Arzt

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Arzt (altdeutsch arzât, v. griech. archiāter, »Oberarzt«; lat. Medicus), ein Mann, der sich berufsmäßig mit der Behandlung von Krankheiten beschäftigt. Nach der deutschen Gewerbeordnung ist die Ausübung der Heilkunde ohne Nachweis der Befähigung jedem gestattet. Das frühere Verbot der Kurpfuscherei (Medikasterei) ist weggefallen, und der A. ist lediglich dem allgemeinen Strafgesetz unterstellt, das fahrlässige Tötung und Körperverletzung mit Strafe bedroht. Dabei gilt es aber als ein straferhöhendes Moment, wenn der Täter vermöge seines Berufs oder Gewerbes zu der Aufmerksamkeit, die er aus den Augen setzte, besonders verpflichtet war, wie dies bei einem A. der Fall ist. Die frühern Beschränkungen der praktizierenden Ärzte hinsichtlich der Wahl des Wohnsitzes, ebenso wie der Zwang zur ärztlichen Hilfeleistung sind durch die Gewerbeordnung beseitigt worden. Es besteht nur die allgemeine strafrechtliche Vorschrift, wonach der bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not von der Polizeibehörde zur Hilfe Aufgeforderte dieser Aufforderung Folge zu leisten hat, wofern er der letztern ohne erhebliche eigne Gefahr genügen kann. Die Bestimmung des ärztlichen Honorars unterliegt der freien Vereinbarung. Nur für streitige Fälle können auch für die Ärzte Taxen von den Zentralbehörden festgestellt werden, die mangels einer Vereinbarung über das Honorar maßgebend sind. Durch Verträge mit den Nachbarstaaten wurde für die Grenzbezirke den Medizinalpersonen die wechselseitige freie Berufsausübung gesichert. Die Anzeigepflicht des Arztes erstreckt sich auf Geburten, wenn der eheliche Vater oder die Hebamme an der Anzeige verhindert, bez. nicht vorhanden war, und auf die in der Praxis vorkommenden Fälle wichtiger und dem Gemeinwesen gefahrdrohenden Krankheiten sowie von plötzlich eingetretenen verdächtigen Erkrankungs- und Todesfällen. Dagegen ist der A. (nicht aber Personen, die ohne Approbation Kranke behandeln) durch § 300 des Strafgesetzbuchs verpflichtet, Tatsachen, die ihm in Ausübung seines Berufes bekannt geworden sind, als Berufsgeheimnis zu bewahren. Eine staatliche Approbation ist für alle diejenigen Personen nötig, die sich als Ärzte (Wund-, Augen-, Zahn-, Tierärzte, Geburtshelfer) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen wollen. Die Prüfungsordnung für Ärzte ist durch Bundesratsbeschluß vom 28. Mai 1901 geregelt. Zur Approbationserteilung sind die Zentralbehörden (Ministerien) derjenigen Bundesstaaten befugt, die eine oder mehrere Landesuniversitäten haben. Die Approbation gilt für das ganze Reichsgebiet. Dieselbe setzt voraus das Reifezeugnis eines deutschen humanistischen oder Realgymnasiums, ein Studium von zehn Semestern an einer deutschen Universität, Ablegung der ärztlichen Vorprüfung (tentamen physicum) nach dem fünften Semester und der ärztlichen Prüfung (Staatsexamen) nach dem zehnten Semester, endlich (seit 1. Okt. 1903) die hierauf folgende einjährige Beschäftigung an einer Universitätsklinik, -Poliklinik, an einem medizinischen, nicht klinischen Universitätsinstitut, an einem größern, mindestens 60 Betten zählenden Krankenhaus, das von der zuständigen Zentralbehörde als geeignet anerkannt ist, oder an einem medizinischen wissenschaftlichen Institut innerhalb des Deutschen Reiches. Die Approbation ist (in der Regel) Voraussetzung für die Zulassung zur medizinischen Doktorpromotion (preußischer Ministerialerlaß vom 31. März 1898), doch wird letztere nur für die Zulassung zur Kreisarztprüfung gefordert. Die Approbation kann bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für die Dauer des Ehrverlustes aufgehoben werden, ferner dann, wenn die Unrichtigkeit der Nachweise dargetan wird, auf Grund deren sie erteilt wurde. Nicht approbierten ist die Ausübung der Heilkunde im Umherziehen verboten. Derjenige, der sich, ohne hierzu approbiert zu sein, als A. (Wund-, Augen-, Zahn-, Tierarzt, Geburtshelfer) bezeichnet oder einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson, hat Geldstrafe bis zu 300 Mk. und im Unvermögensfall Hast bis zu 6 Wochen verwirkt. Ein A., der ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellt, wird mit Gefängnis von 1 Monat bis zu 2 Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Ebenso trifft denjenigen, der unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als A. ein Gesundheitszeugnis ausstellt, Gefängnisstrafe bis zu 1 Jahr. – Als beamtete Ärzte bezeichnet man Ärzte, die im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege und zur Durchführung der Medizinalgesetzgebung vom Staat auf Grund einer besondern Prüfung angestellt sind (Kreisarzt, Bezirksarzt). – In Österreich setzt die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufs im allgemeinen die Erlangung des medizinischen Doktorgrades an einer inländischen Universität voraus (§ 1 der Rigorosenordnung für die medizinische Fakultät von 15. April 1872). Wundärztliche Diplome werden seit 1875 nicht mehr erteilt. Gegen Vorlegung des Doktordiploms an die politische Behörde ist jeder graduierte A. berechtigt, an einem beliebigen Orte sich niederzulassen und seine Kunst auszuüben. Der ärztliche Beruf zählt nämlich in Österreich nicht unter die Gewerbe, sondern unter die sogen. freien Beschäftigungen, während der A. in Deutschland als Gewerbtreiben der gilt.

Frauen können im Deutschen Reich zur ärztlichen Prüfung zugelassen werden, wenn sie die schulwissenschaftliche Vorbildung nachweisen und (auch ohne Immatrikulation) einen sachlich ordnungsmäßigen akademischen Studiengang gemacht haben. In Österreich können Frauen bei den medizinischen Fakultäten immatrikuliert werden. Voraussetzung bildet die österreichische Staatsangehörigkeit und das Reifezeugnis eines Gymnasiums. Es sind vorzugsweise Russinnen, Amerikanerinnen und Französinnen, die sich teils auf den Universitäten und Fachschulen ihrer Heimat, teils auf Schweizer und deutschen Universitäten dem Studium der Medizin, insbes. der Geburtshilfe, Frauenkrankheiten und innern Medizin, widmen und öfters auch den Doktorgrad erwerben. Die hohe Ausbildung der Medizin hat zur Folge gehabt, daß einzelne Ärzte als Spezialärzte sich der Behandlung einer besondern Klasse von Krankheiten widmen. Gewinnen diese Ärzte auf ihrem Gebiete tiefere Einsicht, größere Erfahrung und Geschicklichkeit, so setzt ihre Tätigkeit doch eine Ausbildung für das ganze Gebiet der Medizin voraus, da bei jeder Erkrankung der Zustand des gesamten Organismus in Betracht kommt.

In allen größern Städten sind von der Gemeinde bezahlte Armenärzte bestellt, die erkrankten Armen unentgeltlich Hilfe leisten. Die Krankenversicherungspflicht der Arbeiter, geregelt durch Reichsgesetze von 1883 und 1892, hat den Krankenkassenarzt geschaffen. Während in den meisten Kleinstädten die Krankenkassen besondere Kassenärzte angestellt haben, die ein jährliches Honorar meist nach der Kopfzahl der Kassenmitglieder beziehen, hat sich in vielen Großstädten das System der freien Ärztewahl durchgerungen, das dem erkrankten Kassenmitglied gestattet, den A. seines Vertrauens zu Rate zu ziehen. Die Kassen liefern eine bestimmte Summe an den Ärzteverein ab, die dieser nach einem Bon- oder Pointsystem an die behandelnden Ärzte verteilt. Bei beschränkter Arztwahl schließt die Kasse mit einzelnen Ärzten Verträge ab. In etwas weniger ausgiebiger Weise hat der A. auch bei der Unfall- und Invaliditätsversicherung der Arbeiter mitzuwirken.

Der A. als Leiter eines Privatkrankenhauses bedarf der Konzession der höhern Verwaltungsbehörden. Die Konzession kann verweigert werden 1) wenn der Unternehmer in seinem Vorleben Beweise von Unzuverlässigkeit gegeben hat, 2) wenn das Unternehmen nicht den gesundheitspolizeilichen Anforderungen entspricht. Dem Kreisarzt steht das Recht der Revision zu. Umständlicher als in den übrigen Privatkrankenhäusern sind die Vorschriften, die von der Aufnahme Geisteskranker in die Privatirrenanstalten handeln. Ärzte, die als Vertrauensärzte für Lebensversicherungsgesellschaften fungieren, haben Gutachten darüber auszustellen, ob der Aufzunehmende die Wahrscheinlichkeit hat, die normale Lebensdauer zu erreichen. In der deutschen Unfall- und Invalidenversicherung werden seit 1. Jan. 1900 Vertrauensärzte bei den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung jährlich gewählt. Als Sachverständiger und Zeuge vor Gericht ist der A. berechtigt, sein Zeugnis zu verweigern, sobald er fürchtet, durch dasselbe ein Berufsgeheimnis zu verletzen, und es ist seinem eignen pflichtgemäßen Ermessen überlassen, wann er glaubt, daß diese Verletzung eintritt; allein diese Weigerung ist nach § 52 der Strafprozeßordnung vom 1. Febr. 1877 ungesetzlich, sobald er von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden worden ist. Auch einem nicht beamteten A. kann jederzeit eine gerichtsärztliche Tätigkeit, z. B. eine Leichenöffnung, übertragen werden.

Bei der Abfassung von Attesten soll auch der nicht beamtete A. sich möglichst an die durch die preußische Zirkularverfügung vom 20. Jan. 1853 und 11. Febr. 1856 für die Medizinalbeamten vorgeschriebene Form halten. Es soll jedes ärztliche Attest nämlich enthalten: 1) die bestimmte Angabe der Veranlassung zur Ausstellung des Attestes, des Zweckes, zu dem es gebraucht, und der Behörde, der es vorgelegt werden soll; 2) die etwaigen Angaben des Kranken oder seiner Angehörigen; 3) die eignen tatsächlichen Wahrnehmungen des Beamten; 4) die aufgefundenen wirklichen Krankheitserscheinungen; 5) das motivierte Urteil über die Krankheit, oder über die sonst gestellten Fragen; 6) die diensteidliche Versicherung, daß das Attest der Wahrheit entspricht. Ein Recht zu ärztlichen Eingriffen besteht als solches nicht (Entscheidung des Reichsgerichts vom 31. Mai 1894), sondern nur der Wille des Kranken legitimiert den A. zu Eingriffen, die sonst als Körperverletzungen strafbare Delikte bilden würden. – Die Zahl der Ärzte betrug 1901 in Deutschland 27,347; auf 100 qkm kamen im Deutschen Reich 5,06 Ärzte. Auf 10,000 Einw. kamen in Deutschland 5,24, in Preußen 5,18, Bayern 5,22, Sachsen 5,41, Württemberg 4,23, Baden 6,30, Hessen 6,57, Mecklenburg-Schwerin 4,52, Mecklenburg-Strelitz 3,55, Sachsen-Weimar 6,13, im Stadtkreis Berlin 14,07, Charlottenburg 26, oe, Bremen 7,18, Hamburg 8,53 Ärzte. Vgl. Ziemßen, Der A. und die Aufgaben des ärztlichen Berufes (Leipz. 1888); Guttstadt, Deutschlands Gesundheitswesen (das. 1892); Rapmund u. Dietrich, Ärztliche Rechts- und Gesetzeskunde (das. 1899); Becker, Lehrbuch der ärztlichen Sachverständigentätigkeit (4. Aufl., Berl. 1900); Schwalbe, Bestimmungen über die Zulassung zur ärztlichen Praxis im Auslande (Leipz. 1899); Peters, Der A. und die Heilkunst in der deutschen Vergangenheit (das. 1900); Placzek, Das Berufsgeheimnis des Arztes (2. Aufl., Berl. 1898); Moll, Ärztliche Ethik (Stuttg. 1902); Pagel, Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des 19. Jahrhunderts (Wien 1901, 5 Tle.); Wehmer, Die neuen Medizinalgesetze Preußens (Berl. 1902); Börners »Reichsmedizinalkalender« (Leipz.); Schürer von Waldheim und Kafka, Ärzte-Kodex (Sammlung der österreich. Gesetze etc., 2. Aufl., Wien 1897).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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