Walpole

Walpole

Walpole (spr. ūóllpōl), 1) Robert, Graf von Orford, engl. Staatsmann, geb. 26. Aug. 1676 zu Houghton in Norfolk, gest. 29. März 1745, trat 1701 ins Unterhaus, wo er bald zu den angesehensten Führern der Whigpartei gehörte. Seit 1708 war er als Kriegssekretär, seit 1709 als Schatzmeister der Marine ein eifriger Gehilfe der Politik Marlboroughs. Dessen Sturz zog ihm 1711 eine Anklage zu; er wurde in den Tower gebracht und aus dem Unterhause gestoßen, aber bald wieder gewählt. Zur Belohnung für seine Tätigkeit für die hannoversche Sukzession erhob ihn 1714 König Georg I. zum Geheimrat und Kriegszahlmeister. Als Berichterstatter der Kommission, welche die Untersuchung gegen die abgetretenen Toryminister führte, übte W. die härteste Wiedervergeltung und setzte die Verurteilung Bolingbrokes und Ormonds durch. Im Oktober 1715 wurde er erster Lord des Schatzes und Kanzler der Schatzkammer, legte aber infolge eines Zerwürfnisses mit dem König im April 1717 seine Ämter nieder und schloß sich der Opposition an. Bald aber näherte er sich der Regierung wieder und wurde 1721 abermals zum ersten Lord des Schatzes und Kanzler der Schatzkammer ernannt. In dieser Stellung gelang es ihm, durch geschickte Verwaltung und große Sparsamkeit binnen 18 Jahren die Schuld um 7 Millionen und die Zinsen um die Hälfte zu vermindern. Die auswärtigen Verwickelungen suchte er auf diplomatischem Wege zu ordnen, unterstützte Industrie und Handel und beförderte die Entwickelung der amerikanischen Kolonien. Dabei sicherte W. der Regierung die Mehrheit im Unterhause durch ein ausgebildetes System der Bestechung und Korruption und behauptete sich in der Gunst des Hofes auch unter Georgs I. Nachfolger Georg 11. Allmählich aber sank sein Einfluß im Parlament, in dem schon 1738 heftige Anklagen gegen ihn erhoben wurden. Ungern entschloß er sich zur Kriegserklärung gegen Spanien 1739 und gegen Frankreich 1741; durch die Begünstigung der hannoverschen Politik des Königs wuchs seine Unpopularität; auch der Prinz von Wales schloß sich der Opposition an, und W. legte endlich im Februar 1742 seine Ämter nieder. Der König ernannte ihn bei seinem Rücktritt zum Peer mit dem Titel eines Grafen von Orford und bewilligte ihm ein Jahrgeld von 4000 Pfd. Sterl. Als dessenungeachtet das Unterhaus W. mit einer Untersuchung bedrohte, wurde es vertagt. Für die Ausbildung des parlamentarischen Systems in England ist die Regierung Walpoles von großer Bedeutung gewesen; er war der erste Premierminister im modernen Sinne. 1855 wurde ihm in Westminster Hall ein Denkmal errichtet. Vgl. Coxe, Memoirs of the life and administration of Sir Rob. W. (Lond. 1789, 3 Bde.); Ewald, Sir R. W., a political biography (das. 1877); J. Morley, W. (das. 1889); Brisco, The economic policy of R. W. (das. 1907).

2) Horace, einer der geistreichsten und witzigsten Brief- und Memoirenschriftsteller Englands, Sohn des vorigen, geb. 5. Okt. 1717, gest. 2. März 1797, studierte in Cambridge und bereiste sodann den Kontinent. Nach England zurückgekehrt, erhielt er Sitz und Stimme im Unterhause und nach dem Tode seines Vaters im Oberhause, nahm aber keinen Teil an den Verhandlungen, sondern zog sich 1758 auf sein Gut Strawberry Hill bei Twickenham zurück, dem er möglichst das Ansehen einer mittelalterlichen Burg gab. Er schuf hier kostbare Sammlungen von Kunstwerken, Büchern und Raritäten, auch eine Buchdruckpresse mit gotischen Typen. 1791 wurde er durch den Tod seines Neffen Graf von Orford. Von seinen Arbeiten sind hervorzuheben der »Catalogue of engravers who have been born or resided in England« (1763) und »Catalogue of the royal and noble authors of England, Scotland, and Ireland« (1758). Sein Ritter- und Geisterroman »The castle of Otranto« (1764, neueste Ausg. 1886; deutsch, Berl. 1794) ward das Urbild einer zahlreichen Familie ähnlicher Werke. Auch schrieb er eine Incest-Tragödie: »The mysterious mother« (1768), die Byron hochschätzte. Die »Aedes Walpolianae« (Lond. 1747) enthalten ein Verzeichnis aller im Besitz seiner Familie zu Houghton in Norfolk befindlichen Kunstschätze, die später die Kaiserin Katharina ankaufte (1752). Am berühmtesten aber wurde W. durch seine Briefe und Memoiren. Die Briefe, 1840 in 6 Bänden gesammelt und 1851 durch 2 Bände seiner Korrespondenz mit dem Dichter Mason ergänzt (hrsg. von Cunningham 1857–59, 9 Bde.; von Mrs. Paget Toynbee, 1903–1904, 16 Bde.; Auswahl in 2 Bänden von Yonge, 3. Aufl. 1898), zeichnen sich durch glänzende Darstellung und einen oft schonungslosen Witz aus und geben über Zustände der damaligen Zeit die interessantesten Aufschlüsse. Seine Memoiren (neue Ausg., Lond. 1846 ff., 12 Bde.; deutsch, Stuttg. 1846, 3 Bde.) enthalten wichtige Beiträge zur Geschichte der Regierung Georgs II. und Georgs III. Vgl. Warburton, Memoirs of H. W. and his contemporaries (Lond. 1851, 2 Bde.); Dobson, Horace W., a memoir (das. 1893).

3) Spencer Horatio, brit. Staatsmann, ein Verwandter von W. 1), geb. 11. Sept. 1806 in Surrey, gest. 22. Mai 1898 in Ealing, wurde 1831 Rechtsanwalt in London und 1846 von den Tories ins Parlament gewählt. Er war 1852 und vom Februar 1858 bis zum Januar 1859 unter Lord Derby Minister des Innern, legte aber sein Amt nieder, weil er mit dessen Politik in der Frage der Wahlreform nicht einverstanden war. Zum drittenmal übernahm er das Portefeuille des Innern im Juni 1866, mußte es aber schon im Mai 1867 an Gathorne Hardy abtreten, da er sich den von der Reformliga ausgeschriebenen Volksversammlungen gegenüber schwächlich gezeigt hatte. Er blieb noch bis Februar 1868 Mitglied des Kabinetts ohne Portefeuille und bis 1882 Parlamentsmitglied für die Universität Cambridge.

4) Sir Spencer, Geschichtsforscher, Sohn des vorigen, geb. 6. Febr. 1839, gest. 7. Juli 1907 in London, veröffentlichte eine Biographie seines Großvaters, des Ministers Spencer Perceval (1873, 2 Bde.); »Life of Lord.1 ohn Russell« (1891, 2 Bde.); eine »History of England from the conclusion of the great war in 1815« (Lond. 1878–86, 5 Bde.; neue Ausg. 1890, 6 Bde.); »The land of Home Rule, an account of the history and institutions of the Isle of Man« (1893); »History of twentyfive years« (1904–08, 4 Bde.); »Studies in biography« (1907) u. a.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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