- Polizei
Polizei (griech., v. politeia, Staatsverwaltung) bedeutete anfänglich die res politicae, die staatliche im Gegensatz zu den kirchlichen Angelegenheiten; dann schränkte sich der Begriff auf jene Angelegenheit ein, die man jetzt als innere Verwaltung bezeichnet, und man sprach von Polizeiwissenschaft im Sinne von Verwaltungslehre, d. h. der Lehre von den Grundsätzen, nach denen sich die staatliche Verwaltungstätigkeit richten soll, von Polizeirecht, als dem Inbegriff der hierfür maßgebenden Rechtsvorschriften. Man schied die P. in Sicherheits- und Wohlfahrts- oder Kulturpolizei. Die neuere Wissenschaft versteht unter P. die Zwangsgewalt, durch die der Staat sich und seine Angehörigen vor Gefährdung durch Menschen schützt. Soweit die P. gegen Gefährdungen sich richtet, welche die Sicherheit des Staates und seiner Angehörigen im allgemeinen bedrohen, ist sie Sicherheitspolizei; soweit sie den Schutz bestimmter einzelner Teile der staatlichen Regierungstätigkeit bezielt, Verwaltungspolizei. Letztere bildet kein selbständiges Gebiet staatlicher Tätigkeit; sie wird nach den einzelnen Verwaltungszweigen bezeichnet, bei denen sie auftritt, wie Gesundheitspolizei, Forstpolizei, Bahnpolizei, Gewerbepolizei etc. Die polizeiliche Tätigkeit im Dienste der Rechtspflege ist die gerichtliche oder Kriminalpolizei.
Die früher zu weit getriebene Anwendung der Polizeigewalt im Dienste der Verwaltung führte zu einem Zuvielregieren, zu einem polizeilichen Bevormundungssystem (Polizeistaat). Ihm steht das Streben nach der Verwirklichung des Rechtsstaates gegenüber, das freilich zu weit geht, wenn die gesamte Tätigkeit der staatlichen Organe auf den Rechtsschutz beschränkt werden soll, aber insofern berechtigt ist, als das Recht die Grundlage des Staates sein und demnach auch die polizeiliche und verwaltende Tätigkeit an rechtliche Schranken gebunden sein soll.
Ein geschlossenes Rechtsgebiet bildet nur die Sicherheitspolizei. Zu dieser gehört zunächst diejenige Tätigkeit, die dem innern Schutz des Staatsganzen, der Erhaltung der Staatseinheit und der Staatsordnung, gewidmet ist (Staatspolizei, hohe, politische P.). Darunter fallen namentlich Vorkehrungen gegen politische Umtriebe, ferner die Kontrolle des Vereins- und Versammlungswesens, die P. der Volksbewegungen und die Preßpolizei. Dieser Staatspolizei steht die sogen. Einzelsicherheitspolizei (niedere Sicherheitspolizei) gegenüber, die sich gegen das einzelne sicherheitsgefährliche Individuum richtet. Hierher gehören die polizeilichen Aufenthaltsbeschränkungen, insbes. die Polizeiaufsicht (s. d.), die Wasserpolizei, die Fremdenpolizei (Paß- und Meldewesen).
Mit Rücksicht auf die mit Ausübung der P. betrauten Behörden pflegt man zwischen Landes-(Staats-) P. und Gemeinde- (Orts-, Lokal-) P. zu unterscheiden. In den meisten Staaten ist die Ausübung der niedern P. den Gemeindebehörden übertragen, denen dann das nötige Vollzugspersonal beigegeben ist (Polizeiagenten, -Inspektoren, -Kommissare, -Offizianten, -Diener, Gendarmerie, Schutzleute; in Frankreich agents de police. sergents de ville, gardiens de la paix, gardes de ville; in England police-men). Mit besonderer Vorsicht hat sich die Polizeiverwaltung der wenigstens in großen Städten nicht entbehrlichen geheimen P. zu bedienen. In Frankreich ist damit wiederholt das System der Agents provocateurs (s. d.) in Verbindung getreten, und die Regierung sah sich alsdann wiederum zur Beaufsichtigung dieser verdächtigen Elemente durch die Einrichtung von einer Art Gegenpolizei (contre-police) genötigt.
Selbstverständlich können die Polizeibehörden ihre gesetzmäßigen Anordnungen mit gesetzlichen Zwangsmitteln durchführen. Um jedoch Willkürlichkeiten vorzubeugen, ist auch in Polizeisachen für einen Beschwerde- und Instanzenzug gesorgt; z. B. in Preußen kann gegen Verfügungen des Amtsvorstehers an den Kreisausschuß, gegen die Verfügungen des letztern und diejenigen des Landrats an das Verwaltungsgericht Berufung stattfinden. Die Oberaufsicht über das gesamte Polizeiwesen steht dem Ministerium des Innern zu; früher gab es in manchen Staaten besondere Polizeiminister. In vielen Staaten ist den Polizeibehörden auch eine eigentliche Strafgewalt (Polizeigerichtsbarkeit) übertragen, indem sie bei sogen. Polizeivergehen (richtiger »Polizeiübertretungen«, s. d.), d. h. beim Zuwiderhandeln gegen polizeiliche Strafvorschriften (Polizeistrafrecht, Polizeistrafgesetzgebung, s. d.), die Rechtsprechung an Stelle der Gerichte ausüben. Die deutsche Strafprozeßordnung (§ 453–458) läßt dies nur für eigentliche Übertretungen zu und gibt der Polizeibehörde nur das Recht, auf Hast bis zu 14 Tagen oder entsprechende Geldstrafe sowie auf eine etwa verwirkte Einziehung zu erkennen (vgl. Strafverfügung). In Österreich sind viele Handlungen und Unterlassungen in einer Rechtsnorm derart mit Strafe bedroht, daß sie der Kompetenz der politischen Behörden (Bezirkshauptmannschaft, Polizeidirektion, Gemeindevorsteher) überwiesen sind. Das weite Gebiet der P. läßt sich in einem einzigen Gesetz nicht regeln, es ist vielmehr das richtigste, wenn die Gesetze nur die leitenden Grundsätze feststellen und deren Ausführung im einzelnen den Verordnungen anheimgeben, zu deren Erlaß nicht nur die höhern staatlichen Verwaltungsbehörden, sondern auch die Organe der örtlichen Verwaltung befugt sind. Aber auch die preußische Einrichtung, wonach der Landrat mit Zustimmung des Kreisausschusses für mehrere Amtsbezirke oder für den ganzen Umfang des Kreises gültige Polizeivorschriften erlassen kann, und wonach auf den Kreistagen allgemeine statutarische Anordnungen polizeilichen Inhalts getroffen werden können, findet sich ähnlich in verschiedenen deutschen Staaten. Endlich enthält auch der Abschnitt 29 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 360 ff.), der von den Übertretungen handelt, eine Reihe von Strafbestimmungen gegen die Verletzung polizeilicher Vorschriften. Vgl. außer den Lehrbüchern des Staats- und Verwaltungsrechts R. v. Mohl, Polizeiwissenschaft (3. Aufl., Tübing. 1866, 3 Bde.); Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen, verwaltungsrechtlich entwickelt und dargestellt (:t. Aufl., Berl. 1895); Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht (das. 1902); v. Arnstedt, Das preußische Polizeirecht (das. 1905, Bd. 1); v. Hippel, Handbuch der Polizeiverwaltung (das. 1905); Genzmer, Die P. (das. 1905); Wiedenfeld, Handbuch für preußische Polizei- und Verwaltungsbeamte (das. 1906); Lehmann, Polizeihandbuch (das. 1896); Eiben, Polizei-Taschenlexikon (Köln 1903); Prucha, Die österreichische Polizeipraxis (Wien 1877); Lienbacher, Österreichisches Polizeistrafrecht (4. Aufl., das. 1880); Sergeant, England's policy (Edinb. 1891); Desoer, Code de police (2. Aufl., Brüssel 1882).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.