Aragonĭen

Aragonĭen

Aragonĭen (Aragon), einst selbständiges span. Königreich, welches den ganzen nordöstlichen Teil der Halbinsel einnahm und die sogen. aragonischen Provinzen Aragon, Katalonien und Valencia nebst der Balearengruppe umfaßte; jetzt spanische Landschaft mit dem Titel eines Königreichs, 47,391 qkm (860,9 QM.) groß mit (1900) 912,711 Einw., wird gegen N. von Frankreich, gegen W. von Navarra, Alt- und Neukastilien, gegen S. und O. von Valencia und Katalonien begrenzt. Der Aragonese haßt alles Fremde und zeichnet sich durch ein finsteres, rachsüchtiges, dabei bigottes Wesen aus. Zugleich aber besitzt er Patriotismus, Freiheitssinn, persönlichen Mut, Energie und Enthaltsamkeit. Die Männer sind meist groß, hager und sehr gebräunt, gute Soldaten und Jäger; die Frauen schön gewachsen, mit schwarzen Augen und reichem Lockenhaar. Der ursprüngliche rauhe Dialekt der Aragonesen hat sich allmählich mit dem kastilischen verschmolzen. A. zerfällt in die Provinzen Saragossa, Huesca und Teruel (s. diese Artikel). Hauptstadt des Landes ist Saragossa.

Geschichte. Das jetzige A. kam nach Aufhören der römischen Herrschaft in den Besitz der Westgoten, seit dem 8. Jahrh. in den der Araber, Anfang des 9. Jahrh. nebst Katalonien teilweise unter fränkische Herrschaft. Die Grafschaft A., als deren erster Graf Azenar, ein Sohn des aquitanischen Herzogs Eudo, genannt wird, kam nach Erlöschen des gräflichen Hauses um 1000 durch Erbrecht an König Sancho d. Gr. von Navarra (970–1035), der bei seinem Tode A seinem natürlichen Sohn Ramiro I. zuwies. Dieser erwarb Ribagorza und Sobrarbe hinzu, kämpfte glücklich gegen die Mauren und nahm den Königstitel an. Seine Nachfolger Sancho Ramirez (1063–94) und Pedro (1094–1104) setzten den Krieg gegen die Mauren mit Erfolg fort; endlich eroberte Alfons I. (1104–34) Saragossa 1118 und erhob es zur Hauptstadt Aragoniens. Sein Bruder Ramiro II. verlobte seine Tochter Petronella (1137) mit dem Grafen Raimund Berengar I., Grafen von Barcelona, der den Grund zur Vereinigung Kataloniens mit A. legte, indem sein älterer Sohn, Alfons II. (1162–96), ihm 1162 in Katalonien, 1163 auch in A. folgte. Unter ihm und seinen Nachfolgern ward A., durch die Erwerbung Roussillons, Montpelliers, Cerdagnes, Carcassonnes und andrer Pyrenäenlandschaften, Valencias und der Balearen vergrößert, die zweite christliche Macht Spaniens neben Kastilien. Pedro II. (1196–1213) nahm seine Krone vom Papst zu Lehen. Die von König Jakob I. (1213–76), von welchem die Konstitution Aragoniens herrührt, beabsichtigte Teilung des Landes kam nicht zur Ausführung, da dessen ältester Sohn, Peter III. (1276–85), seinem Bruder Jakob II., welcher die Balearen, Roussillon, Cerdagne etc. bekommen hatte, die Lehnspflichtigkeit aufzwang. Peter III. erwarb später (1282) Sizilien, ward aber infolge davon mit Frankreich in Krieg verwickelt. Als die hierdurch und durch sonstige Fehden hervorgerufene finanzielle Not ihn zur Ausschreibung drückender Steuern bewog, traten die Stände von A. zu Tarragona 1283 zur ersten Union zusammen und zwangen dem König das Generalprivilegium von Saragossa ab, das die monarchische Gewalt beträchtlich verminderte. Ihm folgte 1285 sein ältester Sohn, Alfons III. (1285–91), in den spanischen Reichen, der jüngere, Jakob, in Sizilien. Nach Alfons' kinderlosem Tode folgte ihm sein Bruder Jakob II. (1291 bis 1327), der Sardinien erwarb und 1319 die Unteilbarkeit des aragonischen Reiches festsetzte; doch behielten A., Katalonien und Valencia eigne Cortes. Auf Jakob folgte 1327 sein Sohn Alfons IV. (gest. 1336), der gegen die Genuesen und mit seinem Schwiegervater Alfons XI. von Kastilien glücklich gegen die Mauren focht. Sein Nachfolger Peter IV. (gest. 1387) beendete den dem Handel Aragoniens nachteiligen Krieg mit Genua, vereinigte Majorca (1344) wieder mit A. und befestigte die königliche Gewalt durch den Sieg über den unbotmäßigen Adel bei Epila (1348). Sein Sohn Johann (1387–95) verlor Sardinien an Leonore Visconti. Nach dessen und seines Bruders Martin (1395–1410) kinderlosem Tod entstanden in A. heftige Thronstreitigkeiten, aus denen endlich der Infant Ferdinand von Kastilien, ein Neffe Johanns, als König hervorging. Dieser, Ferdinand I. (1412–16), wirkte eifrig mit zur Beseitigung des großen kirchlichen Schismas. Ihm folgte sein Sohn Alfons V. (1416–58), der die Regierung seiner Gemahlin Maria von Kastilien überließ, um kriegerischen Abenteuern zu folgen. Er vereinigte Neapel und Sizilien mit A., hinterließ aber nur einen natürlichen, vom Papst legitimierten Sohn, Ferdinand, der in Neapel folgte. Die spanischen Reiche nebst Sardinien, Sizilien und den Balearen erbte sein Bruder Johann II. (1458–79), durch seine Gemahlin Blanca auch König von Navarra. Johanns Regierung war hart und willkürlich. Ihm folgte sein Sohn Ferdinand II., seit 1469 Gemahl Isabellas, der Thronerbin von Kastilien, wodurch A. mit Kastilien zu Einem Reiche vereinigt ward (s. Spanien, Geschichte).

Von besonderm Interesse ist die Verfassungsgeschichte Aragoniens. Die Cortes von A. verfügten über Krieg und Frieden, Bündnisse und Verträge, Steuern, Münze, Rechtsprechung und Verwaltung. Sie ernannten die Räte des Königs und genossen persönliche Unverletzlichkeit. König Alfons III. mußte die jährliche Berufung der Cortes nach Saragossa (1287) als Grundgesetz anerkennen und ihnen das Recht des pflicht- und verfassungsmäßigen Widerstandes gegen willkürliche Verletzung der ständischen Mitglieder einräumen. Peter IV. erzwang 1348 die Aufhebung dieser Satzungen, bewilligte aber die Einsetzung einer Behörde, die, zwischen Regierung und Volk stehend, die Rechte des letztern gegen Übergriffe der erstern schützen sollte. An ihrer Spitze stand der vom König aus der Ritterschaft auf Lebenszeit gewählte, aber lediglich den Cortes gegenüber zur Rechenschaft verpflichtete Justicia. Die allgemeinen Reichsstände, seit 1307 alle 2 Jahre von den Abgeordneten Aragoniens, Kataloniens und Valencias gebildet, zerfielen in die vier Abteilungen (brazos, Arme, estantentos, Bänke) der Geistlichkeit, des hohen (brazo de nobles) und niedern Adels (brazo de caballeros y hijos dalgo) und der Stadtgemeinden (brazo de universidades). Für die Gültigkeit eines Cortesbeschlusses war Einstimmigkeit der Krone und aller Mitglieder notwendig. Ein ständiger Ausschuß von acht Mitgliedern blieb zur Wahrung der Volksrechte stets zusammen. Auch nach der Vereinigung mit Kastilien (1516) behielt A. seine alten Freiheiten. Als die Aragonier sich zu gunsten des von Philipp II. verfolgten Antonio Perez (s. d.) erhoben, wurde dieser Aufstand gewaltsam unterdrückt und der Justicia Mayor Juan de Lanuza enthauptet. Im übrigen blieben die alten Institutionen im wesentlichen unangetastet. Nur sollte fürderhin der König nicht mehr gehalten sein, den Cortes persönlich anzuwohnen, und die Bedingung der Stimmeneinheit bei Cortesbeschlüssen ward aufgehoben (1591). Die aragonischen Freiheiten vernichtete erst Philipp V. zur Strafe für die Anhänglichkeit der Provinz an die österreichische Herrschaft. 1808–1809 zeigten die Aragonier ihren Mut in der hartnäckigen Verteidigung Saragossas gegen die Franzosen. In den Karlistenkriegen wurde A. ein Hauptschauplatz des Kampfes. Während Oberaragonien entschieden der Königin anhing, hielt Niederaragonien zu Don Karlos. Vgl. E. A. Schmidt, Geschichte Aragoniens im Mittelalter (Leipz. 1828); Pidal, Historia de las alteraciones de Aragonen el reinado de Felipe II (Madr. 1862–63, 3 Bde.); de la Fuente, Estudios criticos sobre la historia y el derecho de Aragon (das. 1884–86, 3 Bde.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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