- Necker
Necker, 1) Jacques, franz. Staatsmann, geb. 30. Sept. 1732 in Genf, wo sein Vater, ein geborner Brandenburger, Professor des Staatsrechts war, gest. 9. April 1804 auf seinem Landgut Coppet, trat 1750 in das Bankgeschäft Vernet zu Paris und gelangte zu so großem Reichtum, daß er bald in Paris ein eignes Bankhaus gründen konnte. 1768 ward er zum Ministerresidenten seiner Vaterstadt bei dem französischen Hof ernannt und Syndikus der Ostindischen Kompanie, in deren Interesse er 1769 sein Werk über das Merkantilsystem schrieb. Sein Haus war der Sammelpunkt einer gewählten, geistreichen Gesellschaft. 1772 zog er sich von dem Bankgeschäft zurück, lenkte aber durch seine von der Akademie gekrönte Lobrede auf Colbert (»Eloge de Colbert«, Par. 1778; deutsch, Dresd. 1786) sowie den »Essai sur la législation et le commerce de grains« (Par. 1775, neue Ausg. 1848; deutsch, Dresd. 1777), worin er gegen die Physiokraten auftrat, die öffentliche Aufmerksamkeit so auf sich, daß ihn Ludwig XVI. im Juli 1776 zum Finanzrat ernannte und im Juni 1777 als Generaldirektor des königlichen Schatzes an die Spitze der Finanzen stellte. Uneigennützig, wohlwollend und gewandt, hatte N. doch nicht die Eigenschaft eines schöpferischen Staatsmannes; seine Eitelkeit hinderte ihn oft an der richtigen Erkenntnis der Dinge. Sein unbegrenzter Kredit in der Geschäftswelt und seine Geschicklichkeit als Börsenmann bewirkten, daß er die Anleihen zu billigen Bedingungen erhielt und 1770–80 über 500 Mill. Frank neue Schulden aufnahm, was Frankreich die Teilnahme am Krieg in Nordamerika nicht wenig erleichterte. Allerdings setzte er auch einige Ersparungen durch, errichtete 1777 eine Diskontobank und ein Leihhaus (mont-de-piété) in Paris, wußte jedoch schließlich kein andres Mittel der Besserung als die Reformen Turgots; und als er endlich in seinem »Compte rendu an roi« (Par. 1781; deutsch, Berl. 1781) den Zustand der Finanzen, namentlich die Verschwendung des Hofes, rücksichtslos aufdeckte und diesen Bericht drucken ließ, erhielt er vom König 19. Mai 1781 plötzlich seine Entlassung. Er begab sich 1784 in die Schweiz, wo er in der Nähe von Genf die Herrschaft Coppet erwarb. Von hier aus schrieb er zur Rechtfertigung seiner öffentlichen Tätigkeit die Schrift »L'administration des finances« (Lausanne 1784; deutsch, Lübeck 1785, 3 Bde.), und als Calonne 1787 die bald wieder eingetretene Zerrüttung der Finanzen Neckers Verwaltung zuschrieb, widerlegte er die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen durch eine treffliche Denkschrift (1787) und geißelte in den »Nouveaux éclaircissements sur le Compte rendu« (1788) die Verwaltung Calonnes schonungslos. Damals verfaßte er auch das beachtungswerte Werk »Sur l'importance des opinions religieuses« (Par. 1788; deutsch von Ströhlin, Stuttg. 1788), worin sowie in dem später erschienenen »Cours de morale religieuse« (Par. 1800, 3 Bde.) er die Religion als die Grundlage der menschlichen Gesellschaft darzustellen suchte. Am 26. Aug. 1788 trat N., von der öffentlichen Meinung als der Retter aus der Notlage bezeichnet, mit dem Titel eines Generaldirektors der Finanzen von neuem in den Staatsdienst ein und steigerte seine Popularität noch dadurch, daß er sich für die Einberufung der Generalstände erklärte. Er eröffnete 5. Mai 1789 die Generalstände mit einer dreistündigen Rede, in der er die wirkliche Lage der Finanzen verhüllte und nur ein Defizit von 56 Mill. Frank angab. Der Hof aber entschloß sich zu einem Staatsstreich, und N. erhielt 11. Juli 1789 seine Entlassung mit der Weisung, insgeheim Frankreich sofort zu verlassen. Das Bekanntwerden dieses Schrittes der Hofpartei führte den Aufstand in Paris (12. und 13. Juli) und die Erstürmung der Bastille (14. Juli) herbei, infolgedessen sich der König genötigt sah, den verabschiedeten Minister zurückzuberufen. Als N. nach Paris zurückkehrte, glich seine Reise einem Triumphzug. Es gelang ihm jedoch nicht, nach dem Vorbild der englischen Verfassung ein Zweikammersystem einzuführen. Unsicher hin und her schwankend, verlor er allen Einfluß. Als sein Plan zu einer Anleihe an der Ungefügigkeit der Deputierten scheiterte und Mirabeau die Krëierung der Assignaten durchsetzte, forderte und erhielt N. im September 1790 seine Entlassung, vom Pöbel verhöhnt und bedroht. Von der Schweiz aus beleuchtete er die Fehler der Konstitution in seinen Schriften: »Sur l'administration de M. N., par lui-mêne« (Par. 1791; deutsch, Hildburgh. 1792) und »Du pouvoir exécutif dans les grands Etats« (Par. 1792; deutsch, Nürnb. 1793, 2 Bde.) mit großer Schärfe. Seine »Reflexions présentées à la nation française« (Par. 1792; deutsch, Passau 1793) zur Verteidigung Ludwigs XVI. hatten für N. die Einziehung seiner Güter zur Folge. Nach dem Sturze des Konvents trat er mit seiner trefflichen Schilderung der französischen Revolution (»De la Révolution française«, Par. 1796, 4 Bde.; deutsch, Zürich 1797, 2 Bde.) hervor. Die Machinationen des Ersten Konsuls veranlaßten N. zur Darlegung der Grundsätze der wahren Republik in der gehaltreichen Schrift »Les dernières vues de politique et de finances« (Par. 1802). Seine Tochter war die berühmte Frau v. Staël-Holstein (s. d.). Seine »Œuvres complètes« erschienen Paris 1821–22, 17 Bde. Vgl. Madame de Stael, Neckers Charakter und Privatleben (deutsch, Rostock 1805); Leser, Le second ministère de N. (Par. 1871); J. Hermann, Zur Geschichte der Familie N. (Berl. 1886); Nourrisson, Trois révolutionnaires: Turgot, N., Bailly (2. Aufl., Par. 1886); Gomel, Les causes financières de la Révolution française; Bd. 1: Les ministères de Turgot et de N. (das. 1892).
Neckers Gemahlin Susanne, geborne Curchod de la Nasse, geb. 1739 zu Crassier im Waadtland, gest. im Mai 1794 in Coppet, Tochter eines unbemittelten protestantischen Geistlichen, lernte als Erzieherin in Paris N. dort kennen und verheiratete sich 1764 mit ihm. Als N. Generaldirektor der Finanzen geworden war, wandte sie ihre Sorgfalt insbesondere dem Gefängnis- und Hospitalwesen zu und gründete 1778 ein Hospital in Paris, das noch heute ihren Namen trägt. Später wandte sie sich der Schriftstellerei zu. Ihr »Mémoire sur l'établissement des hospices« und die Abhandlung »Des inhumations précipitées« (1790) sowie die »Réflexions sur le divorce« (Lausanne 1794, Par. 1881) bekunden die edelsten Grundsätze. Die nach ihrem Tode von ihrem Gatten herausgegebenen »Mélanges extraits des manuscrits de Madame N.« (Par. 1798, 3 Bde.; deutsch, Chemn. 1799–1800, 2 Bde.) und die »Nouveaux mélanges« (Par. 1801, 3 Bde.; deutsch, Gieß. 1804, 2 Bde.) enthalten viele beachtenswerte Aufschlüsse über das geistige und gesellschaftliche Leben in jener stürmischen Zeit. Ihr Leben beschrieb Aug. de Staël-Holstein (Par. 1820; deutsch in den »Zeitgenossen«, Bd. 1, Leipz. 1821). Vgl. Haussonville, Le salon de Madame N. (Par. 1882, 2 Bde.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.