- Dahlmann
Dahlmann, Friedrich Christoph, Geschichtschreiber und Staatsmann, geb. 13. Mai 1785 in Wismar, gest. 5. Dez. 1860 in Bonn, studierte seit 1802 in Kopenhagen, seit 1804 in Halle unter Friedr. Aug. Wolf Philologie. Nach längerm Aufenthalt in Wismar ging er 1809 nach Dresden, wo er mit Heinrich v. Kleist Freundschaft schloß. In Wittenberg erwarb er 1810 mit einer Abhandlung über Ottokar von Böhmen den philosophischen Doktorgrad; 1811 habilitierte er sich in Kopenhagen für Philologie, erhielt aber 1812 den Auftrag, in Kiel Geschichte zu lesen, und wurde 1813 daselbst außerordentlicher Professor. In der Festrede (Kiel 1815), die er bei der von der Universität veranstalteten Feier der Schlacht bei Waterloo hielt, mahnte er zuerst öffentlich zur Arbeit an der politischen Wiedergeburt Deutschlands. Als Sekretär der schleswig-holsteinischen Ritterschaft geriet er in eine oppositionelle Stellung zur dänischen Regierung, wurde deshalb nicht ordentlicher Professor und folgte daher 1829 einem Ruf nach Göttingen als Ordinarius der deutschen Geschichte und der Staatswissenschaften. Hier war er wieder politisch tätig: nach der sogen. Göttinger Revolution (Januar 1831) als Deputierter der Universität an den Generalgouverneur Herzog von Cambridge abgesandt, gewann er dessen Vertrauen, wurde bei Feststellung der Verfassung zu Rate gezogen und von der Universität zu ihrem Vertreter in der Zweiten Kammer gewählt. Aber sowohl seine Reden als auch seine Artikel in der »Hannöverschen Zeitung« erregten durch ihren rücksichtslosen Freimut und ihr nach allen Seiten selbständiges Urteil Anstoß, so daß er sich mit seinen politischen Ansichten isoliert fühlte. Eine Frucht seiner damaligen Studien in der Politik war: »Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt«, wovon nur der 1. Band (Götting. 1835; 3. Aufl., Berl. 1847) erschienen ist. Nach dem Verfassungsbruch des Königs Ernst August (1837) verfaßte D. den Entwurf einer Protestation, die das Verfahren des Königs für einen Staatsstreich erklärte, der niemand von dem auf das Staatsgrundgesetz geleisteten Eid entbinden könne; sechs von Dahlmanns Kollegen (s. Göttinger Sieben) unterschrieben diese Erklärung. Ihre Absetzung und Ausweisung war die Folge davon. D., der über die Verfassungsfrage noch das klassische Pamphlet »Zur Verständigung« schrieb, begab sich nach Leipzig, von da nach Jena, wo er seine vortreffliche »Geschichte von Dänemark« schrieb (Hamb. 1840–43, 3 Bde., nur bis zur Reformation), die von D. Schäfer (Bd. 4 u. 5, Gotha 1893–1902) fortgesetzt wurde. Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. 1842 nach Bonn berufen, ward er einer der beliebtesten akademischen Lehrer. Weithin galt er als politische Autorität, und auch die Regierung holte in wichtigen Universitätsangelegenheiten seinen Rat ein. Die Vorlesungen über die englische u. französische Revolution besaßen hohe politische Bedeutung; als Bücher (»Geschichte der englischen Revolution«, Leipz. 1814; 7. Aufl. 1885; »Geschichte der französischen Revolution«, das. 1845; 3. Aufl. 1864) bestimmten sie das politische Urteil der gebildeten Mittelklassen. Bei Beginn der nationalen Bewegung des Jahres 1848 wurde D.von dem neu ernannten Minister Grafen Schwerin zur Teilnahme an den Beratungen über die preußische Verfassung aufgefordert, bald nachher als preußischer Vertrauensmann zum Bundestag nach Frankfurt geschickt, aber die Ernennung zum eigentlichen Bundestagsgesandten lehnte er ab. Der von Einheitsgedanken belebte Verfassungsentwurf der 17 Vertrauensmänner ist hauptsächlich Dahlmanns Werk. In der Frage der Hegemonie war er für die Einigung unter Preußens Führung mit Ausschluß Österreichs, fand aber damit weder beim König von Preußen noch bei der Mehrheit des Parlaments Beifall, wie er überhaupt für praktisch politische Arbeit sich wenig brauchbar erwies. Noch 1849 forderte er entschieden das preußische Kaisertum, nur widerwillig unterstützte er die preußischen Unionsbestrebungen, nahm aber am Erfurter Parlament teil und trat im Sommer 1850 in die preußische Erste Kammer ein, wo er den überstürzten Restaurationsbestrebungen mutig, aber erfolglos entgegentrat. Mehr und mehr vereinsamt, schöpfte er erst seit der Wendung der Dinge in Preußen 1858 neuen Mut. Sein Einfluß auf die politische Erziehung der Gebildeten ist von nachhaltiger Wirkung gewesen. Von seinen Schriften sind neben der Ausgabe von Neocorus' »Geschichte der Dithmarschen«, in sächsischer Sprache (Kiel 1827), noch zu erwähnen: »Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte« (Bd. 1, Altona 1821; Bd. 2: »Herodot«, 1824); »Quellenkunde der deutschen Geschichte« (Göttingen 1830; seit der 3. Aufl., 1869, bearbeitet von Waitz; 6. Aufl. 1894, besorgt von E. Steindorff). Seine 1826 in Kiel gehaltenen Vorlesungen über die Geschichte Dithmarschens gab Kolster (Leipz. 1873), seine »Kleinen Schriften und Neden« Varrentrapp (Stuttg. 1886) heraus. Vgl. A. Springer, Friedr. Christ. D. (Leipz. 1870–72, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.