- Geschmack
Geschmack (Gustus), eigentümliche Empfindungen, die wir durch gewisse Partien der Mundhöhlenschleimhaut empfangen. Gewisse gelöste oder im Speichel lösliche Substanzen versetzen die Endorgane der Geschmacksnerven (des neunten Hirnnervenpaares, des Nervus glossopharyngeus, und des Zungenastes des fünften Gehirnnervs) in Erregung, und deren Erregungszustand wird auf das Zentralorgan des Geschmackssinnes im Gehirn übertragen. Die Grundempfindungen des Geschmacks sind wenig zahlreich und zerfallen in die Klassen: Salzig, Sauer, Süß, Bitter. Wahrscheinlich entsprechen den verschiedenen Grundempfindungen ebensoviele mit verschiedenen spezifischen Energien begabte Nervenfaserarten. Wovon der G. der Körper abhängt, ist unbekannt. Körper, die sich physikalisch wie chemisch verschieden verhalten, können verwandte Geschmacksempfindungen erregen. Die meisten schmeckenden Substanzen verursachen Mischempfindungen der verschiedensten Geschmacksqualitäten. Die meisten Empfindungen, die schmeckbare Substanzen verursachen, sind in Wahrheit keine einfachen Geschmacks-, sondern teils Geruchs-, teils Tast- und Gemeingefühlsempfindungen, die sich mit Geschmacksempfindungen zu einheitlichen Eindrücken kombinieren. Der zusammenziehende G. ist z. B. im wesentlichen eine Tastempfindung; der aromatische G. verschwindet sofort, wenn man den Eingang zur Nase verstopft. Das Geschmacksvermögen ist an der Wurzel des Zungenrückens am stärksten entwickelt; doch auch den Rändern und dem vordern Teil (nicht der untern Fläche) der Zunge, selbst dem weichen Gaumen und der untern Fläche des Kehldeckels ist ein gewisser Grad von Geschmacksvermögen zuzuschreiben. Der Nervus glossopharyngeus verbreitet sich in der Schleimhaut des hintern Teils vom Zungenrücken; seine Fasern treten an die sogen. Schmeckbecher oder Geschmacksknospen (s. Zunge) heran, die als die eigentlichen Geschmacksorgane (s. Schmeckwerkzeuge) aufzufassen sind. Die Zungenspitze ist am empfindlichsten für süßen G., der Zungengrund für bitteren. Nur gelöste oder lösliche Stoffe sind für den G. wahrnehmbar, doch ist die Lösbarkeit einer Substanz kein Maßstab für ihre Schmeckbarkeit. Für eine und dieselbe Substanz wächst die Intensität der durch sie hervorgerufenen Geschmacksempfindung mit dem Konzentrationsgrad der betreffenden Lösung, ebenso mit der Größe der Berührungsfläche und mit der Dauer der Einwirkung. Durch Einreiben der schmeckenden Substanz in die Zungenschleimhaut wird die Lebhaftigkeit des Geschmacks vermehrt. Aus diesem Grunde bewegen wir die Zunge beim Kosten reibend am Gaumen hin und her. Die Grenze der Verdünnung, bei der Schmecksubstanzen überhaupt noch wahrgenommen werden, beträgt für Chininsalze etwa 1:33,000, für Schwefelsäure 1:10,000, für Kochsalz 1:1600, für Zucker nur 1:90 bis 1:80. Viel süßer als Zucker erscheint das Saccharin. Bittere und saure Substanzen vertragen die größte, salzige eine sehr viel geringere und süße nur eine ganz geringe Verdünnung. Welche Beziehungen zwischen der chemischen Konstitution der Schmeckstoffe und der durch sie erzeugten Geschmacksempfindung bestehen, läßt sich noch nicht sicher sagen. Der G. der Lösungen von Salzen, Säuren und Alkalien scheint nur durch die Ionen bedingt zu sein, der saure G. wird durch den Gehalt an H-Ionen, der alkalische durch den an OH-Ionen bestimmt. Merkwürdig ist die Beihilfe, die das Gesicht dem Geschmackssinn leistet. Im Dunkeln schmecken wir schlecht, und geübte Weinkenner sollen in der Dunkelheit einen Rotwein nicht von einem Weißwein unterscheiden. Verschiedene Momente stumpfen die Feinheit des Geschmacks ab. Es genügt dazu schon Trockenheit der Zunge; noch mehr tun es entzündliche Veränderungen der Zungenschleimhaut, ebensosehr intensive Geschmackseindrücke, wodurch die Geschmacksnerven ermüdet werden, ferner die Kälte und höhere Wärmegrade. Durch Kokain wird der G., besonders der bittere, erheblich herabgesetzt; die aus der Pflanze Gymnema sylvestre gewonnene Gymnemasäure hebt die Empfindlichkeit für Süß gänzlich auf. Der Geschmackssinn kann durch Übung erhöht, durch Gewöhnung beträchtlich abgestumpft werden. Krankhafte Abweichungen, Aufhebung des Geschmacks und Geschmackstäuschungen kommen besonders bei Krankheiten der Verdauungsorgane und Nervenkrankheiten vor. Einige Substanzen hinterlassen nach ihrem Verschlucken einen lange dauernden Nachgeschmack. Außerdem sind beim G. auch Kontrastempfindungen zu beobachten, indem das Schmecken der einen Substanz den G. einer andern modifiziert. Der G. des Käses z. B. erhöht den für Wein, Salz den G. des Süßen und Sauren. Schickt man einen elektrischen Strom durch die Zunge, so entsteht der sogen. galvanische G., d. h. eine, je nach der Richtung des Stromes, entweder säuerliche und saure oder laugenhaft-metallische Geschmacksempfindung. Schon sehr schwache galvanische Ströme vermögen diese Empfindung hervorzurufen.
Geschmack der Tiere. Es ist wahrscheinlich, daß die höhern Wirbeltiere schmeckbare Substanzen ebensogut zu schmecken vermögen wie der Mensch, da sie deutliche Zeichen der Abneigung gegen schlecht schmeckende Stoffe (Chinin etc.) geben und vielfach eine besondere Vorliebe für gewisse wohlschmeckende Substanzen zeigen. Wie weit bei niedern Tieren, insbes. den wirbellosen, der Geschmackssinn ausgebildet ist, läßt sich kaum angeben; ebensowenig ist sicher festzustellen, welche Organe hier diesem Sinne dienen. Vgl. Bernstein, Die fünf Sinne (2. Aufl., Leipz. 1889); v. Vintschgau, Der Geschmackssinn (in Hermanus »Handbuch der Physiologie«, das. 1880); Nagel, Vergleichende Untersuchungen über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe (Stuttg. 1894); Frankl-Hochwart, Die nervösen Erkrankungen des Geschmacks und Geruchs etc. (in Nothnagels »Spezieller Pathologie und Therapie«, Bd. 11, Wien 1897; auch im Sonderdruck).
Im ästhetischen Sinn ist G. die Fähigkeit des ästhetischen Genießens und Urteilens (s. Ästhetik), mit andern Worten, die Gabe einer lebendigen und vielseitigen Gefühlsreaktion auf die Eindrücke des Lebens wie der Kunst; insbes. aber zeigt sich G. in der Ablehnung alles dessen, was unterhalb der Schwelle ästhetischer Wirkung bleibt. Geschmacklos ist derjenige, dessen ästhetisches Urteil sich verirrt und der ästhetische Wirkungen durch falsche Mittel zu erzielen versucht. Das ästhetische Gefühl oder der G. ist historisch wandelbar, und wie einzelne Personen heute Gefallen finden an Dingen, die ihnen vor zehn Jahren reizlos waren, so ist auch der herrschende G. einer ganzen Generation selten übereinstimmend mit demjenigen der vorangegangenen. Es beruht dies darauf, daß sich die ästhetischen Gefühlswerte nach längerer Zeit abstumpfen und solchen andrer, oft geradezu entgegengesetzter Art Platz machen. Doch gibt es Kunstschöpfungen von so hoher Vollendung, daß sie sich auch in Zeiten eines abweichenden Geschmackes behaupten.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.