Grévy

Grévy

Grévy (spr. -wi), 1) Jules, franz. Staatsmann, Sohn eines Gutsbesitzers, geb. 15. Aug. 1807 in Montsous-Vaudrey (Jura), gest. daselbst 9. Sept. 1891, nahm an den Kämpfen der Julirevolution teil und ließ sich als Advokat in Paris nieder. Seiner politischen Überzeugung nach war er strenger Republikaner. Als Kommissar der provisorischen Regierung vom Februar 1848 in sein Heimatsdepartement geschickt, erwarb er sich durch Gerechtigkeit und Milde allgemeine Achtung und ward fast einstimmig zum Mitglied der Nationalversammlung gewählt. Er stimmte meist mit der Linken und zog sich nach dem Staatsstreich vom politischen Leben zurück. Als Advokat großer Gesellschaften erwarb er sich ein bedeutendes Vermögen. 1868 wurde er Bâtonnier (Vorsteher) des Pariser Advokatenstandes, auch in den Gesetzgebenden Körper gewählt. Seine Opposition gegen die kaiserliche Regierung war fest, aber gemäßigt und stets auf das Sachliche gerichtet. Am 4. Sept. 1870 erklärte er sich gegen die Errichtung einer Diktatur und für Bewahrung gesetzlicher Formen. Im Februar 1871 in die Nationalversammlung zweimal gewählt, wurde er von dieser zu ihrem Präsidenten berufen und bis 1873 immer mit großer Stimmenmehrheit wiedergewählt. Er verwaltete sein Amt mit großer Ruhe und Unparteilichkeit. Am 1. April 1873 legte er gegenüber der offenen Feindschaft der Rechten sein Amt nieder. G. gehörte seitdem der Linken der Nationalversammlung an. Gegen die monarchistischen Intrigen schrieb er: »Le gouvernement nécessaire« (1873). 1876 trat er als Mitglied in die Deputiertenkammer ein, die ihn 14. März zu ihrem Präsidenten erwählte. Nach Mac Mahons Rücktritt 30. Jan. 1879 wurde er mit 563 gegen 99 Stimmen zum Präsidenten der Republik auf sieben Jahre erwählt. Er bewahrte als Oberhaupt des Staates eine echt konstitutionelle Zurückhaltung, zeigte aber eine Scheu vor der Öffentlichkeit und eine Habgier, die ihn aller Volkstümlichkeit beraubten. Dennoch wählte ihn der Nationalkongreß 28. Dez. 1885 wiederum auf sieben Jahre zum Präsidenten der Republik, um Parteizwist zu vermeiden. 1887 wurde er aber durch die in seinem eignen Palast betriebenen Schwindeleien seines Schwiegersohnes Wilson in bedenklichster Weise bloßgestellt. Zwar veranlaßte G. seinen Schwiegersohn, eine Privatwohnung zu beziehen, hielt aber sonst an ihm fest und weigerte sich auch, seine eigne Entlassung zu nehmen, um nicht ein dem Fortbestande der Verfassung gefährliches Beispiel zu geben. Die Kammern zwangen ihn jedoch, 1. Dez. 1887 sein Entlassungsgesuch einzureichen. Danach geriet er bald in völlige Vergessenheit. Vgl. »Discours politiques et judiciaires de M. Jules G.« (hrsg. von Delabrousse, Par. 1888, 2 Bde.); Barbou, Jules G. (das. 1879); Zevort, La présidence de Jules G. (das. 1898).

2) Albert, franz. Staatsmann, Bruder des vorigen, geb. 23. Aug. 1824 in Mont-sous-Vaudrey (Jura), gest. daselbst 11. Juli 1899, ließ sich in Besançon als Advokat nieder, wo er Bâtonnier wurde. Nach dem Sturz des Kaiserreichs 1870 ernannte ihn die Regierung der nationalen Verteidigung zum Kommissar für die drei Departements Jura, Doubs und Obersaône. Am 8. Febr. 1871 wurde er in die Nationalversammlung gewählt und schloß sich der republikanischen Linken an, deren Präsident er wurde. Nach der Wahl seines Bruders zum Präsidenten wurde er 15. März 1879 Generalgouverneur in Algerien mit der Aufgabe, daselbst die Zivilverwaltung zu begründen; aber seine Verwaltung war so wenig erfolgreich, daß 1881 Unruhen ausbrachen. G. nahm daher im November 1881 seine Entlassung. Er wurde dann in den Panamaskandal mit verwickelt und wegen Annahme von Bestechungen angeklagt (Januar 1893), aber bald vom Gericht außer Verfolgung gesetzt. Seit 1880 war G. Senator.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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