- Zehnt
Zehnt (Zehent, Zehntrecht, Decimae), der in einer bestimmten Quote, meist in dem zehnten Teile des jährlichen Ernteertrags eines bestimmten Gutes oder der darauf gezogenen Tiere und ihrer Produkte bestehende Grundzins. Im erstern Falle wird der Z. als Feld- oder Prädialzehnt, im letztern Falle als Blut- oder Vieh- und Wirtschaftszehnt bezeichnet. Mit Rücksicht auf den Umfang unterscheidet man großen und kleinen Z. Der große Feldzehnt wird von allen Getreidearten und Wein, der kleine von Garten- und Baumfrüchten, also Gemüse, Obst, Wurzelgewächsen, der große Blutzehnt von größern Tierarten, Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen, der kleine von Federvieh entrichtet. Unter einem andern Gesichtspunkt unterscheidet man universellen und partikulären Z., je nachdem die Zehntpflicht sich auf alle oder nur einzelne Grundstücke einer gewissen Flurmarkung erstreckt. Eine besondere Abart ist der Noval- oder Neubruchzehnt, der von bisher unkultiviertem, nun urbar gemachtem Boden erhoben wird. Als Sackzehnt bezeichnet man den in barem Gelde zu zahlenden Z. Die Ausübung des Zehntrechts fand so statt, daß der Berechtigte nach vorausgegangener Ansagung des Erntetags die Abzählung nach der Reihenfolge der aufgestellten Garben etc. vornahm, beim Blutzehnt wird das zehnte Stück »wie es fällt« bei fortlaufender, durch die Jahre nicht unterbrochener Zählung pflichtig. Der Z. ist eine Spezies der Reallasten (s. d.) und steht daher im allgemeinen unter den für diese geltenden Rechtsgrundsätzen. Aber ihre besondere Bedeutung für das deutsche Rechtsleben hat diese Art der Reallasten durch das mittelalterliche Kirchenrechterhalten. Schon früher aus verschiedenartigen Rechtstiteln vielfach in den Besitz von Zehntrechten gekommen, stellt die Kirche seit dem 6. Jahrh. (zuerst auf der Synode von Mâcon 585) in Anlehnung an das im Alten Testament bezeugte jüdische Recht die allgemeine Zehntpflicht als göttliche Ordnung hin. Im Gegensatze zu dem privatrechtlichen Charakter des weltlichen Z. ist dieser geistliche Z. unter dem Gesichtspunkte der allgemeinen Steuerpflicht an die Kirche aufgestellt, ohne übrigens je allgemeine Anerkennung gefunden zu haben. Die neuern bürgerlichen Gesetze haben im Gegensatze zum prinzipiellen Standpunkte der katholischen Kirche die Rechtsstreitigkeiten über den Z. den staatlichen Gerichten übertragen, meist auch eine allgemeine Rechtsvermutung für die Zehntpflicht nicht anerkannt (z. B. preußisches Landrecht II, 11, § 857 ff.) und, soweit sie sich erhalten hat, einer festen Ordnung unterworfen. In neuester Zeit endlich ist auch der Z. im Zusammenhang mit der Agrarreform teils aufgehoben, teils in feste Renten umgewandelt, teils endlich der Ablösung unterworfen worden (preußisches Gesetz vom 27. April 1872; bayrisches Grundlasten-Ablösungsgesetz vom 4. Juni 1848). Durch Artikel 115 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch sind die landesrechtlichen Bestimmungen über den Z. aufrecht erhalten worden. Vgl. Birnbaum, Die rechtliche Natur des Zehnten (Bonn 1831); Lansdell, Sacred tenth, or, Studies in tithe-giving (Lond. 1906, 2 Bde.); den Artikel »Zehnt« in der »Realenzyklopädie für protestantische Theologie« (3. Aufl.).
Im alttestamentlichen Gesetz war der Z. geboten als Abgabe an die Leviten (4. Mos. 18), die einen Zehnten vom Zehnten an die Priester zu geben haben. Im 5. Buch Moses ist nur vom vegetabilischen Z. die Rede, der in den zwei ersten Jahren einer dreijährigen Periode nach Jerusalem zu bringen ist, im dritten Jahre den Leviten und Armen an jedem Ort, wo er abgesondert wird, überlassen werden soll (5. Mos. 14; 26). – Die Rabbinen unterscheiden 1) den 1. Z. den die Leviten bekommen, von dem die Priester »die Hebe des Zehnten« oder »den Z. vom Z.«erhalten; 2) den 2. Z., d. h. den zehnten Teil der nach Abgabe des 1. Z. übrigen neun Zehntel, den man nur in Jerusalem verzehren darf; 3) den Armenzehnt; 4) den Viehzehnt.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.