Fieber

Fieber

Fieber, ein Begriff, unter dem man eine Reihe von Symptomen zusammenfaßt, die vorzugsweise bei Infektionskrankheiten, aber auch bei Vergiftungen und vielleicht auch bei primären Erkrankungen des Nervensystems beobachtet werden. Das F. ist keine Krankheit an und für sich, sondern nur eine Summe von Krankheitserscheinungen. Diese bestehen in einer Steigerung der Eigenwärme, in Störungen der Kreislauforgane, des Nervensystems, der Verdauung und des gesamten Stoffwechsels. Sie können je nach der Fieberursache verschieden stark ausgeprägt sein und einen verschiedenen Verlauf zeigen.

Man hat neuerdings wegen der Unbestimmtheit des Begriffes F., und namentlich weil man die Fiebersymptome im einzelnen Fall schwer von den direkten Giftwirkungen der Infektionen trennen kann, den Vorschlag gemacht, den Ausdruck F. überhaupt nicht mehr zu gebrauchen und nur noch von Temperatursteigerung zu reden, allein der Umstand, daß die verschiedenartigsten Infektionen vom Körper mit einem in sehr wesentlichen Zügen gleichen Symptomenbild, eben den Fiebererscheinungen, beantwortet werden, läßt es zweckmäßig erscheinen, diese Symptomenreihe noch als einheitliche Gruppe anzuerkennen, besonders da einfache Temperatursteigerungen, wie sie z. B. durch Überhitzung erreicht werden können, mit diesem Bilde F. wenig gemeinsam haben.

Die wohl ausgesprochenen F. beginnen meist mit Gefühlen von Frösteln, die sich bis zum Schüttelfrost steigern können. Während dieses Frostes ist die Haut kühl, blaß und welk, durch das Hervorspringen der Haarbälge ist sie nach Art der Gänsehaut uneben, vielfach sieht man Muskelzittern, und oft klappern die Kranken vor Frost mit den Zähnen, selbst wenn sie warm bedeckt sind. Die Temperatur steigt während des Fröstelns an. Auf dieses Stadium folgt die Zeit der Fieberhitze, deren Eintreten durch den Nachlaß des im Froststadium bestehenden Krampfes der Hautgefäße bedingt wird. Die Haut fühlt sich nun warm, selbst brennend heiß (calor mordax) an, die Wangen des Patienten glühen. Das Ende dieses Stadiums wird entweder plötzlich erreicht, indem unter starkem Schweißausbruch die Temperatur bis zur normalen Höhe oder selbst unter diese absinkt (Krisis), oder die Temperatur und mit ihr die Erscheinungen der Fieberhitze sinken allmählich (lytischer Fieberabfall). Von den einzelnen Fiebersymptomen ist zunächst die Temperatursteigerung das wichtigste, und zwar weil die Art und Weise ihres Verlaufs charakteristisch für die einzelnen Erkrankungen ist. Da man nun die Temperatur mittels in die Achselhöhlen oder in den After eingelegter Thermometer leicht und exakt messen kann, so ist ihre Beobachtung eins der wichtigsten diagnostischen Mittel geworden. Die normale Wärme des Menschen rechnet man von 36,5–37,5°, in der Achselhöhle (um 0,5° mehr im Mastdarm) gemessen. Sie schwankt je nach der Tageszeit, wird aber gegenüber äußern Einflüssen sehr zäh festgehalten. Die fieberhafte Temperatursteigerung hat diese letztere Eigenschaft nicht, sondern läßt sich leichter beeinflussen. Man bezeichnet dieselbe je nach ihrer Höhe bis 38,5° als geringe oder subsebrile, von 38,5–41° als fieberhafte bis hochfieberhafte. Über 41° hinaus spricht man von hyperpyretischen Formen des Fiebers. Es werden solche hohe Temperaturen bis 42,5° und noch darüber nur ausnahmsweise während des Lebens beobachtet, so bei Verletzungen des Halsmarkes und bei schweren Formen des Gelenkrheumatismus. Mitunter kommen sie nach dem Tode als postmortale Temperatursteigerung vor und erklären sich durch fortgesetzte Wärmebildung bei stark verminderter Abgabe. Die Höhe der erreichten Temperatur ist nicht für die einzelnen Krankheiten gleich einzuschätzen. Während z. B. im Rückfallfieber sehr hohe Temperaturen leicht ertragen werden, sind sie beim Typhus mit schweren Allgemeinstörungen verknüpft. Auch das Alter und der Kräftezustand der Kranken kommen für die Höhe des Fiebers in Betracht. Kinder und kräftige Leute fiebern hoch, bei alten, schwächlichen Patienten verlaufen häufig sonst schwer fieberhafte Erkrankungen völlig fieberlos.

Je nachdem das F. eine gleichmäßige Höhe hat oder von niedern Temperaturen unterbrochen wird, unterscheidet man 1) anhaltendes F., febris continua, bei dem der höchste und tiefste Stand der Körperwärme wenig (0,5–1°) differieren, 2) nachlassendes F., febris remittens, bei dem die Morgentemperatur (Stadium der Remission) 1–2° niedriger als die Abendtemperatur (Stadium der Exacerbation) ist, 3) Wechselfieber, febris intermittens, bei dem kurze Fieberanfälle (Paroxysmen) durch eine fieberfreie Zeit (Apyrexie) von bestimmter Dauer unterbrochen sind (wie bei Malaria), 4) Rückfallfieber, febris recurrens, bei dem zwischen zwei oder drei Fieberanfällen von mehrtägiger Dauer eine fieberfreie längere Periode liegt. Sind bei remittierenden Fiebern die Morgentemperaturen höher als die Abendtemperaturen, so spricht man von einem typus inversus. Ein solcher ist häufig bei Leuten, die nachts arbeiten, z. B. bei Bäckern, vorhanden, bei denen auch die Schwankungen der normalen Temperaturen umgekehrt wie bei Tagesarbeitern verlaufen.

Die Erscheinungen von seiten der Kreislauforgane bestehen in einem Rascherwerden der Pulse; auf der Höhe des Fiebers pflegt der Puls auch weicher zu sein und ist öfter doppelschlägig (dikrot). Wie weil diese Veränderungen vom Herzen selbst oder von dem Verhalten der Gefäße bedingt sind, ist nicht genügend erforscht. Für ein ige unter dem Bilde des Kollapses tödliche F. wissen wir, daß es sich um Lähmungen der großen Bauchgefäße handelt, infolgedessen sammelt sich ein großer Teil des Blutes in den erweiterten Bauchgefäßen, und das Herz vermag, wie eine leer gehende Pumpe, den Blutumlauf nicht aufrechtzuerhalten. Auch die Pulsbeschleunigung ist in den einzelnen Krankheiten verschieden und nur im allgemeinen der Temperaturhöhe proportional; z. B. ist im Typhus der Puls verhältnismäßig wenig beschleunigt. Gerade für die Zirkulation ist die Abgrenzung der Störungen, die man als Folge des Fiebers einerseits, als direkte Giftwirkung anderseits bezeichnen soll, nicht leicht zu treffen. Die Störungen von seiten des Nervensystems bestehen in leichtern Fällen in dem Gefühl von Unbehagen, Abgeschlagensein, Kopfschmerzen, bei stärkern, sogen. typhösen Fiebern steigern sich die Erscheinungen bis zu schwerer Benommenheit oder großer Unruhe und Erregung, die sich in Fieberphantasien, Fluchttrieb und endlich in ausgesprochen deliranten Zuständen äußern. Von den übrigen Störungen ist zunächst die Verringerung des Nahrungsbedürfnisses auffallend. Fiebernde essen sehr wenig, haben aber starken Durst. Die aufgenommene Nahrung wird übrigens nicht wesentlich schlechter ausgenutzt als in gesunden Tagen. Die Zunge pflegt stark belegt zu sein, die Lippen sind trocken, öfters mit Borken belegt, weil wegen leichter Benommenheit vielfach durch den Mund und nicht durch die Nase geatmet wird. Endlich ist der gesamte Stoffwechsel im F. verändert. Es wird zunächst bei weitem mehr Eiweiß zersetzt. Ein Teil dieses Mehrzerfalls von Eiweiß kommt auf Rechnung der Unterernährung, da wegen der geringen Nahrungsaufnahme der Körper eignes Gewebe angreifen muß, ein Teil stammt vielleicht aus der Zersetzung abgestorbener durch den Insekt vergifteter Zellen. Aber nicht nur der Eiweißstoffwechsel ist erhöht, sondern die gesamten Umsetzungen, die man gleich der gesamten Wärmeproduktion setzen kann, sind vermehrt.

Dies führt zu einer Betrachtung des Grundes der fieberhaften Temperatursteigerung, zur Theorie des Fiebers. Es ist klar, daß diese von der Wärmeproduktion einerseits, von der Wärmeabgabe anderseits abhängig sein muß. Aus kalorimetrischen Untersuchungen ergibt sich, daß die Wärmeproduktion zwar gesteigert ist, aber nicht in dem Maße, wie man früher annahm, daß die Wärmeabgabe im Anfang des Fiebers sicher verringert ist, später kann sie gesteigert sein, bleibt aber immer, solange F. besteht, hinter der Vermehrung der Produktion zurück. Nur gegen Ende des Fiebers kehrt sich dieses Verhältnis um. Die Ursachen des Fiebers sind sehr mannigfaltig. Zahlreiche Substanzen, sowohl solche, die unter Einwirkung von Bakterien entstehen, als einfache chemische Körper, erzeugen, in den Kreislauf gebracht, F. Unter ihrer Einwirkung wird der Eiweißzerfall im Organismus nicht nur quantitativ gesteigert, sondern auch qualitativ verändert. Es treten nämlich hydrolytische Spaltungsprodukte des Eiweißmoleküls (Albumosen) auf, die bei nicht fieberhaften Temperatursteigerungen fehlen. Da nun diese Spaltungsprodukte selbst exquisit fiebererregend wirken, so liegt die Annahme nahe, in einer qualitativen Veränderung des Eiweißzerfalls die allen Fiebern gemeinsame Ursache zu suchen. Diese Substanzen wirken wahrscheinlich durch Vermittelung des Gehirns. Wenigstens kann man durch Verletzung gewisser Hirnstellen, z. B. des Streifenhügels, hohe Temperatursteigerungen erzielen. Es ist natürlich zuzugeben, daß auch primäre Erkrankung dieser Gebiete F. erzeugen können, allein diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Wir wissen heute nicht, ob man die durch den Gehirnstich und ähnliche Verletzungen erzeugten Temperatursteigerungen dem echten F. zurechnen darf. Ebensowenig sind wir über die sogen. reflektorischen F., z. B. F. nach Katheterismus oder bei Gallensteinkoliken, genügend unterrichtet.

Eine kurze Beantwortung hat schließlich die Frage zu finden, ob das F. eine nützliche Reaktion des Körpers auf eine Infektion ist oder schädlich auf den Organismus wirkt und bekämpft werden muß. Es liegen zwar einige Versuche vor, die ergeben, daß manche Infektionen bei (z. B. durch Hirnstich) erhöhter Körpertemperatur leichter verlaufen. Im allgemeinen wird man zugeben müssen, daß der fieberhafte Zustand an sich Schaden bringt. Die Behandlung des Fiebers besteht heute fast ausschließlich in der Anwendung kühler Bäder oder ähnlicher Wärmeentziehungen, die aber keineswegs allein auf die Temperatursteigerung wirken, sondern in vielen andern Richtungen bei infektiösen Krankheiten nutzbringend sind, namentlich durch günstige Beeinflussung des Kreislaufs. Es ist aber nicht ihre Aufgabe, das F. zu unterdrücken, sondern nur seine schädlichen Exzesse zu mildern. Die arzneilichen Fiebermittel (s.d.) werden mit Recht zur Bekämpfung des Fiebers wenig mehr verwendet, abgesehen natürlich von solchen, die spezifisch auf die Infektion als solche wirken, wie z. B. Chin in bei Malaria, Salizylsäure bei Gelenkrheumatismus. Über die für Fiebernde geeignete Nahrung vgl. Diätetik. Daß Fiebernden endlich eine sorgsame Krankenpflege zuteil werden muß, ist selbstverständlich. Fiebernde sind mit Bettruhe zu behandeln, es müssen denselben körperliche Anstrengungen jeder Art erspart werden. Sie müssen zu der Nahrungsaufnahme angehalten und bei derselben unterstützt werden. Es ist mit Sorgfalt auf die Regelmäßigkeit der Entleerung zu achten etc. Vgl. Wunderlich, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten (2. Aufl., Leipz. 1870); Liebermeister, Handbuch der Pathologie und Therapie des Fiebers (das. 1875); Senator, Untersuchungen über den fieberhaften Prozeß und seine Behandlung (Berl. 1873); Rabe, Die modernen Fiebertheorien (das. 1893); Ughetti, Das F. (deutsch, Jena 1895); Krehl, Pathologische Physiologie (2. Aufl., Leipz. 1898).

Auch bei den Haustieren tritt F. als Symptom sehr zahlreicher Krankheiten auf. Seine Erscheinungen sind denen beim Menschen im allgemeinen ähnlich. Nur Wechselfieber wird bei Tieren nicht beobachtet. Neue Beobachtungen deuten auf eine Verwandtschaft der Pferdesterbe (s.d.) mit der menschlichen Malaria. Die normale Mastdarmtemperatur beträgt bei Pferden 37,5–38,5, bei Rindern 38–39,5, bei Schweinen 38,5–40, bei Schafen 38,5–41, bei Hunden 37,5–39,5°. Die fieberhafte Steigerung geht der Regel nach nicht über 42°, bei Pferden bedeuten 40° schon ein erhebliches F. Mit dem F. ist ebenfalls erhebliche Pulssteigerung verbunden. Zur Behandlung des Fiebers dienen anhaltende Berieselungen des Körpers mit kaltem Wasser, ferner Chinin, Antifebrin, Antipyrin etc. Meist ist eine besondere Behandlung des Fiebers entbehrlich.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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