemann, Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg (2. Aufl., Götting. 1855–57, 3 Bde.); Schaumann, Handbuch der Geschichte der Lande H. und Braunschweig (Hannov. 1864); Heinemann, Geschichte von Braunschweig und H. (Gotha 1883–92, Bd. 1–3); Köcher, Geschichte von H. und Braunschweig 1648–1714 (Leipz. 1884–95, Bd. 1 u. 2); Ebhardt, Die Staatsverfassung des Königreichs H. (Hannov. 1860); Grotefend, Geschichte der landständischen Verfassung des Königreichs H. (das. 1857); Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs H. 1832–1860 (2. Aufl., Berl. 1868, 2 Bde.); E. v. Meier, Hannoversche Verfassungs- u. Verwaltungsgeschichte (Leipz. 1898–99, 2 Bde.); v. Sichart, Geschichte der königlich hannoverschen Armee (bis 1803, Hannov. 1866–71, 4 Bde.); Thimme, Die innern Zustände des Kurfürstentums H. unter der französisch-westfälischen Herrschaft (Götting. 1893–95, 2 Bde.); v. Hassell, Das Kurfürstentum H. vom Baseler Frieden bis zur preußischen Okkupation im J. 1806 (Hannov. 1894) und Geschichte des Königreichs H. (Leipz. 1898–1901, 2 Bde.; welfische Parteischrift); Havemann, Das Kurfürstentum H. unter zehnjähriger Fremdherrschaft 1803–1813 (Jena 1867); Meding, Memoiren zur Zeitgeschichte (Leipz. 1881 bis 1884, 3 Bde.); v. d. Wengen, Geschichte der Kriegsereignisse zwischen Preußen und H. 1866 (Gotha 1885); Jänecke, Die Gewerbepolitik des ehemaligen Königreichs H. 1815–1866 (Marb. 1892); Uhlhorn, Hannoversche Kirchengeschichte (Stuttg. 1902); Bär, Übersicht über die Bestände des königlichen Staatsarchivs zu H. (Leipz. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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