- Toulouse
Toulouse (spr. tulūs'), Hauptstadt des franz. Depart. Obergaronne, ehemals Hauptstadt von Languedoc, 133–189 m ü. M., in fruchtbarer Ebene, am rechten Ufer der schiffbaren Garonne, am Canal du Midi, der sich hier mit dem Seitenkanal der Garonne vereinigt, gelegen, Knotenpunkt der Süd- und Orléansbahn, ist mit der auf dem linken niedern Ufer der Garonne gelegenen Vorstadt St.-Cyprien durch 3 Brücken, darunter den um 1600 erbauten, 260 m langen Pont Neuf, verbunden. Die Stadt bietet mit ihren einförmigen roten Backsteinhäusern und im allgemeinen engen Straßen keinen malerischen Anblick, hat aber durch die an Stelle der alten Wälle getretenen Boulevards und Alleen, die sie von den umliegenden Vorstädten trennen, sowie durch die neuen in der innern Stadt ausgeführten Straßen ein modernes Aussehen gewonnen. Zentrum der Stadt ist der Kapitolsplatz. Von den Kirchen sind besonders zu erwähnen: die Kathedrale St.-Etienne aus dem 13.–15. Jahrh., mit gotischem Portal; die große fünfschiffige romanische Kirche St.-Sernin (eigentlich St.-Saturnin) aus dem 11.–14. Jahrh. (seit 1855 von Viollet-Le-Duc restauriert), im Innern 115 m lang, im Querschiff 64 m breit, mit neuer Fassade, Krypte und 64 m hohem Turm; die Jakobinerkirche aus dem 13. Jahrh. mit den Überresten des dazugehörigen Dominikanerklosters; die Kirchen Dalbade (ehemalige Malteserkirche) in frühgotischem Stil mit reichem Renaissanceportal, La Durade (1775–90) und Du Taur, aus dem 14. Jahrh., mit festungsartiger Fassade und Glockenturm. Unter den übrigen Gebäuden sind die hervorragendsten: das Stadthaus (Kapitol genannt), aus dem 16. Jahrh., 1880 restauriert, mit einer Fassade aus dem 18. Jahrh. und mehreren schönen Sälen (im Pavillon rechts das Große Theater); das ehemalige Augustinerkloster (1460–1504), das mit seinen Kreuzgängen gegenwärtig als Museum benutzt wird; der Justizpalast (ehemals Parlamentsgebäude), mehrere schöne Renaissancegebäude und zwei Spitalgebäude aus dem 12. Jahrh. An Denkmälern besitzt die Stadt solche des Rechtslehrers Cujas und Riquets, des Erbauers des Canal du Midi, sowie einen Obelisken zu Ehren der 1814 Gefallenen. Die Zahl der Einwohner betrug 1906: 134,463 (als Gemeinde 149,438). Die Stadt hat sehr bedeutende Industrie, darunter an Staatsanstalten eine Artilleriewerkstätte, eine Pulver- und eine Tabakfabrik, ferner Fabriken für Maschinen, Wagen, Fahrräder, Feilen, Sattlerarbeiten, Ton- und Glaswaren (auch Glasmalerei), Möbel und andre Holzwaren, Papier, Hüte, Schuhwaren, chemische Produkte, Branntwein, Teigwaren, Konserven, Schokolade und Konfitüren, Baumwollspinnerei, Eisen- und Glockengießerei etc. sowie mehrere große Mühlen. Von Wichtigkeit ist auch der Handel, besonders mit Getreide, Mehl, Wein, Bauholz, Marmor, Branntwein, Wolle, Tuch, Vieh, Geflügel, Trüffeln etc. Für den Lokalverkehr dient eine Straßenbahn; auch ist die Stadt mit einer ältern und einer neuen Wasserleitung versehen. T. hat Fakultäten für Rechte, Medizin und Pharmazie, philosophisch-historische und mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen (zusammen 1902/03: 1978 Studierende), eine freie katholische Universität, ein Lyzeum, eine Tierarzneischule, ein großes und ein kleines Seminar, eine Lehrer- u. Lehrerinnenbildungsanstalt, ein Mädchenlyzeum, eine Kunst- und Gewerbeschule, ein Konservatorium der Musik, ein Taubstummen- und Blindeninstitut, eine Akademie der Wissenschaften wie auch andre gelehrte Gesellschaften (darunter die Akademie des »Jeux floraux«, s. d.), eine öffentliche Bibliothek von 100,000 Bänden, eine Stadtbibliothek, ein reichhaltiges Kunst- und Antikenmusem, das Museum St.-Raymond (Altertümer), eine naturhistorische Sammlung, eine Sternwarte, einen Botanischen Garten, 3 Theater, ein Irrenhaus, eine Börse und eine Filiale der Bank von Frankreich. T. ist der Sitz des Präfekten, eines Erzbischofs, eines protestantischen Konsistoriums, eines Appell- und Assisenhofs, eines Handelsgerichts, einer Handels- und einer Ackerbaukammer und des 17. Armeekorpskommandos. Die Stadt ist Geburtsort der Dichter Goudelin und Baour-Lormian, des Dramatikers Campistron, des Rechtslehrers Cujas, des Irrenarztes Esquirol und des Staatsmannes Grafen Villèle. – Zur Zeit der Römer hieß T. Tolosa, war die Hauptstadt der Volcae Tectosages und schon im 2. Jahrh. v. Chr. Mittelpunkt des westeuropäischen Handels. In dem Teiche des großen Nationalheiligtums waren 15,000 Talente versenkt, durch deren Raub der Prokonsul Cäpio das Aurum Tolosanum sprichwörtlich machte. 413 von den Westgoten eingenommen, wurde T. nun Residenz ihrer Könige, bis Alarich II. sie 507 an den Frankenkönig Chlodwig verlor. Von da an wurde sie durch fränkische Grafen verwaltet und ward 631 Residenz der Herzoge von Aquitanien (s. d.). 721 wurden die Araber von Eudo von Aquitanien bei T. besiegt. Nach dem Untergang der Selbständigkeit Aquitaniens (771) war T. 778 wieder Sitz einer Grafschaft, deren Dynastengeschlecht die Landschaften Quercy, Albigeois sowie Teile der Grafschaften Auvergne und Aquitanien und der Provence mit T. vereinigte. Des letzten Grafen, Raimunds VII., einzige Tochter Johanna vermählte sich mit Ludwigs IX. Bruder, dem Grafen Alfons von Poitiers, dem sie T. zubrachte. Als dieser 1271 nach einer kinderlosen Ehe starb, vereinigte Philipp III. die Grafschaft T. für immer mit der Krone Frankreich. In der Nacht vom 16. zum 17. Mai 1562 wurden in T. gegen 4000 Hugenotten ermordet. Am 10. April 1814 erfocht die vereinigte britisch-spanische Armee unter Wellington bei T. einen Sieg über die Franzosen unter Soult. Vgl. Catel, Histoire des comtes de T. (Toulouse 1623); »T. Histoire, archéologie monumentale, facultés, etc.« (das. 1887); Jourdan, Panorama toulousain. Historique de T. (2. Aufl., das. 1877); Ariste u. Brand, Histoire populaire de T. (das. 1897).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.