- Brügge
Brügge (franz. Bruges), Hauptstadt der belg. Provinz Westflandern, 13 km von der Nordseeküste bei Blankenberghe entfernt, an der Vereinigung der Kanäle von Gent, Ostende, Sluis, Nieuport, Furnes und Ypern, Knotenpunkt an der Eisenbahn Brüssel-Ostende, einst der Mittelpunkt des Welthandels, jetzt sehr heruntergekommen, hat im Äußern noch ganz mittelalterliches Gepräge. Von Bauwerken sind anzuführen: die Hallen (Fleisch- und Tuchhalle) mit dem 107,5 m hohen Hallenturm (Belfried, gegen Ende des 13. Jahrh. begonnen); das zierliche gotische Stadthaus mit sechs Türmchen (von 1376, neuerlich restauriert); die Liebfrauenkirche mit 122 m hohem Turm, den Grabmälern Karls des Kühnen und seiner Tochter Maria von Burgund, wertvollen Gemälden und einer Gruppe der heiligen Jungfrau mit dem Kinde, die Michelangelo zugeschrieben wird; die im Innern retch ausgestattete frühgotische Kathedrale St.-Sauveur, aus dem 13. und 14. Jahrh., mit Gemälden; die Kapelle zum heiligen Blut, eine kleine, zierliche Kirche aus dem 12. Jahrh. (von den Sansculotten verwüstet, aber 1819–39 restauriert), mit einem modernen Altar von vortrefflicher Bildhauerarbeit; die Jerusalemer Kirche, ein einfacher spätgotischer Bau aus dem 15. Jahrh.; die gotische St. Annenkirche mit Gemälden aus dem 17. und 18. Jahrh.; die Jakobskirche, ein spätgotischer Ziegelbau (15. Jahrh.); ferner das seit dem 12. Jahrh. bestehende St. Johanneshospital mit berühmten Gemälden von Memling und dem Reliquienkasten der heil. Ursula, auf dem das Martyrium der 11,000 Kölner Jungfrauen von Memling dargestellt ist; der große Beghinenhof (aus dem 13. Jahrh.); der Justizpalast, wo einst die Residenz der Grafen von Flandern gestanden, mit berühmtem, in Holz und Marmor geschnitztem Kamin; die Cranenburg am Großen Markt, wo König Maximilian 1488 zwölf Tage lang gefangen gehalten ward, u. a. Von dem Prinzenhof, dem alten Palast der Grafen von Flandern, in dem die Hochzeit Karls des Kühnen mit Margarete von York 1468 gefeiert wurde (jetzt Kloster), ist nur wenig übrig. Von Denkmälern sind das Standbild Jan van Eycks, das Marmorstandbild Memlings auf dem frühern Mittwochsmarkt (von Pickery, seit 1871), das S. Stevins, des Erfinders des Dezimalsystems, und das der Anführer in der Sporenschlacht, Breydel und de Coninck, auf dem Großen Markt (von P. Devigné, seit 1887) zu nennen. Die Bevölkerung betrug 1900: 51,657 Einw.; fast die Hälfte derselben lebt in größter Dürftigkeit, und fast ein Siebentel ist auf die öffentliche Wohltätigkeit angewiesen. Die Industrie der Stadt liefert besonders Spitzen, Leinwand, Baumwollen- und Wollenzeuge, Leder; ferner werden Bierbrauerei, Branntweinbrennerei und Schiffbau umfangreich betrieben, und der Handel mit den Landes- und Gewerbeprodukten ist lebhaft. Obgleich B. nur an Kanälen liegt, so werfen doch Seeschiffe von 200–300 Ton. vor der Stadt Anker; 1901 liefen 103 Schiffe von 30,855 T. ein, 103 von 30,857 T. liefen aus. Die Vieh- und Pferdemärkte sind von Bedeutung. Trotzdem ist Brügges heutiger Handel nur noch ein Schatten gegen den im 13.–15. Jahrh. Mit der Entdeckung der großen Seewege und dem Emporkommen Antwerpens sank die Brügger Handelsmacht. Doch erwartet man, daß der Handel von B. nach Vollendung des in der Anlage begriffenen, auf 42,5 Mill. Frank veranschlagten Seekanals, der B. im Herbst 1903 mit dem zum Vorhafen bestimmten Flecken Heyst an der Nordsee verbinden soll, einen neuen Aufschwung nehmen wird. Vgl. »Les installations maritimes belges« (Brüss. 1900). An wissenschaftlichen, Kunst- und Erziehungsanstalten befinden sich in B. ein königliches Athenäum, Knaben- und Mädchenmittelschulen, Industrieschule, ein bischöfliches Seminar, eine Kunstakademie mit Gemäldesammlung, ein Lehrerinnenseminar, ein Taubstummen- und Blindeninstitut, eine städtische Bibliothek von 15,000 Bänden und 560 Handschriften kind ein botanischer Garten. B. ist Sitz eines Bischofs etc. Fast 6 km nordöstlich liegt das Dorf Damme (s.d.).
Geschichte. B., als municipium Brugense schon im 7. Jahrh. erwähnt, ward nach Errichtung eines Kastells (ca. 865), dank seiner günstigen Lage und unter dem Schutz des mächtigen einheimischen Grafengeschlechts, bald die größte Handelsstadt Flanderns (s.d.), wo es seit dem 12. Jahrh. auch in politischer Hinsicht oft eine ausschlaggebende Rolle durch Unterstützung, bez. Befehdung der Grafen spielte. Aus kommerziellen und sozialen Gründen zumeist auf antifranzösischer Seite kämpfend, vereitelte es besonders 1302 durch die »Brügger Mette« und die Tapferkeit seiner Bürger in der Schlacht bei Courtrai (s.d.) den Versuch Philipps des Schönen, Flandern unter Frankreichs Botmäßigkeit zu bringen. Obwohl der Schauplatz furchtbarer sozialer Kämpfe zwischen den Walkern und Webern sowie durch Aufstände in den von ihm beherrschten Ämtern und durch Kriege mit Gent (s.d.) häufig schwer erschüttert, erfreute sich B. doch vom 13.–15. Jahrh. einer hohen Blüte. Neben Venedig Hauptmarkt des Abendlandes, hatte es den für die flandrische Tuchindustrie wichtigen englischen Wollhandel in Händen, war der Stapelplatz für die Hansa, einer der Brennpunkte für den europäischen Handels- und Geldverkehr, Sitz einer glänzenden Künstlerkolonie und trug einen völlig kosmopolitischen Charakter. Das Aufblühen Antwerpens (s.d.), die zunehmende Versandung des Hafens und das starre Festhalten an einer veralteten Wirtschaftspolitik hatten jedoch seit Anfang des 15. Jahrh. den allmählichen wirtschaftlichen Niedergang Brügges zur Folge. Die Kämpfe mit Maximilian 1. (1488), die Entdeckung Amerikas und die religiösen Wirren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. vernichteten dann vollends den Wohlstand der Stadt, die, seit 1559 Sitz eines Bistums, unter den Kriegen Spaniens und Österreichs mit Frankreich schwer zu leiden hatte, 1794 Hauptstadt des französischen Lysdépartements ward, seit 1815 zum Königreich der Niederlande, seit 1830 zu Belgien gehörte und zurzeit eine der Hochburgen der klerikalen Partei ist. Vgl. Gilliodts van Severen, Inventaire des archives de la ville de Bruges 1228–1497 (Brügge 1871–78, 7 Bde.); Weale, Bruges et ses environs (das. 1884); H. Hymans, B. und Ypern (Leipz. 1901).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.