Tongking

Tongking

Tongking (franz. Tonkin), franz. Kolonie in Hinterindien, ein Teil von Französisch-Indochina (s. d.), begrenzt im N. von den chinesischen Provinzen Kwangsi und Yünnan, im W. von den britischen Schanstaaten und Siam, im S. von Anam, im O. vom Golf von T. (s. Karte »Hinterindien« und »Französisch-Indochina«), 119,200 qkm mit 10, nach andrer Berechnung nur 7 Mill. Einw. Die niedrige Küste ist im nördlichen Teil von Inseln besäumt (Hongai mit Kohlenlagern, Cacba u. a.). Außer dem 14–15,000 qkm umfassenden Delta des Songkoi, einer weiten Ebene, die kaum 4 m ü. M. emporragt, ist das Land ganz von bewaldeten Gebirgen erfüllt, die meist dem Lauf des Roten und Schwarzen Flusses (NW. bis SO.) parallel streichen und im Phusan 2760 m erreichen. Abgesehen von dem zum Teil die Westgrenze bildenden Mekong, dem hier der Namhu und Namkhan zufließen, ist T. das Stromgebiet des Songkoi oder Roten Flusses, der aus Yünnan kommt, den Schwarzen und den Klaren Fluß aufnimmt und, das vielverzweigte, noch durch Kanäle erweiterte Delta bildend, in zahlreichen Armen in den Golf von T. fällt. Der Untergrund besteht vorzugsweise aus gefalteten Schichten: mürben Schiefern, sehr mächtigen harten, marmorartigen devonischen oder karbonen Kalksteinen, triadischen Sandsteinen. Quartäre Bildungen sind nur im untern Lauf und im Delta des Songkoi vorhanden. Nördlich von diesem liegen ausgedehnte Kohlenlager; die von Hongay brachten 1905: 269,000 Ton. Kohlen. Von Mineralien wird außerdem im größern Maßstab nur Salz gewonnen, während der Bergbau auf Edelmetalle, Eisen. Kupfer, Quecksilber etc. noch in den Anfängen steckt. Die Pflanzenwelt ist im SW. verwandt mit der indischen, im NO. mit der chinesischen. In den an Nutzholz reichen Wäldern hausen Elefanten, Tiger, Rhinozeronten, Büffel, Antilopen, Affen, in den sehr fischreichen Gewässern auch kleine Krokodile. Das Klima hat nach den Monsunen zwei Jahreszeiten; Hanoi hat eine mittlere Temperatur von 24,2° (Juli 30,7°, Januar 18,3°), Regenmenge 306 mm. Besonders groß ist die Feuchtigkeit von Mai bis September, dann sind auch Stürme häufig. Die Bevölkerung besteht im Delta und weiter hinauf aus Anamiten, 33,000 Chinesen und (1905) ohne das Militär 3900 Europäern, meist Franzosen, dann Deutschen, Engländern, Italienern. Dazu kommen die Stämme des Hinterlandes: Muong, Tho, Man, Thai, Moï. Die Religion der Anamiten ist Ahnenkultus, die katholische Religion (französische und spanische Missionare seit 1650) hat 400,000 Eingeborne bekehrt. Einheimische Schulen gibt es in jedem Dorf, in neuerer Zeit hat die französische Regierung Schulen (jetzt 38) gegründet; 1902 wurde in Hanoi eine Medizinschule für Eingeborne errichtet. Hauptfrucht des Ackerbaues ist Reis (jährliche Ernte 2,5 Mill. Ton.), dann Mais, Zuckerrohr, Bataten, Yams, Taro, Tee, Baumwolle, Mohn zur Opiumbereitung, in neuerer Zeit versuchsweise auch Kaffee, Kakao und europäisches Getreide; dazu kommen Obst und Gewürze. Dagegen ist die Viehzucht kaum genügend für die Landwirtschaft, bei der vornehmlich der Büffel zur Verwendung kommt. Das Zeburind wird auch als Lasttier benutzt, Schweine und Enten sind zahlreich und werden viel nach Hongkong ausgeführt. Die Seidenraupenzucht liefert jährlich ca. 500,000 kg Rohseide, wovon 200,000 ausgeführt werden. Die Industrie ist nicht von Belang; nennenswert ist die Weberei von beliebten Stoffen aus Rohseide, Baumwollweberei, Zucker-, Papier-, Öl-, Lackfabrikation, Kalkbrennerei, Ziegelei, Erzguß, namentlich von buddhistischen Götzenbildern u. a. Berühmt ist der Buchdruck von Hanoi, dem Sitze tongkinesischer Gelehrsamkeit. Mit Yünnan wird auf dem Songkoi ein bedeutender Handel getrieben. Der Seeverkehr geht zum größten Teil über Haiphong, von den andern acht Freihandelshäfen sind die wichtigsten Hanoi und Laokai. Über alle Häfen betrug 1905 die Einfuhr 87,535,550, die Ausfuhr 34,841,850 Fr., woran Frankreich nur wenig beteiligt ist. Geld und Maße sind wie in Anam, nur daß die siamesischen und namentlich die chinesischen Einheiten eine erweiterte Anwendung daneben finden. Die Schiffahrt auf dem Songkoi wird durch die stetigen Wechsel der Fahrstraße an der Mündung erschwert, und die wachsende Erhöhung des Bettes fordert eine entsprechende Erhöhung der Dammbauten. Die Eisenbahn Haiphong-Laokai (eröffnet im Dezember 1905) wird daher für den Handel mit Yünnan von größter Bedeutung sein. Außerdem bestehen Eisenbahnen von Hanoi nach Langson an der Grenze der chinesischen Provinz Kwangsi und über Nam dinh nach Vinh. Die Post wird mit der von Anam verwaltet; die Telegraphen haben 5000 km Länge. Ein submarines Kabel führt nach Hué und Hongkong. T. zerfällt in 14 Provinzen unter Residenten. In der Hauptstadt Hanoi residiert seit 1902 auch der Generalgouverneur von Französisch-Indochina. Die Finanzlage ist nicht günstig. Nachdem T. dem Mutterland 1883–85 fast 328 Mill. Fr. gekostet hatte, hat jedes Jahr ein bedeutendes Defizit ergeben. Das Lokalbudget betrug 1906: 5,744,993 Dollar. Im französischen Etat für 1907 waren für Anam und T. zusammen 29,608,223 Fr., hauptsächlich für militärische Zwecke, ausgeworfen.

Geschichte. Im J. 1873 besetzte der vom französischen Gouverneur von Kotschinchina abgeschickte Schiffsleutnant Garnier Hanoi, wurde aber 31. Dez. 1873 von den Piraten der Schwarzen Flagge überfallen und getötet. Gemäß dem Vertrag mit dem anamitischen Kaiser Tü-düc (s. d.) räumten die Franzosen 1874 die besetzten Plätze gegen die Zusicherung freien Handels und des Schutzes der Missionen. Als chinesische Piraten den Handel störten und eine friedliche Verständigung zwischen Frankreich und China, das die Oberhoheit über T. beanspruchte, daran scheiterte, daß die französische Regierung 1883 den sogen. Bourréeschen Vertrag nicht genehmigte, schickte Frankreich den Kommandanten Rivière nach T. Auch dieser wurde 19. Mai bei einem Ausfall aus Hanoi von den Schwarzen Flaggen getötet. Da der Vertrag mit Anam 25. Aug. 1883 Frankreich freie Hand gab, ging nunmehr eine größere Streitmacht ab. Courbet erstürmte 16. Dez. Sontai, General Millot nahm 12. März 1884 Bac-Ninh. China verzichtete im Vertrag von Tiëntsin (11. Mai 1884) auf T.; doch wurden die zu eilig vorrückenden Franzosen von den chinesischen Truppen bei Bakle zurückgewiesen, worauf Frankreich mit China Krieg begann (s. China, S. 53). Aus T. wurden die Chinesen vertrieben, brachten den Franzosen aber jenseit der Grenze 28. März 1885 bei Langson eine empfindliche Niederlage bei. Dennoch trat China 4. April 1885 T. ab, worauf die französische Regierung die Schwarzen Flaggen unterdrückte. Vgl. Bouinais, Tonkin-Anam (2. Aufl., Par. 1886); Millot, Le Tonkin (das. 1888); Prinz Heinrich von Orléans, Autour du Tonkin (das. 1896); A. Billet, Deux aus dans le Haut Tonkin (das. 1898); Dubois, Le T. en 1900 (das. 1901); Gautier, Les Français an Tonkin 1787–1883 (das. 1884); Lehautcour, Les expéditions françaises an Tonkin (das. 1888, 2 Bde.); A. Cunningham, The French in Tonkin and South China (Lond. 1902); Kunz, Die Feldzüge der Franzosen in Tongking, 1883–1885 (Berl. 1902); Gaisman, L 'œuvre de la France an T. (Par. 1906); Rouyer, Histoire militaire et politique de l'Annam et du T. depuis 1799 (das. 1906).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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