Tod [1]

Tod [1]

Tod, der endgültige Stillstand des Lebensprozesses und das Aufhören der äußerlich wahrnehmbaren Lebenserscheinungen. Gewöhnlich betrachtet man als den Moment des Todes denjenigen, in dem die Atmung sistiert. Doch lehrt die tiefere Betrachtung, daß T. und Leben durch eine so scharfe Grenze voneinander nicht geschieden sind: die Herzschläge können den letzten Atemzug überdauern, die Muskeln noch lange erregbar für künstliche Reize bleiben, und auch andre Organe, wie z. B. der Darm, können während einer gewissen Zeit Lebenserscheinungen zeigen. In betreff der Ursache des Todes muß man den natürlichen T. von dem gewaltsam herbeigeführten unterscheiden. Als natürlich bezeichnet man auch den durch Krankheiten und innere Ursachen herbeigeführten T., obwohl die Krankheiten oft sehr gewaltsam wirkende Todesursachen liefern (z. B. Erstickung bei gewissen Krankheiten der Atmungsorgane, Vergiftung bei Infektionskrankheiten) und strenggenommen nur der infolge von Altersschwäche eintretende T. als der naturgemäße Abschluß des Lebens zu bezeichnen wäre. Ein solcher T. tritt niemals bei denjenigen niedersten Wesen ein, die sich durch beständige Zweiteilung vermehren; der T. wurde erst eine Notwendigkeit für zusammengesetzte Wesen, deren Organe sich abnutzen, und die Begrenzung der Lebensdauer (s. d.) ist, wie Goethe es ausdrückte, eine Zweckmäßigkeitseinrichtung: der Kunstgriff der Natur, immer neues und frisches Leben zu haben. Die Erscheinungen, unter denen das Leben erlischt und der T. eintritt, sind in jedem Falle gemischt aus den Symptomen der Krankheit, die dem Leben ein Ende macht, und den Zeichen der fortschreitenden Lähmung des Nervensystems. Sie sind je nach den Umständen (Todesart, Krankheit etc.) sehr verschieden und durchaus nicht sämtlich jedesmal zu beobachten. Die wichtigsten Sterbeerscheinungen sind der meist allmählich eintretende Stillstand der Atmung und das Aufhören des Herzschlags, weil damit sehr schnell auch die nervösen Zentren für die verschiedenen andern Funktionen des Körpers außer Tätigkeit gesetzt werden und die Ernährung aller Organe und Gewebe aufhört. Dabei ist häufig das Todesröcheln (Trachealrasseln) zu beobachten, das dadurch zustande kommt, daß die Atmung nicht mehr die Kraft hat, Schleim und Flüssigkeit, die sich in den Luftwegen angesammelt haben, zu entfernen. Das Herz schlägt häufig noch nach dem Stillstande der Atmung kurze Zeit weiter, aber die Schläge werden unregelmäßig und matt, der Puls wird daher schließlich kaum fühlbar, bis das Herz vollständig stillsteht. In manchen Fällen erlischt die Atmung erst eine Zeitlang nach dem Eintritt des Herzstillstandes. Die Haut des Sterbenden zeigt infolge der Zirkulationsstörung eine bleiche, die sichtbaren Schleimhäute eine bläuliche Färbung. Auch der Turgor der Haut hört auf, was besonders im Gesicht auffällig wird, wo die Schläfengegend eingesunken, Nase und Kinn spitzer erscheinen (Hippokratisches Gesicht, Facies hippocratica). Die Muskeln erschlaffen und verlieren ihre Spannung (tonus). Infolgedessen sinkt der Unterkiefer durch seine Schwere herab, so daß sich der Mund öffnet. Auch die Augenlider sinken herab, ohne sich ganz zu schließen, die Hornhaut verliert ihren Glanz, das Auge »bricht«. Bisweilen gehen dem T. Erregungserscheinungen, Krämpfe etc. vorher. In diesem Falle spricht man von einem Todeskampf (Agonie). Ein Todeskampf ist aber durchaus nicht immer zu beobachten. Meistens findet vielmehr ein allmähliches Aufhören des Lebens statt, das bei vorangegangenen schmerzhaften Krankheiten gewöhnlich infolge der Lähmung der schmerzempfindenden Nervenzentren und Erschlaffung der Muskeln als Wohlbehagen empfunden wird. Das Bewußtsein kann je nach den Umständen schon lange vor dem Stillstande der Atmung erloschen sein, es kann aber auch noch ein oder mehrere Male zurückkehren oder auch bis zum letzten Atemzug ungetrübt bleiben.

Für die sichere Diagnose des Todes ist, abgesehen von dem völligen Stillstande der Atmung und des Herzschlages, besonders wichtig das Eintreten der Totenstarre (Muskelstarre, Leichenstarre, s. d.), etwa 6–12 Stunden nach dem Stillstande der Atmung. Selten tritt die Totenstarre erst später als nach 12 Stunden ein. Sie dauert meist einen oder mehrere Tage. Dann erschlaffen die Muskeln allmählich wieder, der Körper wird wieder weich und biegsam, und nun beginnt die Verwesung, die sich weiterhin durch den Leichengeruch, durch grünliche Verfärbung der Haut und durch Gasentwickelung im Körper verrät. Eine andre Erscheinung des eingetretenen Todes sind die Totenflecke, blaurote Flecke, die durch lokale Blutansammlungen in der Haut an den Teilen des Körpers erzeugt werden, auf denen die Leiche liegt. Schließlich ist die Abkühlung des Körpers (Leichenkälte) als wichtiges Todeszeichen zu betrachten. Sie beginnt meistens bald nach dem Stillstande der Atmung, kann sich aber auch lange verzögern, je nach der Temperatur der Umgebung und der vorhergehenden Krankheit. Beim Wundstarrkrampf (Tetanus) wird sogar eine postmortale Temperatursteigerung beobachtet, bevor die Abkühlung beginnt. Spätestens nach 12–24 Stunden ist der Körper auf die Temperatur der Umgebung abgekühlt.

Über die Unterscheidung des Todes vom Scheintod s. d. Vgl. Weismann, Über die Dauer des Lebens (Jena 1882) u. Über Leben und T. (das. 1884); Götte, über den Ursprung des Todes (Hamb. 1883); Teichmann, Vom Leben und vom T. (7. Aufl., Stuttg. 1907); Nothnagel, Das Sterben (2. Aufl., Wien 1907).

Der T. spielt im Volksglauben eine eigentümlich bedeutsame Rolle (s. Totensagen). Die Naturvölker glauben nicht an einen natürlichen und wirklichen T., sondern halten das Sterben für eine Wirkung böser Geister oder Hexen, was sich auch bei den Kulturvölkern noch in der Personifikation des Todes als Totengenius (Thanatos der Griechen), Sensenmann und Freund Hein der Germanen ausspricht.

Die ältere griechische Kunst stellte den T. (Thanatos), den Sohn der Nacht, den Bruder des Schlafes, auf Grund einer freundlichern Auffassung als geflügelten Jüngling oder Mann, zuweilen gerüstet, dar, der spätern griechischen und römischen Zeit gehört die Bildung als ernster Jüngling mit gesenkter Fackel an. Wieder andrer Vorstellung begegnen wir in der griechischen Dichtkunst, die in dem »starrherzigen« Gott des Todes einen dunkelgewandeten, schwertbewehrten Priester der Unterwelt erblickte. Vgl. Lessings Abhandlung »Wie die Alten den T. gebildet«; Robert, Thanatos (Winckelmann-Programm, Berl. 1879); Ubell, Vier Kapitel vom Thanatos (Wien 1902). Die spätern römischen Dichter schilderten den T. als ein zähnefletschendes Ungeheuer, das mit blutigen Nägeln seine Opfer zerfleischt. In der ernsten, finstern Auffassung eines unheilvollen Dämons findet sich auch die geflügelte Gestalt des Todes auf etruskischen Vasen, Wandgemälden und Sarkophagen. Auch die Kunst des Mittelalters gab dem T. die schreckhafte Gestalt eines Ungeheuers mit Fledermausflügeln, besonders in Italien. In Deutschland trat der T. in den ersten Darstellungen der Totentänze (s. Totentanz) in der Mehrzahl auf. Es waren anfangs zusammengeschrumpfte Leichname, später erst entfleischte Gerippe, aus denen dann der Knochenmann der neuern Kunst entstanden ist. Sense und Sichel wurden nach Offenbarung Joh. 14,4 sein Attribut, wozu sich später das Stundenglas gesellte. Vgl. Wessely, Die Gestalten des Todes und des Teufels in der darstellenden Kunst (Leipz. 1876); Schwebel, Der T. in deutscher Sage und Dichtung (Berl. 1877); Sexau, Der T. im deutschen Drama des 17. und 18. Jahrhunderts (Bern 1906); Bornstein, Der T. in der modernen Literatur (Leipz. 1900).

Rechtliches. Die Rechtsfähigkeit (s. d.) des Menschen endigt mit seinem Tode, nachdem das Institut der Friedlosigkeit (s. d.) und des »bürgerlichen Todes« (s. d.) verschwunden und die Ablegung des Klostergelübdes auf die Rechtsfähigkeit keinen Einfluß mehr hat. Wer aus der Tatsache des Todes eines Menschen Rechte herleiten will, hat dessen Tod und gegebenen Falles auch den Zeitpunkt des Todes nachzuweisen. Dies geschieht heutzutage durch Vorlegung der Sterbeurkunde oder aber durch die Todeserklärung (s. d.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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