Kapitāl

Kapitāl

Kapitāl, ein aus dem mittelalterlichen Latein stammendes Wort (Capitale = capitalis pars debiti), mit dem man zunächst den Hauptstamm (früher im Deutschen »Hauptgeld«) im Gegensatze zu den Zinsen, dann zinstragende Geldsumme überhaupt verstand. Der volkstümliche Sprachgebrauch hält heute noch vielfach an dieser Bedeutung fest, indem er nur die auf Ertrag angelegten Geldsummen als K. bezeichnet.

I. Im Sinne der Volkswirtschaftslehre versteht man aber unter K. im Gegensatze zur Arbeit alle wirtschaftlichen Güter, die als Hilfsmittel der Produktion dienen. In diesem Sinne sind Roh- und Hilfsstoffe, Werkzeuge, Geräte, Maschinen etc. Kapitalien, wenn sie wirklich produktiv verwertet werden. Über die Frage, was K. ist, entscheidet demnach teils die Beschaffenheit des Gegenstandes, teils auch der Wille des Besitzers. In erweiterter Bedeutung nennt man auch Kapitalien alle Güter, die einer produktiven Anwendung fähig sind, und spricht insofern von totem, brach liegendem K., von der Kapitalverzehrung etc. Die meisten Kapitalgegenstände sind unter Mitwirkung menschlicher Arbeit entstanden. Man hat deshalb auch, indem man gleichzeitig die Kapitalgröße durch die auf die Erzeugung verwendete Arbeit bemessen wissen wollte, das K. schlechthin »angesammelte Arbeit« genannt. Doch ist die Gesamtheit der Arbeitsleistungen, aus denen ein Gut hervorgeht, keineswegs immer gleich der Summe, zu der wir letzteres beziffern. Auch können ohne menschliche Hilfe entstandene Naturobjekte als wertvolle Kapitalien Verwendung finden, wie z. B. Holz, landwirtschaftliches Gelände. Ob auch das Geld als K. im volkswirtschaftlichen Sinn anzusehen ist, ist streitig; die einen verneinen es, weil Geld kein eigentliches, unmittelbares Produktionsmittel sei, die andern bejahen es, weil es für Erhaltung des Tauschverkehrs und des ganzen Ganges der gesamten Produktion unentbehrlich sei. Oft spricht man auch in übertragenem Sinne vom Kapitalwerte des Menschen, indem man darunter die Summe seiner Erziehungs- und Bildungskosten begreift. Unter den in der Nationalökonomie üblichen Einteilungen des Kapitals sind die in stehendes und umlaufendes, Anlage- und Betriebskapital, die wichtigsten.

1) Stehendes und umlaufendes K. Unter umlaufendem K. versteht man diejenigen Kapitalgüter, die bei einmaliger Verwendung zur Produktion vollständig aufgebracht werden, indem sie entweder, wie die Rohstoffe, in andre verwertbare Formen umgewandelt (Flachs, Garn, Leinwand, Bekleidungsgegenstände, Lumpen, Papier, Zierat), oder indem sie, wie die Hilfsstoffe, ganz oder teilweise zum Zweck der Produktion aufgezehrt werden (Steinkohlen und Holz), Das stehende K. dagegen läßt sich wiederholt zu einer längern Produktionsreihe verwenden (Maschinen, Geräte). Diese Unterscheidung ist zunächst von Bedeutung für die Kostenrechnung. Das umlaufende K. ist seinem ganzen Betrag nach mit Einschluß der Zinsen, berechnet für die Dauer der Produktion bis zur Feilstellung des Produkts, im Preis des letztern zu ersetzen. Vom stehenden K. sind nur Zinsen und Abnutzung unter die Kosten zu stellen. Infolgedessen kann die privat- oder auch volkswirtschaftliche Umwandlung von umlaufendem K. in stehendes von Wichtigkeit für die Rentabilität werden. Sie bedeutet die Ersetzung vieler kleiner Ausgaben durch eine einmalige größere. Dazu ist das stehende K. oft weit leistungsfähiger und gibt zu vielen Ersparungen Veranlassung. Insofern sind wirtschaftliche Fixierungen, insbes. in Form der Maschinen (s. d.), ein gewaltiger Hebel für den Fortschritt und für die Steigerung unsrer Aufwandsfähigkeit. In einem etwas andern Sinne spricht A. Smith von stehendem und umlaufendem K. Nach diesem gehören zu ersterm die Dinge, die ihrem Besitzer, ohne ihn zu verlassen oder in andre Hände zu geraten, ein Einkommen abwerfen; das umlaufende K. aber wirkt erst dadurch für ihn werbend, daß er es weggibt. Hierher würden alle zum Verkauf bereiten Produkte, so auch Maschinen, gehören.

2) Die Einteilung in Anlage- und Betriebskapital deckt sich in der Hauptsache mit den Begriffen des stehenden und umlaufenden Kapitals. Man stellt sich dabei mehr auf den Standpunkt praktischer Wirtschaftsführung. Unter dem Anlagekapital versteht man die Gesamtheit derjenigen Güter, die zur Herstellung einer gewerblichen Anlage (im weitesten Sinn) erforderlich oder in einer solchen dauernd enthalten sind, also Grund und Boden, Gebäude, Dampfkessel, Maschinen etc. Den Gegensatz zu demselben bildet das Betriebskapital, unter dem man im Geschäftsleben (vom privatwirtschaftlichen Standpunkt aus) zumeist die Summe Geldes, bez. geldwerter Forderungen betrachtet, die für dauernde Unterhaltung des Geschäfts durchschnittlich verfügbar sein muß.

In übertragener Bedeutung spricht man endlich auch von einem immateriellen K., im Gegensatze zum materiellen, wobei man unter letzterm die sachlichen Produktions- und Erwerbsmittel, unter ersterm Kenntnisse, Fähigkeiten, Rechte und Verhältnisse, z. B. festen Kundenkreis, Besitz einer renommierten Firma, versteht, die wirtschaftlich produktiven Wert haben. – Die wirtschaftliche Bedeutung des produktiven Kapitals beruht in der Sicherung der Produktionsmöglichkeit, indem das K. die zur Produktion nötigen Roh- und Hilfsstoffe und Werkzeuge enthält oder zu gewinnen ermöglicht, sodann in der Steigerung des Produktionserfolges, indem die verschiedenen Kapitalgüter die Produktion ergiebiger machen, die Produkte vermehren, verfeinern und verbilligen, endlich in der Wahrung des Produktionserfolges, wie er durch Schutzvorrichtungen zur Aufbewahrung und Konservierung der Produkte bewirkt wird.

II. Scharf zu unterscheiden von der oben erwähnten, in der Volkswirtschaftslehre üblichen Auffassung des Begriffes K. ist die des Kapitals im historischrechtlichen oder privatwirtschaftlichen Sinn als Kapitalbesitz oder Erwerbskapital (Erwerbsvermögen), das als Stamm ökonomischer Machtmittel seinem Inhaber (dem Kapitalisten), auch wenn dieser sich nicht unmittelbar an der Güterproduktion beteiligt, Anteile an dem Gesamteinkommen in Form von Zinsen und Renten (Kapitalgewinn, s. d.) sichert und zwar auf Grund der sogen. kapitalistischen Produktionsweise, d. h. derjenigen, bei der Unternehmer, Grundbesitzer und Geldverleiher den Lohnarbeitern gegenüberstehen (s. Kapitalismus). Vgl. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen (2. Aufl., Münch. 1870); Umpfenbach, Das K. in seiner Kulturbedeutung (Würzb. 1879); Rodbertus, Das K. Vierter sozialer Brief an v. Kirchmann (Berl. 1884); K. Marx, Das K. (Hamb. 1867 bis 1894, 3 Bde., Näheres s. Marx); v. Böhm-Bawerk: K. und Kapitalzins (Innsbr. 1884–89, 2 Bde.; 2. Aufl. 1900–02), dessen Artikel »K.« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 5 (2. Aufl., Jena 1900) und Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie (Wien 1900); Wittelshofer, Untersuchungen über das K. (Tübing. 1890); Jurnitschek, Über die wirkliche Entstehung der Kapitalien (Berl. 1897), und Literatur bei Artikel »Kapitalismus«.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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