Blatt [1]

Blatt [1]

Blatt (Folium, hierzu Tafel »Blattformen I u. II«), ein seitliches, gewöhnlich flächenartig ausgebreitetes und grüngefärbtes Organ des Pflanzensprosses, das ein begrenztes Wachstum besitzt und normalerweise keine Sproßanlagen hervorbringen kann. Als typisches B. ist das Laubblatt der Gefäßpflanzen zu betrachten, das auch durch seine Funktion als Assimilationsorgan charakterisiert ist. Das B. wird am Vegetationspunkte des Sprosses unmittelbar hinter der Spitze als kleines Höckerchen (Primordialblatt) angelegt und entwickelt sich so, daß zuerst die Spitze in den Zustand des Ausgewachsenseins übergeht, während die dem Sproß genäherten Teile am längsten entwickelungsfähig bleiben. Nur bei den Blättern der Farne und weniger Blütenpflanzen ist Spitzenwachstum die Regel. Am ausgewachsenen B. kann man in typischen Fällen (Fig. 1) die Blattspreite (lamina), den Blattstiel und einen scheidenförmigen Teil unterscheiden, der die Verbindung des Blattes mit der Sproßachse vermittelt und die letztere mehr oder minder weit umfaßt, die Blattscheide. Bei manchen Blättern geht die Scheide direkt in die Spreite über, andre bestehen nur aus Stiel und Spreite, wieder andern fehlt Stiel und Scheide (sitzendes B.). Nach der Ausgestaltung der Spreite unterscheidet man einfache und zusammengesetzte Blätter, je nachdem die Spreite eine einfache, ungegliederte Fläche darstellt (Fig. 1) oder sich aus einzelnen Flächenstücken (Blättchen) zusammensetzt, die von einer gemeinsamen stielartigen Blattspindel getragen werden (Fig. 18). Bei den geteilten Blättern der Palmen (s.d.) bildet die Spreite in der Anlage eine einfache, längsgefaltete Fläche, die sich nachträglich in einzelne Abschnitte spaltet, indem gewisse Gewebepartien an den Faltenkielen regelmäßig absterben. Von den sehr mannigfaltigen Gestalten der Blattspreite und der Blättchen unterscheidet man nach der Umrißformkreisrunde, ovale, eiförmige, längliche, lanzettliche, lineale Blattflächen. Die Blattspitze kann spitz, zugespitzt, abgerundet, stumpf oder ausgerandet sein, bei der Basis der Blattspreite kommen die gleichen Ausdrücke zur Anwendung, außerdem kann die Basis herz-, nieren-, spieß- oder pfeilförmig sein. Der Blattrand ist ganzrandig, gesägt, gezahnt, gekerbt, ausgeschweift (gebuchtet, s. Textfigur), geteilt oder gespalten. Die Blattfläche ist von festern Adern (Nerven) durchzogen. Nach der Nervatur unterscheidet man das parallelnervige B. (Fig. 2), dessen Nerven von der Basis bis zur Spitze gleichlaufend die Fläche durchziehen, das bogennervige B. (Fig. 3), bei dem eine Anzahl gleichstarker Nerven nebeneinander in die Fläche eintreten und unverzweigt bis gegen die Spitze hin verlaufen; die seitlichen Nerven weichen aber hier entsprechend der Blattgestalt gegen die Blattmitte hin bogenförmig von dem geraden Mittelnerv ab und konvergieren gegen die Spitze hin.

Ausbildung des Blattrandes: a) ganzrandig, b) gesägt, c) gezahnt, d) gekerbt, e) ausgeschweift.
Ausbildung des Blattrandes: a) ganzrandig, b) gesägt, c) gezahnt, d) gekerbt, e) ausgeschweift.

Blattformen mit verzweigten Hauptnerven sind das fiedernervige B. (Fig. 4) und das handnervige B. (Fig. 5). Bei ersterm gibt ein die Blattmitte durchziehender Hauptnerv nach den Seiten hin gleichgerichtete, fiederförmig angeordnete Seitennerven ab, beim letztern teilt sich der Hauptnerv in mehrere Nervenäste, die annähernd gleichstark wie die Finger der Hand spreizend von der Basis in die Blattfläche ausstrahlen. Da bei beiden sich an die Äste des verzweigten Hauptnervs eine feinere Nervatur ansetzt, die zu netzförmigen Maschen in der Blattfläche verbunden ist, so werden das fiedernervige und das handnervige B. wohl auch als netznervige Blätter bezeichnet. Entsprechend der fiederförmigen oder handförmigen Nervatur werden auch die zusammengesetzten Blätter als fiederförmig oder handförmig zusammengesetzt unterschieden, wobei im erstern Falle die einzelnen Blattabschnitte als Fiedern bezeichnet werden. Der Blattstiel bietet in Beziehung auf seine Gestalt, besonders auf Länge und Querschnittform, wechselnde Verhältnisse. Meistens ist der Blattstiel am basalen Rande der Spreite eingefügt, bisweilen aber erscheint er auf die Unterseite des Blattes verschoben (Fig. 6). Derartige schildförmige Blätter kommen dadurch zu stande, daß an dem Primordialblatt die zwischen den Basalrändern der Spreitenanlage gelegene Gewebezone. des Blattstiels ebenfalls spreitenartig auswächst. Ähnlich entstehen auch die Blattschläuche und blasenartigen Blattteile bei gewissen »insektenfressenden« Pflanzen (s.d.) und ebenso auch die durchwachsenen oder verwachsenen Blätter (Fig. 8), bei denen statt des Blattstiels ein Teil der Sproßoberfläche die Anlage des hinzukommenden Spreitenteils liefert.

Die Blattscheide schmiegt sich bisweilen der tragenden Achse nur einseitig an, in andern Fällen umschließt sie die Sproßachse eine längere Strecke weit röhrenförmig, und zwischen beiden Extremen kommen alle Übergänge vor. Die röhrenförmigen Scheiden sind an der von der Spreite abgewendeten Seite des Sprosses entweder nur mit freien Rändern übereinander gelegt, wie bei den Gräsern, oder sie sind wirklich röhrenförmig verwachsen, indem schon bei der ersten Anlage das Primordialblatt ringförmig um die Sproßspitze herumgreift. Bei ungestielten Blättern geht gewöhnlich die Scheide direkt in die Spreite über, indem ihre Fläche unter Aufhebung der Einkrümmung sich in die Blattfläche fortsetzt. Eine Ausnahme bilden die reitenden Blätter (Fig. 7), bei denen sich die Spreite senkrecht auf dem Rücken der Spreite erhebt und dadurch so gestellt wird, daß sie der Sproßachse statt der Fläche den einen Rand zuwendet. Nicht selten entwickeln sich am Blattgrund statt der Scheide oder mit derselben blattspreitenartige Gebilde, die Nebenblätter. Sie bilden nur kleine, hinfällige Schuppen, die schon beim Laubausbruch im Frühling abgeworfen werden (Ausschlagschuppen), bisweilen aber sind sie in Größe und Lebensdauer und selbst in der Gestalt von der eigentlichen Blattspreite nicht verschieden.

Biologie des Blattes. Der Gestaltenreichtum des Blattes gewinnt eine neue Bedeutung, wenn man ihn in Beziehung bringt zur Funktion des Blattes und zu den äußern Umständen, unter denen diese Funktion erfüllt werden muß. Das typische Laubblatt ist das Organ der Assimilation (s.d.), die sich unter dem Einfluß des Lichts in den Chlorophyllkörpern abspielt. Das grüne B. stellt gewissermaßen einen Auffangschirm für das bei der Assimilationsarbeit tätige Licht dar. Dementsprechend ist es flächenförmig ausgebreitet und so gestellt, daß sich die in ihm enthaltenen Chlorophyllkörper in der günstigsten Lichtlage befinden. Wenn der innern Festigkeit wegen die Spreitenfläche in einzelne Teile aufgelöst ist, so schließen sich die einzelnen Teilblättchen mosaikartig aneinander, so daß die verfügbare Fläche nach Möglichkeit ohne Lichtverlust ausgenutzt wird. Dadurch erklärt sich in manchen Fällen die Ungleichheit der Teilblättchen, wie z. B. bei dem unterbrochen gefiederten B. der Kartoffel (Fig. 9), auch die unsymmetrische Form der einzelnen Blattabschnitte und selbst ganzer Blätter, wie bei den Begonien, und das Vorkommen ungleich großer Blätter an derselben Sproßachse (Anisophyllie) steht damit in Beziehung. Die Blattnerven sind die Leitungsbahnen für die Stoffe, die vom Sproß ins B. und umgekehrt aus dem letztern in die Achse wandern. Zugleich bilden sie ein Skelett, das die dünne Blattspreite ausgespannt hält. Ihre Verteilung in der Blattfläche entspricht ebenso wie ihr anatomischer Bau in allen Fällen dieser Funktion. Mit der Größe der Blattflächen wächst zugleich die Menge des von der Pflanze durch Verdunstung abgegebenen Wassers. Pflanzen, die an wasserarmem Standort gedeihen oder an Orten, wo ein großes Sättigungsdefizit der Atmosphäre oder die austrocknende Wirkung des Windes die Wasserverdunstung steigert, zeigen deshalb Baueinrichtungen an ihren Blättern, die eine Herabsetzung der Verdunstungsgröße bedingen. Die Blattflächen sind klein, bisweilen nadelförmig zusammengezogen (Fig. 10) oder mit den Rändern nach abwärts gerollt (Rollblatt, Fig. 11), oder die Blattfläche trägt einen dichten Haarfilz, so daß die die Abgabe des Wasserdampfes vermittelnden Spaltöffnungen des Blattes in windstille Hohlräume verlegt werden. Bisweilen kommt es zu einer vollständigen Unterdrückung der an den Keimpflanzen noch nachweisbaren Blattspreite, wobei dann entweder, wie bei gewissen Akazien, der verbreiterte Blattstiel (phyllodium, Fig. 12) oder, wie bei den Kakteen, ein Teil der Sproßachse die Funktion des unterdrückten Assimilationsorgans übernimmt. Die Blätter der untergetaucht lebenden Wasserpflanzen sind von der Wasserverdunstung völlig unabhängig, bei ihnen erscheint aber dem B. die Zufuhr des Sauerstoffes für die Atmung (s.d., S. 55f.) erschwert, da derselbe in der im Wasser gelösten Luft nur den Oberflächenzellen direkt zur Verfügung steht. Im Zusammenhang damit sind die untergetauchten Blätter der Wasserpflanzen entweder papierdünne Flächen, oder sie sind gitterartig durchbrochen (Fig. 15) oder in haarfeine Zipfel auflöst (Fig. 13). Pflanzen, deren Blätter z. T. untergetaucht sind, z. T. oberflächlich schwimmen, zeigen auffallende Verschiedenheit in der Gestalt der Blätter (Heterophyllie, Fig. 13). Um die Blattflächen solcher Pflanzen schwimmend zu erhalten, ist bisweilen der Blattstiel durch lufthaltige Hohlräume in seinem Innern blasenförmig ausgetrieben (Fig. 14). Manche Gestaltungsverhältnisse der Blätter sind als Schutzeinrichtungen gegen die Einwirkung der Atmosphärilien aufzufassen. Faltung und Schrägstellung festigen in manchen Fällen das B. gegen den Aufprall der Regentropfen und leiten das Wasser in bestimmter Richtung ab (s. Tafel »Schutzeinrichtungen I«, Fig. 10). Der schnellen Trockenlegung der Blattspreite dienen Abtropfvorrichtungen in Form langausgezogener Spitzen (Träufelspitzen, s. Tafel »Schutzeinrichtungen I«, Fig. 9). Bei aufrecht stehenden Blättern treten naturgemäß die Träufelspitzen an der Basis auf (Fig. 16), wodurch in einigen Fällen spießförmige und pfeilförmige Blattflächen ihre Erklärung finden. Die Wirkung, die der Wind auf große Flächen auszuüben vermag, ist der Entstehung großer zusammenhängender Blätter bei den Landpflanzen hinderlich, während die horizontal auf dem Wasser schwimmenden Blätter mancher Wasserpflanzen, wie der Victoria regia, der See- und Teichrosen, die der Windwirkung nicht ausgesetzt sind, große Dimensionen erreichen. Eine scheinbare Ausnahme bilden die großen Blattflächen der Bananen. Bei ihnen wird aber die Fläche durch den Wind leicht bis zur Mittelrippe ohne Schaden in einzelne schmale Zipfel zerschlitzt, so daß dadurch die Gefahr einer Zerstörung des ganzen Blattes aufgehoben erscheint (Fig. 17). In ähnlicher Weise wirkt auch bei den großen Blättern der Palmen die handförmige oder fiederförmige Zerspaltung und die Bildung von einfach oder mehrfach zusammengesetzten Blättern (Fig. 18) bei vielen krautartigen Gewächsen durch Verzweigung der ursprünglich einfachen Primordialblätter. Auch die Ausbildung langer elastischer Blattstiele kann als Schutzeinrichtung gegen die zerstörende Wirkung des Windes angesehen werden. Die Baueinrichtungen des Blattgrundes, Scheidenbildung und Nebenblattgebilde dienen zum Schutz der von ihnen umhüllten Organe. Bei Liriodendron (Fig. 19) u. a. wird der junge Sproßgipfel mit allen Blattanlagen von den miteinander verwachsenen Nebenblättern des jüngst entfalteten Laubblattes fest umhüllt. Die bauchig aufgetriebene Blattscheide vieler Umbelliferen (Fig. 20) bietet dem in der Achsel des Blattes entspringenden Seitensproß in seiner Jugend einen geschützten Raum zu ungestörter Entwickelung. Bei gewissen Potamogetonazeen (Fig. 21) und bei den Gräsern schützt die röhrenförmige Blattscheide die noch längere Zeit fortwachsende Basis des Sproßgliedes. In ähnlicher Weise fungieren der aus verwachsenen Nebenblättern gebildete Blattstiefel (Blatttute, ochrea, Fig. 22) der Polygonazeen und das Blatthäutchen (ligula, Fig. 23) der Grasblätter, ein zartes Häutchen, das als Auswuchs der Blattfläche an der Übergangsstelle zwischen Scheide und Spreite hervortritt. Bisweilen übernimmt das B. neben oder an Stelle der ihm zukommenden Assimilationsarbeit andre Funktionen, wobei dann auch die Formgestaltung eine auffällige Änderung erfährt (metamorphosierte Blätter). Die von den Laubblättern abweichenden Blattgebilde, die an den unterirdischen Sproßachsen und am Grunde der einzelnen Sprosse auftreten, werden als Niederblätter bezeichnet. Hochblätter sind dagegen die von den Laubblättern abweichenden Blattgebilde, die oberhalb der Laubblätter in der Blütenregion auftreten (s. Blütenstand). Zu den Niederblättern gehören auch die Knospenschuppen (Fig. 24), die während der Vegetationsruhe die jungen Sproßanlagen schützend umhüllen. Sie gehen aus Laubblattanlagen hervor, indem die Entwickelung des Oberblattes unterdrückt wird, während der Blattgrund eine schuppenförmige Gestalt und Beschaffenheit annimmt. Bei Kletterpflanzen sind bisweilen ganze Blätter oder einzelne Blattabschnitte zu reizempfindlichen Kletterorganen (Blattranken, Fig. 25) umgewandelt. Laubblätter oder Teile derselben können auch zu Dornen umgewandelt werden (Blattdornen, Blattstachel), die der Pflanze als Bewehrung gegen Tierfraß dienen (Fig. 26). Bei Pflanzen, die trockne Standorte bewohnen, dienen bisweilen fleischig angeschwollene Blätter als Wasserspeicher (Fig. 27). Als Reservestoffspeicher sind die Zwiebelschuppen vieler Gewächse anzusehen (Fig. 28), in denen die Pflanze Jahr für Jahr organische Nährstoffe für die nächstfolgende Vegetationsperiode ablagert. Vgl. Behrens, Blattformen. Abdrücke nach der Natur (Berl. 1900ff.); Goebel, Organographie der Pflanzen (Jena 1898–1901); Hansgirg, Phyllobiologie (Leipz. 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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