Algerĭen

Algerĭen

Algerĭen (hierzu Karte »Algerien, Marokko und Tunis«), franz. Kolonie an der Nordküste von Afrika, zwischen Marokko und Tunis, dem Mittelmeer und der Sahara. Während die östliche und westliche Grenze gegen Tunis und Marokko auf eine gewisse Strecke festgelegt ist, ist die südliche ganz unbestimmt und wird von den Franzosen immer weiter in die Sahara vorgeschoben. Im allgemeinen kann der 30. Breitegrad als Südgrenze bezeichnet werden, von Ghadames an der Grenze von Tripolis bis nördlich von Gurara, einer Oase Tuats. Innerhalb dieser äußersten Ausdehnung hat A. 797,770 qkm Flächeninhalt.

[Bodengestaltung.] Die 1000 km lange Küste zeigt eine wenig gegliederte, steile und felsige Linie mit einzelnen Kaps und verhältnismäßig wenig guten Häfen. Die nennenswertesten Küsteneinschnitte sind die Golfe von Oran und Arzen, die Bai von Algier und die Golfe von Bougie, Collo, Stora und Bone. Hinter der Küste erhebt sich meist gebirgig, doch auch von einzelnen Ebenen durchbrochen, das in drei gut gesonderte Teile zerfallende Land: im N. das Tell, das gebirgige, mit fruchtbaren Tälern durchzogene Kulturland, in der Mitte die Steppenregion mit den Salzsümpfen (Schotts), im S. endlich die Sahara mit ihren Oasen. Von der Küste nach S. vordringend, begegnet uns zuerst der Kleine Atlas. Er zerfällt in eine Reihe von kleinen, parallel mit der Küste streichenden Gebirgsgruppen, von denen die eine in der Landschaft Kabylien im Dschebel Lalla 2308 m, die andre, das Setifgebirge, im Dschebel Babor 1908 m erreicht. Die Mittelzone der Schotts ist ein Plateauland von 800–1100 m Höhe, dessen Südrand der Saharische Atlas bildet, der im Dschebel Aurês zu Höhen von 2310 (Dschebel Schelia) und 2306 m (Dschebel Mhammel) aufsteigt. Zwischen die einzelnen Gebirgszüge drängen sich meist kultivierte, fruchtbare Ebenen, wie die Metidscha bei Algier, eine 95 km lange, im Durchschnitt 15 km breite, wenig wellenförmige Ebene, an deren Südseite der Atlas steil emporsteigt. Nach innen schließt sich an das Plateauland zwischen dem 17. und 23. Meridian eine Vorterrasse, die bei Bresina 833 m, bei El Aghuât 780 m hoch ist und nach S. und O. sich allmählich abdacht. Danach dehnt sich nach O. eine weite, heiße Tiefebene, an der Südgrenze 162 m, bei El Wad 135 m. bei Tuggurt 50 m, bei Biskra 125 m über dem Meeresspiegel, im Sebcha Melrir 31 m unter den Meeresspiegel hinabreichend. Das von den Bergen in die Tiefe gesickerte, meist unter einer undurchlässigen Schicht stehende Grundwasser ist an vielen Orten durch artesische Brunnen erschlossen worden und hat zahlreiche fruchtbare Oasen ins Leben gerufen. 867 Brunnen fördern 263,000 Lit. in der Minute. Über die Hälfte der Kolonie, den ganzen Süden zwischen dem 30. und 40. Parallelkreis, nimmt endlich die Algerische Sahara ein. in der nur einzelne Oasen (Biled ul Dscherid, El Wad, Tuggurt, Wargla, Ksur) den Anbau des Bodens gestatten. Näheres über den geologischen Bau Algeriens s. Art. »Afrika«, S. 136, 139.

[Flüsse.] Fast alle Flüsse, die vom Atlas in das Mittelmeer fließen, durchbrechen in tiefen Quertälern das Gebirge, machen bedeutende Krümmungen und haben im Unterlauf ein geringes Gefälle, besitzen daher sumpfige Ufer und enge, öfters versandete Mündungen. Kein einziger Fluß ist schiffbar. Die meisten fließen von S. nach N., wovon nur der Scheliff eine bemerkenswerte Ausnahme macht. Die bedeutendsten Flußlaufe zum Mittelmeer sind: die Sebuse (Rubricatus), die Budschima und der Mafrag, die in den Golf von Bone münden, der Wad el Kebir (Rumel), der wiederholt unter Felsen verschwindet, der Summam (Sawah), der einen der bedeutendsten Querrücken des Atlas durchbricht, dann der Sahel, Buberak (Nissah). der Isser, Harrach und Mazafran, der Scheliff (s. d.), der zwischen dem Kap Ivi und Mostaganem mündet; die Makta und endlich im W. die Tafna. Die Flüsse Algeriens haben eine ganz besondere Bedeutung gewonnen, seitdem man angefangen hat, sie in großartigem Maßstabe zur Bewässerung zu verwenden. Das System der riesigen Wehrbauten (Barrages). wahrscheinlich zuerst von den Karthagern angewendet, verfiel unter der Türkenherrschaft, wurde aber seit 1843 wieder in Tätigkeit gesetzt. In jüngster Zeit wurden große Anlagen am Scheliff, Sig u.a. O. hergestellt. Die vom südlichen Abhang des Atlas abfließenden Gewässer münden in Salzsümpfe (Schotts) oder versiegen im Sande. Die größten Salzsümpfe sind: Sebcha Melrir, Schott es Saida, Schott el Schergui und Schott el Gharbi. Moräste finden sich namentlich bei Bone, um Oran, in der Ebene Tlelat und im S. von La Calle.

[Klima. Pflanzen- und Tierwelt.] In A. lassen sich drei parallele Klimazonen unterscheiden: 1) Das nördliche Gestade mit den angrenzenden Bergen (Tell), Mittelmeerklima mit vorherrschenden Nordwestwinden, verhältnismäßig trocknen Sommern und feuchten Wintern. Die Regenmenge nimmt von W. nach O. zu (50–84 cm). 2) Die Hochebenen, kontinentaleres Klima mit warmen Sommern und sehr kalten Wintern. Jeder Winter bringt Schnee und nicht selten eine Kälte von -10°; der meiste Regen fällt im Frühjahr. 3) Die Sahara, mit sehr heißen Sommern und relativ kühlen Wintern, sehr großer Trockenheit; Regenmenge am größten im Mai. Die Frühlingszeit ist der europäischen Bevölkerung gesundheitlich am zuträglichsten. Im Juli beginnt die große Hitze und mit ihr eine Trockenheit, gegen die selbst der überaus reichlich fallende Nachttau nichts vermag. Nur an der Küste kühlt die Meeresbrise die Atmosphäre auf kurze Zeiten ab. Nicht selten, insbes. im Frühjahr. tritt ein starker Wüstenwind mit schweren Staub- und Sandwolken auf, und die Temperatur kann 50° überschreiten. Von Ende Oktober bis Anfang April währt die Regenzeit. Die Temperaturmaxima erreichen an der Küste selten 40°, und weiter landeinwärts, in Biskra. 48°, dabei sind die Wärmeschwankungen außerordentlich groß. Die Sahara ist zwar regenarm, aber im Winter sind Regenfälle nicht sehr selten. Dabei sind die Schwankungen der Regenmenge sehr groß (Ayata 62 und 267 mm).

Die Pflanzenwelt Algeriens zeigt den Charakter der Mittelmeerflora. Auf dem gut bewässerten kulturfähigen Tell entwickelt sich eine reiche endemische Pflanzenwelt, die lebhaft an die des südlichen Spanien erinnert, während unter den Kulturgewächsen die Dattelpalme und der Olivenbaum auftreten und auf den Feldern Weizen, Mais und Tabak, in den Gärten neben den Südfrüchten (Agrumi) auch die mitteleuropäischen Gemüse in üppiger Fülle gedeihen. Das Atlasgebirge bietet wenig eigentümliche Formen. Die durch das ganze Gebiet verbreiteten Nadelhölzer (die atlantische Zeder, Pinus halepensis, Juniperus oxycedrus und phoenicea), Kastanien, immergrüne Eichen (Quercus ilex und Q. coccifera) und Zwergpalmen (Chamaerops humilis) bilden die Wälder, denen sich die »Maquis« genannte Formation immergrüner Sträucher anschließt, während die Gipfel alpine Formen europäischen Anklanges bedecken. Bemerkenswert ist eine bis zum marokkanischen Atlas vordringende Konifere, Callitris quadrivalvis, die zu einer sonst nur in Australien vertretenen Gattung gehört. Auf dem Hochlande der »Schotts« breitet sich eine wohl charakterisierte Steppenflora aus. Neben Salsolazeen, Atriplex- und Artemisia-Arten erreichen hier die Gräser einen hohen Wuchs, unter denen Macrochloa tenacissima (Halfa), das für die Papierfabrikation ausgeführt wird, wirtschaftlich wichtig ist. Die an die südliche Abdachung des Großen Atlas sich anlehnende Steppe zeigt einen Vegetationscharakter, der sich an den des andalusischen Tafellandes anschließt, dann aber allmählich in das Florengebiet der Sahara überführt.

Die Tierwelt Algeriens gehört der paläarktischen Region und zwar der mittelländischen Subregion an, beherbergt aber auch manche Tiere, die der südlichern äthiopischen Region entstammen. Von größern Säugetieren finden sich in den Gebirgen des Tell und des Atlas noch Löwen und Leoparden, häufiger sind Hyäne, Schakal, Sumpfluchs, das wilde Mähnenschaf, der berberische Affe, eine Gazelle, das Ichneumon und mehrere giftige Schlangen.

[Bevölkerung.] Umfang und Bevölkerung der Kolonie betrugen nach den letzten Erhebungen (1901):

Tabelle

Davon sind: 4,480,456 französische Untertanen (358,045 Franzosen, 57,044 Juden, 4,065,367 Mohammedaner) und 245,641 Fremde (155,124 Spanier, 38,730 Italiener, 23,864 Marokkaner, 2397 Tunesen und 25,526 andre Fremde). Die Zahl der Deutschen nimmt nur durch Zuwanderung, namentlich von Elsaß-Lothringern, zu, da die Geburtsziffer bei ihnen immer noch hinter den Sterbefällen zurückbleibt, während bei den Franzosen, bei denen das früher auch der Fall war, sich schon ein Geburtenüberschuß herausstellt. Am besten gedeihen in A. Spanier, Italiener, vor allen aber Juden (Geburten 43–57, Sterbefälle 24–28 auf Tausend), so daß man schon sagt, A. werde ein neues Palästina werden. Aber noch rascher wächst die einheimische mohammedanische Bevölkerung. Schon daraus ergibt sich, daß A. weder Betriebs-noch Besiedelungskolonie ist. Zwischen den Eingebornen und Fremden besteht eine tiefe Kluft: Sitten, Sprache, Religion, Geschichte, Traditionen, alles trennt die Muslims von dem verhaßten Rumih (Christen). Abgesehen von kleinern Stämmen und Rassen gehören die Eingebornen zwei verschiedenen Völkern an: den Arabern und Berbern (zusammen etwa 300 Stämme). Die erstern, die Beduinen, nennen sich selbst Araber und sind echte Nomaden, meist Nachkömmlinge der dritten arabischen Invasion im 11. Jahrh., die ihre Namen und Stammbäume unverfälscht erhalten haben. Ein Teil von ihnen hat sich aber schon mit den autochthonen berberischen Stämmen vermischt. Die Araber (ca. 3 Mill.) bewohnen zum großen Teil das Tell, aber auch in der Sahara sind sie zahlreich vertreten. Im Tell treiben sie Ackerbau und Viehzucht, in der Sahara ausschließlich die letztere. Sie leben in Zelten oder Reiserhütten (Gurbis). Die seßhaften Eingebornen in den Städten sind sogen. Mauren (ca. 2 Mill.), die sich selber Hadar, Hausbewohner, nennen, im Gegensatze zum Hal bit eschschâar, dem Zeltbewohner, dem Beduinen. Sie sind ein Mischvolk aus den verschiedensten Elementen. Ihren Lebensunterhalt suchen sie im Kleinhandel, vorzüglich aber als Handwerker. Die Kabylen sind unstreitig die echten Nachkommen der alten Berber, zählen gegen 760,000 Köpfe und bewohnen größtenteils die Provinz Konstantine, jenes alte Numidien, wo ihre Vorfahren so viel Zähigkeit im Kampf mit Römern und Karthagern entwickelten. Sie haben bis heute die alte berberische oder libysche Sprache bewahrt, die sie mit arabischen Schriftzeichen schreiben, seit sie Muslims geworden sind. Der Kabyle wohnt in Dörfern, treibt Ackerbau und ein wenig Industrie, ist arbeitsam, sehr mäßig, abergläubisch, fanatisch und barbarisch, dabei schmutzig und geizig. Bei alledem ist er mehr geneigt, französische Einrichtungen anzunehmen, als der Araber; er läßt seine Kinder französische Schulen besuchen und nimmt begierig Verbesserungen im Ackerbau und Handwerk an, wird in dessen mit den Europäern ebensowenig verschmelzen wie der Araber. Kleinere Stämme in A. sind: die Biskrih, Berber aus den Oasen des Ziban, ein tätiges Völkchen, das die Wasser-, Packträger und Hausknechte der Städte liefert; die gleichfalls berberischen Mzabiten oder Beni Mzab aus den Oasen an den Grenzen der Sahara (gegen 30,000). Sie haben den Kleinhandel in Händen. ebenso die Fleischerei, den Betrieb der öffentlichen Bäder etc. Bei den europäischen Großhändlern haben sie unbegrenzten Kredit. Sie gehören keiner der vier sunnitischen Sekten des Islam an, sondern verwerfen gleich den Wahabiten Arabiens die Sunna (Tradition) und mißbilligen die Heiligen- (Marabut-) Verehrung Die Türken, die bei der Eroberung Algeriens durch Frankreich der herrschende Volksstamm waren, wurden durch die französische Regierung zur Auswanderung gezwungen. Die wenigen Neger stammen aus dem Innern von Afrika und leben meist als Tagelöhner und Dienstboten in den Städten. Die Juden, unter den Deis mißhandelt und unterdrückt, durch die Franzosen aber mit allen bürgerlichen Rechten ausgestattet, nehmen immer mehr französisches Wesen und Tracht an. Trotz ihrer geringen Bildung den Mauren im Handel überlegen, erwerben sie schnell Reichtum, werden aber von den Eingebornen bitter gehaßt.

Da der mohammedanische Kultus aufs engste mit dem bürgerlichen Leben verflochten ist, so fand sich die französische Regierung veranlaßt, die vorhandenen religiösen Institutionen nicht nur zu respektieren, sondern auch als Regierungsmittel zu benutzen. Eine ihrer ersten Maßregeln war darum die, sämtliche Moscheengüter der eroberten Territorien für Staatsgut zu erklären und alle Kosten des Kultus zu übernehmen. Die geistlichen Angelegenheiten der Muslims leiten zwei Muftis. An der Spitze der katholischen Kirche steht der Erzbischof von Algier, dem zwei Bischöfe beigegeben sind; auch besteht in Algier ein großes und ein kleines Priesterseminar. Die Angelegenheiten der protestantischen Kirche leitet das Konsistorium in Algier. Für das Volksschulwesen ist insoweit gesorgt, daß in jeder Gemeinde sich gegenwärtig wenigstens eine Volksschule (etwa 1200) befindet. Außerdem gibt es Kinderbewahranstalten, die meist von geistlichen Brüderschaften geleitet werden. Auch bestehen Schulbibliotheken und für Erwachsene Abendkurse, von höhern Lehranstalten 3 Lyzeen (in Algier, Oran und Konstantine) und 11 Progymnasien, endlich eine medizinisch-pharmazeutische Schule, eine Rechtsschule, eine naturwissenschaftliche und eine philosophische Schule und 3 Lehranstalten für das Arabische in Algier, Oran und Konstantine, in Algier eine Kunstschule, ein Observatorium und eine öffentliche Bibliothek. Die ganze Kolonie bildet einen Akademiebezirk. Von Zeitungen erscheinen in der Kolonie 92 (davon 25 in Algier, darunter täglich »Le Moniteur del'Algérie« und »La Vigie Algerienne«), einige in französischer und arabischer Sprache. Algier und Oran besitzen Gesellschaften für Geographie und Altertumskunde.

[Bodenerzeugnisse.] Als Hindernis des raschern Aufschwungs der Kolonisation ist das Kollektiveigentum der arabischen Stämme zu bezeichnen. Man hat zwei Kolonisationssysteme zu unterscheiden: die private Kolonisation, die Land durch Ankauf erwirbt, und die offizielle, die auf dem System der Konzessionen beruht. Trotz der furchtbaren, jährlich wiederkehrenden Heuschreckenplage ist A. bereits ein bedeutsamer Konkurrent auf dem Getreideweltmarkt geworden. Mit Ackerbau, Viehzucht und Weinbau beschäftigten sich 1901: 3,675,000 Personen, wovon 209,500 Europäer und 3,465,500 Eingeborne waren. Dennoch sind nur 2 Proz. der Oberfläche Algeriens landwirtschaftlichen Zwecken gewidmet. Ein Hektar unter Bebauung liefert bei Europäern 9, bei Eingebornen 6 Ztr. Die mit Kornfrüchten bebaute Fläche betrug 1901: 2,907,519 Hektar und lieferte einen Ertrag von 22,538,066 dz. Davon entfielen auf Weizen 1,317,419 Hektar u. 9. 142,766 dz, auf Gerste 1,454,398 Hektar und 12,073,994 dz. Viel geringer ist die Bedeutung der Kultur von Hafer (393,035 dz), Mais, Hirse, Roggen. Von ganz außerordentlichem Erfolg ist der Gemüsebau gekrönt worden, der sich vornehmlich auf die Metidscha beschränkt. Gemüse wie Früchte gehen nicht nur nach Frankreich, sondern auch nach England, Deutschland, ja bis Petersburg. Der Tabakbau wurde erst 1844 von den Kolonisten eingeführt, gegenwärtig bildet er schon einen sehr wichtigen Ausfuhrartikel; 1901 wurden 7,732,300 kg von 8574 Hektar geerntet. Eine der wichtigsten Industriepflanzen ist das Halfa (s. Esparto), das nahezu eine Spezialität der Kolonie genannt werden kann; es wurden davon 1890 auf 11/2 Mill. Hektar 105,282 Ton. geerntet, wovon 72,854 T. im Werte von 7,292,114 Fr. ins Ausland, besonders nach England, gingen. Am wichtigsten ist aber für die Kolonie der Weinbau geworden, der 1901, auf 151,877 Hektar betrieben, einen Ertrag von 5,563,000 hl ergab (s. Algiersche Weine). Die Zahl der Dattelpalmen wird 1901 auf 21/4 Mill. angegeben; die Ölproduktion ergibt ca. 500,000 hl. Der Viehstand war früher ein wenig höher; 1901 zählte man 200,000 Pferde, 147,000 Maultiere, 265,000 Esel, 193,000 Kamele, 993,000 Rinder, 6,724,000 Schafe, 3,563,000 Ziegen und 82,000 Schweine. Von diesem Viehstand befindet sich nur ein sehr kleiner Teil in dem Besitz der Kolonisten. Das algerische Pferd ist schlank, leicht und nervig, daher hauptsächlich als Renner und zu militärischen Zwecken brauchbar. Die Regierung unterhält drei Landesgestüte. Bei den Arabern im allgemeinen finden sich nur minder edle Rassen von Pferden; aber seit 1852 hat man angefangen, die arabischen Stämme zur Verbesserung der Pferdezucht zu veranlassen. Zum Transport dienen in A. Kamel, Esel und Maultier, denen das trockne und heiße Klima gut bekommt. Schafherden machen den einzigen Reichtum der südlichen, den äußersten Saum der Wüste bewohnenden Stämme aus. Der Hauptmarkt für die Wolle jener Wüstenstämme ist Konstantine. Die Rinder sind fleisch- und milcharm, die Schafe dagegen durch Einfuhr edler Stämme bedeutend verbessert. Schweine wurden erst seit der französischen Eroberung nach A. verpflanzt. Der bedeutende Viehstand gestattet eine ansehnliche Ausfuhr nach Frankreich und den Mittelmeerländern. 1879 gründeten Pariser Kaufleute auch eine Gesellschaft zur Aufzucht von Straußen in A. In den Sümpfen der Provinz Oran werden viele Blutegel gezüchtet. Die Fischerei der edlen roten Koralle schwankt sehr in ihren Erträgen. Der Fischfang an der Küste ist jetzt nur noch Franzosen und Einwohnern von A. gestattet; der Ertrag an Fischen und Korallen belief sich 1894 auf 2,997,219 Fr. Die Waldkultur Algeriens befindet sich bei weitem nicht in dem Zustand, welchen die treffliche Naturbeschaffenheit des Waldbodens erwarten ließe. Es sind hieran vornehmlich die Waldbrände schuld, welche die Araber teils aus Böswilligkeit, teils um ihrem Vieh ein wenig Weide zu verschaffen, anrichten. Die mit Wäldern, Gehölzen und Buschwerk bedeckte Fläche wird auf gegen 3 Mill. Hektar angegeben, davon waren bestanden mit Eichen 1,028,093 Hektar, mit Tannen 753,631, mit Zedern 35,267, mit Thuyas 88,000 Hektar. Der Ertrag an Holz und Halfa aus dem Forstgebiet erreichte 1901: 1,570,800 Fr.

Mineralien. Mit Ausnahme von Gold finden sich alle Metalle, namentlich Eisen, Blei, Silber, Kupfer, Zink, doch erschweren die Unmöglichkeit der Verhüttung bei dem Mangel an Kohlen und ungenügenden Verkehrsstraßen einen ergiebigen Abbau. Im Departement Algier sind die bedeutendsten Eisen- und Kupferminen die von Muzaia, Sumah, Dschebel Tmulga, Miliana, Blida und Tenes; in Konstantine die Kupfergruben von Ain, Barbas, die Eisenminen von Ain Mokrah, Dschebel Anini, die Blei- und Silbergruben von Kefum Thebul, Bu Taleb, die Antimongruben von El Hammimat und Sensa, die Quecksilber- und Zinkgruben von Jemappes und Guelma; in Oran die Blei- und Silbergruben von Gar Rubban, die Gruben von phosphorfreiem Eisen in Beni Saff und Cemerata, für die 1879 ein eigner Hafen, Mersa Si Ahmed, gebaut wurde. Onyxmarmor bricht man bei Oran, durchsichtigen sogen. orientalischen Alabaster bei Ain Jekbalet, vorzüglichen weißen am Dschebel Filfilla, Marmor zu Bildhauerwerken bei Tolfila; 1878 wurde bei Kléber (Arrond. Oran) der schöne rote Marmor der Alten (giallo antico) wieder aufgefunden. Salz wird aus Salzseen und als Steinsalz (bei Milah, El Kantara, Wargla) gewonnen. Auch Schwefel, Magnesia u. Porzellanerde sind vorhanden. Von großer Bedeutung sind die Phosphatlager von Philippeville, Bone, Tebassa etc., die Ausbeute an Phosphat betrug 1901: 270,000 Ton. Die Förderung von Eisenerzen betrug 498,000 T. Von Mineralquellen kennt man über 100; die Ruinen von Badebassins und Tempeln, die man in der Nähe dieser Quellen häufig antrifft, deuten darauf hin, daß schon die Römer die Wirksamkeit derselben gekannt und sie benutzt haben. Am berühmtesten sind im Depart. Algier die heißen Quellen von Hammam Meluan und Hammam Righa, im Depart. Oran die heiße Quelle von Bains-de-la-Reine, vor allen aber in Konstantine die von Hammam Maskutim (95°).

[Industrie, Handel und Verkehr.] Die gewerbliche Tätigkeit, die im Mittelalter bedeutender war, beschränkt sich jetzt bei der einheimischen Bevölkerung im Tell und in den Küstenstädten fast ausschließlich auf Bereitung von Maroquin, Teppich-, Musselin- und Seidenweberei. Für die Bewohner der Sahara waren von alters her das Weben wollener Gewänder, die Kultur des Dattelbaums und der Vertrieb dieser Erzeugnisse die Hauptquellen des Erwerbs. Die Kabylen der Gebirge treiben Ackerbau und Viehzucht, daneben Wollweberei, Holzschnitzerei, Mattenflechten etc., auch etwas Bergbau, namentlich auf Eisen, das sie teils zu Ackergerätschaften, teils zu Waffen verarbeiten. Fast bei allen diesen Stämmen finden sich Mühlen und Ölpressen. Bei der europäischen Bevölkerung hat sich eine bedeutendere Industrie noch nicht entwickeln können, nennenswert sind die Weinkelterei, die Tabak- und Zigarrenfabrikation, Schneide- und Ölmühlen. 1894 waren in 16,456 gewerblichen Anstalten 43,957 Arbeiter beschäftigt. A. bildet seit 1851 mit Frankreich ein einziges Zollgebiet, und so siegreich hat letzteres die ausländische Konkurrenz bekämpft, daß von dem Gesamthandel des Jahres 1899 im Betrage von 635,3 Mill. Fr. nicht weniger als 531,9 Mill. auf den Verkehr mit dem Mutterland entfielen. Die Einfuhr betrug 1899: 309,9 Mill. Fr. (Baumwollengewebe, Metallwaren, Wollengewebe, ferner Kohle, Kaffee, Zucker, Seife, Bauholz und alle andern Industrieprodukte). Die Ausfuhr betrug 325,4 Mill. Fr.; sie besteht in Wein 141,3, Tieren 36,8, Getreide 42,5, Tabak 12,9, Häute und Felle 11,3, Wolle 10,9, Halfa 7,5 Mill. Fr. Der Anteil Deutschlands am Handel betrug 1,1, bez. 4,2 Mill. Fr.

Für den innern Verkehr hat die Regierung erst seit 1879 mehr getan, namentlich in der Nähe der Küste. Die Länge der Straßen des Staates beträgt 3507, der Departements 524, der Gemeinden 26,588 km. Die wichtigste Kunststraße ist die, welche Medea, Blida, Bufarik und Duera mit Algier verbindet. Die erste Eisenbahn wurde 1862 von Algier bis Blida eröffnet. Im Betrieb war 1901 in A. ein Schienennetz von 3023 km Länge, außerdem 28 km Industriebahnen (zu den algerischen Salzwerken und nach den Minen von Kef um Thebul). Diese Eisenbahnen sind von vier französischen Gesellschaften unter einer staatlichen Zinsgarantie von 6 Proz. erbaut worden. In der Hauptsache sind die Bahnen Küstenbahnen, nur die Linien von Arzeu nach Ain Sefra und von Philippeville nach Biskra reichen tiefer ins Land. An letztere soll sich die vielbesprochene Saharabahn anschließen zur Durchquerung der Wüste über Ain Salah nach Timbuktu. Die weitern Dampfverbindungen sollen künftig durch Tramways hergestellt werden. Alle Hauptorte der Unterdivisionen sind mit der Divisionshauptstadt und diese Hauptstädte wieder mit Algier durch Telegraphen verbunden; die Telegraphenlinien hatten 1901 eine Länge von 10,379 km, sie beförderten durch 488 Ämter (1899) 1,900,486 Depeschen im innern, 59,440 Depeschen im internationalen Verkehr und 186,264 Dienstdepeschen. Die Post hatte 590 Ämter, 4,988,426 Fr. Einnahmen und (mit der Telegraphie) 6,082,601 Fr. Ausgaben. Drei unterseeische Kabel verbinden seit 1879 Marseille direkt mit Algier. Gegenwärtig vermitteln sieben französische Dampfschiffsgesellschaften die Verbindung mit Marseille und Cette, spanische Schiffe fahren zwischen Alicante und Valencia und algerischen Häfen, die auch von den englischen ostwärts gehenden Dampfern regelmäßig angelaufen werden. Der wichtigste Hafen ist Algier, nächstdem Bone, Philippeville, Bougie, Scherschel, Tems, Mostaganem, Oran und Nemours. In Algier (s. d.) bestehen 5 Banken, eine Handelskammer und in den größern Orten Konsulate. Der Schiffsverkehr betrug 1899 in den 17 Häfen Algeriens: im Eingang 3631 Schiffe von 2,617,635 Ton., davon 2206 französische von 1,607,251 T.; im Ausgang 3960 Schiffe von 2,868,123 T., davon 2525 französische von 1,839,825 T. Seit 1889 ist die Schiffahrt zwischen Frankreich und algerischen Häfen französischen Schiffen vorbehalten. Die Handelsmarine bestand Ende 1899 aus 745 Schiffen von 19,564 T.

[Verwaltung.] An der Spitze der Regierung steht seit 1871 ein Generalgouverneur, der, zu Algier residierend, Zivil- und Militärgewalt in seiner Person vereinigt und hinsichtlich der politischen Verwaltung vom französischen Ministerium des Innern, in allen andern Angelegenheiten von den betreffenden Ministerien abhängt. Für Zivilangelegenheiten steht ihm ein aus den höchsten Beamten und hervorragenden Bürgern zusammengesetzter Rat zur Seite. Die drei Departements Algier, Oran und Konstantine zerfallen jedes in ein Territoire militaire und ein Territoire civil; letzteres wird wieder in Arrondissements eingeteilt, während das Territoire militaire in Divisionen und Subdivisionen zerfällt. Das Territoire civil hatte 1896 eine Bevölkerung von 3,873,278, das Territoire militaire eine solche von 556,143 Seelen. Die arabische Bevölkerung bildet noch Duars und Ferkas (Gemeinden), Uls (Stämme) und Arraliks (Vereinigungen von mehreren Stämmen). Die Streitkräfte bestehen aus einem Armeekorps (XIX.), das 3 Infanteriedivisionen, 3 Kavalleriebrigaden, 1 Artilleriebrigade, 1 Geniebataillon, 1 Traineskadron und 1 Legion Gendarmerie hat. Diese Truppen sind meist französische Soldaten, gemischten Charakters sind 4 Regimenter Zuaven und 1 Regiment Fremdenlegion, während 3 Regimenter Turkos und 3 Spahisregimenter aus Eingebornen (Mohammedanern) bestehen. Die Gesamtstärke beträgt 55,149 Mann. Außerdem besteht eine Art Miliz, ein Aufgebot von eingebornen Reitern. Die Justizverwaltung zerfällt zuvörderst, jedoch nur für einzelne Fälle, in die Abteilungen für Europäer und für Eingeborne. Im allgemeinen aber sind alle Bewohner, ohne Unterschied der Nationalität und des Glaubens, den französischen Gerichten unterstellt. Nur gewisse nach dem Koran straffällige Vergehen, die in dem französischen Gesetzbuch nicht vorgesehen sind, kommen vor die Kadis. Die für die europäische Bevölkerung bestehenden Gerichte sind ganz auf ähnliche Weise wie im Mutterlande zusammengesetzt. Handelsgerichte bestehen in Algier und Oran. Die Finanzlage der Kolonie ist wenig befriedigend. Einschließlich der Kosten für das Militär hat das Mutterland fortwährend Zuschüsse zu machen, in den letzten Jahren zwischen 75,4 und 86,3 Mill. Frank jährlich, von 1830–87 im ganzen 3660,8 Mill. Fr. Nach dem Budget für 1901 wurden die Einnahmen mit 55,314,144 Fr., die Ausgaben mit 55,237,675 Fr. veranschlagt. Von den Steuern zahlen die Kolonisten pro Kopf 85,15, die Eingebornen nur 7,70 Fr.

[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. »Exploration scientifique de l'Algérie pendant les années 1840–1842« (Par. 1844 ff., 31 Bde.); »Exposés de la situation del'Algérie« (jährlich); »Grand annuaire commercial, industriel, administratif, etc. de l'Algérie et la Tunisie« (jährlich); Hanoteau und Letourneux, La Kabylie (Par. 1873, 3 Bde.); Niox, Algérie, géographie physique (das. 1884) und Géographie militaire. Algérie et Tunisie (das. 1890); v. Maltzan, Drei Jahre im Nordwesten von Afrika (2. Aufl., Leipz. 1868, 4 Bde.); Schwarz, A. nach 50 Jahren französischer Herrschaft (das. 1881). Houdas, Ethnographie de l'Algérie (Par. 1886); Villot, Mœurs, coutumes et instructions des indigènes de l'Algérie (3. Aufl., Algier 1888); Leroy-Beaulieu, L'Algérie et la Tunisie (2. Aufl., Par. 1897); Lescure, L'agriculture algérienne (das. 1892); Vignon, La Franceen Algérie (das. 1893); Anton, Französische Agrarpolitik in A. (Leipz. 1893); Béquet u. Simon, L'Algérie. Gouvernement, administration, legislation (Par. 1883, 3 Bde.); Pensa. L'Algérie, organisation politique et administrative (das. 1894); Mallarmé, L'organisatien gouvernementale de l'Algérie (das. 1901); Vast, L'Algerie et les colonies françaises (das. 1901); die Schriften des Generals E. Daumas (s. d.), Reisehandbücher von Piesse, Conty (franz.), Playfair (Murray, engl.) u.a. Karten: Carte topographique de l'Algérie (dépôt de la guerre), 1: 50,000, seit 1884 im Erscheinen; Carte administrative des voies de communications, Départ. de Constantine, 1: 4,000,000, amtlich; ferner Karten von Langlois (1884), Gaultier (1887), Levasseur (1889), Lacoste (1889); geologische Karten von Pomel u. Pouyanne (1892, 4 Bl.) und Gaultier, 1: 800,000 (Par. 1892).

Geschichte.

A. ist das alte Numidien. In der römischen Zeit bildete nur der östliche Teil die Provinz Numidien. der westliche gehörte zur Provinz Mauretanien. Das Land befand sich damals in blühendem Zustand um hatte viele volkreiche Städte, allein 123 Bischofssitze. Aber durch die verwüstenden Einfälle erst der Vandalen, dann der Araber wurde diese Kultur zerstört. die zum Islam übergetretenen Berber wurden die herrschenden Einwohner. Um 935 gründete der arabische Fürst Zeiri auf der Stelle des alten Icosium die Stadt Al Dschêsair, das jetzige Algier. Seine Nachkommen herrschten im Lande bis 1148, nach ihnen bis 1269 die Almohaden von Marokko. Dann zerfiel das Land in mehrere Gebiete. Zu dem bedeutendsten, dem Königreich Tlemsen unter den Zizaniden (Zioniten, Zianiden), gehörte Algier. Seit dem 15. Jahrh. begannen die Küstenbewohner Seeräuberei zu treiben. Schon Ferdinand der Katholische zog gegen sie; Kardinal Ximenes nahm 1509 Oran und Bugia (Bougie) und errichtete vor dem Hafen der 1510 eroberten Stadt Algier ein Kastell. Dem Emir der Mitidscha, Selim Eutemi, kam der islamische Lesbier Horuk Barbarossa 1515 zu Hilfe; nach Ermordung Selims machte er sich zum Herrscher von A., Tenes und Tlemsen. Nach seinem Tode (1518) stellte sich sein Bruder Chaireddin Barbarossa 1519 unter die Lehnshoheit der Pforte und trieb mit türkischen Hilfstruppen die Spanier aus ihrem Inselhort, eroberte 1533 auch Tunis und wurde mit seinen Schiffen der Schrecken der Christen im Mittelmeer. Kaiser Karl V. vertrieb zwar 1535 die Piraten aus Tunis, mußte aber 1541, nachdem er 20. Okt. mit 370 Schiffen und 30,000 Mann in A. gelandet war, wieder abziehen, weil ein Unwetter sein Lager und viele Schiffe zerstört hatte. So dauerten die Raubzüge fort. Die algerischen Korsaren eroberten im 16. Jahrh. alles Gebiet bis zur Grenze von Marokko, außer dem spanischen Oran. Innere Kämpfe entstanden, seitdem die türkischen Janitscharen in A. 1600 das Recht erhalten hatten, einen »Dei« zu wählen, der neben dem Pascha des Sultans stehen sollte. Mehrere Angriffe der Engländer und Holländer auf A. (1655, 1669 und 1670) blieben erfolglos; ebensowenig vermochten die Franzosen durch drei Bombardements Algiers (1682,1683 und 1687) die Seeräuberei zu unterdrücken. Der Dei Ibrahim eroberte 1708 auch Oran. Dessen Nachfolger Baba Ali entrichtete keinen Tribut mehr nach Konstantinopel. A. bildete seitdem einen Soldatenstaat unter dem von den Janitscharen gewählten Dei, dem ein Diwan oder Staatsrat von 60 Beamten zur Seite stand. Vorübergehend wurde Tunis 1757 von algerischen Truppen besetzt. Nachdem die Spanier 1775 ihre letzte vergebliche (von W. Dalrymple beschriebene) Expedition gegen A. unternommen und das 1732 von neuem eroberte Oran 1791 wieder verloren hatten, konnte sich das algerische Raubnest die schwächern christlichen Mächte tributär machen. Erst nach den Stürmen der Revolutionskriege schritt man ein. Der amerikanische Kommodore Decatur schlug 20. Juni 1815 bei Cartagena die algerische Flotte und erzwang die Unverletzlichkeit der Unionsflagge. Als darauf der Dei 23. Mai 1816 die Mannschaft von 359 italienischen Schiffen, welche die Erlaubnis zum Korallenfischen erkauft hatten und unter britischer Flagge in Bone lagen, hatte niedermetzeln lassen, bombardierte eine englisch-niederländische Flotte unter General Exmouth Algier und erzwang 28. Aug. die Freilassung von 1211 Christensklaven. Aber schon 1817 wagten sich algerische Seeräuber wieder bis in die Nordsee und nahmen Schiffe der Mächte weg, die ihnen weder Tribut noch Geschenke bewilligt hatten. So zahlte noch 1829 das Königreich beider Sizilien jährlich 24,000 Piaster Tribut, und zu ähnlichem hatten sich Portugal, Toskana, Sardinien, Schweden und Dänemark, Hannover und Bremen verstehen müssen; selbst England hatte bei jedem Konsulwechsel ein Geschenk von 600 Pfd. Sterl. zu machen. Die Gefangenen verfielen, wenn sie nicht ausgelöst wurden, der Sklaverei.

Wiederholte Verletzungen der französischen Flagge und 1823 die der Wohnung des französischen Konsularagenten hatten schon die französische Regierung gegen den seit 1818 regierenden Dei Husein gereizt, als dieser 1827 von Frankreich für Getreide, das algerische Juden 1798 während der ägyptischen Expedition geliefert hätten, zu viel forderte und wegen des Ausbleibens einer Antwort den französischen Konsul Deval tätlich beleidigte. Ein französisches Geschwader nahm den Konsul auf und begann, da der Dei das französische Ultimatum ablehnte, 12. Juni 1827 die Blockade; der Dei ließ dagegen die zur Korallenfischerei bei Bone gegründeten französischen Niederlassungen zerstören. Da die französische Regierung einen auswärtigen Erfolg zu erzielen wünschte, so ließ sie 25. Mai 1830: 75 Kriegsschiffe unter Admiral Duperré mit einem Landheer von 37,500 Mann unter General Bourmont (auf 400 Transportschiffen) von Toulon auslaufen; die Flotte warf 13. Juni in der Bucht von Sidi el Ferruch westlich von Algier Anker. Die Franzosen erstürmten 19. Juni das Lager des Dei. Nachdem das Kaiserfort im S. der Stadt 4. Juli in die Luft gesprengt und Algier von der Landseite eingeschlossen war, kapitulierte der Dei 5. Juli; ihm wurden sein Privatvermögen und die freie Wahl seines Wohnorts außerhalb Algeriens gewährt. Alle Türken wurden nach Smyrna transportiert, den übrigen Einwohnern Achtung der Religion und des Eigentums, Freiheit des Handels und der Gewerbe zugesichert; die Sklaverei der Christen, alle Tribute der europäischen Staaten und alle Monopole wurden für immer abgeschafft. Das Land freilich mußten die Franzosen erst erobern, und schon 23. Juli stießen sie bei Blida auf einen vom Bei von Titteri veranlaßten Aufstand. Schon war indes Oran durch Vertrag gewonnen und Bone besetzt, als der Sturz Karls X. durch die Julirevolution eine Stockung in den französischen Unternehmungen verursachte; Bourmont verließ 2. Sept. A. König Ludwig Philipp sandte darauf den Marschall Clauzel als Gouverneur nach A. Dieser begann sofort die Erweiterung des Gebiets durch Streifzüge in das Innere und Kolonisationsversuche, wurde aber schon 1831 abberufen, da er eigenmächtigerweise Bone und Konstantine an den Bei von Tunis abgetreten hatte. Sein Nachfolger, General Berthezène, verwirrte durch übereilte Neuerungen und reizte durch Konfiskationen und Sequestrationen die Bevölkerung: Kabylen oder Berber, Araber und Türken (Kulugli), statt sie durch kluge Politik voneinander zu trennen, zu gemeinsamem Widerstand. Unter dem Gouverneur Savary (Dezember 1831 bis März 1833) wurde zwar Bone erobert; aber in Oran erhob sich der Emir von Mascara, Abdel Kader (s. d.). Savarys Gewaltstreiche brachten bald ganz A. in Aufstand, so daß er endlich abberufen und zur Verantwortung gezogen wurde. Eine von der Kammer eingesetzte Kommission entschied sich für die fernere Behauptung Algeriens; eine Ordonnanz vom 22. Juli 1834 verordnete, das eroberte Gebiet solle fortan »französische Besitzungen im Norden Afrikas« heißen. Ein Generalgouverneur sollte mit dem militärischen Oberkommando zugleich die Verwaltung führen und unter dem Kriegsministerium stehen. Für die Justiz wurden Tribunale erster Instanz zu Algier, Bone und Oran, ein Obertribunal und ein Handelsgericht zu Algier eingesetzt und ein Generalprokurator ernannt, der das einheimische Recht prüfen und mit der neuen Justizverfassung in Übereinstimmung bringen sollte.

Es traten nun geordnetere Zustände ein. Mit Abd el Kader kam 26. Febr. 1334 der erste Friede zu stande, worin der Emir den König der Franzosen als Lehnsherrn anerkannte. Der Friede dauerte aber nicht lange. General Trézel verlor 28. Juni 1835 die Schlacht an der Makta gegen den Emir. Marschall Clauzel, der im August 1835 auf den friedfertigen Drouet d'Erlon als Gouverneur folgte, zerstörte im Dezember Abd el Kaders Residenz Mascara und schlug ihn mehrere Male; doch sein Zug gegen Konstantine (im November 1836) mißlang: durch Hunger, Kälte, Krankheit und die Waffen Ahmed Beis wurden von 8000 Mann über 5000 aufgerieben. Während General Bugeaud 30. Mai 1837 unweit der Tafna den zweiten Frieden mit Abd el Kader schloß, bereitete Damrémont einen zweiten Angriff auf Konstantine vor, das, nachdem Damrémont 12. Okt. gefallen war, 13. Okt. vom General Grafen Valée erstürmt wurde. Nun wurde die französische Herrschaft nach bestimmtem Plan und möglichst friedlich ausgebreitet und hierdurch die fast unblutige Einnahme von Stora, Milah und La Calle (1838–39) sowie die Vernichtung der Macht Ahmed Beis erreicht. 1839 erneuerte Abd el Kader seine Feindseligkeiten und predigte überall den »heiligen Krieg« gegen die Franzosen. General Bugeaud, seit 1841 mit dem Oberbefehl gegen ihn betraut, ermüdete den Feind und bestach seine Anhänger. Mascara wurde 30. Mai 1841 besetzt, im Oktober Abd el Kaders letztes Bollwerk, Saida, zerstört, und nachdem 30. Jan. 1842 Tlemsen und 9. Febr. das feste Tafrua gefallen waren, flüchtete der Emir auf marokkanisches Gebiet. Im Sommer 1842 erschien er von neuem, und wenn auch seine Einfälle meist zurückgewiesen wurden (1843 nahm der Herzog von Aumale seine Smalah, sein Lager, durch Überfall), so fand er doch in Marokko immer wieder Verstärkungen. Frankreich sah sich daher 1844 genötigt, Marokko den Krieg zu erklären. Das marokkanische Heer, dessen Vorhut Abd el Kader bildete, wurde 14. Aug. 1844 am Flusse Isly von Bugeaud entscheidend geschlagen. Da gleichzeitig ein französisches Geschwader unter dem Prinzen von Joinville an der marokkanischen Küste erschienen war, 6. Aug. Tanger und 10. Aug. Mogador bombardiert und 16. Aug. die vor letzterm Hafen liegende Insel erobert hatte, so kam unter englischer Vermittelung der Friede zu stande, wonach Marokko Abd el Kader keinen Vorschub mehr leisten durfte. Letzterer eröffnete wiederum den kleinen Krieg in A., versuchte 1847 Marokko zu erobern, wurde aber vom Sultan Abd er Rahmân 11. Dez. geschlagen und auf französisches Gebiet gedrängt, wo er 22. Dez. vom General Lamoricière gefangen genommen wurde.

Bugeaud hatte 1845 auch eine Zivilverwaltung eingerichtet; die drei Provinzen Algier, Oran und Konstantine erhielten je einen Konseil mit einem Direktor an der Spitze. Die französische Nationalversammlung bestimmte 1848, daß A. vier Deputierte wählen solle, und schickte einige Arbeiterkolonien dahin, die aber nicht gedeihen wollten. Nach dem Staatsstreich vom 2. Dez. 1851 wurde Lambessa zur Deportationskolonie für politische Verbrecher ausersehen. Der Krieg gegen die Eingebornen dauerte inzwischen fast ohne Unterbrechung fort, da die Franzosen jetzt an die Eroberung Kabyliens gingen. 1851 erhoben sich fast alle Gebirgsstämme zwischen Dschidschelli, Philippeville und Milah; General Saint-Arnaud besiegte innerhalb 80 Tagen sämtliche Empörer in 20 Treffen und 6 Schlachten. Im Dezember 1852 wurde unter dem Generalgouverneur Randon (1852–58) die Oase Laghuat im S. Algeriens in Besitz genommen, der mächtige Stamm der Beni Mzab stellte sich unter französischen Schutz; 1853–54 wurden die Oasenlandschaften von Tuggurt und Wadi Suf besetzt, ferner die Uled Sidi Scheich und die Oase Wargla der französischen Herrschaft unterworfen. Die Feldzüge von 1856 und 1857 vollendeten die Bezwingung der Kabylen; seitdem war die Grenze des französischen Gebietes bis an den Rand der Sahara vorgeschoben. 1858 wurde die Kolonie unter ein Ministerium für A. und die Kolonien gestellt; dies wurde aber bereits Ende 1860 durch ein Militärgouvernement (Pélissier. dann Mac Mahon) ersetzt, dem ein Vizegouverneur. ein Generaldirektor für Zivilgeschäfte, ein Ministerium für Justiz, Schul- und Kirchenwesen sowie ein Konseil zur Beratung des Budgets zur Seite standen. Da die Verhältnisse der Kolonie ungünstig waren, so besuchte Napoleon III. im April 1865 selbst A. Die militärischen Obrigkeiten (bureaux arabes) verstanden die materiell und sozial gedrückten Eingebornen nich: zu behandeln; der Mangel an Verkehrswegen, dei französische Schutzzoll auf die Produkte der Kolonie. die Formalitäten und Schreibereien der Bureaukratie bewirkten, daß der Wohlstand der algerischen Bevölkerung zurückging. Durch freundlichen Verkehr mit den Arabern und eine vielverheißende Proklamation suchte der Kaiser der Unzufriedenheit zu begegnen. Aber bei den Reformen kam man über Anläufe nicht hinaus. Während des deutsch-französischen Krieges (1870/71) mußte die Regierung A. von Truppen fast entblößen; doch erkannten die Eingebornen zu spät diese Gunst der Umstände. Erst im April 1871 nahm der Aufstand im S. von A. größere Ausdehnung an und wurde 1872 vom Generalgouverneur Gueydon unter drückt. So gab die Republik ihre Absicht, A. eine reine Zivilverwaltung zu geben, einstweilen auf; 1873–79 hatte General Chanzy das Generalgouvernement inne. dem 1875 ein aus Zivilbeamten bestehender Conseil supérieur beigegeben wurde. Erst 1879 wurde in Albert Grévy ein Zivilgouverneur eingesetzt, dessen Gewalt sich bloß auf den Küstenstrich, ein Neuntel des algerischen Gebietes, beschränkte; die Stämme der Araber und Berber blieben unter militärischer Gewalt. Während der Besetzung von Tunis (1881) erhob sich noch einmal im W. ein kühner Häuptling, Bu Amema, und fügte durch Überfälle den Franzosen und den europäischen Kolonisten Verluste zu. Seitdem war Ruhe in A. bis Ende der 90er Jahre.

Die antisemitische Bewegung in Frankreich pflanzte sich leicht nach A. über, weil in der arabischen, teilweise auch der europäischen Bevölkerung Mißstimmung gegen die Juden entstanden war, die zwar durch das übereilte Dekret des jüdischen Mitgliedes des Gouvernements der nationalen Verteidigung, Cremieux, vom September 1870 en bloc naturalisiert worden. aber auf ihrer niedrigen Kulturstufe stehen geblieben waren und fortfuhren, die Bevölkerung durch Wucher auszubeuten. Es kam deshalb 1897 und 1898 zu Unruhen der Araber. 1898 wurde der Antisemit Max Régis, ein naturalisierter Italiener, Maire der Stadt Algier und das Haupt der französischen Antisemiten, Drumont, algerischer Deputierter. Die französische Regierung berief den Generalgouverneur Lepine ab und ernannte Laferrière zum Generalgouverneur. Als dieser den Maire absetzte, wurde Régis vom Gemeinderat zum Ehrenmaire ernannt; doch flaute allmählich die antisemitische Bewegung ab, seitdem Jonnart, der kurze Zeit darauf Generalgouverneur war, mit seinem Programm: den eingebornen und den europäischen Teil der Bevölkerung getrennt zu verwalten, aber unter einer versöhnenden Oberleitung zu vereinigen, durchgedrungen ist. Auch wurde durch das Gesetz vom 20. Dez. 1900 für A. ein selbständiges Budget geschaffen. Unter solchen Aussichten trat 30. Juni 1901 der neue Generalgouverneur Révoil sein Amt an; nach der anfänglichen Verwöhnung des Berbertums und dem mit 1871 einsetzenden Gegenstück ist man nun zur vermittelnden Politik des gesunden Menschenverstandes übergegangen.

Vgl. für die römische Zeit die bei Art. »Numidien« angegebenen Werke; für die spätere Geschichte vgl. außer den ältern Werken von Scepper (Antw. 1554, latein.) und Laugier de Tassy (Amsterd. 1725): Duprat, Essai historique für les races anciennes et modernes de l'Afrique septentrionale (Par. 1845); Fagnan, L'Afrique septentrionale an XII. siècle (Konstantine 1900); Rotalier, Histoire d'Alger et de la piraterie des Turcs (Par. 1841, 2 Bde.); Grammont, Histoire d'Alger sous la domination turque, 1515–1830 (das. 1887); Mercier, Histoire de l'Afrique septentrionale, Berbérie (das. 1888–90, 3 Bde.); Fillias, Histoire de la conquête et de la colonisation de l'Algérie, 1830–1860 (das. 1860); Heim, Geschichte der Kriege in Algier (Königsb. 1861, 2 Bde.); Amt-Dumesnil, Relation de l'expédition d'Afrique en 1830 et de la conquête d'Alger (2. Aufl., Par. 1869; enthält auch die frühere Geschichte des Landes); Nettement, Histoire de la conquête d'Alger (2. Aufl., das. 1867); Gaffarel, L'Algérie; histoire, conquête et colonisation (das. 1882); Rousset, Les commencements d'une conquête; L'Algérie 1830–1840 (das. 1887, 2 Bde.) und La conquête de l'Algérie, 1841 bis 1857 (das. 1889, 2 Bde.); La Martinière u. Lacroix, Documents pour servir à l'étude du Nord-Ouest Africain (Lille 1897, 3 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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