Gerichtsbarkeit

Gerichtsbarkeit

Gerichtsbarkeit (Jurisdiktion), das Recht und die Pflicht zur Rechtspflege. Sie wurde früher auch von der Kirche ausgeübt, kommt aber nach den modernen Anschauungen nur dem Staate zu (s. Geistliche Gerichtsbarkeit). Der Staat überträgt seine G. zur Ausübung an die Gerichte (s. Gericht). Deshalb wird unterschieden zwischen der ursprünglichen (originären) G. oder Gerichtsherrlichkeit (s.d.) und der abgeleiteten oder übertragenen G. Die erstere kommt in Deutschland teils dem Reiche, teils den einzelnen Bundesstaaten zu. Vom Reiche wird die G. ausgeübt durch das Reichsgericht, von den einzelnen Bundesstaaten durch die Landesgerichte (s. Gerichtsverfassung). Die Gerichte leiten ihre G. in der Regel unmittelbar von der Staatsgewalt ab. Eine von der Staatsgewalt mittelbar, durch Vermittelung von Gutsherren oder Standesherren oder Städten auf gewisse Gerichte, oder die Privatgerichtsbarkeit durch Gerichte, die sogen. Patrimonialgerichte (s. Patrimonialgerichtsbarkeit), ist in Ansehung der streitigen G. durch § 15 des Gerichtsverfassungsgesetzes, nach dem es nur Staatsgerichte gibt, beseitigt worden. Die G. muß den Gerichten nach allgemeinen Regeln, ohne Rücksicht auf die zu erledigenden Sachen, übertragen werden. Ihre Übertragung an bestimmte Behörden für den einzelnen Fall, sogen. Delegation der G., ist nach § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes verboten. Die G. zerfällt in die streitige und in die freiwillige, je nachdem es sich um die Regelung von streitigen oder nicht streitigen Sachen handelt (s. Freiwillige Gerichtsbarkeit). Die sogen. Reichsjustizgesetze (s.d.) beziehen sich nur auf die streitige G. und deren Ausübung durch die Gerichte; die Regelung der freiwilligen G., die früher der Landesgesetzgebung überlassen war, ist jetzt durch ein Reichsgesetz vom 17. Mai 1898 erfolgt. Die streitige G. zerfällt in die Zivilgerichtsbarkeit und in die Strafgerichtsbarkeit, je nachdem es sich um die Rechtspflege in »bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten« (s.d.) oder in Strafsachen handelt, ferner in die ordentliche und in die besondere streitige G. Die erstere kommt nur den ordentlichen Gerichten zu und befähigt sie, grundsätzlich in allen Streitsachen die Rechtspflege zu betätigen. Die besondere G. kann sowohl den ordentlichen als auch den Sondergerichten übertragen sein; sie befähigt zur Ausübung der Rechtspflege nur in Ansehung einzelner Arten von Streitsachen, z. B. nur in Streitsachen von Militärpersonen. Die Reichsjustizgesetze (s.d.) befassen sich nur mit der ordentlichen streitigen G.; für die besondere streitige G. sind andre Reichsgesetze (z. B. das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit) oder die Landesgesetze maßgebend. Die frühere Einteilung der G. in die hohe und die niedere je nach Bedeutung der zu erledigenden Rechtssachen ist in unserm Recht zu einer Einteilung der Zuständigkeit geworden (s. Gerichtsverfassung). Hinsichtlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. Contentieux administratif und Verwaltung. – In Österreich ist durch das Gesetz über die Jurisdiktionsnorm vom 1. Aug. 1895 die Ausübung der G. und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (streitigen und außerstreitigen) geregelt. In erster Instanz wird die G. ausgeübt durch Bezirksgerichte (auch besondere für Handels- und Seesachen) sowie durch Kreis- und Landesgerichte (dazu besondere Handelsgerichte, dann Handels- und Seegerichte); in zweiter Instanz durch die Kreis- und Landesgerichte (auch Handels- und Seegerichte) in bezug auf von Bezirksgerichten ergangene Entscheidungen, durch die Oberlandesgerichte in bezug auf von Gerichtshöfen ergangene Entscheidungen; in dritter Instanz durch den Obersten Gerichtshof bezüglich aller Rechtssachen. Bezirksgerichte üben die G. durch Einzelrichter aus; alle andern Gerichte sind Kollegialgerichte. Sachlich zuständig sind die Bezirksgerichte in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis 500 Gulden, weiteres in andern speziell genannten ohne Rücksicht auf den Wert der Streitsache; nicht den Bezirksgerichten zugewiesene Streitsachen gehören vor die Gerichtshöfe erster Instanz; diese sind ausschließlich zuständig in Streitigkeiten über eheliche Abstammung, in Ehestreitigkeiten, in nicht rein vermögensrechtlichen Streitigkeiten aus dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, in Fideikommiß- und Lehnsstreitigkeiten; die Handels-sowie Handels- und Seegerichtshöfe in Handels-, See- und Wechselstreitigkeiten sowie in solchen des Marken-, Muster-, Modell- und Privilegienschutzes. Örtlich zuständig ist das Gericht des Wohnsitzes (allgemeiner Gerichtsstand des Wohnsitzes), eventuell des jeweiligen Aufenthaltes im Inlande. Die besondern Gerichtsstände sind entweder ausschließliche oder Wahlgerichtsstände. Kläger hat das Wahlrecht unter mehreren zuständigen Gerichten. Die Zuständigkeit kann bedingt geschaffen werden durch Prorogationsvertrag, der bereits in der Klage urkundlich nachgewiesen werden muß, oder durch mündliches Verhandeln des Beklagten zur Hauptsache, ohne die Unzuständigkeitseinwendung erhoben zu haben.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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