Ernte

Ernte

Ernte (althochd. arn, arnôt, mittelhochd. erne, ernde; plattd. statt dessen gebräuchlich Au st, oberd. Fechsung, Fächsung, selten Ohst), das Gewinnen der reisen Feldfrüchte. Im allgemeinen ist zu ernten, wenn die abzuerntende Pflanze oder deren nutzbarer Teil die für die weitere Verwendung entsprechendste Ausbildung erlangt hat. Die gleichzeitige Gewinnung von Frucht und Stroh geschieht bei Getreide, Hülsenfrüchten, Ölgewächsen und Klee- und Grassämereien. Während des Reisens ändert sich die Beschaffenheit der Getreidekörner, sie zeigen beim Zerbrechen milchigen, wachsartigen und festen Inhalt, werden milchreif, gelbreif, vollreif und fallen schließlich leicht aus, werden totreif (vgl. Nowacki, Untersuchungen über das Reisen des Getreides, Halle 1870). Der rechte Zeitpunkt zur E. der Getreidearten ist gekommen, wenn die Körner »gelbreif« geworden, wenn sich das Korn über den Fingernagel noch brechen läßt, wenn beim Weizen die obersten Halmknoten sich bräunen. Wird das Getreide sofort auf dem Felde gedroschen (mit Maschinen), oder kann es in den abgeschnittenen Halmen nachreisen, so schneidet man es vor vollendeter Ausreifung aller Körner, ebenso alle Arten, deren Ähren bei zu großer Hitze und Ausreifung leicht brechen (Gerste), sowie Schotenfrüchte, deren Samen durch Platzen der Schoten leicht ausfallen (Rapsarten, Hülsenfrüchte). Am längsten kann man den Hafer stehen lassen, weil er schwerer ausfällt. Die E. der Kartoffeln beginnt, wenn nach dem Absterben des Krautes die Schale der Kartoffel sich mit dem Finger nicht mehr abdrücken läßt. Die Rübe, zumal die Zuckerrübe, soll geerntet werden, wenn die Blätter gelb zu werden beginnen.

Zum Abernten (Mähen, Hauen, Einschneiden) dient vorzugsweise die Sense, häufig die Mähmaschine, die Sichel nur bei Pflanzen, die besondere Vorsicht erheischen, um dem Körnerausfall vorzubeugen (Kümmel etc.), oder die besondern Widerstand leisten oder gelagert sind. Zum Ausgraben der Kartoffel verwendet man meist die Handhacke, läßt auch den Haken vorarbeiten oder benutzt Kartoffelerntemaschinen (s.d.). Rüben gräbt man mit der Grabegabel aus, oder bedient sich des Rübenhebers (s.d.). Während Hackfrüchte sofort vom Feld an ihren Aufbewahrungsort gebracht werden, haben Getreide, Hülsenfrüchte, Raps, Samenklee meist noch im Felde nachzureifen und abzutrocknen. In der Regel werden die abgemähten Früchte, nachdem durch Liegenlassen der grüne Unterwuchs (Unkraut, Kleeeinsaat etc.) etwas abgewelkt ist, in Garben aufgebunden und zum Trocknen aufgestellt. Die Garben werden um so stärker gebunden, je länger das Stroh der Halmfrüchte ist, doch entscheidet vielfach auch Landessitte. Mit großen Garben fördert die Aberntung schneller, das Auf- und Abladen erfordert aber kräftigere Leute. Wintergetreide wird in Garben von 8–15 kg, Sommergetreide und Hülsenfrucht in der Regel zu 5–8 kg gebunden. Zum Binden der Garben dienen Garbenbänder aus Roggenstroh, auch aus Jutestricken, Manilahanf, Kokosnußfaser, Hanfschnüren, Seegras, Weidenruten u. dgl. Die gebundenen Garben werden zu je 6–60 in kleine oder größere Haufen zusammengestellt. Die kleinste Art, die Puppe, Hocke (Fig. 1), wird gebildet, indem man eine Garbe senkrecht stellt, 5–8 im Kreis daran anlehnt und die Spitze mit einem Seil aus Stroh etc. fest zusammenbindet. Zum Schutz gegen Regen und Auswachsen des Getreides in den Ähren bindet man um die Spitze herum eine Garbe (Haube), mit den Ähren nach unten.

Fig. 1. Getreidepuppe.
Fig. 1. Getreidepuppe.
Fig. 2. Getreideprisma.
Fig. 2. Getreideprisma.
Fig. 3. Getreidekreuz.
Fig. 3. Getreidekreuz.

Die Deckgarbe muß stärker gemacht und recht fest, möglichst nahe am Sturzende, gebunden werden. Das in solche Puppen gesetzte Getreide hält sich auch bei anhaltend nasser Witterung sehr gut, reist vollkommen nach, hält sich auch nach dem Einbringen in die Scheune gut, läßt sich leicht ausdreschen und gibt gutes Stroh. Bei günstiger Witterung genügt das Zusammenlegen in Prismen (Fig. 2). Kreuzmandeln (Getreidekreuze, Fig. 3) sind geeignet für den später geschnittenen Roggen und bei günstiger Witterung. Es werden hierbei dreimal vier Garben kreuzweise so auf die Erde gelegt, daß die Ährenenden in der Mitte auseinander zu liegen kommen und ein aus 12 Garben bestehendes Kreuz entsteht; auf einen Flügel desselben legt man darauf 2 Garben und auf diese wieder eine Garbe in der. Weise, daß die Sturzenden nach Osten gerichtet, die Ähren aber abwärts nach der Wetterseite zu gerichtet sind und ein schräges Dach bilden. Pyramiden bildet man, indem man 2 Garben gegeneinander so anlehnt, daß die Ähren in die Höhe stehen, dazwischen wieder 2 Garben ebenso aufstellt und die Zwischenräume mit 4 Garben ausfüllt. Zur Bildung von Stiegen (Zeilen, Fig. 4) werden die Garben von kurzhalmigem Getreide in zwei dachförmig gegeneinander geneigten Reihen aufgestellt und die beiden Garben an den Enden der Reihen mit einem Band umschlungen. Garbenkasten (Fig. 5) entstehen, wenn man aus einer 5–6 Garben entsprechenden Pflanzenmenge einen Kegel aufrichtet, der unterhalb der Ähren mit einem Strohband gebunden und mit einer nach unten geöffneten Garbe als Hut bedeckt wird; Dachhaufen, wenn man 2 Garben in der Weise übereinander auf die Erde legt, daß das Sturzende der einen nach Süden, das der andern nach Norden gerichtet ist, und auf diese erst 6, dann 4 und 3 Garben so legt, daß sie einen Haufen mit einem nach Westen schräg ablaufenden platten Dach bilden. Gewöhnlich wird das Sommergetreide in solche Dachhaufen gesetzt, wiewohl es rätlicher ist, es einige Tage nach dem Mähen in kleinen Spitzhaufen oder wie bei dem leicht ausfallenden Raps, den Hülsenfrüchten in kreisförmigen Haufen, Kasten, Diemen aufzustellen und diese erst beim Einfahren zu binden.

Fig. 4. Stiege.
Fig. 4. Stiege.

Solche Spitzhaufen bildet man, indem man beim Aufharken der Schwaden starke Wickel macht, diese in eine Spitze zusammengedrückt aufstellt und die Sturzenden kreisförmig ausbreitet. In sehr feuchten Gebirgsgegenden verwendet man zum Trocknen Stangengerüste, Getreideharfen, die, gegen die Windseite gestellt, das Austrocknen wesentlich fördern. Nach dem Aufbinden und Aufstellen des Getreides zum Trocknen wird das Feld behufs des Sammelns der liegen gebliebenen Ähren mit dem Rechen oder der Hungerharke nachgeharkt. Im allgemeinen bedarf gelbreif gemähtes Getreide bei heißem und trocknem Wetter auf dem Schwad 2–3, in Stiegen ohne Schutzdecke 4–5, in kleinen Puppen mit Deckgarbe 6–7, in großen Puppen mit Schutzmatte 8–10 Tage zum Nachreifen und Trocknen.

Fig. 5. Garbenkasten.
Fig. 5. Garbenkasten.

Alle Früchte sind nur in trocknem Zustand bei trocknem Wetter einzufahren, weil sie, naß in die Scheune gebracht, hier mehr dem Verderben ausgesetzt sind als beim ungünstigsten Wetter auf dem Felde. Das Aufbewahren der Frucht erfolgt in Scheunen oder in Diemen (Feimen, s.d.). Hier unterliegen die aufgehäuften Garben einem Hitz- und Schwitzprozeß, der, wenn die Temperatur nicht über 70° steigt, für das Austrocknen des Getreides von Vorteil ist. Je feuchter das Getreide eingebracht wurde, um so mehr erwärmt es sich, so daß schließlich die Körner gelb oder braun werden und das Stroh selbst verkohlt. Das Ausbringen der Körner aus dem Stroh (Dreschen, s.d.) soll besonders für Saatgetreide vor dem Schwitzen vorgenommen werden. Ist dies nicht durchführbar, so ist das Getreide erst nach Beendigung des Schwitzprozesses trocken genug, um gedroschen werden zu können. Nach dem Dreschen ist das Getreide zu putzen, von Staub und Unkraut zu reinigen und nach der Korngröße zu sortieren. Hierzu dienen Putzmühlen, Unkrautauslesemaschinen (Trieurs), Sortiermaschinen etc. (s. Getreidereinigungsmaschinen). Die gereinigten und sortierten Körner werden auf Schüttböden, Kornböden, Speichern aufbewahrt oder, wie in Unterungarn, Rumänien, Bulgarien, in unterirdischen Gruben, Silos, oder bei großen Getreidemassen in Getreidetürmen oder, wie in Amerika, in oberirdischen Getreidesilos (Elevatoren), die mit Vorrichtungen versehen sind, die das Lüften und Umwenden des Getreides ohne Umschaufeln ermöglichen. In den Speichern sind die Fruchtvorräte besonders den Angriffen des weißen u. schwarzen Kornwurmes ausgesetzt, gegen die nur schwer anzukämpfen ist. – Die E. der Ölgewächse erfordert sorgsames Abpassen des richtigen Zeitpunktes, sie wird im wesentlichen wie die Getreideernte vollführt; die Gewächse, die bei hohem, starkem Stengel am vorteilhaftesten mit der Sichel abgenommen werden, sind sogleich nach dem Abschneiden in Bunde zu binden, die man in Haufen gestellt abtrocknen läßt, beim Heimfahren sind die Erntewagen mit Leinwandplanen zu bedecken und mit Segeltuch auszuschlagen, oder gleich auf dem Felde auszudreschen. – Die Aufbewahrung der Knollen- und Wurzelfrüchte geschieht meist in Mieten (s.d.) oder in Kellerräumen. – Über die Grünfutter- und Heuernte, bei der die ganze Pflanze im grünen Zustand geschnitten und bei der Heuwerbung getrocknet wird, s. Heu.

Volkswirtschaftliches.

Bei der hohen Wichtigkeit der alljährlich in den Hauptkulturländern viele Milliarden Mark an Wert umfassenden Ernten hat die Kenntnis von Erntestand und Ernteaussichten eine sehr große Bedeutung. Schon in der ältesten orientalischen Kulturepoche und im klassischen Altertum begegnet man darum dem Bestreben, den Ausfall der Ernten möglichst rasch wenigstens im allgemeinen kennen zu lernen. Allerdings mußte man sich zuerst mit vagen Nachrichten genügen lassen; aber auch im Mittelalter und noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrh. brachte man es nicht über allgemeine Schilderungen der Ernteerträge ohne ziffermäßige Angaben der Ertragsmengen. Nur ausnahmsweise begegnen wir einer förmlichen Organisierung der Ernteberichte, wie sie zuerst in Schweden (seit 1741) und in Sachsen (1755) eingeleitet wurde. Die mustergültigen erntestatistischen Arbeiten, die seit 1837 in Frankreich und 1846 in Belgien organisiert wurden, zeigten nicht bloß die Methode, die zu verläßlichern Ergebnissen führt, sondern sie bewiesen überhaupt die Möglichkeit, statt der allgemeinen Bezeichnung eine in Zahlen ausgedrückte Angabe der Jahresernten zu liefern. Nun folgte bald die Einrichtung einer genauen Agrarstatistik in Preußen (1846, Erntetabelle), in Bayern (1854 durch Herman), in Württemberg (1851–54 und 1857ff.), in den Niederlanden, in Großbritannien und Irland (1855ff.), in Österreich (1868) und insbes. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo der Zensus alle zehn Jahre detaillierte Angaben über Ausdehnung der Kultur, des Anbaues und der Produktion liefert. Man sucht nunmehr Zahlenangaben über die jährlichen Einzelerträge pro Flächeneinheit und über die daraus zu berechnenden Gesamterträge, über die Qualität des Produktes (ausgedrückt im Gewicht), über Menge und Marktpreis. Aus solchen durch längere Zeit fortgesetzten Beobachtungen stellt man heute die Beschaffenheit einer Durchschnitts- oder Mittelernte ziffermäßig fest und bezeichnet deren Größe durch die Zahl 100; die einzelne Jahresernte wird dann in ihre Qualität und Quantität nicht bloß absolut angegeben, sondern soll zugleich durch jene Relativzahlen, die ihr Verhältnis zur Mittelernte ausdrücken, charakterisiert werden. Man begnügt sich heute nicht mehr mit einer summarischen Angabe des letzten Ernteergebnisses, sondern verzeichnet auch die Mittel und Bedingungen, durch welche die Bodenerträge herbeigeführt wurden, um daraus diese selbst zu berechnen. Daher geht die neue Erntestatistik von weitläufigen Vorerhebungen aus über Ausdehnung des produktiven Bodens, Teilung desselben in Kulturgattungen und Bonitäten, wirklich bestellte Flächen, Ertrag der Flächeneinheit verschiedener Kategorien an den verschiedenen Produkten; dann erstreckt sie sich über die physisch-geographischen Produktionsbedingungen (Lage und Bodengepräge, geognostische Verhältnisse, Bodenarten, Gewässer, Klima), die ethnographischen Verhältnisse (Volkszahl, Anzahl der Arbeitskräfte in der Bodenkultur etc.), die politischen und sozialen Verhältnisse (Agrarverfassung, Besitzstände), das Ausmaß der Hauptkulturarten, den herrschenden Wirtschaftsbetrieb, das wirklich vorhandene lebende und tote Kapital etc. Allerdings sind die agrarstatistischen Daten der einzelnen Länder noch zu ungleichförmig und lückenhaft und deshalb nicht allgemein vergleichbar; doch hat das hohe Interesse, das die regelmäßige Beschaffung der Lebensmittel und Rohstoffe für die ganze Weltwirtschaft mit sich bringt, in den amtlichen und geschäftlichen Kreisen zu dem Bemühen geführt, wenigstens annähernd richtige Bezeichnungen des Ernteergebnisses der maßgebenden Länder der Erde möglichst rasch zusammenzustellen. Dies geschieht jetzt sowohl von einem hierfür vom landwirtschaftlichen Departement der Vereinigten Staaten von Nordamerika errichteten Bureau für Sammlung vergleichender agrarstatistischer Daten in Europa (bei dem Generalkonsulat in London) als auch regelmäßig von der praktischen Geschäftswelt. Was streng systematische und exakte Methode betrifft, nimmt seit 1869 die Erntestatistik von Österreich und seit 1878 die des Deutschen Reiches den ersten Platz ein; durch ungemein rasche, sehr reichliche und umfassende, aber weniger genaue Berichte zeichnet sich das Landwirtschaftsdepartement der Vereinigten Staaten von Nordamerika aus, das, ebenso wie es von seiten Großbritanniens wieder geschieht, auch internationale vergleichende Statistiken veröffentlicht. Auch Schweden, Dänemark und die Niederlande bringen verläßliche und rasche Nachweise der Ernten. In der Mehrzahl der übrigen Länder läßt die Beschaffenheit oder Raschheit der Erntestatistik noch zu wünschen übrig. – Über Ernteerträge der wichtigsten Länder vgl. die betreffenden Abschnitte bei diesen, ferner »Getreidehandel etc.« und die einzelnen Artikel, wie »Kartoffel, Wein« etc. Die Literatur der Erntestatistik ebendort.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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