Menschenrechte

Menschenrechte

Menschenrechte (franz. Droits de l'homme), die Gesamtheit derjenigen idealen Ansprüche, die der Mensch als solcher an den Staat erhebt, und deren Gewährleistung er vom Staat verlangt. Über Inhalt und Umfang dieser sogen. M. (»der dem Menschen angebornen und unveräußerlichen Rechte«) besteht in der Wissenschaft viel Streit und auch im Volk selbst keineswegs Einstimmigkeit. In Frankreich stellte man während der Revolutionsperiode die »Freiheit« als obersten Grundsatz auf. Kant erklärte als solchen die Unabhängigkeit von fremder, nötigender Willkür. Fichte erblickte in dem Nebeneinanderbestehen des Rechtes aller Menschen und der dadurch gebotenen Möglichkeit, gegenseitig durch Verträge miteinander in rechtliche Verhältnisse treten zu können, das Grundprinzip der M. Andre wollen ein »Recht der Persönlichkeit« zugrunde legen, wieder andre ein »Recht der Selbsterhaltung«, andre endlich ein »Recht der Vervollkommnung«. Noch größer ist die Mannigfaltigkeit der Anschauungen, wenn es sich darum handelt, aus dem Grundsatze die einzelnen M. zu entwickeln. Dies zeigt sich namentlich in der Art und Weise, wie die Gesetzgebung der einzelnen Völker diese Aufgabe zu lösen suchte. Hierin ist England mit seiner Bill of rights von 1689 ein Muster. Der Gedanke, einen vollständigen und in sich abgeschlossenen Kodex der M. zu schaffen, ist zuerst in Nordamerika aufgetaucht, nämlich gleichzeitig mit der Erklärung des nordamerikanischen Kongresses vom 4. Juli 1776, wodurch die Lossagung der Kolonien vom Mutterland verkündet wurde (sogen. Unabhängigkeitserklärung). Zur Ausstellung eines solchen Kodex der M. wurde jedoch erst in der französischen Revolution geschritten. Der erste Antragsteller bei der Nationalversammlung 1789 war Lafayette. Einzelne, wie Mirabeau, sahen sofort die Gefahr einer solchen Gesetzgebung ein, die streng genommen nichts als Versprechungen enthielt, welche die künftige Gesetzgebung erst zu verwirklichen hätte. Sieyès, der Verfasser der Schrift »Reconnaisance et exposition des droits de l'homme et du citoyen« (Par. 1789), beantragte vermittelnd; allein nach hartem Kampf ging gleichwohl der Lafayettesche Antrag, wenn auch in etwas gemäßigter Fassung, durch. An die Spitze dieser M. (Art. 1) war der Satz gestellt: »Der Mensch wird frei und gleich an Rechten geboren und bleibt es«, und Art. 2 erklärte: »Das Ziel aller politischen Gesellschaften ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen. Diese Rechte sind die Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und das Recht des Widerstandes gegen willkürliche Bedrückung.« Diese berühmte »Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers« (»Déclaration des droits de l'homme et du citoyen«) wurde dann der Verfassung vom 3. Sept. 1791 einverleibt, und der nachmalige Konvent suchte die revolutionäre Leidenschaft durch Wiederholung jener Erklärung (29. Mai 1793) in verstärkter Auflage noch zu steigern. Nachdem die Schreckensherrschaft Robespierres ihr Ende erreicht hatte, erließ der Konvent unter dem Direktorium mit der Konstitutionsakte vom 5. Fructidor III (22. Aug. 1795) eine »allerneueste«, gemäßigtere Erklärung der M. Zudem waren nun neben Rechten auch Pflichten des Menschen und Bürgers anerkannt, wie z. B. folgende: »Tue nur das, von dem du wünschest, daß dir es auch andre tun«; »Niemand ist ein guter Bürger, der nicht zugleich ein guter Sohn, Vater, Bruder, Freund und Gatte ist«. Unter den Rechten waren außer Gleichheit, Freiheit, Sicherheit der Person und des Eigentums namentlich auch noch die Freiheit des Gewissens, der Meinungsäußerung, besonders in der Presse, und endlich das Recht des Bürgers auf Unterstützung und Arbeit ausdrücklich sanktioniert. Auch in Deutschland wurde 1848 von der Frankfurter Nationalversammlung ein gesetzgeberischer Versuch mit den »Grundrechten des deutschen Volkes« gemacht, die durch den Bundestag aber wieder außer Kraft gesetzt wurden (s. Grundrechte). Von der Wissenschaft werden gegenwärtig folgende mit der menschlichen Persönlichkeit untrennbar verbundene M. anerkannt: 1) das Recht auf Unverletzlichkeit und persönliche Freiheit; 2) das Recht, sich den Staat, dem man angehören will, zu wählen und daher das Recht, auf die erworbene Staatsangehörigkeit zu verzichten, um eine andre zu erlangen; 3) das Recht der Auswanderung; 4) das Recht, die physische Persönlichkeit innerhalb der Grenzen der Notwendigkeit zu verteidigen, zu erhalten und zu entwickeln, daher auch das Recht, sich die Natur für die Bedürfnisse des Lebens dienstbar zu machen, das Recht, Eigentum zu haben, das Recht auf internationalen Handel und Verkehr sowie das Recht der Selbstfortpflanzung durch Ehe und Kindererzeugung; 5) das Recht auf freie Ausbildung der sittlichen und geistigen Persönlichkeit und folgerichtig das Recht der Gewissensfreiheit. Vgl. Acollas, La Déclaration des droits de l'homme commentée (Par. 1885); G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (2. Aufl., Leipz. 1904); A. Bertrand, La Déclaration des droits de l'homme etc. de 1789 (Par. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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