Adler [1]

Adler [1]

Adler (hierzu Tafel »Adler«), Gruppe aus der Unterfamilie der Bussarde (Buteoninae) und der Familie der Falken (Falconidae), große, gedrungen gebaute Raubvögel mit befiedertem Kopf, hohem, am Grunde geradem, gegen die Spitze gekrümmtem Schnabel, nackter Wachshaut, fast gerundeten Flügeln, mittellangem, kräftigem Lauf, oft mit lockerm Schenkelgefieder (Hosen), und starken Krallen. Das Weibchen ist größer und meist schöner als das Männchen. Die A. fressen in der Regel nur frischen Raub. Sie bewohnen die ganze Erde und finden sich am häufigsten in den wärmern Gegenden und im Wald, einzelne sind Gebirgs-, andre Steppenbewohner, und manche leben an Küsten oder Binnengewässern. Die größern Arten sind bei uns Stand- und Strichvögel, die kleinern wandern. Sie bauen auf hervorspringender Felsplatte, in Baumkronen, im Notfall auf flachem Boden ihren Horst, der auf langen, starken Knüppeln ruht und fest geschichtet ist. In der Nähe dulden sie kein zweites Paar. Das Weibchen legt meist nur 1 oder 2 Eier und zeitigt sie in 4–5 Wochen. Männchen und Weibchen zeigen sich gleich besorgt um die Brut. Die Jungen streichen mehrere Jahre einzeln umher, ehe sie sich an einem bestimmten Ort ansiedeln. In der Gefangenschaft dauern manche Adlerarten außerordentlich lange (104 Jahre).

Der Steinadler (gemeiner, schwarzer, brauner, Rauchfußadler, Goldadler, Aquila chrysaëtus L., Fig. 1), bis 95 cm lang, 2 m und darüber breit (Weibchen), dunkelbraun, am Nacken und Hinterhals rostbraungelb, der Schwanz an der Wurzelhälfte weiß, dann schwarz gebändert oder gefleckt, an der Endhälfte schwarz. Die Färbung wechselt mit dem Alter. Er bewohnt die Hochgebirge und großen Waldungen Europas und Asiens, Nordafrikas und Nordamerikas, horstet im bayrischen Hochgebirge, in Ostpreußen, selten im Riesengebirge, viel häufiger in den schweizerischen und österreichischen Alpen und in Südosteuropa. Auf dem Zug erscheint er vereinzelt in ganz Deutschland. Er lebt und jagt paarweise und wird namentlich dem Kleinvieh sehr gefährlich; auch stößt er bisweilen auf Kinder und greift selbst Erwachsene an. Aas verschmäht er nicht. Verschlungene Haare und Federn speit er als Gewölle wieder aus. Das Weibchen legt 2–3 weißliche oder grünlichgraue, grau und bräunlich gefleckte Eier. In Innerasien richtet man den A. zur Jagd auf Füchse, Wölfe, Antilopen ab. Die Unterschwanzdeckfedern (Adlerflaumen) und die Krallen werden in Tirol und Bayern als Schmuck getragen; die Mongolen benutzen die Schwingen zu Fächern, zur Befiederung der Pfeile und als Opfergabe. Der Königs- oder Kaiseradler (A. melanaëtus L., Fig. 2), 86 cm lang und 2,2 m breit, ist dunkelbraun, mit hellerm Kopf und Nacken, großem weißen Fleck auf den Schultern und grauem, schwarz gebändertem Schwanz. Er bewohnt als Zugvogel Südosteuropa und Asien bis zur Mongolei und lebt in Ebenen, selbst in baumlosen Steppen und in der Nähe von Ortschaften, streicht im Winter bis Indien und Abessinien; sehr selten erscheint er auf dem Zug in Deutschland und Österreich; er jagt hauptsächlich kleineres Wild. Der Horst steht auf Bäumen, in der Steppe auf dem flachen Boden. Die Eier sind weiß, violettgrün, blaß purpurrot oder hellbraun gefleckt. Als Beizvogel leistet er nicht die Dienste wie der Steinadler. Schreiadler (gefleckter A., Rauchfuß-, Gänse- oder Entenadler, A. pomarina Brehm, Fig. 3), 65–70 cm lang und 1,7–1,85 m breit, kaffeebraun, im Nacken und unterseits heller, bewohnt Mittel- und Südeuropa, als Brutvogel Ost- und Mitteldeutschland, weilt bei uns vom April bis September, einzeln auch im Winter, lebt in feuchten Laubwäldern, jagt Frösche, Schlangen, Nager, in der Brutzeit auch Vögel, junge Hafen und frißt Aas. Er nistet auf hohen Bäumen und legt 2 weiße, blaßbläulich gefleckte Eier. Der Steppenadler (A. orientalis Cab., Fig. 4), von der Größe des Kaiseradlers, braun, auf den Flügeln mit breiten rostfarbenen Binden, bewohnt Osteuropa, Mittelasien, besonders die Steppen, geht bis Indien und China, brütet ausnahmsweise auch im östlichen Deutschland. Der Zwergadler (Hieraaetus pennatus Gm., A. pennuta Rchw., Fig. 5), 51 cm lang, 121 cm breit, braun, unterseits hellgelblich und braun gefleckt, mit gelblichweißer Stirn und weißem Schulterfleck, bewohnt Südeuropa, Nordafrika, Südwest- u. Mittelasien, erscheint sehr selten in Deutschland, lebt stets paarweise, jagt hauptsächlich kleine Vögel, nistet in Laubwäldern in der Nähe größerer Flüsse und legt im Mai 2 gelbliche oder hellgrünliche, gelb oder rot gefleckte Eier. Der Keilschwanzadler (A. audax Gray, Fig. 6), 100 cm lang, 230 cm breit, schwärzlichbraun, braun gefleckt, bewohnt Australien, raubt kleinere Känguruhs und Schafe, frißt aber auch Aas. Er horstet auf Bäumen, und das Weibchen legt 2 runde, rauhschalige Eier. Der Habichtsadler (Bonellis Adler, A. fasciata Vieill., Fig. 7), 78 cm lang, 155 cm breit, oberseits braun, unterseits weiß mit schwarzen Schaftstrichen, auf dem Schwanze mit dunkeln Querbinden, bewohnt Südeuropa, Nordwestafrika, Indien, besonders waldlose Gebirge, und nährt sich von kleinen Säugetieren und Vögeln. Er ist der gefürchtetste Feind der Hühner und Tauben. Der Horst steht auf Felsen. Der Schopfadler (Spizaëtos occipitalis Gray, Fig. 8), 50–52 cm lang, 120–130 cm breit, dunkelbraun, mit aufrichtbarem Schopfe, findet sich weitverbreitet in Afrika und ist im Wesen unserm Habicht vergleichbar. Er horstet auf Bäumen und legt 2 fast runde, bleiche, rotbraun gefleckte Eier. Der Kampfadler (S. bellicosus Levaill., Fig. 9), 86 cm lang, oberseits aschgraubraun, unterseits weiß, fast fleckenlos, mit Flügelbinde und gebändertem Schwanz, ist weit verbreitet in Afrika und wohl der gewaltigste Raubvogel des Gebietes. Er nistet auf den höchsten Bäumen und auf Felsvorsprüngen. Die Harpyie (Harpyia destructor L., Fig. 10), 1 m lang, mit sehr kräftigem Körper und großem Kopf, ist an Kopf und Hals grau, unterseits weiß, an Flügeln und Oberbrust schwarz, bewohnt Mexiko, Mittelamerika und Brasilien, lebt einzeln in wasserreichen Wäldern und wird wegen ihrer Räubereien sowie wegen ihres als Schmuck hochgeschätzten Gefieders eifrig verfolgt.

Zur Unterfamilie der Weihen (Milvinae) gehört der Schreiseeadler (Haliaëtus vocifer Gray, Fig. 11), 70 cm lang, braunrot, nur an Kopf, Hals, Oberbrust und Schwanz, Mantel und Schwingen bläulichschwarz, lebt in den Urwäldern Afrikas an großen Strömen, meist paarweise, und erregt durch seine Schönheit und seine laute Stimme allgemeine Bewunderung. Er nährt sich von Fischen und Aas, horstet auf hohen Bäumen oder Felsen und legt 2–3 weiße Eier. Der gemeine Seeadler (Fisch-, Gänseadler, Steingeier, Bein- oder Steinbrecher, Weißschwänziger A., H. albicilla L., Fig. 12), bis 95 cm lang und 2,5 m breit, bräunlichgelb, an Oberrücken und Mantel dunkel erdbraun, mit weißem Schwanz, bewohnt Europa, Nordasien, Ägypten, nistet bei uns im Küstengebiete der Ostsee, erscheint im Winter auch im Binnenland und geht bis Indien und Nordafrika. Außer der Brutzeit lebt er ziemlich gesellig, jagt auf Wasservögel und Fische und frißt auch Aas. Er nistet auf Felsen, Bäumen, Gebüsch, im Röhricht und auf dem Boden und legt 2–3 weiße, oft braun gefleckte Eier. Auf Sizilien wird er gegessen. Der weißköpfige Seeadler (H, leucocephalus L., Fig. 13), 85 cm lang, 211 cm breit, dunkelbraun, an Kopf, Oberhals und Schwanz blendend weiß, mit schwarzen Schwingen, bewohnt Nordamerika, verfliegt sich aber bisweilen nach Europa.

Der Fischadler (Flußadler, Blau-, Weißfuß, Weißbauch, Fischraal, Pandion haliaëtus L., Fig. 14), 56 cm lang, 164 cm breit, ist auf Kopf und Nacken gelblichweiß, schwarzbraun gestreift, sonst braun, am Unterkörper weiß, der Schwanz schwarz und braun gebändert. Er bewohnt Europa, Nord- und Mittelasien, geht im Winter bis Südafrika, Indien, Australien, Neuseeland, weilt bei uns vom April bis Oktober, nährt sich von Fischen, nistet auf hohen Bäumen und legt 3–4 weiße, grau oder rostfarben gefleckte Eier. Er ist für die Teichwirtschaft sehr schädlich und wird deshalb überall eifrig verfolgt, nur in Amerika schützt ihn der Aberglaube.

Symbolische Bedeutung des Adlers.

In der Mythologie bedeutet der A. gewöhnlich die Sonne. Der mächtige mythische A. der Inder, Garuda, ist das Roß des Gottes Wischnu, das Sonnenroß, durch seinen Glanz siegreich über alle Ungeheuer.

Römische Legionsadler.
Römische Legionsadler.

In der skandinavischen und deutschen Mythologie wird die Gestalt des Adlers mit Vorliebe von finstern Dämonen oder doch von Gott (Odin), der in der finstern Nacht oder der windigen Wolke verborgen ist, angenommen. Der Sturmriese Hräswelgr sitzt in Adlergestalt am Ende des Himmels und bläst den Wind über alle Völker. Auf der Weltesche Yggdrasil beobachtet ein A. alles, was geschieht. Als Zeus sich zum Kampfe gegen die Titanen rüstet, bringt ihm der A. seinen Pfeil, weshalb Zeus ihn zu seinem Feldzeichen nahm. Er hält den Donnerkeil des Zeus in seinen Klauen und verkündet den Helden bald den Sieg, bald die höchste Macht. Der griechische A. ist der König der Vögel und gleich Zeus ein Spender von Licht, Fruchtbarkeit und Glück. Folgerecht wird nun der A. auch der Bote des Zeus und verkündet den Willen Gottes. Als Sinnbild der Götter wird der A. auch Sinnbild der Unsterblichkeit und der menschlichen Seele, die sich nach dem Tod emporschwingt. Auf ähnliche Weise wurde der A. Sinnbild der irdischen Macht. Schon bei den Persern war er das Königszeichen. In Europa führte ihn Alexander als königliches Münz- und Wappenzeichen ein, und die Diadochen folgten ihm hierin. Aus dem ptolemäischen Ägypten brachte ihn Oktavian nach Rom als kaiserliches Wappen. Bei der Apotheose der Kaiser versinnlichte ein vom Scheiterhaufen emporsteigender A. die Aufnahme des Abgeschiedenen unter die Götter. Für alle Augurien war der A. von günstiger Vorbedeutung. Auch in der christlichen Symbolik hat er Verwendung gefunden; dem Evangelisten Johannes eignet der A. als Symbol göttlicher Begeisterung. Vgl. Sittl, Der A. und die Weltkugel als Attribute des Zeus (Leipz. 1884). – Als Feldzeichen der Legion (s. d.) wurde der A. mit erhobenen Flügeln durch Marius (104) eingeführt. In der Republik von Silber, aber mit goldenem Blitzbündel in den Krallen, bestand er in der Kaiserzeit ganz aus Gold (Fig. 1–3). Auf dem Marsch ist sein Platz an der Spitze, in der Schlacht hinter der ersten Kohorte, im Lager in einer Kapelle neben dem praetorium, wo er religiöse Verehrung genoß. Sein Verlust bedeutet die Auflösung der Legion.

[Heraldisches.] Da man dem A. im Mittelalter eine Reihe vorzüglicher Eigenschaften: Verjüngungskraft, Freigebigkeit, Mut, nachrühmte, wurde er von Fürsten und Landesherren zum Wappen gewählt, so von den Kaisern, den Herzögen von Bayern, Böhmen, Schlesien und Österreich, den Königen von Polen, den Markgrafen von Brandenburg. Nach Einführung der Wappenbriefe wurde der A. zum verbreitetsten Wappenbild. Der A. der neuern Heraldik hat gewöhnlich einen einzigen, zur Rechten gekehrten Kopf mit ausgeschlagener Zunge, liegt auf dem Rücken mit vorwärts gekehrtem Bauch, ausgebreiteten Flügeln, gespreizten Füßen und Klauen und sogen. krausem Schwanz. Der in manchen Wappen erscheinende gestümmelte A. (bei den Franzosen alérion) ist der untern Teile der Beine und des Schnabels beraubt.

Der deutsche Reichsadler war ursprünglich einköpfig und soll von Karl d. Gr. nach seiner Krönung in Rom zum Symbol seines Reiches erhoben worden sein; nachweisen läßt er sich auf der Reichsfahne zuerst unter Otto II. Der Doppeladler, mit dem einen Kopf und Hals rechts, mit dem andern links gewendet, findet sich zuerst 1325 auf einer unter Ludwig dem Bayern geschlagenen Reichsmünze. Doch führte der Kaiser nur einen einfachen A., schwarz in Gold; auch das Siegel der Goldenen Bulle von 1356 trägt einen einfachen A. Erst unter Siegmund, von 1433 an, wurde der Doppeladler beständiges Wappenzeichen der deutschen Kaiser, während der römische König den einfachen A. führte. Vgl. Römer-Büchner, Der deutsche A. nach Siegeln geschichtlich erläutert (Frankf. 1858); Hohenlohe-Waldenburg, Zur Geschichte des heraldischen Doppeladlers (Stuttg. 1871); E. Gritzner, Symbole und Wappen des alten Deutschen Reiches (Leipz. 1902). Nach Auflösung des heiligen römischen Reiches 1806 nahm der Kaiser von Österreich den Doppeladler für seine Monarchie in Anspruch (s. Tafel »Österreichisch-ungarische Länderwappen«). Rußland entlehnte 1472 unter Iwan Wasiljewitsch den Doppeladler vom byzantinischen Kaisertum, das ihn seit der Teilung des römischen Reiches führte. Der A. des jetzigen Deutschen Reiches ist einköpfig, rechtssehend, Schnabel, Zunge und Klauen rot, ohne Zepter und Reichsapfel, auf der Brust der preußische Wappenschild mit dem Stammwappen der Hohenzollern; um den Schild schlingt sich die Kette des Schwarzen Adlerordens. Über dem Kopfe des Reichsadlers schwebt die deutsche Kaiserkrone mit fliegenden Bändern. Der Kaiser führt den Reichsadler in seinem Wappen in goldenem Schilde (s. Tafel »Deutscher Reichsadler etc.« bei Artikel »Deutschland«, mit Textblatt).

Adler in deutschen Städtewappen.
Adler in deutschen Städtewappen.

Ursprünglich Reichsadler ist der preußische A., der den Deutschen Rittern von Kaiser Friedrich II. verliehen wurde und ihnen verblieb, als Siegmund den Doppeladler für das Reich einführte. Er erscheint rechtssehend, Schnabel, Fänge und Krone golden, Zunge rot, mit goldenen Kleestengeln auf den Flügeln und goldenem Namenszug R auf der Brust (s. Tafel »Preußische Provinzwappen«, Fig. 3). Auch Brandenburg, Posen, Schlesien, Ostfriesland und viele deutsche Städte, besonders die, in denen die deutschen Kaiser des alten Reiches residierten oder gekrönt wurden, z. B. Aachen, Frankfurt a. M. (Fig. 4 u. 5), Goslar, führen den A. im Wappen; andre, darunter Friedberg, Lübeck (Fig. 6), den Doppeladler. Sonst führen den A. noch das Königreich Polen (einen weißen gekrönten A. in rotem Felde), die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Mexiko u.a. (s. die Tafeln »Wappen I-IV«). In Frankreich wurde der A. durch Napoleon I. zum Symbol des Kaiserreichs erhoben, nach seinem Sturz beseitigt, von Napoleon III. wieder hergestellt und 1870 abermals entfernt. Dieser Napoleonische A. hatte natürliche Gestalt, mit Blitzen in den Fängen und zum Aufschwung bereit. Der A. ist auch das Zeichen der Fahnen und Standarten der preußischen, österreichischen und russischen Heere und mehrerer Ritterorden (s. Adlerorden). – Über Bedeutung des Wortes A. vgl. Aar.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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