Lafontaine

Lafontaine

Lafontaine (spr. -fongtän'), 1) Jean de, Frankreichs größter Fabeldichter, geb. 8. Juli 1621 zu Château-Thierry in der Champagne, gest. 13. April 1695 in Paris, trat nach völlig vernachlässigter Erziehung in seinem 20. Jahre bei den Oratoriern in Reims ein, um Theologie zu studieren, was er aber nach 18 Monaten wieder aufgab, um sich einem lustigen und ausschweifenden Leben zu ergeben. Erst in seinem 25. Jahre soll die Lektüre der Ode Malherbes auf den Tod Heinrichs IV. sein Dichtergenie geweckt haben; er las nun eifrigst Malherbe und Voiture, bald aber auch andre Schriftsteller, besonders die italienischen, daneben Villon, Marot, Rabelais, und ließ sich von Freunden in die lateinische und griechische Literatur einführen; vor allen interessierte ihn Horaz. Sein erstes Werk war eine Übersetzung des »Eunuchen« von Terenz (1654). Um seinem unregelmäßigen Leben ein Ziel zu setzen, verheiratete ihn sein Vater 1647 und übertrug ihm seinen Posten als maître des eaux et forêts; L. aber, seinem Charakter nach ein sonderbares Gemisch von Herzensgüte und Leichtsinn, Zerstreutheit, Ungeschick und Verstand, ließ Amt und Frau im Stich und lebte meist in Paris, wo ihn seine Gönner, der Finanzminister Fouquet, die Prinzen von Condé und Conti, die Herzoge von Vendôme und Burgund, Henriette von England, die Herzogin von Orléans, besonders aber Marie Mancini, Mazarins Nichte, Frau von La Sablière, und in seinen letzten Tagen Frau von Hervart, wie ein unmündiges Kind sein ganzes Leben hindurch leiteten und für seinen Unterhalt sorgten. In intimem geistigen Verkehr mit Molière, Raeine, Boileau (der gleichwohl die Fabel im »Art poétique« übergangen hat), besonders aber mit dem gelehrten Kanonikus Maucroix, lebte er fern vom Hofe; Ludwig XIV., vielleicht weil L. seine treue Anhänglichkeit an den gestürzten Minister Fouquet laut zu bekennen wagte, ist ihm immer ungnädig gewesen und hätte sogar gern seine Wahl in die Akademie (1684) gehindert. Eine schwere Krankheit (1692) und das fortgesetzte Drängen der Geistlichkeit riefen in L. eine vollständige Sinnesänderung hervor; er verleugnete seine leichtfertigen Schriften und beschäftigte sich nur noch mit Übersetzungen aus der Bibel. Lafontaines Hauptwerke sind seine schlüpfrigen, aber vorzüglich erzählten »Contes et nouvelles« in 5 Büchern (1665 bis 1685) und seine in unregelmäßigen Versen, sogen. vers libres, gedichteten »Fables« (12 Bücher, 1668 bis 1695; 1867 hrsg. mit Zeichnungen von G. Doré; deutsch von Dohm, 1876–77; mit deutschem Kommentar von Laun, Heilbr. 1877; in Auswahl von Lang, Dresd. 1900), deren Stoff zwar überallher genommen ist, die aber wegen der Wahrheit und Naivität der Erzählung, der Gesundheit ihrer Moral und Vollkommenheit des Stils unübertreffliche Meisterwerke sind. Außerdem hat er elf Theaterstücke geschrieben und kleinere Gedichte in großer Zahl; eine Menge zweifelhafter finden sich in den »Œuvres inédites« von Lacroix (1863). Die besten Ausgaben seiner »Œuvres complètes« sind die von Walckenaer (1819–20, 18 Bde.) und Regnier (1883–92, 11 Bde.). Vgl. Saint-Mare Girardin, L. et les fabulistes (2. Aufl., Par. 1876, 2 Bde.); Taine, L. et ses fables (16. Aufl., das. 1903); Kulpe, L., seine Fabeln und ihre Gegner (Leipz. 1880); Lafenestre, Lafontaine (Par. 1895); Vicomte de Broc, L. moraliste (das. 1896); P. Lacroix, Bibliographie Lafontainienne (das. 1875).

2) August Heinrich Julius, deutscher Romanschriftsteller, geb. 5. Okt. 1758 in Braunschweig, gest. 20. April 1831 in Halle, studierte 1777–80 in Helmstedt Theologie, bekleidete bis 1789 verschiedene Hauslehrerstellen, folgte 1792 dem preußischen Heer als Feldprediger in die Champagne und privatisierte seit 1800 in Halle. Dem Beifall, den Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise seinen Schriften schenkten, verdankte er ein Kanonikat am Domstift zu Magdeburg; die philosophische Fakultät von Halle verlieh ihm 1811 die Doktorwürde. L. ist Koryphäe des spießbürgerlich-sentimentalen Familienromans, in dem die Tendenzen der großen Empfindsamkeitsbewegung der 1750er und 60er Jahre ebenso verwässert waren wie in den gleichzeitigen Bühnenstücken Ifflands und Kotzebues. Er entwickelte eine unglaubliche Fruchtbarkeit und schrieb über 150 Bände, anfangs z. T. unter Pseudonymen (Gustav Freier, Miltenberg, Selchow), zusammen. Als die bessern seiner Erzählungen nennen wir: »Gemälde des menschlichen Herzens« (1792 ff., 15 Bde.); »Leben und Taten des Freiherrn Quinctius Heymeran von Flaming« (1795 bis 1796, 4 Bde.); »Familiengeschichten« (1797–1804, 12 Bde.); »Schilderungen aus dem menschlichen Leben« (1811 ff., 10 Bde.); »Die Pfarre am See« (1816, 3 Bde.) etc. Durch die scharfen Angriffe, welche die Jünger der romantischen Schule, vor allen A. W. Schlegel (vgl. dessen »Schriften«, Bd. 12, S. 11), gegen L. richteten, ließ er selber sich ebensowenig beirren wie das Publikum. Moralisch suchte er zu wirken durch seinen »Sittenspiegel für das weibliche Geschlecht« (1804–07, 6 Bde.). Vgl. Gruber, Lafontaines Leben und Wirken (Halle 1833).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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