Spanĭen

Spanĭen

Spanĭen (hierzu die Karte »Spanien und Portugal«), Königreich in Südwesteuropa, nimmt dea größten Teil der Pyrenäischen Halbinsel ein und erstreckt sich zwischen 36°-43°47' nördl. Br. und 9°18' westl. bis 3°20' östl. L.

Tabelle

S. (span. España, franz. Espagne, lat. Hispania) grenzt im N. an das Atlantische Meer (Kantabrisches Meer und Vizcayischer Meerbusen), Frankreich und die Republik Andorra. im O. und SO. an das Mittelländische Meer, im Süden an die Meerenge und das Gebiet von Gibraltar und das Atlantische Meer, im W. an Portugal und das Atlantische Meer. Der nördlichste Punkt Spaniens ist die Estaca de Vares, der westlichste das Kap Toriñana, beide in Galicien, der südlichste die Punta Marroqui bei Tarifa, der östlichste das Kap de Creus. Die größte Ausdehnung von N. nach Süden beträgt 856 und von O. nach W. 1020 km. Die Grenzentwickelung beläuft sich auf 3340 km. Die Nordküste verläuft fast geradlinig, bildet nur zwischen Gijon und Aviles sowie zwischen Rivadeo und La Coruña bedeutendere Vorsprünge gegen N. und ist schroff und unzugänglich. Zugänglich ist sie nur an den Mündungen der Flüsse, die tief in das Land einschneidende Buchten (Rias), namentlich an der Küste von Galicien, bilden. Auch die Westküste Spaniens trägt im ganzen diesen Charakter; doch ist sie durch die tiefer eindringenden Rias noch zugänglicher. Die Süd- und Ostküste umfaßt dagegen eine Anzahl weiter, flacher Meerbusen, getrennt durch Landvorsprünge, die in felsige Vorgebirge endigen, ist daher mehr gegliedert und durch sichere Häfen zugänglich. Die wichtigsten Buchten der Südküste sind die Golfe von Cadiz, Malaga und Almeria, an der Ostküste die Bai von Alicante und der Golf von Valencia.

Bodengestaltung

Die Pyrenäische Halbinsel besteht zum großen Teil aus einem zentralen Hochplateau von trapezoidaler Gestalt, das ein Areal von etwa 230,000 qkm bedeckt, ganz zu S. gehört und ringsum von Gebirgen umgeben ist. Dieses zentrale Tafelland wird durch einen von ONO. nach WSW. sich erstreckenden Gebirgszug (Kastilisches Scheidegebirge) in einen höhern nördlichen und einen etwas niedrigern südlichen Teil geschieden. Ersterer umfaßt die Hochebenen von Leon und Altkastilien (mittlere Höhe 830 m), letzterer die von Neukastilien und Estremadura (mittlere Höhe 800 m). Beide Plateaus senken sich von O. nach W., so daß die Hauptflüsse westlichen Lauf haben, im nördlichen Plateau der Duero, im südlichen der Tajo und Guadiana. Der steil zum Meer abfallende Nordabhang wird von dem schmalen Kantabrischen Gebirge, der westlichen Fortsetzung der Pyrenäen, gebildet. Der breitere östliche oder iberische Abhang senkt sich in terrassenartigen Absätzen zur Tiefebene von Aragonien und zum Golf von Valencia herab. Der südliche oder bätische Abhang, mit weniger deutlich ausgeprägter Terrassenbildung, tritt bloß gegen O. bis an die Küste des Mittelmeers heran und fällt im übrigen in die Tiefebene Niederandalusiens und zum Atlantischen Meer ab. Der breiteste, westliche Abhang gehört größtenteils Portugal an. Im ganzen lassen sich sechs voneinander unabhängige Gebirgssysteme unterscheiden, nämlich: das Pyrenäische System (s. Pyrenäen und Kantabrisches Gebirge), das Iberische Gebirgssystem (s. d.) oder das östliche Randgebirge des Tafellandes, das zentrale System oder das Kastilische Scheidegebirge (s. d.), das Estremadurische Hochland (s. d.) oder das Scheidegebirge zwischen Tajo und Guadiana, das Marianische Gebirgssystem (s. d.) oder das südliche Randgebirge des Tafellandes und das Bätische Gebirgssystem (s. d.) oder die Bergterrasse von Granada mit der Sierra Nevada (s. d. 1), der höchsten Erhebung der Halbinsel. Zwischen dem Iberischen und Pyrenäischen Gebirgssystem breitet sich das ausgedehnte Ebrobassin oder das iberische Tiefland aus. Dasselbe, ca. 24,000 qkm groß, erstreckt sich von NW. nach SO. und zerfällt in zwei Abteilungen; das kleinere obere Bassin ist ein Plateau von 300–400 m Höhe, das größere untere, sich in seiner letzten Hälfte bedeutend erweiternde ein Tiefland, dessen tiefste Punkte (Salzseen von Bajaraloz) ca. 100 m ü. M. liegen. Beide Bassins enthalten neben höchst fruchtbaren Strecken auch weite öde Steppengebiete. Zwischen dem Bätischen und Marianischen Gebirgssystem breitet sich das bätische Tiefland oder das Bassin des Guadalquivir, 14,200 qkm groß, von ONO. nach WSW. aus und zerfällt in zwei Hauptabteilungen. Das kleine Becken des obern Guadalquivir ist ein von 475–160 m ü. M. herabsinkendes Plateau, während das fünfmal so große Bassin des mittlern und untern Guadalquivir als ein durch den Jenil in zwei ungleiche Stücke geteiltes Flachland erscheint. Das östliche kleinere, die Campiña de Cordoba, bildet eine bis über 130 m ansteigende Fläche, das westliche größere, die Ebene von Sevilla, ein nicht über 80 m sich erhebendes Tiefland.

Geologische Beschaffenheit. Gewässer.

Kristallinische Schiefer und ältere Sedimentgesteine mit plutonischen Massengesteinen und Serpentinen sind namentlich in Galicien, in der Meseta und im südöstlichen Teil der Bätischen Kordillere, aber auch in den Pyrenäen (s. d.) und längs der Küste von Katalonien entwickelt. Paläozoische Sedimente, vom Kambrium aufwärts bis zum Karbon, finden sich an der Grenze von Galicien und Asturien und im Kantabrischen Gebirge sowie in zahlreichen südöstlich streichenden Faltenzügen in der südwestlichen Meseta bis zu dem großen ostnordöstlich streichenden Bruch des Guadalquivir. Die Steinkohlenformation ist in Leon und Asturien als Kohlenkalk, in der Sierra Morena als Kulm entwickelt und führt hier sowie bei Sevilla auch Kohlenflöze. Die jüngsten Karbonschichten liegen in der Meseta und in Asturien diskordant auf den erst kurz vor ihrer Bildung gefalteten ältern Ablagerungen, ebenso auch die Sedimente der Trias, des Jura und der Kreide. Letztere Formation bildet, zum Teil begleitet von Nummulitenkalk, namentlich auch den größten Teil der Pyrenäen und der Kantabrischen Kette. Tertiär (mehrorts Steinsalz führend) und diluviale Ablagerungen bedecken den bei weitem größten Teil der beiden Zentralplateaus und sind auch in den Becken des Ebro, des Guadalquivir, des mittlern Guadiana und des mittlern Tajo verbreitet. Von Eruptivgesteinen findet sich Porphyr (in der Sierra Morena und bei Almaden), Porphyrit (in der Sierra Guadarrama), Diabas und Melaphyr (nördlich von Sevilla und am Südrande der Pyrenäen zwischen Barcelona und Bilbao), Liparit, Trachyt, Andesit und Basalt zwischen Cabo de Gata und Cabo de Palos im östlichen Teil der Sierra Morena und auf den wesentlich aus Tertiär, Kreide, Jura und Trias aufgebauten Balearen. Von nutzbaren Mineralien enthält S. außer Steinkohle (s. oben) noch: Eisensteine (Vizcaya und Asturien), Blei-, Silber- und Zinkerze (Provinzen Santander und Almeria), Silbererze (Granada), kupferreiche Schwefelkiese (mit 2–20 Proz. Kupfer, bei Rio Tinto, Tharsis u. a. O. der Provinz Huelva), Braunsteine (Huelva), Zinnober (Almaden), Phosphorite (Estremadura) und Steinsalz (Cardona etc.); s. unten: Bergbau u. Hüttenwesen (S. 654). Vgl. Tennen. Calderon, Die Mineralfundstätten der Iberischen Halbinsel (Berl. 1902); Hyvert, Carte des richesses minérales de l'Espagne (das. 1901).

In hydrographischer Hinsicht zerfällt das Land in das Gebiet des Atlantischen Ozeans und das des Mittelmeers. welch letzterm sein östliches Dritteil angehört. Die Wasserscheide zwischen beiden Gebieten wird hauptsächlich durch Plateaus und nicht durch hohe Gebirgsketten gebildet. Der westlichen Abdachung zum Atlantischen Ozean gehören von den fünf Hauptströmen des Landes an: der Duero, Tajo, Guadiana und Guadalquivir, der östlichen zum Mittelmeer der Ebro (s. diese Artikel). Die Flüsse der Nordküste sind trotz ihrer unbedeutenden Länge in ihrem untersten Lauf schiffbar. Die beträchtlichsten sind: Bidassoa, Deva, Nervion, Besaya, Nalon und Rivadeo. Die Flüsse der Westküste sind zwar länger, doch meist gar nicht schiffbar; die bedeutendern sind: der Tambre, Ulla und besonders der Miño. Von den Flüssen der Südküste ist nur der Guadalete im untersten Lauf schiffbar. Andre sind der Odiel, Rio Tinto, Guadalhorce, Guadalfeo, Rio de Almeria und Almanzora. Die Ostküste hat nur zwei schiffbare Küstenflüsse, den Segura und Llobregat. Nächstdem sind zu nennen: der Jucar, Guadalaviar (Turia) und Ter. Größere Seen gibt es nur an der Süd- u. Südostküste, nämlich die Strandseen Albufera und Mar Menor und die Laguna de la Janda in der Nähe der Meerenge von Gibraltar. Kleinere salzhaltige Seen gibt es in den Provinzen Saragossa und Granada. Sehr zahlreich sind die Mineralquellen; von 1500, die S. besitzt, sind aber erst etwa 425 untersucht. Die heißeste ist die Fuente de Leon zu Caldas de Mombuy in Katalonien (67°).

Klima.

Spaniens Klima läßt infolge der sehr wechselnden Oberflächengestaltung vier Zonen unterscheiden: Das Binnenland ist schroff kontinental mit starken Temperaturgegensätzen und großer Trockenheit im Sommer. Nach langem Winter mit anhaltendem Frost und reichlichem Schnee folgt nach kurzem Frühling der alle Vegetation tötende Glutsommer (oft mehr als 40°) mit der Calina; Ende September beginnt ein angenehmer Herbst, den Mitte November der Winter vertreibt. Die mittlern jährlichen Temperaturextreme sind in Valladolid 38° und -11°, Madrid 40° und -7°, Ciudad Real 42° und -7°; die tägliche Schwankung beträgt in Madrid im Hochsommer 17°, im Hochwinter 9°. Die Hauptregenzeit ist der Frühling und Herbst; durchschnittlich fallen 37 cm (Salamanca 29, Burgos 56, Valladolid 31, Madrid 42, Ciudad Real 47 cm). Schneetage hat Burgos jährlich 14, Madrid 4, heitere Tage 100; die Gewitter sind am häufigsten im Mai und Juni (jährlich 25 Gewittertage). Das Klima der Nord- und Nordwestküste ist durchaus ozeanisch mit mäßig warmem Sommer, mildem Winter, starker Bewölkung und reichlichem Regen, häufigen Stürmen aus N. und NW., selten Frost und Schnee. Die mittlern Jahresextreme sind in Santiago 36° und -2°, in Oviedo 33° und -4°; die Regenmenge beträgt in Santiago 165, in Oviedo 94 cm. Die Südküste nähert sich klimatisch Nordafrika und hat in den niedrigern Lagen heiße, trockene Sommer sowie warme, feuchte Winter, während die Gebirge sich dem Binnenlande anschließen. Die heißeste Gegend ist die Küste von Gibraltar (Affen) bis Alicante (Zuckerrohr, Palmen von Elche) und das Tal des Guadalquivir (Cordoba wird deshalb die Bratpfanne genannt); in Malaga ist das Temperaturmittel des Januars 12,7°, des Julis 26,8°, das mittlere Minimum 2° und Maximum 40° (Murcia -3° und 41°). In der kalten Jahreshälfte fallen 75 Proz. der Niederschläge, die in Malaga 59, Almeria 26, Murcia 38, Yecla 34 cm jährlich betragen. Tage mit Regen hat Sevilla 56, mit Schnee 0,2 im Durchschnitt. Lokalwinde sind hier der Fallwind Terral und der Leveche, der Schirokko Spaniens. Die Ostküste gehört dem Klima der Mittelmeerländer an. Die mittlern Jahresextreme schwanken etwa zwischen 45° und -7° (Valencia. 43° und -7°); in Barcelona beträgt das Mittel des Januars 9°, des Julis 26° (Saragossa 5° und 26°). An Niederschlägen fallen in Valencia 40, Barcelona 57, Saragossa 33, Huesca 56 cm und zwar in Valencia an 46, Barcelona 68 und Saragossa 64 Tagen, wobei durchschnittlich höchstens 1 Schneetag ist. Nördlich vom Ebro tritt bisweilen der Mistral auf.

Pflanzen- und Tierwelt.

Floristisch lassen sich in S. eine nördliche, mittlere und südliche Zone sowie die isolierte Balearenprovinz unterscheiden. Die Pyrenäen gehören nebst den nördlichen Bergzügen Galiciens floristisch zu Mitteleuropa, selbst die Flora Kataloniens stimmt trotz der von den Pyrenäen gebildeten Scheidelinie im ganzen noch mit der südfranzösischen von Languedoc überein. Das weite Tafelland, das den größten Teil der Iberischen Halbinsel umfaßt, entwickelt Vegetationsbedingungen, die denen des Steppengebietes ähnlich sind. Von den spanischen Hauptsteppenzentren liegen zwei auf der Hochebene in Kastilien und Granada, drei im Tieflande von Aragonien, Murcia und Niederandalusien, ihre Vegetation besteht vorwiegend aus Salzpflanzen und harten Gräsern (Esparlo); von den 165 Halophyten dieser Formation sind charakteristisch besonders Arten von Artemisia, Cistus, Gypsophila, Ononis, Sideritis, Salsola, Statice u. a., die sämtlich in einzelnen, polsterförmigen Büscheln wachsen und auf dem weißen Gipsboden als schwärzliche Flecke erscheinen. Die aus dem Tafellande sich erhebenden, zentralen Gebirge erreichen in der Sierra de Guadarrama und der Sierra de Gredos zwar alpine Höhe, stehen jedoch an Reichtum ihrer Flora entschieden gegen die südspanische Gebirgszone Granadas und der Sierra Nevada zurück. Der vertikalen Gliederung nach folgt in letzterm Gebiet auf die von der Zwergpalme (Chamaerops humilis) bewohnte, unterste Region (bis 640 m) zunächst ein Gürtel mit lichten Nadelhölzern (Pinus Pinaster und halepensis), immergrünen Eichen, Strauchformationen von Cistrosen und Ginsterarten sowie ausgedehnten, an würzigen Stauden, wie Thymus, Teucrium, Santolina u. a., reichen Mattenformationen (»tomillares«), die bis 1600 m aufsteigen; diese letztern geben für die Schafzucht Spaniens vortreffliche Weidegründe auch während des Winters. Über diesem Gürtel von Macchien (s. Mittelmeerflora) folgt die vorzugsweise aus Kiefern (Pinus silvestris), Taxus, Eschen u. a. gebildete Waldregion (bis 2000 m), in der die Buche fehlt; sie kommt nur in Galicien und Aragonien, allerdings auch dort nur auf einen schmalen Höhengürtel von 320 m Breite eingeschränkt, vor. Über der Baumgrenze folgt die alpine Region mit Alpensträuchern, wie dem Piorno (Genista aspalathoides) und andern Ginsterarten, Zwergwacholder (Juniperus nana und Sabina) u. a.; die Alpenmatten (»borreguiles«) bestehen vorzugsweise aus Agrostis nevadensis, Nardus stricta u. a. Die alpine Flora der Sierra Nevada ist zwar an endemischen Formen ziemlich reich, aber arm an Arten, die zugleich auch in den Pyrenäen und in den Alpen verbreitet sind. Auf den Balearen wird der Wald vorzugsweise aus immergrünen Eichen und Pinus halepensis, die Macchien aus Myrten, Pistazien, Phillyrea, Olea, Cistus-Arten und Zwergpalmen (bis 600 m) gebildet; darüber folgt noch eine zweite Gesträuchformation mit Buxus balearica, Smilax aspera u. a. Die Kulturpflanzen sind in S. die überall in Südeuropa angebauten; an den Küsten ist die Dattelpalme vielfach angepflanzt, die ihre Nordgrenze in Asturien erreicht; auf die wärmsten Striche Andalusiens beschränkt sich der Anbau von Reis, Zuckerrohr, Pisang und Batate. Vgl. Willkomm, Grundzüge der Pflanzenverbreitung auf der iberischen Halbinsel (Bd. 1 des Sammelwerks »Die Vegetation der Erde«, Leipz. 1896).

Die Tierwelt der spanischen Halbinsel, die ihrer Lage nach der mittelländischen Subregion der paläarktischen Region angehört, bildet ein interessantes Gemisch europäischer und afrikanischer Tierformen. In den Pyrenäen hausen der Bär, der Wolf und die Wildkatze, hier findet sich noch die Gemse und im spanischen Teil der Steinbock (im französischen Teil der Pyrenäen fehlend). ebenso das Murmeltier und der Siebenschläfer; mehrfach kommen wilde Ziegen (Capra aegarus) vor. Für das Hermel in sind die Pyrenäen die Südgrenze seiner europäischen Verbreitung, und am Fuße derselben findet sich als ganz lokalisiertes Vorkommnis die Bisamspitzmaus Der zweite große Gebirgszug Spaniens, die Sierra Nevada, besitzt (mit der Sierra de Gredos) eine eigne Steinbockart. Unter den Säugetieren im mittlern und nördlichen S. finden sich eine Reihe afrikanischer Tierformen, so der Pardelluchs, Lynx pardina, die Genette oder Ginsterkatze. Viverra genetta. Für S. charakteristisch ist der in den Flußniederungen von Andalusien und Estremadura lebende spanische Ichneumon (Melon oder Meloncillo), ein zur Gattung Herpestes (Manguste) gehöriges Raubtier; auch ein eigner Hase ist S. eigentümlich. Im Süden Spaniens lebt das akklimatisierte einhöckerige Kamel und, als eine besondere Seltenheit, auf den Felsen von Gibraltar in wenigen Exemplaren der einzige in Europa wild lebende Affe, der Magot, Innus ecaudatus. Auch die Vogelfauna Spaniens zeigt ein Hervortreten afrikanischer Typen im Süden; neben dem Lämmergeier finden sich der weiße Geier, der Aasgeier u. a.; ebenso sind unter den andern Familien afrikanische Arten vertreten, z. B. afrikanische Steppenhühner; der Flamingo ist in S. Brutvogel; weit verbreitet wie in andern Teilen Südeuropas ist das Rothuhn (Caccabis rufa); desgleichen findet sich die Zwergtrappe. Im ganzen werden für S. ca. 400 Vögel angegeben. Reptilien und Amphibien sind zahlreich vertreten. Von erstern werden über 20 Gattungen mit 31 Arten gezählt, von denen die Mehrzahl für das mittelländische Faunengebiet charakteristisch ist; die Schildkröten allein sind mit 4 Gattungen und 11 Arten vertreten. Eine sonst in Europa nicht vorkommende Ringelechse ist die auch in Nordafrika verbreitete Amphisbaena cinerea. Andalusien ist der einzige beglaubigte Fundort in Europa für das in Afrika heimische Chamäleon. An Amphibien ist die Pyrenäische Halbinsel mit 10 Gattungen und 17 Arten das zweitreichste Faunengebiet Europas; nur hier findet sich der Rippenmolch (Pleurodeles Waltlii); von deutschen Arten fehlen S. die Knoblauchkröte und der schwarze Salamander. Die Fischfauna des süßen Wassers scheint im ganzen mit der mitteleuropäischen übereinzustimmen; außerordentlich reich an Fischen (Thunfische, Sardinen, Sardellen) sind die Küsten Spaniens. In der Molluskenfauna ist für den Norden Spaniens charakteristisch das völlige Zurücktreten der Clausilien, die durch große Pupa-Arten ersetzt werden, und ebenso die Häufigkeit von Helix-Formen mit gezahnter Mündung. Im Süden Spaniens treten die Weinbergschnecken zurück, statt dessen finden sich als Charakterformen große Makularien; ferner finden sich im ganzen Umfang des Mittelmeers die beiden einzigen Vertreter der Gattungen Glandina und Stenogyra; zahlreiche Mollusken sind Südspanien und Nordafrika gemeinsam. Unter den Gliedertieren weisen die zahlreichen Skorpione auf den südlichen Charakter der Fauna hin. Heuschrecken, zum Teil nordafrikanische Formen, treten in verheerenden Zügen auf.

Areal und Bevölkerung.

Das Areal von S. mit Einschluß der Balearen und der Kanarischen Inseln sowie der nordafrikanischen Besitzungen beträgt 504,567 qkm (9163,4 QM.) Die Bevölkerung bezifferte sich nach dem letzten Zensus vom 31. Dez. 1900 auf 18,617,956 Einw., deren Verteilung auf die einzelnen Provinzen aus nachstehender Tabelle ersichtlich ist.

Tabelle

Die überseeischen Besitzungen Spaniens, die im 16. Jahrh. einen solchen Umfang hatten, daß Karl V. sagen durfte: »Die Sonne geht in meinem Staat nicht unter«, sind nach dem um Cuba entbrannten spanisch-amerikanischen Krieg und dem ihn beendigenden Pariser Frieden von 1898 auf die Besitzungen an der Guineaküste zusammengeschrumpft (s. Karte »Kolonien I«) und umfassen zurzeit

Tabelle

Über die Geschichte der spanischen Kolonien s. unten (S. 673).

Die Vermehrung der spanischen Bevölkerung ist sehr schwach und durch die vielen Kriege der letzten Jahrhunderte, die erschreckende Kindersterblichkeit und die beträchtliche Auswanderung (1905: 126,067 Personen) bedingt; sie belief sich gegenüber der Volkszählung von 1887 mit 17,565,632 Einw. auf jährlich 0,46, in dem Zeitraum zwischen 1857 mit 15,464,340 Einw. und 1887 auf jährlich 0,45 und in den 113 Jahren seit der ersten Volkszählung (1787: 10,409,877 Einw.) auf jährlich 0,67 Proz. Ihre Dichtigkeit beziffert sich in ganz S. mit 37 Einw. auf 1 qkm und nimmt vom Zentrum gegen die Peripherie hin zu. Die schwächste relative Bevölkerung weisen die Provinzen Soria und Cuenca auf (14 und 15 Einw. auf 1 qkm), am dichtesten bevölkert (über 100 Einw. auf 1 qkm) sind Vizcaya, Barcelona, Pontevedra und Guipuzcoa. Die Bevölkerung verteilt sich auf 516 Gerichtsbezirke (Partidos judiciales) und 9266 Gemeinden (Ayuntamientos) mit 44,431 Ortschaften, darunter 259 Städte mit dem Titel Ciudad. Die übrigen 4682 Städte sind Villas, die sonstigen Ortschaften Dörfer (Lugares und Aldeas) und Weiler (Caserios). 5 Städte haben mehr als 100,000 Einw. (Barcelona, Madrid, Valencia, Sevilla und Malaga). Nach dem Geschlecht entfallen auf je 1000 männliche Personen 1049 weibliche. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit waren von der 1900 anwesenden Bevölkerung 18,558,072 geborne und 4631 naturalisierte Spanier, dann 55,383 Ausländer, darunter 20,560 Franzosen, 11,592 Portugiesen, 7759 Engländer, 5058 Italiener, 2949 Deutsche etc.

Die spanische Nation ist ein Gemisch verschiedener Völkerschaften. Zu den alten Iberern, mit denen sich in ältester Zeit die Kelten zu einem Volke, den Keltiberern, verbanden, gesellten sich frühzeitig Phöniker und Karthager, hierauf Römer, seit der Völkerwanderung Goten, Wandalen und Sueven; später mischten sich Juden und Araber bei (s. den Artikel »Spanische Sprache«). Die im allgemeinen körperlich wohlgebildeten Spanier sind von mittlerer Statur mit schwarzem Haar. Die glutäugigen und anmutigen Frauen entwickeln sich sehr frühzeitig, altern aber bald. Der Spanier ist mutig, voll Nationalstolz, aber rachsüchtig, nicht selten bigott und träge. Bei Männern ist vielfach noch der den ganzen Körper umhüllende Mantel (Capa) und bei Frauen bei festlichen Gelegenheiten das Haar und Brust bedeckende Spitzentuch (Mantilla) beliebt. In der nach den Provinzen wechselnden Männertracht herrscht die schwarze Farbe vor (s. Tafel »Volkstrachten II«, Fig. 13–16). Hauptvergnügungen sind das Stiergefecht, der Tanz und das Kartenspiel. Was die Konfession betrifft, so waren unter der 1877 erhobenen Bevölkerung: 16,603,959 Katholiken, 6654 Protestanten, 4021 Israeliten, 271 Mohammedaner, 209 Buddhisten etc. Nach der Staatsverfassung gilt die römisch-katholische als Staatsreligion. Die Ausübung andrer Kulte ist, sofern die christliche Moral beachtet wird, geduldet. Für die Leitung der geistlichen Angelegenheiten der katholischen Kirche gibt es in S. 9 Erzbischöfe (in Toledo [Primas], Burgos, Granada, Compostela [Santiago], Saragossa, Sevilla, Tarragona, Valencia, Valladolid) und 47 Suffraganbischöfe. Der Bischof des königlichen Hauses, mit dem Titel Bischof von Sion, ist zugleich Generalvikar des Heeres und der Flotte. Eine genaue Statistik des Klerus fehlt. 1906 besoldete der Staat 26,772 Weltgeistliche. Versuche, die Klöster und ihre Insassen zu zählen, sind bisher gescheitert; jedoch wird die Zahl der Mönche auf 10,630, die der Nonnen auf 15,944 angegeben. Protestantische Gemeinden gab es 1906: 196.

Bildungsanstalten.

In der geistigen Kultur steht das begabte spanische Volk infolge des jahrhundertelangen Geistesdruckes und der geringen staatlichen Fürsorge für das Bildungswesen noch auf einer tiefen Stufe. 1900 waren von der Gesamtbevölkerung 33,45 (1887: 28,19) Proz. des Lesens und Schreibens kundig; 2,66 Proz. (gegen 3,13) konnten nur lesen und 63,78 (gegen 68,01) Proz. weder lesen noch schreiben. Für den Elementarunterricht, der obligatorisch ist, bestanden 1904: 25,348 öffentliche Volksschulen mit 2,205,327 Schülern, daneben mehr als 5000 private Schulen. Zur Heranbildung von Lehrern dienen 21, für Lehrerinnen 37 Anstalten. Zu den Sekundärschulen gehören die seit 1845 an die Stelle der frühern Lateinschulen getretenen »Institute« (institutos de segunda enseñanza), in denen in einem sechsjährigen Kursus die humanistischen und Realstudien betrieben werden. Solcher Institute gibt es 58 mit ca. 40,000 Schülern. Neben ihnen bestehen die Colegios (1902: 323, davon 83 unter geistlicher Leitung), Privatvorbereitungsschulen zu den Universitäts- und Spezialstudien. Universitäten hat S. 10: in Madrid, Barcelona, Granada (jede mit 5 Fakultäten, für Philosophie und Literatur, exakte Wissenschaften, Pharmazie, Medizin, Rechte), in Salamanca, Sevilla, Valencia (jede mit 4 F. kul täten, die obigen ohne Pharmazie), Santiago und Saragossa (je 3 Fakultäten, erstere für Medizin, Pharmazie und Rechte, letztere für Philosophie, Medizin und Rechte), Valladolid (2 Fakultäten, für Medizin und Rechte), Oviedo (eine Fakultät, für Rechte). Die medizinische Fakultät der Universität Sevilla befindet sich in Cadiz. Alle Universitäten zählen zusammen 515 Professoren und gegen 20,000 Studierende. Mit sieben Universitäten ist je eine Notariatsschule verbunden. Höhere technische Lehranstalten sind: eine Architektur- und eine Ingenieurschule in Madrid. Zu den Fachschulen gehören: die bischöflichen theologischen Seminare, die 9 nautischen Schulen, die 4 landwirtschaftlichen Schulen, die Forstingenieurschule im Escorial, die 5 Tierarzneischulen, die Bergwerksingenieurschule in Madrid, die Steigerschule in Almaden, die 28 Gewerbeschulen, die 9 Kunstschulen, die 10 Handelsschulen, die Blinden- und Taubstummenanstalt und die Nationalschule für Musik und Deklamation in Madrid, die Akademien für den Generalstab in Madrid, für die Artillerie in Segovia, für das Ingenieurkorps in Guadalajara, für die Kavallerie in Valladolid, für die Infanterie in Toledo, für die Militärverwaltung in Avila, die Marineakademie in Ferrol. Zu den Beförderungsmitteln der gelehrten Bildung gehören außerdem acht Akademien (davon sieben in Madrid), 49 öffentliche Bibliotheken, von denen die Nationalbibliothek in Madrid und die des Escorial die hervorragendsten sind, 16 Museen, 60 Archive und 8 Museen und Archive. Die bedeutendsten historischen und Kunstsammlungen sind: die beiden königlichen Museen für Gemälde und Skulpturen, die königliche Waffensammlung, das archäologische und das naturhistorische Museum, sämtlich in Madrid, die drei Staatsarchive in Simancas, Barcelona und Sevilla. Botanische Gärten sind in Madrid, Barcelona und Valencia, astronomisch-meteorologische Observatorien in Madrid und San Fernando.

Land- und Forstwirtschaft.

Unter den Nahrungszweigen der Bevölkerung von S. nimmt der Betrieb der Landwirtschaft die erste Stelle ein, steht aber trotz der günstigen natürlichen Vorbedingungen noch sehr zurück. Die gesamte Bodenfläche verteilt sich auf: Ackerland mit 26 Proz., Weinland 2,5, Olivenpflanzungen 2, Wiesen und Weiden 16, Wald 10, Brachland 14,5 und unkultiviertes Land 29 Proz. Zur künstlichen Bewässerung der regenarmen Gebiete sind großartige Anlagen hergestellt oder in Aussicht genommen; einer solchen Bewässerung erfreuen sich etwa 2,5 Proz. der Gesamtfläche. Der Getreidebau ist am bedeutendsten in Alt- und Neukastilien und im Guadalquivirbecken. Die Getreideproduktion belief sich 1905 auf nachfolgende Mengen:

Tabelle

Am meisten wird Weizen gebaut, jedoch für den Bedarf nicht genügend, so daß 1905: 8,85 Mill. dz (besonders aus Rußland) eingeführt werden mußten. Roggen und Gerste werden, letztere hauptsächlich als Futter der Pferde und Maultiere, vorwiegend in Galicien und Leon, Mais in Galicien und Asturien angebaut. Reis wird im großen nur in der Provinz Valencia gebaut (1905: 2 Mill. dz). Der Anbau von Kartoffeln ist weniger bedeutend, jener von Hülsenfrüchten dagegen sehr ausgedehnt, indem Erbsen und Bohnen eine Lieblingsspeise der Spanier bilden und in großen Mengen als Feldfrüchte gezogen werden (1905: 3 Mill. dz). Kein Land von Europa produziert so mannigfache Arten von Gemüse wie S.; außer den gewöhnlichen Küchengewächsen (Kohl, Salat, Zwiebeln, Knoblauch, Gurken, Artischocken, Erdbeeren) werden kultiviert: spanischer Pfeffer, Liebesapfel, Wassermelone, Schlangengurke, Kalebassenkürbis, stellenweise die tropische Batate. Hülsenfrüchte und Gemüse geben einen nicht unbedeutenden Ausfuhrartikel ab; 1905 wurden von erstern 3,9 Mill. kg, von letztern allein an Zwiebeln 92,8 Mill. kg ausgeführt. Die Handelsgewächse des Landes sind: Hanf (am besten in Granada und Murcia), Flachs, Waid, Safran, Süßholz, Zuckerrohr, das an der südlichen und östlichen Küste, namentlich in der Provinz Malaga, in steigendem Maß gebaut wird, Raps in den nördlichen Provinzen, Kümmel in der Mancha; ferner Anis, Senf, Mohn, Sesam, Ricinus und andre Ölpflanzen. Der Tabakbau ist untersagt. Esparto (s. d.), das im Süden Spaniens reichlich wächst, wird zu Flechtwaren sowie zur Papierfabrikation verwendet und auch in großen Mengen, namentlich nach England, ausgeführt (1905: 41 Mill. kg). Ein wichtiger Zweig der Bodenkultur ist die Fruchtbaumzucht. Neben den mitteleuropäischen Obstarten, insbes. Äpfeln, Aprikosen und Pfirsichen, Wal- und Haselnüssen gedeihen die Edelkastanie (in ganzen Wäldern) und die verschiedenartigsten Südfrüchte (Orangen, Zitronen, Granatäpfel, Feigen, Mandeln, Datteln, Johannisbrot, indische Feigen, Bananen) nicht nur längs der Küste und in den südlichen Provinzen, sondern auch in den warmen Flußtälern des Nordens. 1905 wurden an Orangen 313,6 Mill. kg, Zitronen 2,5 Mill. kg, Mandeln 9,9 Mill. kg und Haselnüssen 7,8 Mill. kg ausgeführt. Ausgedehnte Landstriche sind namentlich im Süden der Olivenkultur eingeräumt. Doch steht das spanische Öl wegen schlechter Behandlung der Frucht in geringem Preis. Die Produktion ergab 1905: 1,5 Mill. hl Öl; die Ausfuhr betrug 1905: 34,4 Mill. kg nebst 7,6 Mill. kg Oliven. In der Provinz Valencia hat sich auch der Anbau der Erdnuß (Arachis, Cacahuetes), aus der ein billiges Öl bereitet wird, entwickelt (1905: 171,241 dz Ertrag). Wichtige Bodenkulturzweige sind noch der Maulbeerbaum- und der Weinbau. Die von letzterm bedeckte Fläche beläuft sich auf 1,5 Mill. Hektar, der Ertrag auf 17,7 Mill. hl (1905). Die Weinausfuhr bezifferte sich 1905 mit 2,160,803 hl (davon 153,150 hl Jerezwein) im Werte von 73,5 Mill. Pesetas, wovon ein bedeutender Teil (1905 für 28,5 Mill. Pesetas) nach Frankreich ging (vgl. Spanische Weine). Daneben bilden auch frische Trauben einen Ausfuhrartikel (1905: 48,5 Mill. kg). Wichtig ist ferner die Kultur der Rosinen in den Provinzen Alicante (Denia) und Malaga; die Ausfuhr betrug 1905: 30,3 Mill. kg. Die hervorragendsten Futterkräuter sind Luzerne und Esparsette. Eigentliche Wiesen gibt es nur in den nördlichen Provinzen und in den höhern Gebirgsgegenden. Viel ausgedehnter ist das Weideland.

Die Viehzucht, die in S. ehemals in hohem Rufe stand, ist stark in Verfall geraten, aber immerhin noch ein wichtiger Erwerbszweig. Man zählte 1906 in S. 440,272 Pferde, 801,608 Maultiere, 743,991 Esel, 2,497,062 Rinder, 13,480,811 Schafe, 2,439,635 Ziegen, 2,080,404 Schweine. Die besten Pferde sind die andalusischen und unter diesen wieder die von Cordoba. Auf die Zucht der Maultiere und Esel, die stark ausgeführt werden, wird große Sorgfalt verwendet. Rindviehzucht wird namentlich in den nördlichen Provinzen in Verbindung mit Milch-, Butter- und Käsebereitung betrieben; Schlachtochsen werden nach England ausgeführt. Die für die Stiergefechte erforderlichen Kampfstiere werden namentlich in Navarra, in der Sierra Guadarrama, Sierra Morena und am Guadalquivir gehegt. Die spanische Schafzucht, einst die erste der Welt und Quelle großer Einkünfte, ist in Abnahme begriffen. Die Ausfuhr von Schafwolle betrug 1905: 19,9 Mill. kg im Werte von 25,6 Mill. Pesetas. Die Ziegenzucht ist besonders in den Gebirgsgegenden heimisch und Ziegenkäse ein wichtiger Gegenstand des innern Handels, während die Felle stark ausgeführt werden. Schweinezucht wird im größten Maßstab in Estremadura und Asturien betrieben. Treffliche Schinken sowie Würste und Borsten gelangen zur Ausfuhr. 1905 wurden 211,606 Stück Vieh und 9,3 Mill. kg Häute und Felle ausgeführt. Von Federvieh werden vornehmlich Hühner, in Estremadura und Andalusien auch Truthühner gezüchtet; die Bienenzucht ist gering, von Wichtigkeit dagegen die (früher allerdings noch bedeutendere) Seidenraupenzucht, die namentlich in Valencia und Murcia ihren Sitz hat.

Jagd und Fischerei sind in S. frei, doch wird erstere nicht besonders eifrig getrieben; das häufigste Haarwild sind Kaninchen, das meiste Federwild Rebhühner. Der Werk der gefangenen Thunfische, Sardinen, Sardellen, Salme und andern Seefische wurde 1905 auf 97,1 Mill. Pesetas geschätzt; in der Meerfischerei waren 124,054 Mann mit 23,718 Fahrzeugen beschäftigt. Fast die Hälfte des Ertrages wird eingesalzen und mariniert (Ausfuhr 1905: 13,1 Mill. kg im Werte von 5,8 Mill. Pesetas). Die Waldwirtschaft steht in S. noch auf einer niedrigen Stufe. Infolge der Vernachlässigung der Kultur und der planlosen Ausnutzung der Privat- und Staatsforsten sind nur etwa 10 Proz. der Bodenfläche noch mit Holz bestanden. Das wichtigste Nadelholz ist die Kiefer, die vorzüglichsten Laubhölzer sind: die Eiche, Rotbuche, Kastanie, die Rüster und der Ölbaum, der besonders in Andalusien ganze Wälder bildet. Die waldreichsten Provinzen sind Santander, Leon und Oviedo. In Katalonien gedeihen die gewinnreichsten Holzgattungen, wie Kastanien (zu Faßdauben), Walnußbäume (zu Holzreifen) und Korkeichen, am besten, welch letztere wegen des Korkes, des als Gerbmaterial geschätzten Bastes und des sich zu Kohlen trefflich eignenden Astholzes einen reichlichen Ertrag liefern. Außer in Katalonien findet man diese Baumgattung in Estremadura, Andalusien und Valencia. Die jährliche Produktion an Kork beträgt 270,000 dz.

Bergbau und Hüttenwesen.

S. ist ein an Metallen und Erzen außerordentlich reiches Land und könnte in seinem Bergbau und Hüttenwesen eine Quelle großen Nationalreichtums finden, wenn ersterer entsprechend ausgebeutet und letzteres rationell betrieben würde. Das Land zerfällt in 4 Minendivisionen mit 29 Distrikten. An der Spitze jeder Division steht ein Generalmineninspektor. Von dem früher bedeutenden staatlichen Montanbesitz sind nur noch die Quecksilbergruben von Almaden, die Bleiminen von Arrayanes und die Salinen von Torrevieja Staatseigentum. 1905 zählte man 26,594 Minen, von denen jedoch nur 1926 mit 105,428 Arbeitern im Betrieb waren. Die Produktion des Bergbaues hatte 1905 einen Wert von 193,4 Mill. Pesetas, die des Hüttenwesens einen solchen von 244,6 Mill. Pesetas. 1905 wurden produziert: Eisenerz 9,408,351 Ton., Roheisen 305,462 T., Stahl 223,545 T., Bleierz 265,494 T. (davon 160,381 T. silberhaltiges Bleierz), Kupfererz 2,621,054 T., Kupfermetall 33,215 T., Zinkerz 160,567 T., Quecksilbererz 26,485 T., Salz 493,451 T., Steinkohle 3,067,826 T., Braunkohle 168,994 T. Da das Hüttenwesen mangelhaft entwickelt ist, werden bedeutende Erzmengen ausgeführt, so 1905: 9,349,868 T. Eisenerz und 1,017,798 T. Kupfererz. Die Produktion von Silber wird in der Sierra Almagrera (Provinz Almeria) und zu Hiendelaencina (Provinz Guadalajara) betrieben. Die Quecksilberminen von Almaden beschäftigten 1905: 1555 Bergleute und ergaben 14,275 T. Quecksilbererz. Eisenerz findet sich besonders in den Provinzen Vizcaya, Santander, Murcia, Almeria, Sevilla, Lugo und Huelva. Die bedeutendsten Hüttenwerke befinden sich in Vizcaya, Oviedo, Sevilla und Malaga. An Kupfer besitzt die Provinz Huelva in den Minen von Riotinto, Tharsis und andern schon von den Karthagern und Römern bearbeiteten Bergwerken unerschöpfliche Lager. Die Bleiproduktion Spaniens überragt die aller andern Staaten Europas. Die Hauptsitze für diesen Bergbau und Hüttenbetrieb sind die Provinzen Murcia (Cartagena), Jaen (Linares und Bailen), Ciudad Real und Almeria. Die Ausfuhr an metallischem Blei betrug 1905: 180,686 T. Zinkerz findet sich in den Provinzen Murcia und Santander. Die wichtigsten Kohlendistrikte sind in den Provinzen Oviedo, Cordoba, Ciudad Real, Leon, Palencia, Sevilla und Santander. Die jährliche Produktion ist von 355,000 Ton. 1861 auf (1905) 3,2 Mill. T., größtenteils Steinkohle, gestiegen, wobei immer noch eine bedeutende Einfuhr englischer Kohle (1905: 2,2 Mill. T.) stattfindet. An Salz ist S. überaus reich. Steinsalzminen gibt es in Cardona (Provinz Barcelona), Pinoso (Provinz Alicante), Gerry y Villanova (Provinz Gerona), Minglanilla (Provinz Cuenca) u. a. O., Salinen in der Bai von Cadiz, an den Ufern des untern Guadalquivir, auf der Insel Ibiza und in Torrevieja (Provinz Alicante). Manganerz (Braunstein) wird am meisten in der Provinz Huelva zutage gefördert. Alaungruben finden sich an vielen Orten; Schwefel wird besonders in den Provinzen Albacete und Almeria, Asphalt in Alava, Antimon in Saragossa, Ciudad Real und bei Cartagena, außerdem Graphit, Bergöl, Naphtha und Phosphorit (früher bedeutende Produktion in der Provinz Caceres) gewonnen.

Industrie.

Trotz der reichen Hilfsquellen und der günstigen kommerziellen Lage des Landes ist die Industrie unbedeutend; jedoch ist in neuerer Zeit ein Aufschwung zu bemerken. Die industriellsten Provinzen sind: Barcelona, Gerona, Tarragona, Oviedo, Santander, Guipuzcoa und Vizcaya, nächst diesen Valencia, Murcia. Alicante, Almeria, Granada, Sevilla, Malaga und Madrid. Was die einzelnen Industriezweige betrifft, so wird die Verfertigung von Eisen- und Stahlwaren am ausgedehntesten in Katalonien, den baskischen Landschaften und den Provinzen Malaga und Sevilla betrieben. Guten Ruf hat das Land in der Erzeugung von Handwaffen; berühmt sind insbes. die Klingen von Toledo. Die Nationalfabrik in Trubia (Oviedo) liefert Eisengußwaren und Artilleriematerial. Neben den Eisenwaren produziert S. viel Kupfer- und Bleiwaren, Messing namentlich in San Juan de Alcaraz (Provinz Albacete), Bronzewaren in Barcelona, Eibar (Guipuzcoa) und in Navarra, Schmucksachen und Filigranarbeiten. Der Maschinenbau hat seine Hauptsitze in Barcelona, Sevilla, Malaga, Madrid und Valladolid, der Schiffbau in Barcelona, Cartagena, Cadiz und Santander, die Verfertigung von chirurgischen und Präzisionsinstrumenten in Madrid. Musikinstrumente werden zu Barcelona, Madrid, Sevilla, Saragossa, Valladolid, Murcia und Palma hergestellt. Für Porzellan bestehen zwei Fabriken, für Steingut- und Fayenceerzeugung Etablissements in Sevilla und in den Provinzen Valencia, Madrid und Castellon. Eine wichtige Industrie ist auch die Erzeugung von Ziegelfliesen, glasierten Platten und Mosaikfußböden, namentlich in der Provinz Valencia. Feuerfeste Tonwaren werden in Barcelona, hydraulischer Kalk (Zement) wird in Guipuzcoa erzeugt. S. liefert gutes Glas in ziemlich großer Menge, aber hauptsächlich nur für den inländischen Bedarf; geschliffene Glaswaren werden eingeführt. Die Verarbeitung des Korkes zu Pfropfen, Platten und Tafeln bildet einen ergiebigen Industriezweig, insbes. in der Provinz Gerona (Ausfuhr 1905: 4,3 Mill. kg in Platten und Tafeln, 2300 Mill. Pfropfen etc. im Werl von 33,5 Mill. Pesetas). Tischlerwaren werden in Madrid und Barcelona verfertigt. Bedeutend ist namentlich für die Hausindustrie die Stroh- und Binsenflechterei. Die einst hochentwickelte Lederindustrie erzeugt noch immer gutes Saffian- und Korduanleder, und zwar in Cordoba, Barcelona, Toledo, Burgos und den baskischen Provinzen. Die durch die Raupenkrankheit beeinträchtigte Seidenindustrie beschränkt sich gegenwärtig auf die Provinzen Murcia, Valencia und Sevilla. Die Produktion an Seidenkokons beträgt etwas über 1 Mill. kg, an Rohseide durchschnittlich 85,000 kg. Die Seidenweberei war in frühern Jahrhunderten blühend; gegenwärtig umfaßt sie 183 Betriebe. Die Schafwollweberei (620 Betriebe) macht große Fortschritte, arbeitet jedoch bloß für den einheimischen Markt. Der Hauptsitz ist Katalonien, namentlich Barcelona, Tarrasa, Sabadell, Manresa u. a. O. Gute Tuche und Flanelle werden in Alcoy, Palencia etc. erzeugt. Valencia und Murcia liefern Decken aus Streich- und Kammgarn. Verhältnismäßig günstig entwickelt ist die spanische Baumwollindustrie. Die Spinnerei beschäftigt gegenwärtig 2,1 Mill. Feinspindeln. Der Baumwollkonsum beträgt im Durchschnitt 60,000 Ton. Die größte Bedeutung hat die Baumwollindustrie für Katalonien. Außerdem ist diese Industrie noch in den baskischen Provinzen, in Malaga, Santander, Valladolid und den Balearen vertreten. Auf die Baumwollweberei kommen 1261 Betriebe. Die Flachsspinnerei macht Fortschritte. Die Leinweberei, die vorzugsweise für die Bedürfnisse des eignen Landes arbeitet, umfaßt in Katalonien, Aragonien, Kastilien, Galicien, Navarra etc. 199 Betriebe. Die Espartoweberei, die in Murcia, Alicante u. a. O. betrieben wird, liefert: Überzieher für Bergleute, Teppiche, Lauftücher etc. Färberei und Druckerei sind alte und wichtige Zweige der spanischen Industrie, zumal in Katalonien und den baskischen Provinzen. Die Spitzenmanufaktur ist gleichfalls sehr alt und hat ihre Heimat in Katalonien. Maschinenspitzen werden in Barcelona, Mataro u. a. O. erzeugt. Handschuhe liefern Madrid und Valladolid, Wäsche, Weiß- und Wirkwaren Barcelona. Die Industrie in Schuhwaren hat sich besonders auf den Balearen entwickelt und führte 1905: 0,9 Mill. kg im Werte von 14,7 Mill. Pesetas aus. Für den Konsum der spanischen Landbevölkerung werden auch Schuhwaren aus Hanf (Alpargatas) an vielen Orten gefertigt. Neu aufstrebende Industrien sind die Fächerfabrikation in Valencia und die Knopffabrikation in Madrid. Für die Papiererzeugung gibt es neben den alten Papiermühlen bereits zahlreiche Papierfabriken. Ein Hauptartikel der Papierfabrikation ist das Zigarettenpapier (namentlich in Alcoy). Bedeutend ist die Industrie in Nahrungs- und Genußmitteln. Es bestehen 18 Raffinerien für Kolonialzucker (Barcelona, Malaga und Umgebung, Granada und Almeria; Produktion jährlich ca. 150,000 dz), neuerdings zahlreiche Rübenzuckerfabriken, ferner Schokoladefabriken, Fabriken für konservierte und kandierte Früchte, einige große Fabriken für Fisch- und Fleischkonserven (in Guipuzcoa und Coruña) und mehrere Unternehmungen für Makkaroni- und Teigwarenerzeugung (in Malaga). An Weizenmehl wurden 1905: 1 Mill. kg ausgeführt. Erwähnenswert sind ferner: die Spirituserzeugung aus Wein und dessen Rückständen, die Fabrikation von Likören (besonders Anislikör in den Provinzen Barcelona und Albacete) und die Bierbrauerei in den größern Städten. Die Tabakfabrikation ist Staatsmonopol, das aber seit 1887 gegen Zahlung eines jährlichen Betrages von 129 Mill. Pesetas verpachtet ist, und beschäftigt große Etablissements in Madrid, Sevilla, Santander, Oviedo, Gijon, Coruña, Cadiz, Valencia, Alcoy und Alicante. Endlich sind noch die Zinnobererzeugung, die Fabrikation von Zündhölzern (seit 1892 Monopolbetrieb, der jedoch der Genossenschaft der Zündholzfabrikanten gegen Zahlung eines jährlichen Betrages von 5 Mill. Pesetas auf 15 Jahre übertragen wurde), von Seife (insbes. in Barcelona), Kerzen und verschiedenen Chemikalien, die Petroleumraffinerie, die Buchdruckerei und Lithographie (Madrid, Barcelona und Valencia) hervorzuheben. In ganz S. besteht schon seit geraumer Zeit Gewerbefreiheit. Die Vereinigungen (gremios) von Handwerkern und Gewerbtreibenden verfolgen wirtschaftliche Zwecke (Aufbringung der Gewerbesteuer etc). In bezug auf die Arbeiterschutzgesetzgebung ist S. bisher noch sehr zurückgeblieben.

Handel und Verkehr.

Der spanische Handel, einst einer der umfangreichsten der Welt, ist infolge der äußern und innern Kriege, insbes. infolge des Verlustes der Kolonien und infolge der Vernachlässigung der reichen natürlichen Hilfsquellen sehr zurückgegangen, scheint sich aber wieder zu erholen. In betreff des äußern Handels zerfällt S. in mehrere selbständige Zollgebiete, nämlich: das Festland mit den Balearen, die Kanarischen Inseln, die Insel Fernando Po mit deren Dependenzen, die nordafrikanischen Besitzungen. Jedes dieser Zollgebiete hat seinen besondern Tarif; die nordafrikanischen Häfen sind zu Freihäfen erklärt worden. Der am 5. Okt. 1849 eingeführte Zolltarif wurde mehrfach, namentlich durch die Handelsverträge ermäßigt. Die finanzielle Lage und das Beispiel der übrigen Kontinentalstaaten veranlaßten S., die Tarife der Einfuhrzölle zu erhöhen (zuletzt 1906) und auf Grund dieser neue Handelsverträge abzuschließen. Der Gesamtwert der Ein- und Ausfuhr Spaniens (des Festlandes mit Einschluß der Balearen) betrug in den letzten Jahren in Millionen Pesetas (1 Peseta = 80 Pfennig):

Tabelle

Der auswärtige Handel von S. bewegt sich hauptsächlich auf dem Seeweg. Die Hauptartikel des auswärtigen Handels ergaben 1905 in Millionen Pesetas:

Tabelle

Auf die wichtigsten Herkunfts- und Bestimmungsländer verteilten sich die Ein- und Ausfuhr 1904 folgendermaßen (in Millionen Pesetas):

Tabelle

Die Schiffahrt Spaniens zeigt in den letzten Jahrzehnten einen kräftigen Aufschwung. Unter den 137 Häfen sind die hervorragendsten: Barcelona, Bilbao, Cadiz, Valencia, Malaga, Huelva, Santander, Coruña, Vigo, Alicante, Cartagena, Almeria und Sevilla. Die Zahl der im Betrieb befindlichen Leuchttürme beträgt 198. Die Handelsmarine Spaniens zählte Anfang 1906: 450 Segelschiffe von 75,000 Reg. – Ton. und 510 Dampfer von 727,800 Ton., zusammen 960 Seeschiffe von 802,800 T. 1905 sind in sämtlichen Häfen Spaniens 19,726 Schiffe von 16,639,228 Reg. – Ton. mit einer Ladung von 4,709,089 T. eingelaufen und 17,875 Schiffe von 16,377,254 Reg. – Ton. mit einer Ladung von 12,105,068 T. ausgelaufen. Vom Gesamttonnengehalt aller ein- und auslaufenden Schiffe (33,016,482 Reg. – Ton.) kamen auf die spanische Flagge 14,230,702, auf fremde Flaggen 18,785,780 Reg. – Ton. Zu obigen Verkehrsziffern kommt noch die Küstenschiffahrt mit (1905) 39,123 eingelaufenen Schiffen von 12,536,446 Reg. – Ton. und 39,390 ausgelaufenen Schiffen von 12,345,903 Reg. – Ton. hinzu. Die Binnenschiffahrt ist in S. von geringem Belang. Nur der Ebro kann bei hohem Wasserstande mit flachen Fahrzeugen streckenweise bis nach Saragossa, selten bis in die Provinz Navarra befahren werden. Der Guadalquivir ist für Seeschiffe nur bis Sevilla fahrbar. Unter den Kanälen sind die bedeutendsten der Kaiserkanal (s. d. 1) von Aragonien und der Kastilische Kanal (s. d.). Der Manzanareskanal (von Toledo nach Madrid, 14 km) sowie der Canal Nuevo, 11 km, bei Amposta aus dem Ebro ausgehend und in San Carlos de la Rapita endigend, werden zur Schiffahrt wenig benutzt. Aus dem 19. Jahrhundert datieren der Guadarramakanal (17 km) und der Murciakanal (28 km). Die Gesamtlänge aller schiffbaren Kanäle und Flüsse Spaniens beträgt etwa 700 km.

Die erste Eisenbahn, von Barcelona nach Mataro (28 km), wurde 28. Okt. 1848 dem Verkehr übergeben. Das Eisenbahnnetz Spaniens umfaßte 1903: 13,910 km. Die hauptsächlichsten Linien sind: Die Spanische Nordbahn von Madrid über Irun an die französische Grenze, mit Zweiglinien nach Zamora, Segovia und Santander; die Nordwestliche oder Galicische Eisenbahn mit den Linien Palencia-Coruña, Monforte-Vigo und Leon-Gijon, die Linie Medina-Salamanca, die mit zwei Linien ihre Fortsetzung nach Portugal findet, dann die Eisenbahn Tudela-Bilbao und die asturischen Bahnen; eine wichtige Linie ist im NO. die Eisenb. ihn von Saragossa über Pamplona nach Alsasua; die Eisenbahnen Madrid-Saragossa-Barcelona und Madrid-Alicante, die miteinander durch die Küstenbahn über Tarragona und Valencia nach Almansa in Verbindung stehen, und wovon die erstere mehrere Zweiglinien in Katalonien und die Linie über Portbou nach Frankreich, die letztere die Zweiglinien nach Cuenca, Toledo und Cartagena entsenden. An die Eisenbahn Madrid-Alicante schließen sich die andalusischen Bahnen nach Cadiz, Malaga, Granada, Huelva und Algeciras sowie die Eisenbahn über Ciudad Real und Badajoz nach Portugal an. Von Madrid nach Lissabon führt außerdem eine direkte Linie über Caceres. Die Ausführung der einzelnen Eisenbahnlinien erfolgte durch Privatgesellschaften, meist mit französischen und englischen Kapitalien. Straßenbahnen, größtenteils mit elektrischem Betrieb, gibt es in allen größern Städten; sie haben eine Gesamtlänge von (1903) 754 km. Auch auf den arg vernachlässigten Straßenbau hat man in neuerer Zeit große Summen verwendet; die Gesamtlänge der fertigen Straßen beträgt (1908) 43,599 km. Am meisten leidet noch das Zentrum des Landes durch Mangel an Verkehrswegen. Das spanische Staatstelegraphenwesen umfaßte 1905 ein Netz von 29,612 km Linien mit 909 staatlichen Bureaus. Der Korrespondenzverkehr ergab 5,2 Mill. Depeschen. Dem Postwesen standen 1906: 4069 Anstalten mit einem Personal von 9603 Individuen zur Verfügung. Der Postverkehr umfaßte 1905: 201,5 Mill. Briefe, 19,3 Mill. Postkarten, 211,6 Mill. Stück Drucksachen und Warenproben sowie Geldsendungen im Werte von 683,9 Mill. Pesetas. Handelskammern bestehen 61. Die meisten in den größern Städten errichteten Kreditbanken haben sich seit 1874 in Filialen der 1829 gegründeten und 1851 reorganisierten Bank von S. zu Madrid umgewandelt, deren Kapital auf 150 Mill. Pesetas festgesetzt ist und welche die einzige Zettelbank bildet (vgl. Banken, S. 349). Außerdem gibt es eine größere Anzahl von selbständigen Kreditinstituten, Versicherungsgesellschaften, Sparkassen und Leihhäusern, ferner Börsen in allen großen Handelsplätzen etc. Den Binnenhandel befördern die alljährlich stattfindenden zahlreichen Messen und Märkte. Münzeinheit ist seit 1871 die Peseta zu 100 Centimos = 1 Frank. Über die dem Gesetze vom 19. Oktober 1868 entsprechenden Münzsorten in Gold und Silber s. die dem Artikel »Münzwesen« beigegebene Übersicht, dazu Tafel »Münzen V«, Fig. 19, und Tafel VI, Fig. 13; Goldmünzen kommen selten und nur mit Aufgeld in den Verkehr. Papiergeld des Landes sind die Noten der Bank von S. zu 25, 50, 100, 500 und 1000 Pesetas. Durch Einlösung der Schatznoten soll die Bank befähigt werden, bis Ende 1911 ihren Notenumlauf auf 1200 Mill. Pesetas herabzusetzen. In Maß und Gewicht ist seit 1855 gesetzlich das metrische System eingeführt.

Staatsverfassung und -Verwaltung.

Das Grundgesetz der gegenwärtigen Staatsverfassung des Königreichs S. bildet die Konstitution vom 30. Juni 1876. Hiernach ist S. eine erbliche Monarchie, gegenwärtig unter der Dynastie Bourbon. Als Thronfolgeordnung gilt die kognatische (s. Artikel »Thronfolge«). Der König (gegenwärtig Alfons XIII., geb. 17. Mai 1886, regiert seit seiner Geburt unter Vormundschaft, selbständig seit 17. Mai 1902) wird mit dem vollendeten 16. Jahre großjährig. Die gesetzgebende Gewalt übt der König gemeinsam mit den Cortes aus, die sich in zwei Kammern gliedern: den Senat und den Kongreß der Deputierten. Der Senat wird gebildet von den Senatoren vermöge eignen Rechts; von den Senatoren, die von der Krone auf Lebenszeit ernannt werden; von den Senatoren, die durch die Provinzialvertretungen und die Höchstbesteuerten gewählt und alle fünf Jahre zur Hälfte ergänzt werden. Senatoren von Rechts wegen sind: die großjährigen Söhne des Königs und des Thronfolgers; die Granden von S., die eine jährliche Rente von 60,000 Pesetas genießen; die Generalkapitäne des Heeres und die Admirale der Flotte; die Erzbischöfe; die Präsidenten des Staatsrats, des obersten Gerichtshofs, des Rechnungshofs, des obersten Kriegs- und des obersten Marinerats, wenn sie sich zwei Jahre im Amt befinden. Die vom König ernannten oder von den Provinzialvertretungen und den Höchstbesteuerten gewählten Senatoren müssen bestimmten Klassen des Beamtenstandes, der Armee, des Klerus angehören oder eine jährliche Rente von 20,000 Pesetas beziehen. Die Zahl der Senatoren kraft eignen Rechts und der vom König ernannten Senatoren darf zusammen 180 nicht übersteigen, und dieselbe Fahl entfällt auf die gewählten Senatoren. Jeder Senator muß Spanier und 35 Jahre alt sein. Der Kongreß der Deputierten setzt sich aus 402 Mitgliedern zusammen, die von den Wahljunten auf fünf Jahre, im Verhältnis von einem Deputierten auf 50,000 Einw., gewählt werden. Um zum Deputierten gewählt zu werden, sind die spanische Staatsbürgerschaft, der weltliche Stand, die Großjährigkeit und der Genuß aller bürgerlichen Rechte erforderlich. Das aktive Wahlrecht ist nach dem Wahlreformgesetz vom 26. Juni 1890 an das männliche Geschlecht, das 25. Lebensjahr und den zweijährigen Besitz des Bürgerrechts in einer Gemeinde geknüpft. Die Cortes versammeln sich alle Jahre. Der Präsident und die Vizepräsidenten der Zweiten Kammer werden von der Kammer gewählt, die der Ersten Kammer vom König ernannt. Der König und jede der beiden legislativen Körperschaften besitzen das Recht der Initiative zu den Gesetzen. Finanzgesetze müssen zuerst dem Kongreß der Deputierten vorgelegt werden. Der Kongreß besitzt das Recht der Ministeranklage, wobei der Senat als Gericht fungiert. Die Abgeordneten erhalten keine Vergütung oder Diäten. Die Staatsbürger teilen sich dem Stande nach in Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauern, welche Stände aber vor dem Gesetz gleich sind. Der Adel, dem keine politischen Vorrechte zustehen, zerfällt in den hohen, der sich wieder in Grandes und Titulados teilt, und in den niedern der Hidalgos. Die »Grandeza« wird gegenwärtig vom König teils als persönliche Auszeichnung, teils erblich erteilt und führt das Prädikat »Exzellenz«. Die Titulados sind Familien, die von alters her den stets nur auf den ältesten Sohn übergehenden Titel Herzog, Marquis, Graf, Visconde oder Baron führen. Der äußerst zahlreiche niedere Adel zerfällt in Ritter- und Briefadel. Das Prädikat »Don«, früher nur dem hohen Adel zustehend, wird jetzt jedem gebildeten Mann gegeben. Die Provinzialverfassung sowie die Gemeindeverfassung (s. Ayuntamiento) sind im wesentlichen der französischen nachgebildet. In jeder Provinz sind Provinzialdeputationen eingesetzt, deren Mitglieder von den Gemeindevertretungen gewählt werden.

An der Spitze der Staatsverwaltung steht der dem König und dem Cortes verantwortliche Ministerrat, neben dem ein Staatsrat zur Begutachtung von Gesetzentwürfen und zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten besteht (33 vom König ernannte Mitglieder, darunter die Minister). Königliche Ministerien sind: das Ministerium des Äußern, das Ministerium der Gnade und Justiz (auch für den Kultus), das Kriegsministerium, das Marineministerium, das Finanzministerium, das Ministerium des Innern (ministerio de la gobernacion, auch für das Post- und Telegraphen wesen), das Ministerium für Unterrichtswesen und das Ministerium für Volkswirtschaft (ministerio de fomento). Selbständig ist der Rechnungshof. Zur Leitung der Provinzialverwaltung stehen an der Spitze der 49 Provinzen für die gesamte innere Verwaltung die Gouverneure, denen die Provinzialdeputationen und deren permanente Kommissionen beigegeben sind.

Die Gerichtsverfassung beruht auf Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und Geschwornengerichten. Römisches Recht und Landrecht bilden die Grundlage des Rechtswesens. Die unterste Instanz bilden die Alkalden der Gemeinden als Friedensrichter. Außerdem bestehen noch 516 Untergerichtsbezirke (partidos) mit je einem Gerichtshof erster Instanz. Diese sind verteilt unter 15 Ober- oder Appellationsgerichtshöfe (audiencias territoriales). Die höchste Instanz bildet der oberste Gerichtshof in Madrid. Außer diesen ordentlichen Gerichten bestehen noch geistliche und Militärgerichte, Handels- und Berggerichte.

Finanzen. Der Staatshaushalt für das Finanzjahr 1906 ergab (in Pesetas):

Tabelle

Die Staatsschuld betrug zu Anfang des 19. Jahrh. bereits 1800 Mill. Pesetas und vermehrte sich bis 1868 auf 5750 Mill. Während der Karlistenkriege stieg sie bis auf 12,000 Mill., wurde aber 1882 durch eine Konversion um mehr als die Hälfte reduziert. Infolge der letzten Kolonialkriege und des Krieges mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika wuchs sie aufs neue erheblich an, konnte aber durch geschickte Operationen verringert werden. 1906 betrug sie 9394 Mill. Pesetas. Tilgung und Zinsen erfordern jährlich 400,8 Mill. Pesetas.

Heerwesen und Kriegsflotte.

Wehrgesetze vom Jahre 1882, 1885, 1893, 1899 und 1901. Die wichtigsten Neuerungen brachte das Gesetz vom 16. Juli 1904 (weitere der Entwurf vom 26. Okt. 1906). Es besteht allgemeine Wehrpflicht, mit Befreiungen in gewissen Fällen; Loskauf und Stellvertretung ist noch immer gestattet. Der einjährig-freiwillige Dienst bestand kurze Zeit, ist aber abgeschafft. Die Dienstpflicht beginnt mit vollendetem 21. Lebensjahr und dauert zwölf Jahre, davon drei (aus Sparsamkeitsrücksichten aber meist nur zwei) bei der Fahne, drei in der ersten, sechs in der zweiten Reserve. Zur Rekrutierung ist das Festland in 116 Bezirke geteilt, die in 54 Rekrutierungszonen zusammengezogen sind. In jedem Bezirk ist ein Rekrutierungsbureau und ein Bataillonsstamm der zweiten Reserve. Die Zivilverwaltung nimmt ähnlich wie in andern Ländern an der Rekrutierung teil. Die Truppen auf den Inseln rekrutieren sich meist von diesen. Der stete Ministerwechsel ist der Entwickelung des Heerwesens sehr hinderlich. – Es gibt sieben Militärregionen, die den Armeekorps entsprechen, jedes Korps zieht seinen Ersatz aus seiner Region und hat seine Reserven, Depots etc. dort. Jedem kommandierenden General steht ein Divisionsgeneral als Truppeninspekteur zur Seite, der zugleich Militärgouverneur der betreffenden Provinz ist. Das Armeekorps hat 2 Infanteriedivisionen zu 2 (14. Division 3) Infanteriebrigaden, meist 1 Kavallerieregiment, 2 Feld- oder Gebirgsartillerieregimenter, 1 Sappeur-, bez. Telegraphenregiment, Verwaltungs- und Sanitätstruppen. Beim 1. Korps ist 1 Kavalleriedivision zu 2 Brigaden. 3 Korps haben je 1 Jägerbrigade. Truppen: Infanterie: I. Linie: 58 Linienregimenter zu 3 Bataillonen (das 3. im Frieden nur als Kader) zu 4 Kompanien; 18 Jägerbataillone (in 3 Brigaden beim 1., 2. und 4. Korps) zu 4 Kompanien und 1 Depotkompanie als Kader, pro Bataillon 1 Telegraphen-, 1 Verwaltungs-, 1 Sanitätssektion. II. Linie: Die 116 bei den Rekrutierungsbureaus aufzustellenden Bataillone der 2. Reserve. Kavallerie: I. Linie: 1 Eskadron königlicher Eskorte (Kürassiere), 28 Linienregimenter zu 4 (25 Regimenter 3) Eskadrons und 1 Depoteskadron sowie jedes Regiment 1 Pionierzug. II. Linie: 14 Reservedepots, die Reserveregimenter im Kriege aufstellen. Artillerie: 15 Feldartillerieregimenter zu je 2 Abteilungen zu 3 und 2 Batterien zu 6 Geschützen und 2 Depotbatterien (zusammen 150 Batterien); 11 Bataillone Fußartillerie, 7 Artilleriepark-Arbeiterkompanien, Remontekommission und 14 Reservedepots. Technische Truppen: 7 gemischte Sappeur- und Telegraphenregimenter (1 pro Korps) zu 5 Sappeur-Mineurkompanien (davon jetzt 1 noch Kader), 1 Telegraphen-, 2 Depotkompanien; 1 Pontonierregiment mit 4, im Kriege 8 Kompanien; 1 Eisenbahnbataillon mit 4 Kompanien, 1 Ballonkompanie, 1 Topographenbrigade etc. Train existiert im Frieden nicht. Sanitätstruppen: 7 Verwaltungskompanien, 7 Sanitätskompanien, Depots, Ambulanzen etc. Auf den Balearen stehen außerdem 3 Infanterieregimenter, 2 Eskadrons, 2 Feldbatterien, 1 Sappeurkompanie, auf den Kanarischen Inseln 4 Infanterieregimenter, 1 Jägerbataillon, 2 Eskadrons, 2 Feldbatterien, in Afrika 2 Infanterieregimenter, 2 Eskadrons, 2 Feldbatterien, 1 Sappeurkompanie. Gesamtstärke im Frieden rund 93,000 Mann, 18,500 Pferde und Maultiere, 356 Geschütze, im Kriege Gefechtsstand 310,000 Mann, 22,000 Reiter, 504 Geschütze.

Oberster Kriegsherr ist der König, ihm zur Seite steht das Kriegsministerium, bestehend aus 1 Untersekretariat, 1 Infanterie-, 1 Kavallerie-, 1 Artillerie-, 1 Genie-, 1 Militärverwaltungs-, 1 Sanitäts-, 1 Militärjustiz- und 1 Ausbildungs- und Rekrutierungsabteilung. Dem Minister direkt unterstellt sind: Kommission für Militärverwaltung, für Sanitätsdienst, beratendes Artilleriekomitee, beratendes Geniekomitee, Generalstab. An dessen Spitze steht ein Generalleutnant als Chef. Der Generalstab wird aus dem Sekretariat und fünf Abteilungen gebildet: 1) Organisation und Mobilmachung der Truppen; 2) fremde Heere; 3) Material und Vorräte; 4) Landesverteidigung und Militärbauwesen; 5) Kriegsdepot (für Topographie etc.). Vom Generalstab werden geleitet: die höhern Kriegsschulen, Zentralschieß- und Militärreitschule, elektrotechnische und Kommunikationskommission, Luftschifferpark, technische Ausbildung der Telegraphenkompanien, Prüfungs- und Versuchskommission für das Verwaltungsmaterial, topographische Kommission, topographische Brigade des Genies, Eisenbahnbataillon. Neu gebildet ist beim Kriegsministerium eine Generalinspektion der Militäretablissements und Werkstätten. Bewaffnung: Die Infanterie hat 7 mm Repetiergewehr System Mauser M/93, die Kavallerie den entsprechenden Karabiner, Säbel und ein Teil der Ulanen Lanzen, Offiziere und Unteroffiziere Bergmann-Selbstladepistole M/03, die Artillerie führt 75 mm-Rohrrücklauffeldgeschütze von Schneider-Creusot ein. Militärschulen etc.: Im Militärkolleg in Toledo soll Ausbildung zum Offizier erfolgen; Applikationsschulen bestehen für Infanterie, Kavallerie und Verwaltung mit einjährigem, für Artillerie und Genie dreijährigem Kursus; höhere Kriegsschule (Akademie) zur Vorbereitung für Generalstab. Landesbefestigung: an der französischen Grenze Fuenterrabia-S. Sebastian (verschanztes Lager), Pamplona, Jaca (Neubauten), Seo d'Urgel, Cardona, Figueras, Castel de S. Fernando, Gerona, Lerida; am Ebro die alten Plätze Miranda, Zaragoza, Tortosa; an der portugiesischen Grenze Monterey; an der Nordküste Bilbao-Portugalete, Santoña, Santander, Ferrol (Neubau des Kriegshafens), Coruña; Westküste Vigo; Südküste Cadiz (Hauptkriegshafen), Tarifa, Algeciras, Malaga, Almeria, Ostküste Cartagena (moderne Bauten), Alicante, Valencia, Barcelona; Balearen: Mahon (Kriegshafen, wichtiger Punkt, zu dessen strategischer Ausnutzung allerdings eine starke spanische Flotte nötig wäre), Palma; Marokko: Melilla, Ceuta. Die Befestigungen sind meist ältere, modernen Anforderungen nicht mehr entsprechende Bauten. Vgl. v. Löbells Jahresberichte über das Heer- und Kriegswesen (Berl.); Rau, L'état militaire des puissances étrangères (Par. 1902); Cazalas, La nouvelle organisation de l'armée espagnol (das. 1905); »Internationale Revue über die gesamten Armeen und Flotten«, Beiheft 64 (Dresd. 1905); »Streffleurs österreichische militärische Zeitschrift« (Wien 1905).

Die Kriegsflotte, unter Ferdinand und Isabella die mächtigste Flotte der Erde, erreichte nach dem Verlust der großen Armada ihre frühere Bedeutung nicht wieder. Ende des 18. Jahrh. zählte sie 76 Linienschiffe, 131 Fregatten und Korvetten und 120 kleinere Fahrzeuge mit etwa 10,000 Kanonen. Verderblich für die Flotte wurde das Bundesverhältnis mit Frankreich; die Flotte hatte 1830 nur noch 27 Schiffe. Mitte der 1880er Jahre entwickelte sie sich günstiger; Anfang 1896 zählte sie 14 Panzerschiffe, 18 Kreuzer, 48 Kanonenboote, 11 Torpedokanonenboote, 14 Torpedoboote, 5 Transportschiffe und 12 Schulschiffe, zusammen 122 Schiffe. Doch im Kriege mit den Vereinigten Staaten wurde die spanische Flotte zum Teil zerstört und erholt sich seitdem nur langsam wieder. Anfang 1907 waren kriegsfertig: 1 Linienschiff, 2 Panzerkreuzer, 6 geschützte Kreuzer, 13 Kanonenboote, 5 Torpedobootszerstörer, 8 Torpedoboote, 4 Schulschiffe, 2 Vermessungsfahrzeuge und 1 Königsjacht. Die Küste ist in drei Seedepartements mit den Kriegshäfen Cadiz, Ferrol und Cartagena eingeteilt.

Wappen, Orden.

Das kleine Wappen (s. Tafel »Wappen II«) besteht aus einem gevierten Schild mit unten eingepfropfter Spitze, belegt mit einem ovalen Herzschild. Der Herzschild zeigt das Wappen von Bourbon-Anjou: rotbordiertes blaues Feld mit drei goldenen Lilien. Das erste und vierte Feld enthält das Wappen von Kastilien: in Rot eine goldene, dreitürmige Burg mit blauen Öffnungen. Das zweite und dritte Feld enthält das Wappen von Leon: in Silber einen gekrönten purpurfarbigen Löwen. Die Spitze zeigt das Wappen von Granada: in Silber einen natürlichen Granatapfel. Das dritte und vierte Feld enthält mitunter auch die Wappen von Aragonien: in Gold vier rote Pfähle, und Navarra: in Rot ein goldenes Kettennetz. Das große Wappen zeigt im Rückenschilde noch die Wappen von: Aragonien, Sizilien, Österreich, Neu-Burgund, Parma, Toskana, Alt-Burgund, Brabant, Flandern und Tirol. Landesfarben sind Gelb-Rot-Gelb-Rot-Gelb. Die Kriegsflagge (s. Tafel »Flaggen I«) ist in drei horizontale Streifen, zwei rote und einen doppeltbreiten gelben in der Mitte, geteilt; der mittlere zeigt das königlich gekrönte Wappen von Kastilien-Leon. S. hat 16 Orden, nämlich den Orden vom Goldenen Vlies, den Calatravaorden, den Orden des heil. Jakob vom Schwert, den Orden von Alcantara, den Montesaorden, den Karlsorden, den Ferdinandsorden, den Orden des heil. Hermenegild, den Orden Isabellas der Katholischen, den Orden der Wohltätigkeit, den Militärverdienstorden, den Orden des Verdienstes zur See, den Militärorden Maria Christinens, den Verdienstorden Alfons' XII. für Wissenschaft, Literatur und Kunst, den Zivilorden Alfons' XII., endlich den Marie Luiseorden (Frauenorden). Nicht mehr verliehen werden der Orden Isabellas I. und der Maria-Viktoriaorden. Vgl. die betreffenden Artikel und Tafel »Orden II«, Fig. 28 u. 29.

[Geographisch-statistische Literatur.] M. Willkomm, Die Pyrenäische Halbinsel (Prag 1884); Regel, Landeskunde der Iberischen Halbinsel (Leipz. 1905); Carrasco, Geografia general de España (Madr. 1861 ff.); Mingote y Tarazona, Geografia de España y sus colonias (das. 1887); »Reseña geografia de España« (das. 1888); Madoz, Diccionario geografico-historico-estadistico de España (das. 1846–50, 16 Bde.); Marianay Sanz, Diccionario geografico, etc. (Valencia 1886); Del Castillo, Gran diccionario geografico, estadistico e historico de España (Barcelona 1890–92, 4 Bde.); Muro, Nociones de geografia especial de España (Madr. 1905); J. Zimmermann, Spain and her people (Lond. 1906); illustrierte Werke von Davillier (Par. 1873, illustriert von Doré), Simons (illustr. von A. Wagner, Berl. 1880) und dem Erzherzog Ludwig Salvator (Würzb. 1888); Uhde, Baudenkmäler in S. und Portugal (Berl. 1889–92); Lauser, Aus Spaniens Gegenwart. Kulturskizzen (Leipz. 1872); Diercks, Das moderne Geistesleben Spaniens (das. 1883); Parlow, Kultur und Gesellschaft im heutigen S. (das. 1888); Altamira, Psicologia de pueblo español (Madr. 1902); Torres Campos, Staatsrecht des Königreichs S. (Freiburg 1889): Salvani, España à fines del siglo XIX. (Madr. 1891); Grape, S. und das Evangelium. Erlebnisse einer Studienreise (Halle 1896); Routier, L'industrie et le commerce del'Espagne (Par. 1901); neuere Reiseschilderungen von Willkomm, W. Mohr (Köln 1876, 2 Bde.), Laufer (Berl. 1881), de Amicis (deutsch, Stuttg. 1880), Bark (Berl. 1883), Passarge (2. Aufl., Leipz. 1905, 2 Bde.), Th. v. Bernhardi (Berl. 1886), Parlow (Wien 1889), G. Wegener (3. Ausg., Berl. 1897), dem Maler Israels (das. 1900), Kamlah (Düsseld. 1906) u. a. Reisehandbücher von Hartleben (2. Aufl., Wien 1892), Bädeker (3. Aufl., Leipz. 1906), Ford (Murray, 9. Aufl., Lond. 1898), O'Shea (12. Aufl., Edinb. 1902), Black (das. 1892), Germond de Lavigne (Par. 1893); die amtlichen PublikationenAnnuario estadistico de España«, die Handels- und Schiffahrtsausweise, »Guia oficial de España«); die Veröffentlichungen des Instituto geografico y estadistico und der Geographischen Gesellschaft zu Madrid. Karten: Vizaino, Atlas geografico español (Madr. 1860); Weiteres s. Textbeilage »Landesaufnahme« (im 12. Bd.); geologische Übersichtskarten von F. de Botella (1:1,000,000, 1875, und 1:2,000,000, 1880).

Geschichte.

Ob man in den Basken die Reste einer spanischen Urbevölkerung sehen darf, die sich vor einer von Süden herandrängenden Völkerwoge in die nördlichen Randgebirge flüchtete, ist zweifelhaft. Sicher war schon in neolithischer Zeit die ganze Pyrenäenhalbinsel von Iberern bewohnt, einem Volksstamm, dessen Sitze einerseits bis in das südliche Frankreich, anderseits sich über das ganze westliche Nordafrika bis an den Rand der Wüstenzone erstreckten. Im iberischen Gebiete gründeten die Phöniker um 1100 v. Chr. die Kolonie Gadeira (Cadiz), der bald eine größere Anzahl von Küstenniederlassungen von der Meerenge von Gibraltar bis hinauf nach Coruña folgten. Gleichzeitig, wenn nicht gar schon früher, waren einzelne Punkte der Ostküste von Mykeniern, denen später die Griechen folgten, besiedelt worden, und unter diesen Kultureinflüssen von Osten und Westen erlangten die ursprünglich ganz unzivilisierten Iberer einen gewissen Grad von Gesittung, der sie befähigte, die natürlichen Reichtümer ihres Landes nach dem Beispiele der Fremden selbst auszubeuten. Von ihrer Geschichte weiß man so gut wie nichts, unter den iberischen Altertümern aber hat man neuerdings Bildwerke von künstlerischem Wert entdeckt, die neben fremden Einflüssen eine scharf ausgeprägte nationale Eigenart erkennen lassen. Im 6. Jahrh. v. Chr. brachen von Norden her die Kelten in S. ein und nahmen vor allem von dem Norden und Westen der Halbinsel Besitz, wo sie sich fast unvermischt erhielten. Während die Hochplateaus des Innern nach und nach eine keltiberische Mischbevölkerung erhielten, blieben der Osten und Süden auf die Dauer überwiegend iberisch. Zur Bildung größerer Staaten haben es weder Iberer noch Kelten gebracht, vielmehr ist die durch die geographischen Gegebenheiten unterstützte Zersplitterung, die in dem Regionalismus bis in die neueste Zeit auf der Pyrenäenhalbinsel fortlebt, bereits in der frühesten Geschichte des Landes deutlich ausgeprägt. Iberer und Kelten bekämpften einander nicht nur wechselseitig, sondern lagen auch untereinander und mit den Kolonien der Küste fast beständig in Fehde. In solcher Bedrängnis riefen die Phöniker von Gades um 240 v. Chr. die Karthager zu ihrer Hilfe herbei und leiteten damit den Übergang der Vorherrschaft über die Iberische Halbinsel an diese Macht ein. Die karthagische Kriegspartei unter der Führung der Barcas stützte sich wesentlich auf die iberischen Hilfsvölker und erzielte auf der Pyrenäeninsel, wo ihr Barcelona (Barca-Stadt) und Cartagena (Neukarthago) ihren Ursprung verdanken, ihre wertvollsten Erfolge. In dem zweiten Punischen Krieg aber, der zum Teil in S. geführt wurde, verloren sie diese Besitzungen wieder (206). Die Römer suchten nun das ganze Land unter ihre Botmäßigkeit zu bringen, was ihnen jedoch erst nach 200jährigen blutigen Kämpfen gelang. Namentlich die Keltiberer und die Lusitanier (unter Viriathus) leisteten hartnäckigen Widerstand, und die Kantabrer wurden erst 19 v. Chr. unter Augustus bezwungen, der S. anstatt wie bisher in zwei Provinzen (Hispania citerior und H. ulterior) in drei, Lusitania, Baetica und Tarraconensis, einteilte, von welcher letztern größten Provinz unter Hadrian die neue Provinz Gallaecia et Asturia abgezweigt wurde. Nur die Basken behaupteten in ihren Gebirgen ihre Unabhängigkeit. Da die Römer das Land mit vielen Militärstraßen durchzogen und zahlreiche Soldatenkolonien anlegten, so wurde S. sehr bald ein Hauptsitz römischer Kultur und eins der blühendsten Länder des römischen Weltreiches, dem es mehrere seiner tüchtigsten Kaiser (Trajan, Hadrian, Antoninus, Marcus Aurelius, Theodosius) und angesehene Schriftsteller (Seneca, Lucanus, Martialis, Quintilian, Mela, Columella u. a.) gab. Handel und Verkehr blühten, Gewerbe und Ackerbau standen auf einer hohen Stufe, und die Bevölkerung war eine äußerst zahlreiche und begüterte, zum Teil freilich auch sehr sittenlose. Frühzeitig gewann das Christentum hier Anklang und breitete sich trotz blutiger Verfolgungen mehr und mehr aus, bis es durch Konstantinherrschende Religion ward.

Zu Anfang des 5. Jahrh., als der innere Verfall des römischen Reiches auch seine äußere Macht erschütterte, drangen die germanischen Alanen, Wandalen und Sueven verwüstend in S. ein und setzten sich in Lusitanien, Andalusien und Galicien fest. 414 erschienen die Westgoten (s. Goten, S. 152), anfangs als Bundesgenossen der Römer, in S. und verdrängten bald die andern germanischen Stämme; ihr König Eurich (466–484) entriß den Römern auch den letzten Rest ihres Gebietes, und Leovigild unterwarf 585 die ganze Halbinsel der westgotischen Herrschaft. Sein Sohn und Nachfolger Reccared I. trat mit seinem Volk vom arianischen zum katholischen Glauben über (586) und bahnte dadurch die Verschmelzung der Goten mit den Römern zu einem romanischen Volk an. Allerdings hatte dieser Schritt noch die andre Folge, daß die katholische Geistlichkeit übermäßige Macht erlangte und im Bunde mit dem Adel die Erblichkeit der Krone verhinderte, um bei der Wahl jedes neuen Oberhauptes die königliche Gewalt möglichst einzuschränken. Die Konzilien zu Toledo beherrschten den Staat. Als 710 König Witiza von dem Klerus und dem Adel unter Führung des Grafen Roderich gestürzt und getötet wurde, riefen seine Söhne die Araber von Afrika zu Hilfe, die 711 unter Tarik bei Gibraltar landeten und dem westgotischen Reiche nach fast 300jähriger Dauer durch den Sieg bei Jerez de la Frontera (19.–25. Juli d. J.) ein Ende machten. Fast ganz S. wurde in kurzer Zeit von den Arabern erobert.

Herrschaft dee Araber.

Die Araber (Mauren) verfuhren in der ersten Zeit sehr schonend gegen die alten Einwohner und ließen Eigentum, Sprache und Religion derselben unangetastet. Ihre Herrschaft erleichterte den untern Klassen sowie den zahlreichen Juden ihre Lage, und der Übertritt zum Islam verschaffte den hart bedrückten Leibeignen die ersehnte Freiheit. Aber auch viele Freie und Angesehene traten zum Islam über; denen, die Christen blieben (Mozarabes genannt), wurden bloß Steuern auferlegt, sonst Glaube, Gesetze und Rechtsprechung belassen. Den blutigen Fehden, die Ehrgeiz und Herrschsucht der arabischen Häuptlinge in dieser entfernten Provinz des Kalifats hervorriefen, machte 755 der bei der Vernichtung durch die Abbasiden einzig übriggebliebene Sproß der Omaijaden Abd er Rahmân ein Ende, der nach S. flüchtete und hier, vom Volk mit Jubel begrüßt, ein eignes Reich mit der Hauptstadt Cordoba gründete, das er bis zu seinem Tode (788) behauptete und auf seine Nachkommen vererbte. Obwohl diese wiederholte Empörungen zu bekämpfen hatten, so konnten sie doch Künste und Wissenschaften pflegen und die friedliche Entwickelung von Gewerbe, Handel und Ackerbau schützen. Wohlstand und Bildung mehrten sich, und Cordoba ward ein glänzender Herrschersitz. Unter Abd er Rahmân III. (912–961), der den Parteiungen unter den spanischen Arabern ein Ende machte, erreichten Kunst und Wissenschaft derselben ihre höchste Blüte. Volkreiche Städte schmückten das Land; das ganze mohammedanische S. soll an 25 Mill. Einw. gezählt haben. Cordoba hatte eine halbe Million Einwohner, 113,000 Häuser, 3000 Moscheen, darunter die prachtvolle Hauptmoschee, und herrliche Paläste, darunter den Alkazar; mit Cordoba wetteiferten andre Städte, wie Granada mit der Alhambra, Sevilla, Toledo u. a. Der Volksunterricht war vortrefflich organisiert, und die Universitäten der spanischen Muslimin wurden auch von Christen vielfach besucht. Bibliotheken und Akademien wurden auch in den größern Provinzialstädten gegründet. Der Acker- und Gartenbau blühte infolge eines sorgsamen Bewässerungssystems. In gleichem Sinne wie Abd er Rahmân III. regierte sein als Dichter und Gelehrter ausgezeichneter Sohn Hakem II. (961–976), wogegen unter dem schwachen Hischam II. (976–1013) das Kalifat zu sinken begann. Despotismus und Anarchie wechselten miteinander ab: bald zerriß der ganze Reichsverband, wenn die Statthalter und hohen Befehlshaber den Gehorsam verweigerten; bald lag das Land blutend und demütig zu Füßen des Herrschers, wenn diesem die Unterdrückung der Empörer mittels fremder Söldnerscharen gelungen war. Das Volk verfiel in Genußsucht und Verweichlichung und ließ willenlos alles über sich ergehen. Der berühmteste unter den kriegerischen Statthaltern Hischams II. war der aus niederm Stand emporgestiegene Al-Mansur, der, ebenso kunstsinnig und klug wie tapfer und gewalttätig, den Staat mit unumschränkter Macht leitete, in Afrika den Nordwesten mit der Stadt Fes eroberte, Santiago, den heiligen Apostelsitz Galiciens, zerstörte (994) und die Christen in vielen blutigen Fehden überwand. Nach seinem Tode (1002) führte sein Sohn Abd el Malik Modhaffer die Herrschaft bis 1008 im gleichen Sinne fort. Dann aber löste das spanische Kalifat sich auf. Die Statthalter rissen allerorten die Herrschaft an sich; um den Thron wurde mit wilder Erbitterung gekämpft, und der letzte omaijadische Kalif, Hischam III., wurde 1031 durch einen Aufstand in Cordoba gestürzt. Diesen Zustand benutzend, griffen die christlichen Spanier die Araber immer erfolgreicher an und drängten sie allmählich in den südlichen Teil der Halbinsel zurück.

Bis dahin waren auf der Pyrenäenhalbinsel die Araber unzweifelhaft die Träger des Kulturfortschrittes gewesen. Die festbegründete Ordnung ihres Staates, dessen Hilfsquellen nach allen Richtungen hin sorgfältig erschlossen wurden, und die großzügige tolerante Politik, welche die Kalifen gegen ihre Untertanen aller Bekenntnisse (Muselmänner, Christen, Juden) befolgten, hatten es mit sich gebracht, daß sich die alten Bewohner fast ohne Ausnahme der neuen Ordnung unterwarfen. Daran änderte sich zunächst auch dadurch nichts, daß einzelne christliche Individuen in mißverstandenem Glaubenseifer das Martyrium suchten und fanden. Die große Menge der Mozarabes machte sich die Vorteile zunutze, die ihnen die Kalifenherrschaft bot, und stand den Kämpfen in den nördlichen Grenzlanden teilnahmlos gegenüber. Darin erfolgte erst im 12. Jahrh. eine Änderung, als der Zusammenbruch des Kalifats die innere Ordnung störte und den christlichen Königen ein so rasches Vordringen ermöglichte, daß die Araber ihre Stammesbrüder aus Nordafrika zu Hilfe riefen. Obwohl die Berber das Hauptkontingent zu den Eroberern der Pyrenäenhalbinsel gestellt, so hatten sie doch nicht teilgenommen an den kulturellen Errungenschaften des Kalifats von Cordoba. Dagegen war unter ihnen der kriegerische Fanatismus der alten Araber in weit höherem Maße lebendig geblieben. So blickte der Führer der Almoraviden, Jussuf, mit Verachtung auf die entarteten Glaubensgenossen, die er ihrem Schicksal überließ, sobald er bei Zalaca (1086) das Vordringen der Christen zum Stillstand gebracht. Erst nach 1108 begannen die Almoraviden sich in Spanien festzusetzen, und um 1150 folgte ihnen eine zweite Welle berberischer Einwanderung, die Almohaden, nach. Mit dem Eindringen dieser Elemente machte sich aber auch in den maurischen Reichen fanatische Unduldsamkeit geltend und trieb die Mozaraben den christlichen Staaten in die Arme, denen die Ungläubigen in ihrer Zersplitterung einen immer schwächern Widerstand entgegensetzten. Die Lebenskraft des maurischen S. war bereits im 12. Jahrh. gebrochen; nur die Uneinigkeit und Lässigkeit der Christen fristete noch drei Jahrhunderte lang den Fortbestand muslimischer Staaten und ermöglichte die Nachblüte maurischer Kultur in dem Königreiche Granada.

Die christlichen Königreiche.

Für die Weltgeschichte haben die spanischen Königreiche während des Mittelalters ihre Bedeutung hauptsächlich durch den ihnen allen gemeinsamen Kampf für die Rückeroberung des Landes aus der Gewalt der Ungläubigen. In Wirklichkeit sind es aber immer nur einzelne, meist zeitlich eng begrenzte Epochen, in denen der Krieg wider den Halbmond im Vordergrunde des Interesses gestanden hat. Weitaus der größere Teil der mittelalterlichen Geschichte Spaniens besteht in den dynastischen Kämpfen der christlichen Könige untereinander, in denen bei weitem mehr Blut vergossen worden ist als in den Schlachten wider den gemeinsamen Feind.

Auch in den kleinen christlichen Staaten, die am Fuße der Pyrenäen entstanden, war der alte Sinn für die regionale Selbständigkeit scharf ausgeprägt. Neben dem gotischen Königtum, das Pelayo durch den Sieg bei Covadonga (718) in Asturien begründete, behauptete sich ein überwiegend baskisches Fürstentum in Navarra, während der spanische Nordosten, in enger Verbindung mit dem südlichen Frankreich, durch zwei Jahrhunderte hindurch einen Bestandteil des Karolingerreiches bildete. Sobald die christlichen Waffen sich ein weiteres Gebiet eroberten, griff die Zersplitterung, durch die Verhältnisse begünstigt, weiter um sich. Zunächst war noch fast das ganze christliche Gebiet ein schmaler Grenzbezirk im N. des mächtigen Sarazenenreiches. Die Gefahren des Grenzlandes aber verlangten starke Hände und rasche Hilfe, so daß die Statthalter der einzelnen Grenzbezirke einen hohen Grad von Selbständigkeit genossen und nur eine geringe Botmäßigkeit gegenüber der Krone bekundeten, die anfangs, nach gotischer Überlieferung, nicht durch Erbgang, sondern durch Wahl erworben wurde. Das Streben, die Herrschaft in eine erbliche zu verwandeln, machte sich allerdings bei den Königen wie bei den Gaugrafen frühzeitig geltend, und während es in den östlichen Provinzen in der Weise befriedigt wurde, daß das Königtum dem Adel, aus dem es selbst hervorgegangen war, die weitgehendsten Zugeständnisse machte, führte es in den westlichern Landesteilen, nicht zuletzt unter dem Einflusse der Geistlichkeit, die in ihrem eignen Interesse das Gottesgnadentum der Könige proklamierte, zu einer immer schärfern Hervorkehrung des monarchischen Gedankens, so daß Kastilien am Ende des Mittelalters beinahe schon ein absolutes Königtum besaß. Aber es bedurfte langer Zeit und schwerer Kämpfe, ehe das Königtum zu solcher Macht gelangte, daß es den Trotz der großen Vasallen brechen konnte. In den ersten Jahrhunderten der Reconquista war in den Herrschern selbst der Gedanke eines einheitlichen nationalen Königtums noch völlig unentwickelt. Zu wiederholten Malen haben einzelne kraftvolle Monarchen einen mehr oder weniger großen Teil der kleinen Fürstentümer in einer Hand vereinigt, und es sind naturgemäß besonders diese Zeiten der Zusammenfassung der nationalen Kräfte gewesen, in denen die christlichen Waffen ihre hauptsächlichsten Erfolge gegen die Sarazenen erfochten haben. Aber bis an die Schwelle des 13. Jahrh. haben alle diese Herrscher den besten Teil ihres Lebenswerkes dadurch wieder vernichtet, daß sie ihre Reiche unter ihre Nachkommen verteilt und damit nicht nur die Kräfte zersplittert, sondern auch den Grund zu endlosen dynastischen Streitigkeiten gelegt haben, dank denen die Sarazenen Jahrhunderte hindurch sich in ihrem bedrohten Besitz behaupten, von den schwersten Niederlagen und Demütigungen sich immer wieder erholen konnten. Die pietätvolle Auffassung der Nachgebornen hat in dem jahrhundertelangen Ringen zwischen Christen und Sarazenen um den Besitz der Pyrenäenhalbinsel nur das rastlos siegreiche Vordringen des Kreuzes gegenüber den Anhängern des Halbmondes sehen, den ganzen Kampf nur als einen großen Kreuzzug auffassen wollen. In Wirklichkeit sind die Kreuzzugsideen in dem Spanien des Mittelalters nur vereinzelt zum Durchbruch gekommen und haben sich zu voller Stärke erst in dem letzten Ausgange des Kampfes entwickelt. In den frühern Jahrhunderten wiegt entschieden die Machtfrage bei weitem vor, und sie bewirkt es, daß zwischen Mauren und Christen ebensooft Friede und Freundschaft als Haß und Krieg geherrscht hat. Eine ganze Reihe der kleinen christlichen Territorialfürsten ist nicht nur den Kalifen, sondern zum Teil auch ihren schwächlichen Nachfolgern tributpflichtig gewesen; noch öfter haben christliche Könige sarazenische Machthaber unter ihren Schutz genommen und sind ihnen behilflich gewesen, ihre Macht auszudehnen nicht nur auf Kosten andrer Ungläubigen, sondern auch auf Kosten christlicher Rivalen. Manch einer dieser christlichen Könige hat das Blut einer sarazenischen Mutter in seinen Adern gehabt, und manche christliche Fürstentochter ist die Gattin eines Muselmannes geworden. Der Geist religiöser Duldung, der die Herrschaft der spanischen Kalifen ausgezeichnet hat, ist in hohem Maß auch dem christlichen S. des Mittelalters eigen gewesen, und die mudejares, die mohammedanischen Untertanen der christlichen Herrscher, haben ebenso unbehelligt ihrer Religion angehangen als die mozarabes, die christlichen Untertanen der Kalifen. Das niedere Volk des mittelalterlichen S. hat, im ausgeprägten Gegensatze zu spätern Zeiten, dem Kampfe zwischen Kreuz und Halbmond ziemlich gleichgültig gegenübergestanden. Die religiösen Interessen, soweit sie überhaupt in den breiten Schichten des Volkes lebendig waren, hatten von dem Siege der Sarazenen anfänglich so wenig zu fürchten, als sie von dem der Christen zu hoffen hatten, und so wechselten anfangs ganze Städte und Bezirke fast teilnahmlos hin und wieder ihre Herren. Erst als mit den Almoraviden und Almohaden der Geist des mohamedanischen Fanatismus zur Herrschaft gelangte und die Kreuzzugsideen durch die Teilnahme fremder Kämpfer an dem spanischen Glaubenskriege stärker hervorgekehrt wurden, entwickelte sich der religiöse Gegensatz zu der Schärfe, wie er aus dem 15. und 16. Jahrh. geläufig ist. Die christlichen Herrscher hatten aber vorher schon andre Hebel in Bewegung gesetzt, um auch das Volk für ihren Sieg zu interessieren. In den östlichen Fürstentümern und ganz besonders in Katalonien, wo das mittelalterliche Feudalwesen am reinsten zum Ausdruck gelangt ist, ist der Kreuzzugsgeist am wenigsten mächtig gewesen, und die feudalen Herren haben sich dort noch im 16. Jahrh. hauptsächlich auf ihre maurischen Hintersassen gestützt, die sie in vielen Fällen gegen König und Landtag in Schutz zu nehmen Veranlassung hatten. In den westlichen Reichen hatte die Entwickelung einen andern Gang genommen. Die territoriale Ausdehnung erfolgte hier so rasch und ging so sprungweise vor sich, daß es unmöglich gewesen wäre, die Eroberungen nur durch einen feudalen Adel mit einer gleichgültigen Masse von Hintersassen behaupten zu wollen. Die Krone fand aber ein Mittel, die Einwohner selbst für die Behauptung ihrer Unabhängigkeit zu gewinnen, indem sie in den stetig weiter vorgeschobenen Grenzbezirken an Punkten, deren natürliche Festigkeit eine bequeme Verteidigung ermöglichte, immer neue Städte gründete und ihnen weitgehende Vorrechte einräumte dafür, daß sie die Grenzwacht halten halfen. Schließlich mußten auch die feudalen Herren in ihren Gebieten diesem Beispiele folgen, wenn sie nicht gewärtigen wollten, daß ihre Ansiedler in die königlichen Städte davonzögen. Auf diese Weise erlangten die kastilischen Lande frühzeitig ein starkes, selbstbewußtes Bürgertum. Und als wiederholt in langandauernden Minoritäten die Krone bei den Städten Unterstützung gegen die Übergriffe ihrer großen Vasallen suchen mußte, erlangten die Reichsstädte auch für die innere Politik eine hervorragende Bedeutung, die darin ihren Ausdruck fand, daß gegen das Ende des Mittelalters die eigentliche Landesvertretung, die Cortes, sich nur aus den Abgeordneten der Städte zusammensetzte, während Adel und Geistlichkeit zwar dem Herkommen nach die Mitglieder des Kronrates stellten, in den Cortes aber weder Sitz noch Stimme ausübten.

Die äußerlichen Ereignisse der einzelnen Staatengebilde gehören der Territorialgeschichte an. Im allgemeinen charakterisiert sich der Gang der Rückeroberung durch die folgenden Daten. Nach dem Siege bei Covadonga (718) soll Pelayo Canga de Onis zu seiner Hauptstadt gemacht haben; Alfons II. verlegte die Residenz um 790 nach Oviedo. Die Erbteilung Alfons' III. (909) zeigt bereits Asturien, Galicien und Leon in der Hand der Christen, während Kastilien eine eigne Grafschaft unter leonesischer Lehnshoheit bildet. Bis zu Sancho dem Großen, der zu Navarra und Aragon auch die westlichen Reiche an seine Dynastie brachte, hatten alle Landesteile ihre Grenzen schon erheblich nach Süden vorgeschoben; und 1085 wurde Toledo erobert und, die gotischen Überlieferungen wiederaufweckend, zur Reichshauptstadt gemacht. Schon damals sind christliche Heerführer bis Valencia und Almeria am Mittelmeer, bis Cadiz und Algeciras am Gestade des Ozeans vorgedrungen, wenn es auch nicht gelang, die Oberherrlichkeit über die südlichern Emirate dauernd zu behaupten. Vor der Mitte des 12. Jahrh. ist dann die jüngste und letzte Staatengründung auf der Halbinsel erfolgt: nach der Schlacht von Ourique (1139) nahmen die Grafen von Portugal den Königstitel an, und sie wußten nach und nach selbst von Kastilien die Anerkennung ihrer Selbständigkeit durchzusetzen. Fast gleichzeitig geschah im Osten der erste Schritt zur Einheit: 1137 traten durch die Ehe Petronellas von Aragon mit dem Grafen Ramon Berenguer von Barcelona diese Lande in dauernde Verbindung und erreichten mit der Eroberung von Valencia 1238 ihre territoriale Abrundung Mittlerweile war Kastilien im Osten und im Westen bis an die Meeresküsten ausgedehnt worden. 1236 war Cordoba, 1248 Sevilla erobert worden, 1263 fiel Murcia in die Hände der Christen; da auch Granada sich als Vasallenstaat Kastiliens bekannte, war die Halbinsel bis auf wenige Küstenplätze wenigstens nominell den christlichen Herrschern untertan. Daß sich die Mauren noch zwei Jahrhunderte dort behaupten und endlich nur nach einem langwierigen Krieg unterworfen werden konnten, war nur eine Folge davon, daß in Kastilien noch wiederholt dynastische Kämpfe ausbrachen, welche Macht und Ansehen der Krone auf ein Mindestmaß herabdrückten. Für die zukünftige Entwickelung Spaniens hat denn auch nicht Kastilien, sondern Aragon die Bahnen gewiesen. Noch ehe Kastilien endgültig dessen südlicher Grenznachbar geworden, hatten die Herrscher der vereinigten östlichen Reiche ihr Augenmerk nach andern Zielen gerichtet. Die spanische Ostküste war dazu bestimmt, eine Rolle in dem Kampfe um die Vorherrschaft im Mittelmeere zu spielen, und die überlieferten Beziehungen der spanischen Ostmark zu dem Frankenreiche wirkten in der gleichen Richtung. Fürsten aus aragonischem Stamme sind lange Zeit Grafen von Montpellier gewesen, sie haben die Balearen den Mauren, Sardinien und Korsika den Genuesen, endlich Sizilien den französischen Anjou entrissen und teils als Provinz, teils als Sekundogenitur ihres Hauses behauptet. Sie sind aber dadurch schon im 15. Jahrh. nicht nur mitten hineingerissen worden in die Parteikämpfe der kleinen italienischen Potentaten, sondern sie sind auch schon fast zwei Jahrhunderte hindurch in den scharfen politischen Gegensatz zu dem französischen Nachbar hineingedrängt worden, der für die Geschichte des geeinten S. bestimmend gewesen ist.

Tabelle

Die Ehe Ferdinands von Aragon mit Isabella von Kastilien führte ebensowenig zu einem spanischen Einheitsstaat, als es die Verbindung von Aragon und Katalonien in der östlichen Reichshälfte getan hatte. Jedes der spanischen Reiche: Kastilien, Aragon, Katalonien und Valencia, behielt seine eigne Verfassung, seine gesonderte Verwaltung und Landesvertretung. Gemeinsam war ihnen nur die Person des Herrschers. Als nach Isabellas Tode Ferdinand eine zweite Ehe einging, drohte die Einheit noch einmal völlig auseinanderzufallen. Immerhin aber bewirkte die Personalunion so viel, daß nach außen hin die Interessen der verbundenen Reiche gemeinsam vertreten wurden. Den ersten Vorteil davon genoß Kastilien. Zwar der Thronansprüche Alfons' V. von Portugal, der als Bräutigam der Tochter Heinrichs IV. für diese zu den Waffen griff, mußte es sich noch allein erwehren. Aber nachdem 1479 Ferdinand den Thron von Aragon bestiegen, kämpften seine Untertanen Schulter an Schulter mit den Mannen Isabellas in dem mehr als zehnjährigen Ringen, das erst 1492 mit der Einnahme von Granada den letzten Rest maurischer Herrschaft von der Pyrenäenhalbinsel lilgte. Damit hatte Kastilien die mittelalterliche Aufgabe Spaniens gelöst; für die Politik der Zukunft wurden die aragonischen Tendenzen maßgebend. Im J. 1462 hatte Johann II. die französische Hilfe gegen seine aufständischen Untertanen durch die Verpfändung von Roussillon und Cerdagne erkauft; der Vertrag von Barcelona (1493) gab sie Ferdinand zurück, der sich dafür verpflichtete, Karl VIII. freie Hand zu lassen, wenn er die Ansprüche der Anjou auf Neapel gegen die dort herrschende aragonische Bastarddynastie zur Geltung bringen würde. Als aber Italien sich gegen die französische Einmischung erhob, trat Ferdinand nicht nur der heiligen Liga (1495) bei, sondern verdrängte zuerst die Franzosen, dann aber auch seine eignen Vettern aus Neapel und nahm es für sich selbst in Besitz. Derselben antifranzösischen Politik sollten die Ehebündnisse dienen, die Ferdinand und Isabella 1493 mit England und den Niederlanden eingingen, während durch die Vermählung der ältesten Tochter mit dem König von Portugal die Möglichkeit angebahnt werden sollte, auch dieses Reich mit S. zu vereinigen. Ebenso bedeutungsvoll als nach außen war die Politik Ferdinands und Isabellas im Innern. In der aragonischen Reichshälfte waren allerdings erheblichere Veränderungen ausgeschlossen. Das parlamentarische Regiment hatte die Rechte der Krone wie der Untertanen in langer Gewohnheit so fest begrenzt, daß nur eine Revolution erhebliche Änderungen hätte bewirken können. In Kastilien aber lagen die Verhältnisse anders. Dort war in generationenlanger Mißwirtschaft das Ansehen der Krone völlig vernichtet; einem gewalttätigen eigensüchtigen Adel stand nur die geschlossene Macht der Reichsstädte gegenüber, beide eifersüchtig auf ihre Vorrechte und kampfbereit. Die Herrscher konnten nicht zweifeln, auf welche Seite sie sich stützen mußten. Die 1476 begründete »heilige Hermandad« zwang aber nicht nur den unbotmäßigen Adel, von seinen gewalttätigen Übergriffen abzustehen und die mit übeln Mitteln erworbenen Belehnungen zurückzuerstatten, sondern sie lieferte den Herrschern auch reichlich Geld und Truppen für den Krieg gegen Granada und gestattete es. den Einfluß der Regierung auf die Städteverwaltungen erheblich auszudehnen. Die Reformbestrebungen, die sich ebenso auch auf Industrie und Handel, auf Ackerbau und Verkehr, auf Schule und Unterricht erstreckten, führten ganz besondere Ergebnisse auf kirchlichem Gebiete herbei. Es war aufrichtige Frömmigkeit, was Isabella bewog, den Vorkämpfern einer kirchlichen Reform ihre Unterstützung zu leihen; aber mit dem Streben nach Vertreibung der Ungläubigen verband sich das nach Reinhaltung des Glaubens. dem die Einführung der Inquisition (1481), die Ausweisung der Juden (1491) und die Aufhebung der Duldung des maurischen Kultus in Granada (1495) entsprang. Zu den tiefen Erschütterungen, die diese Vorgänge in alle Kreise des Lau des trugen, kam nun noch die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus (s. d.), die dem spanischen Volke neue große Aufgaben stellte, so daß sich ein gewaltiger Umschwung in allen Verhältnissen unter Ferdinand und Isabella teils vollzog, zum größern Teil aber erst vorbereitete.

Die Habsburger.

Nach dem Tode des Thronerben Johann (1497), der ältesten Tochter, Isabella, und ihres Söhnchens Miguel ging die Thronfolge auf die zweite Tochter, Juana, über, die Gemahlin Philipps des Schönen von Burgund. Da diese aber deutliche Beweise geistiger Unzurechnungsfähigkeit gegeben hatte, bestimmte Isabella bei ihrem Tode (1504), daß Ferdinand auch in Kastilien, solange er lebte, die Regentschaft führen sollte. Aber im Bunde mit dem unbotmäßigen Adel verdrängte Philipp 1506 seinen Schwiegervater aus Kastilien. Doch kehrte dieser nach Philipps Tode zurück und stellte die Ordnung wieder her. Nachdem er noch 1512 das Königreich Navarra erobert und seine italienische Politik mit Glück fortgeführt hatte, starb Ferdinand 1516 und hinterließ alle seine Reiche seinem Enkel Karl I. (V.) (1516–56), der von seinem Vater schon Burgund geerbt hatte und von seinem Großvater Maximilian die habsburgischen Lande erben sollte. Seine Thronbesteigung war zunächst das Signal dafür, daß in Kastilien die Ansprüche des unruhigen Hochadels noch einmal auflebten und, da von den Niederlanden aus Fehler über Fehler gemacht wurden, von dem Regenten, dem Kardinal Jimenez, nur unvollkommen niedergehalten werden konnten. Karl aber entfremdete sich, als er 1518 nach S. kam, durch eine unkluge Steuerpolitik auch die Städte, und da sich seine niederländischen Berater überdies durch schamlosen Eigennutz mißliebig machten, so bruch, als Karl schon 1520 S. wieder verließ, um sich zum römischen König krönen zu lassen, eine Revolution aus, die von den unruhigen Elementen der Städte getragen, daher comunidades genannt, aber anfänglich von Adel und Geistlichkeit teils geduldet, teils selbst geschürt wurde. Zunächst brach die in die schwächlichen Hände Adrians von Utrecht gelegte Regierungsgewalt völlig zusammen; aber als in der Bewegung immer radikalere Tendenzen zur Herrschaft gelangten, traten erst der Hochadel, dann die Städte des Südens auf die Seite der Krone, und als das Rebellenheer bei Villalar (1521) eine empfindliche Niederlage erlitt, schüttelten auch die übrigen Städte die Pöbelherrschaft ab, in welche die Revolution ausgeartet war. Fast zu gleicher Zeit hatte eine noch entschiedener soziale Revolution Valencia und die Balearen heimgesucht, und da Frankreich die Gelegenheit zu einem Angriff auf Navarra benutzte, so kam die Regentschaft vorübergehend in arge Bedrängnis, die erst ihren endgültigen Abschluß erreichte, als Karl 1523 nach S. zurückkehrte und nun in ernster Arbeit gut zu machen bemüht war, was bei seinem ersten Auftreten gefehlt worden war. Karl selbst, der ganz als Niederländer aufgewachsen war, gewann je länger je mehr Verständnis und Vorliebe für seine spanischen Reiche; diese dagegen konnten niemals sich mit der weitblickenden universellen Politik aussöhnen, zu der Karl durch die Gesamtheit seiner Lande genötigt wurde. Seine Vermählung mit Isabella von Portugal (1525), seine Kriege gegen Tunis, das er 1535 einnahm, und gegen Algier, von wo er 1541 unverrichteter Sache umkehren mußte, machten ihn wohl zeitweise beliebt und populär, aber schon die langwierigen Kriege mit Frankreich, die doch nur eine Fortsetzung der überlieferten aragonischen Politik bedeuteten, fanden trotz mancher großen Erfolge nicht die nationale Billigung, und seine Bemühungen, S. zu einer großzügigen Politik gegen die Türken fortzureißen, stießen auf hartnäckigen Widerstand, der hauptsächlich darin zum Ausdruck kam, daß die Landesvertretungen ihm konsequent die Mittel versagten, welche die Durchführung seiner Politik erforderte, obwohl das Land sich andauernd eines bedeutenden, wirtschaftlichen Aufschwungs erfreute. Um diesen Widerstand zu überwinden, berief Karl 1538 einen Reichstag, der von allen drei Ständen beschickt wurde, und unterbreitete ihm sein Steuerreformprojekt, nach dem eine allgemeine Verbrauchssteuer eingeführt werden sollte. Die Ablehnung des Projektes durch Adel und Städte verleidete aber dem Könige die Reform, und wenige Jahre später verließ er das Land, um erst nach seiner Abdankung dahin zurückzukehren. Die Thronbesteigung Philipps II. (1556–98) stellte die Harmonie zwischen Fürst und Volk wieder her. Die weltgeschichtliche Rolle, die S. unter Karl V. wider seinen Willen gespielt hatte, faßte sein Nachfolger so ganz vom besondern spanischen Standpunkt auf, daß das Land nunmehr bereitwillig mit ihm Weltpolitik trieb. Von den habsburgischen Landen hatte Philipp noch die Niederlande überkommen, und dort hatte er schon 1552 die Regierung angetreten. Aber er stand den Niederländern noch weit fremder gegenüber als sein Vater den Spaniern, und zu den grundsätzlichen Differenzen, die bald besonders auf religiösem Gebiete zwischen S. und den Niederlanden auftauchten, trat verschärfend die persönliche Abneigung hinzu, die in dem Charakter von Fürst und Volk bedingt waren. Philipp hatte viele Eigenschaften geerbt, die seinen Vater ausgezeichnet hatten. Wie dieser faßte er seinen königlichen Beruf als eine heilige Pflicht auf, über deren Erfüllung er Gott, aber auch nur Gott Rechenschaft schuldig war. Gerecht und eifrig, erfüllte ihn der Wunsch, seine Aufgabe ohne fremde Einmischung zu erfüllen. Dazu aber fehlte ihm der weite sichere Blick, und seine Religiosität hatte eine starke Beimischung des spanisch-nationalen Fanatismus erhalten. In dem Gefühle der Pflicht und ihrer Würde gingen seine liebenswürdigern Eigenschaften verloren. Dem spanischen Volk aber war er ein König nach seinem Herzen, und es ertrug geduldiger seine Mißerfolge als die Siege seines Vaters. Die universale Politik, die Karl getrieben hatte als Monarch der verschiedensten, weit voneinander getrennten Reiche, setzte Philipp II. fort, aber mit dem Anspruch, S. damit die erste Stelle unter den europäischen Mächten zu gewinnen, und der Kampf für die katholische Kirche, den Karl zunächst nur mehr gegen die Ungläubigen führen wollte, übernahm er in erster Linie als einen Kampf gegen die Abtrünnigen, gegen den Protestantismus. Der Reformkatholizismus, der in S. schon zu Beginn des 16. Jahrh. zur Herrschaft gelangt war, machte in der Tat S. mehr als die politisierenden Päpste zu dem Hort und Führer der Katholiken. Philipps Politik war tatsächlich universell, und in allen Ereignissen, welche die zweite Hälfte des 16. Jahrh. gesehen, hatte er seine Hand. In den Niederlanden, in England, in Deutschland und in Frankreich, überall gab S. den Rückhalt für die Altgläubigen ab; der Protestantismus fand sich überall dem gleichen Feind gegenüber. Aber der Kampf war ein verzweifelter, und je länger er währte, desto mehr erlahmten Philipps Kräfte. Di: Niederlande gingen zur Hälfte verloren, zur andern Hälfte erkämpften sie sich wenigstens Duldung, Frankreich entschlüpfte durch den Glaubenswechsel Heinrichs IV. dem Griff Philipps, und England trat nach dem Untergange der Armada (1588) als offener Feind Spaniens auf, dessen Hafenstädte es noch 1596 zu plündern wagte. Auch im Innern hat Philipp zweimal zu den Waffen greifen müssen: 1568–70, um die zur Verzweiflung getriebenen aufständischen Morisken von Granada zu unterwerfen, und 1591, um die Aragonesen zum Gehorsam zurückzuführen, die sich um Antonio Perez (s. d.) willen für ihre Sonderrechte erhoben hatten. Glücklich war die Politik Philipps II. fast nur in Dingen, die dem Könige selbst weit weniger am Herzen lagen: Malta dankte 1566 seine Rettung wesentlich der spanischen Hilfe, und der Sieg von Lepanto, den Don Juan d'Austria mit einer kombinierten Flotte über die Türken erfocht, wurde in erster Linie als ein spanischer Sieg empfunden. Endlich bedeutete die Einnahme von Portugal nach dem Aussterben der einheimischen Dynastie nicht nur die Vereinigung der ganzen Pyrenäenhalbinsel unter einem Herrscher, sondern vor allem auch eine enorme Ausdehnung des spanischen Kolonialbesitzes. Über die Opfer, die diese Politik dem Land auferlegte, täuschte zunächst das stolze Gefühl hinweg, daß S. den Gang der Weltpolitik bestimmte. Gegen Philipp II. hat S. mit seinen Mitteln nicht gekargt, aber da König und Volk einig waren in der Ablehnung der von Karl V. erstrebten Steuerreformpolitik, so wurden die Lasten, die den produktiven Kräften des Landes aufgebürdet wurden, nach und nach unerschwinglich. Ein dreimaliger, kaum verhüllter Staatsbankrott trug Unsicherheit in Handel und Wandel hinein und machte die Schwierigkeiten der Lage doppelt fühlbar, und da trotzdem die ganze Aufmerksamkeit fortdauernd auf die äußere Politik gerichtet blieb, so wuchsen die innern Übelstände in bedenklicher Weise an.

Unter solchen Umständen wurde der neue König Philipp III. (1598–1621) mit freudigen Erwartungen begrüßt, und ein Umschwung trat in der Tat ein. Der Anspruch auf die Vormachtstellung des Katholizismus wurde allerdings auch im 30jährigen Kriege aufrecht erhalten, aber mit den Niederlanden wurde 1607 ein zwölfjähriger Waffenstillstand abgeschlossen und die aggressive Politik gegen England und Frankreich eingestellt. Dagegen erwies sich die Herrschaft eines allmächtigen Ministers, des Herzogs von Lerma, den innern Reformen nicht günstig, und die Austreibung der Morisken (1607) beraubte das Land abermals vieler so nötigen Arbeitskräfte. Nur dem künstlerischen und literarischen Aufschwunge erwies sich die Veränderung im Hofhalt außerordentlich günstig und bereitete die Blüte vor, die den Hof Philipps IV. (1621–65) tonangebend für alle Zeitgenossen gemacht hat. Unter diesem und dem Herzog von Olivarez nahm S. auch nach außen hin wieder eine energische Politik, nicht ohne teilweise Erfolg damit zu erzielen, auf, und innere Reformen sollten dazu helfen, die Lethargie abzuschütteln, in die S. versunken war. Das Wiederaufleben des Gegensatzes zu Frankreich ward aber dem Lande verhängnisvoll. 1640 brachen gleichzeitig in Portugal und Katalonien separatistische Bewegungen aus, welche die Regierung nicht zu unterdrücken vermochte. Olivarez wurde darüber gestürzt, aber es trat kein ebenbürtiger Staatsmann an seine Stelle. Nur mit Anspannung aller Kräfte ward Katalonien zurückgewonnen, und Frankreich, das unter Richelieu einen starken Aufschwung genommen hatte, mußte durch Preisgabe niederländischen Gebietes befriedigt werden. Unter dem schwächlichen Karl II. (1665–1700) ging es weiter mit der Machtstellung Spaniens abwärts. Portugal wurde 1668 endgültig preisgegeben, und während am Hofe kleinliche Intrigen alle Kräfte lahmlegten, breitete Frankreich seine Macht immer weiter auf Kosten Spaniens aus. Als das kinderlose Ableben des Königs vorauszusehen war, wurde der Hof vollkommen von den Gesandten der an der Erbschaft interessierten Mächte beherrscht, während die europäische Diplomatie sich anschickte, dem Könige vorzuschreiben, wie erin seinem Testamente verfügen solle.

Die Bourbonen.

Aus dem Spanischen Erbfolgekriege (s. d.) ging Philipp V. (1700–46) als Sieger hervor. Persönlich war er den letzten Habsburgern kaum überlegen. Aber in seinen Ratgebern, der Prinzessin Orsini, dem Kardinal Alberoni und seiner zweiten Gattin, Elisabeth Farnese, gewann er neue Kräfte, die ihm die Erfahrungen einer neuen Staatskunst, wie sie inzwischen in Frankreich ausgebildet worden war, zunutze zu machen wußten. Unter ihm wurde endlich ganz S., nur mit Ausnahme der baskischen Provinzen, als Einheitsstaat organisiert, und Orry, Ripperda und Patiño begannen das Finanzwesen, die Industrie und den Handel auf gesündere Bahnen zu lenken. Mit überraschender Schnelligkeit erholte sich das Land und eroberte auch nach außen hin eine geachtete Stellung zurück. Im Interesse ihrer Söhne konnte Elisabeth Farnese sogar die Ausdehnungspolitik in Italien wieder aufnehmen und spanische Sekundogenituren in Parma (1732) und Neapel (1735) errichten. Die eigentliche Reformperiode begann aber mit der Thronbesteigung Ferdinands VI. (1746–1759), der endlich dem Lande dauernden Frieden nach außen verschaffte. Dadurch begünstigt, konnte Ensenada es unternehmen, das Land mit allen den Reformen zu beglücken, die der aufgeklärte Despotismus zu verbreiten vermochte. Die maßgebende französische Schablone paßte allerdings nicht überall auf die besondern Verhältnisse Spaniens, und dadurch bereitete sich eine Spaltung vor, die dem Land verhängnisvoll geworden ist. Zunächst aber war die Regierung ernstlich und mit Erfolg bestrebt, in Ackerbau und Industrie, in Handel und Verkehr, in Unterricht und Wissenschaft, in Finanz- und Militärwesen auch in S. die Reformen einzuführen, mit denen andre Länder vorangegangen waren.

Ein noch rascheres Tempo nahm die Reformbewegung an, als Karl III. (1759–88) seinem Halbbruder folgte. Seine Minister waren entweder, wie Grimaldo und Squillaci, selbst Ausländer, oder hatten, wie Aranda und Floridablanca, ihre staatsmännische Vorbildung im Ausland empfangen. Vor allem aber war Karl III. selbst mehr Italiener als Spanier und besonders auf religiösem Gebiete weit entfernt von dem altspanischen kirchlichen Geiste, so daß er die Inquisition wesentlich einschränkte und 1767 die Jesuiten aus dem Lande verbannte. Damit wurde jedoch die Kluft immer weiter, welche die verschiedenen Schichten des spanischen Volkes trennte. Die breite Masse des Volkes, nach wie vor unter dem Einfluß eines vielfach geistig rückständigen Klerus, allen Änderungen abhold und mißtrauisch gegen alles, was vom Ausland kam, entfremdete sich mehr und mehr dem König und der Regierung, während die obern Gesellschaftsschichten von französischen Vorbildern nicht nur fortschrittliche, sondern vielfach geradezu revolutionäre Anschauungen übernahmen, je mehr dieselben von Frankreich aus sich zu verbreiten begannen. Der Übelstand begann gefährlich zu werden, als mit Karl IV. (1788–1808) ein persönlich schwächlicher Monarch zur Regierung gelangte, der alle Macht in die Hände eines wenig würdigen Ministers legte. Godoy, gleichermaßen der Günstling Karts IV. wie seiner Gattin Marie Luise, verfolgte im Innern durchaus die fortschrittliche Politik seiner Vorgänger, erntete damit aber in erhöhtem Maßstabe das Mißtrauen des Volkes, ohne die obern Schichten versöhnen zu können. Schließlich kam die Katastrophe von außen. Karl III. hatte 1761 mit Frankreich den sogen. bourbonischen Familientraktat geschlossen, der die beiden Staaten verpflichtete, wechselseitig für einander einzustehen. Von Anfang an hatte S. unter dieser Abmachung zu leiden, die es wiederholt in Krieg mit England verwickelte und es nötigte, den Abfall der englischen Kolonien in Nordamerika zu unterstützen. Schließlich ergriff Karl IV. um seinetwillen die Waffen gegen die Mörder Ludwigs XVI., erlitt aber eine solche Niederlage, daß er als der erste unter den Monarchen Europas Frieden mit der Republik schließen und später ein Bündnis mit dem Ersten Konsul eingehen mußte. Napoleon machte sich die Unfähigkeit Godoys reichlich zunutze, gleichzeitig aber machte er der altspanischen Partei, die den Thronfolger Ferdinand auf den Schild erhoben hatte, falsche Hoffnungen, so daß diese, während französische Truppen die Halbinsel überschwemmten, Godoy stürzte, Karl IV. zur Abdankung nötigte und Ferdinand VII. im Triumph als König nach Madrid führte. Napoleon dagegen warf sich zum Schiedsrichter auf zwischen Vater und Sohn, wußte beide nach Bayonne zu locken und erzwang dort von beiden den Verzicht auf die Krone, die er seinem Bruder Joseph Bonaparte übertrug. Die französierten obern Schichten der Bevölkerung nahmen den Schlag geduldig hin und huldigten dem neuen Herrscher.

Der Unabhängigkeitskrieg.

Die Volksmassen aber erhoben sich. Madrid gab dazu durch den völlig aussichtslosen Aufstand des 2. Mai 1808 das Zeichen; aber während die Hauptstadt sofort wieder unterworfen wurde, glimmte das Feuer in allen entlegenern Landesteilen weiter, führte zur Bildung von zahlreichen Provinzial- und Lokaljunten, in denen trotz aller selbstischen Intrigen und kleinlichen Zwistigkeiten ein Kern des Widerstandes geschaffen wurde. In Andalusien bildeten die Anhänger Ferdinands sogar mit dem Kardinal von Bourbon an der Spitze eine provisorische Regierung, deren Autorität zwar von allen Seilen bestritten wurde, die aber trotzdem den ersten Angriff von seiten der Franzosen auf sich zog. Napoleon hatte die Aufgabe in die Hände der Generale Dupont und Vedel gelegt, während auf spanischer Seite Castaños den Oberbefehl über die schlecht ausgerüsteten und noch schlechter organisierten Aufgebote führte. Die Siegeszuversicht der Franzosen einem solchen Feinde gegenüber wurde ihnen aber verhängnisvoll. Dupont ließ sich von Castaños in eine Falle locken und mußte 28. Juli mit seiner ganzen Abteilung die Waffen strecken. Nur wenigen Regimentern gelang es, sich zu den Truppen Monceys zu retten, der vergeblich den Versuch gemacht hatte, den Aufständischen Valencia zu entreißen. Diese unerwarteten Erfolge führten eine entscheidende Wendung herbei. Sie stärkten einerseits außerordentlich das Vertrauen der Unabhängigkeitskämpfer in ihre eigne Kraft, anderseits bewogen sie England, der Erhebung seine Unterstützung zu leihen, die zunächst in Geld, in Waffen und in Organisatoren bestand, dann aber auch zur Entsendung englischer Truppen auf den spanischen Kriegsschauplatz führte. Zunächst zeigte es sich sehr bald, daß der Sieg von Bailen mehr der Unvorsichtigkeit der Franzosen als der Kraft der Freiheitskämpfer zu danken war. Allerdings leisteten Saragossa, Gerona und Valencia glänzenden Widerstand; als aber Napoleon selbst die Leitung der Operationen mit gewohnter Energie in die Hand nahm, wurden die Spanier nach allen Richtungen hin zurückgedrängt. König Joseph, der im ersten Schreck aus Madrid geflohen war, konnte schon 22. Jan. 1809 dahin zurückkehren. Nach einer zweiten Belagerung fiel Saragossa 20. Febr. 1809 in die Hände der Franzosen, die erste Landung englischer Hilfstruppen unter Wellington in Portugal führte nur zu vorübergehenden Erfolgen; auch ein zweites Hilfskorps unter Moore mußte trotz eines strategisch meisterhaften Rückzuges das Land räumen und sich 17. Jan. 1809 in Coruña wieder einschiffen. Allein Napoleon wurde durch wichtigere Aufgaben aus S. zurückgerufen, seine Generale besaßen weder seine Energie, noch waren sie einmütig in ihrem Handeln; und wo immer die französischen Truppen den Platz räumen mußten, da erhoben sich ungesäumt die Freiheitskämpfer wieder und suchten, wenn auch nur im Kleinkriege, dem Gegner Abbruch zu tun. Die provisorische Regierung hatte nach den ersten Mißerfolgen das Vertrauen des Volkes verloren. Sie war durch eine Zentraljunta ersetzt worden, die aber tatsächlich ebensowenig Autorität ausübte wie jene. Sie diente vielmehr nur als der Sammelpunkt für alle diejenigen Elemente, die große Ansprüche erhoben und möglichst viel Anerkennung gegen möglichst bescheidene Leistungen einzutauschen hofften. Im Kampfe stand jede Provinz, jede Lokaljunta, jede Freischar für sich selbst, besonders nachdem die Zentraljunta selbst zum Kleinkrieg (guerilla) aufgerufen hatte. In dieser Kampfart, die dem Unabhängigkeitsdrang und der Abneigung gegen jede Unterordnung im Volke freie Bahn ließ, wurde allerdings Außerordentliches geleistet. Die französischen Heere und die Regierung Josephs waren nur so weit Herren des Landes, als sie es militärisch besetzt halten konnten. Ihre Verpflegung, ihre Verbindungen untereinander und mit ihrer Operationsbasis in Südfrankreich waren beständig bedroht und wurden bald da, bald dort unterbrochen. Dennoch wäre die Erhebung jedenfalls mit der Zeit unterlegen, wenn sie ausschließlich auf ihre eignen, planlos vergeudeten Kräfte angewiesen geblieben wäre. Im Frühjahr 1809 machten die Franzosen bedeutende Fortschritte. Die Siege von Ciudad Real (27. März) und Medellin (28. März) nötigten die Zentraljunta, nach Sevilla zu flüchten. Das erneute Eingreifen eines englischen Heeres unter Wellington, der Portugal und Galicien säuberte, und Jourdan bei Talavera (27.–28. Juli) schlug, schuf ihr vorübergehend Luft. Aber als Wellington bald darauf nach Portugal zurückweichen mußte, die Spanier aber, statt mit ihm zusammen zu operieren, eigenmächtig gegen die Franzosen vorgingen, wurden sie 11. Aug. bei Almonacid und 19. Nov. bei Ocaña so empfindlich geschlagen, daß sie auch Andalusien preisgeben mußten. Die Zentraljunta flüchtete nach Cadiz und legte dort 2. Febr. 1810 ihre Gewalt in die Hände einer fünfgliederigen Regentschaft nieder, nachdem sie zuvor noch die Berufung konstituierender Cortes angebahnt hatte. Als die Franzosen die Isla de Leon von der Landseite blockierten, hätten die Spanier jeden Widerstand aufgeben müssen, hätte ihnen nicht England die Verbindung über See offen gehalten. Es war den Franzosen unter Massena nicht gelungen, Wellington zur Räumung Portugals zu zwingen; in den Linien von Torres Vedras behauptete er sich so lange, bis die Schwierigkeiten der Verpflegung auf französischer Seite und das Eintreffen von Verstärkungen im eignen Lager es ihm ermöglichten, wieder die Offensive zu ergreifen. Da die Vorbereitungen zum russischen Feldzuge den Nachschub für die französischen Heere hemmten, konnte er bedeutende Erfolge erzielen; bei Ciudad Rodrigo (19. Jan. 1812), Badajoz (7. April), Salamanca (22. Juli), überall wurden die Franzosen zum Rückzug gezwungen, und 12. Aug. zogen die Sieger in Madrid ein, das sie allerdings noch nicht dauernd behaupten konnten. Die Katastrophe in Rußland veränderte aber die Lage völlig. Während der Guerillakrieg mit erneuter Energie aufflammte, mußten die Franzosen darauf bedacht sein, ihre Kräfte rückwärts zu konzentrieren. Am 27. Mai 1813 verließ König Joseph mit dem französischen Heere die Hauptstadt, um nicht wieder dahin zurückzukehren. Am 21. Juni erfocht der eifrig nachdrängende Wellington bei Vitoria noch einen entscheidenden Sieg, der die Franzosen nötigte, über die Pyrenäen zurückzugehen. Die meisten Provinzen waren schon vorher geräumt worden. Die Unterstützung, welche die Engländer in diesem Kampfe von seiten der Spanier erfahren hatten, war eine sehr unregelmäßige gewesen, vor allem hatte die Zentralregierung dafür herzlich wenig getan. Nach der Auflösung der Zentraljunta, als sich die Herrschaft der Regierung nicht mehr über die Isla de Leon hinaus erstreckte, hatte eine radikale Partei nach dem Vorbilde des französischen Konvents die Rettung des Vaterlandes dadurch in die Hand genommen, daß sie einen gänzlichen Umsturz der Verfassung vornahm. Sie hatte schon im Oktober 1809 die Berufung von konstituierenden Cortes nach Cadiz durchgesetzt. Da aber bei dem Zustande des Landes an eine reguläre Wahl von Vertretern gar nicht zu denken war, so setzte sich die Versammlung zu einem erheblichen Teil aus den strebsamen Politikern zusammen, die der Zentraljunta gefolgt waren und nun zu Vertretern ihrer Heimatbezirke designiert wurden. Es war nur natürlich, daß in den Debatten der ödeste Doktrinarismus sich breit machte und in der Verfassung von 1812 eine Utopie schuf, deren Verwirklichung auch in einem politisch reifern Lande als S. unmöglich gewesen wäre. Diese Verfassung stellte das Prinzip der Volkssouveränität an die Spitze, erklärte alles Kirchengut als Nationaleigentum, hob die Privilegien des Adels auf, beschränkte die Macht der Krone auf ein Mindestmaß und übertrug fast alle Hoheitsrechte auf die Landesvertretung. Da die Vollendung der Verfassung annähernd mit den endgültigen Erfolgen auf dem Schlachtfelde zusammenfiel, hielten die Cortes auch die Befreiung des Vaterlandes für ihr Verdienst, zogen im Januar 1814 triumphierend in Madrid ein und beschlossen, Ferdinand VII. (1814–1833) nicht eher als König anzuerkennen, als bis er den Eid auf das Verfassungswerk geleistet haben würde.

Spanien unter Ferdinand VII.

Ferdinand war inzwischen von Napoleon aus seiner Hast entlassen worden und hatte sich durch Katalonien nach Valencia begeben, wo ihn General Elio an der Spitze eines Heeres von 40,000 Mann erwartete. Aus der Mitte der Cortes selbst war ihm gleichzeitig die Aufforderung zugegangen, die Verfassung nicht anzuerkennen, und da dies unverkennbar der Wunsch der erdrückenden Mehrheit des spanischen Volkes war, ließ er im Mai 1814 die Cortes aus Madrid verjagen und ergriff als absoluter Monarch die Zügel der Regierung. Der Gebrauch, den er von feiner königlichen Gewalt machte, war allerdings kein guter. Ferdinands Erziehung war in seiner Jugend arg vernachlässigt worden; unter einem beständigen Drucke lebend, war er feig und unaufrichtig geworden, und die französische Gefangenschaft hatte seinen Charakter ebenfalls nicht günstig beeinflußt. Er war von der altspanischen Partei politisch emporgetragen worden, und dieser übermittelte er alle Macht, nachdem er den Thron eingenommen hatte. Die Reaktion wurde dadurch nur um so heftiger, daß der Liberalismus zuvor in der radikalsten Form sich breit gemacht hatte. So kehrte jetzt Priesterherrschaft und Inquisition, Despotismus und Rückständigkeit in allen Zweigen der Staatsverwaltung zurück. In S. selbst litten darunter unmittelbar nur die Kreise, die in dem revolutionären Liberalismus ihren Vorteil gesucht hatten. Weit schwieriger aber gestaltete sich das Problem in den spanischen Kolonien. Diese hatten sich im J. 1808 fast ohne Ausnahme zugunsten Ferdinands VII. gegen Joseph Bonaparte erhoben, und die englische Seeherrschaft hatte sie vor ernstlicher Bedrängnis geschützt, so daß sich fast in allen Provinzen provisorische Regierungen bilden konnten. Die Kunde von dem spanischen Verfassungswerke war dort, mit dem Beispiele der Vereinigten Staaten vor Augen, mit besonderm Interesse verfolgt worden, und es hatte stürmische Entrüstung erregt, daß die Cortes die Kolonien durchaus in der frühern Abhängigkeit belassen wollten. Das führte die ersten Abfallbestrebungen herbei, die bestimmtere Gestalt gewannen, als Ferdinand auch hierin nicht nur an dem alten Zustande festhielt, sondern auch denselben da, wo er beeinträchtigt worden war, mit Waffengewalt wiederherstellen wollte. Dazu aber bedurfte es eines bedeutenden Truppenaufgebotes, und es mußten wiederholt erhebliche Truppenmengen zu diesem Zweck aus der Heimat entsendet werden. Zu denen, die mit der Regierung Ferdinands wenig zufrieden waren, gehörte aber auch der größte Teil des Offizierkorps. Überwiegend verdankte dasselbe sein Emporkommen den ungeordneten Verhältnissen des Unabhängigkeitskampfes, während dessen jede Lokaljunta und jeder erfolgreiche Parteigänger seine Anhänger durch Beförderung bel ahnt hatte. Die Wiederkehr eines geordneten, aber aussichtslosen Friedensdienstes war diesen Männern ebenso unsympathisch als der Kampf wider die Aufständischen in den Kolonien. Geheime Gesellschaften breiteten sich rasch im Heer aus, und als im Herbst 1819 abermals ein größeres Truppenkontingent bei Cadiz zum Zwecke der Einschiffung nach Amerika zusammengezogen wurde, gab Riego in Las Cabezas de San Juan 1. Jan. 1820 das Zeichen zum Aufstande. Die Verfassung von 1812 wurde nur deshalb zum Schlagwort der Aufständischen erwählt, um auch unter den Zivilisten Anhang zu gewinnen. Während aber die Militärrevolte kläglich im Sande zu verlaufen drohte, führte die radikale Erhebung dem Aufstande neue Kräfte zu, und die Schwäche der Regierung, die ihre eigne Sache preisgab, ehe es zum Kampfe kam, führte die Entscheidung herbei. Durch Volkstumulte eingeschüchtert, von seinen Ministern im Stiche gelassen, ließ sich Ferdinand 7. März 1820 das Dekret abringen, das die Verfassung von 1812 wiederherstellte. Der Freudentaumel, den diese Entscheidung hervorrief, vermochte nur kurze Zeit darüber zu täuschen, daß die Revolution weder ein Regierungsprogramm mitbrachte, nach auch, in sich selbst uneinig, nur die Kraft besaß, die Ordnung aufrecht zu erhalten. In Madrid suchte ein schwaches Ministerium Perez de Castro sich dadurch am Ruder zu behaupten, daß es jeden Versuch des Königs, die Verfassung von 1812 wenigstens in einem monarchischen Sinne zu handhaben, durch demagogische Tumulte einschüchterte. Im übrigen verfolgten die Anhänger der revolutionären Regierung alle, die sie im Verdacht andrer Gesinnungen hatten, und führten damit selbst den Zusammenschluß aller gemäßigtern Elemente herbei. Binnen kurzem befand sich das ganze Land im Zustande der Anarchie. und allerorten standen die Parteien einander mit den Waffen gegenüber. Nach zwei Jahren fühlten sich die Nachbarstaaten durch diesen Herd revolutionärer Demagogie bedroht, und die Heilige Allianz betraute Frankreich mit der Aufgabe, die monarchische Ordnung in S. wiederherzustellen. Das französische Interventionskorps unter dem Herzog von Angoulême stieß nirgends auf ernstlichen Widerstand. Zumeist fanden die Royalisten bei seinem Nahen von selbst den Mut, die Beamten der revolutionären Regierung zu verjagen. Das Ministerium nötigte zwar den König, mit ihm nach Sevilla, dann nach Cadiz zu flüchten, da aber die meisten Generale zur Sache des absoluten Königs übertraten und Cadiz mit revolutionären Phrasen allein nicht behauptet werden konnte, legten sie 29. Sept. 1823 die Gewalt in die Hände des Königs zurück und flüchteten ins Ausland. Ferdinands Rache war ebensowenig edel, als es das Verhalten der Revolution gewesen war. Die politische und kirchliche Reaktion gelangte zu unbeschränkter Herrschaft und erhielt damit nur die Gegensätze lebendig, die zum Gedeihen des Landes versöhnt werden mußten. In dreimaliger Ehe war Ferdinand kinderlos geblieben, so daß sein Bruder Don Carlos allgemein als Thronfolger angesehen wurde. Erst seine vierte Gattin, Marie Christine von Neapel, schenkte ihm zwei Töchter, Isabella, geb. 1830, und Luisa Ferdinanda, geb. 1831. Sobald sich die Aussicht auf Nachkommenschaft eröffnete, hatte Ferdinand die bereits 1713 von Philipp V. hervorgesuchte kastilische Thronfolgeordnung durch eine Pragmatische Sanktion vom 29. März 1830 wieder in Kraft gesetzt, nach der auch die weibliche Thronfolge zu Recht bestand. Er hatte damit selbst das Zeichen zu einem erbitterten Kampfe gegeben, der die letzten Jahre seines Lebens beunruhigte, denn mit Don Carlos war die altspanisch-kirchliche Partei eifrig bemüht, ihn zur Zurücknahme der Maßregel zu bewegen, während die schon bei seinen Lebzeiten zeitweilig zur Regentin ernannte Königin durch die Verhältnisse gezwungen wurde, sich auf die fortschrittlicher gesinnten Elemente des Volkes zu stützen. Sobald Ferdinand die Augen geschlossen hatte (29. Sept. 1833), artete der Gegensatz in offenen Kampf aus.

Spanien unter Isabella II.

Dem Testamente des Königs gemäß hatte Marie Christine für ihre Tochter Isabella II. als Regentin die Regierung übernommen. Aber auch Don Carlos nahm jetzt den Königstitel an und fand, von den regionalen Sonderbestrebungen unterstützt, besonders im Norden und Osten der Halbinsel einen zahlreichen Anhang, der es ihm ermöglichte, ein stattliches Heer unter einem vortrefflichen Führer, Zumala-Carregui, ins Feld zu stellen und seine Herrschaft besonders in Navarra und den baskischen Provinzen fest zu organisieren. Die bedeutende Überlegenheit der Regierung Isabellas II. (1833–68) kam zunächst deshalb nicht zur Geltung, weil dieselbe sich nicht nur der über das ganze Land verstreuten Anhänger der altspanischen Überlieferungen. als deren Vertreter Don Carlos sich geschickt aufzuspielen wußte, zu erwehren hatte, sondern daneben mit der Uneinigkeit der Liberalen zu rechnen hatte. Eine allgemeine Amnestie hatte den Revolutionären von 1812 und 1820 die Rückkehr in die Heimat ermöglicht, und ein großer Teil dieser Männer kehrte mit demselben demagogischen Doktrinarismus zurück, an dem sie schon zweimal Schiffbruch gelitten hatten. Dieser Partei, die sich Progressisten nannten, war die von dem Ministerium Martinez de la Rosa ausgearbeitete Verfassung, das Estatuto Real, bei weitem nicht liberal genug, und während draußen die Reaktion unter Don Carlos immer bedrohlicher vorrückte, betrieben sie ihre demagogischen Künste so lange, bis die Regentin, durch eine lange Reihe von Pöbelaufständen geängstigt, durch den Aufruhr von San Ildefonso (12. Aug. 1836) sich die Anerkennung der Verfassung von 1812 abringen ließ, an der ein Ministerium Calatrava nur bescheidene Abänderungen in gemäßigtem Sinne durchzusetzen vermochte. Während so am Sitze der Zentralregierung die Doktrinäre an der Arbeit waren, die Autorität der Staatsgewalt in blindem Eigensinn zu untergraben, wuchsen ihnen an der Peripherie unabhängige Kräfte über den Kopf.

Wie im Unabhängigkeitskriege, so kämpfte auch jetzt wieder das Heer, ohne sich zunächst um die politischen Zwistigkeiten zu bekümmern, gegen den Feind, der die Existenz des Gesamtstaates bedrohte. Die Karlisten hatten eine Zeitlang bedeutende Fortschritte gemacht; im Sommer 1837 hatten sie Madrid bedroht, und unter diesem Eindruck erhaben ihre Anhänger im ganzen Land das Haupt. Die Regentin begann sogar Unterhandlungen, um durch Isabellas Vermählung mit dem Sohne des Don Carlos den Frieden herzustellen, die nur an dem Anspruche scheiterten, daß auch sie die Rechtmäßigkeit der karlistischen Thronfolge anerkennen sollte. Erst die Uneinigkeit, die im karlistischen Lager ausbrach, verhalf den Generalen Isabellas zu nachhaltigen Erfolgen, die darin ihren Abschluß fanden, daß Espartero 31. Aug. 1839 mit Maroto den Vertrag von Vergara abschloß, nach dem die Karlisten die Waffen niederlegten. Auch auf dem Kriegsschauplatze war schließlich die Politik nicht untätig geblieben, sie hatte nur andre Formen angenommen als in den Ministerien und vor den Cortes. Die Militärpartei, die aus eigner Machtvollkommenheit den Krieg beendet hatte, war durchaus nicht gewillt, nun in patriotischer Aufopferung diese Erfolge einem Ministerium zu Füßen zu legen, das unterdessen seine Zeit mit doktrinären Spitzfindigkeiten vergeudet hatte. Die Regentin war ganz bereit, Espartero als ihren Berater anzunehmen, aber die Militärpartei ließ sie bald empfinden, daß sie ihre Macht nicht mit ihr teilen, sondern selbst herrschen wollte. Am 12. Okt. 1840 wurde Marie Christine genötigt, abzudanken, und 8. Mai 1841 ließ sich Espartero zum Regenten ernennen. Zum Zwecke dieses Staatsstreiches hatte sich Espartero und die Militärpartei, die Ayacuchos, mit der Gruppe der fortgeschrittenern Liberalen, den Progressisten, verbunden, obwohl ihre Freisinnigkeit nur eine sehr äußerliche war. Dennoch ließ Espartero dem Ministerium und den Cortes auf politischem Gebiete durchaus freie Hand, so daß eine Menge fortschrittlicher Maßnahmen unter seiner Regentschaft verwirklicht werden konnten. Dagegen kam er sehr bald über Personenfragen mit den Progressisten in Konflikt, weil er sich entschieden weigerte, seine eignen Anhänger aus gewissen Stellen zu entfernen, nur um Parteipolitikern Platz zu machen. Die Progressisten bestanden aber zunächst noch wesentlich nur aus einer Gruppe jüngerer ehrgeiziger Kräfte, die mit Hilfe des neuen Programms neben den alten Parteien sich einen Platz zu erringen strebten, und deshalb nahm der Konflikt immer mehr einen erbitterten Charakter persönlicher Feindschaft an. Wie wenig die Progressisten mit ihrem Anhang regierungsfähig waren, zeigte sich schon darin, daß sie trotz der Herrschaft im Ministerium und in den Cortes kein andres Mittel gegen Espartero zu finden wußten als ein Bündnis mit den Gemäßigt-Liberalen, den Moderados, und der vertriebenen Regentin, Marie Christine, die den Hauptanteil von dem Gelde hergab, mit dem über das ganze Land hin ein Netz von Verschwörungen und Aufständen verbreitet wurde. Als es den Militärführern der Verbündeten, Prim und Serrano für die Progessisten, Narvaez und O'Donnell für die Moderados, gelang, die militärische Aktion gegen den Aufstand lahm zu legen, flüchtete Espartero 30. Juli 1843 ins Ausland, und die herrschenden Parteien erklärten die Königin 8. Nov. für mündig. Das unnatürliche Bündnis führte aber zum Zerfall der progressistischen Partei; am Hofe herrschten von Anfang an die Moderados, und nachdem Olózaga mit dem Versuch gescheitert war, diesen Einfluß zu brechen, leitete ein abtrünniger Progressist, Gonzalez Bravo, zu einem Ministerium Narvaez über von ausgesprochen konservativem Charakter, das Marie Christine zurückberief, mit Rom eine Verständigung herbeiführte und mit eiserner Faust die Ruhe in dem seit 10 Jahren fast von ununterbrochenen Revolutionen heimgesuchten Lande herzustellen bemüht war. Die Verfassung wurde 1845 in monarchischem Sinne revidiert, die Finanzen verbessert, die Königin 10. Okt. 1846 mit ihrem Vetter Franz von Assissi vermählt, nachdem die Königin-Mutter sich vergebens für den Herzog von Trapani, Louis Philippe für seinen Sohn, den Herzog von Montpensier, verwendet hatte, der sich mit der Hand der jüngern Schwester, Luisa Ferdinanda, begnügen mußte. Die Moderados behaupteten sich bis 1854 am Ruder, allerdings unter häufigem Wechsel der Ministerien und der politischen Haltung. Ernstlich bedroht war ihre Herrschaft jedoch nur einmal im J. 1847, als Serrano sich der persönlichen Gunst Isabellas II. erfreute und auf diesem Wege die Progressisten wieder zur Regierung zu bringen versuchte. Der Plan scheiterte aber an der Energie von Narvaez, dem es gelang, das Ansehen der Krone so weit zu kräftigen, daß S. ohne ernstere Uuruhen durch die Revolutionskrisis von 1848 hindurchkam. Da aber Narvaez aufrichtig bestrebt war, die liberalen Parteien zu versöhnen, während am Hofe der wachsende Einfluß der Königin-Mutter und des König-Gemahls mehr und mehr auf eine absolutistische Politik hindrängte, so kam immer ausgesprochener der rechte Flügel der Moderadopartei zur Geltung, während selbst so streng monarchisch-gesinnte Männer, wie Narvaez, in die Opposition gedrängt wurden. Immerhin ermöglichte die längere Pause in den bürgerlichen Kämpfen mancherlei Fortschritte, selbst auf dem unerfreulichsten Gebiete spanischer Staatsverwaltung, im Finanzwesen. Dagegen wurden die Rechte des Parlaments und der Presse durch wiederholte Verfassungsänderungen so beschnitten, daß die Regierung schließlich beinahe wieder eine unbeschränkte Gewalt ausübte. Die Liberalen ließen es zwar an Protesten und Angriffen nicht fehlen, den Anstoß zum Sturz des Gewaltregiments gab aber wieder einmal die Militärpartei. Die Generale Serrano und O'Donnell begründeten 1854 aus den Unzufriedenen der alten Parteien eine neue Gruppe mit einem vermittelnden Programm, die Liberale Union, und für diese erhoben sie 30. Juni in Vicálvaro die Waffen. Die Ratlosigkeit der Regierung verschaffte den Empörern einen leichten Sieg, die Früchte desselben fielen aber zunächst den Progressisten zu, denn wenn auch Espartero, den die Königin an die Spitze des Ministeriums berief, eine Politik der Versöhnung treiben wollte, so konnte er sich doch nach seiner Vergangenheit nur auf die Progressisten stützen. Deren Zeit war aber noch immer nicht gekommen; bereits 1856 kamen mit Narvaez die Moderados wieder aus Ruder, und dieser und O'Donnell lenkten nun für ein Jahrzehnt abwechselnd die Geschicke des Staates. O'Donnell hatte 1859 den Versuch gemacht, durch eine energische auswärtige Politik die Aufmerksamkeit von der innern Zerrissenheit des Landes abzulenken. Aber sein marokkanischer Feldzug hatte trotz der Lorbeeren, die er und Prim sich erwarben, doch zuwenig dauernde Erfolge, und der Versuch einer Einmischung in die mexikanischen Verhältnisse nahm einen so unbefriedigenden Ausgang, daß sein hauptsächlichster Erfolg nur in einem scharfen Gegensatz bestand, der sich darüber zwischen O'Donnell und Prim herausbildete. Seitdem betrat die progressistische Partei offen den Weg der Revolution, als deren Ziel sie die Beseitigung Isabellas bezeichnete. Während die politischen Leiter es durchsetzten, daß die Partei sich der Teilnahme am politischen Leben vollkommen enthielt, machte Prim eine Reihe von Aufstandsversuchen, die zwar zunächst alle an einer ungenügenden Beteiligung der Massen scheiterten, dennoch aber eine zunehmende Beunruhigung des Landes herbeiführten. Die Regierung wurde dadurch fast wider ihren Willen zu energischen Gegenmaßregeln gedrängt. Nach Prims zweitem Pronunciamento 1866 mußte O'Donnell wieder dem energischern Narvaez weichen, dem es denn auch gelang, die neue Erhebung der vereinigten Demokraten und Progressisten im August 1867 zu unterdrücken. Erst als der Herzog von Montpensier seine persönliche und finanzielle Unterstützung der Liberalen Union zur Verfügung stellte, wenn sie zu einer Thronumwälzung behilflich sein wolle, führte diese Partei den revolutionären Elementen die Kräfte zu, die ihr zum Siege verhalfen. Der Plan der Aufständischen wurde dadurch erleichtert, daß Gonzalez Bravo nach dem Tode von Narvaez (1868) ein höchst unglückliches Ministerium bildete, in dem der Günstling Isabellas, Marfori, das Kolonialministerium übernahm. Das empfanden selbst gemäßigte Männer als eine Verletzung der nationalen Ehre.

Die Revolution.

Während der Hof sorglos in San Sebastian die Bäder genoß und eine Zusammenkunft mit Napoleon in Biarritz verabredete, erließen in Cadix die Generale Prim und Topete 17. Sept. 1868 den Ausruf zur Revolution, der sofort in ganz Südspanien begeisterte Aufnahme fand. Isabella wagte sich selbst nicht mehr nach Madrid zurück, wo José de la Concha ohne rechte Energie den Widerstand zu organisieren suchte. Als aber das Heer der Revolution unter Serrano 28. Sept. bei der Brücke von Alcolea die Königlichen leicht überwunden hatte, war der Sieg der Revolution gesichert. Isabella mußte über die Grenze fliehen, während Serrano an die Spitze einer provisorischen Regierung trat, die für den Februar 1869 konstituierende Cortes nach Madrid berief. Dabei trat aber sogleich die Uneinigkeit der Parteien zutage, welche die Regierung gestürzt hatten. Die Koalition der Progressisten, Unionisten und Demokraten war sich höchstens darüber klar, daß sie das monarchische Prinzip erhalten wollten; da sie sich aber über die Person eines Prätendenten nicht hatten einigen können, so sollte diese Frage den Cortes überlassen bleiben In diesen machte sich jedoch von Anfang an eine intelligente republikanische Minderheit geltend, die durch ihre scharfen Angriffe gegen die Monarchie überhaupt die Verlegenheiten der Koalition erheblich vermehrte. Trotzdem wurde deren Verfassungsentwurf, der die Monarchie beibehielt, dagegen die Glaubensfreiheit zum erstenmal in S. aussprach, 2. Juni 1869 mit großer Majorität angenommen. Das machte aber der Regentschaft Serranos noch kein Ende, weil kein Monarch für die Krone vorhanden war. Die Unionisten, zu denen der Regent selbst gehörte, kämpften energisch für Montpensier, konnten ihn aber den Gegnern nicht aufzwingen; die portugiesische Kandidatur, die hauptsächlich um der iberischen Union willen populär war, die mit ihr hergestellt werden sollte, scheiterte an der entschiedenen Weigerung Ferdinands, wie diejenige des Herzogs von Genua an den Bedenken Viktor Immanuels. Espartero einerseits, anderseits Alfons XII. vereinigten immer nur eine kleine Zahl von Parteigängern auf ihren Namen. Die Kandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern war entschieden auch nur eine Verlegenheitsauskunft, deren Ausgang schwer vorauszusehen war; der deutsch französische Konflikt machte auch sie unmöglich. Fast 11/2 Jahr hatte Prim als Ministerpräsident Serranos einen König gesucht, bis es ihm gelang, den Herzog Amadeo von Aosta zur Annahme des Thrones zu bewegen und 16. Nov. 1870 seine Wahl in den Cortes mit einer kleinen Mehrheit durchzusetzen. Ehe der König in Madrid eintreffen konnte, wurde Prim erschossen, und diesem Omen entsprechend gestaltete sich das Königtum Amadeos I. (1870–73). es war ein Opfer der Pflichttreue für eine von Anfang an verlorne Sache. Um die Revolution zu beenden, brauchte das Land Konservativismus, und Amadeo suchte an den gemäßigten Parteien Rückhalt. Diese aber zogen sich zurück und zwangen ihn, mit dem linken Flügel der jetzt gespaltenen Progressistenpartei unter Ruiz Zorilla zu regieren. Diese aber waren mehr um die Ausgestaltung der Revolution als um die Festigung des Königtums bemüht, und in der allgemeinen Verwirrung erhoben sich die Karlisten. Das führte nun zwar zu einer Aussöhnung der gemäßigtern Elemente mit der Krone; Sagasta übernahm das Ministerium und Serrano den Oberbefehl gegen die Karlisten, indem er aber mit letztern den Vertrag von Amorevieta (24. Mai 1872), der ihnen Straflosigkeit zusicherte, ohne Wissen des Ministeriums schloß, entfachte er neuen Zwiespalt, der die Radikalen wieder aus Ruder brachte und dem König, der sich sogar einem Attentat ausgesetzt fand, weitere Opfer verleidete. Am 11. Febr. 1873 legte er die Krone nieder, und noch an demselben Tage riefen die Cortes die Republik aus, zu deren vorläufigem Präsidenten Figueras erwählt wurde. Aber wie alle andern Parteien, zerfiel auch die der Republikaner, sobald sie zur Herrschaft gelangte. Zentralisten und Föderalisten bekämpften sich vom ersten Tag an, und die Ordnung war bereits im ganzen Lande tief erschüttert, als die neuen konstituierenden Cortes 1. Juni 1873 zusammentraten und sofort die Bundesrepublik ausriefen, in der Pi y Margall nur gezwungen den Vorsitz übernahm. Sein tatenloser Doktrinarismus löste die letzten Bande staatlicher Ordnung. Allenthalben konstituierten sich die einzelnen Städte und Bezirke als selbständige Kantone der Bundesrepublik und gaben sich unter starker Beimischung sozialistischer Ideen ihre eignen Verfassungen ohne die geringste Rücksicht auf die Zentralgewalt und auf die andern Landesteile. Der Kanton Cartagena zog die allgemeine Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich, indem sich doit der General Contreras einer fast unbeschränkten Gewalt bemächtigte, einen Teil der Flotte in seine Gewalt brachte und mit diesen Schiffen die benachbarten Küstenstädte brandschatzte, bis ihm zunächst das deutsche Kriegsschiff Friedrich Karl, Kapitän Werner, und weiterhin die Blockade der Regierungsflotte dieses Handwerk legte. Bereits nach fünf Wochen sahen selbst die Cortes ein, daß ein solches Regiment das Land unfehlbar ins Verderben führen müsse. Sie nahmen deshalb bereitwilligst die Resignation des Präsidenten Pi entgegen und betrauten erst Salmeron, dann Castelar für die nächsten Monate mit diktatorischer Gewalt, um die Ordnung wiederherzustellen. Aber um die Karlisten, die sich drohend wieder erhoben, einerseits und die Sozialisten anderseits niederzuwerfen, bedurfte Castelar in erster Linie Geld und Soldaten, und beides war auf dem bisher befolgten Wege nicht zu beschaffen. Während ihm zu dem erstern wenigstens alle durch die Auflösung der Ordnung bedrohten Elemente behilflich waren, konnte er die letztern nur durch ein Paktieren mit der Militärpartei erlangen. Martinez Campos und Lopez Dominguez wurden mit der Herstellung der Ordnung in den insurgierten Landesteilen betraut, die sie, bis auf Cartagena, rasch zur Anerkennung der Zentralregierung zurückführten. Gegen die Karlisten focht Moriones mit geringerm Erfolge. Jedenfalls war erst ein kleiner Teil der Arbeit getan, als die Cortes zurückkehrten und sofort damit drohten, die Regierungsgewalt wieder lahmzulegen. Sie wurden daran nur dadurch verhindert, daß 3. Jan. 1874 der General Pavia die Landesvertreter auseinandertrieb, die republikanische Regierung aufhob und die Gewalt für die Militärpartei in Besitz nahm, die noch einmal Serrano an die Spitze des Staates stellte. Die Republik hatte sich in den Augen ihrer eignen Anhänger so unmöglich gemacht, daß sich Castelar mit einem einfachen Protest begnügte, im übrigen zur Herstellung der Ordnung nach Kräften Hilfe leistete. Wirklich gelang es Serrano und Concha, allerdings erst nach längerm Kampfe, das hartbedrängte Bilbao zu entsetzen; um den Karlistenkrieg zu beenden, mußte aber erst ein neues Heer geschaffen werden, und als dessen Operationen im November 1874 begannen, fiel Concha bei dem Angriff auf Estella, und nun mußte Serrano selbst Madrid verlassen, um den Oberbefehl zu übernehmen. An sich wog dieser Nachteil nicht so schwer, denn der versteckte Kampf der Parteien gegeneinander lähmte die provisorische Regierung nach allen Richtungen hin. Bedenklich war die Abwesenheit des Staatsoberhauptes nur insofern, als sie es den Alfonsisten erheblich erleichterte, ihre Pläne ins Werk zu setzen.

Spanien unter Alfons XII.

Als Isabella II. 1868 vor ihrer Flucht ermahnt wurde, die Dynastie zu retten, indem sie zugunsten ihres Sohnes abdankte, hatte sie sich dessen entschieden geweigert. Erst 1870 hatte sie ihre Rechte an Alfons XII. abgetreten, der am 28. Nov. 1873 seine Volljährigkeit erreichte. Während der ganzen Revolutionsperiode hatte Canovas del Castillo unentwegt die Thronansprüche Alfonsos verfochten, aber in der ausgesprochenen Anschauung, daß die Wiederaufrichtung des Thrones eine gesetzliche, durch einen Beschluß der Landesvertretung herbeigeführte sein solle. Unterdessen war der Anhang Alfonsos unter den höhern Ständen und besonders im Heere so bedeutend gewachsen, daß die Regierung die Gefahr eines Pronunciamentos ganz genau kannte. Tatsächlich erhob nach Serranos Abreise Martinez Campos 29. Dez. 1874 die Fahne der Bourbonen, aber nicht in Madrid, wo er argwöhnisch beobachtet wurde, sondern in dem entlegenen Sagunt, vor einer ziemlich geringfügigen Macht. Die Bewegung schwoll jedoch reißend an, die östlichen und mittlern Provinzen akzeptierten die neue Regierung augenblicklich, und die Begünstigung Primo de Riveras, dem als Generalkapitän von Kastilien die Verteidigung der provisorischen Regierung oblag, legte deren Kräfte so lange lahm, bis alle Aussichten für einen Widerstand aussichtslos waren. Selbst das Nordheer schloß sich dem Pronunciamento an, so daß Serrano nichts übrigblieb, als das Land zu verlassen. Am 31. Dez. 1874 bildete Canovas die neue Regierung, und 14. Jan. 1875 hielt Alfons XII. (1875–85) seinen Einzug in Madrid. Der Plan, den Canovas verfolgte, war eine Versöhnung aller Parteien, und das bedingte Konzessionen ebensosehr an die Konservativen als an die Liberalen, nur daß nach allem Vorausgegangenen die erstern als reaktionistisch gebrandmarkt, die letztern von den nur in der Opposition einigen, im übrigen als Partei zerfallenen Progressisten als ungenügend angesehen wurden. Canovas aber verfolgte seinen Plan mit großer Energie. Eine neue Verfassung, zunächst nur mit einer Notabelnversammlung vereinbart, hob allerdings die Geschwornengerichte, die Zivilehe und die Lehrfreiheit auf und suchte zu einer Verständigung auch mit den Klerikalen zu kommen, war aber durchaus auf liberalen Grundsätzen aufgebaut. Ehe sie dem Lande unterbreitet wurde, sollte der Karlistenkrieg beendet werden. Da Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, wurde der Krieg energisch aufgenommen. Am 8. Juli 1875 besetzte Moriones Vitoria, 26. Aug. nahm Martinez Campos Seo de Urgel. und 19. Febr. 1876 wurde in Gegenwart des Königs die Hochburg des Karlismus, Estella, zurückerobert, worauf der Prätendent sich nach Frankreich zurückzog. Nun erst wurden auf Grund des allgemeinen Wahlrechts konstituierende Cortes berufen. die am 24. Mai das Verfassungswerk zum Abschluß brachten, das durch die Aufhebung der Fueros von Navarra die Staatseinheit vollendete. Die lange Herrschaft der Gemäßigten, die sich bis 1882 an der Spitze der Geschäfte behaupteten, wurde hauptsächlich deshalb als Reaktion verschrien, weil die fortschrittlichern Elemente darauf gerechnet hatten, sich rascher einmal an den Vorteilen der Herrschaft erfreuen zu können. In Wirklichkeit hielt die Regierung nicht nur im Mutterlande die Ordnung aufrecht, sondern bewerkstelligte, wenn auch nur durch vertragsmäßige Verheißung beträchtlicher Zugeständnisse, die Beendigung des Aufstandes auf Cuba. Weniger erfolgreich war die Finanzpolitik der Moderados; auch diese hatten zwar eine Regelung der Staatsschuld geplant, durchgeführt wurde dieselbe aber erst, nachdem die Vereinigung aller liberalen Gruppen 1882 ein progressistisches Ministerium Sagasta möglich gemacht hatte. Die Politik desselben unterschied sich allerdings nur dem Namen nach von der der Vorgänger, die Einigkeit hielt denn auch nicht stand, und 1884 kehrte Canovas aus Ruder zurück. Neben seinem Ministerium hatte Alfons XII. sich beständig, auch persönlich, bemüht, mit allen Kreisen seines Volkes Fühlung zu halten und dessen Wiedergeburt im Sinne fortschrittlicher Ideen zu fördern. Besonders hatte er sich neben dem Heere und der Flotte das Verkehrswesen augelegen sein lassen. Auch hatte er sich bestrebt, die Isolierung Spaniens aufzuheben, indem er zunächst mit dem König von Portugal freundnachbarliche Besuche austauschte und demnächst 1883 eine Reise nach Österreich und Deutschland unternahm. Die Ernennung zum Chef eines Straßburger Regiments trug ihm auf der Rückkehr in Paris einen beleidigenden Empfang ein, der aber, mit Takt und Würde zurückgewiesen, die Popularität des Königs in S. ebenso beförderte, wie sein unerschrockenes Verhalten während einer Choleraepidemie und sein landesväterliches Auftreten bei der Überschwemmung in Murcia und dem Erdbeben in Andalusien. Wie wenig aber die freundschaftlichen Beziehungen zum Ausland im Volke selbst Wurzel faßten, zeigte sich durch die Empörung, die sich allerorten erhob, als Deutschland Ansprüche auf die Karolinen machte. Der Widerstand, den Alfons XII. dem Kriegsgeschrei der Tumultuanten entgegensetzte, hätte der Regierung vielleicht noch Verwickelungen eingetragen, wenn Alfons XII. nicht 25. Nov. 1885 gestorben wäre.

Die Regentschaft.

Aus seiner zweiten Ehe mit Erzherzogin Marie Christine hinterließ Alfons zunächst zwei Töchter; die Regentin gab aber 17. Mai 1886 noch einem Knaben das Leben, der als Alfons XIII. seinem Vater folgte. Die Regentschaft der mit außerordentlichem politischen Takte begabten Königin-Mutter brachte dem Lande eine längere Periode politischen Friedens im Innern ein. Gänzlich verschont blieb es allerdings auch dann nicht von gelegentlichen Putschen, bald von republikanischem und progressistischem, bald von ultramontanem oder rein militärischem Charakter. Die Unruhen nahmen aber niemals einen bedrohlichen Umfang an. Die Moderados unter Canovas wechselten mit den Progressisten unter Sagasta fast regelmäßig in der Regierung ab, beide Parteien regierten aber fast unterschiedslos in einem liberal-konstitutionellen Sinne, und sie erreichten damit, daß selbst die Republikaner offen für die Erhaltung der Regierung eintraten. Ruhe und Ordnung kehrten mehr und mehr in allen Gebieten des öffentlichen Lebens ein und beförderten den allgemeinen Fortschritt im Lande. Drohende Wolken zogen sich dagegen auf dem Gebiete der kolonialen Politik zusammen. Das Eindringen moderner Ideen von nationalistischer Färbung entfachte auf den Philippinen (s. d., S. 785) starke Unzufriedenheit mit der Herrschaft der geistlichen Orden, in deren Händen sich seit undenklichen Zeiten die eigentliche Gewalt auf den Inseln befunden hatte. Ein schroffes Vorgehen gegen die geistigen Führer der Bewegung führte 1896 zu einer weitverzweigten Empörung, zu deren Unterdrückung die Kräfte der Regierung um so weniger ausreichten, als gleichzeitig ihr auch andern Ortes ähnliche Schwierigkeiten erwuchsen. Aus mehr als einem Grunde war es der Regierung beinahe unmöglich, einen dauernden Frieden auf Cuba herzustellen, denn dort stieß eine Politik der Reformen auf einen kaum geringern Widerstand, als die Aufrechterhaltung der alten Zustände, und es war ein offenes Geheimnis, daß die Begehrlichkeit der Vereinigten Staaten unausgesetzt an der Arbeit war, auf der Insel Zustände herbeizuführen, die ihr ein Recht zur Einmischung geben könnten. Da die Regierung die 1878 versprochenen Reformen nicht hatte durchführen können oder wollen, so befand sich die Insel seit 1895 wieder im Zustande des Aufruhrs, der, von Amerika aus insgeheim geschürt und unterstützt, einen bedrohlichen Charakter annahm. Die Regierung sandte zunächst wieder Martinez Campos hinüber; da dieser aber wie früher den Aufstand durch Zugeständnisse entwaffnen wollte, ohne für den Erfolg einer solchen Politik irgendwelche Gewähr bieten zu können, wurde er 1896 durch Weyler ersetzt, der durch ein Schreckensregiment die Rebellion zu unterdrücken versuchte, damit aber, trotz der großen Opfer, die dasselbe dem Mutterlande wie der Insel zumutete, ebensowenig durchschlagende Erfolge erzielte, dagegen die öffentliche Meinung besonders in den Vereinigten Staaten in lebhafte Aufregung versetzte. Die Unionsregierung, die es mit ihrer Neutralitätspflicht durchaus nicht sehr genau nahm, erhob angeblich im Interesse der Menschlichkeit Vorstellungen in Madrid und ließ dabei deutlich die Geneigtheit durchblicken, die Aufständischen als kriegführende Macht anzuerkennen, wenn S. sich ihren Forderungen nicht füge. Trotzdem weigerte sich Canovas, dem auswärtigen Drucke nachzugeben. Erst als er 8. Aug. 1397 ermordet worden war, entschloß sich das neue Kabinett Sagasta zur Nachgiebigkeit. Ein amerikanisches Ultimatum, das Weylers Abberufung forderte, wurde zwar auch jetzt wieder zurückgewiesen. Dagegen wurde ihm freiwillig in Blanco ein Nachfolger gegeben und der Insel die Selbstverwaltung zugestanden, was einen unverkennbaren Rückgang des Aufstandes zur Folge hatte. Die Aussicht, sich abermals die Gelegenheit zur Einmischung entgehen zu lassen, war aber nicht nach dem Geschmacke der Unionspolitiker und ihres Präsidenten Mac Kinley. Es wurde deshalb das Kriegsschiff Maine unter irgend einem Vorwande nach dem Hafen von Havana geschickt und 15. Febr. 1898 dort in die Luft gesprengt. Es war so widersinnig, die Regierung für diesen Zwischenfall verantwortlich zu machen, daß man sich in Madrid durch die Hoffnung in Sicherheit wiegte, die angerufene Vermittelung der europäischen Mächte werde den Ausbruch des Krieges verhindern. Aber während S. untätig blieb, zog Amerika die Verhandlungen nur so lange hin, bis seine Kriegsvorbereitungen vollendet waren. Dann warf es die Maske ab und forderte durch ein Ultimatum die volle Unabhängigkeit für Cuba und die Zurückziehung aller spanischen Truppen von der Insel. S. antwortete, indem es dem amerikanischen Gesandten seine Pässe zustellte. Höchst unerwarteterweise eröffneten die Amerikaner die Feindseligkeiten damit, daß Admiral Dewey 1. Mai in die Bucht von Manila auf den Philippinen einlief, bei Cavite die wenigen alten spanischen Schiffe, die dort stationiert waren, zerstörte und sich mit den Aufständischen verbündete. Infolge davon mußten 13. Aug. die Spanier in Manila die Waffen strecken. In Westindien dauerte es wesentlich länger, ehe die Amerikaner den Angriff ernstlich eröffnen konnten. Zunächst suchten sie sich der Herrschaft über das Meer zu versichern, indem sie eine Blockadeflotte unter Sampson und ein fliegendes Geschwader unter Schley in die kubanischen Gewässer entsandten, die aber nicht verhindern konnten, daß ein von S. abgegangenes Panzergeschwader unter Cervera in Santiago auf Cuba einlief. Wohl aber gelang es nachträglich, den Hafen zu blockieren, und nunmehr wurde auch das Landheer 22. Juni an diesem Punkte ausgeschifft. Mit Hilfe der Aufständischen wurde der Platz ohne Mühe von aller Verbindung abgeschnitten, so daß er sich unmöglich lange halten konnte, und als Cerveras Geschwader 3. Juli auslief, um sich der Kapitulation zu entziehen, wurde es durch die große Überlegenheit der feindlichen Schiffe vernichtet. Nachdem Santiago 16. Juli kapituliert und die Amerikaner begonnen hatten, sich der Küstenplätze Porto Ricos zu bemächtigen, rief S. die Vermittelung Frankreichs an, um Friedensverhandlungen einzuleiten. Während derselben trat Amerika immer mit neuen, brutalern Forderungen auf; aber da S. es auf eine Wiedereröffnung der Feindseligkeit, mit der die Amerikaner bei jedem Widerstand drohten, nicht ankommen lassen konnte, so mußte es im Frieden von Paris 10. Dez. 1898 Porto Rico als Kriegsbeute und die Philippinen mit Guam gegen 20 Mill. Dollar an die Union abtreten, und mußte zufrieden sein, daß wenigstens Cuba, den zu Beginn des Feldzugs gemachten Versprechungen gemäß, als selbständige Republik, wenn auch unter nordamerikanischem Protektorat, organisiert wurde.

Der Krieg hatte stark dazu gedient, die Mängel und Unregelmäßigkeiten der Heer- und Flottenverwaltung aufzudecken, einen Anstoß zur Regeneration vermochte er aber nicht zu geben. Das Ministerium Sagasta mußte nur deshalb im Amte bleiben, weil niemand es ihm abnehmen wollte, die Liquidation des Krieges vor dem Lande zu verantworten, die S. neue schwere finanzielle Lasten aufbürdete. Dabei trat S. auch den Rest seiner ostasiatischen Kolonien, die Karolinen und Marianen, die nach dem Verlust der Philippinen für den Staat mehr eine Last als ein Gewinn waren, für 25 Mill. Pesetas 12. Febr. 1899 an Deutschland ab. Danach durfte Sagasta abdanken und die Konservativen übernahmen die Regierung. Aber anstatt nun in Heer und Marine Ordnung und Ersparnisse einzuführen, setzte die wieder zur Macht gelangte Militärpartei, deren Führung Weyler übernahm, es durch, daß die Cortes einen neuen Plan der Landesverteidigung billigten, dessen Hauptzweck darin bestand, dem Kriegsministerium möglichst ausgiebige Fonds zur Verfügung zu stellen. Um das zu ermöglichen, wurde die Belastung der produktiven Stände abermals erhöht, so daß sich dieselben schließlich unter dem Vorgang des Handelsstandes von Barcelona zu einer Union Nacional zusammenschlossen, die auf weitere Bedrückungen mit einer allgemeinen Einstellung der Tätigkeit zu antworten entschlossen war. Das Parteileben krankte nach wie vor daran, daß es, sachlicher Grundsätze entbehrend, nur nach den Gesichtspunkten persönlichen Vorteils geleitet wurde. Konsequent blieb nur die Partei der Ultramontan-Absolutisten, die unter geschickter Benutzung aller Vorteile an Boden gewann. Allerdings führte die Vermählung der Prinzessin von Asturien mit dem Herzog von Caserta zu antiklerikalen Demonstrationen, die durch das Gerücht verschärft wurden, die aus Frankreich ausgewiesenen Ordensgeistlichen beabsichtigten, ihren Aufenthalt in S. zu nehmen. Die Unterdrückung dieser Unruhen bedeutete aber nicht die Beseitigung ihrer Ursachen Vielmehr hat sich Alfons XIII., der, am 17. Mai 1902 für mündig erklärt, die Regierung selbst übernahm, vorwiegend auf die Konservativen gestützt; damit verlor die liberale Partei viel von dem Einfluß, den sie während der Regentschaft besaß. Parteigezänk und Erschöpfung verhinderten zunächst einen Aufschwung in S. Eine Aussicht darauf eröffnete sich erst, seit Alfons XIII. 1906 sich mit Ena von Battenberg vermählte und dadurch einen politischen Rückhalt an England gewann. Dadurch erlangte es auf der Konferenz von Algeciras eine Berücksichtigung seiner afrikanischen Interessen, die Anerkennung seiner Stellung als Mittelmeermacht und in einem 1907 mit England geschlossenen Geheimvertrag dessen Hilfe zur Wiederherstellung seiner Marine.

[Geschichtsliteratur.] Lembke, Geschichte von S. (Bd. 1, Hamb. 1831; Bd. 2 u. 3 von Schäfer, Gotha 1844–61; Bd. 4–7 [bis 1516] von Schirrmacher, das. 1881–1902); Haebler, Geschichte Spaniens unter den Habsburgern (das. 1907, Bd. 1); Mod. Lafuénte, Historia general de España (Madr. 1850–66, 30 Bde.; neue Ausg. von Valera, Barcelona 1888, 22 Bde.); Rosseeuw Saint-Hilaire, Histoire d'Espagne (2. Aufl., Par. 1836–79, 14 Bde.); Gebhardt, Historia general de España (Madr. 1864, 7 Bde.); Diercks, Geschichte Spaniens (Berl. 1895, 2 Bde.); »Historia general de España escrita por individuos de numero de la R. Academia de la Historia« (Madr. 1890 ff., 22 Bde., unvollendet); U. R. Burke, History of Spain to the death of Ferdinand the Catholic (Lond. 1895, 2 Bde.); Hume, Spain, its greatness and decay, 1479 bis 1788 (Cambr. 1898) und The spanish people, their origin, growth and influence (Lond. 1901); Havemann, Darstellungen aus der innern Geschichte Spaniens, 15.–17. Jahrhundert (Götting. 1850); Tapia, Historia de la civilisazion de España (Madr. 1840, 4 Bde.); Montesa und Manrique, Historia de la legislacion etc. de España (das. 1861–64, 7 Bde.); Vic. dela Fuente, Historia eclesiastica de España (2. Aufl., das. 1874, 6 Bde.); P. Paris, Essai sur l'art et l'industrie de l'Espagne primitive (Par. 1903, 2 Bde.); Ed. Perez Pujol, Historia de las instituciones sociales de la España Goda (Valencia 1896, 4 Bde.); Lane-Poole, The Moors in Spain (Lond. 1887); F. Codera, Estudios criticos de historia arabe española (Saragossa 1903); S. P. Scott, History of the Moorish empire in Europe (Philad. u. Lond. 1904, 3 Bde.); Aschbach, Geschichte der Omaijaden in S. (2. Ausg., Wien 1860, 2 Bde.) und Geschichte Spaniens und Portugals zur Zeit der Herrschaft der Almorawiden und Almohaden (Frankf. 1833–37, 2 Bde.); Dozy, Histoire des Musulmans de l'Espagne (Leiden 1861, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1874, 2 Bde.) und Recherches sur l'histoire et la littérature de l'Espagne pendant le moyen-âge (3. Aufl., Leiden 1881, 2 Bde.); Ch. Weiß, L'Espagne depuis le règne de Philippe II jusqu'à l'avénement des Bourbons (Par. 1844, 2 Bde.); »Actas de las Cortes de Castilla 1563–1713« (Madr. 1861–85); Morel-Fatio, L'Espagne an XVI. et an XVII. siècle (Heilbr. 1878); Oman, History of the Peninsular war (Lond. 1902–03, 2 Bde.); Baumgarten, Geschichte Spaniens zur Zeit der französischen Revolution (Berl. 1861) und Geschichte Spaniens vom Ausbruch der französischen Revolution bis auf unsre Tage (Leipz. 1865–71, 3 Bde.); »Actas de las Cortes españoles 1810–1823« und »Decretos de las Cortes«; Arteche y Moro, Guerra de la independencia 1808 bis 1814 (Madr. 1868); Hubbard, Histoire contemporaine de l'Espagne (Par. 1869–83, 6 Bde.); Laufer, Geschichte Spaniens vom Sturz Isabellas bis zur Thronbesteigung Alfonsos (Leipz. 1877, 2 Bde.); Borrego, Historia de las Cortes de Espana durante el siglo XIX (Madr. 1885); Cherbuliez, L'Espagne politique 1868–1873 (Par. 1874); de Castro, Geschichte der spanischen Protestanten (deutsch, Frankf. 1866); Menendez Pelayo, Historia de los heterodoxos españoles (Madr. 1880, 2 Bde.); Kayserling, Geschichte der Juden in S. und Portugal (Berl. 1861–67, 2 Bde.); Hume, Modern Spain, 1788–1898 (Lond. 1899); Altamira, Historia de España y de la civilización Española (Barcelona 1900–02, 2 Bde.); Gmelin, Studien zur spanischen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (Stuttg. 1905); Butler Clarke, Modern Spain, 1815–1898 (Cambr. 1906). Über den spanisch-amerikanischen Krieg vgl. Halstead, Official history ot the war with Spain (Chicago 1902), die Darstellungen von Verdades (Barcelona 1899), Gomez Nuñez (Madr. 1902); Mahan, Lessons of the war with Spain (Lond. 1899); Wilson, Downfall of Spain, naval history of Spanish American war (das. 1900). Weiteres s. Cuba, S. 366.

Kolonialgeschichte Spaniens.

Während die Portugiesen den Weg nach Kathai, dem Wunderlande des fernsten Osten, um Afrika herum zu finden suchten, bot Kolumbus (s. d.) den spanischen Herrschern an, quer über den Ozean dahin vorzudringen. Was er erreichte, war zwar nicht das eigentliche Ziel seiner Fahrt, aber seine Entdeckung beschenkte S. mit einem Kolonialbesitz von außerordentlichster Ausdehnung, der in der kurzen Zeit von wenig mehr als 50 Jahren entdeckt, erobert und organisiert wurde. Anfangs bildeten die Großen Antillen, Española und Cuba, den Mittelpunkt des spanischen Kolonialreiches; aber nach der Eroberung von Mexiko durch Cortez (s. d.) und von Peru durch Pizarro (s. d.) und nachdem die Erschließung des amerikanischen Festlandes methodisch in Angriff genommen worden war, verschob sich der Schwerpunkt nach Westen, und die zuerst entdeckten Inseln gerieten bald in Verfall. Der Anspruch auf den Alleinbesitz des ganzen Amerika wurde, da die Fahrten von Engländern und Franzosen entlang dem nordatlantischen Küstengebiete zunächst nur als Piratenfahrten galten, zuerst durchbrochen, als 1499 Cabrals zufällige Landung in Brasilien feststellte, daß dessen östlicher Teil nach dem Abkommen über die Abgrenzung der beiderseitigen Kolonialsphären von 1493/94 noch den Portugiesen zugehörte. Tatsächlich hat dann S. seit 1570 auch darauf verzichtet, seine Herrschaft über den größten Teil des nördlichen Festlandes von Amerika zu organisieren und aufrecht zu erhalten. Doch umfaßte sein Kolonialbesitz auch so außer der Inselwelt der Antillen das festländische Amerika vom Kap Horn an der Westküste bis zum heutigen Oregon und an der Ostküste bis nach Nordcarolina. Vorübergehend hatten auch die Molukken (s. d.) zu S. gehört, während es seine Herrschaft über die Philippinen und Karolinen seit 1565 zu einer dauernden gestaltete. Dagegen hat S. auf afrikanischem Boden zwar auch seit der Vertreibung der Mauren aus der Pyrenäenhalbinsel mehrfach Eroberungen gemacht, dieselben aber immer nur als strategische Stützpunkte im Kampfe gegen die Ungläubigen angesehen, und keinen Versuch gemacht, ein afrikanisches Kolonialreich zu begründen. Die spanischen Kolonien haben sich dadurch von denen aller andern Nationen unterschieden, daß nicht nur die Kolonisten, sondern auch die Eingebornen, soweit sie sich friedlich der spanischen Herrschaft unterwarfen, als vollberechtigte Untertanen angesehen wurden. Bis 1532 durften feindselige Indianer zu Sklaven gemacht werden, und bis gegen 1550 wurde auch ein großer Teil der friedlichen Bevölkerung in der Form von repartimientos (Zuteilungen) und encomiendas (Schutzherrschaften) den Eroberern der einzelnen Kolonialgebiete tributpflichtig gemacht. Doch hatte bereits Königin Isabella in ihrem Testament 1504 im Prinzip die persönliche Freiheit der Indianer ausgesprochen; und dieser Grundsatz erlangte, wenn auch nicht ohne langwierigen und erbitterten Kampf, unter Karl V. gesetzliche Anerkennung. Die Folge dieses Kolonialsystems war es, daß sich die spanische Herrschaft über den gesamten Länderkomplex tatsächlich ausdehnte, und in der Bildung von städtischen und ländlichen Gemeinwesen Verhältnisse schuf, die denen des Mutterlandes sehr ähnlich waren. Die außerordentlich reichen mineralischen Schätze, die in dem spanischen Kolonialbereiche fast von Anfang an erschlossen wurden, haben die Aufmerksamkeit davon abgelenkt, daß in nicht geringerm Maße wie Bergbau und Handel auch Ackerbau und Viehzucht von den Spaniern über das ganze Gebiet ihrer Herrschaft aus gebreitet worden sind. Natürlich wurden die spanischen Kolonien wie diejenigen aller andern Länder in frühern Zeiten auch monopolistisch und ausschließlich im Interesse des Mutterlandes verwaltet; da aber die Krone dauernd das Monopol in ihrer eignen Verwaltung behielt, und durch eine wohlwollende Gesetzgebung die eingeborne Bevölkerung vor Ausbeutung zu schützen bestrebt war, hat S. bei weitem mehr für die kulturelle Förderung seiner Kolonien getan, als die mit ihm wetteifernden Nationen. Das spanische Kolonialreich zerfiel zur Zeit seiner größten Ausdehnung in zwei Vizekönigreiche mit ungefähr 30 mehr oder minder selbständigen Provinzen, besaß 4 Erz- und 24 Bistümer und unterstand in juristischer Beziehung 9 Obergerichten, die unter dem Namen audiencias administrative und richterliche Befugnisse vereinigten. Fast von Anfang an hatte der spanische Kolonialbesitz durch Belästigungen von seiten politischer Feinde zu leiden, doch wurden alle Versuche der Festsetzung außer in den preisgegebenen Gebieten des Nordostens bis in das 17. Jahrh. hinein abgewiesen. Erst von 1609 ab gelang es den Holländern und bald auch den Engländern und Franzosen, einzelne verlassene Inseln im Antillenmeer und gewisse minder versprechende Küstenstriche von Südamerika dauernd in ihren Besitz zu bringen. Diese Verhältnisse erfuhren zum erstenmal im Frieden von Madrid 1670 eine rechtliche Anerkennung. Die Kriege der Folgezeit haben dann einen großen Teil der Inseln besonders in englischen Besitz übergehen lassen; aber erst in den Napoleonischen Kriegen erlitt auch der festländische Besitz erhebliche Einbußen, indem 1800 Louisiana an Frankreich, 1820 Florida an die Vereinigten Staaten abgetreten werden mußten. Allerdings bewirkte dann die Napoleonische Herrschaft über das Mutterland den Abfall des ganzen kontinentalen Amerika, das auch nach der Wiedereinsetzung Ferdinands VII. nicht zum Gehorsam zurückgebracht werden konnte. Aber während sich die spanisch-amerikanischen Republiken in bürgerlichen Kämpfen zerfleischten, erblüten die S. verbliebenen Antilleninseln Cuba und Porto Rico zu ungeahnter wirtschaftlicher Bedeutung, die nur durch die früh bekundete Begehrlichkeit der Vereinigten Staaten gestört wurde. Von dort aus erfolgten wiederholte räuberische Übergriffe und wurden beständig Aufstände geschürt, die den wirtschaftlichen Wert der Kolonien für das Mutterland erheblich beeinträchtigten. Besonders Cuba befand sich seit 1849 fast ununterbrochen im Zustande des Aufruhrs, und ein solcher mußte endlich auch 1898 den Vorwand dazu hergeben, daß die Vereinigten Staaten an S. den Krieg erklärten und es fast des ganzen Restes seiner Kolonien beraubten. Cuba erhielt eine Schein-Selbständigkeit, Porto Rico und die Philippinen wurden an die Union abgetreten, die Karolinen aber an Deutschland verkauft. Außer den Kapverden und Ceuta, die mehr Dependenzen des Mutterlandes als Kolonien sind, besitzt S. nur noch die Insel Fernando Po an der afrikanischen Küste (s. oben, S. 651). Vgl. Zimmermann, Die Kolonialpolitik Portugals und Spaniens (Berl. 1896); Watson, Spanish and Portuguese South America during the colonial period (Lond. 1884); Root, Spain and its Colonies (das. 1898); Bourne, Spain in America 1450–1580 (New York u. Lond. 1904).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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