- Großbritannien
Großbritannien (Great Britain, hierzu Karte »Großbritannien«), die große, England, Wales und Schottland umfassende Insel, ein Name, der bei der Vereinigung Schottlands mit England zu Einem Reich (6. Mai 1707) wieder geltend gemacht wurde, im Gegensatz zu Kleinbritannien oder der Bretagne (s. d.). G. mit Irland aber bildet seit 1800 das Vereinigte Königreich von G. und Irland (United kingdom of Great Britain and Ireland), das die gesamten britischen Inseln, ausgenommen die Insel Man, umfaßt. Die statistischen Angaben der folgenden Seiten beziehen sich auf dieses Vereinigte Königreich. Für alle weitern Angaben verweisen wir aber auf die Artikel »England«, »Wales«, »Schottland«, »Irland« und »Man«.
Lage und Grenzen.
Die Insel G. wird im O. von der Nordsee, im W. vom Atlantischen Ozean bespült. Der Kanal (English Channel) trennt sie von Frankreich und ist an seiner schmälsten Stelle, der Straße von Dover (Pas de Calais, Fretum gallicum), nur 33 km breit. Die Irische See (Irish Sea) scheidet G. von Irland, sie verengert sich im St. Georgskanal, im S., und im Nordkanal auf bez. 76 und 15 km. Die Insel G. verjüngt sich von der breiten südlichen Basis, die sich durch neun Längengrade erstreckt, nach N., doch unter wiederholter Verengerung und Ausweitung und zwar so, daß sich in seltenem Parallelismus Halbinsel- und Meerbusenpaare auf der Ost- und Westküste entsprechen. Die größte Länge (vom Kap Wrath in Sutherland bis zum Beachy Head in Suffex) beträgt 890 hm; die größte Breite (von Walsham in Norfolk bis Milfordhaven in Wales) etwa 482 km, die geringste 96 km. Der nördlichste Punkt ist Dunnet Head (58°41´ nördl. Br.), der südlichste Lizard Head (49°56´ nördl. Br.), der westlichste Ardnamurchan Point (6°14´ westl. L.) und der östlichste Lowestoft Neß (1°45´ östl. L.). Der Küstenumfang der Insel G. beträgt 4749 km, das Areal 218,169 qkm (3964 QM.), wozu noch 11,633 qkm (211 QM.) für 931 Nebeninseln kommen. Von letztern sind die bedeutendsten die Orkney- und Shetlandinseln im N., die Hebriden längs der Westküste Schottlands, Anglesey an der Küste von Wales, die Scillyinseln und die Insel Wight an der Südküste Englands.
Bodengestaltung
Die britischen Inseln steigen von einem unterseeischen Plateau an, das mit Frankreich, den Niederlanden und Deutschland zusammenhängt, von Norwegen aber durch eine 365 m tiefe Rinne geschieden wird. Ein Sinken des Meeresspiegels um nur 31 m würde eine Landenge zwischen England und den Niederlanden entstehen lassen; ein weiteres Sinken um 24 m würde genügen, um die ganze Südhälfte der Nordsee und einen Teil des Englischen Kanals in trocknes Land zu verwandeln. In einer Entfernung von 150–370 km im W. und NW. der britischen Inseln nimmt die Meerestiefe rasch zu, und zwischen der Küste Irlands und dem Eiland Rockall im Atlantischen Ozean übersteigt sie 2926 m. – G. zeigt große Mannigfaltigkeit in der Oberflächengestalt. Gebirge wechseln zahlreich mit wellenförmigen Ebenen ab. Die Gebirge liegen vorwiegend im N. und W. und erreichen ihre bedeutendste Höhe in der Nähe der Westküsten, wo sie oft steil ins Meer abfallen, während sie sich in östlicher Richtung allmählicher verflachen. Fast ganz Schottland ist ein Gebirgs- oder Hügelland. Die einzige größere Ebene ist jene, die sich vom Forth bis zum Clyde erstreckt und das nordschottische Hochland (mit dem Ben Nevis, 1343 m, dem höchsten Punkte der britischen Inseln) von dem südschottischen Hügelland (843 m) trennt. Den Norden Englands, bis Derbyshire hin, durchzieht rückgratartig die Penninische Kette (892 m), die eine Einsattelung mit dem westlich gelegenen Cumbrischen Gebirge (984 m) verbindet, während es die Talebene von York von den als York Moors und Wolds genannten Höhen scheidet. Ganz Wales ist von Gebirgen erfüllt, deren Gipfelpunkt der dicht beim Meer ansteigende Snowdon (1094 m) ist. Auch die jenseit des Bristolkanals gelegene Halbinsel Devon-Cornwall ist ein malerisches Hügelland. Diese Gebirgslandschaften Großbritanniens zeichnen sich durch ihre Heidestrecken und Torfmoore aus. Nur die niedern Gehänge sind bewaldet. Die Täler aber prangen in saftigem Grün und sind teilweise durch Fruchtbarkeit ausgezeichnet. Der größte Teil Englands hat eine wellige Oberfläche, die einesteils in wirkliche Tiefebenen übergeht, andernteils sich zu malerischen Hügelzügen erhebt. Über Irland s. den besondern Artikel.
Die größten Flüsse sind: Humber, Shannon, Severn, Themse, Barrow, Große Ouse, Bann, Tay, Tweed, Mersey und Clyde; die größten Seen: Loughs Erne, Corrib und Ree in Irland und Loch Lomond in Schottland. Über das Weitere hinsichtlich der Bodengestaltung, der geognostischen Verhältnisse, des Klimas, der Meerbusen, der Flüsse und Kanäle, der Seen, der Naturprodukte etc. Großbritanniens s. die einzelnen Artikel »England«, »Schottland«, »Irland« etc.
Seit der ersten Zählung 1801 hat die Bevölkerung des Vereinigten Königsreichs um fast 161 Proz. zu genommen. Die Zunahme war am bedeutendsten (16,5 Proz.) 1811–21, gleich nach Beendigung der großen europäischen Kriege, am geringsten (2,1 Proz.) während der Jahre 1841–51, als Mißernten in Irland und die Cholera viele Opfer forderten und Veranlassung zu starker Auswanderung gaben. In den letzten Jahrzehnten ist der Zuwachs vorwiegend den großen Städten und den Fabrikbezirken zugute gekommen. 1891–1901 hat die Bevölkerung in 8 englischen (davon 4 in Wales), in 14 schottischen und in sämtlichen irischen Grafschaften (ausgenommen Dublin, Antrim und Down) abgenommen.
Ganz wesentlich ist die Zunahme der Bevölkerung durch die Auswanderung beeinflußt worden. Es wanderten in der Zeit, die zwischen den Zählungen von 1891 und 1901 liegt, nicht weniger als 1,742,799 Personen britischer Abkunft aus (nämlich 1,095,891 Engländer, 185,982 Schotten und 460,917 Iren), wogegen sich der Überschuß der Geburten über die Todesfälle während desselben Zeitraums auf 4,296,940 belief (England und Wales 3,579,788, Schottland 498,167, Irland 218,985). Da nun aber tatsächlich die Bevölkerung der drei Königreiche um 3,725,799 Seelen zunahm, so ergibt sich ein Reinverlust durch Auswanderung von 571,141. Dieser Verlust würde größer gewesen sein, wenn der Auswanderung nicht eine bedeutende Einwanderung vom kontinentalen Europa und Rückwanderung aus überseeischen Ländern gegenüberstände. Die Einwanderung aus nichteuropäischen Ländern belief sich in den zehn Jahren 1891–1900 auf 1,589,874 Seelen (wovon 1,016,757 Briten). 1815–52 sind vom Vereinigten Königreich 3,463,596 Menschen ausgewandert und 1853–1902: 12,685,283, von denen 9,241,897 britischer Abkunft waren und 6,098,281 nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika gingen. Die Auswanderung in den letzten Jahren war wie folgt:
Die Dichtigkeit der Bevölkerung beträgt in England und Wales 215, in Schottland 56, in Irland 53, im Vereinigten Königreich 132 Menschen auf das QKilometer. Dem Geschlecht nach kommen auf den britischen Inseln 1063 Personen weiblichen auf 1000 männlichen Geschlechts. In England zählte man 1901: 1068, in Schottland 1058, in Irland nur 1028 Personen weiblichen auf je 1000 Personen männlichen Geschlechts. Dem Zivilstand nach verteilt sich die Bevölkerung 1891 (die Zahlen für 1901 sind noch nicht veröffentlicht) wie folgt (in Prozenten):
Was die Bewegung der Bevölkerung betrifft, so geht aus den jährlichen Berichten der Registrars General hervor, daß in dem Zeitraum 1878–1902 die Zahl der Heiraten (von den ungünstigen Jahren 1885–87 abgesehen) relativ dieselbe geblieben ist, die Geburten und Todesfälle aber sehr abgenommen haben. Irland steht mit 5,02 Heiraten, 22,7 Geburten und 17,4 Todesfällen auf 1000 Einwohner viel ungünstiger als die beiden andern Königreiche. Die Verhältniszahlen (auf 1000 Einwohner) waren:
Hinsichtlich der körperlichen Gebrechen kommen auf je 1 Mill. Einwohner (1891):
Nach der Zählung von 1891 wohnten 20,655,560 Menschen oder 54,5 Proz. der gesamten Bevölkerung des Vereinigten Königreichs in 412 Städten von über 10,000 Einw. und zwar:
Die Zählung von 1901 ergab eine Zunahme der Großstädte (über 100,000 Einw.) um 9 (von 30 auf 39), doch entfiel sie auf England allein. Der Prozentsatz der großstädtischen Bevölkerung stieg im Vereinigten Königreich seit 1891 von 28,8 auf 32,9 Proz. (in England 35,3, in Schottland 31,1 und in Irland 16,2 Proz.). Zwischen 50,000 und 100,000 Einw. hatten 1901: 48 Städte (gegen 43 in 1891); die darin wohnende Bevölkerung ist nur von 7,8 auf 8,3 Proz. der Gesamtbevölkerung gestiegen. Immerhin wohnen in G. mehr als zwei Fünftel der Einwohner in Städten mit mehr als 50,000 Einw. Die volkreichsten Städte des Vereinigten Königreichs sind 1901: London, Glasgow, Liverpool, Manchester, Birmingham, Leeds, Sheffield, Dublin, Belfast, Bristol, Edinburg, Bradford, West Ham, Hull, Nottingham, Salford, Newcastle-upon-Tyne und Leicester.
In betreff der Nationalität der Briten verweisen wir auf die besondern Artikel. »England, Schottland, Irland, Wales, Man« etc. und begnügen uns hier mit der Bemerkung, daß die alten keltischen Sprachen in Wales, in Schottland und im Westen Irlands 1891 noch von 1,844,878 Menschen gesprochen wurden, von denen indes 1,254,983 auch der englischen Sprache mächtig waren. In Wales, wo (1901) noch 280,905 Personen nur Keltisch und 648,919 daneben noch Englisch sprachen, scheint sich das Keltische zu halten, in den schottischen Hochlanden und in Irland nimmt es ab. Die Zahl der Ausländer beträgt jetzt etwa 286,900, wovon 135,000 in London wohnen. Gegenwärtig ist eine Bewegung gegen die Einwanderung von unerwünschten Fremden im Gange. Die Zahl der Deutschen beläuft sich 1901 auf etwa 53,000; noch stärker ist die Zahl der Russen (etwa 65,000).
Religion.
Das Vereinigte Königreich erfreut sich des Besitzes zweier Staatskirchen, nämlich einer bischöflich-protestantischen Kirche in England (s. Anglikanische Kirche) und einer nüchternen presbyterianischen in Schottland. Irland ist ohne Staatskirche, wohl aber besteht daselbst ein ehemaliger Zweig der bischöflich-englischen Kirche fort. Abtrünnige (Dissenters) von diesen Staatskirchen sind in allen drei Königreichen zahlreich, namentlich in Schottland. Die katholische Kirche ist die herrschende in Irland und hat seit der großen Einwanderung aus Irland auch in England und Schottland an Boden gewonnen. Politisch sind alle Bürger ohne Rücksicht auf ihr Glaubensbekenntnis gleichberechtigt (mit Ausnahme etwa der offenkundigen Atheisten), doch genießen die Staatskirchen die Einkünfte von ihren Kirchengütern. In betreff der Zahl der Anhänger der verschiedenen Konfessionen sind wir mit Ausnahme von Irland auf Schätzungen angewiesen. Danach gab es (in Prozenten der Bevölkerung ausgedrückt):
Für das Jahr 1901 und für das ganze Reich berechnen wir: 23,7 Mill. Anhänger der protestantisch-bischöflichen Kirche (57,2 Proz.), 2,070,000 Anhänger der schottischen Staatskirche (5 Proz.), 950,000 desgleichen der schottischen »freien« Kirche (2,3 Proz.), 5,350,000 Römisch-Katholische (12,9 Proz.), 188,000 Juden (0,45 Proz.) und 9,165,000 Andersgläubige (22,1 Proz.). Zu letztern haben wir alle diejenigen gezählt, denen die Zivilehe genügt.
Über die Anzahl der Geistlichen etc. gibt der Zensus vom Jahr 1891 einigen Aufschluß. Es gab damals:
Von weiblichen Personen sind außerdem im Kirchendienst 4674 als Missionarinnen (meist in England) und 2190 als Bedienstete beschäftigt. Weiteres s. unter den einzelnen Königreichen.
Bildung.
Die Aufsicht über das Volks-, höhere und technische Schulwesen hat in England-Wales der Unterrichtsrat (Board of education, seit 1900), in Schottland und Irland besondere Regierungsabteilungen. Für elementare Schulbildung ist durch die Unterrichtsgesetze von 1870, 1876 und 1880 in ausgiebiger Weise gesorgt, während Irland schon seit längerer Zeit sich eines vom Staat geleiteten Schulwesens erfreut hat. Grundsatz ist, daß in allen Fällen, in denen die von Genossenschaften und Privaten eingerichteten Schulen dem Bedürfnis nicht entsprechen, die Gemeinde einzutreten hat, und daß der Staat sämtlichen Schulen, die seinen Ansprüchen genügen, einen Zuschuß (fee grant) aus der Staatskasse gewährt. Diese Zuschüsse aus der Staatskasse beliefen sich 1902–03 auf 12,159,224 Pfd. Sterl. Die Aussicht führen entweder die örtlichen Schulaufsichtsbehörden (school boards) oder, wo solche in England-Wales nicht bestehen, sogen. Schulbesuchskommissionen, die jedoch keine Schulen gründen oder halten dürfen. Es bestehen Regierungs- und freiwillige Schulen. Als Schulalter gilt das 5.–15. Lebensjahr. Das Schulgeld ist seit 1891 aufgehoben. Der Schulzwang ist 1872 in Schottland, 1876 in England und 1891 in Irland eingeführt. 1902 waren bei 32,010 Elementarschulen 7,386,962 Kinder schulpflichtig, und somit kommen auf 100 Bewohner 17 Schüler (18 in England, 17 in Schottland, 16 in Irland). Indes besuchten von den eingeschriebenen Kindern durchschnittlich nur 81,5 Proz. die Schule (in Irland nur 66 Proz). Außerdem bestehen in England 5188 Abendschulen, in Schottland 774 Fortbildungsklassen. Die Ausbildung der Lehrer findet in Seminaren (training colleges) statt, deren es 1887 in England 44, in Schottland 11, in Irland 7 gab. Vorwiegend liegt das Erziehungsgeschäft in weiblichen Händen, denn 1891 zählte man 170,462 Lehrerinnen und nur 65,858 Lehrer. Wie gering auch heute noch die Schulbildung in manchen Gegenden des Reiches ist, zeigt das Ergebnis der Volkszählung von 1891, wobei in Irland 18,4 Proz. der über 5 Jahre alten Bevölkerung (17,7 beim männlichen, 19 Proz. beim weiblichen Geschlecht) weder lesen noch schreiben konnten. Eine Ordnung des höhern Schulwesens (intermediate oder secodary education) ist für England im Unterrichtsgesetz von 1902 versucht; danach steht die Aussicht über die höhern Schulen dem Grafschaftsrat und in Städten über 20,000 Einw. dem Stadtrat zu, der auch für diesen Zweck Steuerzuschläge erheben darf. Gegenwärtig herrscht noch große Verwirrung. In England-Wales z. B. besuchen von den 400,000 Knaben, die höhere Bildung empfangen, nur 90,000 öffentliche, unter Aussicht der Behörden stehende Schulen, 305,000 Privatschulen, und 5000 erhalten Privatunterricht. Von den Privatschulen haben etwa 400 mehr als 100 Schüler, 3500 nur je 50 und die übrigen 15,000 Privatschulen nur je 30 Schüler. Die Knabenschulen (public schools) in England sind entweder öffentliche Stiftungsschulen (endowed schools) von teilweise hohem Alter oder proprietary schools, die erst seit Mitte des 19. Jahrh. von gewissen Schulvereinen ins Leben gerufen wurden. Die alten großen public schools liegen meist auf dem Land und sind Internate (boarding schools); die Externate heißen day schools. Da in ihnen das Studium der alten Sprachen von alters her die Grundlage bildet, so heißen sie meist grammar schools. In den obern Klassen tritt meist eine Trennung in eine Gymnasial- und Realabteilung (classical und modern side) ein, von denen die letztere bis jetzt weit schwächer und vorzugsweise von den weniger begabten Schülern besucht wird. Gegenwärtig zählt man im Vereinigten Königreich 54 höhere öffentliche Schulen (great public schools), 34 grammar schools in London und 387 colleges und grammar schools in den Provinzen.
Universitäten gibt es in England 6 (Birmingham, Cambridge, Durham, London, Manchester und Oxford), in Wales 1, in Schottland 4 (Edinburg, Glasgow, Aberdeen, St. Andrews), in Irland 2 (Trinity College und die katholische Universität, beide in Dublin). Die Royal University von Irland ist nur Prüfungsbehörde. Neben diesen Universitäten bestehen noch 28 University Colleges (10 in England, 4 in Wales, 1 in Schottland, 5 in Irland, 8 für Damen), die eine Universitäts- oder höhere technische Bildung gewähren, aber nicht das Recht haben, Diplome zu erteilen. An diesen Anstalten wirken etwa 1400 Professoren, und sie werden von ca. 25,700 Studenten besucht. Was die Fachschulen betrifft, so verweisen wir auf die einzelnen Länder. Nur auf die Tätigkeit des Science and Art Department mag hier hingewiesen sein, das jetzt einen Teil des englischen Unterrichtsrats bildet, und (nach Abtrennung der schottischen Schulen) 212 technische Schulen mit 26,830 Hörern und 12,532 Klassen in 1630 Schulen mit 149,191 Hörern unterhält. Vgl. Wehrhan, Das Volksschulwesen in England (Hannov. 1876); L. Wiese, Deutsche Briefe über englische Erziehung (3. Aufl., Berl. 1877, 2 Bde.; englische Übersetzung mit Verbesserungen von Leonard, Lond. 1877); de Coubertin, L'éducationen Angleterre. Collèges et Universités (Par. 1888); Leclere, L'éducation des classes moyennes et dirigeantesen Angleterre (das. 1894); Acland und H. Llewellyn Smith, Studies in secondary education (Lond. 1892); Balfour, Educational systems of Great Britain and Ireland (das. 1903); v. Sallwürk, Das höhere Bildungswesen in England, und Wychgram und Hamann, Geschichte des höhern Mädchenschulwesens in England (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 5, 2. Abt., Stuttg. 1901); Reusch, Ein Studienaufenthalt in England (Marburg 1902); »The Public Schools Year Book«; J. J. Findlay in mehreren Jahrgängen der »Mitteilungen zur Anglia«.
Gelehrte Gesellschaften konzentrieren sich in den drei Landeshauptstädten, und ihnen allen voran steht die 1600 gegründete Royal Society, eine Akademie der Wissenschaften in London. Die 1831 gegründete British Association, ein Wanderverein, vereinigt jährlich die Gelehrten in einer großen Stadt des Reiches (außer London). Unter den Bibiotheken zeichnen sich vorzüglich aus die des Britischen Museums, die Bodleyanische in Oxford, die Universitätsbibliothek in Cambridge, die Bibliothek der Advokaten in Edinburg und die Bibliothek von Trinity College in Dublin, denen sämtlich Freiexemplare aller veröffentlichten Bücher überreicht werden müssen. Unter den wissenschaftlichen Sammlungen steht das Britische Museum (s. d.) obenan. Unter den botanischen Gärten ist derjenige von Kew (s. d.) der wichtigste. Sternwarten bestehen an 15 Orten, die berühmteste in Greenwich. Aus Staatsmitteln werden unterhalten: das Britische Museum, das geologische Museum in London, Gewerbemuseen in London, Edinburg und Dublin, Nationalgemäldegalerien in denselben Städten, eine Nationalporträtgalerie in London. Die periodische Presse, die infolge uneingeschränkter Preßfreiheit der Zeitungsliteratur aller übrigen Länder weit voransteht, trägt zur Bildung des Geistes nicht wenig bei. Im Vereinigten Königreich erschienen 1902: 2457 Zeitungen, darunter 241 Tagesblätter; in England selbst 1918 (davon 451 in London), in Wales 107, in Schottland 236, in Irland 176, auf den verschiedenen umliegenden Inseln 20. Von Magazinen und Zeitschriften (darunter die Vierteljahrsschriften »Quarterly Reviews«) erschienen 1961 (davon 456 religiöse). Das leitende Blatt sind noch immer die 1780 gegründeten »Times«, wenn ihnen auch, was den Umsatz anbetrifft, einige der Pennyblätter (z. B. »The Standard«, »The Daily News«) den Rang ablaufen. Vgl. Duboc, Geschichte der englischen Presse (Hannov. 1873); Fox Bourne, English Newspapers (Lond. 1887, 2 Bde.); »Progress of British newspapers in 19th century« (1901). Ausführlicheres s. Zeitungen. Der Buchhandel konzentriert sich in London, nächstdem in Edinburg und Dublin; jeder Verleger von Bedeutung hat ein Zweiggeschäft in London (Näheres s. Buchhandel, S. 546).
Erwerbszweige.
G. ist wohl am passendsten als ein Fabrikstaat zu bezeichnen, denn wenn auch Ackerbau und andre Erwerbszweige blühen, so sind es doch gerade die Fabriken, die dem Lande seinen Charakter verleihen, und deren zu höchster Vollkommenheit gebrachtem Betrieb, neben günstiger Weltstellung, G. den größten Teil seines Handels und damit seines Wohlstandes verdankt. Ehe wir näher auf die verschiedenen Erwerbszweige eingehen, schalten wir hier eine Zusammenstellung der Beschäftigungen nach der Zählung von 1891 ein:
Wenn man die Altersklassen bis zum 15. Lebensjahr aufwärts abrechnet, so wären in England nur 204,5, in Schottland 202,7, in Irland 218,9 auf Tausend der Bevölkerung ohne Beschäftigung. Davon entfällt naturgemäß der größte Teil auf die weibliche Bevölkerung. Von Pensionen, Renten etc. lebten in England 27,3, in Schottland 25,6 auf Tausend der Bevölkerung (für Irland fehlen die Daten).
Landwirtschaft.
Nach den in den Jahren 1874–76 angestellten Erhebungen gab es im Vereinigten Königreich 1,173,683 Landeigentümer, deren Grundeigentum jährlich 131,5 Mill. Pfd. Sterl. abwarf (England 99,8 Mill., Schottland 18,7 Mill., Irland 13,4 Mill. Pfd. Sterl.). Unter 1000 Landeigentümern waren 726, die weniger als 40 Ar (= 1 Acre) besaßen; 189 befanden sich im Besitz von 40 Ar bis 20 Hektar, 62 von 20–202 Hektar, 7 von 202–405 Hektar, 9 von mehr als 405 Hektar; bei dem Rest ließ sich die Größe der Äcker nicht feststellen. In England ist der Grundbesitz verhältnismäßig noch am meisten zersplittert, in Schottland hingegen am wenigsten. In allen drei Königreichen befindet sich der größte Teil des Ackerlandes in den Händen von Großgrundbesitzern. Insgesamt entfielen 46,9 Proz. des Ackerlandes auf Landgüter von mehr als 2000 Hektar und waren 1876 im Besitz von 2198 Personen; und zwar erstreckten sich diese Latifundien in Schottland über mehr als drei Viertel, in Irland über fast die Hälfte und in England über mehr als ein Viertel der Gesamtfläche. Ein selbständiger Bauernstand fehlt fast gänzlich; überwiegend werden die Ländereien verpachtet (auf 7, 14, 21, 99 Jahre). 1902 wurden 86,9 Proz. des gesamten Acker- und Weidelandes in G. (ohne Irland) von Pächtern bewirtschaftet (in England 86,6, in Wales 89,6, in Schottland 87,3 Proz.). Was die Größe der Farmen anbetrifft, so herrschen solche von 40–120 Hektar vor; 1885 umfaßten sie in England 41,3 Proz. des Ackerlandes, in Wales 43,7, in Schottland 44,1 Proz. Nächstdem sind Farmen von 121–202 Hektar, sodann von 20–40 Hektar am verbreitetsten. Seit 1881 ist den irischen Pächtern der Ankauf ihrer Pachtungen durch die Gesetzgebung erleichtert worden (s. Irland, Geschichte).
Von den zu G. gehörigen Königreichen ist England für den Ackerbau am günstigsten, doch wird wegen der häufigen Niederschläge der Getreidebau besonders im Westen mehr und mehr eingeschränkt, während der Grasbau entsprechend zunimmt; demnach hat sich der Landwirt vom unrentabeln Ackerbau der vorteilhafteren Viehzucht zugewendet. Auch in Wales überwiegt weitaus das Weideland. In Schottland sind weite Gebiete für den Ackerbau nicht geeignet, da das Gebirgsland, die Seen und Moore große Flächen einnehmen. Ausgedehnter ist der produktive Boden in Irland, doch ist auch hier fast die Hälfte des Areals Weideland, während das Ackerland kaum 28 Proz. einnimmt. Über die Entwickelung der Bodenbenutzung in G. vgl. folgende Tabelle:
Die Ernte betrug im Vereinigten Königreich in Tausenden Hektoliter:
ferner in Tausenden Tonnen (à 1016 kg):
Diese Mengen genügen nicht, um den heimischen Bedarf zu decken; es mußten 1902 noch 41 Mill. dz Weizen, 22,5 Mill. dz Mais, 9,8 Mill. dz Mehl, 2,8 Mill. dz Kartoffeln zum Verbrauch eingeführt werden. – Wenn der Viehstand nicht im gleichen Verhältnis zugenommen hat wie die Wiesen und die mit Futter bebauten Flächen, so rührt dies einesteils von der Rinderpest und der Schafseuche her, die einige Jahre lang die Herden heimsuchten, teilweise aber auch von der Armut der Landwirte. Der Viehstand zu verschiedenen Zeiten während der letzten Jahrzehnte betrug:
Weiteres über Ackerbau und Viehzucht (Rassen etc.) s. in den Artikeln »England«, »chottland« und »Irland«. Vgl. Körner, Die Landwirtschaft in G. (Berl. 1877); Rogers, History of agriculture and prices in England (1866–88, 6 Bde.); Fream, Landwirtschaft in England (deutsch, Berl. 1893); König, Die Lage der englischen Landwirtschaft unter dem Drucke der internationalen Konkurrenz (Jena 1896); Levy, Entstehung und Rückgang des landwirtschaftlichen Großbetriebes in England (Berl. 1904).
Die Waldungen der britischen Inseln waren früher sehr ausgedehnt, wurden im Lauf der Zeit fast gänzlich ausgerodet und sind wenigstens in England neuerdings durch Anpflanzungen vermehrt worden. Im Vereinigten Königreich umfaßt die Waldfläche nur 12,258 qkm (3,9 Proz.), und zwar in England-Wales (1895) 7476 qkm (4,9 Proz.), in Schottland 3556 qkm (4,5 Proz.) und in Irland (1902) 1224 qkm (1,4 Proz.). Nur in den schottischen Hochlanden findet man noch größere Strecken Waldes; in England und Irland sind die Wälder oder Woods meist Anpflanzungen aus neuerer Zeit. Trotzdem liefert England eine nicht unbeträchtliche Menge Bauholz (besonders werden englische Eichen im Schiffbau geschätzt).
Die Jagd wird zwar nur als Sport betrieben, versorgt aber trotzdem die Küche mit zahlreichem Federwild, Hafen und (in Schottland u. Irland) auch Rehbraten. Kaninchen sind überaus zahlreich (jährlich sollen 20 Mill. verzehrt werden). Wild jeglicher Art sowie auch Fische erfreuen sich während der Brutzeit eines gesetzlichen Schutzes. Landeigentümer finden es oft vorteilhafter, ihr Land an Jagdliebhaber zu vermieten, als es von Pächtern bebauen oder abweiden zu lassen. Dementsprechend ist auch im Zeitraum 1891–1902 die Zahl der Meuten in G. von 359 auf 398 gestiegen, und zwar gibt es 21 Meuten Hetzhunde, 200 Meuten Fuchshunde, 124 Meuten Windhunde und 53 Meuten Spürhunde. Insgesamt werden etwa 21,000 Hunde für die Jagd verwendet.
Fischfang.
Die Fischereien sind für die Bewohner der britischen Inseln von der höchsten Wichtigkeit. 1901 betrieben die Fischerei im Vereinigten Königreich 25,299 Boote von 296,488 Ton. mit einer Bemannung von 67,827 Fischern und Jungen außer 37,080 Personen, die gelegentlich mit Fischfang zu tun hatten. Der Ertrag wurde 1902 offiziell auf 1,790,000 T. Fische (ohne Lachse und Schaltiere) im Wert von 9,296,098 Pfd. Sterl. (in England 6,5 Mill., in Schottland 2,5 Mill., in Irland 296,606 Pfd. Sterl.) geschätzt. Das offene Meer und namentlich die Nordsee liefert Heringe und Sprotten, Schellfische, Kabeljaus, Steinbutten, Flundern, Seezungen etc.; der Englische Kanal und die Küsten Irlands daneben noch Makrelen und Pilchards (eine Art Sardelle); die Küsten und Flüsse, besonders in Schottland und Irland, Salme. Von eigentlichen Flußfischen sind die Forellen und Aale die geschätztesten. Wertvoll ist gleichfalls die Hummer-, Krabben-, Miesmuschel- und Garneelenfischerei. Der Ertrag der englischen Austernbeete scheint abgenommen zu haben, und jährlich führt man Tausende von jungen Austern aus Frankreich ein, die im Ästuar der Themse (Whitstable) großgezogen und dann als echte Natives verkauft werden. Auch der Walfischfang ist nicht mehr von der frühern Bedeutung.
Bergbau und Hüttenwesen.
Der Bergbau und das Hüttenwesen spielen auf den britischen Inseln eine große Rolle in der Volkstätigkeit. Zwar ist Gold nur in geringern Quantitäten gefunden worden und Silber nur in Verbindung mit Blei, dafür aber ist das Land ungemein reich an Steinkohlen und den vorzüglichsten Eisenerzen, und in seinem Schoß liegen Blei und Zinn, Kupfer, Zink und andre Metalle; neuerdings ist allerdings die Förderung von Kupfer- und Zinnerzen sehr zurückgegangen. Unter allen Produkten des Bergbaues stehen die Steinkohlen obenan. Die Steinkohlenfelder bedecken ein Areal von 31,990 qkm, und 1880 soll bis zu einer Tiefe von 1200 m ein Vorrat von 90,000 Mill. Ton. und in einer größern Tiefe, überdeckt von jüngern Schichten, noch 56,000 Mill. T. vorhanden gewesen sein. Die Ausbeute steigt von Jahr zu Jahr. Sie betrug 1846 erst 38 Mill. T., 1860: 80 Mill., 1880: 147 Mill., 1890: 182 Mill., 1902 aber 227,095,042 T. (im Wert von 93,5 Mill. Pfd. Sterl.).
Nächst den Steinkohlen bildet das Eisen das wichtigste Produkt des Bergbaues in G. Eisengruben befinden sich vorzüglich in Yorkshire, Staffordshire, Cumberland, Lancashire, dann in Schottland (Ayrshire und Renfrewshire), weniger in Irland. Die Ausbeute von Eisenerzen betrug 1860: 8 Mill. Ton., 1880: 18 Mill., 1900. 14 Mill. und 1902. 13,426,217 T. Ferner wurden 1902 gewonnen: 7560 T. Zinnerz, 24,606 T. Bleierz, 5662 T. Kupfererz, 25,060 T. Zinkerz. Dazu kommen noch 517,363 T. Schiefer, 15,304,136 T. Ton, 1,893,881 T. Kochsalz, 2,107,534 T. Ölschieferton, ferner Sandstein, Kreide, Kalkstein u. a. Insgesamt hatten die geförderten Erze und Mineralien, einschließlich der Steinkohlen, 1901 einen Wert von 102,5 Mill. Pfd. Sterl. (1900: 121,7 Mill.). In sämtlichen Bergwerken arbeiteten 1902: 855,603 Menschen, in den Steinbrüchen 97,108; es verunglückten 1172 Personen.
In seinen Hüttenwerken verarbeitet G. nicht nur seine eignen Erze, sondern auch die Erze aus fremden Ländern, wie namentlich spanische Eisenerze und amerikanische Kupfererze. Riesig hat sich namentlich die Eisenindustrie entwickelt; doch zeigt sich neuerdings ein Rückgang. 1827 erzeugte man erst 700,000 Ton. Roheisen, 1860: 3,826,762, 1880: 7,749,233, 1902 (nach vorübergehendem Rückgang 1890–93): 8,679,535 T. (fast die Hälfte aus vom Ausland eingeführten Erzen). Die Stahlproduktion ist in den beiden letzten Jahrzehnten sehr bedeutend gestiegen, von 1,341,690 (im J. 1880) auf 4,904,232 (1900); doch ist G. seit einigen Jahren von Deutschland überholt worden. Die Gesamterzeugung an Metallen aus britischen Erzen war 1889 und 1902:
Vgl. E. Hull, The coal-fields of Great Britain (letzte Ausg., Lond. 1884) und Our coal resources at the close of the 19. century (1897); R. Hunt, British mining (2. Aufl., das. 1887); Galloway, History of coal-mining of Great Britain (das. 1882); Cockburn, Law of coal, coal mining, etc. (das. 1903). Weiteres s. England (geologische Verhältnisse), mit geologischer Karte.
Industrie.
Auch die Industrie im engern Sinne und das Manufakturwesen stehen in G. in hoher Blüte. Die günstige Lage für den Weltverkehr und der Geldreichtum begünstigen in G. große Unternehmungen.
Die ausgedehnte Anwendung der Maschinen erspart teure Handarbeit, Rohmaterial und bis 1902 auch Lebensmittel werden durch Zollschranken nicht künstlich verteuert, und G. ist so imstande, trotz höherer Löhne mit andern Ländern zu konkurrieren. G. ist auf bedeutende Ausfuhr nach andern Staaten aller Erdteile angewiesen; nur durch Absatz seiner Industrieprodukte kann es sich die Lebensmittel verschaffen, deren es zur Ernährung seiner Bevölkerung bedarf.
Unter England, Schottland und Irland findet man Näheres über die wichtigsten Fabrikbezirke. Um die Vielseitigkeit der britischen Industrie zu kennzeichnen, geben wir nachfolgende Tabelle der in den wichtigsten Industriezweigen beschäftigten Arbeiter nach dem Zensus vom Jahr 1891 (die Ziffern für 1901 sind noch nicht veröffentlicht). Darin zeigt sich das gewerbliche Übergewicht Englands und Schottlands.
Der Stand der Textilindustrie war 1890 folgender:
Ausgeschlossen sind hierbei die Tausende von Arbeitern, die zu Hause als Strumpfwirker, Spitzenklöppler etc. arbeiten. Die Zahl der Arbeiter in der Textilindustrie hat sich 1898 auf 1,036,570 vermindert, darunter waren 648,987 weiblichen Geschlechts, ferner 45,247 Kinder unter 14 Jahren, die nur die halbe Zeit arbeiteten. Die Rohmaterialien für diese Fabriken bezieht G., abgesehen von englischer Wolle und irischem Flachs, fast ausschließlich vom Ausland, namentlich aber Baumwolle aus den Vereinigten Staaten, Indien, Ägypten, Brasilien; Wolle aus Australien, Südafrika etc.; Flachs und Hanf aus Rußland, Mitteleuropa und Italien; Jute aus Indien; Seide (Konsum 18,600 dz) aus Frankreich und Italien.
Die Verarbeitung der Metalle, einschließlich des Maschinenbaues, steht wohl der Textilindustrie nach, wenn wir nur die Anzahl der Arbeiter betrachten, ist derselben aber jedenfalls ebenbürtig, wenn wir bedenken, daß ihr Rohmaterial größtenteils im Lande selbst erzeugt wird. Die Waren dieser Art umfassen alle Gattungen, von Eisenbahnschienen bis zu den feinsten Stahl- und Juwelierarbeiten. Namentlich aber ist es der Maschinenbau, der Englands Namen in alle Weltteile tragt. Eng verbunden mit diesen Industriezweigen ist der Schiffbau; denn bei 1398 Schiffen von 983,133 Ton. (darunter 194 von 207,452 T. für das Ausland), die 1901 gebaut wurden, war Holz nur durch 365 Schiffe (meist Segler) von 16,610 T. vertreten. Die Töpfereien von Staffordshire können in ihren Erzeugnissen mit der ganzen Welt konkurrieren, und auch die Glasindustrie ist von großer Wichtigkeit. Von hervorragender Bedeutung sind ferner: die chemischen Fabriken, die Papiermühlen, die Gerbereien, die Sattlerwerkstätten und Stiefelfabriken, die Fabrikation von Hüten jeder Art und von Handschuhen, die Brauereien und Tabakfabriken. Vgl. Ashley, British industries (Lond. 1903).
Handel.
Der britische Handel ist im eigentlichen Sinne des Wortes ein Welthandel. Die hauptsächlichsten Ursachen seiner beispiellosen Ausdehnung sind: die unvergleichliche Lage Großbritanniens, die es, wenigstens zu Lande, gegen jeden fremden Einfall sichert, seine zahlreichen und geräumigen Häfen, seine Schätze an Kohlen und Eisen, der Besitz einer gefürchteten Kriegsflotte, die frühzeitige Erwerbung umfangreicher und einträglicher Kolonien, endlich die Energie und der Unternehmungsgeist seiner Bewohner. Nach der Aufhebung der meisten Einfuhrzölle 1342–45 und der Abschaffung der Kornzölle 1846 gelangte G. zur Politik des Freihandels. Fortan bestanden nur Einfuhrzölle auf Wein, Kaffee, Zichorie, Kakao, konservierte Früchte, Zucker, dazu kamen 1902 Einfuhrzölle auf Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte und ein Ausfuhrzoll auf Kohlen. Daneben bestehen sogen. Retorsionszölle auf Bier, Glukose, Saccharin, Spirituosen und Drogen, die in G. der Akzise unterworfen sind. Unter der Herrschaft des Freihandels hat sich der Handel in früher nicht geahnter Weise entwickelt. 1840, als noch zahlreiche Zolle dem Handel Schranken auslegten, belief sich die Einfuhr auf 40 Mill. Pfd. Sterl., die Ausfuhr britischer Produkte auf 511/3 Mill. und die Ausfuhr ausländischer und kolonialer Produkte auf 10 Mill. Pfd. Sterl. Die Zölle warfen 23 Mill. Pfd. Sterl. ab. Bei den alten Zollsätzen hätten die Zölle 1902/03 wenigstens 250 Mill. Pfd. Sterl. ein tragen müssen, sie brachten aber nur 34,5 Mill. Pfd. Sterl. ein. Die Entwickelung des britischen Handels in den letzten drei Jahrzehnten geht aus folgender Zusammenstellung hervor:
Diese Zusammenstellung zeigt nun allerdings, daß, während die Einfuhr um 47 Proz. gestiegen ist, die Ausfuhr nach häufigen Schwankungen zuletzt nur um 17 Proz. zugenommen hat. Das Jahr 1903 zeigt eine weitere Steigerung des Handelsumsatzes, indem die Einfuhr auf 542,906,000, die Ausfuhr britischer Produkte auf 290,890,000 Pfd. Sterl. gestiegen ist.
Was die Gegenstände der Einfuhr und der Ausfuhr anbetrifft, so zeigt schon ein flüchtiger Blick in die britischen Handelstabellen, daß die Einfuhr wesentlich aus Rohprodukten, die Ausfuhr aus Fabrikwaren besteht. Von der Einfuhr entfallen 1902: 40,9 Proz. auf Nahrungs- und Genußmittel, 1,5 Proz. auf lebende Tiere, 26,0 Proz. auf Rohstoffe, die in den Fabriken ihre Verwendung finden, 9,1 Proz. auf Metalle, Chemikalien und Ole, 3,7 Proz. auf verschiedene Artikel und nur 18,9 Proz. auf Fabrikate, wohingegen bei der Ausfuhr britischer Erzeugnisse die Fabrikate mit 82,9 Proz. die Hauptrolle spielen; daneben Rohstoffe nur 11 Proz. Einfuhr und Ausfuhr der wichtigsten Produkte waren 1892 und 1902:
Schiffahrt.
Die wichtigsten Seehandelsplätze, nach ihrem Schiffsverkehr mit dem Ausland geordnet, sind: London, Cardiff, Liverpool, Newcastle, Hull, Glasgow, Southampton, Newport, Blyth, Swansea, Sunderland und Leith. Die britische Handelsflotte nimmt den vornehmsten Rang unter den Handelsflotten aller Länder ein. Ihr Wachstum seit dem Jahre 1800 erhellt aus folgender Zusammenstellung:
Dazu kommen nun noch für die britischen Kolonien (mit Indien) 15,523 Schiffe von 1,512,000 Ton. Gehalt, so daß die britische Flagge auf den Weltmeeren durch 35,781 Schiffe von 11,567,000 T. vertreten ist. Sie behauptet im Küstenhandel wie im ausländischen Verkehr den ersten Rang, obgleich ihr den ausländischen Schiffen gegenüber durch Differentialzölle keine Vorteile eingeräumt sind. 1902 war der Tonnengehalt der im ausländischen Verkehr eingelaufenen Schiffe 49,620,117 (davon 32,302,436 britisch), derjenige der ausgelaufenen Schiffe 50,252,602 (davon 32,600,471 britisch). Der Tonnengehalt der beladenen Schiffe war heim Eingang 37,904,313 T., heim Ausgang 44,802,088 T. Im Küstenhandel liefen Schiffe mit einem Gehalt von 58,744,335 T. ein und von 57,070,359 T. aus, davon hatten die beladenen Schiffe 31,455,299, resp. 31,120,236 T. Die Küsten Großbritanniens werden durch 360 Leuchttürme und 50 Leuchtschiffe erleuchtet, und 290 von einer Privatgesellschaft unterhaltene Rettungsboote sind an ihnen stationiert. Trotzdem ist die Zahl der Unglücksfälle ziemlich bedeutend, denn von der Handelsflotte des Vereinigten Königreichs gingen in vier Jahren (1898–1901) 1542 Schiffe von 639,490 T. Gehalt verloren, und 3958 Matrosen und 300 Fahrgäste kamen ums Leben.
Verkehrswesen, Geldinstitute etc.
Den Binnenhandel befördern Landstraßen, Kanäle und Eisenbahnen in hervorragender Weise. Die erste Eisenbahn im modernen Sinn, auf der die Wagen durch eine Dampflokomotive gezogen wurden, war die von Stockton nach Darlington. Sie wurde 27. Sept. 1825 eröffnet. Sämtliche Eisenbahnen des Vereinigten Königreichs sind auf Kosten von Privatunternehmern gebaut worden. 1862 waren 17,493 km Eisenbahnen im Betrieb, 1902 aber 35,649 km. Bau und Ausrüstung dieser Bahnen hatten bis Ende 1902: 1217 Mill. Pfd. Sterl. gekostet; die Betriebskosten beliefen sich 1902 auf 67,840,000 Pfd. Sterl., die Gesamteinnahmen auf 109,469,000 Pfd. Sterl., so daß sich das Kapital mit 3,4 Proz. verzinste. Befördert wurden 1902: 1188 Mill. Reisende (ohne die Inhaber von Saisonbilletts), 437 Mill. Ton. Mineralien und Güter. Straßenbahnen (Tramways) bestanden 1902 in einer Länge von 2388 km. Ihre Anlage hatte 29,9 Mill. Pfd. Sterl. gekostet; 1394 Mill. Passagiere wurden befördert.
Die Kanäle, sämtlich seit 1755 gebaut, haben eine Länge von 6150 km. Auf ihre Nützlichkeit ist in jüngster Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit durch den Versuch der Eisenbahngesellschaften, den Verkehr auf den Kanälen zu monopolisieren, gelenkt worden. Post- und Telegraphenwesen sind Monopol der Regierung und stehen unter Leitung derselben Behörde. Befördert wurden 1902/03: 2579 Mill. Briefe, 489 Mill. Postkarten, 985 Mill. Bücherpakete und Zeitungen und 89 Mill. Pakete. Ausgestellt wurden 1902/03: 14,9 Mill. Geldanweisungen im Betrage von 45,6 Mill. Pfd. Sterl. (davon 6,5 Mill. Pfd. im Verkehr mit den Kolonien und dem Ausland). Die elektrischen Telegraphen hat der Staat 1870 erworben; sie hatten 1902 eine Lange von 76,343 km. 1902 wurden von 9397 Staatstelegraphenämtern und 2354 Eisenbahn- und Privatbureaus 93,5 Mill. Depeschen befordert. Auch das Telephon ist Regierungsmonopol, doch ist dessen Ausnutzung der National Telephone Company bis 1911 gegen eine Abgabe von 10 Proz. der Bruttoeinnahme überlassen; Zahl der Sprechstellen 233,000, der Gespräche 787 Mill. Die gesamten Einnahmen des Post- und Telegraphenamtes bezifferten sich 1902/03 auf 18,4 Mill., die Ausgaben auf 14,6 Mill. Pfd. Sterl., so daß ein Überschuß von 3,8 Mill. erzielt wurde.
Zu den wesentlichern Erleichterungsmitteln des Handels von G. gehören die Banken, an deren Spitze für den Umfang des britischen Reiches die Bank von England steht, die ihre Geschäfte über die ganze zivilisierte Erde ausdehnt (s. Banken, S. 346). Einschließlich der Bank von England hatten die Aktienbanken in G. 1902 ein eingezahltes Kapital von 77,6 Mill. Pfd. Sterl., einen Reservefonds von 47,5 Mill. Pfd. Sterl. Mit Einrechnung des Kapitals der Privatbanken (7,9 Mill. Pfd. Sterl.) verfügten die Banken insgesamt über 132 Mill. Pfd. Sterl. an Kapital und Reserven. Der Betrag der bei ihnen eingezahlten Depositen wird 1903 auf 680 Mill. Pfd. Sterl. berechnet. – Die Zahl der Aktiengesellschaften betrug 1902 insgesamt 33,259 mit einem Kapital von 1805 Mill. Pfd. Sterl. – Gemünzt wurden 1898–1902: 37,402,250 Pfd. Sterl. in Gold, 6,493,336 Pfd. Sterl. in Silber, 660,694 Pfd. Sterl. in Kupfer. Von dem Umfang des englischen Geschäfts erhält man einen Begriff, wenn man bedenkt, daß im Londoner Clearinghaus (s. d.) 1902: 10,029 Mill. Pfd. Sterl. ausgeglichen wurden.
Maße, Gewichte, Münzen.
Das britische Maßsystem ist mittels Parlamentsakte vom 17. Juni 1824 durch Einführung vom imperial measures vereinfacht worden, aber noch äußerst mannigfaltig, und überdies gestattet das Gesetz vom 28. Juni 1864 den Gebrauch metrischer Maßgrößen. Für die Längenmaße dient als Normalstab das Imperial Standard Yard von 1760 pei 62° Fahrenheit, = 914,38348 mm. Ein Fathom hat 2 Yards zu 3 Feet (ft.), ein Foot 12 Inches zu 12 Lines oder 16 Teilen, die Feldmesserrute (Pole, Perch, Rod) 51/2 Yards, ein Furlong 10 Chains von 4 Poles zu 25 Links = 220 Yards, die gesetzliche Meile (Statute Mile oder British Mile zum Unterschied von der Londoner und der See-Meile) 8 Furlongs = 1609,815 m; andre Längen gelten im Garn-, Tuchhandel und Militärdienst. Flächenmaße: das Square Yard zu 9 Square Feet = 0,886097 qm, das Square Rod = 30,25 Square Yards, das Acre zu 4 Roods von 40 Square Rods = 40,4671 Ar, das Square Mile zu 640 Acres = 258,98945 Hektar. Körpermaße: das Cubic Foot von 1728 Cubic Inches = 1/27 Cubic Yard = 28,31531 Lit.; das Load behauenes Holz hat 50, unbehauenes 40, die Frachttonne (ton of shipping) als Raummaß 42 und das Registerton als Maß der Schiffsgröße 100 Kubikfuß. Die Einheit aller Hohlmaße, das Imperial Standard Gallon, soll bei 30 Zoll Barometerstand und 162/3° Luftwärme 10 Handelspfund destilliertes Wasser enthalten = 4,54346 Lit. (nach der Raumbestimmung, mit Grenzen der Gültigkeit für 4,54339–4,54352, sowie 4,54041 nach der Wasserbestimmung); 1 Gallon hat 4 Quarts zu 2 Pints von 4 Gills. Für Flüssigkeiten: das Tun Wein meistens zu 2 Pipes oder Butts von 2 Hogsheads = 252 Gallonen oder 1144,95 Lit., das Puncheon zu 2 Tierces von 42 Gallonen, das Rundlet (Runlet) = 18, bei Branntwein das Anker = 10 Gallonen, bei Ale und Bier das Butt zu 2 Hogsheads oder 3 Kilderkins = 108, das Barrel von 4 Firkins = 36 Gallonen. Für trockne Dinge: das Bushel zu 4 Pecks von 4 Pottles = 8 Gallonen oder 36,34767 Lit., das Quarter zu 2 Combs (Cooms) von 4 Bushels, das Wey = 5, das Chaldron = 4 Quarters; vielfach sind Raummaße feste Gewichtsgrößen geworden.
Von den Gewichten dient für Edelmetalle, Münz- und Medizinalwesen das Imperial Troy Pound pou 5760 Grains = 373,24195 g, eingeteilt in 12 Ounces (oz.) zu 20 Pennyweights (dwt.) von 24 oder bei Perlen 30 Grains. Beim Apothekergewicht hat die Unze 8 Drachmas (Drams) zu 3 Scruples von 20 Grains, und die Bank teilt sie seit 1852 dezimal. Die Feinheit des Goldes wird durch Einteilung des Ganzen in 24 Karats zu 4 Grains von 4 Quarts angegeben, seitens der Bank aber in Tausendsteln zu 3 Thirds berechnet. Bei Edelsteinen zerfällt die Unze in 1511/2 Karats von 205,304 mg, das Karat in 4 Juwelengrains oder 64 Teile. Eigentliches Handelsgewicht ist das pound avoirdupois von 7000 Troygrains = 453,69265 g, 144 davon = 175 Troypfund; es wird eingeteilt in 16 Ounces zu 16 Drams von 3 Scruples = 7680 Grains avdp. Ein Hundredweight (cwt.) hat 4 Quarters (qr.) zu 2 Stones von 14 Pounds = 112 Pfund oder 50,802377 kg. Das Ton als Gewicht enthält 20 Hundredweights, aber die Frachttonne (ton of shipping) 20 Centals zu 100 Pfund. Es kommen zahlreiche andre Namen und Größen, im Kornhandel allein etwa 200, in einigen Kolonien auch alte Maße vor.
Im Münzwesen herrscht nach den Gesetzen vom 22. Juni 1816 und 7. Febr. 1816 reine Goldwährung, deren Einheit, das British Pound oder Livre Sterling (£) = 20 Schilling (s.) zu 12 Pence (d.), 123,274478 Grains wiegt und 20,42945 Mk. Geldwert besitzt. Die Englische Bank, deren sich die Regierung zur Ausmünzung bedient, wurde 1844 verpflichtet, Goldbarren von 11/12 Feinheit (standard fineness) zum Preise von 773/4 Schill. für die Unze entgegenzunehmen und auf Ansuchen zu 777/8 Schill. in Banknoten zu verkaufen, so daß 1 Pfd. Sterl. eine Menge von 113,0016 Troygrains seinen Goldes bedeutet. Privatpersonen dürfen Gold in Posten von mindestens 10,000 Pfd. Sterl. unentgeltlich ausmünzen lassen; die Toleranz beträgt an Feinheit 2 auf 9162/3 Tausendteile, an Gewicht auf 1 Pfd. Sterl. 0,4 Grains, und Stücke von weniger als 122,5 Grains = 20,3011 Mark zerschlägt die Bank bei der Einlieferung. Stückelung in 1 Pfd. Sterl. (Sovereign; s. Tafel »Münzen V«, Fig. 8) und 1/2, selten zu 5 und 2. Silbergeld braucht bei Zahlungen nur bis 2 Pfd. Sterl. angenommen zu werden. Normalgewicht des Schilling ist 5,65518 g zu 37/40 Feinheit = 94,1588 Pf. der Talerwährung, daher Wertverhältnis des Silbers zum Gold 1: 14,2878; geprägt werden Stücke zu 5 (Crown), 21/2 (half a crown), 2 (Florin), 1 Schilling, 1/2 (Sixpence) und 1/4, selten zu 4, 1/3 (Groat), 1/6 für Westindien und 1/12 (Maunday-Money). An Stelle der Kupfermünzen sind 1860 Bronzestücke zu 1 Penny, 1/2 und 1/4 (Farthing) getreten. Mangelt Kleingeld, so lassen Großunternehmer sogen. Tokens, wenigstens 1/2 Penny, anfertigen, die sie in Gold oder Silber einlösen. Hauptzahlungsmittel sind außer den Schecks von Privatleuten die Noten der Bank von England zu 5, 10, 20, 50, 100, 200, 300, 500 und 1000 Pfd. Sterl., die jederzeit gegen Goldmünzen umgewechselt werden und in England nebst Wales Zwangsumlaufsrecht besitzen; der Umlauf darf 15 Mill. Pfd. Sterl. über den Goldvorrat der Bank nicht übersteigen. Den übrigen Notenbanken steht seit 1849 ein absolutes Recht der Notenausgabe nicht mehr zu. Die britische Währung gilt auch in den Kolonien, ausgenommen Gibraltar, Neufundland, Kanada, die ostafrikanischen, süd- und ostasiatischen Besitzungen.
Nationaleinkommen und Wohlstand.
Wiederholt sind Versuche gemacht worden, den Werk des gesamten Eigentums der Nation sowie den Betrag der einzelnen Jahreseinkommen zu schätzen. Da diese Schätzungen sich großenteils auf Steuerlisten und ähnliche Quellen stützen, so verdienen sie ein gewisses Vertrauen. 1843 wurde das gesamte Einkommen auf 515 Mill., 1867 auf 821 Mill. (wovon 128 Mill. auf 8000 Personen entfielen), 1883 auf 1200 Mill. Pfd. Sterl. geschätzt, und es beläuft sich gegenwärtig auf mindestens 1600 Mill. Pfd. Sterl. Der Kapitalwert des liegenden und beweglichen Eigentums ist gleichfalls rasch gestiegen; 1840 schätzte man denselben auf 4030 Mill., 1860 auf 5560 Mill. und 1882 auf 8720 Mill. Pfd. Sterl. Daß diese Zahlen nicht zu hoch gegriffen sind, beweisen die Angaben über das Einkommen, die von den Interessenten für die Steuerlisten jährlich gemacht werden. Dabei sind die Einkommen von weniger als 150 Pfd., seit 1894 von weniger als 160 Pfd. Sterl. als steuerfrei ausgeschlossen. 1871 wurde das Einkommen auf 471,4 Mill, 1881 auf 585,2 Mill., 1891 auf 698,4 Mill. und 1901/02 auf 867 Mill. Pfd. Sterl. angegeben; letztere Ziffer erhöht sich auf mehr als 900 Mill., wenn man die den landwirtschaftlichen Betrieben gewährte Ermäßigung in Ansatz bringt.
Mit wachsendem Wohlstand hat die Bevölkerung der Armenhäuser abgenommen, und die Einlagen in den Sparkassen sind gestiegen. Arme, die öffentliche Unterstützung erhielten, gab es 1871: 1,280,188; 1903: 1,040,908 (833,005 in England und Wales, 104,675 in Schottland, 103,228 in Irland). Das Kapital der Sparkassen aber belief sich 1871 auf 55,8 Mill. Pfd. Sterl., 1881 auf 80,3 Mill., 1891 auf 114,5 Mill., 1902 auf 197,1 Mill. Pfd. Sterl. (davon in Postsparkassen 144,6 Mill.). Im allgemeinen erscheinen Reichtum und Armut in G. in schreiendem Kontrast.
Staatsverfassung.
Die britische Staatsverfassung hat zur Grundlage die angelsächsische Verfassung, die durch Wilhelm den Eroberer nur in manchen Stücken modifiziert ward (s. Angelsachsen). Die Grundgesetze, auf denen die britische Verfassung beruht, sind. die Magna Charta (Great Charter) vom 15. Juni 1215, die jedem Briten völlige Sicherheit der Person und dss Eigentums zusichert; die Petition of rights von 1628, durch welche die Landesprivilegien gegen die königliche Gewalt gesichert werden; die Habeaskorpusakte von 1679, nach der jeder Brite den Grund seiner Verhaftung erfahren, binnen 24 Stunden verhört und (außer bei Staats- und Kapitalverbrechen) gegen Bürgschaft dafür, daß er sich zur Untersuchung vor Gericht stellen wolle, freigelassen werden muß; die Bill and Declaration of rights vom 22. Jan. 1689, seit der kein Gesetz ohne Parlamentsbewilligung gültig ist, gewissermaßen die Kapitulation, die Wilhelm III. vor seiner Thronbesteigung annehmen mußte; die Sukzessionsakte (Act of settlement) von 1701 und die von 1705; die Unionsakte zwischen England und Schottland vom 6. März 1707 in 25 Artikeln; die Unionsakte zwischen G. und Irland vom 2. Juni 1800 in acht Artikeln; die Emanzipationsbill der Katholiken vom 29. April 1829; die Reformbills der Jahre 1832,1867–68 und 1885 über Zusammensetzung und Wahl der Mitglieder des Unterhauses.
G. ist demgemäß eine erbliche, konstitutionelle, beschränkte Monarchie. Dem König, dessen Person heilig und unverletzlich ist, und welcher der englisch-bischöflichen Kirche angehören muß, steht die höchste vollziehende Gewalt zu; er ist Oberlehnsherr und Haupt der Kirche und ernennt die hohen Staatsbeamten, Bischöfe und Richter. Er erklärt Krieg und schließt Frieden, schickt und empfängt Gesandte, verfügt über Armee und Flotte, erteilt den Adel und verwaltet den öffentlichen Schatz. Seine Handlungen sind keiner Untersuchung unterworfen; aber die von ihm gewählten Staatsbeamten sind dem Parlament gegenüber für alle Regierungshandlungen verantwortlich. Die Gewalt des Königs ist durch Reichsgesetze und die Versammlung der Reichsstände (Imperial Parliament) ziemlich eng beschränkt; selbst das ihm zustehende Recht der Begnadigung ist sehr bedingt. Die Thronfolge ist in dem genannten Act of settlement geordnet und auf die protestantischen Nachkommen der Prinzessin Sophie von Braunschweig beschränkt. Dieselbe erfolgt in strenger Linealfolge und geht auf eine entferntere Linie nicht eher über, als bis alle männlichen und weiblichen Mitglieder der herrschenden Linie ausgestorben sind. Nur mittels Parlamentsakte (s. unten) kann eine Änderung der Thronfolge bestimmt werden. Gewöhnlich findet eine Krönung zu London in der Westminsterabtei durch den Erzbischof von Canterbury statt, wobei der König den Krönungseid leistet. Die Volljährigkeit des Königs tritt mit dem vollendeten 21. Lebensjahr ein. Während seiner Minderjährigkeit führt die Königin-Mutter oder in deren Ermangelung ein vom König (im Testament) oder vom Parlament ernannter Prinz des Hauses die Regentschaft; doch kann der König die während derselben erlassenen Gesetze bei seinem Regierungsantritt verwerfen. Bei physischer Regierungsunfähigkeit des Königs führt der Thronerbe die Regentschaft als Prinz-Regent, die Königin oder in deren Ermangelung ein vom Parlament ernannter Großer des Reiches die Obhut über den kranken König. Der Gemahl einer regierenden Königin hat keine Teilnahme an den königlichen Rechten und führt nicht den Titel eines Königs von G. Die Gemahlin des regierenden Königs teilt dagegen mit ihrem Gemahl Titel und Wappen. Der Titel des Monarchen ist (seit 1877): »König des Vereinigten Königreichs von G. und Irland und dessen Kolonien und Dependenzen, Beschützer des Glaubens (defensor fidei), Kaiser von Indien, Sovereign des Hosenbandordens etc.«
Der Kronprinz führt den Titel eines »Prinzen von Wales«, den er, im Fall er vor der Thronbesteigung stirbt, auf seinen ältesten Sohn vererbt. Alle Prinzen des Hauses sind geborne Peers, werden mit dem 21. Jahr volljährig, beziehen dann ein Jahrgeld, erhalten vom König besondere Herzogs- und Grafentitel und dürfen sich ohne Zustimmung des Königs nicht verheiraten, außer nach dem 25. Jahr, wenn sie ein Jahr vorher dem Geheimen Staatsrat (s. unten) hiervon Anzeige gemacht haben und das Parlament dagegen keinen Einspruch erhoben hat. Die älteste Prinzessin hat den Titel Prinzeß Royal. Die Zivilliste des Königs beträgt 409,592 Pfd Sterl. (wovon 60,000 Pfd. Sterl. in seinen Privatsäckel, Privy Purse, fließen). Außerdem aber erhält er die Einkünfte des Herzogtums Lancaster (48,000 Pfd. Sterl. netto); die königlichen Paläste werden auf öffentliche Kosten unterhalten. Der Prinz von Wales bezieht einen Jahresgehalt von 40,000 Pfd. Sterl. und die Einkünfte des Herzogtums Cornwall (60,000 Pfd. Sterl. netto).
Der königliche Hofstaat teilt sich in vier große Departements, nämlich diejenigen des Lord Steward (Oberhofmeister), des Lord Chamberlain (Oberst-Kämmerer), des Master of the Horse (Oberst-Stallmeister) und der Mistress of the Robes (Oberhofmeisterin der Königin). Unter diesen stehen ein Graf-Marschall (eine erbliche Würde des Herzogs von Norfolk), ein Schatzmeister, ein Säckelwart (Keeper of the Privy Purse), ein Großalmosenier (erblich in der Familie des Grafen von Exeter), ein Zeremonienmeister, ein Großfalkenier (dessen Würde dem Herzog von St. Albans erblich zusteht), Hofdamen, Hofärzte und zahlreiche niedere Beamte. Auch in Schottland besteht ein Hofstaat, einschließlich eines Hofmeisters, eines Oberconnetable, eines Bannerträgers, eines Wappenträgers und eines Truchseß, deren Würden sämtlich erblich sind. Königliche Leibwachen sind die Yeomen of the Guard, im Volksmund als Beefeaters bekannt (eine Korrumpierung von Bouffetiers), das Korps der Gentlemen-at-Arms und die Company of Archers (in Schottland). Der König bewohnt entweder den Buckinghampalast in London (der St. Jamespalast dient nur zu Staatszeremonien) oder das Schloß zu Windsor oder die Sommerresidenzen von Osborne (Insel Wight) oder Balmoral (schottische Hochlande), jetzt auch Sandringham (in Norfolk). Marlborough House ist dem Prinzen von Wales eingeräumt. Andre von Mitgliedern der königlichen Familie oder Hofpensionären bewohnte Paläste sind zu Kensington und Kew. Gegenwärtig regierender König ist Albert Eduard VII., geb. 9. Nov. 1841, Sohn des Prinzen Albert von Sachsen-Koburg und der Königin Viktoria, folgte seiner Mutter 22. Jan. 1901, vermählt seit 10. März 1863 mit Alexandra, Prinzessin von Dänemark. Kronprinz ist Georg, geb. 3. Juni 1865.
Das Parlament.
Das Parlament besteht aus dem König, dem Haus der Lords (Haus der Peers, Oberhaus, House of Lords) und dem Haus der Gemeinen (Unterhaus, House of Commons), deren Übereinstimmung zu einem Gesetz (Parlamentsakte) gehört. Das Parlament, ohne den Konia betrachtet, beaufsichtigt die Verwaltung, beratschlagt die Gesetze, bewilligt das Budget auf ein Jahr, legt Steuern auf und hat das Recht der Steuerverweigerung, richtet auch durch das Oberhaus seine Mitglieder wegen Hochverrats und auf Anklage des Unterhauses die Verbrechen der Minister und hohen Staatsbeamten. Das Parlament wird vom König berufen, durch eine Thronrede im Oberhaus, wozu das Unterhaus eingeladen wird, eröffnet und kann vom König auf längere Zeit vertagt und gänzlich aufgelöst werden. Ein Parlament darf nie länger als sieben Jahre bestehen und nicht länger als 80 Tage vertagt bleiben. Beide Häuser führen ihre Verhandlungen besonders. Jedes Mitglied eines derselben kann einen Vorschlag (bill) machen. Die Bills betreffen entweder allgemeine Angelegenheiten (public bills) oder Lokal- und Privatsachen (private bills). Geldbewilligungen (money bills) müssen im Haus der Gemeinen eingebracht und von den Lords entweder unabgeändert angenommen oder gänzlich verworfen werden. Fede Bill muß eine zweimalige Lesung und Abstimmung bestehen, ehe die eigentliche Debatte eröffnet wird. Der König genehmigt jede Art mit einer besondern französischen Formel. Verwirft er die Bill, so geschieht es mit der Formel. »Le roi s'avisera«, ein Fall, der übrigens seit 1707, als die Königin Anna die schottische Milizbill verwarf, nicht vorgekommen ist. Vor der Emanzipationsbill (1829) hatten Katholiken im Oberhaus nur Sitz, nicht Stimme, vom Unterhaus waren sie gänzlich ausgeschlossen, weil die Mitglieder außer dem noch jetzt gebräuchlichen Eide der Treue (oath of allegiance) noch den Kircheneid (oath of supremacy) und den Testeid ablegen mußten, was die Katholiken nicht konnten. Seit 21. Juli 1858 kann jedes der beiden Häuser einem zu beeidigenden Mitgliede die Worte »beim wahren Glauben eines Christen« erlassen. Kein Mitglied beider Hauser kann während der Parlamentszeit mit Arrest belegt werden.
Zum Oberhaus gehören die majorennen Prinzen des königlichen Hauses, die weltlichen Peers des Vereinigten Königreichs, die das Recht erblich besitzen und wenigstens 21 Jahre alt sind, 3 Oberrichter als person liche Peers (Life Peers), ein Ausschuß des schottischen und irischen Adels (von ersterm 16, von letzterm 28 Peers, die von ihresgleichen gewählt werden, jene für jedes Parlament, diese auf Lebenszeit), die 2 Erzbischöfe und 24 Bischöfe von England und Wales, im ganzen jetzt 595 Mitglieder. Der Lord-Kanzler (dessen Sitz der »Wollsack«, ein großes, viereckiges, mit rotem Tuch bedecktes Kissen ohne Rücken- und Seitenlehne, ist) führt den Vorsitz. Jedes Mitglied stimmt durch »content« (einverstanden) oder »non content« (nicht einverstanden); sie können ihre Stimmen durch Mandatare (by proxy) abgeben. Das Quorum oder die zur gültigen Abstimmung erforderliche Anzahl von Mitgliedern beträgt 3 (im Unterhaus 40) Mitglieder. Das Unterhaus oder das Haus der Gemeinen besteht aus den Abgeordneten der Grafschaften, Städte (boroughs) und Universitäten und zählt 670 Mitglieder; davon kommen 495 Abgeordnete (nämlich 253 der Grafschaften, 236 der Städte und 6 der Universitäten) auf England und Wales; 72 (39 für die Grafschaften, 31 für die Städte, 2 der Universitäten) auf Schottland; 103 (85 für die Grafschaften, 16 für die Städte, 2 für die Universitäten) auf Irland. Das Wahlrecht ist das gleiche für die drei Königreiche wie für Stadt oder Land. Das Stimmrecht hat, wer ein eignes Haus oder Häuschen bewohnt, oder wer als Mieter 10 Pfd. Sterl. jährliche Miete zahlt. Die Abgeordneten der Universitäten werden von sämtlichen Graduierten der betreffenden Universität gewählt. Kein Stimmrecht haben Ausländer, die Peers, des Meineides Überwiesene, Arme, die von der Gemeinde Unterstützung erhalten, und viele der Regierungsbeamten. Nicht wahlfähig sind die Richter, die einen Gehalt beziehen, Geistliche der englischen, schottischen und römischen Kirche, gewisse Staatsbeamte und Verbrecher. Einmal gewählt, kann ein Mitglied nur infolge der Annahme eines Kronamtes austreten (s. Chiltern hundreds). Die Abstimmung bei den Wahlen ist geheim. Die Mitglieder des Parlaments erhalten keine Diäten.
Gleich bei Eröffnung des Parlaments wird der Sprecher erwählt, der die Verhandlungen leitet, jedoch nicht daran teilnimmt, während die Redner (der Form nach) sich an ihn allein wenden; er bezieht einen Jahresgehalt von 5000 Pfd. Sterl. Ein Chair-man leitet die Verhandlungen, wenn das Haus als Komitee berät. Ein solches Komitee des ganzen Hauses heißt Committee of supply, wenn es sich um Ausgaben, Committee of ways and means, wenn es sich um Deckung dieser Ausgaben handelt. Außerdem bestehen zwei ständige Ausschüsse (Standing Committees) für Handel und Verkehr und für juristische Angelegenheiten, Ausschüsse für die Begutachtung von Private bills und Select Committees für verschiedene Zwecke. Die Mitglieder stimmen mit »Ay« und »No« (Ja und Nein). Bei der Abstimmung erfolgt erst die Verneinung, dann die Bejahung. Das Recht, die Verhandlungen durch die Presse zu veröffentlichen, besteht gesetzlich nicht, doch hat man den Berichterstattern eine Galerie eingeräumt.
Stände, politische Rechte.
Nach den politischen Rechten gibt es in staatsbürgerlicher Hinsicht drei Stände: die Krone, die Nobility (Adel) und die Commonalty. Würde und Titel eines Peers gehen aber nur auf den ältesten Sohn über, der bei Lebzeiten des Vaters nur dessen zweiten Titel führt. Deshalb heißt der älteste Sohn eines Herzogs Marquis oder Graf, der eines Marquis Graf oder Viscount, der eines Grafen Lord. Den jüngern Söhnen eines Herzogs oder Marquis gebührt der Titel Lord. Söhne eines Viscounts oder Barons führen keinen besondern Titel; es gebührt ihnen aber, wie sämtlichen Peerssöhnen, die sich nicht eines höhern Titels erfreuen, das Prädikat »Honourable«. Die Zahl der Mitglieder des hohen Adels kann nach Belieben des Königs vermehrt werden. Er zerfällt in fünf Klassen: Herzoge oder Dukes, deren es außer den Prinzen königlichen Geblüts 22 gibt; Marquis, 23 Geschlechter; Grafen oder Earls, 125 (die 2 ältesten, Shrewsbury und Derby, von 1442 und 1435); Viscounts, 35; Barone oder Lords, ursprünglich die reichsunmittelbaren Vasallen Wilhelms des Eroberers, 316. Von den geistlichen Peers stehen die Erzbischöfe zwischen den königlichen Prinzen und den Herzogen, die Bischöfe zwischen den Viscounts und den Baronen. Der hohe Adel Schottlands und Irlands zählt 262 Mitglieder, von denen 135 gleichzeitig Peers des Vereinigten Königreichs sind und als solche im Haus der Peers einen Sitz einnehmen. Von den übrigen haben 16 schottische und 28 irische »Representative Peers« gleichfalls Sitz und Stimme im Oberhaus. Die Commonalty umfaßt den Rest der Bevölkerung. Außer den Söhnen der Peers gehören zu ihr die Gentry (s. d.), die seit Jakob I. kreierten Baronets (s. d.) und sämtliche andre Klassen des Volkes. Wenn nun aber auch keine gesetzlichen Schranken zwischen den verschiedenen Volksklassen errichtet sind und nur die Peers als geborne Gesetzgeber sich eines Vorrechts erfreuen, so kann doch nicht in Abrede gestellt werden, daß Geburt und Reichtum sich streng absondern vom niedern Bürgerstand und selbst der Besuch von Schulen, in denen Kinder von tradesmen (Krämern, Handwerkern etc.) ihre Erziehung erhalten, den Kindern der obern Stände verpönt ist.
Jeder in G., auch von einer Ausländerin, und im Ausland von einer Engländerin Geborne ist ein Brite und genießt dessen politische und bürgerliche Rechte. Jedem Briten steht völlige Freiheit der Person, namentlich auch Sicherheit des Lebens und des guten Namens, Schutz gegen jede willkürliche Verhaftung und Freiheitsbeschränkung zu; ferner Sicherheit des Eigentums, Freiheit der Rede und der Presse unter dem Schutz der Geschwornengerichte, Petitionsrecht und der Schutz der Gerichtshöfe, Unantastbarkeit seines Hauses und das Recht, zur Selbstverteidigung Waffen zu tragen. Die Bürger sind der Regierung, d. h. der ganzen Hierarchie des Beamtenstandes, nicht zu unbedingtem, sondern nur zu verfassungsmäßigem Gehorsam verpflichtet. Die schroffe Trennung aber des Beamtenstandes vom Volk wird dadurch ausgeschlossen, daß die britische Verfassung eine Menge Regierungsgeschäfte der eignen Besorgung der Nation überläßt. Hierher gehören die Friedens- und die Geschwornengerichte, die Grand jury, die Munizipalverfassung und vor allem das Recht, sich zur Beratung aller gemeinschaftlichen Angelegenheiten zu versammeln und zu verbinden.
Staatsverwaltung.
Die Exekutivgewalt gehört, wie schon erwähnt, der Krone. Ihre Organe sind die Minister und die von der Krone gewählten Beamten. Die anerkannten Ratgeber der Krone bilden den Geheimen Staatsrat (Privy Council), der aus bedeutenden, vom König gewählten Persönlichkeiten besteht (nur der Lord-Mayor von London gehört ex officio dazu), ohne Beschränkung der Zahl. Ein Ausschuß dieses Rates fungiert als Appellationsgericht für die kolonialen, Admiralitäts- und kirchlichen Gerichtshöfe. Gegenwärtig zählt der Geheime Staatsrat über 200 Mitglieder und vereinigt in sich die hervorragendsten Politiker aller Parteien. Die eigentlich wirksamen Kräfte, die ausführenden Minister der Krone, dagegen bilden einen kleinern Körper von Kabinettsräten (Cabinet Council), unter welche die Hauptstaatsämter verteilt sind. Die Mitglieder dieses Kabinettsrats, das Ministerium, werden zwar auch vom König ernannt, da sie aber dem Parlament gegenüber für ihre Handlungen verantwortlich sind, so hängt ihre Wahl von der Majorität im Parlament ab. Dazu gehören in der Regel folgende Mitglieder. der erste Lord der Schatzkammer (First Lord of the Treasury) als Premierminister; der Lord-Großkanzler als Rechtsbeistand des Kabinetts und Bewahrer des großen Siegels; der Lord-Präsident des Geheimen Rats und Minister des öffentlichen Unterrichts; der Kanzler des Schatzamtes (Exchequer, Finanzminister); die Staatssekretäre für innere Angelegenheiten, ausländische Angelegenheiten, die Kolonien, Krieg und Indien; der erste Lord der Admiralität (Marineminister); der Generalpostmeister; die Präsidenten des Handelsamtes (Board of Trade), des Amtes für Lokalregierung und des landwirtschaftlichen Amtes; der Lord-Kanzler und der Obersekretär für Irland und der Sekretär für Schottland. Andre hohe Staatsbeamte sind der Oberkommissar für öffentliche Bauten, die junior Lords der Admiralität und der Schatzkammer, die Unterstaatssekretäre. Sie gehen fast sämtlich aus dem Parlament hervor und legen ihr Amt nach Rücktritt des Ministeriums nieder. Für Justizfälle stehen der Regierung außer dem Lord-Kanzler ein Attorney general (Generalfiskal), ein Solicitor general (Generalprokurator) und ein Advocate general zur Seite. Die Verwaltung der Angelegenheiten Schottlands ist jetzt größtenteils mit der englischen vereinigt. Irland dagegen hat eine eigne Regierung, der ein in Dublin residierender Statthalter (Lord-Lieutenant) vorsteht. Die Schatzkammer (Treasury) sorgt für Erhebung der Steuern und deren richtige Verwendung. In ihr haben Sitz der erste Lord der Schatzkammer, der Kanzler des Exchequer und drei andre hohe Staatsbeamte, die jedoch nicht Mitglieder des Kabinetts sind. Unter ihr stehen das Zollamt und das inländische Steueramt mit dem Stempelamt.
Was die innere Verwaltung des Landes betrifft, verweisen wir auf die Artikel »England«, »Schottland« und »Irland«. Hier mag nur erwähnt sein, daß die Lokalausgaben 1900–01: 133,713,267 Pfd. Sterl. betrugen. Diese bedeutende Summe wurde durch eine Mietsteuer, Renten von Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken etc. (67 Mill. Pfd. Sterl.), durch Anleihen (35,5 Mill.), Zuschüsse aus der Staatskasse (16 Mill.), ferner durch Abgaben von Straßenbahnen, Chausseegelder, Marktgebühren etc. gedeckt. Von den Ausgaben entfielen auf die Polizei, Gesundheitspflege und die öffentlichen Anlagen in städtischen Gemeinden 79,2 Mill., auf Polizei, Gesundheitspflege und Wegebau in den Grafschaften 13,8 Mill., auf die Armenpflege 14,4 Mill., das Schulwesen 14,5 Mill., Hafenanlagen 6,1 Mill. Pfd. Sterl. etc.
Rechtspflege.
Die Gerichts- und Rechtsverfassung Großbritanniens enthält viele veraltete Einrichtungen. Wie in andern Staaten, sind auch in England die ältesten Volksrechte schon früh untergegangen, und der Einfluß des römischen Rechts auf die neuern Rechte seit dem 11. Jahrh. ist nicht zu verkennen. Man unterscheidet das gemeine Recht (Common Law), dessen Grundlage die Gesetze der Briten, Sachsen und Dänen sind, und das statutarische Recht (Statute Law), das in Parlamentsgesetzen enthalten ist. Außerdem kommt in den kirchlichen und Admiralitätsgerichten das römische Zivilrecht und teilweise das kanonische Recht zur Anwendung. Wie groß die Masse der britischen Gesetze ist, kann man schon daraus entnehmen, daß die von Pakering besorgte Ausgabe der Gesetze von 1215–1817: 34 Quartbände enthält. Um die Kriminalgesetzgebung zeitgemäß umzugestalten, wurden schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. viele veraltete Parlamentsgesetze aufgehoben, die Härte andrer gemildert und namentlich die Todesstrafe in mehreren Fallen abgeschafft; doch besitzt England auf keinem Gebiete des Rechts ein förmliches Gesetzbuch. Darum ist auch jetzt noch die Rechtspflege langwierig und kostspielig. Für das Vereinigte Königreich ist das Haus der Lords der oberste Gerichtshof, denn es kommen vor dasselbe nicht nur von den Gemeinen erhobene Anklagen wegen Hochverrats und alle gegen Peers anhängig gemachten Kriminalklagen, sondern es ist gleichzeitig Appellationsgericht für Schottland und Irland. Weiteres s. England, S. 804.
Finanzen.
Die Bedürfnisse der britischen Staatsverwaltung sind seit Anfang des 18. Jahrh. riesig gewachsen. 1709 betrugen die ordentlichen Ausgaben 7 Mill. Pfd. Sterl., dagegen 1902–03: 184,5 Mill. Pfd. Sterl. 1784 waren die Staatseinnahmen bereits auf fast 12 Mill. Pfd. Sterl. gestiegen. Die Kriege mit Frankreich erheischten ungeheure Summen, so daß 1815 das Budget allmählich bis auf 1163/4 Mill. Pfd. Sterl. gestiegen war, wovon 893/4 Mill. Pfd. Sterl. durch Steuern, die andern 27 Mill. durch Anlehen aufgebracht wurden. Solch gewaltige Anstrengungen hat England erst in der neuesten Zeit wieder gemacht; aber während der Krimkrieg (1854–56) nur 77,6 Mill. Pfd. Sterl. kostete, werden die durch den südafrikanischen Krieg verursachten Ausgaben auf 140 Mill. Pfd. Sterl. geschätzt, wenigstens ist die englische Staatsschuld in den Jahren 1899–1903 um 142 Mill. Pfd. Sterl gewachsen.
Die Quellen, aus denen die britischen Staatseinnahmen fließen, sind von der verschiedensten Art, werden aber im wesentlichen unter Zollen, Akzise (excise), Stempelgebühren, direkten Steuern (taxes), dem Ertrag vom Post- und Telegraphendienst und den Einnahmen der Kronländereien zusammengefaßt. Von den früher ausgedehnten Kronländereien sind jetzt, abgesehen von den Herzogtümern Cornwall und Lancaster, deren Einnahmen in den Säckel des Königs, bez. des Prinzen von Wales fließen, nur etwa 48,000 Hektar übrig, die jährlich nur 455,000 Pfd. Sterl. (netto) abwerfen. Die Grundsteuer (land tax), die ursprünglich von allen Lehnsleuten entrichtet werden mußte, wurde 1660 beseitigt, aber 1692 wieder eingeführt und zwar im Betrag von 20 Proz. auf die Roheinnahmen von liegendem Eigentum. Gleichzeitig wurde die Ablösung dieser Steuer zugestanden. Sie trug damals in England und Schottland 2,037,627 Pfd. Sterl. ein und würde jetzt an 40 Mill. ergeben, wenn nicht noch immer die ursprüngliche Einschatzung Kraft hatte und fast die Hälfte der Steuer abgelöst worden ware. So belief sich der Ertrag 1902/03 auf nur 750,000 Pfd. Sterl. Eine Haussteuer ist seit 1851 an Stelle der ältern Fenstersteuer getreten und wird von allen Häusern erhoben, deren jährlicher Mietswert 20 Pfd. Sterl. übersteigt. Eine Einkommensteuer wurde zuerst 1798 von W. Pitt eingeführt und bis 1315 als Kriegssteuer bezahlt; 1843 wurde sie von Sir R. Peel erneuert. Sie beträgt jetzt 1 Schilling 2 Pence (bis 1900 nur 8 Pence) pro Pfund Sterling (5,8 Proz.) für alle Einkommen, gleichviel ob von Land, Kapital oder Erwerb. Doch sind Einkommen von weniger als 160 Pfd. Sterl. steuerfrei, bei solchen unter 700 Pfd. Sterl. bleiben 70–160 Pfd. steuerfrei. Vom Ertrag der Landwirtschaft wird nur ein Drittel zur Steuer herangezogen. Eine Akzise wird seit 1660 von Bier und Spirituosen erhohen. Jetzt beträgt sie auf Bier 7 Schill. 9 Pence pro Faß von 36 Gallonen (4 Mk. 75 Pf. pro Hektoliter) bei 1,055° Würze, und auf Spirituosen 11 Schill. pro Gallon (2 Mk. 42 Pf. pro Liter); neuerdings unterliegen auch Saccharin und Glukose der Akzise. Lizenzen (zum Betrieb von Gewerben etc.) müssen gelöst werden von Brauern, Brennern, Tabakfabrikanten, Essigfabrikanten, Seifensiedern, Wirten jeder Art, Tabakhändlern, Hausierern, Wildbrethändlern, Hundebesitzern, Jägern, Wagenbesitzern, Bankiers, Versteigerern u. v. a. Eisenbahngesellschaften haben 5 (für städtische Bahnen nur 2) Proz. von allen Passagierbilletts zu zahlen, für welche die Fahrt 1 Penny für die engl. Meile (5,4 Pf. pro Kilometer) übersteigt. Über die Zölle s. oben, S. 369.
Die Stempelgebühren sind insgemein vielfältig, aber wirklich einträglich sind unter ihnen nur die Erbschaftssteuern, die nach dem Grade der Verwandtschaft 1–10 Proz. von der Hinterlassenschaft betragen (s. Erbschaftssteuer, S. 897). Nur wenn Eheleute sich beerben, wird keine Steuer bezahlt.
Die Einnahmen für das Jahr 1902/03 ergaben:
Die ordentlichen Ausgaben betrugen 1898/99 (im letzten Jahr vor dem südafrikanischen Krieg) und 1902/03:
Die britische Staatsschuld belief sich zur Zeit der letzten Revolution (1689) nur auf 664,263 Pfd. Sterl. Kapital. Königin Anna fand bei ihrem Regierungsantritt eine Schuld von 16,4 Mill. Pfd. Sterl., die sie in zwölf Jahren um 37,7 Mill. Pfd. Sterl. vermehrte. Georg II. traf 1727 eine Schuld von 52 Mill. Pfd. Sterl. an, die bis zum Pariser Frieden (1763) bis auf 133,9 Mill. Pfd. Sterl. anwuchs. Beim Ausbruch des amerikanischen Krieges (1774) betrug sie noch 128,6 Mill. Pfd. Sterl., hatte aber beim Friedensschluß (1783) eine Höhe von 250 Mill. Pfd. Sterl. erreicht. Nach dem Ende des französischen Krieges (Anfang 1817) ward der Stand der ganzen Schuld zu 841 Mill. Pfd. Sterl. berechnet, und sie bürdete dem Land eine jährliche Ausgabe von 32 Mill. Pfd. Sterl. auf. 1853 war die Schuld auf 771 Mill. Pfd. Sterl. gefallen, stieg aber wieder infolge des Krieges mit Rußland und belief sich 1867 auf 836 Mill. Pfd. Sterl. 1899 war sie auf 628 Mill. gesunken und betrug 31. März 1903. 770,778,762 Pfd. Sterl. (nämlich 640,085,726 fundiert, 75,133,000 nicht fundiert und 55,560,036 Annuitäten zu 3 Proz., in Kapital umgerechnet); dazu kommen noch 27,570,428 Pfd. Sterl. an andern Verbindlichkeiten. Abzüglich der Guthaben (Suezkanalaktien etc.) und eines Kassenbestandes von 6,637,127 Pfd. belief sich die Nationalschuld auf 760 Mill. Pfd. Sterl.
Heerwesen.
Heeresverfassung. (Sämtliche Angaben können keinen Anspruch auf dauernde Gültigkeit haben, da G. in einer umfangreichen Heeresreform begriffen ist.) Die Genehmigung, ein stehendes Heer in bestimmter Stärke zu halten, wird jährlich durch Parlamentsbeschluß (army act) erneuert. Der vorjährige Etat berechnete das reguläre Heer auf 420,000 Mann, das Budget auf etwas über 69 Mill. Pfd. Sterl., der Heeresetat für 1903/04 wird auf 34,245,000 Pfd. Sterl. veranschlagt, weil die Heeresstärke nur 235,761 Köpfe betragen soll. Trotz der schlechten Erfahrungen des südafrikanischen Feldzuges ergänzt sich die aktive Armee noch durch Werbung. Historisch liegt der Grund, daß die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt ist, darin, daß G. in der neuern Zeit nie das nationale Unglück hatte, den Feind im Lande zu haben wie andre Völker; es fehlt daher das Verständnis für den innern Wert der allgemeinen Wehrpflicht fast durchweg. Schwierig wäre es auch, bei der kurzen Dienstzeit, die die allgemeine Wehrpflicht zur Folge hätte, für die Besatzung der überseeischen Garnisonen Rekruten auszubilden, zu versenden und zu akklimatisieren. Alter der Rekruten mit wenigen Ausnahmen 18–25 Jahre; sie verpflichten sich beim Eintritt zu einer zwölfjährigen Dienstzeit im stehenden Heer, von der meist 3,7, auch 12 Jahre bei der Fahne abgeleistet werden gegen einen Tagessold von 1 Schilling 4 Pence. Der Rest der Dienstzeit wird beim Ausscheiden vor Ablauf der 12 Jahre in der Armeereserve verbracht; tägliche Löhnung etwa 50 Pf. Eine Weiterverpflichtung über die vorgeschriebene Dienstzeit ist statthaft. Vom 1. April 1904 an soll jedem zweijährig gedienten Soldaten freistehen, in die Reserve überzutreten oder bis zum 8., resp. 12. Jahr in der aktiven Armee weiterzudienen. Im letztern Fall erhält er vom Beginn des dritten Dienstjahres an eine tägliche Zulage von 6 Pence. Die Kosten hierfür werden für England auf 1,048,000 Pfd. Sterl., für Indien auf 786,000 Pfd. Sterl. berechnet. – Neben dem stehenden Heere dienen ausschließlich zu Zwecken der Landesverteidigung gewisse Hilfstruppen, hestehend aus der Miliz mit Milizreserve, der Milizkavallerie (yeomanry, neuerdings imperial yeomanry) und den Freiwilligen (volunteers). Auf dem Papier steht für die Miliz die allgemeine Wehrpflicht: alle waffenfähigen Männer zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr sollen in ihren Gemeinden losen, und die höchsten Nummern bis zu der von der Gemeinde zu gestellenden Zahl werden für den fünfjährigen Dienst herangezogen. Stellvertretung ist gestattet und führt auch hier zur Werbung mit Verpflichtung auf 6 Jahre. Auch Volunteers können an Stelle der Milizen seitens der Gemeinden gestellt werden. Für jeden fehlenden Mann ist ein Strafgeld von 200 Mk, zu entrichten. Mannschaften unter 45 Jahren ist eine Verlängerung der Dienstzeit gestattet. Milizrekruten werden 6 Monate und darauf jährlich zu mindestens 28tägigen Übungen eingezogen. Leute unter 34 Fahren, die zwei Übungen in der Miliz mitgemacht haben, können gegen jährliches Handgeld von 20 Mk. zur Milizreserve übertreten. Sie verpflichten sich zu 6jähriger Dienstzeit in derselben und finden im Kriegsfall wie die Armeereserve (also auch außerhalb des Mutterlandes) Verwendung. Sie können im Frieden jährlich zu 56tägiger Übung in ihrem Miliztruppenteil herangezogen werden. Mit Durchführung der geplanten Reorganisation wird diese Milizreserve, die eigentlich nur eine Reserve für die Feldarmee ist, verschwinden und eine neue geschaffen werden, die nur zum Dienst im Mutterlande verpflichtet ist, gegen eine Prämie von 4 Pence täglich, und dse bestehen soll teils aus Mannschaften, die zehn Jahre in der Miliz gedient haben, teils aus Leuten, die nach 14jähriger Dienstzeit in der Linie ausschieden, sofern sie nicht in neu zu gründende Garnisonbataillone übertreten wollen. Diese Reservedivision der Miliz ist 1903 aufgestellt worden und soll auf 50,000 Mann gebracht werden. – Die Yeomanry ist eine freiwillige Truppe, die sich auf eigne Kosten beritten macht (berittene Schützen). Sie übt an 14 nicht immer aufeinander folgenden Tagen im einzelnen und 6 Tage im Regimentsverband, außerdem findet jährlich ein Schießkursus statt. Löhnung erhält sie für jeden Übungstag. Mit der Umwandlung in die Imperial Yeomanry geht eine Vermehrung von 10,000 auf 35,000 Mann Hand in Hand. Die Pferde können fortan geliefert werden; wer ein eignes Pferd mitbringt, erhält eine Entschädigung von 5 Pfd. Sterl. Jedes Jahr findet eine mindestens 14tägige Lagerübung bei 51/2 Schilling Tagessold statt. – Die Volunteers dienen ohne Löhnung in besondern Truppenteilen, denen für Ausrüstung, Bekleidung etc. eine bestimmte Summe pro Kopf zu gewiesen wird. Sie dienen wie die Yeomanry nur zur Verteidigung von England und Schottland und rekrutieren sich aus allen britischen Untertanen zwischen dem 17. und 50. Lebensjahr, über das hinaus keiner dienen darf. Sie verpflichten sich auf keine bestimmte Zeit, im Frieden kann jeder Volunteer nach 14tägiger Kündigung ausscheiden. Neuerdings sollen die Volunteers alle 2 Jahre wenigstens für eine Woche zum Dienst im Feldlager herangezogen werden, um sie für den Kriegsfall besser vorzubereiten. Da infolge von Berufspflichten u. dgl. die Truppenteile selten vollzählig sein würden, werden hierfür kombinierte Bataillone etc. gebildet. Während der Zudrang zu den Offizierstellen der Linie groß ist, ist die Zahl der Volunteer-Offiziere ganz unzureichend. Bis vor kurzem rangierten sie hinter den Linienoffizieren von gleichem Rang. Seit dem südafrikanischen Krieg wird namentlich auch an einer Reorganisierung der Volunteers gearbeitet.
Organisation. An der Spitze der Armee steht der König. Der Posten des Höchstkommandierenden (Commander in chief) ist abgeschafft; neu geschaffen wird der des Generalinspekteurs, dem 5 Inspekteure unterstehen sollen, und der seinerseits dem Kriegsministerium nicht untersteht. Mit dem Kriegsministerium (Kriegsamt, War Office) verbunden ist der Heeresrat (Army Council), der unter dem Vorsitz des Kriegsministers 4 militärische und 2 Zivilmitglieder zählt, und an den der Generalinspekteur über seine Truppenbesichtigungen etc. berichtet. Eine den deutschen Generalstabsgeschäften ähnliche Tätigkeit soll der ständige Landesverteidigungsausschuß entwickeln (1 Vorsitzender, 2 Offiziere des Kriegsamts und der Admiralität, 2 indische Offiziere und Vertreter der Kolonien). In welcher Weise nun die frühern Befugnisse des Höchstkommandierenden auf die verschiedenen neuen Organisationen übergehen, ist noch nicht durchweg entschieden. Bei den jetzigen Reformen ist eine besondere Stellung für den Generalinspekteur des Zeugwesens geschaffen, dem auch die Inspizierung von Mobilmachungsvorräten, bei denen sich bekanntlich im letzten Kriege Mängel herausstellten, übertragen wurde. – G. ist in 17 Militärdistrikte und 67 Subdistrikte mit Depots für Linie, Miliz und Volunteers eingeteilt. Den Militär-, bez. Subdistrikten sind Generale, bez. Oberstleutnants vorgesetzt, die für Ausbildung, Verwaltung, Mobilmachung etc. zu sorgen haben. Für Irland besteht ein besonderes Oberkommando; außerdem sind in den Kolonien kommandierende Generale. Die Stäbe der Distrikte sind je nach ihrer Wichtigkeit und Truppenzahl zusammengesetzt. Die begonnene Neuorganisation bezweckt, die Friedensarmee Großbritanniens in sechs territoriale Armeekorps zusammenzufassen; sie ist aber bisher nur für die drei ersten Armeekorps, die für den Dienst im Auslande bestimmt sind und nur aus regulären Truppen bestehen, durchgeführt, deren Bezirk ohnehin mit den bisherigen wichtigsten Militärdistrikten Aldershot, Salisbury und Curragh (Irland) zusammenfallen. Ferner existieren an höhern Friedensverbänden vier Kavalleriebrigaden in Aldershot, Canterbury, Colchester und Curragh, alle übrigen Einheiten sind noch den die Militärdistrikte kommandierenden Generalen direkt unterstellt. Ein neuer Inspekteur der Kavallerie ist ernannt. Bei einer Mobilmachung erhalten die Einberufenen einen Teil der Feldausrüstung bei den Depots der Subdistrikte, den Rest erst bei den Truppenteilen. Für den Kriegsfall stehen nach Abschluß der Reformpläne zur Verteidigung des Mutterlandes bereit: eine Feldarmee von 6 Armeekorps (260,000 Mann), Besatzungstruppen (196,000 Mann), Volunteers für Verteidigung Londons (100,000 Mann), bei den Stäben (4000 Mann), Rekrutendepots etc. (120,000 Mann), zusammen 680,000 Mann. Außerhalb der vereinigten Königreiche stehen zur sofortigen Verfügung: das 1.–3. Armeekorps (108,777 Mann), 3 Kavalleriebrigaden (7491 Mann), Etappentruppen (4000 Mann), zusammen 120,268 Mann; außerdem ist ein Teil der indischen Truppen und die freiwillige Beteiligung der Auxiliartruppen in Berechnung zu ziehen, wie der südafrikanische Krieg gezeigt hat. Ein Armeekorps der Feldarmee besteht aus 3 Infanteriedivisionen und den Korpstruppen; zu letztern gehören 1 Bataillon Korpsinfanterie mit 2 Maschinengeschützen, 1 Eskadron, 3 reitende und 3 fahrende Batterien Korpsartillerie, 1 Kompagnie Korpspioniere, 1 Train- und 1 Signalistenkompagnie. Eine Infanteriedivision setzt sich zusammen aus 2 Infanteriebrigaden und den Divisionstruppen; zu diesen gehören 1 Eskadron, 3 fahrende Batterien, 1 Feldpionier- und 1 Trainkompagnie, 1 Munitionskolonne und 1 Feldlazarett. Eine Infanteriebrigade hat 4 Bataillone, 1 Revolvergeschützabteilung (2 Geschütze), 1 Trainkompagnie und 1 Sanitätsdetachement. Die Kavalleriedivision besteht aus 3 Kavalleriebrigaden, 1 Bataillon berittener Infanterie (mounted infantry) mit Revolvergeschützabteilung, 2–3 reitenden Batterien, 1 Trainkompagnie und 1 Feldlazarett. Jede Kavalleriebrigade besteht aus 2 Kavallerieregimentern, 1 Revolvergeschützabteilung, 1 Trainkompagnie, 1 Feldlazarett und 1 Sanitätsdetachement. – Die planmäßige Friedensstärke beträgt zurzeit 219,800 Mann für das Mutterland mit den Kolonien und Ägypten und außerdem 73,518 Mann britischer Truppen für Indien, insgesamt 12,057 Offiziere, 274,383 Mannschaften, 37,583 Pferde und 904 bespannte Geschütze; ferner Armeereserve 90,000 Mann; Miliz 150,000 Mann, 54 bespannte Geschütze (darunter neue Milizreserve 50,000 Mann), neuorganisierte Yeomanry 35,000 Mann, Volunteers 250,000 Mann, 404 Geschütze.
Stärke des stehenden Heeres: Infanterie: 172 Bataillone, darunter 10 Gardebataillone, und zwar 82 in England, 38 in den Kolonien, 52 in Indien. Kavallerie. 31 Regimenter, darunter 3 Garderegimenter, und zwar 12 in England, 10 in den Kolonien, 9 in Indien. Feldartillerie: 199 Batterien, und zwar 17 reitende, 104 fahrende in England, 2 reitende, 12 fahrende in den Kolonien, 11 reitende, 45 fahrende, 8 Gebirgsbatterien in Indien. Festungsartillerie: 113 Kompagnien, und zwar 48 in England, 37 in den Kolonien, 28 in Indien. Pioniere, Seeminenleger etc.: 84 Kompagnien, und zwar 57 in England, 26 in den Kolonien, 1 in Indien. Train: 62 Kompagnien in England, 16 in Indien. Zeugkorps: 20 Kompagnien in England. Sanitätskorps: 23 Kompagnien in England. Miliz: 131 Infanteriebataillone, 9 fahrende Batterien, 178 Festungsartilleriekompagnien, 25 Pionier-, Seeminenleger- etc. Kompagnien, 12 Sanitätskompagnien. Yeomanry: 59 Regimenter. Volunteers: 223 Infanteriebataillone, 2 reitende und 136 fahrende Batterien, 390 Festungsartilleriekompagnien, 32 Pionier-, Seeminenleger- etc. Kompagnien, 26 Sanitätskompagnien. Hierzu tritt das Kolonialkorps mit 12 Infanteriebataillonen, 19 Kompagnien Lokalartillerie, 5 Kompagnien Pioniere. Die Luftschifferabteilung in England ist in 6 Sektionen zu 3 Offizieren und 30 Mann formiert; sie hat insgesamt 6 Kugelballons (darunter 2 kleinere aus Goldschlägerhaut).
Die Etats bei der Feldartillerie sind in folgender Weise geändert:
Die taktischen Einheiten beim Infanteriebataillon und Kavallerieregiment sind die frühern geblieben und zwar im Mutterlande bei der
Bewaffnung. Die Infanterie in Europa führt das Lee-Enfield-Gewehr M/95 von 7,7 mm Kaliber, nach den unbefriedigenden Erfahrungen des letzten Krieges steht die Einführung eines neuen Modells nahe bevor. Sämtliche Batterien der Feld- und reitenden sowie der Garnisonartillerie haben pro Batterie 48 Gewehre erhalten. Die Eingebornenarmee ist im Laufe des Jahres 1903 gleichfalls mit dem Lee-Enfield-Gewehr M/95 bewaffnet worden, die ältern Systeme finden für Volunteers, Reserven und für Bildung einer allgemeinen Heeresreserve beim indischen Heer Verwendung, Die unberittenen Offiziere führen den Lee-Enfield-Karabiner oder Revolver, aber keinen Säbel. Die Kavallerie führt Säbel und Karabiner am Sattel. Die Lanze ist im Mutterland abgeschafft und wird nur zu Parade- und Eskortezwecken geführt. Die Kavallerieregimenter und im Felde die berittenen Infanteriebataillone erhalten je ein 3,7 cm-Maschinengeschütz. Die Feldartillerie führt für die fahrenden Batterien ein 15pfündiges Geschütz, für die reitenden Batterien einen Zwölfpfünder mit Drahtumwickelung ohne Achssitze; beide haben 7,6 cm Kaliber und eine Anfangsgeschwindigkeit von 480, bez. 473 m, die meisten sind mit der Rücklaufhemmung des Obersten Clarke versehen. Eine Anzahl Batterien ist seit 1896 mit 5zölligen Feldhaubitzen von 12,7 cm Kaliber ausgerüstet. Für Belagerungs- und Festungsartillerie sind neben den frühern Kanonen Haubitzen von 13,7 und 15,2 cm eingestellt (s. Geschütz, S. 705). Schon 1900 wurden 18 Batterien 76,2 mm Schnellfeuerkanonen (System Ehrhardt) bezogen und ebenso wurden seitdem von den Firmen Armstrong, Vickers, Sons and Maxim und dem Arsenal in Woolwich Versuchsbatterien hergestellt. Die Versuche scheinen indessen nicht zum Ziele geführt zu haben, denn es wird berichtet, daß die englische Feldartillerie ein neues Geschütz nach französischem Muster unter Benutzung des verbesserten Verschlußblocks des Obersten Déport erhalten soll. Von den neuen Geschützen sind bereits im August 1903: 4 Batterien von den Firmen Armstrong und Vickers abgeliefert worden. Die Geschoßgewichte sind auf 8,39 kg beim fahrenden und 5,67 kg beim reitenden Geschütz, die Anfangsgeschwindigkeit auf 520 m angegeben. Das Geschütz ist mit Schutzschilden versehen.
Erziehungswesen. Das Staff College zu Sandhurst bereitet in zweijährigem Unterricht 64 Offiziere, die 5 Jahre gedient haben müssen, für Generalstab und Adjutantur vor. Die Royal Military Academy zu Woolwich erzieht in zweijährigem Kursus 200 Kadetten für Artillerie und Ingenieure, das Royal Military College zu Sandhurst in einjährigem Kursus 360 Kadetten für Infanterie und Kavallerie. Das Artillery College zu Woolwich gewährt Artillerie-, die School of Military Engineering zu Chatham Ingenieuroffizieren Fortbildung in ihrem Beruf. Die Artillerieschießschule zu Shoeburynes wird im Sommer nach Okehampton, dem Hauptschießplatz, verlegt. Schießschule für Infanterie und Kavallerie zu Hythe. Die Errichtung einer Kavallerieschule ist beabsichtigt. Medizinalschule für Militärärzte zu Netley. Musikschule zu Houndlow. Reitschule zu Woolwich, Militärasyle zu Chelsea und Dublin zur Erziehung von Soldatenkindern. Tierarzneischule zu Aldershot.
Regierungswerkstätten sind das Staatsarsenal in Woolwich und die königliche Gewehrfabrik in Enfield. An Privatfirmen für Kriegsbedarf bestehen im Lande Vickers, Sons and Maxim sowie Armstrong, Whitworth and Co. in Eldwick sowie eine private Gewehrfabrik in Birmingham. Die Anlage von Festungen beschränkt sich hauptsächlich auf die Seeküste Großbritanniens; hier liegen die Kriegshäfen Cork-Queenstown und Milford Haven mit Pembroke, ferner Plymouth, Portsmouth und Dover, an der Themsemündung Sheerneß-Chatham-Gravesend. Während man in Aufwendungen für das Landheer sparsam ist, war man für den Ausbau und die Verstärkung des Verteidigungssystems der Küsten stets zu Opfern bereit. Neuerdings hat man seit 1899 besonders dem Mündungsbusen des Forthflußes und den Firth of Clyde Aufmerksamkeit zugewendet, da es im Plan zu liegen scheint, zwischen beiden eine für die Flotte nutzbare Verbindung zu schaffen. Bei ersterm Punkt liegt das Hauptwerk an der Carlingnose in beherrschender Höhe 28 m über dem Wasserspiegel in der Enge von Queensferry und besteht aus einer Gruppe von Panzerbatterien. Beim Firth of Clyde wurden die alten Befestigungen, die Forts bei Ardhollow, Kligreggon und Matilda sowie an der Skapsiebucht, mit neuer Armierung versehen und neue Batterien erbaut. Letzteres geschah ebenfalls zur Verstärkung der schon bisher starken Befestigungen an der Themse und dem Medway. Bei Gibraltar mußte die begonnene Herstellung eines mächtigen Hafenbeckens durch neue Befestigungen geschützt werden, da man die alten umfangreichen, darunter auch die berühmten Felsengalerien, nicht brauchen konnte. Alle Geschützpositionen sind mit den weittragendsten Geschützen (23 cm Kaliber, Rohrlänge 11,3 m, Geschoßgewicht 172 kg) armiert. Diese Küstenbefestigungen haben im allgemeinen schon im Frieden ihre Kriegsbesatzung, aus Linien-, Miliz- u. Freiwilligentruppen bestehend. Mit der Küstenverteidigung ist auch die Küstenwache (fencibles, Küstenwehrmänner), die in Divisionen geteilt ist, betraut, die im Frieden der Zollbehörde Dienste leistet. Vgl. »Die Heere und Flotten der Gegenwart«, Bd. 2: G. und Irland (Berl. 1897); Brunker, Notes on organisation and equipment (Lond. 1899); Fortescue, History of the British army (bisher 3 Bde., das. 1899–1903); Goodenough, Dalton u. a., Army book for the British empire (1902); le Juge, Das englische Heer einschließlich der Kolonialtruppen (Leipz. 1896); Daniel, The military forces of the crown (Lond.); v. Loebell, Jahresberichte über die Veränderungen etc. im Militärwesen (zuletzt Berl. 1903)
Marine.
Entwickelung. Alfred d. Gr. (871–901) baute eine Flotte gegen die Dänen, die nach seinem Tode verfiel. Den ersten englischen Seesieg erkämpfte Eduard III. bei Sluys gegen die genuesische Mietsflotte Frankreichs; auch unter Heinrich V. beherrschte England zeitweilig die See, wurde später aber von der deutschen Hansa (1472) schwer bedrängt. Erst Elisabeth begründete die englische Seeherrschaft dauernd und richtete die erste ständige königliche Flotte ein; diese zählte 1588 bei Bekämpfung der spanischen Armada 34 Schiffe von 11,820 Ton. Größe mit 837 Geschützen und 6279 Mann. Damals stellten die einzelnen Seehäfen noch besondere Geschwader zur Verstärkung dor königlichen Flotte. Das größte Schiff, Triumph, hatte 1100 T., 42 Geschütze, 500 Mann. In der viertägigen Seeschlacht vom 11.–14. Juni 1666 zählte die englische Flotte 81 Schiffe mit 4460 Geschützen und 21,580 Mann. 1688 hatte die Flotte schon 173 Schiffe mit 6930 Geschützen und 43,000 Mann; nachdem schon vorher die holländische Seemacht gebrochen worden war, wurde nun auch, anfangs mit Hollands Hilfe, die französische Flotte in einer langen Reihe von Kriegen im Laufe des 18. Jahrh. niedergeworfen. Nelsons Sieg pei Trafalgar (1805) befestigte die unbeschränkte Seeherrschaft der englischen Flotte über alle Meere für das ganze 19. Jahrh. Schon 1800 zählte die Flotte 1108 Schiffe, darunter 293 Linienschiffe, 258 Fregatten, mit 29,000 Kanonen und 175,000 Mann. 1835 waren 35 Dampfschiffe vorhanden. 1855, während des Krimkriegs, hatte die Flotte eine Stärke von 302 Segelschiffen mit 11,473 Kanonen und von 289 Dampfern mit 5818 Kanonen und 69,989 Pferdekräften. 1859 wurde das erste englische Panzerschiff, der Warrior, erbaut. Als der Ausbau der französischen Panzerflotte die Vorherrschaft Englands zur See bedrohte, stellte man den »two powers standard« auf, wonach stets die englische Flotte denen der beiden nächstgrößten Seemächte gewachsen, also mindestens so groß wie die Frankreichs und Rußlands oder Italiens sein müsse, und jetzt fordern die englischen Imperialisten, die Linienschiffsflotte so stark zu machen, daß sie drei andern Seemächten widerstehen kann. Für die Stärke der englischen Kreuzerflotte ist die Große des englischen Handels und der englischen Handelsflotte maßgebend. Für Küstenverteidigung sind nur geringe Mittel erforderlich, weil die englische Linienschiffsflotte den Feind vor seiner Küste festlegen soll, um die eigne Küste und zugleich den englischen Seeverkehr auf allen Meeren am wirksamsten zu schützen.
Schiffsbestand. Mitte 1904 an kriegsbrauchbaren Schiffen. 1) Linienschiffe: 60 von 808,000 Ton. Wasserverdrängung, davon 13 von 1881–90, 15 von 1890–95, 17 von 1896–99 vom Stapel gelaufen; großer als je 15,000 T. sind davon 24. Die neuesten englischen Linienschiffe der King Edward VII.-Klasse sind 16,612 T. groß, 129,5 m lang, 23,8 m breit mit 8,2 m Tiefgang; ihre Maschinen leisten 18,000 Pferdekräfte und geben 181/2 Seemeilen Fahrt; Bewaffnung: vier 30,5 cm-, vier 23,4 cm-, zehn 15 cm-Schnellader, 12 leichte Schnellader, 16 Maschinenkanonen, zusammen 46 Geschütze; außerdem 4 Unterwassertorpedorohre. Panzerstärke 22,9 cm für den Panzergürtel, 30,5 cm für die Brustwehrtürme der schweren Geschütze, 17,8 cm für die Türme der mittlern Geschütze. Kohlenvorrat bis zu 2000 T.; Besatzung etwa 800 Mann. 2) Panzerkreuzer: 35 von 349,514 T. Wasserverdrängung, davon 9 alte 1883–87 vom Stapel gelaufen, alle übrigen seit 1899 (z. T. noch im Bau). Die größten sind die 4 der Drake-Klasse, Stapellauf 1901, je 14,325 T. groß, 152,4 m lang, 21,7 m breit bei 7,6 m Tiefgang; ihre Maschinen leisten 30,000 Pferdekräfte und geben 23 Seemeilen Fahrt; Bewaffnung zwei 23,4 cm-, sechzehn 15 cm-Schnellader, 14 leichte Schnellader, 5 Maschinenkanonen, zusammen 37 Geschütze; dazu 2 Unterwassertorpedorohre. Panzerstärke 15,2 cm für Gürtel und Geschütztürme, 6,3 cm Panzerdeck. Kohlenvorrat pis zu 2500 Ton.; Besatzung 900 Mann. 3) Große geschützte Kreuzer: 39 von 308,771 T. Wasserverdrängung, davon 19 von 1889–95, die andern später vom Stapel gelaufen. Größe sehr verschieden, die neuesten 5973 T.; Geschwindigkeit 191/2-22 See meilen. Die größten sind Powerful und Terrible Stapellauf 1895, je 14,427 T. groß, 152,5 m lang 21,7 m breit bei 8,2 m Tiefgang; Maschinen leisten 25,800 Pferdekräfte und geben 22 Seemeilen Fahrt; Bewaffnung zwei 23,4 cm-, sechzehn 15 cm-Schnelllader, 16 leichte Schnellader, 14 Maschinenkanonen zusammen 48 Geschütze; dazu 4 Unterwassertorpedorohre; Panzerstärke 15,2 cm für Geschütztürme mit Deck; Kohlenvorrat bis 3000 T.: Besatzung 860 Mann 4) Kleine geschützte Kreuzer: 65 von 214,416 T Wasserverdrängung, davon 10 mit 15–17 Seemeilen Fahrt 1883–86 vom Stapel, 42 mit 19–20 Seemeilen Fahrt 1888–93, die übrigen seit 1896 mit 20–22 Seemeilen Fahrt vom Stapel gelaufen. Die neuesten kleinen Kreuzer der Topaze-Klasse sind 3050 T. groß 110 m lang, 12,2 m breit bei 4,4 m Tiefgang; Ma schinen leisten 9800 Pferdekräfte und geben 22 Seemeilen Fahrt; Bewaffnung 22 leichte Schnelladegeschütze, 2 Torpedorohre; Panzerdeck 5 cm stark; Kohlenvorrat bis 750 T.; Besatzung etwa 300 Mann. 5) Torpedofahrzeuge: 28 Torpedokanonenboote, Stapellauf von 1886–94, Größe 525–1070 T., Geschwindigkeit 17–20 Seemeilen; 131 Torpedobootszerstörer, Stapellauf 1893–1903, Größe 240–550 T. Geschwindigkeit 25–30 Seemeilen; 24 Torpedoboote von über 100 T. Größe, 2 Torpedodepotschiffe von 6600 T. Größe; 1 Torpedorammschiff; außerdem etwa 140 alte kleine Torpedoboote und 18 Unterseeboote. 6) Ungeschützte Kreuzer: 24, darunter 11 Schlupen (sloops) von mehr als 1000 T. Größe; außerdem 83 Kanonenboote (unter 1000 T. groß), darunter 11 Schlupen und 9 Flußkanonenboote. 7) Hafenschiffe und Schulschiffe: 16 alte Linienschiffe (Panzerschlachtschiffe), 8 Vermessungsfahrzeuge, 6 Jachten, 12 Tender, 1 Werkstättenschiff, 1 Destillierschiff, 34 Küstenwachtkreuzer, 14 alte Hulken als Wacht- und Kasernenschiffe, etwa 100 Hafendampfer (Schlepper, Transporter, Dampfwasserprahme u. dgl.). etwa 100 alte Hulken im Hafendienst als Kohlenhulken, Artilleriemagazine, Lazarette, schwimmende Kuchen und Kirchen, Vorratshulken etc. 16 alte Kriegsschiffe sind Privatvereinen in den Handelshäfen als Schiffsjungen- etc. Schulschiffe leihweise überlassen. Als Schulschiffe dienen 49 meist alte Schiffe, darunter 8 Segler. 8) Hilfskreuzer sind 50 Handelsdampfer, wovon 26 Schnelldampfer jährlich subventioniert werden, kriegsmäßig vorbereitet sind und die blaue (Marinereserve-) Flagge führen. Wegen der Subventionierung vgl. Dampfschiffahrt, Beilage zum Text.
Schiffsneubauten. Im Finanzjahr 1903/04 wurden neu gebaut 3 Linienschiffe (Größe je 16,600 T.), außerdem sind noch 2 für 1904 bewilligte im Bau; desgl. 4 Panzerkreuzer für 1903,4 für 1904 im Bau von etwa je 14,000 T. Größe (die früher bewilligten Schiffe sind im Schiffsbestand mitgerechnet, weil sie 1903 nahezu fertig waren); desgleichen 8 Torpedoavisos (scouts) von je 3800 T. Größe und 26 Seemeilen Geschwindigkeit, eine ganz neue Schiffsgattung; ferner 19 Torpedobootszerstörer und 11 Unterseeboote. Insgesamt werden für Schiffsbauten und deren Bewaffnung 1903/04 ausgegeben rund 411 Mill. Mk., d. h. das Vierfache der deutschen gleichen Ausgabe für dasselbe Jahr.
Der Personalbestand für 1904/05 beträgt 131,515 Mann, darunter sind 2746 Seeoffiziere, 1051 Maschineningenieure, 574 Sanitätsoffiziere, 625 Zahlmeister, 177 Geistliche, 1405 Seeoffiziersanwärter, 34 technische Offiziere (artison-officers), 99,000 Deckoffiziere, Unteroffiziere, Matrosen, Heizer, Handwerker und Schiffsjungen; 20,661 Mann Marineinfanterie (Royal mariner), 4303 Mann Küstenwache und 939 Pensionäre im aktiven Dienst. Die Mannschaften werden angeworben; Schiffsjungen müssen sich zu zwölf Jahren Dienst verpflichten, aus ihnen geht das meiste aktive seemännische Personal hervor; jährlich werden etwa 6000 Jungen ausgebildet. Flottenreserve (Royal naval reserve) aus Offizieren und Mannschaften der Handelsmarine zählt etwa 45,000 Köpfe, genügt aber noch nicht, um den vollen Kriegsbedarf an Kriegsschiffsbesatzungen zu decken; deshalb beginnt man, auch in den Kolonien Seefischer u. a. als Flottenreservisten auszubilden. Die Küstenwache besorgt im Frieden den Küstensignal-, Leuchtfeuer-, Betonnungs- und Rettungsdienst, auch die Zollaufsicht und Seepolizei und besteht aus ausgedienten aktiven Marinemannschaften. Das Seeoffizierkorps ergänzt sich aus Kadetten, die mit 15 Jahren eintreten und nach etwa vier Jahren Offizier werden.
Flottenbetrieb. Oberste Marinebehörde ist die Admiralität, deren Geschäfte von sechs Lords Commissioners geleitet werden; verantwortlich als Kabinettsminister und Vertreter der Marine im Parlament ist der Erste Lord der Admiralität, der kein Seemann ist; ihm ist der Parlaments- oder Finanzsekretär beigegeben; vier der Kommissare sind Seelords, d. h. Admirale, die andern Zivillords. Beim Wechsel des Ministeriums behalt nur der permanente Sekretär seine Stellung. Der Admiralität sind unterstellt die 3 heimischen Flottenbezirke Portsmouth, Devonport und Chatham sowie die 8 außerheimischen Flottenbezirke. Mittelmeer, Nordatlantik, Südatlantik, Ostafrika, Ostindien, Australien, Ostasien, Stiller Ozean. In den genannten Bezirken sind Admirale Befehlshaber der Schiffe, Kriegshäfen, Werften etc. Kriegshäfen sind: an der englischen Ostküste Chatham mit Werft und 8 Trockendocks, Sheerneß mit Werft und 5 kleinen Trockendocks, Woolwich mit Werft und 3 kleinen Trockendocks; ein neuer Kriegshafen mit allen Einrichtungen ist im Firth of Forth bei St. Margarets Hope im Bau; im Kanal: Dover (Werftanlagen geplant), Portsmouth mit großer Werft und 15 Trockendocks, davon 10 für die größten Schiffe, Portland (als Schutzhafen), Plymouth-Devonport-Keyham mit großer Werft und 10 Trockendocks, davon 7 für die größten Schiffe; in der Irischen See: Pembroke (Milford Haven) mit Werft und einem großen Trockendock, Queenstown (Cork) und Haulbowline ebenso. Im Ausland sind dse wichtigsten Kriegshilfen. Gibraltar mit Werft und 3 grosten Trockendocks; Malta mit Werft und 6 Trockendocks, darunter 4 große: Halifax mit Werft und Dock; Hamilton auf den Bermudas mit Werft und 2 großen Schwimmdocks; Kingston auf Jamaika mit Werft und Dock; Simonsbay mit Werft und einem großen Trockendock; Aden als befestigter Kohlenhafen; Bombay mit Werft und 5 großen Trockendocks; Kalkutta mit Werft und Docks; Hongkong mit Werft und einem großen Marinedock, außerdem 5 Privattrockendocks; Esquimalt (Vancouver) mit Werft und einem großen Trockendock.
Aktive Seestreitkräfte Anfang 1904: 1) heimische Flotte (Home fleet), aus 2 Divisionen von 8 Linienschiffen, 4 großen und 2 kleinen Kreuzern bestehend; die erste Division ist stets vereinigt, die zweite wird aus Küstenwachtschiffen vierteljährlich zusammengezogen. Auch die 3 heimischen Torpedobootszerstörer-Flottillen üben mit dieser Flotte sowie das heimische Kreuzergeschwader mit 5 Panzerkreuzern und 2 kleinen Kreuzern. 2) Kanalgeschwader mit 6 Linien schiffen, 3 Panzerkreuzern, 2 großen und 2 kleinen Kreuzern hält sich in den nordwesteuropäischen Gewässern auf. Mit ihm übt das Kreuzergeschwader von 4 Panzerkreuzern, 1 großen und 2 kleinen Kreuzern. 3) Mittelmeerflotte mit 15 Linienschiffen, 4 großen und 9 kleinen Kreuzern, 1 Torpedodepotschiff, 4 Torpedokanonenbooten, 20 Torpedobootszerstörern, 1 Pumpendampfer, 1 Aviso und 1 Transportschiff; enthält die neuesten und mächtigsten Linienschiffe. 4) Nordatlantisches Geschwader mit 1 großen und 7 kleinen Kreuzern, 1 Torpedobootszerstörer; außerdem 1 Küstenpanzerschiff und mehrere Depot- und Kasernenschiffe auf der Station. 5) Südatlantisches Geschwader wird neu gebildet, zunächst 4 kleine Kreuzer. 6) Kapgeschwader mit 1 Panzerkreuzer, 5 kleinen Kreuzern, 6 Kanonenbooten und 1 alten Linienschiff als Hafenschiff. 7) Ostindisches Geschwader mit 2 Küstenpanzerschiffen, 1 großen und 5 kleinen Kreuzern, 1 Torpedokanonenboot, 2 Kanonenbooten und 1 Spezialschiff. 8) Chinageschwader mit 5 Linienschiffen, 7 großen und 11 kleinen Kreuzern, 11 Kanonenbooten, 4 Torpedobootszerstörern, 1 Aviso, 1 Vorrats- und 1 Kasernenschiff. 9) Australisches Geschwader mit 1 großen und 9 kleinen Kreuzern, 1 Torpedokanonenboot und 2 Kanonenbooten. 10) Geschwader im Stillen Ozean mit 1 großen und 3 kleinen Kreuzern, 1 Torpedobootszerstörer und 1 Depotschiff. Außerdem waren als seegehende Schulschiffe in heimischen Gewässern in Dienst etwa 40 Schiffe und Fahrzeuge. Große Flottenmanöver finden jährlich statt; im Herbst 1902 übten das Mittelmeer-, Kanal- und Kreuzergeschwader gemeinschaftlich vor Argostoli (Ionische Insel Kephallinia), insgesamt 19 Lunenschiffe, 22 Kreuzer, 21 Torpedobootszerstörer, 6 Torpedoboote, 1 Torpedodepotschiff sowie eine Anzahl von Hilfsschiffen.
Vgl. »Navy Estimates for the year 1903/4« (Lond. 1903); Brasseys »Naval Annual«; Vesey Hamilton, Naval Administration (1896); Dilke u. Wilkinson, Imperial defence (1097); Robinson, Royal Navy Handbooks (1897 ff.); Eardley-Wilmot, Our Navy for a thousand years (1899); Laird Clowes u. a., The Royal Navy, a history from the earliest times to the present (1897 ff.); »Die Heere und Flotten der Gegenwart«, Bd. 2: G. und Irland, die Flotte, von A. Stenzel (Berl. 1897). Zeitschriften. »Army and Navy Gazette«; »Engineer«; »Army and Navy Journal«; »Nautical Magazine«. S. auch die Karte »Seestreitkräfte« bei Art. »Marine«.
Wappen, Flagge, Orden.
Das Wappen des Vereinigten Königreichs (s. Tafel »Wappen II«, Fig. 3) ist ein Schild mit vier Feldern: das obere rechts und das untere links enthalten die drei goldenen, blau bewehrten Leoparden Englands auf rotem Grunde. Das obere linke Feld hat den ausgerichteten roten Löwen von Schottland auf goldenem Grund in doppelter roter Einfassung mit untergelegten, abwechselnd aus- und ein wärts gerichteten Lilien; das untere rechte, der Schild von Irland, stellt auf blauem Grunde die goldene Davidsharfe mit silbernen Saiten dar. Der Schild trägt einen Spangenhelm mit goldener, hermelingefütterter Decke, auf dem Helm erscheint die königliche Krone Großbritanniens mit einem darüberstehenden gekrönten goldenen Löwen. Um den Schild schlingt sich das blaue Band des Hosenbandordens mit der goldenen Umschrift: »Honi soit qui mal y pense«. Öfter erscheint auch noch die Kette dieses Ordens. Unter dem Schild sind die englische Rose, die schottische Distel und der irische Klee angebracht, mit der Devise der Krone: »Dieu et mon droit«. Als Schildhalter steht rechts ein goldener gekrönter Löwe, links ein silbernes Einhorn mit einer Krone um den Hals und einer daran befestigten, herunterhängenden Kette. Die Unionsflagge (Union Jack, s. Abbildung auf dem Textblatt zur Tafel »Flaggen«) ist aus den Kreuzen der Heiligen Georg, Andreas und Patrick, als der Landespatrone von England, Schottland und Irland, zusammengesetzt (vgl. Cumberland, History of the Union Jack, 1901). Die Staatsfarben sind: Rot, Gelb und Blau; die Kokarde dagegen ist schwarz. Die Kriegs- und die Handelsflagges. Tafel »Flaggen I« (mit Beschreibung der großbritannischen Flaggen). Das britische Reich hat acht Ritterorden, die teils Hofehren, teils belohnende Anerkennungen der Verdienste um den Staat sind: der Orden des blauen Hosenbandes (Order of the Garter, s. Tafel »Orden II«, Fig. 5), der nur an fremde Fürsten und die ersten Peers des Reiches ausgeteilt wird, gestiftet von Eduard III. 1350; der schottische Orden von der Distel, 1540 gestiftet, von Jakob II. 1687 erneuert; der irische Orden des heil. Patrick, seit 1783; der Bathorden, gestiftet von Heinrich IV. 1399, erneuert von Georg I. 1725 als Verdienstorden für Militär- und Zivilbeamte (in drei Klassen; s. Tafel »Orden II«, Fig. 6); der Orden des Sterns von Indien (Fig. 7), 1861 gestiftet, um Personen, die sich um Indien verdient gemacht haben, zu belohnen; der Orden von St. Michael und St. Georg, 1807 gestiftet, um Verdienste um die Kolonien zu belohnen; der Orden des indischen Kaiserreichs, 1878 gestiftet, und der Viktoria-Orden, seit 1896. Dazu kommen noch drei Orden für Damen, nämlich der Viktoria- und Albert-Orden, 1862 gestiftet, der kaiserliche Orden der Krone von Indien, seit 1878, und der Orden des Roten Kreuzes, 1883 gestiftet. Von militärischen Ehrenzeichen bestehen das 1856 gestiftete Viktoria-Kreuz (s. Tafel »Orden II«, Fig. 8), der 1886 gestiftete Orden für ausgezeichnete Verdienste und das 1901 gestiftete Verdienstkreuz für Subalternoffiziere der Flotte; außerdem ein Militärorden für indische Eingeborne (1842 gestiftet). Vgl. die den einzelnen Orden gewidmeten Sonderartikel.
Geographisch-statistische Literatur.
Vgl. namentlich die Blaubücher, die jährlich in großer Zahl erscheinen; Kellys »Directories«, die »Jahrbücher« (»The Statesman's Yearbook«, »Whitakers Almanack«, »Hazell's Annual« etc.) und »Almanacks«; E. G. Ravenstein, Handbuch der Geographie und Statistik des britischen Reichs (in Stein-Hörschelmanns »Handbuch der Geographie«, Leipz. 1863), und dessen erweiterte englische Bearbeitung von Elisée Reclus' »Géographie universelle« (Lond. 1887); Ramsay, The physical geography of the British islands (6. Ausg., das. 1894); Milner, The land we live in (neue Ausg., das. 1874, 4 Bde.), und J. Cook, England picturesque and descriptive (2. Ausg., Philad. 1900, 2 Bde.), Hahn, Die britischen Inseln (in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«, 2. Bd., Prag u. Leipz. 1890); Haughton, Descriptive, physical, industrial and historical geography of England and Wales (1893); Hughes, Geography of British history (1874); E. Hull, Contributions to the physical history of the British isles (neue Ausg. 1895); Woodward, Geology of England and Wales (2. Aufl. 1887); J. Beddoe, The races of Britain (1885); Hughes u. Williams, Geography of the British empire (1895); T. Johnson, Imperial Britain, a comprehensive description of the geography etc. of the British Empire (1898, 2 Bde.); Mackinder, Britain and the British seas (1902); Neuse, Landeskunde der brit. Inseln (Bresl. 1903).
Von Spezialwerken kommen außer den bei den betreffenden Abschnitten bereits angegebenen in Betracht: Cox, Die Staatseinrichtungen Englands (deutsch, Berl. 1867); R. Gneist, Das englische Verwaltungsrecht der Gegenwart (3. Aufl., das. 1884, 3 Bde.) und Das englische Parlament (das. 1886); Chalmers, Localgovernment (Lond. 1883); Shaw, Municipal government in Great Britain (neue Ausg. 1902); Hugo, Städteverwaltung und Munizipal-Sozialismus in England (Stuttg. 1897); Redlich, Englische Lokalverwaltung (Leipz. 1901; engl. Ausg. mit Zusätzen von Hirst, Lond. 1903); Blackstone, Commentaries on the laws of England (zuletzt hrsg. von Kerr, das. 1887); Stephen, New commentaries on laws of England (14. Aufl. 1903, 4 Bde.); Chitty, Statutes of practical utility (neue Ausg., bis 1894,1896, 13 Bde.); Wertheim, Wörterbuch des englischen Rechts (Berl. 1899); F. Pollock, The land laws (1893); Jeans, England's supremacy: its sources, economies, etc. (1885); Escott, England, its people, polity and pursuits (3. Ausg. 1890); Lefevre, Agrarian tenures (1893); Wendt, England, seine Geschichte, Verfassung und staatlichen Einrichtungen (2. Aufl., Leipz. 1898); Steffen, England als Weltmacht und Kulturstaat (a. d. Schwed., 2. Aufl., Stuttg. 1902, 2 Bde.); Popescu, Wirtschaftsgeographische Studien aus G. (Leipz. 1903); Heiderich, Das Wachstum Englands (Kassel 1901); Makower, Die Verfassung der Kirche von England (Berl. 1894); »Baudenkmäler in G.« (hrsg. von Uhde, das. 1894); weitere Literatur über Verfassung, soziale Verhältnisse etc. s. unter Geschichte (S. 419); die Reisehandbücher von Murray, Bädeker; topographische Lexika von Bartholomew (Neudruck, Edinb. 1893) und Cassell (6 Bde. 1893–97). Bibliographie: Anderson, Book of British topography (1881).
Kartenwerke: Eine topographische Landeskarte (Ordnance map, in 1: 63,360) ist vollendet. Von England ist eine Neuausgabe im Gange, die bestimmt ist, die ältere, besonders im Terrain sehr mangelhafte Karte zu ersetzen, neue Serie mit braunem Terrain und farbigem Straßennetz. Eine Reduktion derselben bilden die »2 miles to 1 inch map« (1: 126,720), 1902 begonnen, die »4 miles to 1 inch map« (1: 253,440), 1898 begonnen, mit Kreideterrain, und die »Coloured map of Great Britain«, 1: 633,600 (Southampt. 1904). Karten noch größern Maßstabes sind die County maps (Grafschaftskarten, 1: 10,560), Parish maps (Kirchspielskarten, 1: 2500), für England 51,488 Blätter, sie entsprechen unsern Katasterplänen. Bartholomew, The Survey Atlas of England and Wales, 84 Blatt (1: 126,720) in Höhenschichten, 11 Blatt stellen die geologischen, meteorologischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Englands dar (Edinb. 1903–04), außerdem Stanford, New Library map of England and Wales, 4 Blatt (1: 380,000), England und Wales in »Andrees Handatlas«, 2 Blatt (1: 1,000,000), G. im Stieler, 2 Blatt, 1: 1,500,000 (1902). Eine Generalkarte liefert Keith Johnston in seinem Handatlas in 5 Blättern; geologische Übersichtskarte von Ramsay (1: 728,600). Weiteres s. unter Irland und Schottland und die Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme«.
Die Kolonien Großbritanniens.
(Hierzu Karte: »Entwickelung des britischen Kolonialreiches«.)
Der Gesamtumfang und die Bevölkerung Großbritanniens mit Einschluß seiner sämtlichen Kolonien und auswärtigen Besitzungen sind aus der nebenstehenden Tabelle ersichtlich.
Die Geschichte der englischen Kolonien beginnt, nachdem mancherlei Versuche in der Zeit der Königin Elisabeth nicht zur Begründung dauernder überseeischer Niederlassungen geführt hatten, unter ihrem Nachfolger Jakob I., der 1606 zwei Gesellschaften in London und Plymouth mit Freibriefen zur Kolonisation Nordamerikas begabte. Von jener wurde 1607 mit einer Niederlassung zu Jamestown die Besiedelung Virginiens begonnen; doch nahm die Krone schon 1624 die Rechte der Gesellschaft an sich. In dem der Plymouthkompanie zugewiesenen Gebiet von Neuengland gründeten 1620 die puritanischen Pilgrimväter eine Kolonie zu New Plymouth im heutigen Massachusetts; auch diese Gesellschaft gab 1635 ihren Freibrief dem König zurück. Indem nun in den nächsten Jahrzehnten immer neue Scharen von Ansiedlern, hauptsächlich um religiosen Bedrückungen zu entgehen, die europäische Heimat verließen, und indem zugleich von den ältern Kolonien aus neue Gründungen stattfanden, kam es dahin, daß bis zum Ende des 17. Jahrh. die atlantische Küste Nordamerikas von Maine bis Südcarolina in den Händen britischer Kolonisten war. Der größte Teil dieses weiten Gebietes war unmittelbar von England aus besiedelt und im Kampfe gegen die Ein gebornen behauptet worden; nur in New York und New Jersey bestanden ursprünglich holländische Niederlassungen, denen 1655 auch das zuerst von den Schweden kolonisierte Delaware einverleibt wurde, die aber mit diesem 1664 von den Engländern angegriffen und durch den Frieden von Breda 1667 an England abgetreten wurden. Schwedische Kolonisten gab es auch in dem 1681 mit einem Freibrief ausgestatteten Pennsylvanien, an dessen Erschließung übrigens auch deutsche Auswanderer unter englischer Oberherrschaft teilnahmen.
Während die Versuche Englands, auch in Südamerika festen Fuß zu fassen, im 17. Jahrh. erfolglos blieben, waren in Westindien schon 1612 auf den Bermudas, 1623 und 1624 auf den Inseln St. Christopher (St. Kitts) und Barbados britische Niederlassungen gegründet worden; von hier aus wurden in den nächsten Jahrzehnten die meisten der Leeward-, Virgin- und Bahamainseln besiedelt; ihre wertvollste Besitzung in den westindischen Gewässern, Jamaika, erwarben aber die Engländer 1655 durch Eroberung, nachdem sie bis dahin spanisch gewesen war.
Lag der Schwerpunkt der britischen Kolonialmacht in der ersten Periode ihrer Geschichte somit in Amerika, so waren doch auch in Asien und Afrika schon in dieser Zeit einige englische Niederlassungen begründet, die freilich insofern einen andern Charakter hatten, als es bei ihnen nicht eigentlich auf Besiedelung des Landes durch englische Kolonisten, sondern auf Handelsfaktoreien und militärische Stützpunkte für diese abgesehen war. In Ostindien, wohin die 1600 privilegierte East India Company einen höchst einträglichen Handel trieb, war die erste Faktorei 1612 in Surate gegründet, die erste Festung 1639 in St. George (Madras) errichtet; 1651 nahm die Gesellschaft die von Holland aufgegebene Insel St. Helena als Zwischenstation auf dem Wege nach Indien in Besitz; 1668 wurde ihr die Insel Bombay überlassen, die sieben Jahre früher als Mitgift der Infantin Katharina
von Portugal an Karl II. abgetreten war; 1691 wurde das Fort St. David südlich von der französischen Niederlassung zu Ponditscherri errichtet und einige Jahre darauf eine Niederlassung zu Kalkutta mit dem stark befestigten Fort St. William begründet. Auf diese wenigen Punkte aber, zu denen allerdings noch eine Niederlassung auf der Insel Sumatra hinzukam, blieb bis zum Ende des 17. Jahrh. das von den Engländern militärisch beherrschte Gebiet in Indien beschränkt. Auch an der afrikanischen Westküste, an der eine eigne Africa Company den Handel monopolisierte, waren im Verlaufe des 17. Jahrh. nur wenige feste Plätze am Gambia, an der Goldküste (Capecoastcastle) und in Sierra Leone im englischen Händen.
Einen durchaus andern Charakter nahm die englische Kolonialpolitik seit dem Beginn des 18. Jahrh. an. Verdankten die ersten überseeischen Niederlassungen der Briten wesentlich privatem oder gesellschaftlichem Unternehmungsgeist ihre Entstehung, dem die Staatsgewalt mit rechtlicher Anerkennung und Privilegierung zu Hilfe gekommen war, hatte der Staat mit seinen eignen Machtmitteln nur gelegentlich und vorübergehend die private Tätigkeit unterstützt, so ward im 18. Jahrh. die Ausbreitung der englischen Kolonialmacht die wichtigste Aufgabe der staatlichen Politik selbst. Ihr diente die gewaltige Vergrößerung der englischen Flotte, die Erhebung Großbritanniens zur ersten Seemacht der Welt und das Niederringen der rivalisierenden Mächte. Frankreich, Holland, Spanien; ihr kamen aber auch die Erfolge, die Englands Heere in den Kriegen auf dem Boden des europäischen Festlandes gewannen, in erster Reihe und in reichem Maße zu statten. So erwarb G. gleich in dem ersten großen Ringen des 18. Jahrh., dem Spanischen Erbfolgekriege, 1704 Gibraltar, das, in einen gewaltigen und uneinnehmbaren Waffenplatz verwandelt, das westliche Zufahrtstor des Mittelländischen Meeres beherrscht, und 1708 die Insel Menorca. Im Utrechter Frieden, der diesen Krieg beendete, wurden beide Besitzungen behauptet, dazu aber der englische Machtbereich in Amerika erheblich vergrößert: Frankreich überließ an G. die Hudsonbailänder (»Rupertsland«), für deren Besiedelung seit 1670 eine eigne Gesellschaft (s. Hudsonbaikompanie) tätig war, ferner Neufundland, auf das England seit 1583 Ansprüche erhob, too aber im 17. Jahrh. nur kleinere, von den Franzosen beständig angefochtene britische Niederlassungen bestanden hatten, endlich Akadien (Neuschottland), wo 1621–23 eine kleine Kolonie errichtet, aber wieder aufgegeben war; außerdem erhielt G. durch den sogen. Assiento (s. d.) von Spanien das Monopol der Negereinfuhr und andre bedeutende Handelsvorteile in Westindien, zu deren Ausbeutung die bald durch ihre wilden Spekulationen übel berufene Südseekompanie privilegiert wurde. Von noch größerer Bedeutung für die britische Kolonialmacht waren die Kämpfe, die G. seit 1739 gegen Spanien und seit 1741 gegen Frankreich führte; sie waren durch den Aachener Frieden von 1748 in Europa unterbrochen, hatten aber auch nach diesem in Ostindien fortgedauert, begannen in Amerika schon 1754 aufs neue und wurden erst 1763 durch den Pariser Frieden beendet. Während dieser Kämpfe hatten die Briten sowohl in Nordamerika als in Ostindien trotz des tapfern Widerstandes, den ihnen dort der Marquis von Montcalm, hier Dupleix, La Bourdonnais und Lally-Tollendal entgegenstellten, die größten Vorteile gewonnen. Für das Gebiet pou Kanada war der Sieg des Generals Wolfe bei Quebec 1759 entscheidend; für das Ostindiens, wo die Franzosen anfangs große Vorteile errungen, 1746 Madras genommen und ihre Herrschaft über einen großen Teil Südindiens ausgebreitet hatten, wo dann 1756 auch Kalkutta an den Nabob von Bengalen, Surahdschah Dowla, verloren gegangen war, waren die Erfolge Robert Clives von gleicher Bedeutung, dessen Sieg bei Plassey 1757 über den mit den Franzosen verbündeten Nabob endgültig die Zukunft Ostindiens bestimmte. Der Pariser Friede gab den Engländern ganz Kanada mit Cape Breton und dem früher noch strittigen, obwohl zu Akadien gehörenden Neubraunschweig im N. ihrer bisherigen Besitzungen; im S. wurden diese, die schon seit 1732 durch die Besiedelung Georgias eine Erweiterung erfahren hatten, durch Louisiana bis zum Mississippi und durch Florida, das Spanien abtrat, vergrößert. In Westindien erhielten sie die Inseln Grenada, St. Vincent, Dominica und Tobago, von denen die erstere bisher unter französischer Herrschaft gestanden hatte, während die drei letztern zwischen Frankreich und G. streitig und 1748 für neutral erklärt worden waren. Endlich aber war seitdem die Oberherrschaft Englands in Ostindien entschieden; die Franzosen erhielten zwar Ponditscherri und einige kleinere Plätze zurück; aber auf den Wettbewerb mit G. verzichteten sie endgültig, und 1770 löste sich die Französisch-Ostindische Kompanie auf.
In Ostindien (s. d.) schritt nun die Ausbreitung der britischen Herrschaft auch in der nächsten Zeit erfolgreich fort: nur an ihre Hauptphasen sei hier in der Kürze erinnert. Bengalen war schon seit Clives Zeit ganz unter der Botmäßigkeit der Ostindischen Kompanie; in Südindien erlangte sie nach schweren. Kämpfen gegen die Radschahs Haider Alt und Tippu Saib von Maisur, in die auch die Franzosen noch wieder einzugreifen versuchten, bis zum Schluß des 18. Jahrh. das Übergewicht; nach dem Tode Tippu Saibs (1799) wurde der größte Teil seines Reiches sofort, das Binnenland, das seinen Nachkommen zunächst belassen war, 1832 unter englische Verwaltung gestellt. Auch gegen die Mahratthen kämpften Lord Wellesley und der Marquis von Hastings glücklich; bis 1818 war ihre politische Macht völlig vernichtet. Die Erwerbung des Sind, d. h. des Landes am untern Indus, und des Reiches der Sikhs im Pandschab fallen in die vierziger Jahre des 19. Jahrh.; ein Krieg mit Birma verschaffte 1852 den Engländern den Besitz der Provinz Pegu in Hinterindien; Audh ward 1856 unter unmittelbare Verwaltung genommen; 1886 wurde auch das noch unabhängige Oberbirma zur britischen Provinz gemacht. Im W. von Ostindien steht Belutschistan seit 1876 unter englischem Schutz; nördlich davon beherrscht ihr Einfluß, obwohl von den Russen bekämpft, die Politik des Emirs von Afghanistan; Kaschmir ist seit 1846 ein britischer Vasallenstaat; und 1904 haben die Engländer begonnen, auch in dem bisher völlig abgeschlossenen Tibet ihre Macht zu zeigen.
Während so das britisch-indische Reich seit dem Frieden von 1763 sich immer weiter ausdehnte, vermochte G. seinen amerikanischen Besitz nicht zu behaupten. Durch den Aufstand der 13 amerikanischen Kolonien, der 1774 ausbrach, verloren die Engländer den wertvollsten Teil ihres dortigen Kolonialreichs, und im Frieden von Versailles mußten sie die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika anerkennen. Indem aber Frankreich und Spanien die Kolonien unterstützt hatten, mußte G. im Frieden auch ihnen Opfer bringen: an ersteres wurden die Inseln St.-Pierre und Miquelon bei Neufundland, ferner Tobago in Westindien, an letzteres Menorca und Florida abgetreten. Doch schon wenige Jahre danach gewährten die Erfolge, die Englands Seemacht im Kriege gegen die französische Republik, das Kaisertum Napoleons I und die Bundesgenossen Frankreichs gewann, nicht nur reichen Ersatz für diese Verluste, sondern der Pariser Friede von 1814 erhob auch außerhalb Indiens G. zur ersten Kolonialmacht der Welt. In Europa kam zu Gibraltar ein zweiter britischer Vorposten im Mittelmeer: die 1800 den Franzosen abgenommene Inselgruppe von Malta; in der Nordsee wurde 1807 Helgoland, bisher dänisch, erobert; in Westindien wurde Tobago zurückgewonnen, St. Lucia und Trinidad, ersteres bisher französisch, letzteres spanisch, erobert; jetzt erst waren auch die schon seit langer Zeit bestehenden britischen Niederlassungen in Mittelamerika (Honduras), die bisher immer von den Spaniern bedroht waren, in ihrer Existenz gesichert, und durch den Erwerb von Britisch-Guayana, das die Holländer abtreten mußten, faßte G. zum erstenmal in der Südhälfte des amerikanischen Festlandes Fuß. Die Franzosen mußten auch auf die 1810 eroberte Insel Mauritius (Isle de France) im Indischen Ozean, die Holländer auch auf Ceylon, das 1795 erobert wurde, und auf die größte ihrer Kolonien, das Kapland, das die Engländer 1806 gewannen, verzichten: diese letztere Erwerbung, die den Engländern die herrschende Stellung in Südafrika sicherte, war von allen, die im Zeitalter der Revolution gemacht wurden, die bedeutendste.
Mit dem Ende dieses Zeitalters beginnt abermals eine neue, die dritte Periode in der Geschichte der britischen Kolonialmacht. Die Epoche ihrer Vergrößerung auf Kosten konkurrierender europäischer Mächte war zu Ende; seit 1814 ist keinem abendländischen Staate mehr eine koloniale Besitzung durch G. mit Waffengewalt entrissen worden; auch die 1878 okkupierte Insel Cypern ist ihm nicht als Gegner, sondern als Bundesgenossen durch einen Staatsvertrag seitens der Türkei überlassen worden. Überdies veränderte sich die Richtung der kolonialen Bewegung: wenn auch noch im 19. Jahrh. viele Tausende von britischen Auswanderern nach Amerika gegangen sind, so erfolgte doch in dieser Epoche die Ausdehnung des Kolonialreiches selbst weniger im Westen, als vielmehr im Osten des Mutterlandes, in Afrika, Asien und Australien.
In Nordamerika, das 1812–14 von den Vereinigten Staaten vergeblich angegriffen und später ebenso vergeblich von den irischen Feniern (s. d.) bedroht wurde, wurden neue Ansiedelungen seit 1811 am Red River, aus denen sich allmählich die Provinz Manitoba entwickelte, und seit 1849 auf der Vancouverinsel begründet. Von hier aus wurde das Gebiet zwischen den Rocky Mountains und dem Stillen Meere kolonisiert, das 1856 den Namen Britisch-Columbia erhielt. Die Einteilung der britischen Kolonien hier erfuhr vielerlei Wandlungen. Kanada wurde 1791 in die beiden selbständigen Kolonien Ober- und Unterkanada geteilt, die erst 1840 wieder vereinigt wurden. Von Neuschottland wurden 1784 Neubraunschweig und Cape Breton abgetrennt, letzteres aber 1820 wieder mit Neuschottland vereinigt. Die Prinz Edward-Inseln waren seit 1770 eine selbständige Kolonie. Seit der Mitte des 19. Jahrh. aber entstand eine Bewegung für den Zusammenschluß aller britischen Kolonien in Nordamerika, die immer mehr Anhänger fand und schließlich den Sieg gewann. 1867 wurden Kanada, Neubraunschweig und Neuschottland unter dem Namen »Dominion of Canada« zu einem Bundesstaate vereinigt, in den, nachdem 1869 die Hudsonbaikompanie für ihre Regierungsrechte mit Geld abgefunden war, 1870 Manitoba, 1871 auch Britisch-Columbia und die Vancouverinsel aufgenommen wurde. 1873 trat auch die Prinz Edward-Insel darin ein, 1876 erhielten die früher zum Gebiet der Hudsonbai gehörigen Nordwestterritorien eine Verfassung, und seit 1880 ist, mit Ausnahme von Neufundland, das ganze britische Nordamerika bundesstaatlich geeinigt.
In Westindien, wo nach heftigem Widerstand der Kolonisten die Sklaverei durch ein 1834 erlassenes, 1838 in volle Wirksamkeit getretenes Gesetz aufgehoben wurde, hat der britische Besitz eine Vergrößerung nicht mehr erfahren. Seine administrative Einteilung ist so geregelt, daß 1) die Bermudas-, 2) die Bahamainseln, 3) Jamaika mit einigen kleinern benachbarten Inseln, 4) die seit 1871 zu einer Art von Bundesstaat vereinigten Leewardinseln, 5) Barbados, 6) die Windwardinseln und 7) Trinidad und Tobago, die 1889 verbunden wurden, je eine besondere Kolonie bilden. Ebenso sind in Mittel- und Südamerika Britisch-Honduras u. Britisch-Guayana als zwei eigne Kolonien konstituiert. Im äußersten Süden Amerikas sind die 1592 entdeckten, im Laufe der nächsten Jahrhunderte von verschiedenen europäischen Mächten bald besetzten, bald wieder ausgegebenen Falklandinseln endgültig unter englische Hoheit gekommen; von ihnen ist die gleichfalls G. gehörende, aber unbewohnte Insel Südgeorgien abhängig.
In Asien hat, abgesehen von Ostindien und dem eine besondere Kolonie bildenden Ceylon, wozu die Inselgruppe der Malediven gehört, Großbritanniens Kolonialmacht sich besonders in der Inselwelt des fernsten Ostens ausgebreitet. In der Malaiischen See hatte die Ostindische Kompanie schon 1786 Pinang (Prinz von Wales-Insel) und 1800 einen Landstrich auf der gegenüberliegenden Küste (Provinz Wellesley) von einem eingebornen Fürsten erworben; 1819 wurde Singapur besetzt und 1824 von dem Sultan von Johore förmlich abgetreten; im gleichen Jahre vertauschten die Niederlande ihre Niederlassungen in Malakka gegen die britischen Besitzungen auf Sumatra (Benkulen). Aus diesen Besitzungen und einigen kleinern dazugehörigen Inseln wurde die 1867 von Ostindien abgelöste, schnell aufblühende Kolonie der Straits Settlements gebildet; eine Anzahl malaiischer Sultane (Perak, Selangor u. a.) stehen überdies in einer Art von Vasallitätsverhältnis zur englischen Krone. Versuche, sich auch auf Borneo festzusetzen, hatte die Ostindische Kompanie im 17. und 18. Jahrh. mehrfach, aber ohne dauernden Erfolg, gemacht. Dagegen erwarb der britische Agent James Brooke 1841 von dem Sultan von Brunei einen Landstrich im Westen der Insel um Sarawak, der durch spätere Verleihungen von 1861, 1882 u. 1885 vergrößert wurde; das Gebiet bildet jetzt ein eignes, unter britischem Schutz stehendes Fürstentum, das ein Neffe des Radscha Brooke mit einem Stabe britischer Offiziere regiert. Weiter trat 1846 der Sultan von Brunei die Insel Labuan an G. ab, die zu einer eignen Kolonie gemacht wurde: Radscha Brooke wurde zu ihrem ersten Gouverneur ernannt. Endlich erwarben 1877 und 1878 der Baron Overbeck und Sir Alfred Dent ein umfangreiches Gebiet im Norden der Insel, zu dessen Verwaltung 1881 die Nordborneo-Kompanie gegründet wurde; Labuan ist seit 1890 gleichfalls damit vereinigt worden. Einen ebenso schnellen Aufschwung wie die Straits Settlements hat die 1841 von China an G. abgetretene Insel Hongkong genommen; die Kolonie wurde seit 1861 durch neue Abtretungen auf dem gegenüberliegenden Festland vergrößert. Schließlich erwarb G. 1898 durch einen Pachtvertrag auf 99 Jahre Stadt und Gebiet von Weihaiwei an der Küste gegenüber Korea. Zu diesen Besitzungen im äußersten Osten Asiens kommen im Westen Indiens einige kleinere Niederlassungen, deren Wert für die Sicherung der Seefahrt nach Indien seit der Erbauung des Suezkanals ein sehr erheblicher geworden ist. An der Ausfahrt aus dem Roten Meer haben die Engländer 1839 die Halbinsel Aden, die sehr stark befestigt wurde, und 1857 die gleichfalls befestigte Insel Perim besetzt; das Gebiet von Aden ist später mehrfach vergrößert worden; 1854 kamen die Kuria-Muria-Inseln, 1876 die Insel Sokotra hinzu; seit den 1880er Jahren endlich ist durch eine Reihe von Verträgen die britische Schutzherrschaft über die arabischen Stämme rings um Aden und über Teile der afrikanischen Somalküste ausgedehnt worden; die Abgrenzung gegen die italienische Interessensphäre an der letztern erfolgte durch ein Abkommen von 1887. Wie die englischen Besitzungen am Roten Meer ihre Bedeutung hauptsächlich als Etappen der großen Seestraße nach Ostindien haben, so sind sie auch administrativ der indischen Regierung unterstellt.
Von ungleich größerm Wert als diese asiatischen sind die im 19. Jahrh. begründeten Kolonien in Australien (s. d.), wo ein neues, großes, in der Hauptsache angelsächsisches Reich geschaffen worden ist. Nachdem James Cook 1770 an der Ostküste Australiens die englische Flagge gehißt und das Land Neusüdwales getauft hatte, begann seine Besiedelung mit deportierten Strafgefangenen; im Januar 1788 kamen die ersten Sträflinge in Sydney an. Unter großen Schwierigkeiten, deren Überwindung wesentlich das Verdienst des ersten Gouverneurs Arthur Philip war, behauptete sich die Kolonie und blühte namentlich durch die Einführung der Schafzucht auf, indem auch die Zahl der freien Kolonisten, die hierhin auswanderten, schnell wuchs. Schon 1803 war von hier aus die Besiedelung von Tasmania (Vandiemensland) in Angriff genommen worden, das 1825 zu einer besondern Kolonie gemacht wurde; es folgte dann die Kolonisation von Westaustralien (seit 1826), Queensland (seit 1826; 1859 selbständige Kolonie), Victoria (seit 1834; 1851 selbständige Kolonie) und Südaustralien (seit 1836). Ernste Kämpfe waren nur auf Neuseeland zu bestehen, das nach verschiedenen, wenig glücklichen Anläufen 1840 endgültig für G. in Besitz genommen wurde; der hartnäckige Widerstand der eingebornen Bevölkerung (Maori) wurde erst 1365 durch Sir George Grey gebrochen; doch wiederholten sich kleinere Aufstände noch bis 1886. Von der größten Wichtigkeit für die Entwickelung Australiens war es einmal, daß seit 1851 zuerst in Neusüdwales, dann auch in den andern Kolonien Gold gegraben wurde, sodann daß, wiederum zuerst für Neusüdwales (1840, endgültig 1848), zuletzt für Westaustralien (1868) die Deportation von Strafgefangenen eingestellt ward. 1901 gelang es nach langen Verhandlungen, alle australischen Kolonien, mit Ausnahme von Neuseeland, zu einem Bundesstaat (Commonwealth of Australia) zusammenzuschließen.
In der australasiatischen Inselwelt (Ozeanien) wurden 1874 die Fidschiinseln unter britischen Schutz gestellt, und 1888 wurde der südostliche Teil von Neuguinea in Besitz genommen; über die Neuhebridischen Inseln wurde 1887 ein Vertrag mit Frankreich geschlossen, dem zufolge ein gemeinsames Protektorat beider Mächte hergestellt wurde. Außerdem gehören noch eine Anzahl kleinerer Inseln zum britischen Machtbereich.
Fällt die Besitzergreifung Australiens in die erste Hälfte des 19. Jahrh., so ist die Hauptaktion der britischen Kolonialpolitik in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wesentlich auf Afrika gerichtet gewesen, dessen Aufteilung unter die europäischen Kolonialmächte eines der denkwürdigsten Ereignisse der neuesten Geschichte ist. Im Norden des Kontinents ist Ägypten zwar nicht im eigentlichen Sinn eine englische Kolonie, aber doch seit 1882 von G. völlig abhängig; durch einen Vertrag vom Jahre 1904 ist die britische Suprematie in Ägypten auch von Frankreich, das ihr bis dahin standhaft widersprochen hatte, anerkannt worden.
In Westafrika erwarb G. durch Kaufverträge 1850 die dänischen und 1871 die niederländischen Besitzungen an der Goldküste sowie seit 1861 das Gebiet von Lagos, zu dem das Protektorat über ein weites Hinterland gehört. Die vier westafrikanischen Kolonien waren 1866 unter einem Generalgouverneur in Sierra Leone vereinigt worden; doch wurden 1874 nach dem Aschantikriege die Goldküste mit Lagos sowie 1888 Gambia wieder von Sierra Leone abgetrennt und zu besondern Kolonien gemacht; 1886 wurde Lagos wiederum von der Goldküste abgelöst, und sein Hinterland wurde 1899 abgegrenzt. Diese Abgrenzung erfolgte gegenüber dem Nigergebiet, wo seit 1879 eine Gesellschaft englischer Kaufleute (die United African, später National African, zuletzt Royal Niger company) tätig war und mit den Eingebornen zahlreiche Schutzverträge abgeschlossen hatte, und wo außerdem 1884 und 1885 die britische Regierung selbst das Protektorat der Ölflüsse geschaffen hatte, das seit 1893 Nigerküsten-Protektorat hieß. Die Besitzverhältnisse in Westafrika wurden 1885–99 durch eine Anzahl von Verträgen zwischen G., Deutschland und Frankreich geordnet; auch der Kolonie Sierra Leone wurde dadurch ein Hinterland von mehr als 70,000 qkm gesichert. Nach Abschluß dieser Verträge verzichtete die Nigerkompanie 1899, da sie in finanzielle Verlegenheiten geraten war, auf ihre Regierungsrechte und bildete sich in eine einfache Handels- und Ansiedelungsgesellschaft um; aus ihrem Gebiet und dem bisherigen Nigerküstenprotektorat wurden nun zwei neue, unmittelbar unter der Krone stehende Kolonien, Nord- und Südnigeria, geschaffen. Somit besitzt G. in Westafrika seit 1. Jan. 1900 sechs gesonderte Kolonien, zu denen noch St. Helena (s. oben, S. 382) und die 1815 besetzten Inseln Ascension (seit 1881 nur noch Kohlenstation) und Tristan da Cunha (unter der Verwaltung der Regierung des Kaplandes) hinzuzurechnen sind.
Auch in Ost- und Zentralafrika ist der britische Besitz erst in den letzten Jahrzehnten konsolidiert worden. Erst als Deutschland hier festen Fuß gefaßt hatte, richtete auch die englische Regierung ihr Augenmerk auf Landerwerbungen in diesem Teile des Kontinents, und ein Vertrag von 1886 grenzte hier zuerst die beiderseitigen Machtsphären ab. Das dadurch G. überlassene Gebiet wurde der von Sir W. Mackinnon geleiteten, 1888 mit einem Freibrief ausgestatteten Ostafrika-Kompanie zur Verwaltung überwiesen, die auch den dem Sultan von Sansibar verbliebenen Küstenstreifen pachtete und ihren Einfluß im Innern auszubreiten suchte. Neuen Verwickelungen mit Deutschland, die dadurch hervorgerufen wurden, machte ein Vertrag vom 1. Juli 1890 ein Ende, durch den Deutschland (unter andern gegen die Abtretung von Helgoland) auf Sansibar, Pemba, Uganda- und Wituland verzichtete; das so gewaltig vergrößerte Gebiet der Kompanie wurde 1891 gegen das italienische Somalland und 1894 gegen den Kongostaat abgegrenzt. Aber auch hier erwies sich die Verwaltung durch eine Gesellschaft auf die Dauer unmöglich, und so verzichtete die Kompanie schon 1895 gegen eine namhafte Geldentschädigung auf ihren Freibrief, nachdem sie schon zuvor Uganda aufgegeben hatte. Das letztere war schon 1894 zu einem britischen Schutzgebiet gemacht worden, das unter andern auch Unyoro und Usoga umfaßt; nunmehr wurde auch das übrige Gebiet der Kompanie zu einem eignen, dem Ostafrikanischen Schutzgebiet, umgewandelt, dessen oberster Verwaltungsbeamter auch die englischen Oberhoheitsrechte in Sansibar und Pemba ausübt, wo dem Sultan nur eine nominelle Herrschaft belassen ist. Von dem britischen Ostafrika ist durch Deutsch-Ostafrika das britische Zentralafrika getrennt, zu dessen Abgrenzung außer den schon erwähnten Verträgen mit Deutschland und dem Kongostaat auch ein Abkommen mit Portugal im Juni 1891 geschlossen wurde. Aber nur das Land westlich vom Nyassasee wurde unmittelbar unter die Verwaltung der Krone genommen und bildet das seit 1893 so genannte Schutzgebiet von Britisch-Zentralafrika, während die weiter westlich angrenzenden Landschaften der Südafrikanischen Gesellschaft überlassen wurden, von der gleich die Rede sein wird.
In Südafrika ist die Ausbreitung des englischen Gebietes im beständigen Gegensatz und in harten Kämpfen einerseits mit den Kaffern, denen gegenüber die Grenzen des Kaplandes immer weiter nach Osten und Norden erweitert wurden, anderseits mit den holländischen Kolonisten erfolgt, die sich nicht so willig, wie die Franzosen in Kanada, der britischen Herrschaft fügen mochten und mit den seit 1814 (s. oben, S. 384) aus G. eingewanderten neuen Ansiedlern keineswegs verschmolzen. Nachdem schon vorher einzelne Burenfamilien aus dem Kapland ausgewandert waren, begann im J. 1836 der große »Trek« niederländischer Kolonisten einerseits ins Gebiet des Oranje- und Vaalflusses, anderseits nach Natal, wo schon 1824 englische Ansiedler sich niedergelassen hatten, wo aber bis dahin die britische Regierung Hoheitsrechte formell nicht in Anspruch genommen hatte. Die Haltung Großbritanniens gegenüber dieser Bewegung war anfangs unentschlossen und keineswegs konsequent. Zwar erklärte der Gouverneur des Kaplandes, daß er die Ausgewanderten, die sich in ihren neuen Besitzungen in schweren Kämpfen mit den Eingebornen siegreich behaupteten, nach wie vor als britische Untertanen betrachte, aber im Mutterlande war man damals einer Erweiterung des Kolonialreiches in Afrika abhold, und die Buren gaben sich, um jene Erklärung unbekümmert, republikanische Verfassungen. Erst als Lord John Russell 1839 an die Spitze des Kolonialministeriums trat, wurde die Eroberung Natals beschlossen; 1842 rückten englische Truppen ein; 1843 wurde Natal zur britischen Kolonie erklärt; die Folge davon aber war, daß die meisten Buren das kaum besiedelte Land wieder verließen und sich mit ihren Stammesgenossen im Gebiete des Oranje- und Vaalflusses vereinigten. Hier gelang es denn auch den Buren, sich lange Zeit in ihrer Unabhängigkeit zu behaupten, indem sie 1848 die Oranje-Republik und 1852 die aus drei verschiedenen, bis dahin voneinander unabhängigen Niederlassungen zusammengesetzte Transvaalrepublik schufen. Die letztere wurde noch 1852, die erstere, die G. zunächst für sich in Anspruch nahm, 1854 als unabhängiger Freistaat anerkannt. Erst nachdem die Diamantfunde (zuerst 1867) im Gebiete des Oranje- und Vaalflusses den Wert des südafrikanischen Gebietes in ungeahnter Weise erhöht hatten, faßte die britische Regierung die weitere Ausdehnung ihres dortigen Besitzes wieder ins Auge. Schon 1868 wurde die Annexion des Basutolandes östlich von der Oranje-Republik beschlossen, und da auch diese darauf Ansprüche erhob, wurde das Land durch einen Vertrag von 1869 zwischen der Republik und G. geteilt; der britische Teil wurde zunächst dem Kapland einverleibt, 1884 aber davon abgelöst und zu einer besondern Kolonie gemacht. Demnächst wurde 1871 Westgriqualand trotz des Widerspruches der Burenrepubliken für G. in Besitz genommen (seit 1877 Provinz des Kaplandes), und seit 1874 verfolgte die englische Regierung den Plan, ihre südafrikanischen Kolonien mit den Republiken zu einem von G. abhängigen Bundesstaate zu verschmelzen. Da die Buren sich dem widersetzten, benutzte die englische Regierung die Hilfegesuche der mit den Republiken im Streite liegenden Eingebornen, um 1877 durch Sir Th. Shepstone Transvaal zu einer britischen Besitzung zu erklären. Anfangs fügten sich die Buren, aber 1881 erhoben sie sich zu einem Aufstand und zwangen die Engländer, die in mehreren Treffen besiegt wurden, ihnen ihre Unabhängigkeit zurückzugeben. Das Suzeränitätsrecht, das sich G. 1881 gewahrt hatte, wurde 1884 durch einen neuen Vertrag dahin eingeschränkt, daß die britische Regierung sich nur die Genehmigung aller Verträge vorbehielt, welche die Südafrikanische Republik (diesen Namen hatte Transvaal angenommen) mit europäischen Mächten oder eingebornen Stämmen abschließen würde. Dagegen mußten die Buren auf das Betschuanaland, wo sie 1881 zwei kleine Republiken zu begründen versucht hatten, verzichten; der südliche Teil wurde als britische Kolonie (1895 dem Kapland einverleibt), das übrige Gebiet als eignes Schutzgebiet eingerichtet. Ebensowenig wurde den Buren gestattet, durch die Besitznahme des Sululandes, wo sie 1884 die Nieuwe Republik gründeten, den Zugang zum Meere zu gewinnen; durch einen Vertrag von 1886 wurde die Neue Republik (1888 der Südafrikanischen einverleibt) zwar anerkannt, aber nur in einem vom Meer abgeschnittenen Teil des Landes, der übrige Teil des Sululandes wurde 1887 annektiert (1898 der Kolonie Natal einverleibt). Nachdem inzwischen die großen Goldfunde im Transvaalland (seit 1885) abermals die Begehrlichkeit nach Landerwerbungen in Südafrika gesteigert hatten, wurde 1888 das Matabele- und Maschonaland als britisches Gebiet erklärt; ihre Verwaltung und Ausbeutung wurde 1889 der unter leitender Mitwirkung von Cecil Rhodes (s. d.) begründeten Südafrika-Kompanie übertragen, der es gelang, nach hartnäckigem Widerstande der Eingebornen, bis 1897 das Land zu unterwerfen. Das Gebiet der Kompanie, zu dem auch das durch die früher erwähnten Verträge mit andern Kolonialmächten der britischen Sphäre zugewiesene, aber kaum aufgeschlossene Land nördlich vom Sambesi geschlagen wurde, erhielt 1895 den Namen Rhodesia. Von hier aus wurde dann Anfang 1896 der unerhörte Angriff Jamesons auf die Südafrikanische Republik unternommen; zu seinen Folgen gehörte es, daß 1898 die Regierungsrechte der Gesellschaft zwar nicht aufgehoben, aber doch eingeschränkt wurden. Die letzte und bedeutendste Erweiterung des südafrikanischen Kolonialbesitzes Großbritanniens wurde endlich durch den seit langer Zeit vorbereiteten, im Oktober 1899 ausgebrochenen Krieg mit den beiden Burenrepubliken herbeigeführt; im März 1900 wurde der Oranje-Freistaat, im September die Südafrikanische Republik zur britischen Kolonie erklärt; ersterer erhielt den Namen Oranje-River-Colony, letztere den Namen Transvaal. So ward durch die rücksichtslose und gewalttätige Energie Cecil Rhodes' und Chamberlains der seit einem Vierteljahrhundert verfolgte Plan der Vereinigung Südafrikas unter britischer Herrschaft verwirklicht.
Ungleich kürzer als die Geschichte der äußern, kann die der innern Kolonialpolitik Großbritanniens behandelt werden. Hinsichtlich ihrer aber ist zwischen Ostindien einer- und dem übrigen Kolonialreich anderseits zu unterscheiden. Ostindien, wo britische Niederlassungen niemals erfolgt sind und niemals erfolgen können, ist eigentlich keine Kolonie, sondern ein erobertes und unterworfenes Reich, beherrscht durch britische Waffen, verwaltet durch britische Beamte. Aber seine Verwaltung und Ausbeutung war bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrh. ausschließlich und fast ohne Einmischung seitens der Regierung der Ostindischen Kompanie überlassen, und erst nach den gewaltigen Eroberungen Clives mischte sich 1767 das Parlament insofern ein, als es die Dividende der Aktionäre auf 10 Proz. beschränkte und der Kompanie eine hohe jährliche Abgabe für ihren Landbesitz auferlegte. Aber schon sechs Jahre später führte die Mißregierung der Kompanie, die überdies in finanzielle Verlegenheiten geraten war, zum Erlaß eines Gesetzes (1773), durch das eine strenge Staatsaufsicht über die indische Verwaltung eingeführt wurde; 1783 wurde diese noch verschärft und einer eignen Behörde, dem Board of control, übertragen, das aus sechs vom König ernannten Mitgliedern des Geheimen Rates bestand und in dringenden Fällen oder in geheimen Angelegenheiten sogar ohne Zuziehung der Direktion der Gesellschaft Befehle an die Beamten in Indien erteilen durfte. Dies Kontrollamt hat über 80 Jahre fungiert, bis nach dem großen indischen Aufstande (1857) die öffentliche Meinung dringend die Aufhebung der Kompanie und die Übernahme der Regierung Indiens durch die Krone forderte. Die letztere erfolgte durch ein Gesetz von 1858, das alle Regierungsrechte der (1874 nach Abfindung der Aktionäre ganz aufgehobenen) Kompanie beseitigte und diese einem Staatssekretär für Indien übertrug, dem ein aus 15 Mitgliedern bestehender Rat zur Seite gestellt wurde. Im November 1858 wurde die Königin als Herrscherin von Indien ausgerufen und 1876 nahm sie den Titel Kaiserin von Indien (Kaisar-i-Hind) an. Unter dem dem Parlament verantwortlichen Staatssekretär steht der Generalgouverneur (Vizekönig) von Indien mit seinem aus den Chefs der sechs obersten Verwaltungsbehörden zusammengesetzten Rat, der zu Zwecken der Gesetzgebung durch 16 andre Mitglieder verstärkt wird. Ebenso stehen ausübende und gesetzgebende Räte den Gouverneuren der Provinzen zur Seite (Näheres s. Ostindien, Verwaltung). Eine Landesvertretung gibt es nicht. Die Mitglieder aller Rate werden ernannt; zwar sind regelmäßig einige Eingeborne sowohl Mitglieder der obersten als der provinzialen gesetzgebenden Rate. In der Hauptsache aber wird Indien immer noch wie ein erobertes Land regiert.
Kolonialverwaltung. Für die oberste Leitung der eigentlichen Kolonien wurde eine eigne Aufsichtsbehörde schon von Karl I. geschaffen, die im Laufe des 17. u. 18. Jahrh. mancherlei Wandlungen erfuhr, indem sie bald als ein eignes Kollegium, bald als ein Ausschuß des Geheimen Rates gestaltet wurde. 1768 wurde ein eigner Staatssekretär für Amerika ernannt, 1782–86 war die oberste Kolonialverwaltung dem Minister des Innern übertragen und von 1794–1854 war sie mit dem Kriegsministerium vereinigt. Dann wurde 1854 ein eignes Kolonialministerium, an dessen Spitze ein Staatssekretär steht, errichtet. Außerdem besteht als oberstes Appellationsgericht sowohl für die Kolonien als für Indien der richterliche Ausschuß des Geheimen Rates (Judicial committee of the privy council), dessen Kompetenz freilich in bezug auf einzelne Kolonien neuerdings gewisse Einschränkungen erfahren hat. Auch im übrigen ist die Befugnis des Kolonialministeriums und der von ihm ernannten Gouverneure in den einzelnen Kolonien verschiedenartig gestaltet, und sie hat sich im Laufe des 18. und 19. Jahrh. in vieler Hinsicht wesentlich verändert. Während nämlich die im 17. Jahrh. begründeten Niederlassungen in Amerika fast überall eine freie, parlamentarische Verfassung erhielten und diese auf das mannhafteste verteidigten, verstand es sich von selbst, daß die im 18. Jahrh. eroberten Kolonien nicht von vornherein mit gleichen Rechten autonomer Selbstverwaltung ausgestattet wurden. Ganz entbehrten sie deren freilich nicht, wie denn z. B. die zum Gouvernement Grenada vereinigten westindischen Inseln schon 1765 eine gewählte gesetzgebende Körperschaft erhielten, die das ausschließliche Recht, Steuern für die Kolonie zu bewilligen, in Anspruch nahm und behauptete, und wie in Kanada seit 1791 gesetzgebende Versammlungen bestanden, die aus Wahlen hervorgingen, deren finanzielle Rechte aber doch nur beschränkt waren. Freilich hatten weiterblickende englische Politiker aus dem amerikanischen Freiheitskriege die Lehre gezogen, daß die dauernde Behauptung der größern, wesentlich von einer angelsächsischen Bevölkerung bewohnten überseeischen Besitzungen nur möglich sei, wenn sie mit freier Selbstregierung ausgestattet wurden; aber es dauerte doch noch lange Zeit, bis diese Überzeugung sich allgemeinere Anerkennung verschaffte. Von erheblichem Einflusse darauf war ein nach der Niederwerfung des kanadischen Aufstandes von 1837/38 von Lord Durham erstatteter Bericht vom 31. Jan. 1839, der die Überzeugung aussprach, daß dem Zwist zwischen Kolonie und Mutterland nur durch die Gewährung einer weitgehenden Autonomie an jene ein Ende zu machen sei. So lebhaft diese Anschauungen auch bekämpft wurden, sie drangen doch schließlich durch, und es war die Folge davon, daß Kanada 1840 eine neue Verfassung erhielt, durch die der ausführende Rat (Ministerium) der gewählten Volksvertretung verantwortlich gemacht wurde. In ähnlicher Weise wurden bis 1855 die Verhältnisse in den übrigen britischen Kolonien Nordamerikas geordnet; 1853 erhielt das Kapland eine Repräsentativverfassung, die 1872 zur völligen Selbstregierung ausgestaltet wurde; von 1842–55 vollzog sich in den australischen Kolonien der gleiche Vorgang; und 1867 wurde für die neue Verfassung der Dominion of Canada, 1893 für die Natals, 1900 für die des Commonwealth of Australia der Gedanke voller Autonomie zugrunde gelegt.
So zerfallen heute die englischen Kolonien hinsichtlich ihrer Verfassung in drei Kategorien. Erstens Kronkolonien, in denen die gesetzgebende wie die ausführende Gewalt in den Händen der Regierung liegt, insofern die gesetzgebenden Räte, die auch hier fast überall bestehen, nicht aus gewählten, sondern aus ernannten Mitgliedern zusammengesetzt sind. Zweitens Kolonien mit gewählter Volksvertretung, aber ohne verantwortliches Ministerium, in denen also die Krone bei der Gesetzgebung nur ein Vetorecht hat, die Parlamente aber auf die Verwaltung einen unmittelbaren Einfluß nicht ausüben. Drittens Kolonien mit voller parlamentarischer Selbstregierung, in denen das Ministerium aus der Mehrheit der Volksvertretung hervorgehen muß, und in denen der Krone, abgesehen von der Ernennung des Gouverneurs, nur ein praktisch bedeutungsloses Vetorecht bei der Gesetzgebung und ein gewisser Einfluß auf Fragen, die mit der auswärtigen Politik zusammenhängen, gewahrt ist, die also fast völlig selbständige Staaten darstellen. Zur letzten Kategorie gehören die Dominion of Canada, der Commonwealth of Australia, Neufundland, Neuseeland, das Kapland und Natal. Zur zweiten, innerhalb deren übrigens die Zusammensetzung und die Rechte der gesetzgebenden Körperschaften sehr verschieden gestaltet sind, gehören ein Teil der westindischen Inseln (Barbados, Bermudas, Jamaika, die Leewardinseln), Britisch-Guayana, Mauritius, Cypern, Malta. Die erste Kategorie umfaßt alle übrigen Kolonien, darunter auch Ceylon. Bei den Kolonien mit Selbstregierung ist der Zusammenschluß zu größern Bundesstaaten in Nordamerika und Australien beinahe vollständig durchgeführt, während sie in Südafrika noch nicht gelungen ist. Seit den letzten Jahren ist der Gedanke einer engern Verbindung aller dieser sich selbstregierenden Kolonien mit dem Mutterland (Imperial federation) das Ziel der englischen Kolonialpolitik; Konferenzen ihrer leitenden Minister mit dem Kolonialminister des Mutterlandes haben ihn erörtert, und in handelspolitischen Maßnahmen der Kolonialregierungen, in Beiträgen der Kolonien zu den Ausgaben des Mutterlandes für Heer und Flotte und in der Entsendung kolonialer Truppen zur Unterstützung des Mutterlandes im südafrikanischen Krieg ist erz. T. bereits verwirklicht worden.
Gegenwärtig stellen die Kolonien und auswärtigen Besitzungen das britische Reich hinsichtlich der Größe und Volkszahl über alle Staaten alter und neuer Zeit (s. Karte »Kolonien«). Die Kolonien werden vom Mutterland nicht nur besteuert, sondern letzteres bezahlt auch den größten Teil der für die Verteidigung nötigen Truppen (mit Ausnahme Ostindiens) und teilweise die Gehalte der Gouverneure und andrer Beamten. Es stehen in den Kolonien 166,000 Mann europäische Truppen, wovon 74,400 in Indien und 41,500 in Südafrika und Somalland.
Über die Finanzen und den Umfang des Handels in den wichtigern britischen Kolonien im J. 1901 unterrichtet die folgende Übersicht:
Über die Kolonien vgl. Seeley, The expansion of England (2. Aufl. 1895); Hodgetts, Greater England (1887); Dilke, Problems of Greater Britain (1890, 2 Bde.); Robinson, Colonial chronology (1892); A. W. Jose, Growth of the empire. Handbook to the history ot Greater Britain (2. Aufl. 1900); »Journal of the African Society« (seit Oktober 1901); Egerton, The origin and growth of the English colonies (1904); W. F. Johnson, A century of expansion (1904); Vogel, Das britische Kolonialreich (Berl. 1886); Bonwick, The British colonies and their resources (1886); Lucas, Historical geography of the British colonies (1888–1901, Bd. 1–5); Zimmermann, Die Kolonialpolitik Großbritanniens (Berl. 1898–99, 2 Bde.); Chevilliard, Les colonies anglaises (Par. 1899); Greswell, The growth and administration of the British colonies (1898); Jewell, Handbook to British military stations abroad (1898); de Wiart, Les grandes compagnies coloniales anglaises du XIX. siècle (Par. 1899); Büsching, Die Entwickelung der handelspolitischen Beziehungen zwischen England und seinen Kolonien bis zum Jahre 1860 (Stuttg. 1902); Darcy, France et Angleterre. Cent années de rivalité coloniale: L'Afrique (Par. 1903); Corbett, England in the Mediterranean. A study of the rise and influence of British power within the Straits, 1603 to 1713 (1904, 2 Bde.).
Geschichte Englands, bez. Großbritanniens.
Übersicht der Regenten.
I. England unter den Römern 55 v. Chr. bis 410 n. Chr.
II. England unter den Angelsachsen 449–1066
(1017–1042 Herrschaft der Dänen).
III. Normannische Könige 1066–1154.
1066–1087 Wilhelm I., der Eroberer.
1087–1100 Wilhelm II.
1100–1135 Heinrich I.
IV. Haus Anjou oder Plantagenet 1154–1399.
1154–1189 Heinrich II.
1189–1199 Richard I. Löwenherz.
1216–1272 Heinrich III.
1272–1307 Eduard I.
1307–1327 Eduard II.
1327–1377 Eduard III.
1377–1399 Richard II.
1399–1413 Heinrich IV.
1413–1422 Heinrich V.
1422–1461 Heinrich VI.
1470–1471 Heinrich VI.
1461–1483 Eduard IV.
1483 Eduard V.
1483–1485 Richard III.
1485–1509 Heinrich VII.
1509–1547 Heinrich VIII.
1547–1553 Eduard VI.
1553–1558 Maria (die Katholische od. Blutige).
1558–1603 Elisabeth.
1603–1625 Jakob I.
1625–1649 Karl I.
1649–1660 Die Republik (Protektor Oliver Cromwell 1651 bis 1658, Richard Cromwell 1658–1659).
1660–1685 Karl II.
1685–1688 Jakob II.
1689–1702 Maria (gest. 1695) und Wilhelm III. von Oranien.
1702–1714 Anna.
VIII. Haus Hannover (seit 1714).
1714–1727 Georg I.
1727–1760 Georg II.
1760–1820 Georg III.
1820–1830 Georg IV.
1830–1837 Wilhelm IV.
1837–1901 Viktoria.
Seit 1901 Eduard VII.
Vorgedichte; römische und angelsächsische Zeit (bis 1066).
Im Altertum wurden die britischen Inseln zuerst von den Phönikern, die von dort das Zinn holten, in den Weltverkehr einbezogen; dem Abendland kam die erste zusammenhängende Kunde von ihnen durch die Reisen des Pytheas von Marseille (um 330 v. Chr.). Die Romer lernten G., dessen ältester einheimischer Name Albin oder Albion war, erst kennen, als es von einer im Verlauf längerer Zeit eingewanderten keltischen Bevölkerung eingenommen war; die Hauptstämme dieser den Galliern des Festlandes in Sprache, Sitte und Religion verwandten Bevölkerung waren die Gälen (Goidelen) und die Britanner (Brython), nach denen die ganze Insel Britannia benannt wurde. Als Cäsar Gallien unterworfen hatte, unternahm er, wahrscheinlich um die Briten an einer Unterstützung ihrer festländischen Stammesgenossen zu verhindern, 55 und 54 v. Chr. zwei Züge nach G., auf deren zweitem er bis über die Themse vordrang, ohne jedoch eine dauernde Festsetzung auf der Insel zu bewirken. Erst unter Kaiser Claudius ward 43 n. Chr. die Eroberung Britanniens begonnen und unter Domitian bis 85 durch Agricola im wesentlichen vollendet. Außer Irland (Hibernia) blieb nur der nördlich des Clyde und Forth gelegene Teil Britanniens unbezwungen. Das unterworfene, im Norden durch großartige Grenzbefestigungen gegen die Kaledonier geschützte Land, seit Diokletian in mehrere Provinzen geteilt, erfüllte sich allmählich mit römischer Bildung und Gesittung; in aufblühenden Städten, wie London, York, Lincoln, Colchester u. a., entwickelten sich lebhafter Handel und Verkehr; auch das Christentum verbreitete sich unter der römischen Herrschaft.
Zur Zeit der Völkerwanderung verließen im Anfang des 5. Jahrh. die römischen Legionen G., und um 410 gab Kaiser Honorius die Herrschaft über die Insel auf; er sowohl als 446 der Statthalter von Gallien, Aetius, verweigerten den Briten die Hilfe gegen die von Schottland und von der See aus drohenden Feinde. Letztere, die Angelsachsen (s. d.), hatten schon seit dem Ende des 3. Jahrh. die Küsten Englands als Seeräuber heimgesucht. Seit der Mitte des 5. Jahrh. setzten sie sich dauernd im Südosten der Insel fest, begannen sie von hier aus zu erobern und hatten um die Mitte des 6. Jahrh. diese Eroberung vollendet. Sie beherrschten den Süden und Osten der Insel. Im Westen und Norden, in Wales sowie in den schottischen Hochlanden, erhielten sich die Briten. Beide Völkerschaften standen sich völlig gesondert, ja feindlich gegenüber. In England kam daher die germanische Art zu reinerer und reicherer Entfaltung als in allen übrigen germanischen Reichen auf römischem Boden (s. Angelsachsen sowie Angelsächsische Sprache und Literatur). Nachdem um 600 die Angelsachsen das Christentum angenommen hatten, schmolzen im 7. Jahrh. die von ihnen gegründeten Kleinstaaten zu sieben oder acht Königreichen zusammen: Kent (Ostkent und Westkent), Essex, Sussex, Wessex, Mercia, Ostangeln (Eastanglia) und Northumberland; man bezeichnet diese Reiche gewöhnlich als die angelsächsische Heptarchie. In der ersten Hälfte des 9. Jahrh. verschmolz Egbert, König von Wessex (802–839), diese Staaten zu Einem Reich Anglia. In schwere Gefahr geriet das Reich durch die Angriffe normannisch-dänischer Seeräuber, die fast jährlich an den englischen Küsten landeten, tief in das Innere hinein vordrangen und sich endlich dauernd festsetzten. Erst König Alfred der Große (871–901) schlug 878 die Dänen entscheidend, bekehrte die in England bleibenden zum Christentum, wehrte weitere Angriffe der Normannen ab und stellte Frieden und Ordnung wieder her. Durch eine weise Gesetzgebung und Verwaltung heilte er die Wunden des Krieges, förderte Ackerbau, Gewerbe, Schiffahrt, Handel, städtisches Leben, Wissenschaft und Kunst; seine Gesetzgebung ward die erste Grundlage des spätern common law. Unter Alfreds Nachfolgern war sein Urenkel Edgar (959–975) der bedeutendste, der seine Oberherrschaft auch über die benachbarten kleinern Inseln und über einen großen Teil von Irland ausbreitete. Aber schon unter seinem zweiten Sohn, Ethelred (dem Unberatenen, 979–1016), wurden die Angriffe der Dänen aufs neue gefährlich; nur vorübergehend konnte man durch Tributzahlungen (das Danegeld) den Frieden erkaufen, und nachdem 1016 Ethelred und wenige Monate später sein Sohn Edmund (Eisenseite) gestorben waren, wurde der Dänenkönig Knut zu London als König von England anerkannt; auf seinem Haupte vereinigte er auch die dänische und norwegische Krone. Indes nach Knuts Tode (1035) wurde England wieder ein selbständiges Reich, und als 1042 sein Geschlecht mit Harthaknut erlosch, erhoben die Großen den Bruder Edmunds, Eduard den Bekenner (1042–66), der in der Normandie in der Verbannung gelebt hatte, zum König. Nach dem kinderlosen Tode Eduards, mit dem das Geschlecht Egberts ausstarb, wurde Harald, der Sohn Godwins, zum Nachfolger gewählt. Allein Wilhelm, Herzog von der Normandie, beanspruchte jetzt auf Grund angeblicher Zusicherungen Eduards den englischen Thron; er landete 29. Sept. 1066 mit 60,000 Mann an der Südküste von England, und in der Schlacht bei Senlac oder Hastings 14. Okt. verlor Harald Thron und Leben. Diese Schlacht machte der angelsächsischen Herrschaft in G. ein Ende; am 25. Dez. wurde Wilhelm »der Eroberer« in London zum König von England gewählt und von dem Erzbischof von York gekrönt.
England unter den normannischen Königen (1066 bis 1154).
Die neuen Beherrscher, die Normannen, waren ursprünglich germanischen Blutes, aber in der Normandie vollständig romanisiert worden. Ihre Sprache war ein Dialekt der französischen, ihre Verfassung streng feudal. Dies französische Wesen wurde nun auf England übertragen. Wiederholte Aufstände der Angelsachsen, die von Wilhelm mit rücksichtsloser Härte unterdrückt wurden, gaben dem König Anlaß zu einer völligen Umgestaltung der Verhältnisse, über die das um 1085 verfaßte Reichsgrundbuch, »Domesday Book« (s. d.) genannt, genaue Aufschlüsse gibt. Die daraus entwickelte, noch heute der Theorie nach geltende Maxime des englischen Rechts ist, daß der König alleiniger Eigentümer des ganzen eroberten England ist, und daß niemand Land besitzen kann, das er nicht mittelbar oder unmittelbar durch königliche Verleihung erlangt hat. Der König selbst besaß ein Reservat von ursprünglich mehr als 1000 manors, die neben zahlreichen Jagden, Parken und Forsten seine Domäne bildeten. Ungefähr 600 Personen und Körperschaften erscheinen als weltliche und geistliche unmittelbar vom König belehnte Kronvasallen (chief-tenants, tenentes in capite). Außerdem werden 7871 Afterlehnsleute, 10,097 Freisassen und 23,072 Sokemannen, d. h. Freie mindern Rechts, erwähnt. Die unfreie, in verschiedenen Abstufungen der Abhängigkeit stehende Bauernschaft und das ländliche Gesinde werden zu etwa 200,000, die Zahl der Knechte auf 25,000 anzunehmen sein. Nur in der Klasse der Kronvasallen sind fast ausschließlich Normannen zu finden; alle übrigen setzen sich aus ihnen und Angelsachsen zusammen. Die Inhaber der erblichen Lehen waren zum Kriegsdienst verpflichtet; wie die Kronvasallen, leisteten auch die Afterlehnsleute und größern Freisassen dem König unmittelbar den Eid der Lehnstreue. Die Einteilung des Landes in Grafschaften ward beibehalten; an der Spitze jeder Grafschaft stand ein Vizecomes oder Sheriff als oberster militärischer, finanzieller, administrativer und Justizbeamter, der vom König ernannt ward und absetzbar war. Jährlich mehrmals versammelte der König die Großen und Vasallen, geistliche wie weltliche, zu Hoftagen, auf denen wohl auch Recht gesprochen, finanzielle Geschäfte erledigt und über wichtige Angelegenheiten beraten wurde Doch hatten diese Hoftage nicht die Bedeutung der frühern Witenagemote, der angelsächsischen Reichstage: sie besaßen keine eigne gesetzgebende oder ritterliche Gewalt.
Als Wilhelm I. 7. Sept. 1087 auf einem Feldzug in Frankreich gestorben war, folgte ihm seinem Willen gemäß in der Normandie sein ältester Sohn, Robert, in England der zweite, Wilhelm II. (der Rote, 1087–1100). Ein Aufruhr der englischen Barone, welche Gegner der Trennung von der Normandie waren, zugunsten Roberts, wurde mit Hilfe der von dem König aufgebotenen angelsächsischen Bevölkerung unterdrückt. Seine wiederholten Versprechungen, gut und gesetzmäßig zu regieren, hielt er freilich nicht; schwer lastete seine Hand auf dem durch Erpressung und Tyrannei bedrückten Lande. Den König Malcolm von Schottland nötigte Wilhelm 1092 zur Lehnshuldigung und gewann, nachdem Malcolm und sein Sohn Eduard 1093 bei Alnwick erschlagen waren, größern Einfluß auf die schottischen Verhältnisse. Wilhelm II. verunglückte 2. Aug. 1100 auf der Jagd; da er keine Kinder hinterließ und Robert noch nicht vom Kreuzzug zurückgekehrt war, so bestieg sein jüngster Bruder, Heinrich I. (1100–1135), den Thron. Um sich diesen zu sichern, bestätigte er durch die sogen. Charta libertatum das alte angelsächsische Landesrecht (oder, wie man damals sagte, die Gesetze König Eduards) mit den Abänderungen Wilhelms des Eroberers. Auch suchte er mit seinen angelsächsischen Untertanen in ein besseres Verhältnis zu gelangen, indem er sich mit Mathilde, einer Urenkelin König Edmunds, vermählte. Als sein Bruder Robert die Barone der Normandie nicht im Zaum halten konnte, erschien Heinrich 1105 daselbst, schlug den Bruder, nachdem mehrere Versöhnungsversuche gescheitert waren, 28. Sept. 1106 bei Tinchebray und hielt ihn bis zu seinem Tode gefangen. So kam die Normandie wieder an die englische Krone und wurde auch gegen Roberts Sohn Wilhelm, den Ludwig VI. von Frankreich unterstützte, behauptet. Im Innern führte die Regierung Heinrichs I. zu einer bedeutenden Steigerung der königlichen Macht durch die Demütigung übermächtiger Kronvasallen; in dem Investiturstreit mit der römischen Kurie, der auch England ergriff, behauptete Heinrich die wesentlichen Hoheitsrechte der Krone, wenn er auch formelle Zugeständnisse machte.
Heinrich ließ, da sein einziger Sohn, Wilhelm, schon 1120 durch Schiffbruch umgekommen war, seine Tochter Mathilde, seit 1125 kinderlose Witwe des deutschen Kaisers Heinrich V., zur Kronerbin erklären und vermählte sie 1129 mit dem Grafen von Anjou, Gottfried Plantagenet. Nach Heinrichs Tod (1. Dez. 1135) trat jedoch Stephan von Blois (1135–54), Sohn der Adele, einer Tochter Wilhelms des Eroberers, als Thronbewerber auf und setzte durch mancherlei Zugeständnisse an das Volk und an die Kirche seine Anerkennung durch. Zu Mathildens Gunsten trat der König David von Schottland auf, der jedoch in der »Standartenschlacht« bei Northallerton 22. Aug. 1138 besiegt wurde. Bald darauf erhob sich aber auch der Graf Robert von Gloucester, natürlicher Sohn Heinrichs I., gegen Stephan, und da dieser die bei seiner Thronbesteigung gegebenen Versprechungen nicht hielt, brach ein Aufstand aus. Im Herbst 1139 landete Mathilde mit Robert von Gloucester in England und ließ sich, nachdem in der Schlacht bei Lincoln (2. Febr. 1141) Stephan gefangen genommen war, in Winchester zur Königin wählen und krönen. Da sie jedoch durch ihren Übermut und ihre Herrschsucht vielfach Anstoß erregte, dauerte der Kampf fort. Robert von Gloucester fiel in die Hände der Gegner und mußte gegen König Stephan ausgewechselt werden. 1148 kehrte Mathilde, des Kampfes müde, nach Frankreich zurück; doch nun trat ihr Sohn Heinrich gegen Stephan auf. Diesen belehnte Ludwig VII. von Frankreich mit der Normandie, womit er das pou seinem Vater ererbte Anjou und 1152 durch seine Ehe mit der vom König Ludwig geschiedenen Eleonore auch Poitou und Guienne vereinigte. Als er 1153 mit ansehnlicher Streitmacht in England erschien, schloß Stephan unter Vermittelung der Großen in Wallingford einen Vertrag, der ihm selbst den lebenslänglichen Besitz der Krone, Heinrich aber die Nachfolge sicherte. Demgemäß bestieg nach Stephans Tod (25. Okt. 1154) Heinrich II. und mit ihm das Haus Anjou-Plantagenet (1154–1399) den Thron Englands.
Die ersten Könige aus dem Haus Plantagenet.
Heinrich II. (1154–89) beherrschte außer England die Normandie, Anjou, Maine und das Land zwischen der Loire und den Pyrenäen. 1171 unternahm er einen Zug nach Irland, empfing die Huldigung der geistlichen und weltlichen Großen, ließ sich in Dublin einen Palast erbauen und legte so den ersten Grund zur Eroberung Irlands. Auch gegen die Schotten war Heinrich II. glücklich: König Wilhelm von Schottland wurde 1174 gefangen genommen und mußte seine Freiheit mit der Anerkennung der englischen Lehnshoheit erkaufen. Unter Heinrichs Kämpfen in Frankreich war von besonderer Wichtigkeit sein Zug gegen Toulouse, auf das seine Gemahlin Ansprüche hatte, 1159, weil auf ihm zuerst das Schildgeld (scutagium) allgemein ausgeschrieben wurde, eine Kriegssteuer, die in der Folge beibehalten wurde und dem Feudalwesen einen ersten Stoß versetzte, indem sie die Ablösung des persönlichen Kriegsdienstes ermöglichte und den König in den Stand setzte, ein Söldnerheer zu unterhalten. Durch Heinrichs II. Streit mit Thomas Becket (s. d.), Erzbischof von Canterbury, wurde der Kampf zwischen Staat und Kirche, der zu derselben Zeit auf dem Kontinent stattfand, auch nach G. verpflanzt. Durch die 16 Konstitutionen von Clarendon (1164) entschied der König die streitigen Fragen unter strenger Wahrung der staatlichen Rechte, machte die Exkommunikation seiner Lehnsleute von seiner Zustimmung abhängig, behielt sich die Lehnsgerichtsbarkeit auch über Erzbischöfe und Bischöfe vor, wahrte seinen Einfluß auf die Wahl zu den geistlichen Ämtern und schränkte den Verkehr des Klerus mit Rom ein. Darüber kam es zum Bruch zwischen dem Erzbischof und dem König; Becket floh nach Frankreich, kehrte aber 1170 zurück und wurde 29. Dez. 1170 von mehreren Höflingen, die den Wunsch des Königs, von dem ränkesüchtigen Priester befreit zu werden, erfüllen wollten, in der Kathedrale zu Canterbury ermordet. Eine Folge dieser Tat und der Wunder, die man am Grab des Ermordeten geschehen ließ, waren mannigfache innere Unruhen. Auch die Aussöhnung Heinrichs mit Rom (1172) und sein Verzicht auf die Ausführung eines Teiles der Beschlüsse von Clarendon verhinderten 1173 den Ausbruch eines Aufstandes nicht, an dessen Spitze Heinrichs gleichnamiger Sohn trat, unterstützt von den Königen von Frankreich und Schottland. Doch behauptete der alte König die Oberhand, und nachdem er 12. Juli 1174 am Grabe Thomas Beckets Kirchenbuße getan hatte, besiegte er die Aufständischen so vollständig, daß er in dem am 30. Sept. 1174 abgeschlossenen Frieden großmütige Milde zeigen konnte.
Die wiederhergestellte Ruhe benutzte der König zur Durchführung innerer Reformen, von denen die auf der Reichsversammlung zu Northampton (1176) beschlossenen besonders wichtig waren. Ganz England wurde in sechs Gerichtsbezirke geteilt, für die je drei reisende Richter (justices itinerant) bestellt wurden. Das Institut der Geschwornengerichte wurde ausgebildet; am Hofe wurde 1178 oder schon vorher ein ständiges Richterkollegium von fünf Männern eingesetzt, aus dem der erst neuerdings aufgehobene höchste englische Gerichtshof (King's Bench) hervorgegangen ist. Endlich machte auch die Entwickelung einer schon unter Heinrich I. begründeten finanziellen Oberbehörde, der Schatzkammer (Exchequer), erhebliche Fortschritte. Des Königs letzte Jahre waren von neuen Kämpfen erfüllt, die durch die Empörungen seiner von Frankreich unterstützten Söhne hervorgerufen wurden. Heinrich mußte zuletzt einen schimpflichen Frieden mit Frankreich schließen und starb kurz darauf, 6. Juli 1189.
Richard I., Löwenherz (1189–99), sein Nachfolger, hatte von des Vaters Herrschertugenden nur die Tapferkeit geerbt. Während seines mit Philipp August von Frankreich unternommenen Kreuzzuges (s. Kreuzzüge) stürzte sein Bruder Johann den Reichsverweser William Longchamp, Bischof von Ely, verband sich mit Philipp August, der nach seiner Rückkehr aus Palästina Richards französische Besitzungen bedrohte, und suchte sich der Regierungsgewalt ganz zu bemächtigen. Richard war indessen auf der Rückkehr vom Orient in der Nähe von Wien gefangen genommen und durch Herzog Leopold von Österreich an Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst im Februar 1194 gegen hohes Lösegeld freigab. Nach England zurückgekehrt, unterwarf Richard seinen Bruder und besiegte Philipp August bei Gisors (28. Sept. 1198), worauf ein Friede zustande kam, starb aber schon 6. April 1199 an den Folgen einer Wunde, die er bei der Belagerung einer Burg im Limousin erhalten hatte. Ihm folgte sein Bruder Johann, dem sein Vater einst den Beinamen Ohne-Land gegeben hatte (1199–1216); ihn hatte Richard zum Nachfolger ernannt ohne Rücksicht auf die Ansprüche des Sohnes seines ältern Bruders Gottfried, Arturs von der Bretagne. Diese Ansprüche machte Artur mit Hilfe Frankreichs geltend, fiel aber in die Hände seines Oheims und wurde 1203 ermordet. Philipp lud darauf den König Johann nach Paris vor seinen Lehnshof, ließ ihn, als er nicht erschien, verurteilen und eroberte fast alle festländischen Besitzungen Johanns. Bald darauf wurde dessen Lage noch gefährlicher. Nach dem Tode des Erzbischofs Hubert von Canterbury (1205) kam es über die Wahl seines Nachfolgers zu einem Streit mit Papst Innozenz III.; dieser sprach 1208 das Interdikt über England aus und bannte 1209 den König. Johanns Barone, bei denen der unzuverlässige und grausame Fürst allgemein verhaßt war, drohten deshalb abzufallen, und Philipp von Frankreich rüstete 1213 ein Heer, um den Bannstrahl in England zu vollstrecken. Da faßte Johann den verzweifelten Entschluß, sich dem Papst zu unterwerfen. Er legte 15. Mai 1213 die Krone von England und Irland nieder, um sie als päpstliches Lehen gegen eine jährliche Abgabe von 1000 Mark Sterl. zurückzuempfangen. Dieser schmähliche Vertrag brachte ihm allerdings die päpstliche Absolution; aber der Kampf mit Frankreich, in dem Johann sich mit dem deutschen Kaiser Otto IV. verband, dauerte fort, und in der Schlacht bei Bouvines (27. Juli 1214) wurde das vereinigte deutsch-englische Heer entscheidend geschlagen, worauf der König sich zu einem ungünstigen Frieden mit Philipp genötigt sah.
Begründung der englischen Verfassung.
Als Johann nach England zurückkehrte, fand er sein Land in voller Gärung; immer entschiedener verlangten die Barone und großen Kommunen die Anerkennung ihrer alten, vielfach verletzten Rechte. Zuletzt kam es zu offenem Abfall der Barone, mit denen sich die Bürger von London verbanden; Johann mußte 15. Juni 1215 in Runnymede, einer Wiese an der Themse unweit Staines, die Magna Charta unterzeichnen, die das ganze Mittelalter hindurch als eine Zusammenfassung der wichtigsten Gesetze Englands gegolten hat, und auf der z. T. noch heute seine Freiheiten beruhen. Vor allem waren zwei Bestimmungen dieses Gesetzes von Wichtigkeit: die eine (Art. 39) sicherte die Freiheit der Person durch die Anordnung, daß niemand ohne gesetzmäßigen Spruch seiner Standesgenossen verhaftet, zum Verlust seines Eigentums oder zur Verbannung verurteilt werden solle; die andre (Art. 12–14) machte die außerordentliche Besteuerung der Lehnsträger und die Schatzung Londons von der Bewilligung des großen Reichsrates abhängig, zu dem die großen Barone einzeln durch königliches Schreiben (writ), die kleinern insgesamt durch den Sheriff geladen werden sollten. Um die Beobachtung dieser und andrer dem Land zugestandener Rechte zu sichern, ward ein Ausschuß von 25 Baronen eingesetzt.
Johann hatte die Erfüllung seiner Versprechungen beschworen, dachte aber nur an Rache für den erlittenen Schimpf. Er ließ daher durch eine Bulle Innozenz' III. vom 25. Aug. 1215 den Freibrief für ungültig erklären, durchzog plündernd das Land und eroberte Stadt für Stadt, ausgenommen London. Da riefen die Barone französische Hilfe an und boten dem Kronprinzen Ludwig von Frankreich die Krone an. Dieser erschien mit einem Heer und eroberte mit Alexander II. von Schottland den größten Teil von England. Währenddessen starb Johann 19. Okt. 1216. Ihm folgte sein neunjähriger Sohn Heinrich III. (1216–72) unter Vormundschaft des päpstlichen Legaten Guala und des Marschalls Grafen Wilhelm von Pembroke, der die Rechte seines Schützlings kraftvoll verteidigte. Er bestätigte im Namen des Königs die Magna Charta, jedoch mit Übergehung der auf die Steuerbewilligung und die Einsetzung des Ausschusses der Barone bezüglichen Bestimmungen. Allmählich verstärkte sich der Anhang des jungen Königs; Pembroke erfocht 20. Mai 1217 bei Lincoln einen großen Sieg, und die französische Flotte wurde im August bei Dower geschlagen, worauf Ludwig im Frieden von Lambeth 11. Sept. 1217 seine Ansprüche aufgab und G. verließ. Darauf leistete auch der König von Schottland von neuem den Lehnseid. 1227 wurde Heinrich III. für mündig erklärt; seine erneuerten Ansprüche auf Poitou führten 1242 zu einem Krieg mit Frankreich; allein er wurde 22. Juli bei Tailleborc an der Charente geschlagen und mußte im Frieden von Bordeaux 7. April 1243 auf die Länder diesseit der Garonne verzichten.
Die Bedrückung Englands durch die steigenden Anforderungen seines päpstlichen Oberlehnsherrn wurde immer unerträglicher; als »einen Brunnen, der nicht zu erschöpfen sei«, betrachtete Papst Innozenz IV dies Land. Die Unzufriedenheit stieg, als 1255 Heinrich mit dem Papst Alexander IV. einen Vertrag schloß, durch den dieser des Königs Sohn Edmund mit Neapel und Sizilien belehnte, wogegen Heinrich über 135,000 Mark Sterl. nach Rom zu zahlen versprach. Als nun überdies Richard von Cornwall, Heinrichs Bruder, die deutsche Königskrone annahm, was England mit neuen Opfern bezahlen mußte, und als 1258 infolge einer Mißernte Hungersnot drohte, brach der Sturm der Entrüstung los. Das Parlament zu Oxford, das man später das »wahnsinnige« (the mad parliament) genannt hat, zwang im Juni d. J. dem König die Einsetzung eines Regierungsausschusses von 15 Personen auf, in dem die Gegner des Königs die Mehrheit hatten und durch den eine Reihe von Bestimmungen getroffen wurden (die sogen. Provisionen von Oxford), deren Ziel es war, die monarchische Regierung durch eine aristokratisch-landständische zu ersetzen. Die hohen Kronbeamten, Großrichter, Kanzler, Schatzmeister, sollten jährlich im Parlament ernannt werden; wenigstens dreimal im Jahr sollte ein Parlament stattfinden und darin der Regierungsausschuß mit zwölf von den Baronen gewählten Vertretern die öffentlichen Angelegenheiten ordnen.
Einige Jahre hindurch führten diese landständischen Vertreter in der Tat die Regierung. Als Heinrich aber der Unterstützung des Papstes und Frankreichs sicher zu sein glaubte, versuchte er, die verlorne Gewalt wiederzugewinnen, und es kam zu offenem Kampf zwischen ihm und den Baronen, deren Führer der hochbegabte Simon von Montfort, Graf von Leicester, war. Dieser errang in der Schlacht bei Lewes (14. Mai 1264) einen vollständigen Sieg, und Heinrich sowie sein Bruder Richard wurden gefangen genommen. Da nun aber die Königin Eleonore in Frankreich und den Niederlanden alles aufbot, um ihren Gemahl zu befreien, mochte Leicester empfinden, daß er, um sich zu behaupten, der Unterstützung des ganzen Volkes bedürfe; so faßte er einen Beschluß, der für die Entwickelung der englischen Verfassung von entscheidender Bedeutung geworden ist. Noch im Dezember berief er ein Parlament, zu dem nicht nur die Barone gehören, sondern auch aus jeder Grafschaft zwei Ritter, aus einer Anzahl von Städten und Flecken je zwei Bürger entsandt werden sollten. Der 20. Januar 1265, an dem dies Parlament zusammentrat, ist mit Recht als der Geburtstag des englischen Unterhauses bezeichnet worden. Trotzdem vermochte Leicester sich nicht zu halten. Einer seiner Bundesgenossen, der Graf Gilbert von Gloucester, verband sich mit Heinrichs Sohn Eduard, und mit seiner Hilfe erkämpfte der Prinz bei Evesham (4. Aug. 1265), wo Leicester fiel, die Freiheit seines Vaters.
Nachdem im Verlauf der nächsten Jahre die Ruhe hergestellt war und Heinrich die Magna Charta von neuem anerkannt hatte, konnte Eduard 1270 eine Kreuzfahrt antreten; noch vor seiner Rückkehr starb Heinrich III. 16. Nov. 1272. Sein Sohn Eduard (IV. oder, als der erste dieses Namens aus dem Haus Anjou, I., 1272–1307) setzte sich das Ziel, die ganze Insel G. unter seinem Zepter zu vereinigen. Wales hatte bis dahin trotz aller Angriffe seine Unabhängigkeit im wesentlichen behauptet; 11. Dez. 1282 aber ward sein Fürst Llewellyn in der Nähe von Carmarthen überwältigt und fiel im Kampf. Als dann 1283 auch Llewellyns Bruder David gefangen und hingerichtet worden, war die Unterwerfung des Landes vollendet; indem Eduard 1284 seinen ältesten, zu Carnarvon gebornen Sohn zum Prinzen von Wales erhob, gab er den Wallisern einen »eingebornen« Fürsten und vollzog zugleich die Vereinigung des Fürstentums mit der englischen Krone. Später versuchte Eduard, auch Schottland zu unterwerfen. Nach dem Aussterben des schottischen Königshauses ließ er sich von John Baliol, dem er die Krone zuerkannte, als Oberlehnsherrn anerkennen (20. Nov. 1292), sah sich aber später genötigt, seine Rechte mit Waffengewalt geltend zu machen. Bei Dunbar (27. April 1296) errang Eduard einen vollständigen Sieg, Baliol ward entsetzt; Schottland schien unterworfen, aber bald brach ein neuer Aufstand unter William Wallace aus, und das englische Heer ward 11. Sept. 1297 bei Stirling geschlagen. Zwar gelang es 1305, Wallace gefangen zu nehmen, der am 23. Ang. hingerichtet wurde, aber schon im folgenden Jahr rief Robert Bruce Schottland von neuem unter die Waffen und ward zum König gekrönt. Eduard starb während der Kriegsrüstung gegen ihn 7. Juli 1307.
Die fortwährenden Kämpfe Eduards blieben nicht ohne Rückwirkung auf die Verfassung des Landes. Wenn er oft genug Steuern ohne Zustimmung der Gemeinen ausschrieb, so ließ er doch anderseits häufig und seit 1295 fast jährlich auch die Vertreter der Grafschaften und Städte zusammentreten, um sich Abgaben bewilligen zu lassen oder ihren Rat zu hören. Ein Gesetz von 1297 bestimmte, daß neue Steuern und Zölle nicht ohne Bewilligung der Barone (ob auch der Gemeinen, ist zweifelhaft) erhoben werden sollten. Die Anmaßungen des Papstes Bonifatius VIII., der ihm den Krieg gegen Schottland untersagte, wies Eduard mit Zustimmung der Stände entschieden zurück. Ebenso vertrat er dem Papst gegenüber die Statuten, die er zur Einschränkung der Grundbesitzerwerbungen der Toten Hand (d. h. geistlicher Korporationen) erlassen hatte.
Sein Sohn und Nachfolger Eduard II. (1307–1327), ein schwacher, genußsüchtiger Fürst, räumte seinem Günstling, dem Gascogner Piers de Gaveston, allzu großen Einfluß auf die Regierung ein. Darüber erbittert, nötigten die Barone 1310 auf dem Parlament zu Westminster den König, in die Einsetzung eines Ausschusses von 21 Großen (den sogen. Ordainers) zu willigen. Die von diesen 1311 erlassene Akte untersagte dem König, ohne Zustimmung der Barone Krieg zu führen, das Land zu verlassen oder hohe Staatsämter zu vergeben, und bestimmte, daß jährlich mindestens einmal ein Parlament zusammentreten sollte; Gaveston wurde 1312 enthauptet. Indessen machte Robert Bruce in Schottland immer weitere Fortschritte; er besiegte Eduard 24. Juni 1314 bei Bannockburn, und erst 1323 kam ein 13jähriger Waffenstillstand mit ihm zustande. Bald brachen neue Kämpfe zwischen dem König, der sich den Satzungen der Ordainers nicht fügen wollte, und dessen Günstlinge jetzt die beiden Hugh d'Espencer (Spenser), Vater und Sohn, waren, und den Baronen aus, deren Führer Thomas, Graf von Lancaster, war. Nachdem dieser 1322 bei Boroughbridge gefangen und enthauptet war, wurden die Festsetzungen der Ordainers widerrufen und bestimmt, daß in Zukunft nur das Gesetzeskraft haben sollte, was der König selbst mit Zustimmung der zum Parlament versammelten Stände des Landes verfügen würde. In diesem Statut von 1322 tritt zuerst der Gedanke der konstitutionellen Regierung deutlich zum Vorschein. Aber der König kam trotzdem nicht zur Ruhe. Seine Gemahlin Isabella, Schwester Karls IV. von Frankreich, verließ ihn, um sich in Paris mit ihrem Liebhaber, Lord Mortimer, zu vereinigen, die Barone der Lancasterschen Partei verbanden sich mit ihr, als sie nach England zurückkehrte; die d'Espencers wurden hingerichtet, Eduard selbst gefangen, zur Abdankung genötigt und im Gefängnis zu Berkeley ermordet.
Eduard II. und seine nächsten Nachfolger.
Unter Eduard III. (1327–77), seinem Sohn und Nachfolger, ward Schottland, wo David dem Sohn des 1329 gestorbenen Robert Bruce, John Baliols Sohn, Eduard, die Krone streitig machte, durch die Schlacht von Halidon 19. Juli 1333 genötigt, die englische Oberhoheit wieder anzuerkennen, und ein Versuch, die Unabhängigkeit wiederzugewinnen, scheiterte 1346 durch die Schlacht bei Neville's Croß. Schon vorher war der Krieg mit Frankreich ausgebrochen. Nachdem 1328 die gerade Linie der Kapetinger in Frankreich ausgestorben war, erhob Eduard III. Erbansprüche auf Grund des Rechtes seiner Mutter Isabella und machte Philipp VI. von Valois seit 1338 die Krone streitig. Er hatte anfangs glänzenden Erfolg: Philipp erlitt bei Crécy 26.–27. Juli 1346 eine entscheidende Niederlage; ja, des Königs berühmter Sohn Eduard (der Schwarze Prinz) nahm in der siegreichen Schlacht bei Poitiers 19. Sept. 1356 sogar Philipps Nachfolger, den König Johann II., gefangen, und der Friede zu Bretigny (8. Mai 1360), durch den Eduard Poitou, Guienne und Gascogne sowie die Städte Calais und Guines als souveränen Besitz erhielt, begründete die Macht der englischen Könige in Frankreich aufs neue. Doch brach der Krieg 1369 wieder aus, und die Engländer verloren allmählich ihre festländischen Besitzungen wieder, mit Ausnahme der Hafenstädte Guines und Calais. Sehr wichtig war Eduards Regierung für die Entwickelung der parlamentarischen Verfassung. Unter ihm bildete sich allmählich die Scheidung des Parlaments in Oberhaus (Prälaten und Barone) und Unterhaus (Haus der Gemeinen, Ritter der Grafschaften und Bürger der Städte) aus. Das Recht des Parlaments in bezug auf Steuerbewilligung und Gesetzgebung wurde anerkannt, und unter Eduard III. machte es 1376 auch den ersten Versuch einer Anklage (impeachment) gegen die Lords Latimer und Lyons.
Eduard starb 21. Juni 1377. Ihm folgte sein Enkel, der Sohn des Schwarzen Prinzen, Richard II. (1377–99), während dessen Minderjährigkeit Unruhen im Innern herrschten und die auswärtigen Kämpfe unglücklich verliefen. 1381 brach infolge einer neuen Kopfsteuer ein Aufruhr der niedern Schichten der Bevölkerung unter Wat Tyler (s. d.) aus, der indessen durch den Mut des Königs und die Tapferkeit der Londoner niedergeschlagen wurde. Während der Krieg mit Frankreich und Schottland fortdauerte, kam es auch im Innern zu neuen Kämpfen. Richard entzweite sich mit seinen Oheimen, den Herzogen von Lancaster, York und Gloucester; letzterer zwang den König 1386, seine Günstlinge zu entfernen und sich einem neuen Regentschaftsrat zu fügen. Erst 1389 übernahm Richard wieder die Regierung, und 1397 führte er einen unerwarteten Staatsstreich aus. Er ließ seine Hauptgegner gefangen nehmen, den Erzbischof von Canterbury und dessen Bruder, den Grafen von Warwick, verbannen, einen andern Bruder, den Grafen von Arundel, enthaupten; Gloucester wurde im Gefängnis ermordet. Richard war nun im Vollbesitz der Macht; als er aber 1399 nach dem Tode des Herzogs von Lancaster dessen Güter einzog, unternahm der Sohn und Erbe Lancasters, der Herzog Heinrich von Hereford, der als Verbannter in Paris lebte, während Richard auf einem Feldzug in Irland begriffen war, eine Landung in Yorkshire. Der Regent des Reiches, der Herzog von York, schlug sich zu seiner Partei; Richard wurde gefangen genommen, zur Abdankung gezwungen und darauf noch durch das Parlament abgesetzt. Der Herzog von Hereford als nächstberechtigter Enkel Eduards III. und erster Lancaster bestieg nunmehr den Thron unter dem Namen Heinrich IV.; Richard starb in dem Schloß Pontefract 1400 eines gewaltsamen Todes.
In diesen Zeiten war das Haus der Gemeinen zu immer steigender Bedeutung gelangt. Aus seinem Petitions- und Steuerbewilligungsrecht erwuchsen ihm alle andern Rechte, die es nach und nach errang. Vielfach ging schon damals die Initiative zu wichtigern Akten von ihm aus, und unter Richard II. erhielt es das Zugeständnis, daß »bei Feststellung der Gesetze, der Geldbewilligungen und aller sonstigen Dinge für den gemeinen Nutzen des Königreichs seine Zustimmung erforderlich sei«. Unter ihm wurde auch das Anklagerecht des Unterhauses in zahlreichen Fällen gegen hohe Staatsbeamte und mächtige Lords ausgeübt; das Urteil wurde dann von dem Oberhaus gesprochen.
Herrschaft des Hauses Lancaster.
Mit Heinrich IV. (1399–1413) kam das Haus Lancaster auf den Thron. Auch er hatte mit vielen Verschwörungen zu kämpfen; der Graf von Northumberland und sein Sohn Heinrich Percy, genannt Hotspur (»Heißsporn«), empörten sich gegen ihn, wurden aber in der Schlacht bei Shrewsbury 21. Juli 1403, in der Percy fiel, geschlagen. Northumberland ergab sich 1404, wurde begnadigt, erhob sich aber 1405 aufs neue in Verbindung mit dem Erzbischof von York und dem seit 1400 im Aufstand begriffenen Owen Glendower, der Titel und Herrschaft der alten Fürsten von Wales beanspruchte. Obwohl Frankreich und Schottland die Empörer unterstützten, behauptete sich Heinrich, ließ 1405 den Erzbischof hinrichten, zwang Northumberland zur Flucht, nahm den Thronfolger von Schottland, den Prinzen Jakob, gefangen und verband sich gegen Frankreich mit dem Herzog von Burgund. Als Northumberland 1408 wieder in England einfiel, verlor er 19. Febr. bei Bramham Schlacht und Leben. Im Innern bekämpfte Heinrich IV. mit dem orthodoxen Klerus die Anhänger Wiclefs, die Lollarden (s. d.); unter ihm flammten die ersten Scheiterhaufen in England. Auch mit dem Parlament stand der König in gutem Einvernehmen, er räumte sogar 1404 den Gemeinen eine Kontrolle über die Verwendung der bewilligten Steuern ein und verstand sich 1407 dazu, ihnen Rechnung darüber legen zu lassen. Er starb 20. März 1413.
Sein Nachfolger Heinrich V. (1413–22) erneuerte die Ansprüche Eduards III. auf den französischen Thron, verband sich mit dem Herzog von Burgund, landete im August 1415 in der Normandie, siegte 25. Okt. bei Azincourt, eroberte 1419 Rouen und schloß 21. Mai 1420 mit Karl VI. den Frieden zu Troyes, durch den er als Erbe der französischen Krone anerkannt wurde, worauf er sich mit Katharina, der Tochter Karls VI., vermählte. 1422 eroberte er noch Meaux, starb aber bald darauf, 31. Aug. 1422.
Heinrich VI. (1422–61), sein Sohn, ward, neun Monate alt, König von England und, da Karl VI. bald darauf starb, auch von Frankreich. Hier führte sein Oheim, der Herzog von Bedford, in England dessen Bruder, der Herzog von Gloucester, die Regentschaft. Bedford besiegte den französischen Thronerben, Karl VII., 1424 bei Verneuil, überschritt 1423 die Loire und ließ Orléans belagern. Da wandte sich nach dem Auftreten der Jungfrau von Orléans, Jeanne d'Arc (s. d.), das Geschick. Diese befreite 1429 Orléans und führte den Dauphin nach Reims, wo er 17. Juli gekrönt wurde. Zwar ward die Jungfrau 23. Mai 1430 bei Compiegne gefangen genommen und 30. Mai 1431 zu Rouen verbrannt, und Bedford ließ den jungen Heinrich VI. im Dezember zu Paris krönen; aber die englische Sache stand darum nicht besser, und nachdem 1435 Karl VII. sich mit dem Herzog Philipp von Burgund versöhnt hatte und Bedford in demselben Jahr gestorben war, verloren die Engländer mehr und mehr an Boden. Der Erzieher Heinrichs VI., der Kardinal von Winchester, schloß 1444 einen Waffenstillstand mit Frankreich und vermählte den König mit Margarete von Anjou, der Tochter des Titularkönigs René von Neapel, Sizilien und Jerusalem. Die junge Königin bemächtigte sich bald der Zügel der Regierung und erhob William de la Pole, Marquis von Suffolk, der ihre Heirat vermittelt hatte, zum Herzog und zum allgebietenden Günstling. Da nun fast alle englischen Besitzungen in Frankreich verloren gingen und auch in England die Gewaltherrschaft Suffolks Unzufriedenheit erregte, ward dieser 1450 durch die Gemeinen des Hochverrats angeklagt, des Landes verwiesen und von den Flottenmannschaften auf der Überfahrt nach Frankreich enthauptet, worauf der Herzog von Somerset, der bis dahin in Frankreich kommandiert hatte, in der Gunst des Königs und seiner Gemahlin sein Nachfolger ward.
Kampf der beiden Rosen; Haus York.
Als die Unzufriedenheit mit Heinrichs Herrschaft wuchs, erhob sich Richard, Herzog von York, wie Heinrich VI. ein Nachkomme Eduards III., gegen ihn und eröffnete so 1452 den 30jährigen Thronstreit zwischen den beiden Häusern Lancaster und York, den sogen. Kampf der Roten und der Weißen Rose (wegen der Feldzeichen der beiden Häuser so genannt), währenddessen 1453 der Krieg mit Frankreich, wo die Engländer nur Calais behielten, ohne förmlichen Friedensschluß endete. Nach manchen Wechselfällen kam es bei St. Albans (21. Mai 1455) zur Schlacht zwischen Richard und dem König, in der Heinrich gefangen genommen wurde und Somerset fiel. Richard behandelte den König achtungsvoll und gab ihm sogar 1456 die Regierung zurück. Aber schon 1459 brachen neue Feindseligkeiten aus, und die Königlichen trugen 12. Okt. 1459 bei Ludlow einen Sieg über Richard davon. Richards Anhänger, der Graf von Warwick, entkam jedoch nach Calais, setzte mit andern Yorkisten nach England über und schlug das königliche Heer bei Northampton (10. Juli 1460); der König wurde abermals gefangen, und York erhob nun öffentlich Anspruch auf die englische Krone. Das Parlament entschied 25. Okt. 1460, daß Heinrich zwar die Krone behalten, York aber sein Nachfolger sein solle. Die Königin setzte jedoch den Kampf fort und errang 30. Dez. 1460 bei Wakefield einen glänzenden Sieg; Richard wurde gefangen genommen und hingerichtet. Seine Ansprüche erbte sein Sohn Eduard, Graf von March, der sich, obwohl Margarete durch die zweite Schlacht von St. Albans (17. Febr. 1461) ihren Gemahl befreit hatte, in London behauptete und 2. März 1461 unter dem Namen Eduard IV. (1461–83) zum König ausrufen ließ.
Mit ihm kam das Haus York auf den Thron. Eduard besiegte in der Schlacht bei Towton (28. März 1461) die mutige Margarete, die nach Frankreich floh, zwar im Oktober 1462 nochmals zurückkehrte, aber durch Warwick von neuem zur Flucht genötigt ward. Den letzten Versuch der Anhänger des Hauses Lancaster, Heinrich VI. wieder auf den Thron zu setzen, vereitelte Lord Montague durch die Schlachten bei Hedgley Moor und Hexham (25. April und 8. Mai 1464). Bald darauf wurde König Heinrich VI. gefangen genommen und mußte bis 1470 im Tower schmachten. Eduard, der sich besonders auf die Gemeinen stützte, vermählte sich 1465 mit Lady Elisabeth Wydewille, der Witwe Sir John Greys, geriet aber durch die Begünstigung der Verwandten seiner Gemahlin mit der mächtigen Familie Nevil, der Warwick, der »Königsmacher«, angehörte, in Zwist. Warwick emporte sich 1469, wurde zwar zur Flucht nach Frankreich genötigt, versöhnte sich aber hier mit der Königin Margarete, kehrte an der Spitze eines Heeres zurück und erhob 1470 Heinrich VI. von neuem auf den Thron. Eduard IV. floh nach Holland, kam aber mit burgundischer Unterstützung zurück, siegte bei Barnet über Warwick, der im Kampfe fiel (14. April 1471), und nahm Heinrich VI. abermals gefangen. Auch Margarete, die von neuem mit einem Heer gelandet, ward bei Tewksbury (4. Mai 1471) geschlagen, mit ihrem Sohn gefangen und letzterer sogleich erschlagen. Unter den Anhängern der Roten Rose ließ der König ein furchtbares Blutbad anrichten. Heinrich VI. starb 21. Mai 1471 im Tower, nach späterm Gerücht durch Eduards IV. Bruder, den Herzog Richard von Gloucester, ermordet.
Als Eduard IV. 9. April 1483 gestorben war, bemächtigte sich Richard von Gloucester des zwölfjährigen Prinzen von Wales und ließ ihn als Eduard V. zum König ausrufen, sich selbst aber zum Protektor des Reiches ernennen. Dann brachte er auch den zweiten Sohn Eduards IV., den neunjährigen Herzog Richard von York, in seine Gewalt und setzte ihn zu seinem Bruder in den Tower. Demnächst verdächtigte er, nachdem die mächtigsten Anhänger der Königin Elisabeth hingerichtet waren, die Rechtsgültigkeit ihrer Ehe mit Eduard IV. und demgemäß die legitime Geburt ihrer Söhne und bewirkte, daß ihm, als dem allein berechtigten Thronerben, eine Anzahl von Londoner Bürgern und Mitgliedern des Parlaments die Krone anboten; er nahm sie an und wurde 26. Juni 1483 als Richard III. (1483–85) zum König ausgerufen. Die beiden Prinzen wurden im Sommer oder Herbst 1483 im Tower ermordet. Allein, vergebens versuchte Richard durch Furcht und Schrecken seine Herrschaft zu befestigen. Eine Erhebung des Herzogs von Buckingham, der Richard bei seiner Usurpation unterstützt hatte, wurde zwar niedergeworfen und der Herzog 2. Nov. 1483 enthauptet. Aber im Sommer 1485 landete Heinrich Tudor, Graf von Richmond, der mütterlicherseits vom Hause Lancaster abstammte, in England, zog eine Menge Unzufriedener an sich und erfocht bei Bosworth (22. Aug.) einen vollständigen Sieg über Richard III., der, von seinen Anhängern verlassen, nach tapferm Kampfe fiel. Damit endete der Krieg zwischen der Roten und Weißen Rose, und mit Heinrich pou Richmond, als König Heinrich VII., bestieg das Haus Tudor (s. d.) den Thron von England.
Wenn auch in diesen Kämpfen das englische Parlament keine entscheidende Rolle gespielt hatte, so hatten seine Befugnisse doch keine Minderung erfahren. Zweimal saßen Ober- und Unterhaus zu Gericht über die Könige. Das Steuerbewilligungsrecht der Gemeinen und ihr Anteil an der Gesetzgebung waren unantastbar geworden. Die Redefreiheit der Mitglieder des Unterhauses war anerkannt, und sie beanspruchten das Privilegium, während der Dauer des Parlaments gegen alle gerichtlichen Verfolgungen geschützt zu sein. Unter Heinrich VI. ward eine feste Wahlordnung durchgeführt, indem das Wahlrecht auf solche Freeholders beschränkt ward, die jährlich ein reines Einkommen von wenigstens 40 Schilling hatten. Hierdurch wurde das Unterhaus die Vertretung eines von den untersten Klassen sich abhebenden Mittelstandes (Gentry), während die alte Aristokratie in den blutigen Kriegen der Rosen sehr zusammengeschmolzen war.
England unter dem Haus Tudor (1485–1603).
Heinrich VII. (1485–1509) war ein kluger Herrscher und ein guter Haushalter. Er ließ durch das Parlament sein und seiner Nachkommen Erbrecht anerkennen und vermählte sich 18. Jan. 1486 mit der Prinzessin Elisabeth, der ältesten Tochter Eduards IV. und Erbin des Hauses York, wodurch die Rote und die Weiße Rose vereinigt wurden. Lambert Simnel, der sich für den im Tower gefangenen Grafen Eduard von Warwick, den Sohn Georgs von Clarence, ausgab und in Dublin als Eduard VI. zum König gekrönt wurde, nahm er 1487 gefangen; Perkin Warbeck, ein andrer Betrüger, der als Richard, Herzog von York, auftrat und seit 1495 in England, Schottland und Irland sein Glück versuchte, geriet ebenfalls in Gefangenschaft und wurde 1499 mit dem echten Warwick, den er im Tower zu einem Fluchtversuch verleitet hatte, hingerichtet. Mit Frankreich seit 1488 gespannt, landete Heinrich 1492 auf französischem Boden, schloß aber schon 3. Nov. den Frieden zu Etaples und kehrte gegen große Geldzahlungen heim. Seine strengen Maßregeln gegen die störrische Aristokratie füllten den Königsschatz und verminderten die Lasten des Volkes. Er setzte eine Kommission ein, um die Krongüter zurückzufordern, die sich die Großen in Zeiten der Unordnung ohne Rechtstitel angemaßt hatten. Die Gerichtsbarkeit des Geheimen Rates in der Sternkammer dehnte er auf alle Verbrechen gegen den Staat aus und unterwarf ihr auch den Adel. So entstand ein Staatsgerichtshof ohne Geschworne, ohne Appellation, den Mächtigen furchtbar und deshalb lange Zeit sehr populär. Heinrichs finanzielle Verwaltung war oft drückend und lästig, dafür aber begünstigte er Handel und Industrie, die unter ihm mächtig emporblühten. Das Volk hatte Grund, mit ihm zufrieden zu sein, und nannte ihn den »König der armen Leute«; England genoß seit langer Zeit zum erstenmal die Segnungen des Friedens. Bei seinem Tode, 21. April 1509, hinterließ Heinrich VII. einen reich gefüllten Schatz.
Für die auswärtige Politik seines Sohnes und Nachfolgers Heinrich VIII. (1509–47) war seine Vermählung mit Katharina, Tochter Ferdinands von Aragonien, entscheidend. Im Bunde mit seinem Schwiegervater beteiligte er sich am Kriege gegen Ludwig XII. von Frankreich und gewann mit seinem Verbündeten, dem Kaiser Maximilian, die »Sporenschlacht« bei Terouanne am Hügel Guinegate (17. Aug. 1513), schloß aber schon 1514 Frieden. König Jakob IV. von Schottland, der den Franzosen zu Hilfe kommen wollte, verlor bei Flodden 9. Sept. 1513 Schlacht und Leben. Der hauptsächlichste Leiter von Heinrichs Politik in diesen Jahren war der Erzbischof von York, Thomas Wolsey (s. d.), dessen Ehrgeiz nach der päpstlichen Tiara trachtete. Dieser brachte, in der Hoffnung, hierin von Kaiser Karl V. unterstützt zu werden, ein Bündnis zwischen Karl und Heinrich VIII. zustande, vermöge dessen Heinrich an dem Kriege gegen Franz I. von Frankreich teilnahm; doch mißlangen seine beiden Einfälle in die Picardie (1522 und 1523), schon 1525 wurde der Friede mit Frankreich geschlossen, und im nächsten Jahre trat Heinrich völlig zu den Gegnern des Kaisers über.
Der politische Gegensatz zwischen Heinrich und Karl wurde durch persönliche Motive verschärft. König Heinrich, von glühender Liebe zu einer Hofdame seiner Gemahlin, der schönen Anna Bullen (Boleyn, s. Anna 1), ergriffen, die sich weigerte, seine Buhlerin zu werden, ging damit um, seine Ehe mit Katharina von Aragonien, der Tante des Kaisers, zu lösen, zumal aus dieser Ehe nur eine Tochter, Maria, lebte, und so auch Befürchtungen wegen der Erbfolge gehegt werden mochten. Als Vorwand dafür ward die erste Heirat Katharinas mit Heinrichs Bruder Artur angeführt; eine Ehe mit der Witwe des Bruders galt nach der Schrift als verboten. Diese rein persönliche Angelegenheit des Königs hatte die wichtigsten Folgen für das Reich. Clemens VII., dessen Vorgänger Leo X. Heinrich wegen seiner gegen Luther gerichteten Schrift »Assertio septem sacramentorum« den Titel »Beschützer des Glaubens« (»Defensor fidei«) gegeben hatte, lehnte es aus Rücksicht auf Karl V. ab, die Ehe Heinrichs für nichtig zu erklären. Nun ward Wolsey, der die Verhandlungen geführt halte, gestürzt, und Heinrich entschloß sich, mit dem Papst zu brechen. Nachdem er 1532 von der Geistlichkeit als das oberste Haupt der englischen Kirche anerkannt war und sich 25. Jan. 1533 heimlich mit Anna Bullen vermählt hatte, sprach 1533 eine Parlamentsakte die Trennung der englischen Kirche von Rom aus, indem sie alle Appellationen an den Papst verbot und die Entscheidung aller kirchlichen Streitigkeiten in G. geistlichen Richtern unter der Autorität des Königs übertrug. Darauf löste der Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, im geistlichen Gericht Heinrichs Ehe mit Katharina auf. Als nun der Papst gegen ihn einschritt, übertrug der König 1534 die bisher nach Rom gezahlten Annaten auf die Krone, schaffte den Peterspfennig ab, regelte das Verfahren bei den Bischofswahlen unabhängig von Rom und vollendete sein Werk durch die Erklärung der königlichen Suprematie, indem er sich vom Parlament als »oberstes Haupt der Kirche von England auf Erden unmittelbar unter Gott« anerkennen ließ. Seit 1534 wurden auch die englischen Klöster aufgehoben und ihre Güter eingezogen. Über diese Änderungen der Kirchenverfassung wollte aber Heinrich nicht hinausgehen; die Glaubenslehren der katholischen Kirche versuchte er festzuhalten; seine 1539 verkündeten sechs Artikel verboten Priesterehe und Laienkelch und schärften die Lehre von der Transsubstantiation, die Feier der Messe und die Ohrenbeichte ein. Alle diese Maßregeln stießen beim Parlament auf keinen Widerstand, und in der Unterwürfigkeit gegen den König überboten sich Lords und Gemeinen, erstere, um von der reichen Beute der Kirchengüter ihren Teil zu empfangen, letztere, weil durch die treffliche Verwaltung Heinrichs Handel und Industrie einen lebhaften Aufschwung nahmen. Heinrichs Ungebundenheit zeigte sich auch in seinen Privatverhältnissen: auf Anna Bullen, die nach kurzem Glück 1536 auf dem Schafott endete, folgten noch vier andre Gemahlinnen: Johanna Seymour (gest. 1537), Anna von Kleve (geschieden 1540), Katharina Howard (hingerichtet 1542) und Katharina Parr, die den Gatten überlebte. 1542 begann Heinrich einen Krieg mit Schottland, der erfolglos verlief. Später verbündete er sich noch einmal mit Karl V. gegen Frankreich und nahm 1544 Boulogne, das noch einige Jahre nach dem 1546 geschlossenen Frieden in englischem Pfandbesitz blieb.
Heinrich starb 28. Jan. 1547. Ihm folgte sein neunjähriger Sohn aus der Ehe mit Johanna Seymour, Eduard VI. (1547–53), unter der Vormundschaft seines mütterlichen Oheims, des Protektors Eduard Seymour, Herzogs von Somerset. Nun erst wurde unter Leitung Cranmers eine wirkliche Reformation der englischen Kirche auch in Sachen des Glaubens und der Lehre durchgeführt. Die sechs Artikel wurden zurückgenommen, Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt beschlossen, eine neue Liturgie und ein allgemeines Gebetbuch (das Common Prayer Book) eingeführt, die Priesterehe gestattet: in 42 von Cranmer ausgearbeiteten Artikeln wurden diese Neuerungen zusammengefaßt (1552). Ungeachtet der milden Regierung des Protektors ward dieser, als infolge der durch die Einziehung des Kirchenguts hervorgerufenen Veränderungen in den Verhältnissen des Grundbesitzes und der gewaltsamen Durchführung der religiösen Reform Wirren im Land ausbrachen, 1549 von John Dudley, Grafen von Warwick, später Herzog von Northumberland, gestürzt und, als er seine Wiederherstellung versuchte, 1552 hingerichtet. Northumberland überredete den König, seine Schwestern Maria und Elisabeth von der Thronfolge auszuschließen und eine Seitenverwandte, Johanna Gray, Großnichte Heinrichs VIII., die Schwiegertochter Northumberlands und eine eifrige Protestantin, zur Nachfolgerin zu erklären. Als Eduard VI. 6. Juli 1553 starb, wurde demnach die Thronbesteigung Johannas verkündet; aber gegen sie machte Maria die Katholische (1553–58), die Tochter Heinrichs VIII. von Katharina von Aragonien, ihr Erbrecht geltend, wurde als Königin anerkannt und ließ Northumberland sofort, Johanna 1554 hinrichten. Maria begann sogleich eine kirchliche Reaktion, die nach ihrer Vermählung mit Karls V. Sohn Philipp (nachmals König Philipp II. von Spanien) in förmliche Verfolgung der Protestanten ausartete. 1554 wurde auf Beschluß des auch jetzt gefügigen Parlaments die englische Kirche dem Papst wieder unterworfen; die alten Statuten gegen die Ketzer wurden erneuert; die Zahl der Verbrannten hat man auf 277 berechnet, darunter Erzbischof Cranmer und mehrere Bischöfe. »Die Blutige« hat man Maria wegen dieser Verfolgungen genannt. Durch ihren Gemahl wurde die Königin 1557 zum Kriege gegen Frankreich veranlaßt; dadurch ging 1558 Calais, die letzte englische Besitzung auf französischem Boden, verloren. Der Gram hierüber beschleunigte Marias Tod (17. Nov. 1558).
Unter der Regierung ihrer Stiefschwester, der protestantischen Elisabeth (1558–1603), der Tochter Heinrichs VIII. aus seiner Ehe mit Anna Bullen, ward der kirchliche Zustand des Landes im wesentlichen so wiederhergestellt, wie er unter Eduard VI. gewesen. Sie forderte von der Geistlichkeit, den Beamten und Parlamentsmitgliedern den Supremateid, d. h. die eidliche Anerkennung ihrer kirchlichen Suprematie, und entfernte alle Widerspenstigen aus ihren Ämtern. Mit gleicher Strenge verfuhr sie gegen die Nonkonformisten, welche die vom Parlament bestätigten 39 Artikel, eine revidierte Erneuerung der 42 Artikel Cranmers, nicht anerkannten. Die Rechte des Parlaments blieben formell unangetastet, aber seine Bedeutung war geringer als unter den Lancasters, zumal die strengste Sparsamkeit im Staatshaushalt Elisabeth hinsichtlich der Finanzen vom Parlament unabhängig machte. Auch die Rechtspflege stand unter dem maßgebenden Einfluß der Regierung. Die Sternkammer dehnte ihre Gewalt über alles aus, was nicht gerade ins bürgerliche Recht einschlug; die »hohe Kommission« richtete mit umfassender Kompetenz über kirchliche Vergehen. Dessenungeachtet war Elisabeths Regierung populär, da unter ihr die materielle Wohlfahrt einen bedeutenden Aufschwung nahm und Ackerbau, Handwerk und Industrie zu hoher Blüte gediehen. Der auswärtige Handel entfaltete sich mit der Schiffahrt; neben dem lebhaftesten Verkehr mit Rußland begannen die Verbindungen mit der Levante und mit Ostindien. 1600 erteilte die Königin der Ostindischen Kompanie den ersten Freibrief. Auch in Nordamerika wurde unter ihr die erste Niederlassung gegründet und zu Ehren der »jungfräulichen Königin« Virginia benannt. Endlich entfaltete die Nation in Wissenschaft und Kunst ungeahnte und geniale Kräfte. Die auswärtige Politik Elisabeths wurde durch die Notwendigkeit, ihr Thronrecht zu verteidigen, bestimmt. Die Königin Maria Stuart (s. d.) von Schottland erhob auf den Titel einer Königin von England und Irland Anspruch, und dieser wurde von den zahlreichen Katholiken in G. sowie von Spanien unterstützt. Als sich Maria, aus Schottland vertrieben, unter Elisabeths Schutz flüchtete, ließ diese sie gefangen setzen und, da ihr Aufenthalt in England zu wiederholten Verschwörungen führte, 1587 hinrichten. Um Spanien zu schwächen, unterstützte Elisabeth den niederländischen Aufstand. Der Erfolg, den England 1588 mit der Zerstörung der spanischen Armada durch die neugeschaffene englische Flotte errang, steigerte das Selbstvertrauen der Nation außerordentlich. Elisabeth, die letzte aus dem Hause Tudor, starb 3. April 1603. Sie hatte den Urenkel Heinrichs VII., Jakob VI. von Schottland, den Sohn der Maria Stuart, als ihren Nachfolger anerkannt.
England unter dem Hause Stuart.
Mit Jakob I. (1603–25) kam das Haus Stuart (1603–1714) auf den Thron Englands, dessen Verschmelzung mit Schottland zu einem Staatswesen das englische Parlament 1604 ablehnte, so daß beide Neiche nur durch Personalunion verbunden blieben. Jakob I. war ein pedantischer Gelehrter mit stark ausgeprägten theologischen Neigungen, besaß hohe Begriffe von den königlichen Prärogativen und war ein entschiedener Anhänger der bischöflichen Kirchenverfassung, die er auch in Schottland eingeführt hatte; er verfolgte die Puritaner (s. d.) und die Geistlichen, die den Supremateid nicht leisten wollten. Die Folge eines vereitelten Komplotts, der von Guy Fawkes und andern katholischen Fanatikern angezettelten sogen. Pulververschwörung (s. d.), war eine Verschärfung der Gesetze gegen die Katholiken, indem man einen zweiten religiosen Treueid (Oath of allegiance) einführte, den jeder Geistliche und seit 1610 auch jeder weltliche Beamte schwören mußte. Die Katholiken wurden dadurch von allen Staatsämtern ausgeschlossen, da ihnen der Papst verbot, den Eid zu leisten. Ernste Zerwürfnisse zwischen König und Parlament traten 1610 ein. Jakob, dessen Prachtliebe großer Summen bedurfte, verlangte Geld; die Gemeinen wollten dies nicht eher bewilligen, als bis die Beschwerden des Volkes gehört seien. Die kleinlichen Mittel, die der König anwendete, um sich ohne Bewilligung Geld zu verschaffen (zu ihnen gehörte die Schöpfung des käuflichen Baronetsadels 1611), hielten nicht lange vor, und Jakob mußte 1614 doch wieder ein Parlament berufen. Alsbald erneuerten sich die Beschwerden; der König zog einige der rücksichtslosesten Redner zur Strafe und löste das Parlament auf. Auch mit Jakobs auswärtiger Politik war das Land unzufrieden. Die Mehrzahl der Bevölkerung wünschte ein entschiedenes Eintreten für den in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges hart bedrängten deutschen Protestantismus, wozu der König sich nicht entschließen konnte, obwohl seine eigne Tochter, die Kurfürstin Elisabeth von der Pfalz, von den Kaiserlichen und Ligisten aus ihrem Lande vertrieben war. Das 1621 zusammengetretene Unterhaus teilte diesen Wunsch und mißbilligte des Königs Plan, seinen ältesten Sohn mit einer spanischen Infantin zu vermählen. Der König verwies dem Parlament diese Einmischung in Dinge, die »über sein Verständnis hinausgingen«, und als das Parlament sich auf seine Privilegien berief, löste er es auf und warf mehrere Mitglieder ins Gefängnis, Zwei Jahre behalf er sich nun ohne Parlament, Erst als sein spanisches Heiratsprojekt gescheitert war, berief er 1624 ein neues Parlament, gestand diesem die Kontrolle über die Verwendung der zu bewilligenden Gelder zu und sandte den Protestanten in Deutschland Hilfstruppen. Bald darauf starb Jakob 6. April 1625.
Sein Sohn Karl I. (1625–49) setzte den Kampf gegen das Parlament fort. Gleich mit dem ersten, das er berief, kam er in Konflikt, da das Unterhaus aus Mißtrauen gegen den König und seine katholische Gemahlin, Henriette von Frankreich, den Ertrag der Zölle (das sogen. Pfund- und Tonnengeld), statt, wie bisher üblich, auf die ganze Lebenszeit des Königs, nur auf ein Jahr bewilligte. Ein neues Parlament erhob 1626 Beschwerde über die Forterhebung der Zölle nach Ablauf der Zeit, für die sie bewilligt waren, und beschloß eine Anklage gegen Karls Günstling, den Herzog von Buckingham, worauf der König auch dieses auflöste. Karl erhob die Zölle nichtsdestoweniger und suchte sich mit Zwangsanleihen, Domänenverkäufen u. dgl. zu helfen; aber ein verunglückter Zug Buckinghams (1627), der den französischen Hugenotten Hilfe bringen wollte, stürzte ihn in solche Finanznot, daß er 1628 ein drittes Parlament berufen mußte. Das Unterhaus stellte Subsidien in Aussicht, beschwerte sich aber zunächst wegen der willkürlichen Verhaftungen, der Erhebung unbewilligter Abgaben und Zwangsanleihen und andrer Gewaltmaßregeln. In einer Bittschrift an den König, der Petition of rights, formulierte es seine Forderungen, und nach längerm Zögern mußte Karl 7. Juni 1628 die Petition of rights zum Gesetz erheben, worauf das Unterhaus die verlangten Gelder bewilligte. Schon 1629 kam es wegen der durch die Petition of rights nicht erledigten Frage des Pfund- und Tonnengeldes zu neuem Hader, und Karl löste das Unterhaus auf (10. März). Er regierte nun elf Jahre lang ohne Parlament; in Staatssachen von Thomas Wentworth, Grafen von Strafford (s. d.), in Kirchensachen von dem Erzbischof von Canterbury, William Land, beraten. Mit Frankreich schloß er 1629, mit Spanien 1630 Frieden. Die eigenmächtig ausgeschriebenen Steuern, besonders das sogen. Schiffsgeld, wurden mit Gewalt eingetrieben, und in dem Prozeß, den John Hampden (s. d.) deswegen führte, entschieden die Richter der Schatzkammer 1638 für den König.
Eine Zeitlang schien sich dies unparlamentarische Regierungssystem zu bewähren. Da aber Karl durch die katholisierende Tendenz seines Kirchenregiments und durch die Verfolgung der Puritaner die protestantische Bevölkerung immer mehr reizte, steigerte sich die Gärung im Lande so, daß sie zum Ausbruch nur eines äußern Anstoßes bedurfte. Dieser kam von Schottland. Als Karl den Schotten 1637 eine neue Liturgie aufdrängen wollte, wurde von den Führern des Widerstandes dagegen 1638 der sogen. Covenant entworfen, wodurch das alte Glaubensbekenntnis der Presbyterianer von 1581 erneuert wurde. Die Covenanters rüsteten sich zu bewaffneter Abwehr; 1639 brach der Krieg aus, und Karl mußte 1640 ein neues, das sogen. Kurze Parlament berufen. Aber auf seine Geldforderung antwortete das Unterhaus mit erneuten Klagen und Beschwerden. Wieder ward es aufgelöst, aber nun rückten die Schotten 20. Aug. 1640 in England ein und verdrängten das englische Heer aus seinen Stellungen am Tyne. Nachdem ein Versuch, das Parlament durch eine Versammlung der Lords allein zu ersetzen, gescheitert war, trat 3. Nov. 1640 das sogen. Lange Parlament zusammen, in dem die Opposition die überwiegende Mehrheit hatte. Im Unterhaus wurden zahllose Beschwerden gegen die Regierung vorgebracht und Anklagen gegen die Minister sowie gegen die Beamten, welche die Befehle des Hofes ausgeführt hatten, vorbereitet. Darüber verlor Karl den Mut, so daß er nicht nur ein Gesetz bestätigte, demzufolge das Parlament alle drei Jahre, nötigenfalls auch ohne Berufung, zusammentreten sollte, sondern auch in die Verurteilung und Hinrichtung Straffords (12. Mai 1641) und in die Abschaffung der Hohen Kommission, der Sternkammer und des Schiffsgeldes willigte. Auch den Schotten wurden alle ihre Forderungen bewilligt.
Da brach im Oktober 1641 in Irland ein furchtbarer Aufstand aus, der den Umsturz der englischen Herrschaft bezweckte; zahllose englische Kolonisten wurden ermordet, und nur wenige Plätze blieben in den Händen der Engländer. Mit Unrecht beschuldigte man den König der Anstiftung des Aufruhrs; aber das Mißtrauen gegen ihn und das Machtbewußtsein des Parlaments waren so gestiegen, daß im November 1641 eine große »Remonstranz« beschlossen wurde, die eine völlige Umgestaltung der Verfassung forderte. Karls Versuch, sich der Führer der Opposition zu bemächtigen (4. Jan. 1642), mißlang, worauf der Hof London verließ. Das Parlament legte sich nun die legislative Autorität in Staat und Kirche allein bei und sammelte aus seinen Anhängern, den wegen ihres puritanischen Haarschnittes sogen. Rundköpfen, ein ansehnliches Heer zum Schutz gegen die Getreuen des Königs, die sogen. Kavaliere. Nachdem der König die »Propositionen« des Parlaments, die seine Macht zu einem Schatten herabdrückten, abgelehnt hatte, begann im August 1642 der Bürgerkrieg. Anfangs waren die Kavaliere unter Führung des Prinzen Ruprecht von der Pfalz den Parlamentstruppen überlegen und errangen 1642 und 1643 entschiedene Erfolge. Aber diese bewirkten nur, daß im Parlament unter dem Einfluß der hauptstädtischen Bevölkerung die radikale Partei die Herrschaft erlangte; die gemäßigten Mitglieder begaben sich an den königlichen Hof zu Oxford. Es gelang ferner dem Parlament, die Schotten für sich zu gewinnen, und zugleich bildete Cromwell aus seinen Anhängern, independentischen Pächtern, eine Reiterei, die, von politisch-religiösem Enthusiasmus erfüllt, den ersten entscheidenden Sieg über den Prinzen Ruprecht 2. Juli 1644 bei Marston Moor erfocht.
Während dieser Kämpfe trat auch im Parlament der Gegensatz zwischen den religiös und politisch gemäßigtern Presbyterianern (s. d.) und den radikalern Independenten (s. d.) immer stärker hervor. Im Parlament und unter der Geistlichkeit hatten die Presbyterianer die Mehrheit; aber ein großer Teil der Nation, insbes. des ländlichen Mittelstandes, stand auf seiten der Independenten, und zu ihnen gehörte der genialste Staatsmann und Feldherr der Revolution, Oliver Cromwell. Nachdem Essex im Herbst 1644 in Cornwallis den Royalisten gegenüber so unglücklich operiert hatte, daß seine ganze Infanterie sich ergeben mußte und er selbst mit Mühe entkam, und nachdem Lord Manchester seinen Sieg bei Newbury (27. Okt. 1644) ungenügend ausgenutzt hatte, setzte Cromwell 1645 im Parlament die sogen. Selbstentäußerungsakte (Self-denying Act) durch, kraft deren alle Mitglieder des Ober- und Unterhauses ihr militärisches Kommando niederlegen mußten. Nun traten Essex, Manchester u. a. zurück; Fairfax wurde Oberbefehlshaber des Parlamentsheers, Cromwell aber, da die Lords die Wiederernennung der Zurückgetretenen durch einen Zusatz zu der Akte ermöglicht hatten, der zweite im Kommando und der Befehlshaber der Reiterei. Zugleich wurde das Heer im Sinne Cromwells organisiert und der independentistische Einfluß in ihm herrschend. Die Bedeutung des Heeres stieg durch den glänzenden Sieg bei Naseby (14. Juni 1645); fast ganz England wurde von den Parlamentstruppen unterworfen. Karl I. mußte 1646 in das Lager der Schotten fliehen; da er sich aber weigerte, den Covenant zu unterzeichnen, lieferten ihn die Schotten gegen Zahlung von 400,000 Pfd. Sterl. an das englische Parlament aus. Jetzt glaubte dessen presbyterianische Mehrheit des Heeres nicht mehr zu bedürfen und beschloß, einen Teil davon nach Irland zu senden, den größten Teil der übrigen Truppen aber zu entlassen. Allein das Heer verweigerte den Gehorsam, bemächtigte sich im Juni 1647 des Königs, rückte im August gegen London vor und erzwang den Ausschluß von elf Führern der Presbyterianer aus dem Unterhaus. Als sich darauf die Schotten für den König erhoben, wurden sie in der Schlacht bei Preston (17.–19. Aug. 1648) völlig besiegt. Indessen verhandelte das Parlament mit dem König und beschloß 5. Dez. 1648, sich mit ihm zu versöhnen. Aber schon 1. Dez. hatten die Führer des Heeres Karl auf das einsame Schloß Hurst bringen lassen. Am 6. Dez. ließ Cromwell durch Oberst Pride die presbyterianischen Mitglieder des Parlaments austreiben (Pride's Purge, Prides Reinigung); das nunmehrige Rumpfparlament unterwarf sich seinem Willen. Karl I. wurde von einem vom Unterhaus eingesetzten Gerichtshof unter Vorsitz Bradshaws zum Tode verurteilt und 30. Jan. 1649 vor dem Schloß Whitehall in London hingerichtet.
Die englische Republik unter Cromwell 1649 bis 1660).
Das Unterhaus, dem von den 1640 gewählten 500 Mitgliedern nicht mehr 100 angehörten, erklärte jetzt England zur Republik und übertrug unter Beseitigung des Oberhauses die Regierung einem jährlich zu erneuernden Staatsrat, in dem Cromwell den größten Einfluß besaß. Dieser bezwang mit grausamer Härte das abgefallene Irland (s. d.) und begab sich 1650 nach Schottland, wo der Prinz von Wales gelandet und als Karl II. zum König ausgerufen worden war. Er schlug die Schotten 3. Sept. bei Dunbar und brachte, als Karl II. 1651 in England einfiel, diesem 3. Sept. bei Worcester eine vernichtende Niederlage bei. Durch diese Siege wurde das Machtbewußtsein des Heeres noch mehr gesteigert. Man verlangte, daß das Rumpfparlament sich auflöse, und da es sich weigerte, wurde es durch Cromwell 20. April 1653 gewaltsam gesprengt.
Ein Kriegsrat übernahm unter Cromwells Vorsitz das Regiment und berief 4. Juli ein aus erlesenen »Heiligen« zusammengesetztes Parlament von 155 englischen, schottischen und irischen Mitgliedern, das sogen. Kleine oder Barebone-Parlament (s. d.), das schon 12. Dez. von Cromwell wieder aufgelöst wurde, als es sich in das Heerwesen einmischen wollte. Nun verkündeten die höhern Offiziere eine neue Verfassung (»Instrument der Regierung«), welche die höchste Gewalt einem Protektor übertrug, neben dem ein Staatsrat und ein aus Wahlen in den drei Reichen hervorgehendes Parlament bestehen sollten. Cromwell übernahm 16. Dez. als Lord-Protektor die Regierung. Er besaß die volle monarchische Gewalt und beschloß, sie auch zu behalten. Daher löste er das Parlament, das, 3. Sept. 1654 zusammengetreten, eine Revision der Verfassung unternahm, schon 22. Jan. 1655 wieder auf und führte eine strenge Militärherrschaft ein. Hierdurch wurde die öffentliche Ruhe gesichert; Handel und Industrie blühten; religiöse Verfolgungen fanden nicht statt. Dennoch gelang es Cromwell nicht, dem Reich eine dauerhafte Verfassung zu geben. Als Geldbedürfnisse ihn 1656 zwangen, ein neues Parlament zu berufen, fielen die Wahlen so sehr im Sinne der Opposition aus, daß Cromwell sofort 100 Mitglieder vom Sitzungssaal ausschließen ließ. Das Parlament bewilligte nun die verlangten Subsidien und bot dem Protektor 31. März 1657 sogar die Königskrone an. Cromwell lehnte sie aus Rücksicht auf seine republikanisch gesinnten Armee genossen ab (8. Mai) und begnügte sich mit einer Revision der Verfassung, die seine Gewalt noch verstärkte und ihm das Recht, seinen Nachfolger zu wählen, erteilte; auch wurde er ersucht, ein Oberhaus zu bilden. Dies war schwierig, da der alte Adel den Eintritt ablehnte, und als das Parlament Anfang 1658 wieder zusammentrat, wurde das neue Oberhaus so heftig angegriffen, daß Cromwell 4. Febr. auch dies Parlament auflöste. Nicht lange darauf, 3. Sept. 1658, starb der Protektor. So wenig erfolgreich Cromwells innere Politik war, so glänzend war die äußere. Um die Holländer für Begünstigungen der Stuartschen Flüchtlinge zu strafen, wurde 9. Okt. 1651 die Navigationsakte erlassen, die dem holländischen Handel schwere Wunden schlug und die Niederlande 1652 zum Kriege reizte. In diesem entwickelte die englische Flotte unter Blake eine solche Stärke, daß die Holländer 1654 Frieden schließen mußten. Nicht weniger glücklich verlief der Krieg mit Spanien (1654 bis 1658); Jamaika wurde erobert und im Bunde mit Frankreich Dünkirchen genommen. Auf allen Meeren blieb die englische Flotte siegreich, vorteilhafte Handelsverträge wurden abgeschlossen und der Kolonialbesitz in Amerika erheblich ausgebreitet.
Gemäß Cromwells Bestimmung übertrug der Staatsrat nach seinem Tode (3. Sept. 1658) die Protektorwürde seinem ältesten Sohn, Richard Cromwell, den das 1659 neuberufene Parlament bestätigte. Jedoch die Armee weigerte sich, ihn als Oberbefehlshaber anzuerkennen, zwang ihn, das Parlament aufzulösen, und bewirkte den Wiederzusammentritt des 1653 gesprengten Rumpfparlaments, worauf Richard 25. Mai 1659 abdankte. Nun kam es zu einem neuen Konflikt zwischen Parlament und Heer und zu einer zweiten Sprengung des Rumpfparlaments (13. Okt. 1659). Allein im Volk herrschte der Wunsch nach Herstellung friedlicher Verhältnisse, die man nur von der Restauration der Monarchie erwartete, und der General Monk, der Ende 1659 die m Schottland stehenden Truppen nach England führte, machte sich zu seinem Vollstrecker. Er rückte im Februar 1660 in London ein und veranlaßte, nachdem 16. März das abermals zusammengetretene Lange oder Rumpfparlament sich selbst aufgelöst hatte, die Einberufung eines neugewählten, wiederum aus Ober- und Unterhaus bestehenden Parlaments, in dem die Royalisten das Übergewicht hatten. Dies Parlament, das sich 25. April 1660 versammelte, trat mit Karl II. in Unterhandlung, und nachdem dieser eine fast allgemeine Amnestie, Gewissensfreiheit und die Achtung erworbener Rechte versprochen hatte, ward er als König ausgerufen und zog 29. Mai in London ein.
Die zweite Herrschaft der Stuarts und die glorreiche Revolution (1660–89).
Die Restauration Karls II. (1660–85) vollzog sich nicht ohne Härte. Die meisten Richter, die an der Verurteilung Karls I. teilgenommen hatten und nicht entflohen waren, wurden hingerichtet; die Leichname Cromwells, Iretons und Bradshaws wurden aus den Gräbern gerissen und geschändet. Die Armee wurde bis auf zwei Regimenter aufgelöst. Die Bischöfe wurden ins Oberhaus zurückberufen; die Gleichförmigkeitsakte (Act of uniformity) vom 19. Mai 1662 zwang den englischen Klerus zum Bekenntnis der hochkirchlichen Glaubensartikel und nötigte an 2000 Geistliche, die sich dessen weigerten, zur Niederlegung ihrer Ämter. Die Union zwischen England und Schottland, die Cromwell geschaffen, wurde aufgehoben. In der äußern Politik schloß Karl sich an Ludwig XIV. an, dem er 1662 Dünkirchen verkaufte. Seine Beziehungen zu Frankreich kamen den katholisierenden Tendenzen am Hofe zu statten, die auch durch Karls Vermählung mit der portugiesischen Prinzessin Katharina (Mai 1662) gefördert wurden. Karl unterhielt geheime Verbindungen mit dem Papst und dachte an eine Wiedervereinigung der englischen Kirche mit Rom. Hauptsächlich wurde aber seine Politik durch Finanzfragen bestimmt. Das ihm vom Parlament bewilligte ordentliche Einkommen von 1,200,000 Pfd. Sterl. reichte nicht aus; der König war daher auf außerordentliche Bewillungen des Parlaments angewiesen, wenn er es nicht vorzog, sich von Frankreich erkaufen zu lassen. Damit hängen die Schwankungen seiner äußern und innern Politik zusammen.
Der Wunsch, Karls Neffen, dem Prinzen von Oranien, wieder zur Statthalterwürde in den Niederlanden zu verhelfen, und vielfache Differenzen über Handels- und Kolonialfragen riefen 1665 einen Krieg mit den Niederlanden hervor, der im Juli 1667 durch den Frieden von Breda beendet ward, durch den England gegen Abtretungen in Ostindien New York erhielt. 1668 schloß Karl mit Schweden und den Niederlanden eine Tripelallianz, die Frankreich zum Aachener Frieden zwang. Nun aber bot Ludwig alles auf, um England in sein Interesse zu ziehen, und versprach dem König bedeutende Geldzahlungen, die ihn vom Parlament unabhängig machen sollten. Die katholischen Minister sowie der ebenfalls katholische Bruder des Königs, Herzog Jakob von York, unterstützten diese Bemühungen, und so kam es 1. Juni 1670 zu einem geheimen Vertrag mit Frankreich, der Karl zur Teilnahme an dem Rachekrieg gegen die Niederlande verpflichtete. Allein dieser Krieg (1672–74) verlief für England wenig günstig und brachte, da Spanien auf die Seite der Niederlande trat, dem englischen Handel großen Schaden. Als sich Karl 1673 doch mit Geldforderungen an das Parlament wenden mußte, zwang ihn dieses zum Erlaß der Prüfungsakte (Test Act), nach der alle Staatsbeamte und Offiziere schwören mußten, daß sie nicht an die Transsubstantiation glaubten und vor dem Amtsantritt das Abendmahl nach dem Brauch der anglikanischen Kirche empfangen hätten. Bald nachher brach das sogen. Cabal-Ministerium (s. d.) zusammen, und 1674 wurde zu Westminster Friede mit den Niederlanden geschlossen.
Während Karl gegen französische Jahrgelder in dem noch fortdauernden Kriege Ludwigs XIV. gegen die Niederlande neutral blieb, willigte er doch in die Ehe seiner Nichte Maria, Tochter des Herzogs von York, mit Wilhelm von Oranien, dem Verteidiger des Protestantismus und der europäischen Staatenfreiheit gegen Ludwigs Eroberungsgelüste. Im Land aber wuchs das Mißtrauen gegen den König und den Hof. Als 1678 ein Betrüger, Titus Oates (s. d.), eine Verschwörung der Jesuiten entdeckt haben wollte, welche die Ermordung des Königs und die Erhebung des Herzogs von York auf den Thron zum Zweck haben sollte, gelang es dem Grafen Shaftesbury, seit seiner Entlassung aus dem Ministerium Führer der Opposition, ein Gesetz zustande zu bringen, das die Katholiken vom Parlament ausschloß. Als dann das Parlament zu einer Anklage gegen Karls leitenden Minister, Lord Danby, Herzog von Leeds, schritt, wurde es aufgelöst (24. Jan. 1679). Allein die Neuwahlen fielen für die Regierung ungünstig aus, und in dem neuen Parlament wurde der Antrag gestellt, den Herzog von York von der Thronfolge auszuschließen. Karl machte dem Parlament ein Zugeständnis, indem er zum Schutz gegen willkürliche Verhaftungen die Habeaskorpusakte (s. d.) genehmigte; aber von der Exklusionsbill wollte er nichts wissen und löste das Unterhaus auf (27. Mai 1679). In dem neuen, im Oktober 1680 eröffneten Parlament wurde die Exklusionsbill im Oberhaus verworfen; dagegen lehnte das Unterhaus alle Geldforderungen ab. In dieser Zeit sind die Parteinamen Whigs und Tories (s. d.) aufgekommen: der erstere für die Anhänger, der letztere für die Gegner der Exklusionsbill. Eine abermalige Auflösung des Parlaments folgte; das neue berief der König auf 21. März 1681 nach Oxford, löste aber, als die Opposition wiederum in der Mehrzahl war, auch dieses auf (28. März), griff, von Frankreich mit Geld unterstützt, zu den »Mitteln, die ihm von Gott gegeben waren«, und begann eine strenge katholisch-toryistische Reaktion. Die unter dem Namen Ryehouse-plot bekannte Verschwörung von 1683, die vor ihrem Ausbruch entdeckt wurde, kam seinem Streben zugute. Viele angesehene Mitglieder der Opposition wurden in skandalösen Prozessen zum Tode verurteilt und mehrere hingerichtet. Karl II. regierte ohne Parlament bis zu seinem Tod (6. Febr. 1685).
Die blutigen Verfolgungen hatten die Whigs so eingeschüchtert, daß sie sich der Thronbesteigung des Herzogs von York als Jakob II. (1685–88) nicht widersetzten. Ein Aufstand des Herzogs von Monmouth (s. d.), eines natürlichen Sohnes Karls II., und des Grafen von Argyll ward ohne Mühe unterdrückt. Als aber der König kraft seines vermeintlichen Rechts, von den Strafgesetzen zu dispensieren, katholischen Offizieren den Testeid erließ, den Jesuitenpater Eduard Petre zum Mitglied des Geheimen Rates erhob, Katholiken in den Universitäten Cambridge und Oxford zu Mitgliedern der Korporation machte, katholische Bischöfe und einen päpstlichen Nunzius in England zuließ und mit der Gewissensfreiheit zugleich die Freiheit des katholischen Gottesdienstes proklamierte, ward die Aufregung immer größer. Sieben anglikanische Bischöfe verweigerten die Ablesung des Toleranzedikts von den Kanzeln und ließen sich eher in den Tower führen, als daß sie sich dem Befehl des Königs fügten (8. Juni 1688). Die einzige Hoffnung der Nation beruhte darauf, daß nach dem Tode des Königs seine protestantischen Töchter, die Prinzessin Maria von Oranien und Anna, die Gemahlin des Prinzen Georg von Dänemark, auf den Thron gelangen würden. Da ward 10. Juni 1688 Jakob II. aus seiner zweiten Ehe mit einer modenesischen Prinzessin ein Sohn (der nachmalige Prätendent Jakob III.) geboren; damit schien die Herrschaft einer katholischen Dynastie in England dauernd gesichert. Dazu kam, daß Jakob II. sich eng mit Ludwig XIV. verbunden hatte, die Übermacht des Königs von Frankreich aber nur dann erfolgreich bekämpft werden konnte, wenn auch England sich der Koalition gegen ihn anschloß. Der Sturz Jakobs war also auch ein europäisches Interesse, so daß auch der Kaiser und sogar der Papst damit einverstanden waren. Daher entschloß sich Wilhelm von Oranien zu einem entscheidenden Schritt. Die Niederlande stellten ihm ihre Streitkräfte zur Verfügung; auch Friedrich III. von Brandenburg unterstützte ihn. Am 15. Nov. 1688 landete er in England. Nicht nur das Volk, sondern auch das Heer und die Flotte fielen ihm zu. Jakob floh nach Frankreich; Wilhelm zog 18. Dez. in London ein und rief das Parlament auf 22. Jan. 1689 zusammen. Diese Versammlung, die sich, weil ihre Berufung nicht vom König ausging, Konvention nannte, erklärte, »daß Jakob II., da er dahin gestrebt, die Verfassung des Landes zu fälschen, indem er den ursprünglichen Vertrag zwischen König und Volk gebrochen, da er, dem Rate der Jesuiten und andrer gottloser Leute gemäß, die Grundgesetze verletzt und da er das Königreich verlassen, abgedankt habe und somit der Thron erledigt sei«. Darauf wurde die Krone Wilhelm und seiner Gemahlin Maria zugleich zugesprochen, denen, falls sie keinen Erben hinterlassen würden, die Prinzessin Anna folgen solle. Auch in Schottland trat eine Konvention zusammen und erklärte das Recht Jakobs II. auf den Thron verwirkt, worauf Wilhelm und Maria die Herrschaft übernahmen.
Die Begründung des parlamentarischen Königtums und der Großmachtstellung (1689–1763).
Die Regierung Wilhelms III. (1689–1702) war für die politische Entwickelung Großbritanniens von der wesentlichsten Bedeutung. Gleichzeitig mit der Erklärung der Thronerledigung hatte das Parlament die Erklärung der Rechte (Declaration of rights) beschlossen, die Wilhelm bei Übernahme der Krone (23. Febr. 1689) als Gesetz (Bill of rights) bestätigte. Dies Gesetz, dem in Schottland der Claim of rights entsprach, erklärte den Anspruch Jakobs II., daß die Krone von Gesetzesbestimmungen dispensieren oder Gesetze suspendieren könne, für verfassungswidrig, verbot die Erhebung von Abgaben sowie die Errichtung eines stehenden Heeres ohne Genehmigung des Parlaments, verbürgte das Petitionsrecht der Untertanen, die freie Wahl der Parlamentsmitglieder, die Freiheit der Rede im Parlament und das Institut der Geschwornengerichte und bestimmte, daß der König häufig das Parlament berufen müsse. In kirchlicher Beziehung wurden die Uniformitätsakte und der Testeid festgehalten; aber ein Toleranzgesetz von 1689 gestattete den protestantischen Dissenters die öffentliche Ausübung des Gottesdienstes. In Schottland wurde der Presbyterianismus zur Landeskirche erklärt. In der Folge wurde die Unabsetzbarkeit der Richter eingeführt, die Preßfreiheit und die Verantwortlichkeit der Minister angebahnt, 1694 die Einführung dreijähriger Parlamente durchgesetzt, mit der Trennung der Zivilliste des Königs von den andern Staatsausgaben ein Anfang gemacht; auch ward eine Nationalbank gegründet und die Ostindische Kompanie erneuert und damit die Bahn geebnet, auf der G. zur ersten Geld- und Kolonialmacht Europas aufstieg.
Durch die auswärtige Politik Wilhelms III. spielte G. im Bunde mit den Niederlanden eine maßgebende Rolle als europäische Großmacht. Wilhelm trat dem 1689 in Wien geschlossenen Bündnis zur Aufrechthaltung des von Ludwig XIV. gefährdeten europäischen Gleichgewichts bei; er war die Seele dieses Bundes, der 1689 den Krieg gegen Frankreich aufnahm. Infolgedessen unterstützte Ludwig XIV. die Versuche Jakobs II., seinen Thron wiederzuerobern. Dieser landete im März 1689 in Irland, wurde aber im Juli 1690 von Wilhelm am Boynefluß geschlagen und floh nach Frankreich, worauf General Ginkell die Wiederunterwerfung Irlands vollendete. Im Kriege mit Frankreich verliefen die Landschlachten bei Steenkerken (1692) und Neerwinden (1693) nicht glücklich für Wilhelm; aber zur See behauptete die englisch-holländische Flotte seit dem Siege Russells bei La Hongue das Übergewicht, und 1697 schloß Frankreich den Frieden zu Ryswyk, in dem Ludwig XIV. Wilhelm als König anerkannte. In der spanischen Frage (s. Spanischer Erbfolgekrieg) suchte G. anfangs zu vermitteln, trat aber nach dem Tode Karls von Spanien (1700), als Ludwig XIV. sich über die vorher abgeschlossenen Verträge hinwegsetzte, 17. Sept. 1701 der »Großen Allianz« gegen Frankreich bei, während Ludwig nach Jakobs II. Tode (16. Sept. 1701) dessen Sohn, den Prätendenten Jakob III., als König anerkannte. Kurz darauf starb Wilhelm 19. März 1702; seine Gemahlin Maria war ihm schon 1695 vorangegangen.
Wilhelms III. Nachfolgerin Anna (1702–14) setzte den Krieg mit Frankreich fort, in dem ihr Feldherr, der Herzog von Marlborough, bei Höchstädt-Blenheim (1704), Ramillies (1706), Oudenaarde (1708) und Malplaquet (1709) glorreiche Siege gewann. Unter seiner Oberleitung brachten die Whigs im Mai 1707 die Union zwischen England und Schottland zustande, wodurch beide Länder unter dem Namen G. zu Einem Königreich mit einem gemeinsamen Parlament vereinigt wurden, während Schottland seine bürgerlichen Gesetze, seine Gerichtshöfe und seine besondere Kirchenverfassung behielt. Da trat 1710 ein Umschwung ein; die Königin, mit der herrschsüchtigen Lady Marlborough, ihrer frühern Freundin, zerfallen und der kirchlichen Richtung der Whigs abhold, berief, als Neuwahlen zum Unterhaus den Tories die Mehrheit verschafften, aus diesen ein neues Ministerium unter Lord Bolingbroke. Da nun Marlborough seinen Einfluß verloren hatte, und da 1711 durch den Tod des Kaisers Joseph I. und die Nachfolge seines Bruders Karl VI. ein Festhalten an der bisherigen Politik das Eintreten für die Vereinigung der spanischen und österreichischen Monarchie bedeutet hätte, schloß G. 1713 den Frieden zu Utrecht, in dem es Ludwigs Enkel Philipp V. als König von Spanien anerkannte und dafür von Frankreich die Hudsonbai, Neuschottland, Neufundland und die Anerkennung der protestantischen Thronfolge, von Spanien Gibraltar, Menorca und Handelsbegünstigungen in Westindien erhielt.
Da Anna 12. Aug. 1714 kinderlos gestorben war, fiel die Krone kraft der protestantischen Sukzessionsakte von 1701 an den Kurfürsten von Hannover, Georg I. (1714–27), einen Enkel der Pfalzgräfin Elisabeth, Tochter Jakobs I., der die Whigs wieder zur Regierung berief. Der Versuch des Prätendenten Jakob III., sich wenigstens die Krone von Schottland zu erwerben (Dezember 1715), schlug fehl, und ebenso scheiterten spätere Erhebungsversuche der Jakobiten (1717 und 1719). Im Einvernehmen mit dem Ministerium verlängerte das whiggistische Unterhaus 1716 die Dauer seines Mandats (wie aller zukünftigen Parlamente) auf sieben Jahre. Dies begünstigte die Entwickelung einer Cliquenherrschaft, welche die Wahlen zum Unterhaus leitete, dessen Mitglieder bestach, die einflußreichen Ämter unter ihre Anhänger verteilte und ihre Stellung zu persönlichen Vorteilen ausbeutete. Georg I. ließ die herrschende Partei gewähren und war zufrieden, wenn Macht und Einfluß Großbritanniens seiner hannöverschen Hauspolitik zustatten kamen. Die Nation erfreute sich bürgerlicher Freiheit, und der allgemeine Wohlstand wuchs in den langen Friedensjahren.
Der Hauptvertreter des whiggistischen Regierungssystems war Robert Walpole, der seit 1721 an der Spitze des Ministeriums stand und auch nach dem Tode Georgs I. (22. Juni 1727) unter dessen Sohn und Nachfolger Georg II. (1727–60) seine Stellung behauptete. In dem verwickelten diplomatischen Spiel jener Zeit wußte er G. einen großen Einfluß zu sichern und die Interessen seiner Handels- und Kolonialpolitik geschickt zu vertreten. Erst 1739 wurde er durch die populäre Strömung zum Kriege gegen Spanien genötigt; aber Erfolge von größerer Bedeutung wurden in diesem Kriege nicht erzielt, und als durch den Ausbruch des Österreichischen Erbfolgekrieges die Lage sich verwickelte, trat Walpole 22. Febr. 1742 zurück. Die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernahm nun Lord Carteret, der es erreichte, daß Friedrich II. durch den Breslauer Frieden 1742 aus dem Bunde gegen das mit G. alliierte Österreich ausschied. Als aber Georg II. 1743 auf das Festland überging und mit einem deutsch-englischen Heere von mehr als 40,000 Mann (der sogen. pragmatischen Armee) gegen die Franzosen zog, die er 27. Juni bei Dettingen schlug, da warf man der Regierung vor, daß sie den eigentlich nationalen Krieg mit Spanien lässig betreibe, dagegen die Kräfte Großbritanniens im Interesse des Kurfürstentums Hannover vergeude, und Carteret mußte im Dezember 1744 zurücktreten. Das neue Ministerium Pelham hatte zunächst eine innere Gefahr zu bekämpfen. Im August 1745 landete nämlich Karl Eduard, Sohn des Prätendenten Jakob III., in Schottland, nahm Edinburg, rückte Ende 1745 bis in die Nähe von London vor, wurde aber von dem Herzog von Cumberland 27. April 1746 bei Culloden geschlagen und entging kaum der Gefangenschaft. Es war der letzte Versuch der Stuarts, mit bewaffneter Hand ihre Restauration zu erkämpfen. Inzwischen war zur See gegen Frankreich und Spanien glücklich gekämpft worden, weniger erfolgreich aber zu Lande, indem die pragmatische Armee 11. Mai 1745 bei Fontenay geschlagen war. Da nun auch die finanzielle Lage zur Beendigung des Krieges drängte, schloß G. 1748 zu Aachen mit Frankreich und 1750 auch mit Spanien Frieden. Aber bald kam es mit Frankreich zu neuen Streitigkeiten, namentlich über die Grenzen der Kolonien in Nordamerika, die 1755 den Wiederausbruch des Kampfes voraussehen ließen. Um Hannover zu schützen, schloß G. im Januar 1756 mit Preußen das Bündnis zu Westminster, und so fiel der zwischen G. und Frankreich entbrennende See- und Kolonialkrieg mit dem Siebenjährigen Kriege (s. d.) zusammen. Anfangs verlief er für England nicht glücklich. In Deutschland wurde der Herzog von Cumberland 26. Juli 1757 bei Hastenbeck geschlagen und gab durch die Konvention von Kloster Zeven Hannover den Franzosen preis; Menorca wurde von dem Herzog von Richelieu erobert, und in Amerika richtete die aus deutschen Soldtruppen bestehende Armee wenig aus. Erst als Pitt 1757 eine leitende Stellung in der Regierung erhielt, wurde der Krieg mit mehr Energie und Erfolg geführt. In Deutschland siegte Ferdinand von Braunschweig bei Krefeld (23. Juni 1758) und Minden (1. Aug. 1759); in Amerika eroberten die Engländer Quebec 18. Sept. 1759 und besetzten 1760 ganz Kanada. Gleichzeitig war die Englisch-Ostindische Kompanie überall siegreich; nach dem Siege Clives bei Plassey (1757) nahmen die Engländer 1758 Kalkutta, 1759 Surate; 1761 verloren die Franzosen Ponditscherri und Mahé, und damit waren sie vollständig aus Indien verdrängt. Als 1761 Spanien infolge des Bourbonischen Hausvertrags an G. den Krieg erklärte, griffen die Engländer auch die spanischen Kolonien an und eroberten Havanna und Manila. Darauf kam es 10. Febr. 1763 zu dem Frieden von Paris, in dem Frankreich ganz Kanada, Neuschottland, Cape Breton, die Inseln Grenada, St.-Vincent, Dominica und Tabago sowie seine Besitzungen am Senegal, Spanien Florida an G. abtrat.
Die Zeiten der amerikanischen und der französischen Revolution (1763–1815).
Schon vor dem Frieden war Georg II. 25. Okt. 1760 gestorben. Ihm folgte sein Enkel Georg III. (1760–1820), der 1761 die Tories unter seinem Günstling, Lord Bute, an die Regierung berief. Dieser trat 1763 zurück, aber auch die folgenden Ministerien: Grenville, Rockingham (seit 1765) und Grafton (seit 1766), waren wenig populär, und immer offener trat das Bestreben der Regierung hervor, die Macht der Krone zum Nachteil der bestehenden Verfassung zu erhöhen. Einen lebhaften Ausdruck fand die oppositionelle Stimmung in den meisterhaft geschriebenen Juniusbriefen (s. d.), die, 1769–71 im »Public Advertiser« veröffentlicht, durch ihre scharfen Angriffe gegen König, Minister, Parlament und Gerichtshöfe das größte Aufsehen machten. Die Regierung suchte die Staatseinnahmen zu erhöhen, indem sie die Ostindische Kompanie, die durch Lord Clives Eroberungen ihre Besitzungen ungeheuer ausgedehnt hatte, 1772 dazu bewog, einen Teil ihres Überschusses an die Schatzkammer zu zahlen. Aber auch die amerikanischen Kolonien wollte man zu größern Leistungen heranziehen. Das Ministerium Grenville setzte daher 1764 eine Bill durch, die auf einige Handelsartikel in Amerika Eingangszölle legte, und führte 1765 eine Stempeltaxe ein. Die Amerikaner sprachen jedoch dem Parlament, in dem sie nicht vertreten waren, das Recht ab, sie zu besteuern (s. Vereinigte Staaten von Nordamerika, Geschichte); sie verbanden sich gegen die Einfuhr zollpflichtiger Waren und widersetzten sich der Stempeltaxe. Diese wurde zwar 1766 zurückgenommen; aber ein neuer Versuch, einige Waren mit einem Einfuhrzoll zu belegen, stieß 1767 auf nicht minder heftigen Widerstand in Amerika, der selbst dann nicht aufhörte, als das Ministerium North 1770 die sämtlichen Auflagen zurückzog und nur, um das Prinzip zu wahren, für den Tee einen geringen Zoll bestehen ließ. Die Erbitterung der Amerikaner war so hoch gestiegen, daß man in Boston drei Schiffsladungen Tee, die in den Hafen eingebracht waren, in das Meer warf (Dezember 1773). Die hierauf in G. beschlossenen Strafmaßregeln gegen Boston führten 1775 zum Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs. Der in Philadelphia versammelte Kongreß der 13 Kolonien sprach 4. Juli 1776 die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten aus.
Die ungeschulten amerikanischen Milizen waren den deutschen Mietstruppen Englands nicht gewachsen, und die Amerikaner verloren New York und Philadelphia, ja zeitweilig die ganze Ostküste an die Engländer. Aber 1778 erkannte Frankreich die Unabhängigkeit der Kolonien an und sicherte ihnen seine Unterstützung zu. Spanien schloß sich 1779 diesem Bund an; die Niederlande hatten schon 1778 mit Amerika einen Handelsvertrag geschlossen, der 1780 bekannt wurde und eine englische Kriegserklärung hervorrief, während die Staaten Mittel- und Nordeuropas bewaffnete Neutralität beschlossen. Dennoch behauptete G. seine Überlegenheit zur See, besonders durch die glänzenden Taten des Admirals Rodney, der die spanische Flotte bei St.-Vincent (16. Jan. 1780), die französische bei Dominica (12. April 1782) besiegte, während die Holländer in der Schlacht bei der Doggersbank (5. Aug. 1781) eben nur eine Niederlage vermieden. Port Mahon auf Menorca wurde von den Spaniern erobert, Gibraltar aber behauptete sich gegen alle Angriffe der spanisch-französischen Flotte. Dagegen gingen durch die Kapitulation von Yorktown (19. Okt. 1781) alle in Nordamerika errungenen Erfolge verloren, und so sah sich G. doch zum Frieden genötigt, der am 3. Sept. 1783 zu Versailles geschlossen wurde. Die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten wurde darin anerkannt; Spanien erhielt Florida und Menorca, Frankreich Tabago, Ste. – Lucie, ansehnliche Distrikte in Ostindien, Gorée und die Inseln St.-Pierre und Miquelon; als einzige Entschädigung erhielt G. von den Niederlanden Negapatnam. Für den Verlust der amerikanischen Kolonien gewährten glückliche Erfolge in Ostindien einigen Ersatz. Die Erhebungen der Mahratthen und des von Frankreich unterstützten Radscha Haider Ali von Maisur sowie seines Nachfolgers Tippu Sahib wurden mit Erfolg zurückgeschlagen; Tippu Sahib mußte 1784 alle Eroberungen herausgeben und den britischen Kaufleuten freien Handel gestatten. Dieser Krieg hatte die Ostindische Kompanie so tief in Schulden gestürzt, daß sie ihren Verpflichtungen gegen die Regierung nicht nachkommen konnte. Daher setzte William Pitt der jüngere, der seit 1783 an der Spitze des Ministeriums stand, 1784 die Einsetzung einer staatlichen Aufsichtsbehörde (board of control) über die Kompanie und ihre Organe durch. 1790 brach zwischen Tippu Sahib und den Engländern ein neuer Krieg aus, der damit endete, daß jener sein halbes Reich abtreten und ansehnliche Kriegskosten zahlen mußte. Einen andern Ersatz für Amerika boten die durch James Cook (s. d.) gemachten Entdeckungen in Australien.
Während dieser Kriege war G. auch im Innern nicht unbedeutenden Gefahren ausgesetzt. Der glückliche Aufstand Nordamerikas erweckte in Irland ähnliche Bestrebungen. Die Irländer forderten die Selbständigkeit ihres Parlaments, das seit 1719 dem englischen unterworfen war, und die Beseitigung der unerträglichen Handelsbeschränkungen, die jeden Aufschwung der irischen Industrie und Landwirtschaft unmöglich machten. Die Regierung mußte 1782 beide Forderungen gewähren, da 40,000 Irländer unter Waffen traten und England mit einem Einfall bedrohten. Dann rief die französische Revolution, die von den Hauptern der parlamentarischen Opposition, Fox und Sheridan, freudig begrüßt wurde, eine lebhafte demokratische Bewegung in England hervor, die anfangs nicht ungefährlich zu sein schien, von der Regierung aber durch strenge polizeiliche Maßregeln niedergehalten wurde. Diese fanden nicht nur bei den Tories, sondern auch bei einem Teil der Whigs, so bei dem größten Redner des Unterhauses, Edmund Burke, Billigung; und auf das Andrängen dieser Gegner der Revolution entschloß sich Pitt nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. (21. Jan. 1793), seine neutrale Haltung Frankreich gegenüber aufzugeben, und ließ den französischen Gesandten auffordern, G. zu verlassen. Darauf erklärte der französische Konvent 1. Febr. 1793 den Krieg. So trat G. in Kampf gegen das republikanische und später das Napoleonische Frankreich ein, in dem es als einzige Macht Europas unbesiegt blieb, seine Seeherrschaft befestigte, seine Kolonialmacht vergrößerte und durch den Aufschwung seines Handels und seiner Industrie alle andern Staaten Europas überflügelte.
Der Krieg der ersten Koalition gegen Frankreich war zu Lande nicht glücklich; Belgien ward 1794 von den Franzosen erobert, Holland 1795 in die Batavische Republik verwandelt; Preußen und Spanien schlossen 1795 den ruhmlosen Frieden zu Basel und Österreich 17. Okt 1797 den verlustreichen Frieden von Campo Formio. Während dessen aber beherrschten die Briten mit ihren Flotten alle Meere. Nachdem sie unter Hood und Howe eine französische Flotte im Mittelmeer fast vernichtet hatten, vertrieben sie die Franzosen in Amerika und Asien aus allen Kolonien, mit Ausnahme von Cayenne, und nahmen den Holländern nach ihrem Bündnis mit Frankreich das Kap der Guten Hoffnung, Malakka, Ceylon, Amboina, Ternate und andre Inseln ab. Die Landung Bonapartes in Ägypten konnte zwar nicht verhindert werden, aber der Zweck seines Unternehmens wurde durch den Sieg Nelsons bei Abukir (1. Aug. 1798) und durch den von den Engländern geleiteten erfolgreichen Widerstand von St. Jean d'Acre (1799) vereitelt. Im Kriege der zweiten Koalition gegen Frankreich scheiterte eine Landung der Engländer und Russen in Nordholland, nachdem es gelungen war, die holländische Flotte wegzuführen. Die Kontinentalmächte schlossen bald mit Frankreich Frieden, und Kaiser Paul von Rußland erneuerte sogar, darüber erzürnt, daß G. die 1800 eroberte Insel Malta ihm, dem Großmeister des Johanniterordens, zu überlassen zögerte, den Bund der Nordmächte zur Aufrechthaltung einer bewaffneten Neutralität zur See. Schweden, Dänemark und Preußen traten bei, was G. mit einem erfolgreichen Angriff auf Kopenhagen (2. April 1801) beantwortete. Gleichwohl machte sich, besonders durch das Anwachsen der Staatsschuld, das Friedensbedürfnis auch in England fühlbar Pitt trat unter diesen Umständen 1801 zurück, und das Ministerium Addington schloß 28. März 1802 den Frieden von Amiens, worin G. versprach, alle seine Eroberungen an die Franzosen, Holländer und Spanier, mit Ausnahme von Ceylon und Trinidad, zurückzugeben.
Während der äußern Kriege hatte G. wiederum in Irland einen bedenklichen Konflikt zu bestehen gehabt. Schon 1791 hatte sich hier unter den Einwirkungen der französischen Umwälzung ein Bund der vereinigten Irländer (United Irishmen) gebildet, der im geheimen mit Frankreich in Verbindung getreten war. Eine im Dezember 1796 von den Franzosen unter Hoche versuchte Landung in Irland scheiterte zwar, aber im Frühjahr 1798 brach in den nördlichen Grafschaften ein Aufstand aus, der erst nach mehreren Monaten niedergeschlagen wurde. Um solche Aufstände für die Folge zu verhüten, wurde 1800 die Union Irlands mit G. von beiden Parlamenten beschlossen; 22 irische Lords traten in das britische Oberhaus und 100 Deputierte ins Unterhaus; Handel und Verkehr waren zwischen beiden Ländern frei, die politischen Rechte gleich. Indessen hatten davon nur die irischen Protestanten Vorteil; die Katholiken, sieben Achtel der Bevölkerung, blieben von dem Eintritt ins Parlament und von jedem öffentlichen Amt ausgeschlossen.
Der Friede mit Frankreich war nicht von langer Dauer. Da Napoleon sich eigenmächtige Eingriffe in die Verhältnisse Italiens, der Schweiz und Hollands erlaubte, verzögerte auch die britische Regierung die Rückgabe ihrer Eroberungen an die Holländer und die Franzosen. Schon im Mai 1803 brach der Krieg wieder aus, und die Franzosen besetzten alsbald Hannover. Darauf trat Pitt 18. Mai 1804 wieder an die Spitze der Geschäfte und schloß 1805 eine dritte Koalition gegen Frankreich, deren Mitglieder reichliche Subsidien von G. erhielten. Napoleon, der 1804 eine Landung in G. geplant hatte, warf sich nun auf Österreich und zertrümmerte die Koalition auf dem Festland durch den Sieg bei Austerlitz. Ebenso glänzend aber waren die Erfolge der Engländer zur See. Nelson schlug die französisch-spanische Flotte bei Trafalgar (21. Okt. 1805), und Duckworth und Warren vernichteten 1806 die letzten Überreste der neugeschaffenen französischen Marine.
Nach der Demütigung Preußens im Tilsiter Frieden (1807) und der Verständigung Napoleons mit dem Zaren Alexander I. stand der größte Teil Europas unter französischer Botmäßigkeit; nur G. blieb gegen Frankreich auf dem Kampfplatz. Das 1806 nach Pitts Tod gebildete Ministerium Grenville-Addington-Fox machte 24. März 1807 dem Kabinett Portland Platz, in dem George Canning, ein Schüler Pitts und ein Anhänger seiner politischen Grundsätze, die auswärtigen Angelegenheiten leitete. Napoleon hatte schon 21. Nov. 1806 allen Handel und Verkehr mit den britischen Inseln untersagt und alle aus G. und seinen Kolonien stammenden Waren oder Schiffe für gute Prise erklärt. Als G. mit Repressalien antwortete, verschärfte er diese Maßregeln und bildete sie zu dem System der sogen. Kontinentalsperre aus, durch das er den Handel von G. zu vernichten wähnte. G. entschädigte sich durch einen großartigen Schmuggelhandel und durch die Wegnahme der Schiffe aller Mächte, die dem Napoleonischen System beitraten. Als Dänemark das Ansinnen zurückwies, mit G. ein Bündnis zu schließen und seine Flotte in einen englischen Hafen zu führen, zwang 1807 eine englische Flotte Kopenhagen durch ein viertägiges Bombardement (2.–5. Sept.) zur Kapitulation, der zufolge die dänische Flotte den Engländern ausgeliefert wurde. Dies völkerrechtswidrige Verfahren bewog Dänemark und Rußland, England den Krieg zu erklären, worauf die Briten die dänischen Kolonien St. Thomas und St.-Croix (Dezember 1807) und eine im Hafen von Lissabon liegende russische Flotte wegnahmen. Ihre Schiffe beherrschten alle Meere, versorgten alle Weltteile mit Kolonialwaren und den Erzeugnissen der blühenden englischen Industrie und nahmen den Franzosen und Holländern ihre letzten Kolonien ab. Seit 1808 unterstützte G. den Widerstand Portugals und Spaniens gegen die französischen Eroberungspläne mit Geld und Hilfstruppen; in diesem Halbinselkrieg (Peninsulawar) gewann der spätere Herzog von Wellington glänzende Lorbeeren und verjagte zuletzt durch die Siege bei Salamanca (12. Juli 1812) und Vittoria (21. Juni 1813) die Franzosen ganz aus der Halbinsel.
Das Ministerium war 1809 auf Perceval und 1812 auf Lord Liverpool übergegangen. Aber die Grundsätze der britischen Politik erlitten keine Veränderung, auch dann nicht, als, nachdem Georg III. 1810 in unheilbare Geisteskrankheit verfallen war, vom Parlament 10. Jan. 1811 die Regentschaft an den Prinzen von Wales übertragen worden war. Auch gegenüber den Vereinigten Staaten von Nordamerika, die sich 1812, durch den rücksichtslosen Gebrauch der englischen Übermacht zur See verletzt, den Feinden von G. anschlossen, behauptete dieses im wesentlichen die Oberhand, so daß der am 24. Dez. 1814 in Gent geschlossene Friede seine Seeherrschaft nicht erschütterte. 1812 verständigte sich G. mit Rußland, das von dem Kontinentalsystem zurücktrat; und 1813 nach dem Rückzug Napoleons aus Rußland schloß G. mit Rußland, Preußen, Schweden und Österreich Verträge, denen zufolge es jenen Mächten große Subsidien zum Kriege gegen Frankreich zahlte. Zu derselben Zeit, da in Deutschland die Macht des Korsen gebrochen wurde, überschritt Wellington die Pyrenäen, besetzte Bordeaux und schlug 10. April 1814 Soult bei Toulouse. Nicht minder eifrigen Anteil nahm G. nach Napoleons Rückkehr aus Elba an dem belgischen Feldzug von 1815 und errang 18. Juni mit preußischer Hilfe den Sieg bei Waterloo. Demgemäß spielte G. auch bei den Friedensverhandlungen und auf dem Wiener Kongreß eine hervorragende Rolle. Durch den ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814) erhielt G. Malta, Tobago, Ste.-Lucie, Ile-de-France und die Seschellen von Frankreich, das Kap der Guten Hoffnung, Demerara, Essequibo, Berbice und Ceylon von Holland, Helgoland von Dänemark; der zweite Pariser Friede (20. Nov. 1815) gab ihm noch das Protektorat über die Ionischen Inseln. Das Reich der Ostindischen Kompanie war bedeutend erweitert, die Begründung eines neuen Kolonialreichs in Australien begonnen worden.
Kalholikenemanzipation und Parlamentsreform (1815–32).
Trotz aller äußern Erfolge und der Vermehrung des nationalen Reichtums krankte jedoch das innere Leben des Staates an schweren Gebrechen. Um die Zinsen für die Staatsschuld, die auf mehr als 800 Mill. Pfd. Sterl. angewachsen war, zu beschaffen, mußten die Steuern erhöht werden, und sie lasteten mit besonderer Schwere auf dem Mittelstande, während die Zahl der von den politischen Rechten, insbes. dem Wahlrecht ausgeschlossenen Fabrikarbeiter und Proletarier immer größer wurde. So ward der Ruf nach Steuerreform und Ausdehnung des Wahlrechts immer lauter; hier und da, z. B. in Manchester im August 1819, kam es zu offenen Aufständen, deren die Regierung zwar durch Waffengewalt Herr wurde, deren Quelle sie aber nicht zu verstopfen vermochte. Nach dem Tode Georgs III. (29. Jan. 1820) übernahm Georg IV. (1820–30) in eignem Namen die Regierung. Bei dem Volk unbeliebt, steigerte er die Unzufriedenheit der Nation durch den anstößigen Scheidungsprozeß, den er 1821 gegen seine Gemahlin Karoline von Braunschweig bei dem Oberhaus, obwohl vergeblich, anstrengte. Im Kabinett Liverpool leitete Lord Castlereagh die auswärtigen Angelegenheiten nach den Grundsätzen der Heiligen Allianz, der G. freilich nicht beigetreten war. Nach Castlereaghs Selbstmord (September 1822) wurde Canning der leitende Minister u. nach Liverpools Tod (April 1827) Premier. Dieser näherte sich in seiner auswärtigen Politik den Anschauungen der Whigs, begünstigte die gegen Spanien aufgestandenen süd- und mittelamerikanischen Kolonien sowie die Unabhängigkeit Brasiliens und schloß 6. Juli 1827 mit Rußland und Frankreich einen Vertrag zugunsten Griechenlands, worauf die vereinigten Flotten dieser Mächte 27. Okt. bei Navarino die türkische Flotte vernichteten und so die Selbständigkeit Griechenlands begründeten. Canning hatte dies Ereignis nicht mehr erlebt; nach seinem Tode bildete nach kurzer Übergangszeit Wellington 1828 ein Toryministerium. Unter diesem, von dem man sich keine Reformmaßregeln versprach, entstand alsbald in Irland die heftigste Gärung. Schon seit 1823 bestand hier eine katholische Assoziation, die sich über das ganze Land verbreitete. An ihrer Spitze stand der große Agitator Daniel O'Connell (s. d.), der, von der Geistlichkeit unterstützt, 1828 in das Parlament gewählt wurde und erklärte, daß er trotz der Testakte seinen Platz im Unterhaus einnehmen werde. Darauf legte die Regierung 5. März 1829 dem Parlament eine Bill vor, die durch Abschaffung des Testeides den Katholiken den Zutritt zum Parlament und mit wenigen Ausnahmen zu allen Staatsämtern eröffnete. Trotz des Widerstandes der anglikanischen Hierarchie ging die Emanzipationsbill im Parlament durch und erhielt 13. April 1829 Gesetzeskraft.
Dieser Sieg der liberalen Grundsätze erweckte vielfach die Hoffnung auf eine durchgreifende Reform des Parlaments. Dessen Zusammensetzung litt an großen Übelständen, die schon zu Pitts Zeiten heftig, aber stets vergeblich angegriffen worden waren. An 150 Mitglieder des Unterhauses wurden von alten Burgflecken (rotten boroughs) gewählt, die ihre frühere Bedeutung längst verloren hatten, und deren Bevölkerung von einigen mächtigen Grundherren abhing, die über die Parlamentssitze nach Gutdünken verfügten. Durch wirklich freie Wahl wurden höchstens 70 Stellen im Unterhaus besetzt; nur bei etwa 160 andern fand noch eine gewisse Einwirkung der Bevölkerung auf das Wahlresultat statt. Neuerblühte Großstädte, wie Sheffield, Birmingham, Manchester, waren im Parlament gar nicht vertreten. Solche Mißstände machte jetzt die Opposition zum Gegenstand ihrer Angriffe und forderte eine gründliche Reform des Wahlrechts.
Erst unter Wilhelm IV. (1830–37), der am 26. Juni 1830 seinem Bruder Georg IV. auf dem Throne folgte, gelangte diese Bewegung, unterstützt durch die Einwirkungen der französischen Julirevolution, zum Siege. Nach den Parlamentswahlen von 1830 wurde die Toryregierung 15. Nov. gestürzt, und Lord Grey bildete ein Whigministerium, dessen namhafteste Mitglieder die Lords John Russell, Melbourne, Palmerston und Brougham waren. Der erste Entwurf eines neuen Wahlgesetzes, den Russell 1. März 1831 vorlegte, drang zwar nicht durch, aber als darauf das Parlament aufgelöst wurde, siegten die Whigs bei den Neuwahlen, und die wieder vorgelegte Reformbill wurde im Unterhaus 19. Sept. angenommen. Das von Wellington geführte Oberhaus verwarf sie jedoch 8. Okt. 1831, trat ihr auch im Mai 1832, als sie zum drittenmal vorgelegt war, feindlich entgegen und wurde erst nach dem von Grey angekündigten Rücktritte des Ministeriums durch die aufs höchste gestiegene Erbitterung im Volke, die selbst zu einer Insultierung des Königs führte, zur Nachgiebigkeit bewogen. Darauf übernahm Grey die Regierung wieder, und die Reformbill ging 4. Juni 1832 im Oberhaus durch; im folgenden Monat wurden auch die Reformgesetze für Schottland und Irland angenommen. Dadurch wurden die rotten boroughs beseitigt, eine gerechtere Verteilung der Mandate unter den Städten und Grafschaften der drei Reiche bewirkt und die Zahl der Wähler auf etwa eine Million erhöht, indem in den Grafschaften auch die Erbpächter und die Zeitpächter mit bestimmtem Pachtbetrag und in den Städten alle Eigentümer oder Mieter von Häusern mit 10 Pfd. Sterl. jährlichem Mietswert das Wahlrecht erhielten. Mit dem Zusammentritt des ersten nach dem neuen Gesetz gewählten Parlaments 5. Febr. 1833 beginnt eine neue Epoche der Geschichte von G.
Die Bewegungen der Chartisten sowie des Antikornzollbundes und Peels Steuer- und Zollreform (1833–46).
In dem neuen Parlament hatten die Liberalen die entschiedene Mehrheit, so daß weitere Reformmaßregeln möglich wurden. So erfolgte 1833 die Abschaffung der Sklaverei in den britischen Kolonien; im gleichen Jahre wurde die Kinderarbeit in den Fabriken gesetzlich eingeschränkt und 1834 die Armengesetzgebung verbessert. Auch die Neuordnung der Verhältnisse Indiens nahm das Ministerium Grey in Angriff, als 1834 der Freibrief der Ostindischen Kompanie ablief. Ihr ungeheures Gebiet, das 1826 durch einen siegreichen Krieg gegen Birma noch beträchtlich vergrößert worden war, wurde immer noch von einer Handelsgesellschaft regiert, und in der Verwaltung des Landes herrschten beklagenswerte Mißstände. Daher wurden 1834 bei Erneuerung des Privilegiums die Befugnisse des 1784 errichteten Kontrollamts vergrößert, das Handelsmonopol der Kompanie aufgehoben und die Dividende der Aktionäre auf die feste Summe von 633,000 Pfd. Sterl. normiert; die weitern Überschüsse der Gesellschaft wurden zur Einlösung der Aktien bestimmt. Größere Schwierigkeiten bereiteten der Regierung die Verhältnisse Irlands, dessen Bevölkerung immer dringender die Erleichterung ihrer Lasten, insbes. die Aufhebung des an die anglikanischen Kirchen zu zahlenden Zehntens verlangte, während zugleich die Agitation O'Connells jetzt unmittelbar auf die Auflösung (repeal) der Union mit England und die Selbständigkeit Irlands gerichtet war. Grey schritt hiergegen mit einer irischen Zwangsbill ein (März 1833), suchte aber zugleich durch ein andres Gesetz die Lasten, welche die anglikanische Staatskirche den Iren auferlegte, zu mildern. Darüber kam es im Ministerium zu Zerwürfnissen, die 1834 den Rücktritt Greys herbeiführten. Nach einer kurzen Regierung der Tories unter Peel kam 1835 Lord Melbourne aus Ruder, der ein entschieden liberales Ministerium bildete. Dieses führte in England eine neue, zeitgemäße Städteordnung ein, verzichtete auf die Zwangsbill, erließ ein neues irisches Armengesetz, setzte aber seine Zehntenbill, durch welche die Zahlung der Zehnten auf die Landeigentümer übertragen wurde, erst 1838 durch.
Am 20. Juni 1837 starb Wilhelm IV. kinderlos; ihm folgte in G. die 18jährige Prinzessin Viktoria, seine Nichte, in Hannover aber, wo nur männliches Erbfolgerecht galt, der Herzog Ernst August von Cumberland. Die ersten Regierungsjahre der jungen Fürstin, die sich 10. Febr. 1840 mit ihrem Vetter Albert, Prinzen von Sachsen-Koburg, vermählte, waren von lebhaften politischen Bewegungen erfüllt. Auf der einen Seite forderten die sogen. Radikalreformer unter Führung O'Connors (s. d.) eine völlige Umgestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse des Landes und formulierten ihre Wünsche in einem Gesetzentwurf (The People's Charter, s. Chartismus), der unter anderm allgemeines Wahlrecht, geheime Wahl, Einteilung der Wahlbezirke lediglich nach der Bevölkerungszahl und jährliche Parlamentswahlen ins Auge faßte. Zahlreiche Volksversammlungen sprachen sich für dies Programm aus, zu dem sich namentlich die Arbeiterbevölkerung bekannte. Anderseits richtete sich eine lebhafte Bewegung innerhalb des bürgerlichen Mittelstandes gegen die Kornzölle, durch die im Interesse der Großgrundbesitzer die Getreidepreise künstlich hochgehalten wurden; ihr Führer war Richard Cobden (s. d.), der seine Anhänger zu einem großen Bund, der sogen. Anti-Cornlaw-League, zusammenfaßte. Parlament und Regierung verhielten sich gegen beide Bewegungen ablehnend. Den Veranstaltern der Petitionen um Aufhebung der Getreidezölle, die 50,000 Unterschriften erhalten hatte, wurde nicht gestattet, ihre Gründe durch Bevollmächtigte dem Parlament mündlich vorzutragen. Die Petition um Einführung der Volkscharte, die mit 1,280,000 Unterschriften bedeckt war, überwies das Unterhaus nicht einmal einem Ausschuß; die Absicht der Chartistenführer, sie in einem Massenzuge von vielen Tausenden, womöglich Bewaffneten, dem Parlament zu überreichen, hatte die Regierung durch energische polizeiliche Maßregeln vereitelt.
Währenddessen setzte das liberale Ministerium Melbourne 1839 noch einige Reformen durch: die Einführung des einheitlichen Portotarifs von 1 Penny für den einfachen Brief (penny-postage) und die Einsetzung eines Ausschusses des Geheimen Rates als oberster Aufsichtsbehörde für den öffentlichen Unterricht. Auch seine auswärtige Politik blieb nicht ohne Anerkennung. Der Krieg mit China (s. d., S. 50 f.), in den G. wegen des Opiumhandels geraten war, erfuhr zwar von den Tories schweren Tadel; dagegen wurde es beifällig begrüßt, daß Palmerston zum Schutz der Türkei gegen die Eroberungsgelüste des von Frankreich begünstigten Vizekönigs Mehemed Ali von Ägypten 15. Juli 1840 eine Quadrupelallianz mit Rußland, Österreich und Preußen schloß, worauf die verbündete britisch-österreichisch-türkische Flotte unter Sir Charles Napier Mehemed Ali zur Räumung Syriens zwang. Dennoch mußte die Regierung 28. Aug 1841 zurücktreten, nachdem die von ihr beantragte Veränderung der Zollpolitik im freihändlerischen Sinn im Unterhaus abgelehnt war, und nach dessen Auflösung die Whigs bei den Neuwahlen in der Minderheit geblieben waren. Robert Peel bildete nun ein Toryministerium, das seine Verwaltung unter großen Schwierigkeiten antrat, diese jedoch mit Mut und Selbstvertrauen zu überwinden suchte. Der Krieg in China wurde erfolgreich fortgesetzt: die englische Flotte erzwang den Eingang in den Jangtsekiang und nötigte China zu einem Frieden (29. Aug. 1842), der den Engländern den Besitz von Hongkong verschaffte, eine Anzahl Häfen öffnete u. eine Kriegssteuer von 21 Mill. Doll. einbrachte. In Afghanistan (s. d., S. 131), mit dem G. seit 1838 im Kriege lag, war im Januar 1842 ein kleines britisches Heer in Kabul und beim Rückzug von dort beinahe vernichtet worden; aber noch im gleichen Jahr stellte der General Pollock durch einen glänzenden Feldzug die Ehre der britischen Waffen wieder her und eroberte Kabul, räumte aber Anfang 1843 Afghanistan wieder. Um den Staatshaushalt zu ordnen, setzte Peel 1842 die Einführung einer Einkommensteuer von etwa 3 Proz. auf alle Einkommen über 150 Pfd. Sterl., die Ermäßigung der Korn- und die Aufhebung oder Herabsetzung andrer wenig einträglicher, aber für den Verkehr lästiger Schutzzölle durch. Die chartistische Bewegung, deren Führer 2. Mai 1842 in ungeheurem Zuge vor dem Unterhaus erschienen, um eine neue Riesenpetition zu überreichen, wurde durch energisches, aber gesetzmäßiges Einschreiten gedämpft. Um die Repealagitation O'Connells einzuschränken, wurde durch ein Gesetz vom Jahre 1843 die Einführung von Waffen und sonstigem Kriegsbedarf nach Irland verboten; auch wurde das Versammlungsrecht beschränkt. Zur Förderung des Handels ward 1844 die berühmte Peelsche Bankakte (Näheres s. Banken, S. 346) erlassen. Im nächsten Jahre ward eine noch umfassendere Steuer- und Zollreform durch abermalige Ermäßigung der Zuckerzölle sowie Aufhebung aller Ausfuhrzölle und einer großen Anzahl von Einfuhrzöllen auf Rohstoffe, namentlich auf rohe Baumwolle, beschlossen. Dann aber veranlaßten die Mißernte des Jahres 1845 und die Kartoffelkrankheit, die in Irland eine furchtbare Hungersnot herbeizuführen drohte, Peel, die gänzliche Abschaffung der Kornzölle zu beantragen, wofür der Grundbesitz durch die Übernahme der Kosten der Polizei und des Gefängniswesens in den Grafschaften sowie der Armenhäuser auf den Staat entschädigt werden sollte. Nach heftigen Debatten, während deren ein Teil der Tories unter Disraeli sich von Peel lossagte, erhielten diese Vorschläge 26. Juni 1846 Gesetzeskraft. Aber am Tage zuvor hatten Peels schutzzöllnerische Gegner eine Gelegenheit gefunden, sich für ihre Niederlage zu rächen, indem sie eine von der Regierung gegen die zunehmende Unsicherheit in Irland vorgelegte Zwangsbill in Verbindung mit den Liberalen, Radikalen und Iren zu Falle brachten, worauf das Ministerium zurücktreten mußte.
Auswärtige Politik bis zum Pariser Frieden.
Peels Nachfolger als Premierminister wurde der Führer der Whigs, Lord John Russell. Die Neuwahlen vom Sommer 1847 verschafften den verbundenen Liberalen und Radikalen die Mehrheit; die Schutzzöllner waren gänzlich machtlos; Peels Anhänger bildeten eine Mittelpartei. Bei diesen Wahlen hatte es sich gezeigt, daß es nicht mehr bloß, wie früher, zwei große Parteien im Lande gab; wie die Whigs in gemäßigt Liberale und Radikale, so schieden sich die Tories in Strengkonservative und Peeliten, während die irischen Deputierten eine Sonderstellung einnahmen; auch wirkten wirtschaftliche und religiöse Grundsätze mehr und mehr auf die Bildung der Parteien ein. Das Revolutionsjahr 1848 ging in G. ohne größere Erschütterung vorüber; ein neuer Versuch der Chartisten, 10. April in einem Massenaufzug dem Parlament eine Riesenpetition um Einführung der Volkscharte zu überreichen, wurde durch militärische und polizeiliche Maßregeln leicht vereitelt. Während so G. ruhig blieb, trat die vielgeschäftige auswärtige Politik Lord Palmerstons 1848 und 1849 nach außen hin vielfach für die Revolution ein und verschaffte ihm, den man Lord Feuerbrand nannte, vorübergehend große Popularität. Er unterstützte die Empörung in Sizilien wie die sardinischen Einheitsbestrebungen und die ungarische Insurrektion, erklärte sich aber um der englischen Interessen willen für Dänemark gegen die schleswig-holsteinsche Erhebung, machte gegen das kleine Griechenland zugunsten eines britischen Untertanen von der Machtüberlegenheit Großbritanniens rücksichtslosen Gebrauch und billigte den Staatsstreich Napoleons III. in Frankreich (2. Dez. 1851), ohne die Genehmigung der Königin oder die Zustimmung seiner Kollegen abzuwarten. Für die letztere Eigenmächtigkeit wurde er 22. Dez. 1851 entlassen, rächte sich aber bald darauf, indem er das Ministerium Russell stürzte. Dieses hatte seine Stellung schon durch seine schwächliche Haltung gegenüber der vom Papst mittels einer Bulle vom 29. Sept. 1850 verfügten Erneuerung der katholischen Hierarchie in England (Errichtung von zwölf römisch-katholischen Bistümern in England und Ernennung des Kardinals Wiseman zum Erzbischof von Westminster) erheblich erschüttert, und als es 1852 angesichts der gespannten auswärtigen Verhältnisse eine beträchtliche Vermehrung der Land- und Seemacht beantragte, brachte Palmerston im Bunde mit den Tories 20. Febr. einen Gegenvorschlag zur Annahme, worauf Russell zurücktrat. Lord Derby bildete nun ein neues, rein toryistisches Kabinett, das im Juli 1852 das Parlament auflöste, aber nach dem ungünstigen Ergebnis der Neuwahlen schon 17. Dez. seine Entlassung nehmen mußte.
Nun folgte ein Ministerium Aberdeen, das aus Peeliten, Whigs und andern Liberalen zusammen gesetzt war und daher mit einem dem 18. Jahrh. entlehnten Ausdruck das »Ministerium aller Talente« genannt wurde; Gladstone als Schatzkanzler, Palmerston als Staatssekretär des Innern, Russell und Clarendon waren seine hervorragendsten Mitglieder. Die Finanzmaßregeln Gladstones fanden allgemeine Zustimmung, und auch die Kolonialpolitik der Regierung ward vom Glück begünstigt. In Afrika und Asien war nach dem Ende des Kaffernkrieges und dem Friedensschluß mit Birma (30. Juli 1853), das bedeutende Gebietsteile abtreten mußte (s. Birma, S. 897), die Ruhe hergestellt. Die australischen Kolonien entwickelten sich seit der Entdeckung der Goldfelder in Neusüdwales und Victoria (1851) glänzend und erhielten, ebenso wie die Kapkolonie, damals eine freie, auf Selbstregierung begründete Verfassung.
Da wurde G. durch die orientalische Frage wiederum in einen großen europäischen Krieg verwickelt. Es verband sich 1853 mit Frankreich zum Schutz der durch Rußland bedrohten Unabhängigkeit des türkischen Reiches und schickte eine Flotte in das Mittelmeer. Nach der Vernichtung der türkischen Flotte durch die Russen bei Sinope (30. Nov.) schlossen die Westmächte 12. März 1854 ein Bündnis mit der Türkei und erklärten 27. März Rußland den Krieg (s. Krimkrieg). Dieser war anfangs durchaus populär, aber sein Verlauf entsprach den im Parlament und vom Volk gehegten Erwartungen keineswegs. In der Ostsee richtete die Flotte Napiers gegen die russischen Seefestungen nur wenig aus. Im Schwarzen Meer wurde Odessa bombardiert (22. April), und 14. Sept. landeten die Franzosen unter Saint-Arnaud und die Engländer unter Lord Raglan auf der Krim, siegten 20. Sept. an der Alma und schlossen Sebastopol ein. Die Belagerung dieser Festung zog sich aber lange ohne entscheidende Erfolge hin, während die britischen Truppen sich zwar tapfer zeigten, aber infolge der mangelhaften Führung und der schweren Mißstände im Verwaltungs- und Verpflegungswesen sehr große Verluste erlitten. Durch einen Antrag Roebucks auf Einsetzung eines Ausschusses zur Untersuchung der Kriegführung wurde das Ministerium Aberdeen 29. Jan. 1855 gestürzt. Ihm folgte ein Kabinett Palmerston, das die Rüstungen in großartigstem Umfang betrieb und das Verpflegungs- und Transportwesen energisch reformierte. Aber die gehofften Erfolge blieben aus: der Sturm auf Sebastopol 18. Juni 1855 wurde zurückgeschlagen, und als 8. Sept. die Festung fiel, waren die Franzosen die Sieger; der Angriff der Engländer auf den Redan war mißlungen. So konnte sich G. den Friedensverhandlungen, die sein französischer Verbündeter mit Rußland anknüpfte, nicht entziehen. Sie führten 30. März 1856 zum Pariser Frieden, der die Integrität der Pforte garantierte und das Schwarze Meer den Kriegsschiffen Rußlands verschloß.
Die Herrschaft der Liberalen (1856–65).
Nachdem 1857 Persien gezwungen worden war, Herat zu räumen und G. sehr wesentliche Zugeständnisse für seinen Handel zu machen, nachdem Ostindien durch die Einverleibung des Pandschab (1849) und Audhs (1856) beträchtlich vergrößert und zur Ausbreitung des englischen Handels ein Krieg mit China begonnen worden war, drohten alle Erfolge der Engländer in Asien durch den furchtbaren Aufstand in Ostindien (s. d.), der 1857 ausbrach, vernichtet zu werden. Als die Unterdrückung endlich gelungen war, wurde 1858 die Ostindische Kompanie aufgehoben und die unmittelbare Herrschaft der Krone über ihr Gebiet eingeführt. In London wurde ein Ministerium für Indien errichtet; in Ostindien selbst die Regierung einem zu Kalkutta residierenden Vizekönig übertragen. Der Krieg mit China ward durch den Frieden von Tiëntsin (27. Juni) beendigt, aber schon 1859 wegen Streitigkeiten über dessen Ausführung im Bunde mit Frankreich wieder begonnen. Die Verschanzungen der Chinesen an der Peihomündung wurden im August 1860 von den Verbündeten genommen, 13. Okt. Peking besetzt und 26. Okt. daselbst der Friede unterzeichnet.
Das Ministerium Palmerston war inzwischen im Februar 1858 gestürzt und durch ein toryistisches unter Derby ersetzt worden, weil die von Palmerston nach dem Attentat Orsinis gegen Napoleon III. eingebrachte sogen. Murder-bill, durch welche die bisherigen milden Gesetze gegen Verschwörungen verschärft wurden, im Unterhaus scharf getadelt worden war. Aber auch das Derbysche Kabinett behauptete sich nicht lange. Die von Disraeli 1859 vorgeschlagene Reformbill wurde 31. März im Unterhaus abgelehnt, worauf dieses aufgelöst, durch die Neuwahlen aber die Opposition nur verstärkt wurde. So mußte Derby im Juni 1859 zurücktreten, und Palmerston bildete ein neues Kabinett, in dem Russell das Auswärtige und Gladstone die Finanzen übernahmen. Einen glänzenden Erfolg errang dies Ministerium durch den auf freihändlerischen Grundsätzen beruhenden Handelsvertrag mit Frankreich, der 1860 abgeschlossen wurde. In der auswärtigen Politik war G. weniger glücklich. Indem Palmerston auch jetzt fortfuhr, sich in die innern Angelegenheiten auswärtiger Staaten einzumischen, aber weder den Willen noch die Macht besaß, seinen Worten durch die kraftvolle Tat Nachdruck zu geben, führte sein Eintreten für die polnischen Insurgenten von 1863 und seine Parteinahme für Dänemark bei dem Ausbruch der schleswig-holsteinischen Verwickelung nur zu empfindlichen diplomatischen Niederlagen. Von der Expedition nach Mexiko (s. d.), zu der sich G. mit Frankreich und Spanien im Oktober 1861 verbunden hatte, zog es sich durch die Konvention von Soledad (19. Febr. 1862) bald wieder zurück. Während des Bürgerkrieges in der nordamerikanischen Union, der allerdings durch die Unterbrechung der Baumwollenzufuhr die Interessen der englischen Industrie empfindlich berührte, widmete G. den Südstaaten, dse es als kriegführende Macht anerkannte, die lebhaftesten Sympathien. Es gestattete die Ausrüstung von südstaatlichen Blockadebrechern und Kaperschiffen in britischen Häfen, zog sich aber dadurch energische Beschwerden Amerikas zu und mußte schließlich in dem Vertrag von Washington 8. Mai 1871 in die Einsetzung eines Schiedsgerichtes willigen, das die von G. zu zahlende Entschädigung festsetzen sollte (vgl. Alabamafrage). Während G. so allen ernsten auswärtigen Verwickelungen auswich, vermehrte es eifrig seine Verteidigungsmittel gegen einen etwaigen Angriff; 1860 bewilligte das Parlament nicht weniger als 11 Mill. Pfd. Sterl. für eine ausgedehnte Küstenbefestigung; auch wurden die Flotte verstärkt und die Freiwilligenkorps vermehrt. Ein uneigennütziger und kluger Akt der britischen Regierung war 1862 die Abtretung der Ionischen Inseln an Griechenland.
Die Parlamentsreform und die irische Frage (1865–74).
Als Lord Palmerston 18. Okt. 1865 aus dem Leben geschieden war, wurde das Kabinett, dessen Vorsitz Russell übernahm, durch fortgeschrittene Liberale ergänzt. Hierdurch wurde die Parlamentsreformfrage, über die schon in mehreren Sessionen fruchtlos verhandelt worden war, aufs neue in Fluß gebracht. Im März 1866 legte Gladstone dem Unterhaus seinen Reformplan vor, der aber an dem Widerstande der konservativen Partei und eines Teiles der Liberalen unter Horsman und R. Lowe (der sogen. Adullamiten) scheiterte. Das Ministerium nahm darauf 26. Juni seine Entlassung, und Derby bildete ein konservatives Kabinett, in dem Disraeli das Schatzamt und die Führerschaft im Unterhaus übernahm. Dieser legte, da die öffentliche Meinung entschieden für die Wahlreform war, einen neuen Gesetzentwurf vor, der auf der Grundlage des sogen. Householdsuffrage beruhte, aber im Unterhaus nicht unerheblich umgestaltet wurde. Wie die Bill schließlich 15. Juli 1867 durchging, gab sie in den Städten jedem steuerzahlenden Eigentümer oder Mieter eines ganzen Hauses und ferner jedem Zimmermieter, der 10 Pfd. Sterl. Miete zahlte und dieselbe Wohnung ein Jahr lang innehatte, das Wahlrecht, in den Grafschaften jedem Pächter, dessen Pachtsumme 12 Pfd. Sterl. betrug. Dies Gesetz, das mehr als eine Million neue Wähler schuf, wurde 1872 durch die Einführung der geheimen schriftlichen Abstimmung (Ballot) ergänzt.
Im Herbst 1867 kam es zu einem Kriege gegen König Theodor von Abessinien (s. d., S. 35), der sich gegen englische Untertanen Gewalttätigkeiten erlaubt hatte. Der Feldzug führte mit der Erstürmung Magdalas (14. April 1868) durch indische Truppen unter Sir Robert Napier ohne großen Verlust zum Ziel, worauf die Engländer 1. Juni Abessinien wieder räumten. Das Parlament bewilligte die Kosten für diesen Krieg, mißbilligte aber die Haltung des Kabinetts, dessen Vorsitz nach dem Rücktritt Derbys (25. Febr. 1868) Disraeli übernommen hatte, in der irischen Frage, in der die Konservativen mit Ausnahmemaßregeln und geringen Zugeständnissen auszukommen hofften. Gladstone beantragte dagegen eine Resolution, welche die Entstaatlichung (disestablishment) der anglikanischen Staatskirche in Irland forderte und 30. April 1868 angenommen wurde. Disraeli trat darauf, nachdem er auch bei den nach dem neuen Wahlgesetz vorgenommenen Wahlen unterlegen war, 3. Dez. 1868 zurück.
Gladstone, der das neue liberale Kabinett bildete, bereitete nun eine umfassende Reform der irischen Verhältnisse vor, die allerdings nicht länger aufgeschoben werden konnte. Denn der in Nordamerika begründete revolutionäre Geheimbund der Fenier (s. d.) arbeitete schon seit Jahren auf die Losreißung Irlands von G. und die Errichtung einer irischen Republik hin, die auf dem ersten fenischen Kongreß zu Chicago 1863 als Ziel des Bundes proklamiert wurde. Durch die Suspension der Habeascorpusakte (1865), die Unterdrückung des Hauptorgans der Fenier in der Presse, durch zahlreiche Verhaftungen und durch eine sorgfältige Küstenbewachung suchte die Regierung dem Ausbruch eines Aufstandes vorzubeugen. Und als dennoch die Fenier 12. Febr. 1867 eine Empörung in Killarnay, 5. März in Drogheda, Anfang Juni auch eine Landung in Waterford unternahmen, ward die Regierung zwar ihrer Herr, aber Gladstone sah ein, daß den Mißständen in Irland nicht bloß durch Gewaltmaßregeln ein Ende gemacht werden könne. Zunächst setzte er nach harten Kämpfen eine Bill über die Aufhebung der irischen Staatskirche durch, die am 26. Juli 1869 Gesetzeskraft erhielt; das große Eigentum der irischen Kirche ging in die Hände einer königlichen Kommission über; etwa der dritte Teil davon wurde zu wohltätigen Zwecken, auch für Katholiken und Presbyterianer, bestimmt. 1870 wurde sodann eine irische Landbill angenommen, wonach der Staat in Irland Ländereien ankaufen sollte, um sie zu parzellieren und wieder kleine Grundbesitzer zu schaffen; außerdem wurde den Pächtern gegen willkürliche Maßregeln seitens der meist in England lebenden Grundherren staatlicher Schutz gesichert. Aber die Wirkungen, die man erhofft hatte, übten diese Maßregeln nicht aus. Die Tumulte und agrarischen Mordtaten der Fenier hörten nicht auf, und auch die gemäßigten Iren, die im Unterhaus von Butt und Sullivan geführt wurden, betrachteten jene Zugeständnisse nur als eine Abschlagszahlung; sie nahmen die alte Repealbewegung mit dem Stichwort Homerule (Heimatsregierung) auf und forderten für Irland ein selbständiges Parlament. Um dies zu erreichen, benutzten sie die schwerfällige Geschäftsordnung des Parlaments zu systematischer »Obstruktion« gegen die ordnungsmäßige Erledigung seiner Geschäfte und verscherzten dadurch die Sympathie des Parlaments so sehr, daß ein neues Gesetz, das durch Regelung des Universitätsunterrichts in Irland dringenden Beschwerden der Katholiken abhelfen sollte, im März 1873 verworfen wurde.
Während des deutsch-französischen Krieges 1870 blieb G. neutral, duldete aber nach dem Sturz des Napoleonischen Kaiserreichs die Ankäufe von Pferden, Kohlen und Waffen sowie die Aufnahme von Anleihen in G. seitens der französischen Republik. Als nun Rußland verlangte, daß die ihm im Pariser Frieden von 1856 auferlegte Beschränkung, keine Kriegsschiffe im Schwarzen Meer halten zu dürfen, aufgehoben würde, wies G. zwar diese Forderung zurück; da es aber weder von Deutschland noch von irgend einer andern europäischen Macht unterstützt wurde, mußte es in die Berufung der Pontuskonferenz nach London (Januar 1871) willigen, welche die russische Forderung im wesentlichen genehmigte. Diese empfindliche Niederlage konnte durch den erfolgreichen Feldzug Wolfeleys gegen die Aschanti (1873–74) nicht aufgewogen werden. Unter diesen Umständen fielen die Neuwahlen zum Parlament im Februar 1874 zugunsten der Konservativen aus, worauf Gladstone seine Entlassung nahm. Es folgte ein konservatives Kabinett unter Disraeli, dessen bedeutendste Mitglieder Derby und Salisbury waren.
Die Reichspolitik Disraeli-Beaconsfields (1874–1880).
Die Politik Disraelis, seit August 1876 Lord Beaconsfield, war im Innern durchaus konservativ und hielt in Irland die äußere Ruhe aufrecht, suchte dagegen nach außen hin Macht und Einfluß des britischen Reiches zu erweitern, zu welchem Zweck das Landheer einer durchgreifenden Reform unterzogen und die Seemacht ansehnlich verstärkt wurde. Nachdem am 26. Sept. 1874 die Fidschiinseln annektiert waren, erwarb 1875 G. durch den Ankauf von 4 Mill. Pfd. Sterl. Aktien des Suezkanals von dem Chedive von Ägypten einen maßgebenden Einfluß auf diese wichtigste Seeverbindung mit Ostindien, das am 1. Jan. 1877 zum Kaiserreich erhoben wurde. In Südafrika plante G. eine Konföderation aller Kolonien, und als die Transvaalrepublik beizutreten sich weigerte, ward sie im April 1877 unter britische Oberhoheit gestellt. In Europa gab die orientalische Frage G. Gelegenheit, sein erschüttertes Ansehen herzustellen. Als nach dem Ausbruche des russisch-türkischen Krieges (im April 1877) die Russen 1878 gegen Konstantinopel vorrückten und 29. Jan. die Küste des Marmarameers erreichten, legte sich eine britische Flotte zum Schutz Konstantinopels bei den Prinzeninseln vor Anker. Nach dem Frieden von Santo Stefano (3. März) betrieb dann Beaconsfield aufs eifrigste die Rüstungen zum Krieg und bewog dadurch Rußland, das den Konflikt vermeiden wollte, zur Nachgiebigkeit. Auf Grund des Londoner Protokolls vom 30. Mai trat im Juni der Berliner Kongreß zusammen, auf dem G. eine erhebliche Verminderung der von Rußland im Frieden von Santo Stefano erhobenen Ansprüche erreichte. Noch während des Kongresses wurde ein Vertrag mit der Türkei vom 4. Juni bekannt, durch den die Insel Cypern an G. abgetreten wurde, das dafür die Garantie der asiatischen Besitzungen des Sultans übernahm. Es waren in der Tat glänzende Erfolge, die so die auswärtige Politik Beaconsfields davongetragen hatte.
Allerdings hatte die Spannung mit Rußland noch in Afghanistan ein Nachspiel. Der Emir Schir Ali wies nämlich, durch die Russen aufgereizt, eine an ihn abgeschickte englische Gesandtschaft im September 1878 an seiner Grenze zurück. Die indische Regierung ließ darauf eine beträchtliche Armee in Afghanistan einrücken, die einen großen Teil des Landes besetzte. Schir Ali flüchtete und überließ die Regierung seinem Sohne Jakub-Chan, der im Mai 1879 mit G. den Frieden von Gandamak schloß, in dem er alle Gebirgsdistrikte an der indisch-afghanischen Grenze abtrat und gegen jährliche Subsidien einen britischen Residenten in Kabul aufzunehmen versprach. Da aber dieser Resident mit seinen Begleitern schon 3. Sept. bei einem Aufstand in Kabul ermordet wurde, brach der Krieg wieder aus. In Südafrika verlief ein Krieg gegen den Zulukönig Cetewayo zwar anfangs unter Führung von Lord Chelmsford nicht glücklich; nachdem aber dieser durch Wolseley ersetzt war, wurde Cetewayo 3. Juli 1879 entscheidend geschlagen und 30. Aug. gefangen genommen.
So groß alle diese äußern Erfolge Beaconsfields waren, so kostspielig waren sie für G.; und diese Kosten waren um so schwerer zu tragen, als Ackerbau, Handel und Industrie unter den Folgen einer allgemeinen Geschäftskrisis litten. Dies und die Fortdauer der Erregung in Irland, wo die Homerule-Partei, jetzt unter Führung Parnells, eine Landliga gründete und eine völlige Umwälzung der Besitzverhältnisse forderte, beeinflußte in überraschender Weise das Ergebnis der Neuwahlen, die Beaconsfield anordnete, nachdem er 24. März 1880 das Unterhaus aufgelöst hatte. Die Liberalen gewannen über 350 Sitze, die Konservativen nur etwa 230, so daß Beaconsfield 19. April zurücktrat und Gladstone zum Premierminister ernannt wurde.
Gladstones Reformgesetze (1880–85).
Das neue Gladstonesche Ministerium, das aus allen Schattierungen der Liberalen zusammengesetzt war, beeilte sich, die auswärtigen Verwickelungen zu lösen, die es als Erbschaft von der vorigen Regierung übernommen hatte. In Afghanistan wurde ein bisheriger Schützling Rußlands, Abd er Rahmân, als Emir anerkannt und gegen einen andern Prätendenten, Ejjub Chan, durch die englischen Truppen unter General Roberts geschützt (im September 1880). Die Annexion Transvaals wollte Gladstone aufrechterhalten, mußte aber, als die Buren sich dagegen erhoben, nach den Niederlagen bei Laings Neck und bei Majubahill (28. Jan. u. 27. Febr. 1881) einen Frieden schließen (23 März) und sich mit der Suzeränität über Transvaal begnügen. Der zugleich selbstsüchtige und ängstliche Charakter der Gladstoneschen Politik trat besonders deutlich in Ägypten hervor. Als sich hier 1882 eine Nationalpartei unter Arabi Pascha gegen den schwachen Chedive Tewfik erhob, der 1879 auf den abgesetzten Ismael Pascha gefolgt war und ganz unter dem Einfluß der Fremden, besonders der Engländer und Franzosen, stand, schritt G., da Frankreich sich nicht beteiligen wollte, allein ein, ließ 11. Juli Alexandria bombardieren und besetzen und nach einem kurzen Feldzug das Heer Arabis 13. Sept. bei Tel el Kebir auseinandersprengen. Die Engländer hielten darauf Ägypten mit 12,000 Mann besetzt und die Regierung des Chedive unter strenger Vormundschaft. Dagegen gaben sie den ägyptischen Sudân dem daselbst ausgebrochenen Aufstand des Mahdi preis und ließen auch General Gordon (s. d. 3) in Chartum im Stiche.
Sein Hauptaugenmerk richtete Gladstone auf die Beruhigung Irlands, wo die öffentliche Sicherheit durch Zusammenrottungen, Straßentumulte, agrarische Verbrechen und durch ein von der Landliga rücksichtslos ausgeübtes Einschüchterungs- und Achtungssystem (s. Boycott) in einzelnen Teilen des Landes völlig zerrüttet war. Um diesen Zuständen ein Ende zu machen, setzte die Regierung nach langer Obstruktion der irischen Deputierten 21. März 1881 zwei Ausnahmegesetze für Irland durch, deren eins den Besitz von Feuerwaffen verbot, das andre den Vizekönig ermächtigte, eine Art von Belagerungszustand zu verhängen und ohne gerichtliches Verfahren Verhaftungen vorzunehmen. Darauf ward von Gladstone eine neue irische Landbill eingebracht, die den Pächtern erhebliche Zugeständnisse machte, aber trotzdem von der irischen Landliga 16. Sept. für durchaus ungenügend erklärt wurde, da die Abschaffung der Pachtzinse allein die Iren zufriedenstellen könne. Darauf ließ die Regierung zahlreiche Führer der Landliga, auch Parnell, verhaften und verbot die Liga und ihre Versammlungen. Aber die verhafteten Führer der Liga hatten die Parole ausgegeben, bis zur Aufhebung der Zwangsmaßregeln überhaupt keinen Pachtzins mehr zu zahlen (No rent-Manifest), und dieser Befehl fand entweder freiwilligen oder durch die Schreckenstaten der »Mondscheinbanden« erzwungenen Gehorsam.
Angesichts der Erfolglosigkeit der Zwangsmaßregeln und der Fortdauer der Gesetzlosigkeit in Irland knüpfte der Minister Chamberlain mit den verhafteten Führern der Iren Verhandlungen an, die im Mai 1882 zu einer Verständigung (Vertrag von Kilmainham) führten. Parnell und seine Freunde versprachen für die Herstellung der gesetzlichen Ordnung zu wirken, wenn sie freigelassen und neue agrarische Reformmaßregeln ergriffen würden. Ihre Freilassung reizte aber die unversöhnlichen Elemente der irischen Partei zu einer blutigen Gewalttat, um eine Versöhnung unmöglich zu machen, nämlich zur Ermordung des neuen Obersekretärs für Irland, Lord Cavendish, und seines Unterstaatssekretärs Burke in Dublin 7. Mai 1882. Die Regierung legte nun dem Parlament eine neue irische Zwangsbill, gleichzeitig aber auch eine Bill vor, welche die allmähliche Tilgung der Pachtrückstände mit Hilfe von Beiträgen des Staates und von Opfern der Grundherren herbeiführen sollte. Beide Gesetze wurden angenommen. Um nun aber seine irische Reformpolitik sicherer fortsetzen zu können, hielt Gladstone eine Verstärkung der entschieden liberalen Elemente im Parlament für notwendig, da viele seiner ehemaligen Anhänger ihn verlassen hatten. Um dies herbeizuführen, legte er 29. Febr. 1884 dem Unterhaus eine neue Reformbill vor, die das durch das Wahlgesetz von 1867 für die Städte eingeführte Stimmrecht für alle Haushaltungsvorstände u. Chambregarnisten auf die ländlichen Wahlbezirke ausdehnte, unter gewissen Bedingungen auch den männlichen Dienstboten das Stimmrecht verlieh und so die Zahl der Wähler um 2,5 Mill. vermehrte. Das Oberhaus machte seine Zustimmung zu diesem Gesetz von dem Zugeständnis einer neuen Einteilung der Wahlbezirke abhängig, durch welche die Zahl der Abgeordneten auf 670 vermehrt wurde. Darauf genehmigte es die Reformbill 5. Dez. 1884, und die ganze Wahlgesetzgebung kam 23. Juni 1885 zum Abschluß.
Der Kampf um Irland.
Kurz vorher war das Ministerium Gladstone, von einem Teil der liberalen Partei selbst verlassen, 9. Juni 1885 bei einer Budgetdebatte im Unterhaus geschlagen und zum Rücktritt gezwungen worden. Es folgte ein konservatives Kabinett unter Lord Salisbury, das der auswärtigen Politik wieder eine energischere Richtung gab, im Herbst 1885 einen Feldzug nach Birma anordnete und nach der Gefangennahme des Königs die Einverleibung Birmas in das indobritische Reich verkünden ließ (1. Jan. 1886). Indessen aber hatte bei den Neuwahlen zum Parlament (im November und Dezember 1885) die Demokratisierung des Wahlrechts ihre Wirkung getan; 251 konservativen Abgeordneten standen 333 Liberale und 86 Iren unter Parnell gegenüber, so daß die letztern die ausschlaggebende Partei im Unterhaus waren. Unter diesen Umständen vollzog Gladstone eine verhängnisvolle Wendung seiner Politik. Mit Unterstützung der Iren stürzte er 26. Jan. 1886 das Ministerium Salisbury und bildete zum drittenmal ein liberales Kabinett. Um aber der irischen Hilfe auch fernerhin sicher zu sein, ohne die er seinen Plan, die englischen Zustände noch weiter im demokratischen Sinn umzugestalten, nicht ausführen konnte, beschloß er, den Hauptforderungen der Iren nachzugeben. Er legte dem Parlament zwei Gesetzentwürfe vor, deren einer die Errichtung eines irischen Parlaments und eines irischen Ministeriums in Dublin (»Homerule«) vorschlug, während der andre mit Staatsmitteln die Umwandlung des irischen Großgrundbesitzes in Bauernbesitz unterstützen wollte. Darüber aber kam es zu einer Spaltung der liberalen Partei. Nicht nur die Führer der gemäßigten Liberalen, wie Hartington, Forster, Goschen, sondern auch ein Teil der Radikalen unter Chamberlain trennten sich von Gladstone und bildeten die Partei der liberalen Unionisten, die sich mit den Konservativen verband und 7. Juni das Homerule-Gesetz zu Fall brachte. Gladstone löste nun das Parlament auf, aber das Land entschied gegen ihn (Juli 1886), und in dem neuen Unterhaus hatten die Konservativen und liberalen Unionisten die Mehrheit gegen die Gladstonianer und Parnelliten. Darauf trat Gladstone zurück (20. Juli), und Salisbury bildete ein konservatives Ministerium, in das später Goschen als Schatzkanzler und Vertreter der liberalen Unionisten eintrat (Januar 1887).
Die auswärtige Politik der neuen Regierung war friedlich, aber nicht kraftlos. Die schon früher bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu Italien wurden befestigt und eine Annäherung an Deutschland angebahnt, die auch Kaiser Wilhelm II. begünstigte. Durch eine Reihe von Verträgen mit Frankreich, Deutschland, Italien und Portugal wurden in den Jahren 1887–1891 die ewige Neutralität des Suezkanals festgestellt und die Besitzungen der europäischen Kolonialmächte in Afrika gegen die britischen abgegrenzt; an Deutschland wurde dabei 1. Juli 1890 gegen die Anerkennung des britischen Protektorats über Sansibar und Witu die Insel Helgoland abgetreten. In Ägypten hielt G. seine Stellung aufrecht und schlug 3. Aug. 1889 einen Einfall der Derwische des Sudâns zurück; die Versuche des Chedive Abbas Pascha, der durch den Tod seines Vaters Tewsik 7. Jan. 1892 zur Regierung gelangt war, sich von der englischen Bevormundung zu befreien, wurden energisch niedergehalten. Endlich trug Lord Salisbury auch für eine namhafte Verstärkung der britischen Wehrkraft Sorge. Im Mai 1889 wurde eine über sieben Jahre zu verteilende Vermehrung der Flotte um 70 Kriegsschiffe, darunter 10 Panzer, weiter eine sofortige Verstärkung der Flottenmannschaft um 3000 und der Landarmee um 2600 Mann, endlich die Einführung des Magazingewehrs beschlossen.
Die bedeutenden Ausgaben hierfür zu bewilligen, ermöglichte G. die ausgezeichnete Finanzwirtschaft des Schatzkanzlers Goschen, der durch eine Zinsreduktion der Staatsschuld (von 3 auf 23/4 Proz.) erhebliche Ersparnisse erzielt hatte. Auch im übrigen war die innere Politik der Regierung keineswegs unfruchtbar; durch das Bündnis mit den liberalen Unionisten war sie gezwungen, auf dem Wege der Reformgesetzgebung vorzuschreiten. Durch ein Gesetz vom Jahre 1888 wurde die Provinzialverwaltung völlig umgestaltet; ganz England (und ähnlich 1889 auch Schottland) wurde in 122 neue Grafschaften eingeteilt und deren Verwaltung Grafschaftsräten übertragen, die aus allgemeinen Wahlen hervorgehen sollten, ein höchst bedeutsamer Schritt zu weiterer Demokratisierung der englischen Zustände. Auch für das öffentliche Unterrichtswesen ward Sorge getragen. Nachdem bereits 1870 staatliche Schulbehörden eingerichtet waren und 1876 der Besuch der Volksschulen obligatorisch geworden war, ward durch ein am 1. Sept. 1891 in Kraft getretenes Gesetz die Unentgeltlichkeit des Unterrichts an zwei Dritteln aller Volksschulen eingeführt, an einem letzten Drittel das Schulgeld bedeutend ermäßigt. Zur Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes wurde 1889 ein Ackerbauministerium errichtet und 1892 die Erwerbung kleiner Landgüter durch Pächter auch in England erleichtert.
In Irland bestrebte sich die Regierung, mit starker Hand die Ordnung aufrecht zu erhalten; zu diesem Behuf ließ sie sich durch ein Gesetz vom Juli 1887 neue Vollmachten, insbes. zur Ersetzung der Geschwornen durch Ausnahmegerichte in gewissen Grafschaften Irlands, erteilen. Aber auch hier ward daneben auf die allmähliche Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse Bedacht genommen. Diesem Zwecke dienten eine Landbill von 1887 und ein noch umfassenderes Gesetz von 1891, das zur Erleichterung der Parzellierung des irischen Großgrundbesitzes Staatsmittel in bedeutendem Umfang zur Verfügung stellte, weiter 1889 Gesetze über den Bau von Sekundärbahnen und die Entwässerung des Landes, dann 1891 die Einführung des unentgeltlichen Volksschulunterrichts auch in Irland. Die parlamentarische Behandlung dieser Gesetze war dadurch wesentlich erleichtert worden, daß die Aktionsfähigkeit der irischen Partei im Unterhaus erheblich geschwächt war. Zwar hatten sich ihre Führer von den Anklagen, welche die »Times« auf Grund angeblicher Briefe Parnells gegen sie wegen Mitschuld an der Ermordung des Lords Cavendish und des Unterstaatssekretärs Burke erhoben hatten, vor einer im August 1888 eingesetzten richterlichen Kommission, deren Verhandlungen sich bis zum Februar 1890 hinzogen, gereinigt, indem sich ergab, daß jene Briefe gefälscht und daß auch andre von der »Times« gegen sie vorgebrachte Beschuldigungen wegen unmittelbarer Beteiligung an den Verbrechen der Fenier nicht aufrecht zu erhalten waren. Aber schon im Dezember 1890 führte ein skandalöser Ehebruchsprozeß, in dem Parnell für schuldig erklärt war, und wegen dessen Gladstone seine Verbindung mit ihm abgebrochen hatte, zur Spaltung der Partei, deren Mehrheit Parnell die Führerschaft entzog. Der Gegensatz zwischen Parnelliten und Antiparnelliten (unter Mac Carthy) wurde sehr schroff; er erhielt sich auch, als nach dem Tode Parnells 6. Okt. 1891 die Führung seines Flügels der Partei auf Redmond überging; erst nach neun Jahren, im Januar 1900, kam es zur Wiedervereinigung der beiden Fraktionen unter Redmonds Leitung.
Inzwischen hatte die Regierung, auf ihre bisherigen Erfolge bauend, 28. Juni 1892 das Unterhaus aufgelöst, obwohl dessen Mandat noch bis 1893 gereicht haben würde. Die Neuwahlen brachten eine ähnliche Überraschung wie diejenigen von 1880. Die lange Herrschaft einer Partei hatte jetzt wie damals zahlreiche Mißvergnügte geschaffen, und die Stimmung aller derer, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden waren, ward von der skrupellosen Demagogie Gladstones und seiner Anhänger geschickt ausgenutzt. So geschah es, daß Gladstone zusammen mit den Iren die Mehrheit im Parlament gewann: aus den Wahlen gingen 275 Gladstonianer, 81 Iren, 268 Konservative und 46 liberale Unionisten hervor. Darauf trat das Ministerium Salisbury zurück; und 15. Aug. 1892 übernahm Gladstone zum viertenmal im Alter von 84 Jahren die Bildung eines Ministeriums, dessen hervorragendste Mitglieder Lord Rosebery (Auswärtiges), Lord Kimberley (Indien), Harcourt (Finanzen) und Morley (Irland) waren.
Da die neue Regierung ohne die Gefolgschaft der irischen Abgeordneten die Majorität im Unterhaus nicht besaß, mußte ihre Politik vor allem auf deren Befriedigung gerichtet sein. Schon Mitte September 1892 wurde daher die irische Verbrecherakte aufgehoben, und 13. Febr. 1893 brachte Gladstone eine neue Homerulebill im Unterhaus ein. Diese bestimmte, daß in Dublin ein aus zwei Häusern bestehendes irisches Parlament und ein irisches Ministerium errichtet werden sollten; durch diese, denen aber die Leitung der militärischen, Marine- und auswärtigen Angelegenheiten entzogen blieb, sollte mit wenigen Beschränkungen die Regierung Irlands selbständig geführt werden. Die Bill wurde nach den heftigsten Kämpfen 1. Sept. vom Unterhaus in dritter Lesung angenommen, im Oberhaus aber schon 9. Sept. mit überwältigender Mehrheit verworfen. Die Lords hatten durch diesen Beschluß die Auflösung des Parlaments herbeiführen wollen; aber Gladstone wollte sich dazu nicht entschließen, ehe er nicht durch weitere Reformmaßregeln einen Wahlsieg der Liberalen vorbereitet hätte. So wurde das Parlament schon im Herbst wieder zusammenberufen, und diese Tagung dauerte mit kurzer Unterbrechung im Frühjahr bis Ende August 1894. Gladstone selbst ward durch ein schweres Augenleiden genötigt, 3. März 1894 seine Entlassung zu nehmen; an seine Stelle trat als Premier Lord Rosebery, dem im Auswärtigen Amt Lord Kimberley folgte. Dieser Wechsel in der Leitung der Regierung schwächte deren Stellung; die Parnelliten traten zu ihr in vielfachen Gegensatz, und von dem umfangreichen Reformprogramm des Ministeriums kamen nur wenige Maßregeln, wie die Einführung von Kirchspielräten, eine Ausdehnung der mit dem Gesetz über die Grafschaftsräte begonnenen Reform der innern Verwaltung auf die Landgemeinden, zustande; die meisten übrigen wurden von den Lords abgelehnt, die den Drohungen, durch eine Verfassungsänderung die Abschaffung oder die Einschränkung der Befugnisse des Oberhauses herbeizuführen, mit kühler Ruhe gegenüberstanden.
Die letzten Jahre.
Das Ansehen der Regierung wurde auch durch ihre schwächliche auswärtige Politik vermindert. Nur in Ägypten hielt sie die englische Stellung energisch aufrecht. In Hinterasien ließ sie die Vergewaltigung Siams durch Frankreich im Sommer 1893 ruhig geschehen; einen Vertrag mit dem Kongostaat über die Regelung der Grenzen gab sie im Mai 1894 in den Teilen auf, die von Deutschland angefochten wurden. Ihr Versuch, bei Ausbruch des japanisch-chinesischen Krieges die Großmächte und die Vereinigten Staaten von Nordamerika zu einer gemeinsamen Aktion zu vereinigen, scheiterte völlig; und nach dem Frieden von Shimonoseki konnte sie nicht verhindern, daß Rußland, Frankreich und Deutschland 23. April 1895 durch einen gemeinsamen Schritt das mit G. befreundete Japan zum Verzicht auf die Abtretung der Halbinsel Liaotung zwangen. So geschah es, daß das Ministerium Rosebery in der am 5. Febr. eröffneten Parlamentssession von 1895, in der es die Homerulevorlage zu erneuern nicht wagte, sondern nur Reformgesetze pou geringerer Bedeutung vorlegte, noch vor der Erledigung dieser Entwürfe eine Niederlage erlitt. Bei Gelegenheit der Beratung über eine von der Regierung vorgeschlagene Änderung in der Oberleitung des Heeres wurde ein von Brodrick beantragtes Tadelsvotum gegen den Kriegsminister zur Überraschung der Opposition selbst mit 132 gegen 125 Stimmen angenommen. Infolgedessen reichte Lord Rosebery 22. Juni seine Entlassung ein, und Lord Salisbury bildete ein neues, sein drittes Ministerium, an dem auch die liberalen Unionisten, besonders auf Veranlassung Chamberlains, sich entschlossen, teilzunehmen. Von den Führern der Konservativen traten unter andern Arthur Balfour als erster Lord des Schatzes, Hicks-Beach als Schatzkanzler, Lord Lansdowne als Kriegsminister, von den liberalen Unionisten der Herzog von Devonshire als Präsident des Geheimen Rates, Chamberlain als Kolonialminister, Goschen als erster Lord der Admiralität in das Kabinett ein. Das Parlament wurde 8. Juli aufgelöst; bei den Neuwahlen erfochten die vereinigten Konservativen und liberalen Unionisten einen glänzenden Sieg; ihre Mehrheit über Gladstonianer und Iren betrug 152 Stimmen.
Die neue Regierung trat nach außen hin energischer auf als ihre Vorgängerin. Sie hielt in dem indisch-afghanischen Grenzgebiet den Gebirgsstaat Tschitral, den die Briten im Frühjahr 1895 besetzt hatten, den aber Lord Rosebery wieder hatte räumen wollen, fest und machte ihn tatsächlich zu einem Teil des indischen Reiches. In Afrika unternahm sie einen Krieg gegen die Aschanti, deren König die Abstellung der Menschenopfer, die Anerkennung der britischen Schutzhoheit und die Aufnahme eines britischen Kommissars in seiner Hauptstadt abgelehnt hatte; General Scott rückte im Januar 1896 von der Goldküste auf in das Aschantiland ein, besetzte ohne Widerstand Kumassie und führte den König als Gefangenen ab, worauf das Reich der Goldküstenkolonie einverleibt wurde. Ernstere Verwickelungen bereiteten sich in Südafrika vor. Hier begannen gegen Ende des Jahres 1895 die Vorbereitungen zu einer von dem Premierminister der Kapkolonie, Cecil Rhodes, begünstigten Verschwörung, die unter dem Vorwand, der Bedrückung der englischen Ansiedler in der Südafrikanischen Republik (Transvaal) durch die Regierung der Buren ein Ende zu machen, in Wirklichkeit darauf ausging, im Interesse der englischen Minenbesitzer und der von dem Kolonialminister Chamberlain begünstigten Südafrikanischen Kompanie die Transvaalrepublik der englischen Herrschaft zu unterwerfen. Hier aber erlitt die englische Habsucht eine entschiedene Niederlage. Der am 31. Dez. mit einem Haufen Bewaffneter in das Gebiet der Republik eingefallene Jameson wurde 1. Jan. 1896 bei Krügersdorp von den Buren geschlagen und am folgenden Tage bei Doornkop gefangen genommen; Cecil Rhodes mußte infolgedessen sein Amt niederlegen. Chamberlain erwirkte nun zwar die Auslieferung der Gefangenen, deren Führer in England zu leichten Strafen verurteilt wurden, und die Begnadigung der in die Verschwörung verwickelten Einwohner von Johannisburg, und fuhr auch fort, in drohenden Noten Reformen in der Verfassung des Landes von den Buren zu fordern. Aber der Hauptzweck des Jamesonschen Unternehmens war vereitelt; die Regierungen von Transvaal und der Oranjerepublik schlossen 1897 ein enges Bündnis gegen neue Eroberungspläne und begannen, da sie den Krieg mit England für unvermeidlich hielten, nachdrückliche Rüstungen. Zugleich führte diese Angelegenheit infolge eines von dem deutschen Kaiser nach der Niederlage Jamesons an den Präsideuten Krüger gerichteten Glückwunschtelegramms eine ernste Verstimmung zwischen G. und Deutschland herbei. Etwa gleichzeitig hatte die englische Regierung auch in einer andern Verwickelung, in die sie in Amerika geriet, eine Niederlage erlitten. Hier war im Januar 1895 ein Streit mit der Republik Venezuela wegen der Abgrenzung zwischen deren Gebiet und dem der Kolonie Britisch-Guayana entstanden, in den sich die Vereinigten Staaten auf Grund der Monroedoktrin einmischten. Als England diese Einmischung ablehnte, richtete der Präsident Cleveland 17. Dez. 1895 eine kriegerisch klingende Botschaft an den Kongreß, in der er erklärte, daß, wenn die streitenden Parteien sich nicht zu einigen vermöchten, die Vereinigten Staaten durch eine von ihnen zu ernennende Kommission die Grenzregulierung in Angriff nehmen müßten. Die Verhandlungen zogen sich monatelang hin; schließlich mußte England 9. Nov. 1896 doch in die Niedersetzung des von ihm anfangs entschieden abgelehnten Schiedsgerichts einwilligen.
Währenddessen bereitete die innere Politik der Regierung wenig Schwierigkeiten. Ihre große und zuverlässige Majorität im Unterhaus ermöglichte ihr in der vom 11. Febr. bis 14. Aug. 1896 währenden Tagung des Parlaments, die laufenden Geschäfte leicht und sicher zu erledigen. Nur die am 31. März von Sir John Gorst eingebrachte Unterrichtsbill, die den meist von kirchlichen Behörden geleiteten freien Volksschulen (voluntary schools) einen erheblichen Staatszuschuß zubilligte und, indem sie damit eine wesentliche Veränderung in der Organisation der Schulaufsicht verband, die gedeihliche Weiterentwickelung der konfessionslosen Gemeindeschulen (board-schools) zu gefährden schien, stieß auf so heftigen Widerstand, daß sie 22. Juni zurückgezogen werden mußte. Dagegen wurde das von der Regierung eingebrachte irische Landgesetz, das weitere Erleichterungen für die Umwandlung des Pachtverhältnisses in ein Eigentumsverhältnis einführte, 29. Juli im Unterhaus und 14. Aug. auch im Oberhaus angenommen. Auch in den Sessionen von 1897 (19. Jan. bis 6. Aug.) und 1898 (8. Febr. bis 12. Aug.) lagen die Verhältnisse ähnlich.
Im J. 1897 ward das 60jährige Regierungsjubiläum der Königin Viktoria (20. Juni) mit unerhörtem Glanze gefeiert, auch das neue Schulgesetz, das sich diesmal auf die Erhöhung des Staatsbeitrages zu den Volksschulen beschränkte, glatt angenommen. 1898 bezog sich die wichtigste gesetzgeberische Maßregel auf Irland. Da die Partei der irischen Nationalisten im Parlament mehr und mehr isoliert war und bei ihrer Forderung von Homerule nicht einmal mehr von der ganzen liberalen Opposition unterstützt wurde, da auch die Zustände auf der Insel sich wenigstens scheinbar gebessert hatten und ernste Störungen der öffentlichen Ruhe immer seltener geworden waren, so glaubte die Regierung die Ausdehnung des in den letzten Jahren in England und Schottland durchgeführten Systems der lokalen Selbstverwaltung auf Irland wagen zu dürfen. Durch eine Bill, die am 12. Aug. 1898 Gesetzeskraft erhielt, wurden auch für Irland Grafschafts- und Distriktsräte geschaffen, die, aus allgemeinen Wahlen hervorgehend, mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet wurden, für die indessen, mit Rücksicht auf die besondern Verhältnisse des Landes, den Geistlichen aller Konfessionen die Wählbarkeit versagt ward.
Inzwischen hatte G. auch in Nordafrika die neue energische Richtung seiner auswärtigen Politik zum Ausdruck gebracht. Im Frühjahr 1896 beschloß die Regierung eine Angriffsbewegung gegen die Mahdisten, um die ehemals ägyptischen Südprovinzen zurückzuerobern. Ungeachtet der Schwierigkeiten, die Frankreich und Rußland G. bereiteten, indem sie gegen die Bestreitung eines Teiles der Kosten des Feldzuges aus den Mitteln der ägyptischen Schuldentilgungskasse Protest erhoben, ward das Unternehmen ins Werk gesetzt. Im Juni schlug General Kitchener (s. d.) die Derwische bei Firkeh, im Herbst besetzte er Dongola. Im Mai 1897 wurde ein Vertrag mit Abessinien geschlossen, in dem die Grenzen zwischen diesem Reich und den britischen Besitzungen geregelt, den Engländern Handelsvorteile gewährt und das Versprechen gegeben wurde, daß der Negus die Anhänger des Mahdi als Feinde behandeln würde. Im Sommer wurden darauf die Ufer des Nils an den wichtigsten Punkten von Dongola bis Berber mit Garnisonen besetzt, und im Dezember übergaben die Italiener das bisher von ihnen besetzt gehaltene Kassalah den ägyptischen Truppen. Zu noch größern Erfolgen führte der Feldzug von 1898. Kitchener brachte 8. April dem Nachfolger des Mahdi, dem Kalifen Abdullahi, eine schwere Niederlage bei und vernichtete sein Heer vollständig in der Entscheidungsschlacht bei Omdurman, der gegenüber von Chartum belegenen Hauptstadt des Kalifen (2. Sept.), worauf auch Chartum von den anglo-ägyptischen Truppen besetzt wurde. Als dann der Kalif in Kordofan und Dar Für wieder Anhänger gesammelt hatte, an deren Spitze er 1899 gegen Chartum vordrang, wurde er 24. Nov. 1899 durch ein ägyptisches Korps unter Oberst Wingate bei Om Debrikat südlich von Dschedid abermals geschlagen; er selbst fiel, und mit der Gefangennahme Osman Digmas im Januar 1900 war die Wiedereroberung und der friedliche Besitz des Sudâns für das von G. beherrschte Ägypten gesichert.
Diese kraftvolle Entfaltung der britischen Macht in Nordafrika erregte vor allem die Eifersucht Frankreichs. Schon 1895 war davon die Rede gewesen, daß auch die Franzosen beabsichtigten, sich im östlichen Sudân festzusetzen, wogegen England ernsten Einspruch erhoben hatte. Dessenungeachtet war 1897 aus dem französischen Kongogebiet eine Expedition unter dem Major Marchand abgeschickt worden, die ins Nilgebiet vordrang und Faschoda am Weißen Nil besetzte. Auf die Kunde hiervon begab sich Kitchener im September 1898 selbst nach Faschoda und ließ auch seinerseits eine Besatzung daselbst zurück. Die Angelegenheit drohte einen Konflikt mit Frankreich herbeizuführen; aber bei der unzweifelhaften Überlegenheit Englands zur See wollte die französische Regierung es um eines so geringfügigen Anlasses willen nicht zum Kriege kommen lassen, und im Dezember 1898 zogen die Franzosen ab. Ebenso energisch traten die Engländer im Februar 1899 einem Versuch Frankreichs entgegen, sich am Persischen Meerbusen im Sultanat Oman festzusetzen; durch die Drohung mit einem Bombardement seiner Hauptstadt Maskat wurde der Sultan gezwungen, einen mit Frankreich geschlossenen Vertrag wegen Überlassung einer Kohlenstation und eines Hafenplatzes rückgängig zu machen. Frankreich nahm auch diese neue diplomatische Niederlage hin und mußte sich damit begnügen, die nordafrikanischen Angelegenheiten durch ein leidliches Abkommen mit G. zu regeln. Es verzichtete durch einen Vertrag vom 21. März 1899 auf das Niltal, Dar Für und Kordofan, wogegen G. anerkannte, daß das Hinterland von Algerien, Tunis, Tripolis und Marokko, dem französischen Einfluß unterliege; die beiderseitigen Machtsphären wurden durch eine Linie vom Wendekreis des Krebses die Libysche Wüste entlang bis zum 15. Breitengrad abgegrenzt. Daß aber auch nach diesem Vertrag in Frankreich eine überaus gereizte Stimmung gegen England zurückblieb, versteht sich von selbst.
Je mehr G. so in Europa isoliert war, desto nachdrücklicher bestrebte sich seine Regierung, die eigne Kraft zu stärken und zu entwickeln. Insbesondere suchte der Kolonialminister Chamberlain, der mehr und mehr neben Lord Salisbury als die leitende Persönlichkeit innerhalb des Ministeriums hervortrat und der anerkannte Führer der sogen. imperialistischen Richtung in G. war, einen engern Zusammenschluß zwischen dem Mutterland und den Kolonien herbeizuführen. Im Juni 1897 trat zu diesem Behuf eine Konferenz der Premierminister derjenigen Kolonien, die eine parlamentarische Verfassung besitzen, unter Chamberlains Vorsitz in London zusammen, die freilich zunächst nur auf dem Gebiete der Handelspolitik Beschlüsse faßte, deren regelmäßige Wiederkehr aber in Aussicht genommen wurde. Mit diesen Bestrebungen hing es auch zusammen, daß die Reichsregierung den seit längerer Zeit erörterten Plan eines föderativen Zusammenschlusses der australischen Kolonien aufs eifrigste förderte; doch kamen die Verhandlungen darüber erst drei Jahre später zum Abschluß. Durch ein Gesetz vom 1. Juli 1900 wurde die Verfassung des »Commonwealth of Australia«, dem sich mit Ausnahme von Neuseeland alle australischen Kolonien anschlossen, sanktioniert; der neue Bundesstaat erhielt unter britischer Oberhoheit ein Bundesparlament und eine eigne Exekutive, und er erwies sich in den Verwickelungen der nächsten Jahre als eine wertvolle Stütze der imperialistischen Politik.
Vor allen Dingen aber war diese doch auf die Hilfsquellen des Mutterlandes angewiesen, und die Regierung unterließ es nicht, diese aufs nachdrücklichste zu einer Vermehrung der Wehrkraft des Reiches auszunutzen. Von 1897 bis Anfang 1899 wurde die Vermehrung des Landheeres um 32,000 Mann beschlossen; zugleich wurden durch Erhöhung der Löhnung, Gewährung von Dienstprämien etc. Maßregeln getroffen, welche die Rekrutierung erleichtern sollten. Bedeutender war noch, was für die Flotte geschah; nachdem schon seit 1889 eine erhebliche Vermehrung des Schiffsbestandes erfolgt war, wurden 1894 bis Anfang 1899 die Mittel für den Bau von 23 Linienschiffen, 40 Kreuzern und mehr als 100 kleinern Kriegsfahrzeugen vom Parlament bewilligt.
Doch noch ungleich erheblichere Anforderungen an die Finanzkräfte des Landes machte die imperialistische Politik in den nächsten Jahren notwendig, in denen G. in den schwersten Krieg verwickelt wurde, den es seit der Mitte des 19. Jahrh. zu bestehen gehabt hat.
Die Beziehungen Großbritanniens zu der Südafrikanischen Republik waren seit 1897 immer unfreundlicher geworden. Es handelte sich dabei einmal um die Auslegung des Londoner Vertrags vom 27. Febr. 1884, in dem der Regierung von G. nur ein Einspruchsrecht gegen die von der Republik abzuschließen den auswärtigen Verträge vorbehalten war, aus dem man aber in England die Fortdauer der durch einen frühern Vertrag von 1881 anerkannten allgemeinen Suzeränität über die Republik ableitete. Sodann aber beanspruchte G. auf Grund dieser Suzeränität das Recht, sich der zahlreichen Fremden (»Uitlanders«) anzunehmen, die sich, größtenteils aus G. eingewandert, infolge der glänzenden Entwickelung der Minenindustrie auf dem Boden der Republik niedergelassen hatten; die Regierung der letztern wollte ihnen volle politische Gleichberechtigung mit den Burghers um so weniger gewähren, als sie befürchten mußte, daß diese britischen Einwanderer, die ihr heimisches Bürgerrecht neben dem südafrikanischen beizubehalten gewillt waren, bald die holländische Bevölkerung der Republik majorisieren und deren staatlicher Selbständigkeit ein Ende bereiten würden. Um einen Ausgleich herbeizuführen, fanden im Juni 1899 zwischen dem Präsidenten Krüger und dem Oberkommissar des Kaplandes Sir A. Milner (s. d.) Verhandlungen in Bloemfontein statt; aber die Zugeständnisse, die Krüger zu machen sich bereit erklärte, wurden von der englischen Regierung ebenso zurückgewiesen wie das Anerbieten Krügers, die streitigen Fragen schiedsgerichtlicher Entscheidung zu unterbreiten; und immer drohender wurde die Sprache, die G. den Buren gegenüber führte. Im Unterhaus, dessen Tagung im übrigen ruhig verlaufen war, erklärte Chamberlain in der letzten Sitzung am 9. Aug., daß die Vorherrschaft Englands in Südafrika durch das Verhalten Transvaals bedroht sei, das die Abstellung von Beschwerden verweigere und gemäßigte Wünsche der suzeränen Macht unberücksichtigt lasse; dieser Zustand könne nicht länger geduldet werden. Da nun auch britische Truppenansammlungen in der Kapkolonie und in Natal stattfanden, hielten die Buren einen Krieg für unvermeidlich; und als Chamberlain 25. Sept. erklärt hatte, daß G. demnächst die Bedingungen kundgeben würde, unter denen es bereit sei, sich mit den Buren friedlich zu verständigen, beschlossen die beiden Republiken, die Vollendung der britischen Rüstungen nicht abzuwarten, sondern ihrerseits den Kampf zu eröffnen. Am 9. Okt. ließ Krüger dem britischen Agenten in Pretoria ein Ultimatum zustellen, in dem er schiedsrichterliche Entscheidung aller Streitfragen und Einstellung der Rüstungen verlangte; als dies unbeantwortet blieb, begann 11. Okt. der südafrikanische Krieg, an dem der Oranje-Freistaat als Bundesgenosse der Transvaalrepublik teilnahm.
Der Krieg, für den das am 19. Okt. zu einer außerordentlichen Session einberufene Parlament zunächst 10 Mill. Pfd. Sterl. bewilligte, verlief anfangs für England über Erwarten unglücklich. Die Buren überschritten 12. Okt. die britischen Grenzen; im Westen schlossen sie Mafeking (in Britisch-Betschuanaland) und Kimberley (in Westgriqualand) ein; im Osten drangen sie in Natal vor, erlitten zwar 20. und 21. Okt. eine Schlappe bei Dundee und Elandslaagte, brachten dann aber 30. Okt. dem General White eine schwere Niederlage bei Modderspoint bei und zwangen ihn, sich nach Ladysmith zurückzuziehen, wo er auch eingeschlossen wurde. Endlich drangen die Freistaatburen auch in den Norden der Kapkolonie ein, auf die Erhebung der holländischen Kolonisten hoffend. Die Entsatzversuche, die von englischer Seite in den nächsten Monaten unternommen wurden, schlugen fehl. Im Westen wurde Lord Methuen 11. Dez. bei Magersfontein, in der Kapkolonie 10. Dez. General Gatacre bei Stormberg geschlagen, und eine dritte Niederlage erlitt der Obergeneral Sir Redvers Buller, der in Natal persönlich das Kommando übernahm, 15. Dez. bei Colenso. Infolgedessen wurden in G. neue Truppensendungen beschlossen, und es gereichte der imperialistischen Partei zu besonderer Genugtuung, daß auch die australischen und kanadischen Kolonien jetzt wie im weitern Verlaufe des Krieges Hilfstruppen nach Südafrika schickten. In England selbst wurden die Reserven, die Milizen und die Yeomanry einberufen, und das am 30. Jan. 1900 einberufene Parlament bewilligte 16. Febr. einen Nachtragskredit von 13 Mill. Pfd. Sterl. und genehmigte 16. März die Erhöhung des Armeebudgets für 1900/01 um 41 Mill. Pfd. Sterl. gegen das Vorjahr; der Mannschaftsbestand wurde auf 430,000 Mann gegen 185,000 im Vorjahr veranschlagt. Inzwischen war der Feldmarschall Lord Roberts noch im Dezember 1899 an Stelle Bullers zum Oberbefehlshaber in Südafrika ernannt und Lord Kitchener ihm als Generalstabschef beigegeben worden; 10. Jan. 1900 trafen beide in Kapstadt ein. In Natal behielt zunächst Buller das Kommando, dessen erneute Versuche, durch Frontangriffe auf die Stellungen der Buren diese zum Rückzug von Ladysmith zu zwingen, in den Kämpfen vom Spionkop (21.–24. Jan.) und bei Vaalkranz (4.–8. Febr.) neue verlustreiche Niederlagen der Engländer herbeiführten. Indessen verstanden es weder General Joubert, der im Osten, noch General Cronje, der im Westen die Buren befehligte, die errungenen Erfolge schnell und energisch auszunutzen; und nun griff Roberts in sorgfältig vorbereiteten Operationen selbst in den Kampf ein. Am 10. Febr. traf er im Lager Lord Methuens am Modderriver ein, am 12. trat er den Vormarsch an, um die Stellung Cronjes zu umgehen, am 16. entsetzte General French Kimberley, am 19. wurde Cronje, der infolgedessen in östlicher Richtung abgezogen war, bei Paardeberg festgehalten und umzingelt, und 27. Febr. mußte er mit über 4000 Mann die Waffen strecken, worauf auch die Belagerung von Ladysmith aufgehoben und Natal von den Buren geräumt wurde. Der Entsatz von Mafeking verzögerte sich bis zum 27 Mai.
Diese Kämpfe waren für das Schicksal der Burenrepubliken entscheidend, deren politische Selbständigkeit zu beseitigen die Engländer jetzt fest entschlossen waren. Nachdem am 13. März Bloemfontein, die Hauptstadt des Freistaates, von French besetzt war, wurden die Friedensanerbietungen der Buren zurückgewiesen, und ihre Versuche, die amerikanische Union, Deutschland, die Schweiz zur Friedensvermittelung zu bewegen, hatten keinen Erfolg. Wiewohl die Buren, als deren Heerführer nach dem Tode Jouberts die Generale Botha, Delarey und Dewet besonders hervortraten, den Widerstand mit Aufbietung aller Kräfte fortsetzten und den an Zahl weit überlegenen Engländern noch manche Niederlagen beibrachten, war deren Vordringen unaufhaltsam. Am 30. Mai wurde Johannesburg, 5. Juni Pretoria von Lord Roberts besetzt. Am 29. Juli kapitulierte Prinsloo mit 4100 Mann bei Fouriesberg, 26. Aug. wurde Olivier mit 1500 Mann bei Winburg zur Übergabe genötigt. Schon 28. Mai war die Einverleibung des Freistaates als Oranje-River-Kolonie verkündet worden; 1. Sept. proklamierte Roberts die Annexion der Südafrikanischen Republik als Transvaalkolonie. Die Streitkräfte der Buren waren überall zurückgedrängt worden, sie hatten ihre englischen Gefangenen freilassen müssen, und alles schien vorüber zu sein, als der Präsident Krüger sich drei Tage nach einer Niederlage Bothas bei Leidenburg (8. Sept.) auf portugiesisches Gebiet flüchtete. Hierhin zog sich Ende September auch General Pienaar zurück und wurde entwaffnet. Triumphierend meldete Roberts 19. Sept. nach England, daß von dem Burenheere nichts als einige marodierende Banden übriggeblieben seien.
Wie sehr er sich getäuscht hatte, sollte sich bald zeigen. Einstweilen freilich erregten diese Nachrichten in England die größte Begeisterung; und die Regierung benutzte diesen Augenblick, um durch die Herbeiführung allgemeiner Wahlen die Fortdauer ihrer Herrschaft zu sichern. Am 17. Sept. wurde das Unterhaus aufgelöst; vom 28. Sept. bis Mitte Oktober vollzogen sich die Wahlen, die mit einem vollen Siege der Regierung endigten. Das neue Unterhaus setzte sich zusammen aus 402 (gegen 399 zur Zeit der Auflösung) Anhängern des Ministeriums, aus 186 (gegen 189) Liberalen und 82 irischen Nationalisten, so daß die Regierung über eine Mehrheit von 134 Stimmen verfügte.
Die nächste Folge der Wahlen war eine Umbildung des Ministeriums. Lord Salisbury, dem die Beschwerden des Alters drückend wurden, legte das Ministerium des Auswärtigen nieder und behielt neben dem Präsidium nur die Sinekure des Geheimsiegelbewahrers. Vier Mitglieder des bisherigen Kabinetts, Lord Croß, Goschen, White-Ridley und Chaplin, traten aus. Das Auswärtige Amt übernahm Lord Lansdowne, dessen bisherige Verwaltung des Kriegsministeriums aufs schärfste angegriffen war; er wurde hier durch Brodrick, bisher Unterstaatssekretär der Auswärtigen Angelegenheiten, ersetzt. Das Ministerium des Innern fiel dem bisherigen Präsidenten des Lokalverwaltungsamtes Ritchie zu, an dessen Stelle Long trat, der wiederum im Präsidium des Ackerbauamtes durch Hanbury ersetzt wurde. Erster Lord der Admiralität wurde Lord Selborne, der Schwiegersohn des Premierministers; Präsident des Handelsamtes wurde G. Balfour, für den Wyndham als Obersekretär von Irland eintrat.
Das neue Parlament trat 3.–15. Dez. zu einer kurzen und unerquicklichen Session zusammen, deren Zweck lediglich die Bewilligung einer neuen Kreditforderung von 16 Mill. Pfd. Sterl. für den südafrikanischen Krieg war. Denn inzwischen hatte sich herausgestellt, daß man die errungenen Vorteile in Afrika doch weit überschätzt hatte, und daß man von der Herstellung des Friedens und der vollständigen Unterwerfung der Burenstaaten noch sehr weit entfernt war. Freilich war die Art der Kriegführung eine ganz andre geworden. Die Buren ließen es auf große und entscheidende Kämpfe nicht mehr ankommen, sondern zerstreuten sich in kleine Kommandos, die einen höchst hartnäckigen Guerillakrieg gegen die Engländer führten. Mit unheimlicher Geschwindigkeit verbreiteten sich diese Scharen über große Gebiete beider Republiken, griffen bald hier, bald dort die Engländer an, zerstörten Eisenbahnen und Magazine, bedrohten die rückwärtigen Verbindungen der Feinde, drangen sogar in die Kapkolonie ein und nötigten Lord Kitchener, den Nachfolger des im Dezember 1900 nach Europa zurückgekehrten Lord Roberts im Oberkommando, immer dringender neue Verstärkungen zu fordern.
Indem so ein bedeutender Teil der englischen Macht durch den afrikanischen Krieg lahmgelegt wurde, die Finanzen des Königreichs erschüttert, Handel und Industrie aufs schwerste in Mitleidenschaft gezogen wurden, konnte G. beim Ausbruch der Wirren in China (s. d., S. 541.), wo es 1898 nach dem Vorgang Deutschlands, Rußlands und Frankreichs durch Pachtverträge mit der chinesischen Regierung den Hafen Weihaiwei und ein ausgedehntes Gebiet auf dem Festland gegenüber Hongkong erworben hatte, nicht die Rolle spielen, die ihm sonst wohl zugefallen wäre. Bei einem ersten Versuche, die in Peking bedrohten Gesandten zu entsetzen, hatten allerdings die Engländer unter Admiral Seymour die Führung gehabt; aber dieser Versuch war vollständig gescheitert, und nur unter schweren Kämpfen hatten Seymours Truppen in der letzten Woche des Juni 1900 ihren Rückzug nach Tientsin bewerkstelligen können. In den nächsten Monaten trafen dann zwar allmählich nicht unbedeutende britische Streitkräfte in China ein, die sich im August auf etwa 26,000 Mann beliefen; aber der Hauptteil dieser Streitmacht hatte aus Indien herbeigezogen werden müssen, das Mutterland und die Kolonien in Afrika und Australien hatten nur geringe Kontingente dazu stellen können. Mit der Übertragung des Oberbefehls über die europäischen Truppen an den Feldmarschall Grafen Waldersee hatte sich G. bald einverstanden erklärt, und mit Deutschland schloß es 16. Okt. ein Abkommen, durch das sich beide Regierungen verpflichteten, die Wirren in China nicht zur Gewinnung territorialer Vorteile zu benutzen und für den Fall, daß andre Mächte solche erstreben sollten, sich über Maßregeln zur Sicherung ihrer eignen Interessen in China zu verständigen. Aber als nun die Russen sich in den nördlichen Gebieten Chinas immer mehr festsetzten und allmählich die ganze Mandschurei ihrem Einfluß unterwarfen, wurde von deutscher Seite erklärt, daß das Oktoberabkommen sich auf diese Provinz nicht beziehe; und die Engländer vermochten es nicht, diese ihnen höchst unliebsame Erweiterung der russischen Machtsphäre in Ostasien zu verhindern.
Im Januar 1901 traten indessen alle Sorgen der auswärtigen Politik gegenüber einem schweren Verlust, der die Nation in der Heimat betroffen hatte, zeitweilig in den Hintergrund. Am 22. Jan. verschied die Königin Viktoria auf ihrem Schlosse zu Osborne auf der Insel Wight im 82. Jahr ihres Lebens und im 64. ihrer Regierung. Die Trauer des englischen Volkes, dem die verstorbene Königin als das Musterbild einer konstitutionellen Herrscherin gegolten hatte, war tief und allgemein und äußerte sich auf das lebhafteste bei der großartigen Bestattungsfeier, die zu Anfang des nächsten Monats stattfand. Auf dem Throne folgte ihr ältester Sohn, der bisherige Prinz Albert Edward pou Wales, der den Namen Eduard VII. annahm, und mit dem eine neue Dynastie, das Haus Sachsen-Koburg-Gotha, zur Herrschaft über G. gelangte. Das nach altem Brauch unmittelbar darauf zusammengetretene Parlament huldigte ihm und vertagte sich darauf 26. Jan., um 14. Febr. zur ordentlichen Session sich wieder zu versammeln. Auch diese Tagung, die bis 17. Aug. dauerte, stand, wie die vorige, ganz unter dem beherrschenden Einfluß des südafrikanischen Krieges, dessen Ende noch immer nicht abzusehen war. Zwar waren in den letzten Februartagen die in die Kapkolonie eingedrungenen Burenkommandos genötigt worden, sich auf die Nordseite des Oranjeflusses zurückzuziehen; aber die Hoffnung der Engländer, endlich Dewets habhaft zu werden, war gescheitert. Dann hatte Lord Kitchener Friedensverhandlungen mit dem General Louis Botha eröffnet, die zum Abschluß eines kurzen Waffenstillstandes führten, aber 18. März von Botha abgebrochen wurden, weil die Zugeständnisse, zu denen Chamberlain bereit war, dem Burengeneral nicht als ausreichend erschienen. So dauerte der kleine Krieg im Transvaalland und in der Oranjerepublik fort und erheischte immer größere finanzielle Opfer Englands. Nachdem der Krieg, wie der Schatzkanzler Hicks-Beach 18. April im Unterhaus erklärte (allerdings einschließlich der Ausgaben für China), bereits die ungeheure Summe von 153 Mill. Pfd. Sterl., d. h. 3 Milliarden und 60 Mill. Mk., gekostet hatte, wurden für das Finanzjahr 1901/02 die Ausgaben auf 187,600,000 Pfd. Sterl., davon 58,230,000 für den Krieg, berechnet. Zur Deckung des Defizits wurden eine abermalige Erhöhung der Einkommensteuer, ferner ein Einfuhrzoll für Zucker und ein Ausfuhrzoll für Kohlen, endlich die Aufnahme einer Anleihe von 60 Mill. Pfd. Sterl. beschlossen. Aber auch diese Bewilligung erwies sich noch nicht als ausreichend, da die Kriegsausgaben im Finanzjahr 1901/02 mehr als 63 Mill. Pfd. Sterl. betrugen, so daß die Regierung 31. Jan. 1902 einen Nachtragskredit von 5 Mill. Pfd. fordern mußte. Endlich wurde für das Rechnungsjahr 1902/03, zufolge des am 19. April 1902 vorgelegten Budgets, abermals eine Anleihe von 32 Mill. Pfd. beschlossen und zugleich mit einer neuen Erhöhung der Einkommensteuer, die jetzt auf 1 Schilling 3 Pence für das Pfund Sterling, d. h. auf 61/4 Proz., stieg, ein Einfuhrzoll auf Getreide und Mehl eingeführt. Es ist begreiflich, daß diese unheilvollen finanziellen Folgen des Krieges lebhafte Erregung im Lande hervorriefen; der Opposition gaben sie um so mehr Anlaß zu Angriffen auf die Regierung, als die von dieser geforderten neuen Zölle zugleich eine Abkehr von der bisherigen Freihandelspolitik Englands einzuleiten schienen.
Ernste Bedenken rief es auch hervor, daß die Ergänzung des Heeres immer größere Schwierigkeiten machte. Durch eine von dem neuen Kriegsminister Brodrick 8. März 1901 eingebrachte und 16. Mai vom Unterhaus genehmigte Vorlage wurde zwar eine Reorganisation der Armee beschlossen: das Land wurde in 6 Armeekorpsbezirke eingeteilt, 3 Armeekorps sollten ganz aus Linientruppen, die andern 3 auch aus Bataillonen der Miliz und der Freiwilligen zusammengesetzt werden; ferner sollten 8 neue Garnisonbataillone gebildet, die Stärke der Miliz, der Yeomanry und der Freiwilligen vermehrt und indische Truppen in vermehrtem Umfang zum Ersatz englischer herbeigezogen werden. Aber die Durchführung dieser Beschlüsse setzte voraus, daß die Werbungen für das Heer ausreichenden Ersatz lieferten, und dies war immer noch nicht der Fall. Im März 1902 sah sich deshalb Brodrick genötigt, neue Vorschläge zu diesem Behuf zu machen; eine abermalige und beträchtliche Erhöhung der Löhnung wurde beschlossen; und der Kriegsminister erklärte, daß, wenn auch diese Maßregel nicht den gewünschten Erfolg habe, nichts als der Übergang zum System der Konskription übrigbleiben würde.
Daß endlich auch die auswärtige Politik Englands durch den Krieg in Südafrika überall in der energischen Geltendmachung ihrer Interessen behindert wurde, lag auf der Hand. Die öffentliche Meinung stand in ganz Europa und nicht minder in den Vereinigten Staaten Amerikas überwiegend auf der Seite der Buren, deren Heldenkampf für ihre Unabhängigkeit man bewunderte; besonders lebhaft sprach sie sich in Holland, Belgien, Frankreich und Deutschland aus, wo eine Rede Chamberlains vom 25. Okt. 1901, in der er die englische Kriegsführung mit der deutschen von 1870/71 verglichen hatte, so lebhafte Entrüstung hervorrief, daß sie auch im deutschen Reichstage zum Gegenstand der Erörterung gemacht und von dem Reichskanzler entschieden zurückgewiesen wurde. In seinen Beziehungen zu Amerika mußte G. bei den Verhandlungen über den Bau des Nicaraguakanals wiederum eine Nachgiebigkeit betätigen, zu der es sich unter andern Verhältnissen schwer verstanden hätte. Schon durch einen Vertrag vom 5. Febr. 1900 hatte es, unter Verzicht auf seine Rechte aus einem Abkommen vom Jahre 1850, den Vereinigten Staaten das alleinige Recht auf die Erbauung und Verwaltung eines zu neutralisierenden interozeanischen Kanals in Zentralamerika zugestanden und sich nur vorbehalten, daß an diesem keine Festungsanlagen errichtet würden; als dann der amerikanische Senat die Annahme des Vertrags von dem Zugeständnis abhängig machte, daß auch für den Fall eines Krieges Nordamerika die alleinige Kontrolle über den Kanal haben solle, verstand sich G. 18. Nov. 1901 zu einem neuen Vertrag, der zwar die Forderung des Senats nicht ausdrücklich erfüllte, jene Klausel aber fallen ließ. Ebensowenig vermochte G. zu hindern, daß Rußland, wie es in Persien seinen Einfluß immer mehr ausdehnte, so auch die tatsächliche Okkupation der Mandschurei fortdauern ließ. Zwar wurde 30. Jan. 1902 ein Vertrag zwischen England und Japan geschlossen, durch den sich beide Mächte verpflichteten, die Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit von China und Korea aufrecht zu erhalten und, falls eine von ihnen in einen Krieg mit einer Koalition verwickelt würde, einander beizustehen; aber unmittelbare Folgen hatte dieser Vertrag nicht, und Rußland und Frankreich beantworteten ihn mit der Erklärung, daß auch sie bei Verwickelungen in Ostasien gemeinsam eingreifen würden.
Es begreift sich, daß unter diesen Umständen in G. die Sehnsucht nach Frieden immer lebhafter wurde, so fest man auch entschlossen war, die Einverleibung der Burenrepubliken aufrecht zu erhalten. Insbesondere machte auch der König seinen Einfluß in dieser Richtung im stillen, aber nachdrücklich, geltend. So wurde zwar noch im Januar 1902 ein Vermittelungsvorschlag der niederländischen Regierung von Lord Salisbury abgelehnt, gleichzeitig aber erklärt, daß die Regierung unmittelbare Friedensanerbietungen der Buren zu erwägen bereit sei.
Daß auch bei diesen das Friedensbedürfnis immer dringender hervortrat, kann nicht wundernehmen. Zwar konnten sie sich noch bis in die letzte Zeit mancher glänzenden Einzelerfolge im Felde rühmen: so hatte Dewet 1. Nov. 1901 die Engländer bei Bethel geschlagen und 24. Dez. das Lager des Obersten Firman bei Tweefontein erstürmt, so hatte Delarey im März 1902 einen englischen Zug bei Klerksdorp und bald darauf Lord Methuen mit seiner ganzen Abteilung auf dem Marsche pou Vryburg nach Lichtenburg gefangen genommen. Aber die Burenführer durften sich nicht verhehlen, daß die Entscheidung des Krieges zu ihren Ungunsten dadurch zwar verzögert, ober nicht verhindert werden konnte. Für die Verluste, die sie erlitten, gab es keinen ausreichenden Ersatz. Die Gefangenen, die sie machten, mußten sie wieder freilassen, da sie sie nicht verpflegen konnten. Tausende ihrer eignen Mitbürger aber schmachteten in Ceylon, St. Helena, den Bermudasinseln in britischer Gefangenschaft. Ihre Farmen waren verbrannt, ihr Land verwüstet. Ihre Weiber und Kinder litten entsetzlich in den Konzentrationslagern, in die man sie hineingezwungen hatte. Und immer enger zog sich um sie selbst das Netz der von Kitchener errichteten Blockhauslinien zusammen; immer schwieriger wurde es für sie, diese zu durchbrechen. So beschlossen sie sich in das Unvermeidliche zu fügen. Am 23. März 1902 begannen die Verhandlungen der Burenführer aus beiden Republiken über den Frieden zunächst untereinander, dann mit Kitchener und Milner, darauf wieder mit den Leitern der einzelnen Kommandos; und 31. Mai kam es zur Unterzeichnung des Abkommens von Pretoria, das als Friedensvertrag an gesehen werden kann, obwohl es von englischer Seite nur als Kapitulation bezeichnet wurde. Die Buren verzichteten auf ihre politische Selbständigkeit und unterwarfen sich der englischen Herrschaft. Dagegen wurde ihnen selbst volle Amnestie gewährt und zugesichert, daß ihr Eigentum nicht zur Deckung der Kriegskosten besteuert werden solle; holländischer Unterricht in den öffentlichen Schulen, wo er gewünscht werde, und der Gebrauch der holländischen Sprache vor den Gerichtshöfen, soweit er im Interesse der Justiz liege, wurden gewährleistet; den Bürgern wurde der Waffengebrauch zur Selbstverteidigung unter gewissen Einschränkungen gestattet; die Einführung der Zivil- an Stelle der militärischen Verwaltung wurde sobald wie möglich in Aussicht gestellt; endlich wurde eine englische Subvention von 3 Mill. Pfd. Sterl. zugesagt, um den Buren die Wiederaufnahme ihrer friedlichen Beschäftigungen zu ermöglichen. Für die Bürger der Kapkolonie und Natals, die sich den Buren angeschlossen hatten, volle Amnestie zu erwirken, gelang zwar nicht, aber die Kapländer sollten, wenn sie sich unterwürfen, nur mit dem Verlust der politischen Rechte bestraft werden, und die Verhängung der Todesstrafe gegen die Rebellen wurde auch für Natal ausgeschlossen.
Die Kunde, daß der Friede geschlossen sei, wurde in G. mit unbeschreiblichem Jubel aufgenommen, und je mehr Einfluß auf sein Zustandekommen man dem König selbst beimaß, um so freudiger bereitete man sich vor, die Krönung Eduards VII., die auf 26. Juni anberaumt war, mit glänzender Pracht zu feiern. Allein unmittelbar vor dem Fest erkrankte der König und mußte sich 24. Juni einer schweren Operation unterziehen, so daß die Krönungsfeier in altertümlichen Formen und unter allgemeiner Teilnahme des Volkes erst 9. Aug. stattfinden konnte.
Inzwischen hatte schon vorher, sobald die Genesung des Königs weit genug fortgeschritten war, Lord Salisbury seinen langgehegten Plan ausgeführt und sich vom politischen Leben zurückgezogen. An seiner Stelle wurde A. Balfour zum Premierminister und Geheimsiegelbewahrer ernannt, der das Amt eines ersten Lords des Schatzes daneben beibehielt. Mit Salisbury traten einige andre Mitglieder der Regierung zurück, darunter der Schatzkanzler Sir M. Hicks-Beach, der durch Ritchie ersetzt wurde. An Ritchies Stelle übernahm Akers Douglas das Ministerium des Innern, dem Lord Windsor als Minister der öffentlichen Arbeiten folgte. Vizekönig von Irland wurde der Graf Dudley an Stelle des Grafen Cadogan, Generalpostmeister Austen Chamberlain an Stelle des Marquis von Londonderry, der die Leitung des neugeschaffenen Unterrichtsministeriums übernahm. Auch in den minder bedeutenden Regierungsämtern vollzogen sich einige Verschiebungen; Sir J. Gorst wurde durch Sir W. Anson, der zum Parlamentssekretär des Unterrichtsministeriums ernannt wurde, ersetzt.
Die Stellung der Regierung zum Parlament wurde durch diese Personalveränderungen nicht wesentlich berührt. Der Hauptgegenstand der Beratungen des Unterhauses war eine 6. Febr. von Balfour beantragte durchgreifende Veränderung der Geschäftsordnung, die den Einfluß der Regierung auf die Bestimmung der Tagesordnung wesentlich verstärkte und die Obstruktion erschwerte. Auf heftigen Widerstand bei der liberalen Partei stieß ein am 24. März von der Regierung eingebrachtes Unterrichtsgesetz, das die Befugnisse der bisher die Staatsschulen verwaltenden besondern Behörden (school boards) auf die munizipalen Selbstverwaltungsbehörden, die Grafschafts- und Stadträte, übertragen und zugleich den von kirchlichen Behörden eingerichteten niedern und höhern konfessionellen Schulen (denominational schools) neue Mittel aus den Leistungen der Steuerzahler sichern sollte. Die Beratungen darüber waren noch nicht abgeschlossen, als das Parlament im August vertagt wurde; ihre Fortsetzung blieb einer Herbstsession vorbehalten, die am 16. Okt. zusammentrat und, nachdem das Gesetz nach heftigen Kämpfen ohne wesentliche Veränderungen mit Hilfe der irischen Abgeordneten, die sich hier von der liberalen Partei trennten, angenommen wor, 15. Dez. geschlossen wurde.
Die auswärtige Politik Englands trug im J. 1903 einen durchaus friedlichen Charakter. Die Besuche, die der König Eduard VII. im April den Herrschern von Portugal und Italien, im Mai dem Präsidenten der französischen Republik, im August dem Kaiser von Österreich abstattete, und die bald entsprechend erwidert wurden, gestalteten die Beziehungen zwischen G. und diesen Nationen freundschaftlich und führten namentlich im Verhältnis zu Frankreich, wo der König begeistert aufgenommen war, eine enge Annäherung herbei. Am 14. Okt. 1903 wurde ein Schiedsgerichtsvertrag mit Frankreich geschlossen, demzufolge in Zukunft alle Streitigkeiten zwischen beiden Völkern, die nicht ihre Lebensinteressen oder ihre nationale Ehre berührten, der Entscheidung des Haager Tribunals überwiesen werden sollten, und 8. April 1904 kam ein zweiter Vertrag zustande, der alle kolonialen Streitfragen zwischen beiden Mächten aus der Welt schaffte. Frankreich erkannte die Stellung Englands in Ägypten an und verzichtete auf seine Fischereigerechtsame in Neufundland. Dagegen willigte G. ein, daß die Franzosen Marokko ihrer Suprematie unterwürfen und bedang sich nur volle Handelsfreiheit mit diesem Lande für die nächsten 30 Jahre aus; in Westafrika wurden einige Grenzberichtigungen zu Frankreichs Gunsten vereinbart; das Verhältnis beider Mächte zu Siam wurde geregelt, das zu den Neuen Hebriden der Entscheidung einer gemischten Kommission vorbehalten. Beim Ausbruch des russisch-japanischen Krieges erklärte G. seine Neutralität; doch standen die Sympathien der Regierung und des Volkes offensichtlich auf seiten der Japaner. Zu Deutschland blieben die Beziehungen Englands kühl; ob der Besuch, den der König Eduard im Juni 1904 dem deutschen Kaiser in Kiel machte, politische Folgen haben würde, ließ sich nicht sofort erkennen. Im Somallande dauerte der 1901 begonnene Kampf der Engländer, die hier von den Abessiniern unterstützt wurden, gegen den sogen. tollen Mullah (s. d.), Hadschi Mohammed ben Abdallah, fort; im Sommer 1903 wurde eine neue Expedition gegen ihn unter Generalmajor Egerton abgesandt; dieser brachte 11. Jan. 1904 dem Mullah bei Dschidballi eine solche Niederlage bei, daß dieser im April 1904 auf italienisches Gebiet flüchtete, so daß die Engländer ihre Truppen zurückziehen konnten. Von Indien aus wurde im Frühjahr 1904 eine Gesandtschaft unter dem Obersten Younghusband nach Tibet abgeschickt, um die Grenzregulierung und die Aufhebung der Grenzsperre gegen das indische Reich durchzusetzen, welche die tibetanische Regierung im Vertrauen auf russische Hilfe seit lange verweigerte. Obwohl die Tibetaner das Betreten ihres Gebietes verboten, begann die Gesandtschaft im April 1904 unter starker militärischer Deckung ihren Vormarsch und setzte ihn unter siegreichen Kämpfen (Erstürmung von Gyangtse 14. Juli) bis Lhassa (s. d.) fort, während Rußland durch den japanischen Krieg verhindert war, sich einzumischen.
Die Parlamentssession des Jahres 1903 dauerte vom 17. Febr. bis zum 14. Aug. Ihr wichtigstes legislatives Ergebnis war neben der Ausdehnung der Unterrichtsreform auf die Stadt London, für die das Gesetz des Vorjahres keine Gültigkeit hatte, eine neue, höchst bedeutsame Landakte für Irland, die auch von der liberalen Partei und den irischen Abgeordneten unterstützt und in beiden Häusern mit überwältigender Majorität angenommen wurde; am 14. Aug. erhielt sie Gesetzeskraft. Die Akte traf Maßregeln, die im Verlauf einer absehbaren Zeit den Übergang alles verkäuflichen Grundbesitzes in Irland aus dem Eigentum der Großgrundbesitzer in das der Pächter herbeiführen sollten; der Staat stellte durch Krëierung einer 23/4 proz. Anleihe, von der in den drei nächsten Jahren bis zu 5 Mill. Pfd. Sterl. jährlich ausgegeben werden sollten, die Mittel zum Ankauf des Landes vorschußweise zur Verfügung; Kauf und Verkauf sollten durch eine staatliche Kommission vermittelt werden. Im ganzen war nach der Berechnung des Obersekretärs für Irland für die Erreichung des ins Auge gefaßten Zweckes eine Summe von 150 Mill. Pfd. Sterl. erforderlich.
Vereinigten sich alle Parteien, um dies Gesetz durchzubringen, das ein seit Jahrhunderten an der irischen Bevölkerung begangenes Unrecht gut zu machen bestimmt war, so waren im übrigen die politischen Parteikämpfe 1903 nur um so heftiger geworden. Sie knüpften sich an den Versuch Chamberlains, eine völlige Umgestaltung der britischen Handelspolitik und den Übergang vom Freihandels- zum Schutzzollsystem herbeizuführen. Bald nach seiner Rückkehr von einer Rundreise durch die südafrikanischen Kolonien, die er im November 1902 angetreten hatte, hielt Chamberlain 15. Mai 1903 in Birmingham eine Rede, in der er die neue Politik, die er vor allem wegen seiner imperialistischen Pläne für notwendig hielt, ankündigte. Sie kam auf den Gedanken hinaus, daß es notwendig sei, den Kolonien, die bereit seien, die englische Industrie durch ein System von Vorzugszöllen zu unterstützen, dafür eine Gegenleistung durch die Einführung von Zöllen auf Getreide und andre Produkte unter Bevorzugung der Kolonien zu gewähren. Die so von Chamberlain begonnene Agitation führte im Parlament und im Land im Laufe des Sommers zu den heftigsten und erregtesten Erörterungen. In der Regierung gingen die Meinungen weit auseinander, und so eifrig auch der Premierminister Balfour sich bemühte, zwischen den Parteien zu vermitteln, so ließ sich doch ein Bruch nicht vermeiden. Im September 1903 erklärten einerseits Chamberlain, anderseits Ritchie, Lord G. Hamilton, Lord Balfour of Burleigh, A. Elliott ihren Austritt aus dem Ministerium, denen im Oktober der Herzog von Devonshire folgte. Dadurch wurde eine Umbildung der Regierung notwendig. Au die Stelle Devonshires trat als Präsident des Geheimen Rates der Marquis von Londonderry, an die Ritchies als Schatzkanzler Austen Chamberlain, der Sohn des ausgetretenen Kolonialministers. Des letztern Nachfolger wurde A. Lyttelton; das indische Portefeuille erhielt an Hamiltons Stelle Brodrick, dem wiederum Arnold-Forster als Kriegsminister folgte; Staatssekretär für Schottland wurde Graham Murray, Generalpostmeister Lord Stanley. Die Stellung der Regierung war namentlich durch das Ausscheiden des Herzogs von Devonshire, des Führers der liberalen Unionisten, nicht unerheblich geschwächt worden; und während Chamberlain, von den Rücksichten, die ihm sein ministerielles Amt auferlegt hatte, befreit, eine überaus heftige Agitation zugunsten seiner Pläne ins Leven rief, zeigten vielfach die für das Ministerium ungünstigen Ergebnisse stattfindender Nachwahlen, wieviel Widerstand diese Pläne im Lande zu erwarten hatten. Trotzdem gelang es der geschickten Taktik Balfours, auch in der am 2. Febr. 1904 eröffneten Parlamentssession, in der namentlich ein neues Gesetz über die Regelung der Wirtschaftskonzessionen zur Beratung stand, sich zu behaupten, wenngleich die Mehrheit, die der Regierung folgte, bei manchen Abstimmungen erheblich geschwächt war.
Literatur zur Geschichte Englands, bez. Großbritanniens.
Unter den bibliographischen Hilfsmitteln für das Studium der englischen Geschichte ist das weitaus beste Ch. Groß, The sources and litterature of English history from the earliest times to about 1485 (Lond. 1900). Für die neuere Zeit fehlt ein ähnliches Werk; nützlich ist die Literaturübersicht bei Gardiner und Mullinger, Introduction to the study of English history (3. Aufl., Lond. 1894). – Die historiographischen Quellen der englischen Geschichte sind erst seit der Mitte des 19. Jahrh. Gegenstand kritischer Untersuchungen und in brauchbaren Ausgaben der gelehrten Forschung zugänglich geworden. Die wichtigsten ältern Sammlungen englischer Geschichtsquellen sind die von Parker (1567–74, 4 Bde.), Savile (Lond. 1596; neue Ausg., Frankf. 1601), Camden (1603), Twysden (1652), Gale (Oxf. 1687–1691, 2 Bde.), Hearne (das. 1716–35), Sparke (1723, 2 Bde.) und Giles (1842–45, 6 Bde.). 1823 beauftragte die Record Commission H. Petrie mit der Bearbeitung einer neuen Quellensammlung; doch ist nur ein Band seiner »Monumenta historica Britannica« erschienen (Lond. 1848). 1858 begann unter der Leitung des Master of the rolls die Publikation einer neuen großen Sammlung englischer Geschichtschreiber unter dem Gesamttitel »Rerum Britannicarum medii aevi scriptores or chronicles and memorials of Great Britain and Ireland during the middle ages«, von der 99 Einzelwerke in 244 Bänden bis 1900 erschienen sind, die aber auch Urkundenbücher etc. enthalten. Die Ausgaben sind von ungleichem Werte, die neuern z. T. vortrefflich. Auszüge aus englischen Geschichtschreibern hieten auch Bd. 13, 27 u. 28 der »Monumenta Germaniae historica«. Reichhaltiges urkundliches Material verschiedenster Art enthalten für das Mittelalter auch die »Publications of the record commissioners« (Lond. 1802–69) in mehr als 90 Bänden, wozu noch 7 Bände, welche die irische Archivkommission herausgegeben hat, hinzutreten. Auch durch die Veröffentlichungen der zahlreichen gelehrten Gesellschaften, vor allem der Camden Society, der Caxton Society, der English historical Society, der Selden Society und der Surtees Society, ist eine Fülle chronikalischen und mehr noch urkundlichen Materials zugänglich gemacht worden. Für die neuere Zeit sind die gleichfalls unter Leitung des Master of the Rolls vom Record Office seit 1857 herausgegebenen großartigen Aktensammlungen (meist in Auszügen) in den »Calendars of State papers« die wichtigste der gedruckten Quellen; auch die auf britische Geschichte bezüglichen Akten mancher auswärtigen Archive sind dafür herangezogen worden. Quellen zur Kirchengeschichte enthalten (neben den allgemeinen Werken der »Acta Sanctorum« u. dgl.) namentlich: Dugdale, Monasticon Anglicanum (1655–73; neuester Druck, Lond. 1846, 6 Bde.); Haddan u. Stubbs, Councils and ecclesiastical documents relating to Great Britain and Ireland (Oxf. 1869–78, 3 Bde.); Wilkins, Concilia Magnae Britanniae et Hiberniae (Lond. 1737, 4 Bde., der ältere Teil durch das vorangehende Werk überholt) und für die Zeit nach der Reformation Gibson, Codex iuris ecclesiastici Anglicani (2. Aufl., Oxf. 1761, 2 Bde.). Über die ältern Rechtsquellen vgl. Thorpe, Ancient laws and institutes of England (1840), und Artikel »Angelsächsische Literatur«, S. 517.
[Gesamtdarstellungen.] Unter den Bearbeitungen der allgemeinen Geschichte von G., insbes. England, heben wir hervor: Hume, History of England (begonnen 1754–63, 6 Bde., oft aufgelegt); Lingard, History of England (1819–31, 14 Bde.; neue Ausg. 1883, 10 Bde.; deutsch, Frankf. 1827–32, 14 Bde.); Lappenberg, Geschichte von England (Bd. 1 u. 2, Hamb. 1834–37; Bd. 3–5 von R. Pauli, Gotha 1853–58; Bd. 6–10 von M. Brosch, das. 1890–1897; Registerband 1898); Ranke, Englische Geschichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert (4. Aufl., Leipz. 1877 ff., 9 Bde.); Green, History of the English people (1877–80, 4 Bde.; neue Ausg. 1895–96, 8 Bde.) und dessen kleineres Werk (deutsch, Berl. 1889, 2 Bde.); Buckle, History of civilization in England (5. Aufl. 1874, 2 Bde.; deutsch, 6. Aufl., Leipz. 1881); Gardiner, A student's history of England (1892); »Dictionary of National Biography« (begründet von Stephen, vollendet von Lee; Lond. 1883–1900, 63 Bde.).
[Einzelne Perioden mit Bezug auf die Gesamtgeschichte; weitere Spezialwerke s. bei den betreffenden Herrschern]: Pearson, History of England during the early and middle ages (1867, 2 Bde.); Ramsay, The foundations of England (bis 1154, Lond. 1898, 2 Bde.); Guest, Origines celticae (1883, 2 Bde.); Horsley, Britannia Romana (1732); Coote, The Romans of Britain (1878); Palgrave, The rise and progress of the English commonwealth; Anglo-Saxon period (1832, 2 Bde.) und die im Artikel »Angelsachsen« angegebenen Werke; Green, The making of England (neue Ausg. 1897, 2 Bde.); Worsaae, Den danske Erobring af England og Normandiet (Kopenhag. 1863); Steenstrup, Normannerne (das. 1876–82, 4 Bde.); Freeman, History of the Norman conquest of England (3. Aufl. 1872–79, 6 Bde); Green, The conquest of England (1883); Cobbe, History of the Norman kings of England (1869); Stubbs, The early Plantagenets (5. Aufl. 1886); Norgate, England under the Angevin kings (1887, 2 Bde.); Gairdner, The house of Lancaster and York (6. Aufl. 1886); Ramsay, Lancaster and York (Oxf. 1892, 2 Bde.); Pollard, England under Protector Somerset (1900); Froude, History of England from the fall of Wolsey to the defeat of the Spanish Armada (neue Ausg. 1893, 12 Bde.); Busch, England unter den Tudors (Bd. 1, Stuttg. 1892); Edward Graf von Clarendon, History of the rebellion and civil wars in England (neue Ausg. 1871, 7 Bde); die verschiedenen Teile der »Histoire de la révolution d'Angleterre« von Guizot (s. d.); die Werke von Gardiner: History of England from the accession of James I. to the outbreak of the civil war (1863–84, 10 Bde.), History of the great civil war (1886–91, 3 Bde.) und History of the commonwealth and protectorate (1884–1901, 3 Bde., unvollendet); Dahlmann, Geschichte der englischen Revolution (7. Aufl., Berl. 1885); Stern, Geschichte der Revolution in England (2. Aufl., das. 1898); Macpherson, History of Great Britain from the restoration of Charles II. to the accession of the house of Hannover (1775, 2 Bde.); Burnet, History of my own time (1723, letzte Ausg. 1883); Macaulay, History of England from the accession of James II. (1848–61, 5 Bde., 1880 u. ö., mehrfach deutsch); Klopp, Der Fall des Hauses Stuart und die Sukzession des Hauses Hannover in G. (Wien 1875–87, 14 Bde.), und zur Kritik dieses Werkes: Meinardus, Die Sukzession des Hauses Hannover in England (Oldenb. 1878); Schaumann, Geschichte der Erwerbung der Krone Großbritanniens von seiten des Hauses Hannover (Hannov. 1878); Ward, The Electress Sophia and the Hanoverian succession (Lond. 1903); Michael, Englische Geschichte im 18. Jahrhundert (Bd. 1, Hamb. 1896); Lord Mahon, History of England from the peace of Utrecht (5. Aufl. 1858, 7 Bde.; deutsch, Braunschw. 1855, 8 Bde.); Wright, England under the house of Hanover (3. Aufl. 1849, 2 Bde.); Rémusat, L'Angleterre an XVIII. siècle (Par. 1856, 2 Bde.); Lecky, History of England in the eighteenth century (3. Aufl. 1883–90, 8 Bde.; deutsch, Leipz. 1879 bis 1883); Mac Carthy, History of the four Georges (1884–1901, 4 Bde.); Pauli, Geschichte Englands seit den Friedensschlüssen von 1814 und 1815 (Leipz. 1864–45, 3 Bde.); Spencer Walpole, History of England from the conclusion of the great war in 1815 to 1858 (2. Aufl. 1880–86, 5 Bde.); Molesworth, History of England from the year 1830 (neue Ausg. 1882, 3 Bde.); Michelsen, England since the accession of Queen Victoria (1854); Mac Carthy, History of our own times, from the accession of Queen Victoria to the Berlin Congress (neue Ausg. 1882, 4 Bde.), England under Gladstone (2. Aufl. 1885) und A history of our own times from 1880 to the diamond jubilee (1897); Clayden, England under Lord Beaconsfield (1880); Whates, The third Salisbury administration 1895–1900 (1900).
[Verfassungsgeschichte etc.] Hallam, Constitutional history of England (1827; 6. Aufl. 1875, 3 Bde.); Gneist, Englische Verfassungsgeschichte (Berl. 1882); Büdinger, Englische Verfassungsgeschichte (Wien 4880); Stubbs, Constitutional history of England (neue Ausg., Oxf. 1895–97); Medley, A student's manual of English constitutional history (2. Aufl., das. 1898); Freeman, The growth of the English constitution (4. Aufl. 1884); Bisset, History of the struggle for parliamentary government in England (1877, 2 Bde.); May, Constitutional history of England since the accession of George III. (3. Aufl. 1871, 3 Bde.; deutsch, Leipz. 1862–64, 3 Bde.); Amos, Fifty years of the English constitution, 1830–1880 (1880); Somers-Bine, English municipal institutions, their growth and develepment 1835–1879 (1879). Gneist, Das englische Parlament (Berl. 1886). Smith, History of the English parliament (1892. 2 Bde.); Todd, Parliamentary government in England (neue Ausg. 1892) und »Parliamentary government in the British colonies« (1880); Cox, History of the Reform Bills of 1866 and 1867 (1868); Pollock u. Maitland, The history of the English law before Edward I. (2. Aufl., Cambridge 1898, 2 Bde.); Reeves, A history of the English law (neue Ausg. 1869, 3 Bde.); Makower, Die Verfassung der Kirche von England (Berl. 1894); Dixon, History of the Church of England (1878–80, 3 Bde.); Perry, History of the Church of England from the death of Elizabeth (neue Ausg. 1890–91, 3 Bde.); Shaw, History of the Church of England during the civil wars and under the commonwealth (1900); Abbey und Overton, The English Church in the eighteenth century (1878, 2 Bde.); Stoughton, History of religion in England (neue Ausg. 1881, 6 Bde.) und Religion in England. First half of present century (1884, 2 Bde.); Stephens u. Hunt, History of the English church (1899–1902, 7 Bde.); Vinogradoff, Villainage in England (Oxf. 1889); Dowell, History of taxation and taxes in England (2. Aufl. 1888, 4 Bde.); Ashley, An introduction to English economic history and theory (1888–93, 3 Bde.; deutsch, Leipz. 1896 ff.); Cunningham, The growth of English industry and commerce (3. Aufl., Cambridge 1903 bis 1904, 2 Bde.) und Outlines of English industrial history (3. Aufl. 1904); Rogers, A history of agriculture and prizes in England (Oxf. 1866 bis 1887, 6 Bde.); Ochenkowski, Englands wirtschaftliche Entwickelung am Ausgang des Mittelalters (Jena 1879); Godfrey, Social life under the Stuarts (Lond. 1904); Traill, Social England: a record of the progress of the people in religion, laws etc. (1894–97, 6 Bde.; neue Ausg. 1902 ff.); Schulze-Gävernitz, Zum sozialen Frieden. Darstellung der sozialpolitischen Erziehung des englischen Volkes im 19. Jahrhundert (Leipz. 1890, 2 Bde.); v. Nostitz, Das Aufsteigen des Arbeiterstandes in England (Jena 1900); Schaible, Geschichte der Deutschen in England (Straßb. 1885).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.