- Österreich [2]
Österreich, Kaisertum (vgl. die Karte »Österreichisch-Ungarische Monarchie« bei S. 210), umfaßt das westlich der Leitha gelegene Staatsgebiet (Zisleithanien) der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (s. d.), oder die »im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder«, und zwar die Königreiche Böhmen, Dalmatien und Galizien, die Erzherzogtümer Ö. unter und ob der Enns, die Herzogtümer Salzburg, Steiermark, Kärnten, Krain, Schlesien und Bukowina, die Markgrafschaften Mähren und Istrien, die gefürsteten Grafschaften Tirol, Görz und Gradisca, das Land Vorarlberg und die Stadt Triest mit Gebiet. Die zum ehemaligen Deutschen Bund gehörigen Gebiete Österreichs bilden eine ziemlich geschlossene Ländermasse, während sich die übrigen zum österreichischen Staatsgebiet gehörenden Länder dem eigentlichen Staatskörper äußerlich nur lose angliedern, indem Galizien und Bukowina nordöstlich sich weithin zwischen Rußland und Ungarn bis zur rumänischen Grenze erstrecken, Dalmatien im S. sogar mit den übrigen im Reichsrat vertretenen Ländern nicht unmittelbar zusammenhängt. Abgesehen von diesem ganz isolierten Kronland, grenzt Ö. im N. an das Deutsche Reich (Sachsen, Preußen) und Rußland, im Osten an Rußland und Rumänien, im S. an Ungarn, das Adriatische Meer und Italien, im W. an die Schweiz, an Liechtenstein und das Deutsche Reich (Bayern).
Bodengestaltung.
O. ist vorwiegend (mit mehr als 75 Proz.) Gebirgsland und gehört drei Gebirgssystemen an: dem alpinen, südlich von der Donau, woran sich gegen die Küste des Adriatischen Meeres zu das Karstland anschließt, dem sudetischen, nördlich von der Donau, östlich bis zur March und Oder reichend, und dem karpathischen System, welches das Land östlich von der March-Oderlinie umfaßt.
Der Anteil Österreichs an den Alpen (s. d.) ist der bedeutendste unter allen in das Alpengebiet hineinreichenden Staaten. Von den beiden Hauptteilen der Alpen, den West- und Ostalpen, gehören nur die letztern, diese aber zum größern Teile O. an. Drei Hauptzüge (Gneisalpen, nördliche und südliche Kalkalpen) ziehen in meist parallelen Reihen bis an die ungarische Grenze. Zu den Gneisalpen gehören die nach O. reichenden Teile der Rätischen Alpen, und zwar vom nördlichen Zuge die Fermuntgruppe (Fluchthorn 3408 m), die Samnaungruppe (Muttler 3298 m) und die Fervallgruppe (Kuchenspitze 3170 m), vom mittlern Zuge die Massivs der Ötztaler Alpen (Wildspitze 3774 m) und der Stubaier Alpen (Zuckerhütl 3511 m), endlich der südliche Zug mit den Zentralmassen der Adamelloalpen (Presanella 3564 m), der Ortleralpen (Ortler 3902 m) und des Penser Gebirges (Hirzer 2785 m). Östlich vom Brenner (1370 m) steigen die Gneisalpen wieder auf zu dem Stock der Tuxer Alpen (Olperer 3480 m) und den Zillertaler Alpen (Hochfeiler 3523 m) und setzen sich in den Hohen Tauern (Großglockner 3798 m) fort. Beim Murtörl teilt sich dieser Zug in zwei Äste. von denen der nördliche, die Niedern Tauern (Hochgolling 2863 m), am Paltental zur Mur abbricht, der südliche in den breiten Massivs der Norischen Alpen (Eisenhut 2441m) gleichfalls bis zur Mur und jenseit derselben als Cetische Alpen (Lenzmairkogel 1997 m) gegen die ungarische Tiefebene verläuft. Die Ketten der nördlichen Kalkalpen durchziehen Vorarlberg (Rätikon 2967 m), Nordtirol (Parseier Spitze 3038 m), umgeben das zu Bayern gehörige Berchtesgaden (Hochkönig 2938 m) sowie das österreichisch-steirische Salzkammergut (Dachstein 2996 m), bilden den Nordrand von Steiermark (Hochtor 2372 m) und den Südrand von Niederösterreich (Schneeberg 2075 m) und senken sich mit dem Wienerwald (Schöpfel 893 m) zur Donau ab. Zwischen den Gneis- und den nördlichen Kalkalpen liegen zwei Gruppen der Schieferalpen (Sulzburger Schieferalpen und Eisenerzer Alpen). Zu dem südlichen Hauptzuge der Alpen gehören: das Etschbuchtgebirge oder die Trienter Alpen (Cima Tosa 3176 m) und jenseit der Etsch das Südtirolische Hochland (Marmolata 3360 m), die Karnischen Alpen (Sandspitze 2863 m) und die Julischen Alpen (Triglav 2864 m). Über die Alpen führen mehrere Pässe; unter den fahrbaren sind die wichtigsten: das Stilfser Joch (2760 m), der Tonale (1884 m), der Arlberg (1802 m), der Radstädter Tauern (1738 m), der Katschberg (1641 m), das Reschenscheideck (1510 m), der Loibl (1370 m), der Brenner (1370 m), der Predil (1162 m), der Semmering (980 m). An die südlichen Kalkalpen schließt sich der Karst (s. d.) mit den nördlichen Terrassen des Ternovaner Waldes (1496 m), des Birnbaumer Waldes (1315 m) und der Windischen Mark (1796 m), weiterhin mit dem Höhenzuge des eigentlichen Karst (1029 m), dem Tschitschenboden (1396 m), endlich in Dalmatien mit der Kette der Dinarischen Alpen (1913 m) an. An den Mittelgebirgen Zentraleuropas nimmt O. teil durch jene Erhebungen, die das Hochland Böhmen umsäumen. Im NW. sind es das Fichtel- und Erzgebirge (Keilberg 1244 m), am Elbdurchbruch das Sandsteingebirge, dem sich östlich das Lausitzer Gebirge anschließt (Jeschken 1010 m); im NO. steigen das Iser- und das Riesengebirge auf (Schneekoppe 1603 m). Eine Doppelkette, von der die innere (Böhmische Kämme) O. angehört, bildet den Übergang zu dem Gesenke (Altvater 1490 m), das mit dem Odergebirge an der Wasserscheide zwischen Oder und Donau endigt. Die Südwestgrenze Böhmens bildet der Böhmerwald (Plöckelstein 1378 m); er geht in ein hohes Flachland über, das als Böhmisch-Mährische Höhe bis zu den Sudeten reicht (835 m). Das zweite Hauptgebirge der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die Karpathen (s. d.), liegt größtenteils auf ungarischem Boden und gehört dem österreichischen Staatsgebiet nur als Grenzgebirge gegen Ungarn an (Smrk in Schlesien 1339 m, Babia Gura 1725 m, Waxmundska 2192 m, Czerna Gora 2026 m in Galizien, Dzumalen 1859 m in der Bukowina).
Die Ebenen nehmen kaum ein Viertel der Oberfläche des Kaiserstaates ein. Die größte ist die galizische Ebene am Nordabhang der Karpathen. Mit dem weiten ungarischen Tiefland (und zwar der kleinen oberungarischen Tiefebene) hängt die Ebene des Wiener Beckens nebst dem Marchfeld und Steinfeld und weiter donauaufwärts das Tullner Feld zusammen. An der venezianischen Tiefebene partizipiert der Kaiserstaat nur mit einem kleinen Teil am Isonzo. Alle übrigen Ebenen an der Donau, Elbe, Mur etc. sind klein, zählen aber häufig zu den fruchtbarsten Gegenden.
Geologische Beschaffenheit.
(Hierzu die »Geologische Karte von Österreich-Ungarn«.)
Die Primärformationen treten auf im böhmisch-mährischen Gebiet, im Böhmerwald (s. d.), Erzgebirge (s. d.), Lausitzer und Riesengebirge, in den Alpen (s. d.) und in den Karpathen (s. d.). Die Silurformation ist sehr mächtig in Böhmen, aber auch in Ostgalizien und in den Alpen entwickelt. Eine untergeordnete Rolle spielt die Devonformation, die man in den Sudeten, in Galizien, den Alpen und den Karpathen kennt, ebenso das Karbon, das in dem Pilsener Becken abbauwürdige Flöze besitzt, wie auch bei Rakonitz, Kladno u.a. O. in Böhmen. dann im mährischen Gesenke, in der Umgegend von Ostrau, im Krakauer Gebiet und auch in den Alpen (Gailtaler Schiefer) und Karpathen entwickelt ist. Permische Schichten treten in Böhmen und Mähren, in den Alpen (Grödener Sandstein und Bellerophonkalke) sowie in den Karpathen zutage. Die Trias ist in O. weitverbreitet, so in der Umgebung von Krakau, dann in den Alpenländern. Hier ist das oberste Stockwerk der alpinen Trias, das Rät, zu starker Entwickelung gelangt. In Böhmen, Mähren, bei Krakau, in den Alpen und Karpathen finden wir Ablagerungen der Jura- und der Kreideformation; letztere sind auch im ostgalizischen Tieflande zum Absatz gelangt und treten in sehr verschiedenen Fazies auf. Während die alttertiären Bildungen in den Alpen sehr verbreitet sind (als Nummulitenkalk und Flysch), finden sich die jungtertiären besonders im Wiener Becken, im obern Donaubecken, im steirisch-ungarischen Becken, in Siebenbürgen, am Nordfuß der Karpathen, in Böhmen. Fast überall sind in O. auch quartäre Gebilde nachgewiesen worden, als Terrassen-, Glazial-Diluvium, Höhlenlehm, Knochenbreccien etc. Weitverbreitet sind Eruptivgesteine verschiedenen Alters: in den Primärformationen Granit. Syenit, Nephelinsyenit (Ditro), Diorit; während der permischen Periode entstand das ausgedehnte Porphyrgebirge von Bozen; während der Triaszeit traten die Gesteine des Monzoni und der Umgebung von Predazzo (Melaphyr, Augitporphyr, Diorit etc.) zu tage; der Jura der Karpathen wird von ähnlichen Eruptivgebilden durchsetzt; die Kreide dieses Gebirges ist von Teschenit, Banatit, Pikrit etc. durchbrochen; die Tertiärzeit endlich war besonders reich an Eruptionen basaltischer, andesitischer und trachytischer Gesteine, so unter anderm in Böhmen (s. d.) und in Ungarn-Siebenbürgen. Von nutzbaren Mineralien ist außer der Steinkohle (bei Ostrau-Karwin, Pilsen etc.) noch zu erwähnen die Braunkohle (nördliches Böhmen etc.), ferner das Steinsalz der Triasformation (Ischl, Hallein, Aussee, Berchtesgaden) und des Tertiärs (Wieliczka, Bochnia, Kalusz etc.), letzteres zum Teil in Verbindung mit Erdöl und Erdwachs (Galizien, Oberungarn), Roteisenerze in Böhmen, Spateisenstein im Gneis bei Hüttenberg etc. in Kärnten und im Silur des Erzbergs bei Eisenerz in Steiermark, Zinnober bei Idria, Zinnerze im Erzgebirge, Blei-, Silber- und Kupfererze in Bleiberg, Raibl, Přibram, Joachimsthal etc., Golderze bei Schemnitz etc. Vgl. auch unten den Abschnitt »Bergbau« (S. 181 f.) sowie die Artikel »Ungarn«, »Europa« (S. 175 f.) und »Deutschland« (Karten und Textbeilagen zu S. 764).
Gewässer, Mineralquellen.
Das Adriatische Meer bespült auf eine Länge von 1550 km die vielfach gegliederte österreichische Küste. Die lagunenreiche Küste Venedigs endigt am Isonzo, dann beginnen die Steilküsten des Karstes, die Istrien umsäumen, mit vielen Buchlen, die sichere Häfen bilden. Die dalmatinische Küste, über 1100 km lang, ist gleichfalls steil und zerrissen, teilweise sogar unzugänglich; dagegen haben die vorgelagerten Inseln viele vortreffliche Ankerplätze. Die größten Golfe sind die von Triest, Fiume (Quarnero) und die Bocche di Cattaro. Der wichtigste Hafen ist der von Triest, nächst ihm in Istrien und den zugehörigen Inseln Pola, Lussinpiccolo und Rovigno, in Dalmatien Zara, Spalato, Gravosa, Sebenico und Curzola. In bezug auf fließende Gewässer gehört der nördliche, kleinere Teil des Kaiserstaates zum Gebiete der Nord- und Ostsee, der südliche und östliche, größere zu den Gebieten des Adriatischen und Schwarzen Meeres. Mit Ausnahme von Istrien, das selbst an Küstenflüssen arm ist, und einiger andrer Distrikte in den Karstgegenden erfreuen sich alle Kronländer einer entsprechenden Anzahl von fließenden Gewässern, die der Binnenschiffahrt eine Ausdehnung von 6573 km schiffbarer Wasserstraßen bieten. Die Hauptflüsse sind: Donau, Dnjestr (Schwarzes Meer), Weichsel, Oder (Ostsee), Elbe, Rhein (Nordsee), Etsch (Adriatisches Meer). Das größte Flußgebiet innerhalb Österreichs und in noch höherm Maß in Ungarn hat die Donau, 128,951 qkm, hierauf folgen die Elbe mit 51,020, Weichsel 40,867, Dnjestr 31,945, Etsch 10,559, Oder 7031, Rhein 2360, Dnjepr 1943 und Po mit 1790 qkm. Der Rhein bespült nur auf 41 km die Reichsgrenze (Vorarlberg); die Elbe führt die böhmischen Gewässer der Nordsee zu. Dem Südabhang des Riesengebirges entspringend, ist sie von Melnik an mit Schiffen (auch Dampfern) befahrbar. Ihre Länge in Ö. beträgt 383 km. Ihre Nebenflüsse sind in Ö. rechts die Iser, links die vereinigte Adler, die Moldau (von Budweis ab schiffbar) mit den Zuflüssen Luschnitz, Sazawa, Wotawa und Beraun, außerdem die Eger und die Biela. Die Oder entspringt in den Sudeten in Mähren, nimmt rechts die Ostrawitza und Olsa, links die Oppa auf und tritt nach 125 km langem Lauf in Ö. nach Preußen über. Die Weichsel entspringt in den schlesischen Beskiden, ist Grenzfluß gegen Preußen und Rußland, nimmt in Ö. rechts den Dunajec (mit dem Poprad), die Wisloka und den San auf, links die Przemza. Ihr Lauf in Ö. beträgt 412 km, wovon 303 km schiffbar sind. Sie tritt nach Rußland über, wo sie aus Ö. noch den Bug empfängt. Der Dnjestr, am Nordabhang der Karpathen in Galizien entspringend, tritt nach 597 km langem, vielfach gekrümmtem Lauf (wovon 406 km schiffbar) durch dies Kronland ebenfalls nach Rußland über, nachdem er rechts den Stryj, die Swica, Lomnica und Bystrzyca, links den Sereth und Zbrucz aufgenommen und auf eine Strecke die Grenze gegen Rußland gebildet hat. Die Etsch, am Reschenscheideck entspringend, ist von Bozen ab schiffbar und hat eine Länge von 204 km bis zum Ausfluß aus Tirol. Ihre Nebenflüsse sind Passer, Eisack, Avisio, Noce. Unter den Küstenflüssen, die in den nordwestlichen Teil des Adriatischen Meeres fallen, ist nur der Isonzo von Bedeutung. Von den dalmatinischen Küstenflüssen sind bemerkenswert: die Zermanja, Kerka, Cetina und Narenta. Die Donau bildet die wichtigste Wasserstraße für den Verkehr Österreichs, das sie bei Passau betritt und nach einem 373 km langen, durchaus mit Dampfschiffen befahrbaren Lauf zwischen Hainburg und Theben verläßt. Ihre schiffbaren Nebenflüsse in Ö. sind links: die March (mit der Thaya und deren Zuflüssen), der Sereth und Pruth, letztere beide außerhalb Ö. in die Donau mündend; rechts: der Inn, die Traun, Enns, Leitha, Raab, Drau (mit der Mur) und Save (mit Kulpa), letztere drei gleichfalls nur mit ihrem Oberlauf Ö. angehörend. Die Seen liegen größtenteils im Alpengebiet, die meisten im Salzkammergut und in Kärnten (der Hallstätter, Traun-, St. Wolfgang-, Mond- und Attersee in Oberösterreich, der Waller- und Zellersee in Salzburg, der Achen- und Plansee in Tirol, der Millstätter, Ossiacher und Wörther See in Kärnten, der Veldes- und Zirknitzer See in Krain). Die Länder des böhmisch-mährischen Gebirgssystems haben keine nennenswerten Seen. Mit Ausnahme des Gardasees und des Bodensees, an dem Tirol und Vorarlberg kleine Anteile haben, gehören alle dem Donaugebiet an. Merkwürdig sind die Karstseen (namentlich der Zirknitzer See) wegen ihres periodisch wechselnden Wasserstandes. In Böhmen sind zahlreiche Teiche (der Rosenberger, Wittingauer u.a.). Die einst sehr ausgedehnten Sümpfe (jetzt noch zumeist in Dalmatien und Galizien) sind durch Regulierung der Flußläufe und Kanalisierung sehr geschmälert worden.
Sehr reich ist O. an Mineralquellen. Hiervon sind als Heilquellen am bekanntesten: die alkalischen Mineralwässer oder Säuerlinge von Bilin, Liebwerda und Gießhübl in Böhmen, Luhatschowitz in Mähren, Gleichenberg in Steiermark; die Glaubersalzwässer von Karlsbad und Marienbad in Böhmen, Rohitsch in Steiermark, Krynica in Galizien; die Eisenquellen von Franzensbad in Böhmen, Pyrawarth in Niederösterreich; die Kochsalzwässer oder Solen von Ischl und Hall (jodhaltig) in Oberösterreich, Aussee in Steiermark, Hall in Tirol; die Bitterwässer von Püllna, Saidschitz und Sedlitz in Böhmen; die Schwefelquellen von Baden bei Wien. Indifferente Heilquellen sind die Thermen von Gastein in Salzburg, Römerbad und Tobelbad in Steiermark, Teplitz-Schönau und Johannisbad in Böhmen. 1902 waren die 258 österreichischen Kurorte von 365,324 Kurgästen besucht.
Klima.
Ö. gehört im wesentlichen dem mitteleuropäischen Klimagebiet und nur mit der Adriaküste dem Mittelmeerklima an. Das Klima der südlichen Provinzen wird von der Lage zu den Alpen, das der nördlichen (Böhmen, Mähren, Galizien) von der Lage zu den Depressionen des Atlantischen Ozeans bestimmt. In den Alpen hängt das Klima eines Ortes nicht bloß von der allgemeinen Wetterlage, sondern sehr wesentlich auch von der Bodengestaltung der Umgebung ab. Die nach S. geöffneten Täler besitzen fast subtropische Verhältnisse, während die nach N. abfallenden oft rauhe Witterung haben; geschlossene Talbecken neigen zu extremen Temperaturen, besonders im Winter. So betragen die mittlern Temperaturextreme in den auf gleicher Breite liegenden Orten Bozen (260 m) und Klagenfurt (440 m) im Maximum 33 und 32°, dagegen im Minimum -8 und -22°. Das kälteste größere Talbecken ist der salzburgische Lungau (österreichisches Sibirien) in rund 1000 m, wo Tamsweg (1020 m) ein Januarmittel von -8,2° (Hammerfest -5,2°) und ein Wintermittel von -6,6° hat, während diese Zahlen für das unter gleicher Breite und in gleicher Höhe gelegene Gossensaß (1070 m) nur -4,6 und -3,5° betragen. Über das Klima von Böhmens. d. Galizien hat kalte Winter und heiße Sommer, in den nördlichen Karpathentälern kühle Sommer.
Auch in der Sonnenscheindauer sprechen sich die klimatischen Verschiedenheiten aus. Täglich scheint die Sonne im Durchschnitt in Lussinpiccolo 6,8, Pola 7,0, Triest 6,2, Klagenfurt 5,0, Obir 4,7, Bozen 5,7, Kremsmünster 5,0, Wien 5,0, Krakau 4,9 Stunden; die hohen Gebirgslagen haben im Winter mehr, im Sommer weniger Sonnenschein als die Täler (Klagenfurt hat im Dezember 48, im Juli 262, der Obirgipfel aber 106 und 195 Stunden). Ganz entsprechend ist der Süden heiterer als der Norden, besonders zeichnen sich die dalmatinische Küste und die Südseite der Alpen (Riva) aus. Trotzdem sind die niederschlagreichsten Gegenden hier zu suchen; die Bocche di Cattaro haben die größten Regenmengen von ganz Europa (Erkvice 456, Jankoh Vrh 420 cm). In Hermsburg (Krain) fallen jährlich 319, Krekovse (Krain) 274, Raibl (Kärnten) 222, Alt-Aussee 197, Ischl 163, Salzburg 116 cm; über 100 cm kommen auch im Böhmer- und Bayrischen Wald, in der Tatra und in den Karpathen vor. Die trockensten Gegenden mit weniger als 40 cm liegen in Nordböhmen und im südlichen Mähren. Die Hauptregenzeit ist nördlich der Alpen der Sommer, im Süden der Herbst. Schnee fällt in den Gebirgen und den nördlichen Tiefländern reichlich, an der Adriaküste selten, auf den Bergen der Bocche sehr stark.
Pflanzenwelt.
Die Pflanzenwelt in den Ländern vom Bodensee bis zu den Steppen Ungarns sowie von der adriatischen Küste Istriens und Dalmatiens bis zu den Sudeten setzt sich aus mittelmeerländischen, pontischen, baltischen und alpinen Elementen zusammen. Die nördliche Grenze der Mittelmeerpflanzen (Mediterranflora) bildet eine Linie vom Idro- und Gardasee am Monte Baldo vorbei nach Görz, die von da mit südöstlichem Verlauf Ist rien und Dalmatien einschließt. In dieser immergrünen Zone (s. Immergrüne Gehölze) treten in den beiden zuletzt genannten Gebieten vorzugsweise die Macchien (Maquis), Buschformationen mit Myrten, Steinlinden, Pistazien, baumartigen Heiden u.a. hervor; von Lorbeergehölzen ist das von Abbazia am berühmtesten. Buschbestände des Judasbaumes (Cercis Siliquastrum) bekleiden die untern Schutthalden des Monte Baldo am Gardasee; Gestrüppe von Lippenblumen, Cistrosen und Salbei verdrängen bei Fiume und am Quarnero vielfach jede andre Vegetation. Bei Ragusa erscheinen Gruppen von Akanthus, im Etschtale bei Bozen verwilderte Agaven und Opuntien. Mit Narzissen und andern Zwiebelpflanzen gezierte Fluren gewähren im Frühling am Gardasee, in der Niederung bei Salona u.a. einen unvergleichlichen Anblick. In der Bergregion überwiegen die sommergrünen Eichen, während die immergrünen Eichen (Quercus Ilex) und die Edelkastanien die untern Gehänge bewohnen; ein mediterraner Nadelholzbaum ist die Meerstrandsföhre (Pinus halepensis), deren Bestände gegenwärtig in O. auf kleine Wäldchen bei Ragusa, auf Lesina, Lissa, Lagosta u.a. beschränkt sind. Zitronen- und Orangenbäume bedürfen am Gardasee, in den nördlichen Teilen des Gebietes künstliche Schutzvorkehrungen gegen Winterfrost. In gartenartigen Feldern, die zugleich dem Getreidebau dienen, wird der Ölbaum gezogen; Weinstöcke ranken sich an reihenweise gepflanzten Ulmen, Eschen oder Maulbeerbäumen empor, deren Laub als Viehfutter und zur Ernährung der Seidenraupen benutzt wird. In Dalmatien wird Chrysanthemum cinerariaefolium wegen des aus ihren Blütenköpfen bereiteten Insektenpulvers kultiviert.
Das Gebiet der pontischen Flora greift vom Schwarzen Meer bis Galizien und dem Rande der Karpathen und Alpen über, berührt in der Gegend von Görz das mittelländische Florengebiet und zieht von dort längs der untern Stufen des kroatischen und dalmatinischen Karstlandes bis Montenegro. Vom Isonzotal aus umrandet die Grenzlinie zwischen pontischer und baltischer Flora die östlichen Ausläufer der Alpen, biegt dann südlich vom Leithagebirge in das Becken von Wien und Preßburg ein, verläuft weiter an der Ostküste der Kleinen Karpathen, durchschneidet das ungarische Erzgebirge und folgt dem Fuße der Waldkarpathen bis an die Marmaros; von hier legt sich eine bogenförmige Schlinge des Gebietes um die höhern Bergwände des östlichen und südlichen Siebenbürgen.
Alles Berg- und Hügelland, das in O. seine Gewässer der Nord- und Ostsee zusendet, gehört zum Gebiet der baltischen Flora; von der alpinen Vegetation wird es durch die obere Grenze des Nadelholzwaldes geschieden. Hier finden sich wie in den deutschen Mittel- und Hochgebirgen ausgedehnte Laub- und Nadelholzwälder, Heideflächen. Wiesen und Moore. In den Gebirgen bilden meist Eichenmischwälder die unterste Region, dann folgte in mittlerer Gürtel bis zur Grenze hochstämmigen Laubholzes, zuletzt eine obere Region, in der die Fichte als herrschende Baumart erscheint. Innerhalb des letztern Höhengürtels ist der Getreide bau nur selten lohnend, dagegen werden Kartoffeln und einige Gemüse noch mit Vorteil gezogen. Der Weinbau spielt besonders im südlichen Tirol, Untersteiermark, Niederösterreich, Mähren und im böhmischen Elbtal eine wichtige Rolle.
Die oberhalb der Baumregion sich ausbreitende alpine Flora beschränkt sich auf zahlreiche kleine Bezirke, die inselartig zwischen andern Florengebieten eingeschaltet sind. Die Österreichischen Alpen zerfallen floristisch in einen rätischen, norischen, tridentischen und karnischen Bezirk, von denen jeder seine besondern Primeln, Ranunkeln, Glockenblumen u.a. hat. Die Flora der steirischen Zentralalpen, der niederösterreichischen Kalkalpen und der Karawanken stimmt viel mehr mit der karpathischen überein als mit derjenigen, die im Westen, z. B. auf den Bergen des Lechtales, im Rätikon und auf dem Ortler heimisch ist. Das südöstliche Krain bewohnen Ausläufer der illyrischen Alpenflora, Siebenbürgen bildet den dacischen Bezirk, während als ein Bindeglied zwischen dem letztern und dem norischen die Karpathen auftreten. Diesen schließen sich endlich die wenigen, von einer ausgesprochenen Alpenflora besiedelten Kämme des Gesenkes und der Sudeten an, deren Pflanzenwelt unter allen alpinen Gebieten die meisten Anklänge an die arktische Flora erkennen läßt. Die unterste Region des alpinen Gebietes bezeichnen Strauchbestände mit Legföhren (Pinus Mughus u.a.) und Alpenrosen, von denen letztere jedoch in den Karpathen und Sudeten fehlen; dann folgt eine Zone von Grasmatten und alpinen Stauden, die zuletzt von der Region der Eiswüsten und Gletscherfelder abgeschlossen wird. Wie in der Schweiz ist auch in O. das Grenzgebiet zwischen der alpinen und Waldregion der Sitz von Alpenwirtschaft.
Tierwelt.
Seiner Fauna nach gehört O. zum paläarktischen Faunengebiet und zwar zum großen Teil zur zentraleuropäischen Provinz. Durch den Besitz eines Teiles der Alpen beherbergt es auch alpine Formen, während der dalmatinische Küstenstrich durch eine Reihe charakteristischer Formen ausgezeichnet und zur mediterranen Subregion zu rechnen ist. Da die Gebirgslandschaften in einzelnen Teilen sehr wild und unzugänglich sind, halten sich die im übrigen ausgerotteten größern Raubtiere noch; so zeigt der braune Bär noch einen ziemlich weiten Verbreitungsbezirk (Vorarlberg, Tirol bis nach Kra in und Kroatien); in Kroatien und Slawonien kommt auch der Luchs nach vor; häufig ist an denselben Örtlichkeiten die Wildkatze. Bezüglich der Fauna der alpinen Teile ist auf das über die Tierwelt der Alpen Gesagte zu verweisen. Der Wolf findet sich in den einzelnen Gebieten mehr oder weniger zahlreich vom östlichen Kärnten an durch ganz Krain, Südsteiermark, Kroatien, Slawonien und Bosnien; häufig in der Bukowina und in Galizien; in Dalmatien kommt auch der Schakal (Canis aureus) vor. Der Biber geht auch hier seiner Ausrottung entgegen; als Seltenheit tritt der Nörz auf. Das Wildschwein ist nur noch in einem Teil der Karpathen zu finden sowie häufig in Bosnien. Ein freier Rotwildstand hält sich in den Karpathen sowie in den großen galizischen und bukowinischen Forsten. Die, soweit bekannt, gegen 400 Arten umfassende Vogelwelt zeigt in den südlichen Teilen Mittelmeerformen, in den nördlichen Bezirken nordische Vögel als gelegentliche Gäste, z. B. erscheint regelmäßig im Winter der Nordseetaucher auf der Donau bei Wien. Die Smaragdeidechse ist das ganze Donautal aufwärts gedrungen, und die Äskulapschlange zeigt in O. eine ähnliche sporadische Verbreitung wie in Deutschland; eine südliche Form ist auch der in Dalmatien, Istrien, aber auch im südlichen Steiermark und bei Wien vorkommende Scheltopusik (Pseudopus apus). Schildkröten finden sich vier Arten, darunter die Testudo graeca in Dalmatien. Von Amphibien finden sich in O. die auch in Deutschland bekannten, nur kommt eine wichtige und interessante Form hinzu, der blinde Olm (Proteus anguineus) der unterirdischen Gewässer Krains und Dalmatiens (Adelsberger Grotte). Der Fischreichtum des Donaugebiets ist sehr groß, sowohl in den Strömen selbst als auch in den bei den großen Überschwemmungen zurückbleibenden Riedseen. Weniger groß ist die Zahl der Arten als die Masse der Individuen. Zu nennen sind: Barsch, Zander, Streber, Zingel, Kaulbarsch, Schratz, Koppe, Karpfen, Karausche, Schleie, Barbe, Gründling, Steinpreßling, Blei, Zärthe, Güster, Sichelfisch, Uckelei, Steinlaube, Häsching, Rapfen, Aland, Rotauge, Plötze, Frauennerfling, Dachel, Strömer, Ellritze, Nase, Huchen, Hecht, Schmerle, Wels, Quappe, große und kleine Neunaugen und der Sterlett, jedoch nur verirrt. Im Wiener Donaukanal werden vereinzelt Forellen gefangen; als Hauptfische der Donau gelten Karpfen, Zander (Schill), Huchen. In den Nebenflüssen der Donau fehlen die in der Donau heimischen Fische zum Teil. Die Molluskenfauna Österreichs gehört, abgesehen von den Formen der Alpen, den mediterranen Küstenstrichen und seitlichen Einwanderern der germanischen Provinz des paläarktischen Faunengebiets an. Das gleiche gilt von der Insektenfauna im nördlichen Teile des Gebiets, während im südlichen, in den an das Mittelmeer grenzenden Landstrichen, naturgemäß südliche Formen auftreten.
Areal und Bevölkerung.
Die nachstehende Tabelle enthält die Bestandteile (Kronländer) von Ö., deren Größe und Bevölkerung (nach der Zählung vom 31. Dez. 1900):
Die Zunahme der Bevölkerung Österreichs, die sich aus der jüngsten Zählung gegen die vorhergehende vom 31. Dez. 1890 ergibt, beträgt im ganzen 2,255,295 Seelen oder im jährlichen Durchschnitt 0,9 Proz. Die überseeische Auswanderung aus Ö. belief sich in den Jahren 1883–1904 zusammen auf 874,310 Personen, wovon den Weg über den Hamburger Hafen 304,503, über Bremen 397,561 nahmen; 1904 wanderten über Hamburg 28,172, über Bremen 30,698 Österreicher aus. Die Auswanderung nahm ihr Ziel nach Nordamerika. Hierzu kommt noch die Auswanderung über Antwerpen und Rotterdam, die gleichfalls meist nach Nordamerika geht, ferner die Auswanderung über Genua nach Südamerika, insbes. nach Brasilien und Argentinien.
Dem Geschlecht nach zerfällt die Bevölkerung in 12,852,693 männliche und 13,208,015 weibliche Personen, so daß auf 1000 männliche Individuen 1035 weibliche kommen. Nach dem Familienstande waren von je 1000 männlichen Personen: 623 ledig, 348 verheiratet, 29 verwitwet, geschieden oder getrennt, während sich für je 1000 weibliche Personen diese Ziffern auf 581,338 und 81 stellen.
Die Bewegung der Bevölkerung ergibt im Durchschnitt der Jahre 1892–1903 auf 1000 Einw. 8 Trauungen, 37 Lebendgeborne und 26 Sterbefälle. Unter 1000 Geburten sind durchschnittlich 144 uneheliche. Die Zahl der Wohnorte in Ö. betrug nach der Zählung im J. 1900: 54,927, die 28,917 Ortsgemeinden bildeten und 3,584,263 bewohnte Häuser mit 5,553,006 Haushaltungen umfaßten. Mehr als 100,000 Einw. zählten die Städte: Wien, Prag, Lemberg, Graz, Triest, Brünn.
Nationalitäten.
(Hierzu die »Ethnographische Karte von Österreich-Ungarn«.)
Unter allen Staaten Europas (Rußland ausgenommen) hat keiner eine Bevölkerung, die aus mehr Nationalitäten besteht als die Österreich-Ungarns. Die drei Hauptvölker Europas, Deutsche, Slawen und Romanen, bilden auch die Hauptstämme Österreichs. Die Deutschen zählen 9,17 Mill. und bewohnen die Nordabhänge der Alpen, das Donauland, dann die Gebirgsstrecken des Böhmerwaldes, des Erz-, Riesen- und Sudetengebirges und greifen auch in vielen Sprachinseln in das slawische Gebiet hinüber. Von den slawischen Völkerschaften bewohnen die Tschechen den mittlern und südöstlichen Teil Böhmens, den größsern Teil Mährens (mit Ausnahme des deutschen Anteils im S. und N.) und einen Teil Schlesiens (südöstlich von Troppau und westlich von Teschen); die Polen Westgalizien und den ehemaligen Kreis Teschen in Schlesien; die Ruthenen Ostgalizien und einen Teil der Bukowina; die Slowenen Krain und die angrenzenden Teile von Kärnten, Görz, Istrien, das Territorium von Triest und Südsteiermark; die Kroaten und Serben Istrien, die Quarnerischen Inseln und Dalmatien. Von den romanischen Volksstämmen sind die Westromanen (Italiener nebst Ladinern und Friaulern) in Südtirol, Görz-Gradisca, Triest und an den Küsten von Istrien sowie in den meisten Städten Dalmatiens seßhaft; die Rumänen wohnen in der Bukowina. Folgende Tabelle zeigt das Verhältnis der Nationalitäten Österreichs in Prozenten der einheimischen Bevölkerung:
Außerdem leben 9516 Magyaren in der Bukowina. Vgl. außer der beifolgenden Karte die S. 187 angeführten ethnographischen und Sprachenkarten von O.
Religions- und Kirchenwesen.
In Ö. zählte man 1900: 23,796,814 (91 Proz.) Katholiken (darunter 3,134,439 Griechisch-Unierte und 2096 unierte Armenier), 606,764 (2,3 Proz.) Griechisch-Orthodoxe, 365,505 (1,4) Evangelische Augsburgischer und 128,557 (0,5) Helvetischer Konfession, 1,224,899 (4,7) Israeliten. Die Katholiken sind in 8 Kirchenprovinzen eingeteilt, nämlich 7 des lateinischen Ritus (Wien, Salzburg, Görz, Prag, Olmütz, Lemberg und Zara, mit 22 Bistümern) und eine des griechischen Ritus (Lemberg, mit 2 Bistümern). Dem päpstlichen Stuhl unmittelbar unterstellt sind das Erzbistum Lemberg des armenischen Ritus, das Fürstbistum Krakau, das apostolische Feldvikariat und der österreichische Anteil der Diözese Breslau. Die katholische Kirche zählt (1900): 17,252 Weltgeistliche in 9714 Pfarreien und 26,969 (darunter 7775 männliche) Ordensmitglieder in 1418 (541) Häusern. Die Altkatholiken haben 3 Pfarreien zu Wien, Warnsdorf und Ried. Für die griechisch-orthodoxe Kirche besteht eine Metropolie in Czernowitz mit 2 Bistümern, 348 Pfarreien, 445 Weltgeistlichen und 85 Monchen. Die Protestanten Augsburgischer und Helvetischer Konfession unterstehen dem Oberkirchenrat in Wien mit 10 Superintendenturen, 22 Senioraten, 245 Pfarreien, 128 Filialgemeinden und 139 Predigtstationen mit 299 Geistlichen. Die Israeliten haben (1900) 559 Gemeinden (253 in Galizien, 255 in Böhmen und Mähren).
Bildung und Unterricht: Wohltätigkeit.
Die Bildung des Volkes in Ö. ist bei der bunten Zusammensetzung desselben und bei den Rasseneigentümlichkeiten der einzelnen Stämme sehr verschieden. Bei der letzten Zählung vom Jahr 1900 ergab sich, daß von je 100 über 6 Jahre alten Personen 76 männliche und 70 weibliche lesen und schreiben, 2 männliche und 4 weibliche nur lesen, 22 männliche und 26 weibliche weder lesen noch schreiben können. Über die Durchschnittsziffer erhebt sich der Prozentsatz der Analphabeten in Dalmatien, Bukowina, Galizien und dem Küstenland. Das Volksschulwesen wurde durch das Gesetz vom 14. Mai 1869 (teilweise abgeändert 1883) neu geordnet. Hiernach liegt die Errichtung von Volksschulen den Ortsgemeinden ob. Die Schulpflicht beginnt mit dem vollendeten 6. und dauert im allgemeinen bis zum vollendeten 14. (in einigen Ländern nur bis zum 12.) Lebensjahr. Die Gattungen der in Rede stehenden Lehranstalten sind: allgemeine Volksschulen und Bürgerschulen, welch letztere in vollem Umfang acht Klassen zählen. 1903 bestanden 20,028 öffentliche Volks- und Bürgerschulen (nebst 1032 privaten Volksschulen) mit 56,922 Lehrern, 26,176 Lehrerinnen und 3,697,606 Schülern. Auf 1000 schulpflichtige Kinder entfallen 911 schulbesuchende. Anstalten zur Heranbildung von Volksschullehrern bestehen 54, von Lehrerinnen 43. An Mittelschulen bestanden 202 Gymnasien, 19 Realgymnasien und 117 Realschulen, zusammen mit 7121 Lehrern und 111,012 Schülern.
An Hochschulen besitzt O. 8 staatliche Universitäten, nämlich in Wien, Prag (2, eine deutsche und eine tschechische), Graz, Innsbruck, Krakau, Lemberg und Czernowitz. Jede Universität begreift vier Fakultäten: die theologische (katholisch, in Czernowitz griechisch-orientalisch), die rechts- und staatswissenschaftliche, die medizinische und die philosophische Fakultät. Der Gründung nach sind die ältesten Universitäten die in Prag (1348), Krakau (1364) und Wien (1365), die jüngsten Czernowitz (1875) und die tschechische Universität zu Prag (1882). Insgesamt zählten die österreichischen Universitäten 1903: 1596 Lehrende und 17,498 Studierende. Technische Hochschulen gibt es 7, nämlich in Wien, Prag und Brünn (je 2, eine deutsche und eine tschechische), Graz und Lemberg, die sich in vier Fachabteilungen gliedern und zusammen 536 Lehrende und 6458 Studierende zählten. In Wien besteht ferner eine Hochschule für Bodenkultur mit 58 Lehrkräften und 331 Hörern. Höhere Fachlehranstalten sind: 2 Bergakademien in Leoben und Přibram, die Kunstakademien in Wien, Prag und Krakau, die Graveur- und Medailleurschule, die Konsularakademie und die Exportakademie in Wien. Ferner bestehen an theologischen Lehranstalten: die katholisch-theologischen Fakultäten. in Salzburg und Olmütz, die 45 bischöflichen Lehranstalten und Klosterstudien; die Klerikalschule in Zara für die griechisch-orientalische Theologie; die evangelisch-theologische Fakultät in Wien. An Handelslehranstalten bestehen 22 höhere Handelsschulen (Handelsakademien), 82 sonstige kommerzielle Tagesschulen und 153 kaufmännische Fortbildungsschulen, zusammen mit 1740 Lehrern und 27,377 Schülern; an Gewerbeschulen: 25 Fachschulen für gewerbliche Hauptgruppen (darunter die Kunstgewerbeschulen in Wien und Prag und 20 Staatsgewerbeschulen), ferner 169 Fachschulen für einzelne gewerbliche Zweige, 11 allgemeine Handwerkerschulen und 978 gewerbliche Fortbildungsschulen, zusammen mit 7959 Lehrern und 124,835 Schülern; an land- und forstwirtschaftlichen Schulen 20 mittlere Schulen (15 für Landwirtschaft, 5 für Forstwirtschaft), dann 158 niedere Schulen, zusammen mit 1312 Lehrern und 6256 Schülern; ferner 3 nautische Schulen, 7 Lehranstalten für Tierheilkunde, 7 niedere Bergschulen, 15 Hebammenlehranstalten, 722 Schulen für musikalische und dramatische Bildung, 782 Schulen für weibliche Handarbeiten und Schneiderei und 1276 sonstige Lehr- und Erziehungsanstalten.
Unter den gelehrten Gesellschaften nimmt den ersten Rang die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien ein, der sich die Akademien der Wissenschaften in Prag und Krakau anreihen. Daran schließen sich die verschiedenen Vereine für Fachwissenschaften, für Landeskunde etc. Hervorragende wissenschaftliche Institute sind: die Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus, die geologische Reichsanstalt, das militärgeographische Institut, sämtlich in Wien, dann die Sternwarten, unter denen die der Wiener Universität den ersten Rang einnimmt. An wissenschaftlichen und Kunstsammlungen ist Ö. sehr reich, die hauptsächlichsten befinden sich in Wien. Unter den Bibliotheken ist die reichste die Hofbibliothek in Wien mit mehr als 500,000 Bänden; über 50,000 Bände haben außerdem noch 21 Bibliotheken. Naturwissenschaftliche Sammlungen in größerm und geringerm Umfang haben alle Hoch- und Mittelschulen; die größten Institute dieser Art sind das naturhistorische Hofmuseum, die anatomischen Sammlungen der Universität und der ehemaligen Josephsakademie in Wien, die geognostische Sammlung der geologischen Reichsanstalt u.a. Mit archäologischen und Kunstsammlungen ist Wien reich versehen; auch in mehreren Provinzstädten befinden sich Landesmuseen. Größere, dem Publikum zugängliche Gemäldegalerien besitzt O. 12, unter denen die des kunsthistorischen Hofmuseums die hervorragendste ist. In Wien befindet sich auch die große Kupferstichsammlung Albertina. Die periodische Presse ist (1904) durch 3320 Zeitungen vertreten. Hiervon erscheinen 1312 in Niederösterreich, nächstdem 824 in Böhmen (Weiteres s. im Artikel »Zeitungen«). Nach Sprachen erscheinen in der ganzen Monarchie 2034 in deutscher, 694 in tschechischer, 265 in polnischer, 102 in italienischer, die übrigen in slowenischer, ruthenischer, serbo-kroatischer, hebräischer und andern Sprachen. Politische Blätter sind 966, Tagesblätter 172 periodische Druckschriften. Die Zahl der Vereine belief sich Ende 1903 auf 70,097; hierunter waren 10,545 Feuerwehrvereine, 5599 landwirtschaftliche, 4314 Sparvereine, 3256 Krankenunterstützungs- und Leichenbestattungsvereine, 4149 Wohltätigkeitsvereine, 3708 Lesevereine, 2669 Veteranenvereine, 3174 Geselligkeits-, 2510 Gesang-, 4175 Turnvereine etc.
An Wohltätigkeitsanstalten besitzt O. 236 öffentliche und 460 private Krankenhäuser mit 49,667 Betten und 534,889 behandelten Kranken, 9 Findelanstalten mit 735 Betten, 18 öffentliche Gebäranstalten mit 1946 Betten, 21 Taubstummeninstitute mit 1848 Zöglingen, 15 Blindeninstitute mit 1118 Zöglingen, 32 öffentliche und 10 private Irrenanstalten mit 16,208 Betten und 26,374 behandelten Kranken. Ferner bestanden 1902: 33 Krippen, 635 Kinderbewahranstalten und 772 Kindergärten mit zusammen 159,391 Kindern, 231 Waisenhäuser mit 16,841 Kindern, 7 Idiotenanstalten mit 845 Verpflegten, 2 Arbeitshäuser mit 9911 Verpflegten, 1645 Versorgungsanstalten.
Land- und Forstwirtschaft. Bergbau.
(Hierzu die Karte »Landwirtschaft in Österreich-Ungarn«.)
Der landwirtschaftliche Betrieb bildet in Ö., wenn auch die gewerbliche Tätigkeit sich in den letzten Jahrzehnten ansehnlich entwickelt hat, die Hauptbeschäftigung der Bewohner. Nach der letzten Volkszählung vom 31. Dez. 1900 kamen auf die Berufsgruppe der Land- und Forstwirtschaft von je 10,000 ortsanwesenden Personen 5243, von je 10,000 berufstätigen Personen 5816. Was die österreichische Agrarverfassung betrifft, so besaßen Tirol, Dalmatien und ein Teil des österreichisch-illyrischen Küstenlandes bereits seit alter Zeit die Freiheit des Grundeigentums. Teilweise ist in diesen Ländern das italienische Kolonensystem verbreitet. In den übrigen Ländern wurde die Leibeigenschaft unter der Regierung des Kaisers Joseph II. aufgehoben und an ihre Stelle ein gemäßigtes Untertanenverhältnis gesetzt, das jedoch nebst allen aus demselben entspringenden gutsherrlichen Rechten und bäuerlichen Lasten 1848 beseitigt wurde (teilweise gegen Entschädigung aus den Grundentlastungsfonds). Die verschiedenartigen, den Landwirtschaftsbetrieb belästigenden Dienstbarkeiten, als Holzungsrechte, Weiderechte auf fremdem Grund, Feldservitute etc., wurden infolge des Patents vom 5. Juli 1853 reguliert und großenteils abgelöst. Rücksichtlich der Größe des Grundbesitzes herrscht im allgemeinen eine ziemlich weitgehende Zerstückelung des Bodens, indem auf einen Grundbesitzer nur 5,6 Hektar Grundfläche kommen. Förderungsmittel der Landwirtschaft sind die Landeskulturräte und die landwirtschaftlichen Vereine, die landwirtschaftlichen Lehranstalten (s. oben), die Anstalten für den landwirtschaftlichen und Bodenkredit und die Versicherungsanstalten gegen Feuer- und Hagelgefahr sowie gegen Viehunfälle.
Von je 100 Hektar der Oberfläche Österreichs sind 94,2 produktiv. Nach Kulturarten verteilt sich der landwirtschaftlich benutzte Boden folgendermaßen:
Von den einzelnen Ländern sind an Ackerland am reichsten Mähren, Böhmen und Schlesien mit ungefähr der Hälfte, am ärmsten sind Tirol und Salzburg, ersteres mit 5, letzteres mit 9 Proz. des Gesamtflächeninhalts. Auf der höchsten Stufe befindet sich der Ackerbau in den nordwestlichen Ländern. Die am meisten verbreitete Bewirtschaftungsmethode in Ö. ist die Dreifelderwirtschaft; doch besteht sie nur in wenigen Kronländern rein, weil zumeist der Futterbau in die Körnerwirtschaft hineingezogen wird und durchschnittlich kaum die Hälfte der Brache unbenutzt bleibt. Die Fruchtwechselwirtschaft wird hauptsächlich in Tirol, Steiermark, Krain, dem Küstenland, ziemlich häufig aber auch in den übrigen Kronländern betrieben, die Eggartenwirtschaft in den höher gelegenen Gegenden, namentlich der Alpenländer. In Mähren kommt vielfach die Drieschfelder-, in Steiermark die Brandwirtschaft vor. Die freie Wirtschaft wird in einzelnen Kronländern auf kleinen Besitzungen planmäßig betrieben. Das Erträgnis in den wichtigsten landwirtschaftlichen Produkten betrug in O. 1904:
Die reichsten Getreideländer sind Böhmen, Galizien, Mähren und Niederösterreich. An Hülsenfrüchten werden insbes. in den nördlichen Provinzen große Mengen gewonnen, wo auch Kartoffeln, Flachs und Hanf vorzüglich gedeihen, Zuckerrüben werden in großem Maßstab, namentlich in Böhmen und Mähren, dann auch in Schlesien, Niederösterreich und Galizien, angebaut. Von der Gesamternte des Hopfens erzeugt Böhmen über drei Viertel; berühmt ist der Hopfen von Saaz und Umgebung. Der Rapsbau ist in Böhmen, Galizien, Oberösterreich und Mähren ein einträglicher Zweig der Bodenkultur. Der Tabakbau unterliegt als Staatsmonopol den gesetzlichen Beschränkungen und ist auf Galizien, die Bukowina, Südtirol und Dalmatien beschränkt.
Der Obstbau deckt hin länglich den Bedarf und liefert ansehnliche Mengen (durchschnittlich für 15 Mill. Kronen) für die Ausfuhr. Die Kultivierung edler Obstsorten in größerm Maßstab wird besonders in der Umgebung von Bozen, der Anbau von Südfrüchten in einigen Gegenden Südtirols, im Küstenland und in Dalmatien betrieben. In Oberösterreich, Steiermark und Kärnten wird Obstmost, in Böhmen und Mähren Zwetschenmus (Powidel), in Dalmatien aus Steinweichseln der Maraschino bereitet. Der Weinbau wird in den meisten Kronländern, insbes. aber in Dalmatien, dem Küstenland, Niederösterreich und Steiermark betrieben. Am meisten süß, aber wenig haltbar sind die dalmatinischen, minder süß, jedoch mit den Jahren an Güte zunehmend, die deutschen Weine. Die Kultur des Öl- und Maulbeerbaums beschränkt sich auf Dalmatien, das Küstenland und Südtirol. Ungemein reich ist O. an Waldungen, die mehr als ein Drittel der produktiven Bodenfläche einnehmen, besonders in den Alpenländern. Die in staatlicher Verwaltung stehenden Forsten haben eine Ausdehnung von 1,056,701 Hektar und befinden sich Hauptsächlich in Galizien, in der Bukowina, Salzburg und Tirol. Das durchschnittliche Jahreserträgnis an Brenn- und Bauholz ist auf 29,8 Mill. cbm berechnet, welches Erträgnis nicht nur den inländischen Bedarf vollständig deckt, sondern auch bedeutende Mengen für den Absatz nach dem Ausland (Masten, Faßdauben, Sägewaren etc.) liefert. Holzmangel zeigt sich vorzugsweise in Dalmatien, das zwar eine bedeutende Waldfläche, aber fast nur Niederwald mit unansehnlicher Bepflanzung besitzt. Ein gleiches Verhältnis findet sich in Ist rien und in einem Teil der galizischen Hochebene. Beachtenswert sind auch die Nebennutzungen der Wälder (Eicheln, Pottasche, Holzkohle, Harz, Teer, Lohe, Sumach, Terpentin u.a.).
Trotz der von der Natur gebotenen günstigen Vorebedingungen hat die Viehzucht in Ö. bis jetzt noch nicht jenen Standpunkt erreicht, daß sie als genügend für den Bedarf des Reiches anzusehen wäre. In einigen Kronländern, insbes. im Alpengebiet, ist dieselbe allerdings blühend, hier und da sogar vortrefflich; dagegen ist sie in andern sehr vernachlässigt. Nach der letzten Zählung (1900) betrug der Viehstand in Ö.:
Vorzügliche Pferde schweren (norischen) Schlages werden in Salzburg, Obersteiermark und Kärnten gezüchtet. Zur Hebung der Pferdezucht bestehen 2 Hofgestüte, 2 Staatsgestüte und 5 Hengstedepots. Die Rindviehzucht ist in den Alpenländern, wo sie durch die Sennenwirtschaft begünstigt wird, ausgezeichnet; dort finden sich auch die schönsten Rassen. Die Schafzucht ist in den letzten Jahrzehnten sehr gesunken (1869 gab es noch über 5 Mill. Schafe); edle Rassen werden in Mähren und Schlesien, Böhmen, Nieder- und Oberösterreich gezüchtet. Die Ziegenzucht ist meist auf die gebirgigen Gegenden beschränkt und namentlich in Dalmatien stark vertreten. Von großer Wichtigkeit ist die Zucht des Borstenviehes, die in Galizien, den Alpenländern, aber auch in den industriereichen Ländern (Mästung mit Fabrikabfällen) stark betrieben wird. An Viehzuchtprodukten ergeben sich jährlich (abgesehen von Fleisch, Häuten und Knochen) ca. 43 Mill. hl Milch, 625,000 metr. Ztr. Butter, 650,000 metr. Ztr. Käse und 50,000 metr. Ztr. Wolle. Die Zahl der Bienenstöcke belief sich 1900 auf 996,139, die einen jährlichen Ertrag von 46,000 metr. Ztr. Honig und 4000 metr. Ztr. Wachs lieferten. Die jährliche Erzeugungsmenge an Seidenkokons, hauptsächlich in Südtirol und im Küstenland, beträgt durchschnittlich 2 Mill. kg.
Zu den landwirtschaftlichen Nebenbeschäftigungen gehören die Jagd und die Fischerei. Erstere brachte 1903 zum Abschuß: an schädlichen Tieren 391,709 Stück Haarwild (hauptsächlich Eichhörnchen, Wiesel, Füchse, Iltisse und Marder, dann Dachse, Fischotter und Wildkatzen, endlich auch, meist in den Karpathen, Wölfe, Luchse und Bären) und 494,316 Stück Federwild (namentlich Krähen und Elstern, Habichte, Falken, Sperber, dann Uhus und Adler); ferner an Nutzwild 1,960,581 Stück Haarwild (meist Hafen, dann Kaninchen, Rehe, Rotwild, Gemsen, Schwarzwild, Damwild und Murmeltiere) und 1,894,199 Stück Federwild (Rebhühner, Fasanen, Wildenten, Wachteln, Schnepfen, Hasel-, Birk- und Auerwild, Stein- und Schneehühner, Wildgänse). Die Fischerei wird als See-, Fluß- und Teichfischerei (letztere namentlich in Böhmen) betrieben. Die Seefischerei, die für die Küstenstriche Dalmatiens und das Küstenland von wirtschaftlicher Bedeutung ist, beschäftigt (1904) 13,836 inländische und 1223 italienische Fischer mit 4138 Booten und liefert einen Ertrag an Fischen, Schaltieren und Weichtieren im Werte von 6,1 Mill. Kronen.
Mannigfaltig sind die Produkte des Bergbaues. Von Metallen wird Silber in Böhmen (Přibram), Quecksilber in Krain (Idria), Zinn in Böhmen, Zink in Galizien, Steiermark und Krain, Blei in Kärnten, Krain und Böhmen, Kupfer in Salzburg und Tirol gewonnen. Der Bergbau auf Eisenerze und die Gewinnung von Roheisen sind am stärksten in Steiermark, Böhmen, Mähren, Schlesien, Kärnten und Triest vertreten. Graphit wird meist in Böhmen, Mähren und Steiermark, Erdöl und Erdwachs in Galizien gewonnen. Alle Länder, mit Ausnahme von Salzburg und der Bukowina, besitzen Kohlenlager; doch werden die größten Quantitäten von Stein- und Braunkohlen in Böhmen, Schlesien, Mähren und Steiermark erzeugt. Vgl. »Die Mineralkohlen Österreichs«, herausgegeben vom Komitee des Allgemeinen Bergwerkstages Wien 1903 (Wien 1904). Steinsalz wird aus unerschöpflichen Lagern in den Karpathen (namentlich bei Wieliczka und Bochnia in Galizien) zutage gefördert, während Sudsalz außer in Galizien in den Alpen (Hallstatt, Ischl, Ebensee, Hallein, Aussee und Hall) bereitet wird. Seesalz liefern Istrien und Dalmatien. 1904 waren beim Bergbau, Hütten- und Salinenbetrieb 150,185 Arbeiter beschäftigt. Der Geldwert der Bergwerksprodukte belief sich auf 221,4, jener der Hüttenprodukte auf 91,7 und jener des gewonnenen Salzes auf 52,1 Mill. Kronen. Die Erzeugungsmengen betrugen 1904:
Vgl. auch die Karte »Nutzbare Mineralien in Deutschland« (Bd. 4, S. 764). Der Ertrag der Torfstiche beläuft sich auf 1,5 Mill. metr. Ztr. Schließlich muß auch der Steinbrüche gedacht werden, die Marmor, Pflastersteine, Platten etc. liefern.
Industrie.
(Vgl. hierzu die Industriekarten von »Österreich-Ungarn I u. II«.)
Der Reichtum an Rohstoffen, Wasserkräften und Brennmaterial, das große Absatzgebiet in Ö. und Ungarn sowie in den benachbarten südlichen und östlichen Ländern, verhältnismäßig billige Arbeitskräfte in der genügsamen, ziemlich dichten Bevölkerung, die Errichtung von zahlreichen Real- und Gewerbeschulen, Versuchsanstalten und Gewerbemuseen, die Gründung von Gewerbevereinen und Gewerbekammern, die Gesetzgebung über Erfindungsprivilegien, Muster- und Markenschutz, die Ausbreitung und Vervollkommnung der Verkehrswege und des gewerblichen Kreditwesens: dies alles zusammengenommen hat in O. ein sehr rühriges Leben auf dem Feld industrieller Tätigkeit erzeugt. Die Gewerbeordnung von 1859, welche die alten Zunftprivilegien abschaffte und im allgemeinen das Prinzip der Gewerbefreiheit zur Geltung brachte, hat seither 1883 und 1885 Abänderungen erfahren, indem die sogen. handwerksmäßigen Gewerbe an einen Befähigungsnachweis gebunden wurden, ferner die Zwangsgenossenschaften eine neue eingehende Organisation erhielten und ein Arbeiterschutzgesetz (mit Sonntagsruhe und Normalarbeitstag) geschaffen wurde. Zur Handhabung dieses Gesetzes wurden Gewerbeinspektoren bestellt. Auch ist die Unfall- und Krankenversicherung der Arbeiter durchgeführt worden. In bezug auf die Entwickelung der Industrie herrscht unter den einzelnen Kronländern eine große Verschiedenheit. In Niederösterreich, Böhmen, Mähren, Schlesien, Vorarlberg ist das Fabrikwesen sehr blühend; in andern Kronländern sind größere Fabrikunternehmungen noch selten. Die Hausindustrie ist auf vielen Gebieten von großer Bedeutung. Nach der Volkszählung von 1900 gehörten dem Beruf der gewerblichen Industrie von je 10,000 ortsanwesenden Personen 2678 an, ein Verhältnis, das sich in Vorarlberg auf 4606, in Schlesien auf 4604, in Niederösterreich auf 4271, in Böhmen auf 4190, in Mähren auf 3399 stellt. Den Glanzpunkt des österreichischen Gewerbfleißes bildet Lein-, Woll-, Seiden-, Baumwoll-, Leder-, Gold-, Silber-, Eisen-, Stahl-, Glas- und Tonwarenfabrikation. Auch in den übrigen Zweigen der Textilindustrie, ferner in Holzwaren, Papier, Maschinen, Musikinstrumenten, Bier, Branntwein, Zucker u.a. steht O. auf hoher Stufe.
Die Zahl der gewerblichen Produktionsbetriebe belief sich nach der Betriebszählung von 1902 auf 629,809 Haupt- und 22,615 Nebenbetriebe mit 2,843,955 tätigen Personen und auf 357,019 Heimarbeitsbetriebe mit 463,564 tätigen Personen. Hierunter waren 52,025 Motorenbetriebe mit 1,562,658 Pferdekräften, die sich nach Hauptgruppen folgendermaßen verteilten:
Unter den metallverarbeitenden Industrien ist der wichtigste Zweig die Eisenindustrie, für die das Material in reichlichem Maß und vorzüglicher Qualität vorhanden ist. Diese hauptsächlich in Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Krain, Böhmen, Mähren und Schlesien vertretene Industrie liefert Stahl, Eisengußwaren, Streckwaren, Schienen, Bleche, Draht und Drahtstifte, Zeugschmiedewaren, Werkzeuge und Feilen, Weißblech, Sensen, Sicheln und Strohmesser, ferner Messer und andre Schneidewaren, Schmiede- und Schlosserwaren, feuerfeste Kassen und Schränke, eiserne Möbel, schmiedeeiserne Röhren und Eisengeschirr. Die Industrie in andern Metallen umfaßt die Erzeugung von Waren aus Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Messing, Tombak, Bronze, Neusilber etc., Lampen und Spenglerwaren, Glocken, endlich Gold- und Silberarbeiten. Der Maschinenbau, der in der Fabrikation von Dampfmaschinen und -Kesseln, Lokomotiven, Maschinen für Bierbrauereien, Spiritusbrennereien, Zuckerfabriken, Mühlen etc. sowie von elektrotechnischen Einrichtungen und landwirtschaftlichen Maschinen erfolgreich mit der ausländischen Konkurrenz kämpft, hat seinen Hauptsitz in Wien, Wiener-Neustadt, Prag, Brünn, Witkowitz und Triest. Von Transportmitteln werden Eisenbahnwaggons in Wien, Prag und Graz, Straßenfuhrwerke namentlich in Wien, dann in Mähren hergestellt. Größere Wersten für den Bau von Seeschiffen bestehen in Triest und Pola, für den Bau von Flußschiffen in Linz. Die Erzeugung wissenschaftlicher und chirurgischer Instrumente hat ihren Hauptsitz in Wien. In der Verfertigung von Musikinstrumenten behauptet Ö. einen der ersten Plätze in Europa; für die Streich- und Blasinstrumente sind die wichtigsten Produktionsstätten Wien, Prag, Königgrätz, Graslitz, Schönbach, für Klaviere, Zug- und Mundharmoniken Wien. Die Uhrmacherei befaßt sich hauptsächlich mit der Verfertigung von Stock-, Pendel- und Turmuhren.
Von den keramischen Industriezweigen ist die Erzeugung von hydraulischem Kalk und Zement, dann von Zementwaren, die Gipsbrennerei, Erzeugung von Töpferwaren, Fabrikation von Steingut, Steinzeug und feuerfesten Stein- und Tonwaren, von Siderolith-, Terralith- und Terrakottawaren, von Porzellan, von Hohl- und Tafelglas, die Glasraffinerie, die Glasquincaillerie (in Gablonz) hervorzuheben. Die Industrie in Holz, Bein etc. liefert außer gewöhnlicher Sägeware Parkette, Möbel (namentlich auch aus gebogenem Holz), Drechslerwaren, Knöpfe, Korbwaren, Rahmen, Spielwaren u.a.
Von den Zweigen der Textilindustrie umfaßt die Seidenindustrie die Produktion von Rohseide, ca. 100,000 kg, welches Quantum zum größern Teil in Südtirol gewonnen und auch dort versponnen wird. Für die Erzeugung von Chappe bestehen zwei größere Etablissements in der Grafschaft Görz. Die Erzeugung von Seidenwaren, hauptsächlich von glatten Seidenstoffen und Seidenbändern, ist größtenteils in den Händen von Wiener Firmen, die jedoch den Erzeugungsort meist auf das Land (Niederösterreich, Mähren und Böhmen) verlegt haben. Die Hauptsitze der Schafwollindustrie, und zwar der Streichgarnspinnerei und -Weberei, sind Brünn, Reichenberg, Bielitz und Jägerndorf, der Kammgarnspinnerei und -Weberei das nördliche Böhmen, der Baumwollindustrie gleichfalls Nordböhmen, ferner Niederösterreich und Vorarlberg, der Leinenindustrie Nordböhmen, Mähren und Schlesien. Nach der Betriebszählung 1902 beschäftigte die Textilindustrie an Feinspindeln: für Seide 60,317, Schafwolle 762,058, Baumwolle 3,014,873, Vigogne 143,936, Flachs 258,170, Hanf 19,571, Jute 36,748; ferner 374,494 Zwirnspindeln, 126,253 mechanische und 29,243 Handwebstühle nebst 88,651 in der Heimarbeit tätigen Handwebstühlen. Außer der Spinnerei und Weberei bilden hervorragende Zweige der Textilindustrie die Druckerei, Färberei und Bleicherei, die Bandfabrikation, Wirkerei, Maschinenstickerei, Erzeugung von Spitzen, Vorhängen, Schnüren, Borten, Teppichen u. Die Bekleidungsindustrie liefert namentlich Wäsche, Kleider, Handschuhe, Schuhwaren, Filz-, Seiden- und Strohhüte, orientalische Kappen, Schirme, Kunstblumen und Schmuckfedern. Die Papierindustrie umfaßt die Erzeugung von Papierstoff, Papier, Buntpapier und Tapeten, Spielkarten etc. Wichtige Zweige der Industrie in Nahrungs- und Genußmitteln sind der Mühlenbetrieb, die Bäckerei, Teigwarenerzeugung, die Malzfabrikation, Preßhefeerzeugung, die Zuckerfabrikation (1903 bestanden 208 Rübenzuckerfabriken, meist in Böhmen, dann in Mähren und Schlesien, mit 76,526 Arbeitern und einer Produktion von 8,3 Mill. metr. Ztr. Zucker), die Fabrikation von Schokolade, Kanditen, Kaffeesurrogaten, die Bierbrauerei (1903: 1341 Brauereien mit einer Produktion von 19,2 Mill. hl Bier), die Branntweinbrennerei, Spiritusraffinerie, Erzeugung von Likör, Essig, ferner die ärarische Tabakfabrikation (30 Fabriken mit 40,245 Arbeitern und einer Erzeugung von 370,200 metr. Ztr. Tabakfabrikaten). Die chemische Industrie erzeugt hauptsächlich Schwefelsäure, Salz- und Salpetersäure, Soda, Glaubersalz, Ätznatron, Chlorkalk, Pottasche, Eisenvitriol, Holzessig etc., ferner Stärke, Leim, Farben, Firnisse und Lacke, Schieß- und Sprengmittel, Zündhölzchen, Seifen und Kerzen, Öl, Petroleum, Paraffin, Leuchtgas, ätherische Öle, Parfümeriewaren, Spodium und Kunstdünger.
Handel und Verkehr.
In bezug auf den Handel mit dem Ausland bildet Ö. mit Ungarn ein einheitliches Handels- und Zollgebiet (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie). Der Binnenhandel bewegt sich noch mehr als der Außenhandel vorwiegend zu Lande und wird durch das Eisenbahnnetz und die schiffbaren Flüsse vermittelt; zum geringern Teil ist er Seehandel zwischen den an der adriatischen Küste gelegenen Provinzen. In sämtlichen 126 österreichischen Seehäfen sind 1904: 103,706 beladene Schiffe von 14,809,077 Ton. ein- und 105,229 beladene Schiffe von 14,791,235 T. ausgelaufen. Hierunter waren Dampfer 93,336 eingelaufene Schiffe von 14,517,035 T. und 93,636 ausgelaufene Schiffe von 14,410,869 T. Auf die österreichisch-ungarische Flagge kamen 97,260 eingelaufene und 97,858 ausgelaufene Schiffe von 13,714,314, bez. 13,648,100 T. Daneben sind noch die italienische und britische Flagge von größerer Bedeutung. Die wichtigsten Häfen mit Angabe der 1904 beladen eingelaufenen Schiffe und ihres Tonnengehaltes sind:
Der Stand der Handelsflotte, die in O. und Ungarn ein und dieselbe Flagge führt und nach gleichen gesetzlichen Normen behandelt wird, betrug Ende 1904 in O.: 13,554 Fahrzeuge mit 314,133 Ton. und 36,372 Mann Equipage, darunter 250 Dampfer mit 262,409 T. Die wichtigste Seeschiffahrtsunternehmung ist die Dampfschiffahrtsgesellschaft des Österreichischen Lloyd (s. Lloyd, S. 639); sie verfügt über 70 Schiffe von 147,587 T., die 1904 auf 1085 Fahrten 337,075 Reisende und 11,374,680 metr. Ztr. Güter beförderten.
Was die Verkehrsmittel und zwar zunächst die Straßen betrifft, so werden die wichtigsten Linien vom Staat unterhalten und heißen Reichs- oder Ärarialstraßen; andre bauen und unterhalten die einzelnen Kronländer, Bezirke oder Gemeinden (Landes-, Bezirks-, Gemeindestraßen). Die Gesamtlänge aller (gebauten) Straßen betrug Ende 1903: 113,970 km, wovon 15,991 km auf Ärarialstraßen kommen. Die Wasserstraßen haben eine Ausdehnung von 6573 km, wovon 1317 mit Dampfschiffen befahren werden. Die Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft (s. Donau, S. 109) verfügt über 153 Dampfboote (15,155 Pferdekräfte) und 782 Schleppschiffe, die 1903: 1,882,292 Reisende und 19,972,030 metr. Ztr. Waren beförderten. Dampfschiffahrtslinien bestehen außerdem auf der Elbe von der Vereinigung mit der Moldau bis zur sächsischen Grenze und teilweise auch auf diesem Nebenfluß, auf der Weichsel und dem Dnjestr, dann auf den meisten Seen.
Die Eisenbahnen (s. Eisenbahn, S. 501, und Tabellen I u. II) hatten in Ö. Ende 1903 eine Länge von 20,369 km, wovon 12,159 km im Staatsbetrieb waren. Die Länge der Doppelgleise betrug 2983 km. Hierzu kommen noch die Klein bahnen mit 529 km, davon 447 km mit elektrischem Betrieb, und die Schleppbahnen mit 1232 km. Die Telegraphie verfügte 1903 über 40,373 km Telegraphenlinien mit 187,922 km Drähten, 5947 Stationen und 9144 Apparaten. Außer dem Staatstelegraphen ist hierunter auch der Telegraph der Eisenbahnverwaltungen und der Privattelegraph inbegriffen. Der Korrespondenzverkehr umfaßt 10,272,044 aufgegebene, gebührenpflichtige Depeschen. Telephonnetze bestanden 1903: 429 mit 255,725 km Leitungsdrähten, einer Anzahl von 42,641 Abonnentenstationen und 134,2 Mill. vermittelten Gesprächen. Für den Postverkehr bestanden 1903: 482 ärarische und 7565 nichtärarische, zusammen 8047 Postanstalten, die einen Briefpostverkehr von 1213 Mill. Briefen und Korrespondenzkarten, 159,2 Mill. Stück Warenproben und Drucksachen und 128,3 Mill. Zeitungsexemplaren vermittelten. Anstalten zur Förderung des Handels und Verkehrs sind die Handels- und Gewerbekammern (29), die Börsen, die Banken und Kreditinstitute u.a. O. besitzt im ganzen 51 Banken mit einem Aktienkapital von 820,9 und einem Pfandbriefumlauf von 2824 Mill. Kronen. Das wichtigste Bankinstitut ist die mit dem Rechte der Notenausgabe versehene, 1816 gegründete k. k. privilegierte Österreichische Nationalbank, seit 1878 Österreichisch-Ungarische Bank, in Wien mit einem Aktienkapital von 210 Mill. und einem Banknotenumlauf von (Ende 1904) 1750 Mill. Kr., deren Wirksamkeit sich auf den ganzen Umfang des Reiches erstreckt. Sparkassen zählte Ö. 1903: 585 mit einem Einlagenstand von 4369 Mill. Kr. Hierzu kommt noch das Postsparkassenamt mit 6339 Sammelstellen und einem Einlagen stand von 455,5 Mill. Kr. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften bestehen 9729, darunter 6553 Vorschuß- und 821 Konsumvereine.
Maße und Gewichte. Durch Gesetz vom 23. Juli 1871 wurde der Gebrauch des metrischen Systems in O. von 1873 ab gestattet und von 1876 ab ausschließlich vorgeschrieben, zu derselben Zeit auch in der ungarischen Reichshälfte mit Ausnahme der Feldmaße (1 ungar. Joch = 4315,94 qm). Das Münzwesen erfuhr eine vollständige Neugestaltung auf Grund des Gesetzes vom 2. Aug. 1892, durch welches die Goldwährung eingeführt wurde. Als Münzeinheit ward die Krone (s. Tafel »Münzen VI«, Fig. 6) zu 100 Heller eingesetzt, 338,753 mg schwer von 9/10 Feinheit = 85,061 Pfennig Wert und einen halben Gulden der bisherigen österreichischen Währung darstellend, das Stück zu 20 Kronen (s. Tafel »Münzen V«, Fig. 2 u. 3), also = 10 Gulden, außerdem Stücke zu 10 Kronen. Silbergeld wurde Scheidemünze, die Krone bei 835 Tausendteilen Feinheit mit 4,175 g Silber = 75,15 Pfennig der Talerwährung, mithin zum Verhältnis 1: 13,694 gegen Goldwert; Stücke zu 2, 1 und 1/4 Gulden österreichischer Währung blieben bis auf weiteres gesetzmäßig. Reine Nickelmünzen wurden zu 20 und 10 Heller geprägt, Bronzemünzen zu 2 und 1 Heller aus 95 Teilen Kupfer, 4 Zinn und 1 Zink. Anfang 1900 erhielt die Kronen währung ausschließliche Geltung.
Das Zwanzigkronenstück, 164 aus 1 kg Feingold, 1 Tausendteil Remedium an Feinheit und 2 an Rohgewicht, dürfen Private gegen 6 Kr. (die Österreichisch-Ungarische Bank seit 1903 nur 2 Kr.) Gebühr für das Kilogramm sein prägen lassen; wiegt es nach regelmäßigem Umlaufe weniger als 6,74 g, so wird es auf Staatskosten zurückgenommen, entsprechend das Zehnkronenstück von 19 mm, das übrigens nur in Ungarn von Privaten bestellt werden kann. Von allen Scheidemünzen (zusammen vorerst 64 Mill. Kr. in Fünf-, 200 Mill. in Einkronenstücken, 60 Mill. aus Nickel und 26 Mill. aus Bronze) übernahmen 7/10 die im Reichsrate vertretenen, 8/10 die Länder der ungarischen Krone. 1 kg Münzsilber von 9/10 Feingehalt liefert 412/3 Fünfkronenstücke bei 3 Tausendteilen Remedium an Feinheit und 5 an Rohgewicht; diese erst 1900 zur Einlösung der Fünfguldennoten geschaffene Münzsorte haben Staats- und öffentliche Kassen ohne Beschränkung, Privatleute bis zum Werte von 250 Kr. anzunehmen. Einkronenstücke (1 Kr.), seit März 1893 ausgegeben, haben im Privatverkehr bis 50 Kr., im öffentlichen unbeschränkte Zahlkraft; ihrer gehen 200 auf 1 kg Münzsilber von 835 Tausendstel Feinheit, das Rohgewicht darf bis 10 Tausendteile schwanken. Nickelmünzen, dienend zur Einziehung der Zwanzigkreuzerstücke (das zu 20 Heller 21 und das zu 10 Heller 19 mm groß bei 4 und 3 g Gewicht) braucht weder der Staat noch der Privatmann in höhern Beträgen als 10 Kr. anzunehmen. Bronzemünzen, mittels deren die Vierkreuzerstücke eingelöst wurden, haben bei öffentlichen Kassen bis 10, bei Privaten bis 1 Kr. Zahlkraft; 300, bez. 600 gehen auf das Kilogramm. Handelsmünzen fertigt neuerdings das Münzamt zu Kremnitz nicht mehr an. Dukaten zu 232/3 Karat, 28,944 Stück aus 355 Wiener Mark von 280,668 g fein, haben ein Feinheitsremedium von nur 1 Tausendteil; ihre Prägung in Wien ist gegen 16,4 Kr. Gebühr für 1 kg freigestellt, während Vierdukatenstücke von 39,5 mm gegen vier einfache nebst 2,1 Kr. Auszahlung verabfolgt werden. Für die Prägung der 132/3lötigen Levantiner Taler mit 21/2 Tausendteilen Remedium an Feinheit wie Gewicht, deren 12 auf die Wiener Mark sein gehen, zahlt man jetzt 21/2 Kr. auf das Kilogramm Feinsilber. Eine ganze Vereinskrone nach dem deutschen Münzvertrag wurde in den Tabellen der Ausmünzung mit 27,3819, eine halbe mit 13,5142, ein Dukat bis 1896 einschließlich mit 9,6, ein Achtguldenstück mit 16,2 Kr. (richtiger halben frühern Gulden) angerechnet; die allgemeine Finanzvorschrift vom 16. Nov. 1899 setzte beim Vorkommen in der Kassegebarung folgende Werte fest: für österreichische und ungarische Dukaten 11,29, für Achtgulden 19,04 (entsprechend Viergulden), für Zwanzigfranken französischer Prägung 19,04 (entsprechend die nächstverwandten Goldmünzen und das französische Fünffrankenstück), für Zwanzigmark 23,52 (entsprechend Teilmünzen der deutschen Reichswährung), für den Sovereign 24,02, für Zehnrubel 25,39 (entsprechend neue russische Goldmünzen), für Zehnkronen 13,23 (entsprechend andre skandinavische Goldmünzen) und (bei Auszahlungen der Finanzverwaltung in holländischem Gelde) für Zehngulden 19,84 Kr. Gesetzliches Zahlmittel sind auch die Noten der Österreichisch-Ungarischen Bank, die zu 2/5 metallisch und zu 3/5 bankmäßig gedeckt sein müssen. Wegen der Gewöhnung des Volkes an papierne Wertzeichen, wodurch die Sättigung des Verkehrs mit Gold verhindert wird, gehen die Banknoten bis auf 20 und 10 Kr. herab; jedoch soll für die ersten 400 Mill. Kr. Hartgeld hinterlegt sein. Die vom Staat ausgegebenen Noten verloren 1. März 1903 den Zwangskurs und werden nur noch bis August 1907 eingewechselt.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Ö. bildet mit Ungarn eine Monarchie, die dieselbe Dynastie und gewisse als gemeinsam erklärte Angelegenheiten besitzt (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie). Im übrigen sind O. und Ungarn besondere Staatsgebiete mit besonderer, eingeschränkt- (repräsentativ-) monarchischer Verfassung. Staatsgrundgesetze sind für O. außer den mit Ungarn gemeinsamen (s. Österreichisch-Ungarische Monarchie): das Diplom vom 20. Okt. 1860 (Einführung der konstitutionellen Regierungsform); die Staatsgrundgesetze vom 21. Dez. 1867(betreffend die Organisation der Reichsvertretung, die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, die Einsetzung eines Reichsgerichts, die richterliche Gewalt, die Regierungs- und Vollzugsgewalt); die Reichsratswahlordnung vom 2. April 1873; die Landesordnungen und Landtagswahlordnungen für die einzelnen Länder vom 26. Febr. 1861 (durch spätere Gesetze abgeändert). Die österreichische Volksvertretung ist eine zweifache: eine Gesamtvertretung für alle Länder des österreichischen Staatsgebiets, der Reichsrat, dessen Wirkungskreis alle Gegenstände der Gesetzgebung umfaßt, welche Rechte, Pflichten und Interessen betreffen, die allen Ländern dieses Staatsgebiets gemeinschaftlich sind, und eine besondere Vertretung für jedes einzelne Land, die Landtage. Der Reichsrat besteht aus dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus. Mitglieder des erstern sind durch Geburt die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, mit erblicher Würde die großjährigen Häupter hervorragender Adelsgeschlechter, vermöge hoher Kirchenwürde die Erzbischöfe und Fürstbischöfe, dann auf Lebensdauer vom Kaiser berufene verdiente Männer, insgesamt gegenwärtig 265 Mitglieder. Das Haus der Abgeordneten ist aus 425 Mitgliedern zusammengesetzt, die von den Wählerklassen des großen Grundbesitzes (in Tirol des adligen großen Grundbesitzes, der Äbte und Pröpste, in Dalmatien der Höchstbesteuerten), der Städte, Märkte und Industrieorte, der Handels- und Gewerbekammern, der Landgemeinden und der allgemeinen Wählerklasse auf die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Als Wahlzensus gilt im allgemeinen die direkte Steuerleistung von 10 Kronen; in der allgemeinen Wählerklasse ist jeder eigenberechtigte männliche österreichische Staatsbürger, der das 24. Lebensjahr vollendet hat, wahlberechtigt. In ähnlicher Weise wie das Abgeordnetenhaus des Reichsrats sind die Landtage zusammengesetzt, denen als verwaltendes und ausführendes Organ der gewählte Landesausschuß zur Seite steht.
Die Gemeindevertretung beruht auf dem Reichsgesetz vom 5. März 1862 und auf den Gemeindeordnungen der verschiedenen Länder, neoen denen noch die Landeshauptstädte und einige andre Städte besondere Gemeindestatuten besitzen. In jeder Gemeinde bestehen der Gemeindeausschuß und der Gemeindevorstand; der erstere, von den wahlberechtigten Gemeindemitgliedern auf drei Jahre gewählt, ist das beschließende und überwachen de, der letztere, vom Gemeindeausschuß berufen und aus dem Gemeindevorsteher, dann mindestens zwei andern Mitgliedern gebildet, ist das verwaltende und vollziehende Organ. An Stelle des letztern tritt in den Städten eine Körperschaft (Magistrat, Bürgermeisteramt), die entweder bloß aus Beamten oder teils aus diesen, teils aus Ausschußmitgliedern zusammengesetzt ist. Der Wirkungskreis der Gemeinde ist ein doppelter: der selbständige, der das eigentliche Gebiet der Gemeinde berührt, und der übertragene, der in der Mitwirkung zu Zwecken der Staatsverwaltung besteht. Gemeinden höherer Ordnung bilden die Bezirke, die aber bisher nur in Steiermark, Böhmen und Galizien eigne Bezirksvertretungen und Bezirksausschüsse für ihre gemeinsamen Interessen besitzen.
Die Staatsverwaltung geht in oberster Linie vom Kaiser aus und wird in dessen Namen von den Ministerien und den denselben untergeordneten Behörden ausgeübt. Zum unmittelbaren Dienste des Landesfürsten ist die Kabinettskanzlei für die Zivil- und die Militärkanzlei für die Militärangelegenheiten bestimmt. Für das österreichische Staatsgebiet sind als oberste Zentralbehörden acht k. k. Ministerien mit dem Sitz in Wien bestellt, nämlich: die Ministerien des Innern, für Kultus und Unterricht, für die Justiz, für die Finanzen, für Handel, für Eisenbahnen, für Ackerbau, für Landesverteidigung. Eine selbständige Zentralbehörde bildet auch der k. k. oberste Rechnungshof.
Was die Provinzial-, Bezirks- und Lokalverwaltung betrifft, so bestehen als Oberbehörden für die politische Verwaltung, d.h. für die in das Ressort der Ministerien des Innern, des Kultus und Unterrichts und der Landesverteidigung fallenden Geschäfte, ferner für die Angelegenheiten der Land- und Forstwirtschaft, des Handels und der Gewerbe die politischen Landesbehörden (Statthaltereien oder Landesregierungen), denen ein Landesschulrat und ein Landessanitätsrat beigegeben sind. Unter diesen Landesbehörden fungieren als politische Behörden erster Instanz: die 358 Bezirkshauptmannschaften und in den von letztern eximierten 33 Städten mit eignem Gemeindestatut die Kommunalämter (Magistrate etc.); in unterster Linie haben alle Gemeindevorsteher bestimmte Geschäfte der staatlichen Verwaltung (im übertragenen Wirkungskreis) zu besorgen und die Ortspolizei zu handhaben. Eigne Polizeidirektionen bestehen nur in sieben größern Städten. Für die Finanzverwaltung sind in den einzelnen Ländern die Finanzlandesdirektionen (bez. Finanzdirektionen in den kleinern Ländern) als Oberbehörden bestellt, von denen als erste Instanzen für die direkte Besteuerung die Bezirkshauptmannschaften (mit beigegebenen Steuerinspektoren) nebst den Steuerämtern, in den Landeshauptstädten die Steueradministrationen und Steuerlokalkommissionen, für die indirekten Steuern und andern Finanzsachen die Finanzbezirksdirektionen und Finanzinspektoren mit den Gebührenbemessungs- und Zollämtern abhängen. Am Sitz jeder Finanzlandesbehörde befinden sich eine Finanzprokuratur (Rechtsrat und Anwalt des Staates) und eine staatliche Landeskasse. Die Leitung und Beaufsichtigung der Mittel- und Volksschulen kommt den Landes-, den Bezirks- und den Ortsschulräten zu; für das Verkehrswesen bestehen 10 Past- und Telegraphendirektionen sowie 11 Staatsbahndirektionen, für die Handhabung des Berggesetzes 4 Berghauptmannschaften (mit den Revierbergämtern), für die Verwaltung der Staats güter 6 Forst- und Domänendirektionen.
Die Rechtspflege ist von der politischen Verwaltung vollkommen getrennt. Zur Besorgung derselben besteht in der höchsten Instanz der Oberste Gerichts- und Kassationshof in Wien, in zweiter Instanz bestehen 9 Oberlandesgerichte, in erster Instanz 72 Gerichtshöfe (Landes- und Kreisgerichte) für wichtigere Rechtsfälle, die bei diesen gebildeten Geschwornengerichte (für die mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, für alle politischen Verbrechen und Preßvergehen) und 945 Bezirksgerichte (Einzelgerichte). Als besondere Gerichte bestehen noch die Handels-, Gewerbe-, Gefälls-, Militärgerichte etc. Zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten sowie zur Entscheidung in streitigen Angelegenheiten öffentlichen Rechtes ist das Reichsgericht in Wien, dann zur Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Staatsangehörigen und Administrativbehörden der Verwaltungsgerichtshof in Wien eingesetzt. Eine Sammlung der heute in O. geltenden Gesetze des öffentlichen und privaten Rechts in wortgetreuem Abdruck nebst den hierzu erlassenen Verordnungen und daran anschließend eine systematische Darstellung und Erläuterung der betreffenden Gesetze enthält das von Friedemann, Sandig und Wach herausgegebene Werk »Das österreichische Recht, ein Hilfsbuch etc.« (Wien 1905, 3 Bde.).
Das österreichische Staatsbudget für das Jahr 1906 betrug:
Die allgemeine österreichische Staatsschuld belief sich Ende 1905 auf 9,416,213,520 Kronen, wovon auf die eigentliche österreichische Staatsschuld 4,030,030,114 Kr., auf die allgemeine Staats schuld 5,383,562,656 Kr. und auf die gemeinsame schwebende Staatsschuld (Staatsnoten) 2,620,750 Kr. entfallen. Zur Verzinsung und Amortisation der allgemeinen Staatsschuld leistet Ungarn einen Jahresbeitrag von 60,322,414 Kr.
Wappen, Flagge, Orden.
(Hierzu die Tafel »Österreichisch-Ungarische Länderwappen«, mit Textblatt.)
Das kleine Reichswappen (Fig. 1 der Tafel) ist ein schwarzer, zweiköpfiger, auf jedem Kopf gekrönter Adler mit ausgebreiteten Flügeln, goldenen Schnäbeln, roten Zungen und goldenen Fängen, in dem rechten das Staatsschwert und das goldene Zepter, in dem linken den goldenen Reichsapfel haltend; über den beiden Köpfen die Kaiserkrone schwebend. Auf der Brust des Adlers befindet sich das Familien- und Hauswappen (Fig. 1 der Textbeilage) in einem zweimal gespaltenen Schild, und zwar rechts der aufrecht stehende rote, blau gekrönte Löwe von Habsburg im goldenen Felde, links in Gold ein roter rechter Schrägbalken, worin drei silberne, gestümmelte Adler übereinander gesetzt sind (Lothringen), in der Mitte von beiden ein silberner Querbalken in Rot (Österreich). Umhangen ist das Familienwappen von den Insignien des Toison-, Maria Theresien-, Stephans-, Leopold-, Eisernen Kronen- und Franz Josephordens. Das mittlere Wappen hat auf den ausgebreiteten Flügeln und dem Schwanz dieses Adlers elf Wappenschilde der österreichischen Provinzen; das große Wappen enthält im goldenen Hauptschild den kaiserlichen Adler, der auf der Brust einen zweimal senkrecht und ebenso oft quer geteilten Schild mit neun Sektionen trägt, die wieder in mehrere Felder geteilt sind, welche die Wappenzeichen des Kaiserhauses, der Provinzen und deren Bestandteile und der Anspruchsländer zeigen; der Haupt schild ist mit der Kaiserkrone bedeckt, mit den Insignien der erwähnten Ritterorden umhangen und von zwei schwarz über Gold geteilten Greifen mit ausgeschlagenen roten Zungen gehalten. Vgl. Ströhl, Österreichisch-ungarische Wappenrolle (3. Aufl., Wien 1899). Die Reichsfarben sind Schwarz und Gelb. Die Kriegsflagge ist rotweiß rot quer geteilt und im ersten Drittel mit dem königlich gekrönten Hauswappen belegt. Die Handelsflagge zeigt dasselbe Bild, nur ist der untere Streifen von Rot und Grün gespalten, der weiße Mittel streifen noch mit dem kleinen Wappen von Ungarn belegt (s. Tafel »Flaggen I«).
Ritterorden bestehen in O. acht: der Orden des Goldenen Vlieses (Toison orden, s. Tafel »Orden II«, Fig. 16), aus einer Klasse bestehend, vom Herzog Philipp von Burgund 10. Jan. 1429 gestiftet, der höchste Orden Österreich-Ungarns, bloß für Souveräne und die höchsten Würdenträger katholischer Religion bestimmt; der Sternkreuzorden, gestiftet 18. Sept. 1668, ebenfalls aus einer Klasse bestehend, von der Kaiserin an Damen des hohen Adels verliehen; der militärische Maria Theresien-Orden (Fig. 15), gestiftet 18. Juni 1757, mit drei Klassen (Großkreuzen, Kommandeuren und Rittern), zur Belohnung tapferer Taten für in- und ausländische Offiziere bestimmt; der königlich ungarische St. Stephan sorden, gestiftet 5. Mai 1764 für Adlige, die sich im Zivildienst verdient gemacht, jetzt auch für Militärpersonen, mit drei Klassen (Großkreuzen, Kommandeuren und Klein kreuzen); der Leopoldsorden. gestiftet 8. Jan. 1808, zur Auszeichnung für gemeinnützige Verdienste, Gelehrsamkeit etc., mit drei Klassen (Großkreuzen, Kommandeuren und Rittern); der Orden der Ei jernen Krone (Fig. 17), gestiftet 5. Juni 1805 von Napoleon I., von Kaiser Franz I. 12. Febr. 1816 ernennt, für ähnliche Verdienste bestimmt wie der vorige und ebenfalls mit drei Klassen (Rittern erster, zweiter und dritter Klasse); der Franz Josephorden (Fig. 18), gestiftet 2. Dez. 1849, für ehrenvolle Verdienste ohne Rücksicht auf Stand, Geburt und Religion bestimmt, mit fünf Klassen (Großkreuzen, Komturen mit Stern, Kom turen, Offizieren und Rittern); der Elisabethorden, gestiftet 1898, für verdienstvolle gemeinnützige Tätigkeit von Frauen mit drei Klassen (Großkreuze, erste und zweite Klasse), nebst der Elisabethmedaille für dienende weibliche Personen; das militärische Elisabeth Theresienstiftskreuz, gestiftet 1750, erneuert 16. Nov. 1771, zur Belohnung von 21 bedürftigen, verdienstvollen Generalen und Obersten der österreichischen Armee bestimmt, die damit Pensionen erhalten. Verdienst- und Ehrenzeichen sind: das (goldene und silberne) geistliche Verdienstkreuz für Feldgeistliche; die (große und kleine, goldene und silberne) militärische Tapferkeitsmedaille; das (silberne) Militärverdienstkreuz für aktive Offiziere; die Militärdienstzeichen für Offiziere und Mannschaft (in je zwei Klassen); das (goldene und silberne, mit oder ohne Krone verliehene) Verdienstkreuz für Zivilverdienste; das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft (gestiftet 18. Aug. 1887); ferner für besondere Leistungen auf allen Gebieten die mit dem Bild und Wahlspruch des Kaisers gezierte goldene Medaille in zwei Größen; (vgl. Tafel »Verdienstmedaillen und Verdienstkreuze I«, Fig. 15 u. 16). Zur Belohnung der Seefahrer ist eine Ehrenflagge (in zwei Klassen, einer weißen und einer roten) bestimmt. Näheres s. in den Artikeln über die einzelnen Orden. Vgl. Heyer von Rosenfeld, Die Orden und Ehrenzeichen der k. u. k. österreichisch-ungarischen Monarchie (2. Aufl. von Stroehl, Wien 1899); Judex, Orden und Ehrenzeichen Österreich-Ungarns (7 Tafeln mit kurzem Text, 4. Aufl., Leipz. 1904).
Über Heerwesen und Kriegsflotte s. Seite 212 f. nebst Textbeilage.
[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. die amtlichen Veröffentlichungen der Statistischen Zentralkommission (»Österreichische Statistik«, seit 1882), insbes.: Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dez. 1900, Berufstatistik für 31. Dez. 1900, Ergebnisse der gewerblichen Betriebszählung vom 3. Juni 1902; »Statistisches Handbuch«, seit 1882 jährlich; »Allgemeines Ortschaftenverzeichnis« (1902); das in Einzelbänden erscheinende »Gemeindelexikon der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder« (1903 ff.; bis dahin »Spezial-Ortsrepertorien«); die »Stat ist ische Monatsschrift« (seit 1875); die amtlichen Veröffentlichungen des Handelsministeriums (Handelsstatistik, Arbeitsstatistik, Gewerbeinspektion, Gewerbeförderung, Industrierat,»Österreichisches wirtschaftspolitiches Archiv« [früher »Austria«], »Soziale Rundschau«); »Statistisches Jahrbuch des Ackerbauministeriums«; »Statistisches Jahrbuch der autonomen Landesverwaltung« (seit 1900); »Österreichisches Städtebuch. Statistische Berichte der größern österreichischen Städte« (bis jetzt 10 Bde., Wien 1887–1904); »Soziale Verwaltung in O. am Ende des 19. Jahrhunderts« (das. 1900). Ferner: Brachelli, Handbuch der Geographie und Statistik des Kaisertums O. (Leipz. 1867) und Statistische Skizze der österreichisch-ungarischen Monarchie (13. Aufl., das. 1892); Steinhauser, Geographie von Österreich-Ungarn (Prag 1872); Grassauer, Landeskunde von Österreich-Ungarn (Wien 1875); Umlauft, Die österreichisch-ungarische Monarchie (3. Aufl., das. 1897); Supan, Österreich-Ungarn (in Kirchhoffs »Länderkunde von Europa«; Sonderausgabe, Leipz. u. Prag 1887); Grund, Landeskunde von Österreich-Ungarn (in der Sammlung Göschen, Leipz. 1905); die Sammelwerke: »Die Länder Österreich Ungarns« (hrsg. von Umlauft, Wien 1880–84, 13 Bde.), »Die Völker Österreich-Ungarns« (Teschen 1881–89, 15 Bde.) und das unter der Ägide des Kronprinzen Rudolf begonnene Werk »Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild« (Wien 1886 bis 1902, 24 Bde.); Mayerhofer, Österreichisch-ungarisches Ortslexikon (das. 1896); Kendler, Orts- und Verkehrslexikon von Österreich-Ungarn (3. Aufl., Leipz. 1905); Piper, Österreichische Burgen (Wien 1902–04, Bd. 1–4); »Bau und Bild Österreichs« (herausgegeben von den Geologen Diener, R. Hoernes, Sueß und Uhlig, das. 1903, auch in 4 Sonderausgaben); »Klimatographie von Ö.«, hrsg. von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (das. 1904 ff.); v. Czörnig, Ethnographie der österreichischen Monarchie (das. 1855–57, 3 Bde.); Lorenz und Wessely, Die Bodenkultur Österreichs (das. 1873); »Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und ihrer Industrien 1848–1898« (das. 1899–1902, 5 Bde.); »Die Großindustrie Österreichs« (das. 1898, 6 Bde.); »Österreichs Wohlfahrtseinrichtungen 1848–1898« (das. 1899–1900, 4 Bde.); Lopuszanski, Die Volkswirtschaft Österreichs 1900–1904 (das. 1904); »Kompaß, finanzielles Jahrbuch für Österreich-Ungarn« (das. 1906, 3 Bde.); »Jahrbuch der österreichischen Industrie« (das. 1906); Mayrhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst (5. Aufl., das. 1895 ff., 8 Bde.); Ulbrich, Das österreichische Staatsrecht (3. Aufl., Tüb. 1904) und Handbuch der österreichischen politischen Verwaltung (Wien 1887–90, 2 Bde.; Nachtrag 1892); Ulbrich und Mischler, Österreichisches Staatswörterbuch (das. 1894–97, 2 Bde.).
Karten: Die vom k. u. k. militärgeographischen Institut in Wien herausgegebenen kartographischen Werke (s. die Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme«); ferner »Geologische Übersichtskarte« (hrsg. von der geologischen Reichsanstalt, 12 Blätter; auch in 1 Bl., 5. Aufl. 1896); Czörnig, Ethnographische Karte der österreichischen Monarchie (4 Blätter und auch in 1 Bl.); »Physikalisch-statistischer Handatlas von Österreich-Ungarn« (25 Karten, mit Text von Haardt, Kerner u.a., Wien 1887); Freytag, Handatlas für den österreichischen Verwaltungsdienst (11 Blätter, das. 1901); Le Monnier, Sprachenkarte von Österreich-Ungarn (das. 1889, 4 Blätter); Langhans, Karten der Verbreitung von Deutschen und Slawen in O. (Gotha 1900); Hickmann, Geographisch-statistischer Taschenatlas von Österreich-Ungarn (Wien 1900).
Geschichte Österreichs
(Hierzu die »Karten zur Geschichte Österreich-Ungarns« mit Textblatt: »Übersicht des Wachstums Österreichs seit seiner Begründung. – Übersicht der Fürsten Österreichs«.)
Von den ältesten Zeiten bis zur Vereinigung Österreichs mit Böhmen und Ungarn (1526).
Ein Teil der Gebiete, die heute die Österreichisch-Ungarische Monarchie bilden, stand in alter Zeit unter der Herrschaft der Römer, die bereits unter Augustus die Donau zur Nordgrenze ihres Reiches gemacht hatten, während jenseit des Stromes die germanischen Markomannen und Quaden sich niedergelassen hatten. Nur an der untern Donau schoben die Römer ihr Gebiet über den Strom hinaus, indem Kaiser Trajan Dacien nach heftigen Kämpfen unterwarf (107) und in eine römische Provinz umwandelte. Aber bald nach der Mitte des 2 Jahrh. (166) begannen die nordischen Völkerschaften die römischen Grenzen zu überschreiten, Dacien ging in der zweiten Hälfte des 3. Jahrh. an die Goten verloren, und vom 4. Jahrh. ab fiel eine Provinz nach der andern den verschiedenen Stämmen anheim, die sich auf diesem Boden, südwärts strebend, ablösten, bis erst im 6. Jahrh. in der »Völkerwanderung« ein gewisser Stillstand einzutreten begann. Damals (568) begründeten die Avaren in Ungarn ein mächtiges Reich, und um dieselbe Zeit setzten sich nordslawische Stämme in Böhmen und Mähren bis zur Donau und den Kleinen Karpathen fest, nachdem sich bereits früher westlich von der Enns die deutschen Bajoarier, wahrscheinlich Abkommen der Markomannen, angesiedelt hatten, die allmählich auch das heutige Tirol bis Bozen in ihre Gewalt brach len und so die Nachbarn der Langobarden wurden. Im ehemaligen Pannonien und Noricum, an den Abhängen der Ostalpen bis zum Quellengebiet der Drau und Mur, waren die südslawischen Slowenen (Winden) seßhaft geworden, zunächst unter avarischer Botmäßigkeit. dann im 7. Jahrh. ein selbständiges Herzogtum »Karantanien« bildend. Ihre Nachbarn wurden jenseit der Kulpa bis an das Vrbasgebirge die Kroaten, denen sich im Süden Dalmatiens, bis nach Belgrad hin, die Serben anschlossen. Die Romanen, von den Slawen verdrängt, fanden an der dalmatinischen Küste und auf den Inseln eine Zuflucht. Vgl. Pichler, Austria Romana, geographisches Lexikon etc. (Leipz. 1903–04).
Dieses Bild veränderte sich mit dem Eintritt des Karolingerreiches in die Weltgeschichte. Karl d. Gr. brachte nach Unterwerfung der Sachsen und Langobarden auch Bayern, dessen letzter Herzog Tassilo zuerst die fränkische Oberhoheit anerkannt hatte, später aber mit avarischer Hilfe sich freizumachen suchte, 788 in seine Gewalt und mit diesem Gebiet auch Karantanien, das schon von Bayern abhängig geworden war. Nach der Vernichtung des Avarenreiches durch Karl d. Gr. (795) wurden die Grenzen des fränkischen Reiches bis an die Donau erweitert, Ufernoricum und Pannonien demselben einverleibt. Slowenen und Kroaten konnten nunmehr dieser Macht gegenüber ihre Selbständigkeit nicht weiter behaupten, und auch die böhmisch mährischen Slawen zahlten Tribut; das Land zwischen Donau und Theiß verödete. Nach des großen Kaisers Tode traten Verluste ein: die Kroaten begaben sich unter das oströmische Zepter, die Slowenen machten sich unabhängig, und die Nordslawen vereinigte der Mährerfürst Swatopluk in der zweiten Hälfte des 9. Jahrh. zu einem großen Slawenreich, das sich einerseits über das Erzgebirge, anderseits bis Krakau und im Süden bis in die Theißgegenden erstreckte. Dieses großmährische Reich erlag aber 906 dem Ansturm der Magyaren, die bald auch der ostfränkischen Herrschaft gefährlich wurden. Schon 907 wurde der bayrische Markgraf Liutpold von ihnen besiegt, und damit war nicht nur die fränkische Herrschaft in Pannonien für immer vernichtet, sondern auch die Ostmark östlich der Enns den Ungarn preisgegeben. Erst mit dem Siege Kaiser Ottos I. auf dem Lechfelde (10. Aug. 955) erscheint aufs neue eine bayrische Ostmark unter der Enns, für die sich in einer Urkunde von 996 zum erstenmal der Name »Ostarrichi« findet, und die unter den ersten Markgrafen aus dem Hause der Babenberger (Liutpold I., 976–994; Heinrich I., 994–1018, und Adalbert, 1018–55) bis an die March und Leitha erweitert wurde. Die Gegenden östlich vom Wiener Wald wurden nun dauernd von deutschen Kolonisten besiedelt. Adalberts zweiter Sohn, Ernst der Tapfere (1055–1075), kämpfte mit Kühnheit und Erfolg gegen die Ungarn und fiel 1075 in der Schlacht bei Hohenburg gegen die Sachsen. Unter ihm dürfte die Ostmark durch die sogen. Neumark eine wesentliche Bereicherung erfahren haben, allein das erhaltene Privileg vom 4. Okt. 1058 ist eine Fälschung. Sein Sohn Liutpold II., der Schöne (1075–96), ward von Kaiser Heinrich IV. 1081 seiner Markgrafschaft entsetzt, die dem Böhmenherzog Wratislaw II. übertragen wurde, gelangte aber 1084 wieder in ihren Besitz. Sein Sohn Liutpold III., der Heilige (1096–1136), der für seinen Abfall von Heinrich IV. (1105) durch Kaiser Heinrich V. die Hand seiner Schwester Agnes, der Witwe Friedrichs, des ersten staufischen Herzogs von Schwaben, empfing, erbaute anstatt der bisherigen Residenz der Babenberger in Melk eine neue Burg auf dem Leopoldsberg bei Wien und gründete Klosterneuburg und Heiligenkreuz. 1125 war er für den deutschen Königsthron in Aussicht genommen, lehnte aber die Wahl ab. Sein dritter Sohn, Liutpold IV., der Freigebige (1136–41), der ihm folgte, erhielt nach der Ächtung Heinrichs des Stolzen 1139 von seinem Halbbruder Konrad III. das Herzogtum Bayern, das nach seinem Tode nebst Österreich auf seinen jüngern Bruder, Heinrich Jasomirgott (1141–77), überging. Am 17. Sept. 1156 erhielt dieser nach Rückgabe Bayerns an den Welfen Heinrich den Löwen zu Regensburg von Kaiser Friedrich I. das sogen. privilegium minus, durch das die Markgrafschaft zu einem Herzogtum mit besondern Vorrechten erhoben wurde. Herzog Leopold V., der Tugendhafte (1177–94), nahm am dritten Kreuzzug teil, verfeindete sich aber mit König Richard Löwenherz in Akkon, den er auf seiner Rückkehr aus dem Morgenland in der Nähe von Wien gefangen nahm und auf der Feste Dürnstein in strengem Gewahrsam hielt, bis er ihn 1193 an Kaiser Heinrich VI. auslieferte. Nach dem Tode des letzten Traungauers Ottokar VI. erwarb er 1192 Steiermark (s. d.). Nach dem frühen Tode seines ältern Sohnes, Friedrichs des Katholischen (1195–98), folgte Leopold VI., der Glorreiche (1198–1230), unter dem das babenbergische Ö. seine höchste Blüte erlangte. Dieser sorgte nicht nur für den Wohlstand seines Landes und vergrößerte es, indem er vom Stift Freising dessen beträchtliche Lehen in Krain erwarb (1229), er war auch wie sein Vater ein Freund der Dichtkunst und zog Minnesinger an seinen Hof. Für die Kirche unternahm er einen Zug nach Spanien und schloß sich dem Kreuzzug des Königs Andreas von Ungarn nach Palästina und Ägypten an. Sein Sohn Friedrich der Streitbare (1230–46) wurde von Kaiser Friedrich II. 1236 seiner Lande für verlustig erklärt, die er erst 1239 zurückerhielt; 1241 wehrte er einen Einfall der Mongolen in O. ab und fiel 15. Juni 1246 im Kampf gegen Bela von Ungarn, der letzte Babenberger.
Zunächst nahm Kaiser Friedrich II. Ö. und Steiermark als erledigte Lehen an sich und ernannte den Grafen Otto von Eberstein, dann den Herzog Otto von Bayern zum Statthalter. Papst Innozenz IV. dagegen, der 1245 den Kaiser in den Bann getan hatte, verlieh O. dem Markgrafen Hermann von Baden, dem Gemahl Gertruds, einer Nichte Friedrichs des Streitbaren. Als der Markgraf und bald nach ihm Kaiser Friedrich II. 1250 starben, erwählte die Mehrheit der österreichischen Stände 1251 in Trübensee bei Tulln den böhmischen Thronerben Ottokar (s. d.) zum Herzog, der sich 11. Febr. 1252 mit einer Schwester Friedrichs des Streit baren, Margarete, der 47jährigen Witwe des römischen Königs Heinrich VII., vermählte. In O. allgemein anerkannt, eroberte er nach dem Sieg bei Kroissenbrunn (12. Juli 1260) auch Steiermark, das ihm König Bela von Ungarn streitig gemacht hatte, und gelangte 1269 durch Testament des letzten kinderlosen Herzogs Ulrich auch in den Besitz von Kärnten und Krain. Seit 1253 hatte er auch die böhmische Königskrone inne.
Als Rudolf von Habsburg (s. Rudolf 2) zum deutschen König gewählt worden war, versagte ihm dieser mächtige Fürst zuerst die Anerkennung, mißachtete die Beschlüsse des Reichstags, so daß nach Verhängung der Reichsacht und Aberkennung aller Lande der Krieg gegen ihn beschlossen wurde. Da Rudolf ungehindert bis Wien vordrang und Ottokar sich vielfach bedroht sah, ging er 21. Nov. 1276 einen Frieden ein, in dem er Ö., Steiermark, Kärnten und Krain preisgab und Böhmen mit Mähren als Lehen vom deutschen König entgegennahm. Doch war der Friede nicht von Dauer; nach zwei Jahren brach der Krieg um so heftiger aus und endete mit der Niederlage und dem Tode Ottokars in der Schlacht am Krutterfeld bei Dürnkrut (Marchfeldschlacht) 26. Aug. 1278.
König Rudolf schuf aus den österreichischen Landen eine habsburgische Hausmacht, indem er im Dezember 1282 zu Augsburg seine Söhne Albrecht und Rudolf, welch letzterer schon 1283 auf seine Rechte verzichtete, mit Ö., Steiermark, Kärnten, Krain und der windischen Mark belehnte. Kärnten erhielt aber 1286 Graf Meinhard von Tirol zum Lehen, ebenso Krain als Pfandschaft. Herzog Albrecht I. (s. d.), 1282–1308, infolge seiner tatkräftigen und strengen Regierung in manche Kämpfe im Innern, mit Wien, dem steirischen Adel, dem Erzbischof von Salzburg, verwickelt, erlangte zwar nicht gleich nach dem Tode seines Vaters (1291), sondern erst nach der Absetzung Adolfs von Nassau die deutsche Königskrone (1298), die aber nach seiner Ermordung durch seinen Neffen Johann Parricida (1. Mai 1308) wieder verloren ging, ebenso wie der Besitz Böhmens. Seine beiden Söhne Friedrich der Schöne (s. Friedrich 3) und Leopold der Glorwürdige (s. Leopold 19), die gemeinsam die Regierung der Erblande übernahmen, stellten sich mit dem neuen deutschen König, Heinrich VII. von Luxemburg, auf guten Fuß und erhielten von ihm die Belehnung mit ihren Ländern. Nach Heinrichs Tode bewarb sich Friedrich von O. um die deutsche Krone, doch erhielt er in Ludwig von Bayern einen Gegenkönig (im Oktober 1314), dem er schließlich in der Schlacht bei Mühldorf (28. Sept. 1322) unterlag. Schon vorher hatte Leopold gegen die Schweizer unglücklich gekämpft (Schlacht bei Morgarten 15. Nov. 1315). Friedrich söhnte sich später mit Ludwig aus, aber ein volles Einverständnis scheiterte an dem Widerstande Herzog Leopolds. Dieser starb 28. Febr. 1326, am 13. Jan. 1330 folgte ihm Friedrich, worauf deren jüngerer Bruder, Albrecht der Weise oder Lahme (s. Albrecht 15; 1330–58), die Regierung übernahm. Er und sein jüngerer Bruder, Otto, erlangten gemäß frühern Verträgen von Kaiser Ludwig 5. Mai 1335 die Belehnung mit Kärnten, Krain und Südtirol, das sie auch im Kampf gegen die Luxemburger zu behaupten wußten (Friede von Enns, 9. Okt. 1336). Am 25. Nov. 1355 erließ Albrecht eine Hausordnung, nach der seine vier Sohne Rudolf, Friedrich, Albrecht und Leopold die österreichischen Länder gemeinsam besitzen sollten; doch übernahm nach des Vaters Tod (20. Juli 1358) der älteste, Rudolf der Stifter (1358–65), die Regierung. Ehrgeizig und hochstrebenden Sinnes, suchte er durch gefälschte Freiheitsbriefe (privilegium majus) dem österreichischen Hause besondere Vorrechte zu verschaffen und geriet deswegen mit seinem Schwiegervater, Kaiser Karl IV., in stete Konflikte. Dagegen glückte ihm die Erwerbung Tirols (1363). Nach seinem Tode (27. Juli 1365) begannen unter seinen Brüdern, Herzog Albrecht III. (s. Albrecht 16) und Leopold III. (s. Leopold 21), die für das Haus verhängnisvollen Erbteilungen, von denen die wichtigste 25. Sept. 1379 im Kloster Neuberg vorgenommen wurde. Albrecht (Albertinische Linie) erhielt bloß Niederösterreich (ohne Wiener-Neustadt) und Oberösterreich, Leopold (Leopoldinische Linie) Steiermark, Kärnten, Krain, Istrien, Tirol und die Vorlande. Herzog Leopold machte zwar zahlreiche Erwerbungen, aber bei dem Versuche, die österreichische Herrschaft in der Schweiz und in Schwaben auszudehnen, fiel er in der Schlacht bei Sempach (9. Juli 1386). Gemäß einem Vertrag der vier Söhne Leopolds, Wilhelm, Leopold IV., Ernst und Friedrich, übernahm ihr Oheim Albrecht 111. für seine Lebenszeit die Gesamtregierung. Nach seinem Tode (29. Aug. 1395) schlossen sein Sohn Albrecht IV. (1395–1404) und Wilhelm den Hollenburger Vertrag, nach dem beide Herzoge ihre Länder gemeinsam regieren und die Einkünfte gleich geteilt werden sollten; aber schon 1396 erfolgte in der Leopoldinischen Linie eine weitere Teilung zwischen Wilhelm und Leopold, worauf ein neuer Vertrag 1402 festsetzte, daß Wilhelm und Ernst in Steiermark, Kärnten, Krain, Leopold und Friedrich in Tirol und den Vorlanden zu regieren hätten. Nach Albrechts IV. frühem Tode (14. Sept. 1404) übernahm zuerst Wilhelm und nach dessen Tode (15. Juli 1406) Leopold IV. die Vormundschaft über Albrechts IV. einzigen Sohn Albrecht V. und die Regierung in O., Kärnten und Krain, Ernst die in Steiermark, Friedrich in den Vorlanden und Tirol. Die Frage der Vormundschaft führte aber zu Streitigkeiten und Kriegen zwischen den Brüdern, und als Leopold IV. 3. Juni 1411 starb, setzte es König Siegmund durch, daß Albrecht selbständig in O. ob und unter der Enns regierte, während Ernst die Steiermark, Kärnten und Krain, Friedrich Tirol und die Vorlande behielt.
Albrecht V. (1404–39), der als Schwiegersohn des Kaisers Siegmund 1437 die Kronen Böhmen und Ungarn erbte, ward 1438 als Albrecht II. zum deutschen König gewählt, worauf die deutsche Kaiserkrone über 300 Jahre (bis 1740) bei den Habsburgern blieb. Albrecht starb schon 27. Okt. 1439. Für seinen nachgebornen Sohn, Ladislaus Posthumus (geb. 22. Febr. 1440), übernahm zunächst der älteste Sohn Ernsts des Eisernen, Friedrich V. (s. Friedrich 4), von der steiermärkischen Linie, als deutscher König Friedrich III. (1440–93) die Vormundschaft. Friedrich, der am 3. Jan. 1453 den schon seit 1414 üblichen erzherzoglichen Titel für die steiermärkische als Hauptlinie offiziell einführte, geriet wegen der verweigerten Auslieferung Ladislaus' 1451 in Streit mit den österreichischen Ständen, die ihn 1452 in Wiener-Neustadt zur Herausgabe des Prinzen zwangen. Doch starb der junge Fürst schon 23. Mai 1457, und da mit ihm die Albert in ische Linie erlosch, teilten sich Friedrich III. und Albrecht VI. von der steiermärkischen Linie in das Land, so daß ersterer Nieder-, letzterer Oberösterreich erhielt. Die Kronen von Ungarn und Böhmen gingen wieder verloren. Friedrichs Regierung in O. gestaltete sich infolge der Unsicherheit im Land und der durch Münzverschlechterung hervorgerufenen Not so ungünstig, daß der Kaiser sich entschließen mußte, im Dezember 1462 Niederösterreich an Albrecht VI. abzutreten. Dessen Tod (8. Dez. 1463) machte weitern Zwistigkeiten unter den Habsburgern ein Ende. Später geriet Friedrich in Kampf mit dem Ungarnkönig Matthias Corvinus, der ihn 1485 aus Wien vertrieb, worauf er erst nach dessen Tod (1490) von seinem Sohn Maximilian dahin zurückgeführt wurde. Matthias' Nachfolger in Ungarn, der Jagellone Ladislaw II., mußte im Frieden von Preßburg (7. Nov. 1491) dem Kaiser und dessen Haus die Nachfolge in Ungarn zusagen, falls er ohne männliche Nachkommen stürbe. Maximilian, durch seine Heirat mit Maria von Burgund Erbe Burgunds und 1486 auch zum römischen König gewählt, übernahm nach des Vaters Tod (19. Aug. 1493) die gesamten habsburgischen Lande, freilich zumeist in einem traurigen Zustande.
Die Pläne Maximilians I. (s. d.; 1493–1519), O. zum Königreich zu erheben oder für eines der Erblande die Kurwürde zu erlangen, scheiterten zwar, dagegen glückten ihm einige territoriale Erwerbungen, die sein Gebiet vortrefflich abrundeten. Bei der Einteilung des Reiches in Kreise 1512 wurden sämtliche habsburgische Erblande zu einem, dem österreichischen Kreise, vereinigt. Maximilian errichtete oberste Verwaltungsbehörden in Wien, Graz und Innsbruck und erließ die wichtigen Landesverordnungen oder »Libelle« und Kriminalsatzungen (Malefizordnung), sorgte für Wissenschaften und Künste und machte die Wiener Universität zu einem Hauptsitz des Humanismus. Hauptsächlich allerdings war die ruhelose Phantasie des geistvollen Herrschers mit der Zukunft seines Hauses beschäftigt. Durch die Heirat seines Sohnes Philipp mit der Erbin der spanischen Krone, Johanna von Kastilien (1496), erwarben die Habsburger dieses Reich, das sich gerade zu einem weltbeherrschenden Staat entwickelte. Als der Erbe Spaniens, Burgunds und Österreichs, Maximilians Enkel Karl V. (s. Karl 6), wenn auch erst nach dessen Tod, 1519 zum deutschen Kaiser gewählt wurde, beherrschte er ein Weltreich, von dem O. nur einen verhältnismäßig kleinen Teil bildete. Karl und sein jüngerer Bruder, Ferdinand (s. Ferdinand 1), vereinbarten aber, zuerst auf dem Reichstag zu Worms (28. April 1521) und sodann in veränderter Form zu Brüssel (7. Febr. 1522), eine Teilung der habsburgischen Länder, wodurch eine spanische und österreichisch-deutsche Linie geschaffen wurde. Diese umfaßte die fünf österreichischen Herzogtümer (O. unter und ob der Enns, Steiermark, Kärnten, Krain), dann Friaul, Triest, Görz, die Windische Mark, Tirol und Vorarlberg, Burgau und die schwäbischen Besitzungen, ebenso das neuerworbene Herzogtum Württemberg. Hierzu erwarb Ferdinand nach dem Tode König Ludwigs bei Mohács (29. Aug. 1526) durch die Hand seiner Gemahlin Anna, Ludwigs Schwester, die Königreiche Ungarn und Böhmen und legte den Grund zur Großmachtstellung Österreichs.
Bis zum Aussterben des habsburgischen Mannesstammes (1740).
Die Erwerbung Böhmens und Ungarns hatte sich nicht mühelos vollzogen; in Ungarn fand Ferdinand an Johann Zapolya einen Gegenkönig, den er aber durch einen glücklichen Feldzug 1528 aus dem Lande drängte. Zapolya erhielt jedoch die Unterstützung des Sultans, der 1529 in Ungarn einrückte, Ofen einnahm und bis vor Wien kam. Die Belagerung der Stadt mußte zwar (14. Okt.) aufgegeben werden, allein das Land wurde aufs furchtbarste verwüstet. Nach einem zweiten Einfall 1532 schloß die Pforte 1533 in Konstantinopel mit Ferdinands Abgesandten den ersten Friedensvertrag ab, der ihm den Besitz der in seinen Händen befindlichen Städte und Landschaften zusicherte. Auch mit Zapolya kam 1538 zu Großwardein ein Friede zustande, kraft dessen seine Herrschaft Siebenbürgen und einzelne Gebiete Ungarns nach seinem Tod an König Ferdinand übergehen sollten. Doch wurden nach Zapolyas Tode (1540) die Bedingungen nicht eingehalten. Sultan Soliman II. unternahm 1541 einen neuen Feldzug und besetzte Ofen, das von da an durch 145 Jahre unter türkischer Herrschaft verblieb. Die Heereszüge der deutschen Fürsten nach Ungarn 1541 und 1542 blieben erfolglos; 1547 mußte Ferdinand einen fünfjährigen Waffenstillstand gegen Tributleistung schließen und behauptete sich nur im Westen und Norden Ungarns und in Kroatien, der größte Teil Ungarns verblieb den Türken, in Siebenbürgen und dem östlichen Ungarn behauptete sich Zapolyas Sohn Johann Siegmund. In O. und in den böhmischen Ländern entwickelte Ferdinand, der 1531 auch zum römischen König gewählt worden war, eine rege organisatorische Tätigkeit, die auf Vermehrung der königlichen Macht und Zentralisierung der Verwaltung der einander bisher fremden Ländergruppen hinzielte. Schon vor und unter Ferdinand hatte auch in allen seinen Landen das Luthertum Eingang und festen Boden gefunden, so sehr er selbst dessen Ausbreitung zu wehren gesucht hatte. Nachdem er noch 1556 die Kaiserwürde erhalten hatte, teilte er kurz vor seinem Tode (25. Juli 1564) die Länder der österreichischen Linie des Hauses Habsburg unter seine Söhne so, daß Maximilian II. (s. d.; 1564–76) außer der Kaiserwürde Ö., Böhmen und Ungarn, Ferdinand Tirol, das schon 1595 an die Hauptlinie zurückfiel, und Karl Steiermark, Kärnten, Krain und Görz erhielt. Die Thronbesteigung des weichlichen Sultans Selim II. nach Solimans Tod (1566) verschaffte Ö. Ruhe vor den Türken und in einem neuen Frieden den Besitz eines Teiles von Ungarn. Der Reformation war Maximilian geneigt, er duldete die Ausbreitung des Protestantismus in O., doch Rücksichten auf die Traditionen seines Hauses und die Aussicht auf die Erwerbung der spanischen Krone für seine Nachkommen verursachten, daß er katholisch blieb und den protestantischen Edelleuten nur eine Religionsassekuration, nicht eine rechtlich anerkannte Kirchenverfassung gab, so daß in die religiösen Verhältnisse keine Ordnung kam. Unter seinem Sohn Rudolf II. (s. Rudolf 3; 1576–1612), dem Zögling der Jesuiten, begann die Reaktion gegen die neue Lehre Besonders eifrig in der Durchführung der Gegenreformation war Erzherzog Karl in Innerösterreich und dessen Sohn Ferdinand, der 1596 die Regierung daselbst übernahm. Aber auch Rudolfs Bril der Ernst, seit 1576 Mitregent in O., bemühte sich, unterstützt von dem Bischof von Wien, Khlesl (s. d.), den Protestantismus aus den landesfürstlichen Städten zu verdrängen. Auch in Böhmen, Mähren und Ungarn wurde die katholische Reaktion versucht. In Ungarn war die Fol ve davon, daß, als Stephan Bocskay als Vorkämpfer der religiösen und nationalen Freiheit auftrat, sich ihm in kurzem fast der gesamte Adel und die Städte anschlossen, und dieses Land sowie Siebenbürgen für das Haus Habsburg verloren schienen. Da Rudolfs II. katholische Politik auch im Deutschen Reiche die protestantischen Stände mißtrauisch machte, so nahmen, damit nicht Ungarn und die Kaiserkrone dauernd verloren gingen, die Brüder des Kaisers, Matthias und Maximilian, die Leitung der Dinge in die Hand. Mit den Türken wurde 1606 der Friede von Zsitva-Torok abgeschlossen, Stephan Bocskay und sein Nachfolger Siegmund Rákóczy im Besitz von Siebenbürgen und Oberungarn anerkannt und den Ungarn im habsburgischen Gebiet Religionsfreiheit gewährt. Im Preßburger Bündnis (1. Febr. 1608) vereinigten sich die ungarischen, österreichischen und mährischen Stände zur Aufrechterhaltung dieser Zugeständnisse auch gegen den Kaiser, der im Vertrag von Lieben (25. Juni 1608) Ungarn, Ö. und Mähren an Matthias abtreten mußte. Dieser versprach den mährischen und österreichischen Ständen, daß niemand der Religion wegen verfolgt werden solle, und Rudolf II. gab den Böhmen den Majestätsbrief (9. Juli 1609). Nachdem er infolge eines Versuchs, mit Gewalt die frühere Herrschaft wiederzugewinnen, 1611 auch zum Verzicht auf die böhmische Krone gezwungen worden war, starb Rudolf 20. Jan. 1612. Matthias (s. d. 1), der ihm folgte und 13. Juni 1612 auch zum deutschen Kaiser gewählt wurde, lenkte unter dem Einfluß des spanischen Hofes und des zu seinem Nachfolger bestimmten Erzherzogs Ferdinand von Steiermark mehr und mehr in eine kirchliche Restaurationspolitik ein. Aber in den vorangegangenen Streitigkeiten im Erzhause hatten die Stände ihre Macht und ihre Ansprüche gesteigert, und als Matthias den böhmischen Majestätsbrief nach katholischer Deutung handhabte, veranlaßte dies den Aufstand der Böhmen und den Prager Fenstersturz (23. Mai 1618) und damit den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Er starb, als die aufständischen Böhmen schon die österreichische Grenze überschritten hatten, 20. März 1619. Ihm folgte der von ihm als Nachfolger adoptierte Ferdinand aus der steirischen Linie als Kaiser Ferdinand II. (1619–1637), dessen Lage anfangs sehr gefährdet war; denn die österreichischen Stände erhoben gegen seine Thronfolge Einspruch, und die Böhmen erklärten ihn für abgesetzt und wählten an seine Stelle 26. Aug. 1619 den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz. Allein der Sieg am Weißen Berg, 8. Nov. 1620, rettete den Kaiser aus allen Bedrängnissen. Böhmen wurde völlig unterworfen, die österreichischen Stände zur Huldigung gezwungen und nach dem Muster der böhmischen Religionsmandate von 1623, 1624, 1626 und vom 31. Juli 1627, die alle Andersgläubigen aus dem Königreich verbannten, auch in den übrigen habsburgischen Ländern die neue Lehre ausgerottet Zwar verursachten die gewaltsamen Bekehrungsmaßregeln mehrere Aufstände, so in Oberösterreich, wo sich die Bauern im Mai 1626 unter Stephan Fadinger erhoben; indessen die Empörung wurde durch überlegene Truppenmassen blutig niedergeschlagen (vgl. Stieve, Der oberösterreichische Bauernaufstand des Jahres 1626, 2. Aufl., Linz 1904). In dem weitern wechselvollen Verlauf des Krieges wurden die habsburgischen Lande wiederholt Schauplatz der verheerenden Kämpfe, und 1645 drangen schwedische Truppen unter Torstensson bis unter die Mauern von Wien vor. Das Eingreifen Frankreichs in den deutschen Krieg wurde Ö. besonders nachteilig, da Ferdinand III. (s. Ferdinand 3, 1637–57) im Westfälischen Frieden 1648 die alten habsburgischen Besitzungen im Ober- und Unterelsaß nebst der Festung Breisach an Frankreich verlor. Der Zusammenhang Österreichs mit dem übrigen Deutschland wurde seither immer lockerer, da die Bestimmungen des Westfälischen Friedens über die kirchlichen Verhältnisse auf O. nicht ausgedehnt wurden, die Reformation hier unterdrückt blieb und die Reichsgesetze keine Anwendung fanden. Im Gegensatz zu der Schwächung, welche die kaiserliche Gewalt in Deutschland durch den Krieg erlitten, hatte die Macht des Herrschers in den Erblanden außerordentlich zugenommen. Doch waren die Völker und das Land materiell zu schwer heimgesucht worden, als daß alsbald ein allgemeiner Aufschwung hätte eintreten können. Auch war wie in religiöser, so auch in nationaler und politischer Hinsicht die Veränderung eine so tiefgreifende, daß jeder Zusammenhang mit der Zeit vor dem Krieg unterbrochen war, das ganze Kulturwerk auf neuer Grundlage ausgerichtet werden mußte. Dazu war unter Ferdinands III. Nachfolger, Leopold I. (1657–1705; sein älterer Bruder, Ferdinand IV., 1653 bei Lebzeiten des Vaters gewählt, war schon 1654 gestorben), der 1658 auch zum Kaiser gewählt wurde, keine Zeit und Gelegenheit. Obwohl er selber keineswegs kriegerische Neigungen besaß, ist seine Regierung mit einer Reihe von ruhmreichen Kriegen ausgefüllt. Nach zwei Seiten hatte Ö. unter Leopold I. zu kämpfen. Zunächst fielen die Türken von neuem in Ungarn ein, schlugen ein österreichisches Heer bei Gran (im August 1663) zurück und drangen bis Mähren vor. Erst der Sieg Montecuccolis bei St. Gotthard (1. Aug. 1664) verschaffte Ö. den Frieden von Vasvár, der die Möglichkeit gewährte, die Herrschaft in Ungarn zu befestigen und die ständischen Rechte und die Religionsfreiheit der Ungarn zu beschränken. Eine Verschwörung der Magnaten hingegen wurde unterdrückt und blutig bestraft (1665 bis 1671). Als dann Emmerich Tököly, das Haupt der Ungarn, die für ihre alte Verfassung und für den verfolgten Protestantismus kämpften, die Türken zu Hilfe rief, rückten diese 1683 unter dem Großwesir Kara Mustafa, 200,000 Mann stark, bis vor Wien, das zwei Monate lang durch die Besatzung und die Bürgerschaft tapfer verteidigt, endlich durch den Sieg vor Wien, den das von den Polen unter König Johann Sobieski unterstützte Reichsheer unter Karl von Lothringen 12. Sept. 1683 errang, entsetzt wurde. Das Heer der Verbündeten rückte nun in Ungarn ein, nahm 1686 Ofen und eroberte durch den Sieg bei Mohács (12. Aug. 1687) Kroatien und Slawonien. Die ungarischen Stände willigten 1687 in die Aufhebung des Wahlkönigtums und verwandelten das Land in ein Erbreich unter habsburgischer Herrschaft, mit dem am 9. Mai 1688 Siebenbürgen vereinigt wurde. Durch die Siege Ludwigs von Baden bei Szalankemen (19. Aug. 1691) und Eugens von Savoyen bei Zenta (11. Sept. 1697) wurde der Sultan zum Frieden von Karlowitz (26. Jan. 1699) gezwungen, in dem ganz Siebenbürgen und alles Land zwischen Donau und Theiß, mit Ausnahme des Banats von Temesvar, abgetreten wurde.
Dagegen war die Teilnahme des Kaisers an den Kriegen gegen Ludwig XIV. (1672–78 und 1688 bis 1697) nicht von Erfolg begleitet: im Frieden zu Nimwegen (1678) mußte er Freiburg abtreten, in dem von Ryswyk behauptete Frankreich die meisten seiner Eroberungen, namentlich der Reunionen. Ein neuer Krieg brach aus, als der letzte spanische Habsburger, Karl II., 1700 starb und Ludwig XIV. für seinen Enkel Philipp von Anjou, Leopold für seinen Sohn Karl das spanische Erbe beanspruchte. Im Bunde mit den meisten deutschen Fürsten und den Seemächten begann Leopold den Spanischen Erbfolgekrieg (s. d., 1701–14), in dem die Kaiserlichen, hauptsächlich durch das Feldherrngenie des Prinzen Eugen, nach anfänglichem Mißgeschick glänzende Erfolge errangen. Leopold I. starb während des Krieges. Sein älterer Sohn, Joseph I. (s. d.; 1705–11), bemächtigte sich Bayerns und setzte den Krieg mit Nachdruck und glänzenden Erfolgen fort, ohne ihn aber zu Ende zu führen. Ihm folgte sein einziger Bruder, Karl VI. (s. Karl 7; 1711–40), der somit die österreichische und spanische Monarchie in seiner Hand vereinigt hätte. Da dies das europäische Gleichgewicht gefährden mußte, so trennten sich die Seemächte von Ö. und schlossen mit Frankreich 1713 den Frieden von Utrecht, den der Kaiser nach erfolgloser Fortsetzung des Krieges 1714 im Friedensschluß von Rastatt anerkennen mußte.
O. erwarb aus der spanischen Erbschaft ansehnliche Gebietsteile, die spanischen Niederlande, Mailand, Mantua, Neapel und Sardinien, das 1720 gegen Sizilien ausgetauscht wurde. Eine weitere beträchtliche Gebietsvergrößerung erlangte es durch einen neuen Türkenkrieg (1716–18), in dem Prinz Eugen die weit stärkern Türkenheere bei Peterwardein (5. Aug. 1716) und bei Belgrad (16. Aug. 1717) völlig besiegte und die Pforte im Frieden von Poscharewatz (21. Juni 1718) zur Abtretung des Banats, der Kleinen Walachei und Serbiens zwischen der Morawa und Drina zwang. Damals hatte Ö. den größten Gebietsumfang erreicht, den es je besessen, doch büßte es bald einen Teil seiner Erwerbungen wieder ein. Im Frieden von Belgrad (18. Sept. 1739), der den seit 1736 währenden Türkenkrieg beendete, wurde die Kleine Walachei, Serbien mit Belgrad und das nördliche Bosnien an die Türkei abgetreten. Im Wiener Frieden von 1735, der dem Polnischen Thronfolgekrieg (1733–35) folgte, überließ O. Neapel und Sizilien als Sekundogenitur an die spanischen Bourbonen, wofür es Parma und Piacenza erhielt. Die wichtigste politische Tat Karls ist die Erlassung einer Erbfolgeordnung unter dem Titel Pragmatische Sanktion (s. d.), die auf Grundlage eines Erbvertrags von 1703 im J. 1713 erlassen wurde. Sie bestimmte, daß alle österreichischen Länder fortan stets »untrennbar und unauflöslich« sein und sämtlich nach seinem Tod in Ermangelung männlicher Nachkommen auf die Töchter Karls und nach dem Aussterben ihrer Nachkommen auf die Töchter Kaiser Josephs I. und deren männliche und weibliche Nachkommen fallen sollten. Nachdem er in den Jahren 1720–23 die Zustimmung der Stände der verschiedenen Erbländer, auch Ungarns, zu derselben erhalten hatte, suchte er die der europäischen Höfe zu erlangen und brachte hierfür große Opfer.
Die Zeiten staatlicher Reformen und die Epoche der Revolutionskriege.
Als mit Karls VI. Tod (20. Okt. 1740) der habsburgische Mannesstamm erlosch, begann mit Maria Theresia (1740–80), der ältesten Tochter desselben, die mit Franz von Lothringen, Großherzog von Toskana, vermählt war, die Herrschaft des Hauses Habsburg-Lothringen. Die junge Fürstin übernahm das Reich in einem kläglichen Zustand. Die Länder desselben bildeten eine lockere Föderation, die nur durch die Person des Herrschers zusammengehalten war. Jedes Land hatte seine eigne ständische Verfassung, die dem Adel und der Geistlichkeit bedeutende Vorrechte einräumte, und welche die habsburgischen Herrscher zwar nicht immer streng beobachteten, doch auch nicht aufhoben. Karls VI. Hoffnung, seiner Erbtochter einen ruhigen Regierungsantritt zu sichern, erwies sich als trügerisch. Zuerst erhob der Kurfürst Karl Albert von Bayern Ansprüche auf das habsburgische Erbe, und Friedrich II. von Preußen forderte Entschädigung für seine Rechte an Schlesien. Als seine Anträge schroff zurückgewiesen wurden, fiel er 16. Dez. 1740 in Schlesien ein (erster Schlesischer Krieg), eroberte in kurzer Zeit das Land und sicherte es sich durch den Sieg bei Moll witz (10. April 1741). Jetzt fochten auch Sachsen, Sardinien, Spanien und Frankreich die Pragmatische Sanktion an und vereinigten sich mit Bayern und Preußen. Der Österreichische Erbfolgekrieg (s. d.), den dieses Bündnis zur Folge hatte, endete 1748 mit dem Frieden von Aachen, in dem Maria Theresia einen Teil Mailands an Sardinien, Parma und Piacenza als Sekundogenitur an die sizilischen Bourbonen verlor. Dagegen wurde die Pragmatische Sanktion für O. gewährleistet und Maria Theresias Gemahl Franz Stephan von Lothringen als deutscher Kaiser (Franz I.) anerkannt.
Die erheblichen Gebrechen des österreichischen Staatswesens, die sich während dieser Kriege klar herausgestellt hatten, zu beseitigen, war nun Maria Theresias Streben. Sie hob das Feudalsystem nicht völlig auf, suchte es aber unschädlich zu machen. Als Zentralbehörde ward ein Staatsrat eingesetzt, die österreichische und die böhmische Hofkanzlei wurden vereinigt, die bisher ständischen Beamten in staatliche verwandelt. Die Justiz wurde wenigstens in den obern Instanzen verstaatlicht und ein neues Strafgesetz erlassen, das viele Härten milderte und die Tortur abschaffte (1776). Ein Kommerzienrat und eine Studienhofkommission wurden eingerichtet, die von der Hofkammer verwalteten Finanzen durch Vereinfachung der Gebarung gebessert, die Einnahmen durch neue Zölle, Steuern und Monopole vermehrt. Das Heerwesen, dessen oberste Leitung der Hofkriegsrat behielt, wurde nach preußischem Muster organisiert und der Friedensstand der Armee auf 108,000 Mann mit einem jährlichen Erfordernis von 14 Mill. festgesetzt, für welche die Länder auszukommen hatten. Durch Schulen wurde für die Heranziehung eines tüchtigen Offizierstandes gesorgt. Besondere Aufmerksamkeit wandte Maria Theresia dem Untertanenwesen zu. Die drückende Lage der bäuerlichen Bevölkerung wurde erleichtert, die Robotpflicht 1775 erheblich herabgesetzt, die Steuerfreiheit der Grundherren aufgehoben. In kirchlicher Beziehung wurde die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche als Staatsreligion aufrechterhalten und den Nichtkatholiken keine Duldung gewährt, der Kirche aber das placitum regium auferlegt. Den Jesuitenorden hob Maria Theresia 1773 auf, nachdem der Papst ihn aufgelöst hatte. Die Universitäten wurden in Staatsinstitute umgewandelt und reorganisiert, der Gymnasialunterricht reformiert, die Volksschule als wichtigste Erziehungs- und Bildungsanstalt geschaffen (1774), das ganze Unterrichtswesen als Staatssache (politicum) erklärt. Doch bezogen sich diese Reformen nur auf die österreichisch-böhmischen Lande; Ungarn, Belgien und die Lombardei nahmen in allen diesen Dingen eine Sonderstellung ein.
Diese Reformtätigkeit war durch den Siebenjährigen Krieg (s. d.; 1756–63) unterbrochen worden, in dem die Österreicher zwar, wie in der Schlacht bei Kol in (18. Juni 1757) und auch später, Siege errangen und ihre erhöhte Kriegstüchtigkeit bewiesen; gleichwohl war das Endergebnis für Maria Theresia nicht günstig, denn im Hubertusburger Frieden (15. Febr. 1763) mußte sie zugunsten Friedrichs II. auf Schlesien endgültig verzichten. Nach dem Tode des Kaisers Franz I., des Gemahls der Kaiserin, folgte als deutscher Kaiser ihr ältester Sohn, Joseph II. (1765–90), den sie 19. Sept. 1765 auch zum Mitregenten für O. ernannte; sie überließ ihm die Leitung der militärischen Angelegenheiten und räumte ihm auf die auswärtige Politik einen erheblichen Einfluß ein. Diesem war es zuzuschreiben, daß sich O. 1772 an der ersten Teilung Polens beteiligte und bei derselben Galizien und Lodomerien (100,000 qkm) erwarb, wozu 1775 noch die von der Türkei abgetretene Bukowina kam. Um Österreichs Macht in Deutschland zu verstärken, nahm Joseph II. auch den Plan der Erwerbung Bayerns wieder auf, verwickelte sich aber dadurch in einen neuen Krieg mit dem preußischen König (s. Bayrischer Erbfolgekrieg), der aber, bevor es noch zu einem bedeutendern Kampfe kam, durch den Frieden von Teschen (13. Mai 1779) beendet wurde, in dem O. das Innviertel erhielt. Ein Jahr darauf (29. Nov. 1780) starb Maria Theresia. Sie hinterließ den Staat in bedeutend besserm Zustand, als sie ihn 1740 übernommen hatte. Nicht bloß die Einheit und Kraft des Staatswesens waren gewachsen, auch in wirtschaftlicher Beziehung waren Fortschritte gemacht worden: Industrie und Handel nahmen bedeutenden Aufschwung. Die deutsche Aufklärung brach sich in O. Bahn und befreite es von dem geistigen Druck, der seit der Gegenreformation ertötend auf ihm gelastet hatte. In Wissenschaft, Literatur und Kunst gewann man wieder Fühlung mit Deutschland.
Als alleiniger Regent wollte Joseph II. (1780–90), voll Eifer für das Wohl des Staates, die Umgestaltung Österreichs nach seinen radikalen philosophischen Anschauungen möglichst rasch und möglichst gründlich durchführen. Von seinen Reformen auf allen Gebieten des Staats- und Kirchenwesens, des politischen und Gesellschaftslebens waren viele, wie die Klosteraufhebungen, die Gewährung des Toleranzpatentes, die Verbesserungen im Schulwesen, die Beseitigung der Leibeigenschaft, die Anbahnung der Rechtsgleichheit für alle Staatsuntertanen, die Maßregeln für Förderung der wirtschaftlichen, Handels- und Industrieverhältnisse, die Wohlfahrtseinrichtungen und andres mehr, von nachhaltigstem Einfluß auf die Entwickelung Österreichs, und bis jetzt wirken die Josephinischen Ideen nach. Aber der Übereifer, mit dem diese Reformtätigkeit überall einsetzte, wodurch naturgemäß zahlreiche Rechte und alteingebürgerte Anschauungen verletzt wurden, und der Umstand, daß alle Reformen ohne jede Mitwirkung der von ihnen betroffenen Körperschaften, des Adels, der Stände, des Klerus, geschweige denn des Volkes, entstanden, verursachten schon bei Lebzeiten des Kaisers tiefe Mißstimmungen. Insbesondere aber war es der zentralistische Gedanke in der Verwaltung der so verschiedenen Länder und der Versuch, die deutsche Sprache im ganzen Reich zur ausschließlichen Sprache der Gerichts- und Verwaltungsbehörden zu machen, der auf Widerstand stieß und die nationalen Feindseligkeiten gegen das deutsche Element hervorrief. Bürger- und Bauernstand in Deutsch-Österreich waren noch zu wenig entwickelt, als daß Josephs Reformpolitik bei ihm eine feste Stütze hätte gewinnen können gegenüber dem Haß der Geistlichkeit, des Adels und der nichtdeutschen Bevölkerung, namentlich Ungarns. In Belgien brach sogar, nachdem 1787 die Edikte erschienen waren, durch welche die Verfassung umgestaltet werden sollte, eine Revolution aus, so daß Ende 1789 die Verordnungen widerrufen werden mußten, und ebenso nahm Joseph, durch Unglück und Krankheit niedergedrückt, durch die Verkennung seiner wohlwollenden Absichten bitter gekränkt, mit der Resolution vom 28. Jan. 1790 die meisten seiner Neuerungen für Ungarn zurück.
Dieselbe Kühnheit der Entwürfe, aber auch die ruhelose Hast, die der Kaiser bei den innern Reformen an den Tag legte, bekundete er auch in seiner auswärtigen Politik. 1785 machte er einen zweiten, gleichfalls mißlungenen Versuch, Bayern gegen Belgien einzutauschen; Friedrich II. sah sich hierdurch veranlaßt, 23. Juli 1785 den Fürstenbund zu stiften, dessen Aufgabe es war, ähnlichen Plänen des Kaisers entgegenzutreten. Joseph wandte sich nun nach Osten. Nachdem er der russischen Zarin Katharina II. 1781 und 1787 Besuche abgestattet hatte, erklärte er 1787 im Bunde mit Rußland der Türkei den Krieg in der Hoffnung auf große Eroberungen. Die kriegerischen Erfolge waren zwar, besonders nach den Siegen bei Focşani (1. Aug. 1789), bei Martinesti (22. Sept.) und der Eroberung Belgrads durch Laudon (7. Okt.), bedeutend, doch trübte sich das Verhältnis Österreichs zu Preußen so sehr, daß hier ein neuer Krieg drohte. Mitten in diesen Schwierigkeiten starb Joseph II. 20. Febr. 1790.
Leopold II. (1790–92), Josephs jüngerm Bruder, bisher Großherzog von Toskana, gelang es bald, die Ruhe in O. wiederherzustellen. Er beseitigte das neue Steuersystem, gab der Kirche die Leitung ihrer innern Angelegenheiten zurück, versöhnte die Ungarn, indem er ihre Verfassung beschwor und sich krönen ließ, und berief die Landtage in den einzelnen Provinzen wieder ein. Trotzdem blieb von den Josephinischen Reformen so viel bestehen, daß die einheitliche Staatsgewalt gekräftigt wurde. Den Krieg gegen die Türkei beendigte Leopold durch den Frieden von Sistowa (4. Aug. 1791). In Belgien stellte er die alte Verfassung wieder her. Frankreich gegenüber beobachtete er eine abwartende Haltung, und als die Lage daselbst sich verschlimmerte, so daß auch König Friedrich Wilhelm II. an einen Feldzug gemeinsam mit O. dachte, starb der Kaiser 1. März 1792. Sein Sohn Franz II. (1792–1835) hatte kaum das Erbe angetreten, als ihn 20. April 1792 die französische Regierung zum Krieg herausforderte (vgl. Koalitionskrieg). Am 5. Juli erfolgte seine Wahl zum deutschen Kaiser und unmittelbar danach eine Zusammenkunft mit König Friedrich Wilhelm II. behufs gemeinsamen Vorgehens gegen Frankreich. O. stellte in Belgien und am Oberrhein Heere auf, die aber ebenso wie die preußische Armee an der Mosel unglücklich operierten; durch die Niederlage bei Jemappes (6. Nov. 1792) ging sogar Belgien verloren, das allerdings durch den Sieg des Prinzen von Koburg bei Neerwinden (18. März 1793) wieder zurückgewonnen wurde, um später nach den Niederlagen von Wattignies (15. und 16. Okt. 1793) und Fleurus (26. Juni 1794) von neuem in den Besitz der Franzosen zu kommen, die es nun dauernd behielten, wofür O. durch die Erwerbung Westgaliziens bei der dritten polnischen Teilung (1795) entschädigt wurde. Nach dem Rücktritt Preußens von der Koalition (1795) übernahm O. allein die Verteidigung der Rheingrenze. Hier mit Erfolg kämpfend, erlitt es dagegen in Oberitalien schwere Einbuße, und als Bonaparte im Frühjahr 1797 durch Friaul und Kärnten bis nach Steiermark vordrang, sah sich die Wiener Regierung im Frieden von Campo Formio (17. Okt. 1797) zur Abtretung der Lombardei und Belgiens an Frankreich gezwungen, wofür es Venedig, Istrien und Dalmatien erhielt. Auch willigte der Kaiser in die Überlassung des linken Rheinufers an Frankreich und des Breisgaus an Modena, wofür er Salzburg und einen Teil Bayerns erhalten sollte. Da sich aber O. in seinen Hoffnungen auf Salzburg und Bayern getäuscht sah, und die Franzosen allzu eigenmächtig in Deutschland schalteten, Zisalpinien und die Schweiz von sich abhängig, den Kirchenstaat zur Republik machten, schloß sich Franz II. der zweiten Koalition (1799–1801) an und errang anfangs bedeutende Erfolge. Erzherzog Karl besiegte 25. März Jourdan bei Stockach und drang in die Schweiz ein, wo er 4. Juni Masséna bei Zürich schlug. Aber nach dem Rücktritt Kaiser Pauls von Rußland von der Koalition stand O. seit 1800 allein den Franzosen gegenüber, erlitt 14. Juni 1800 bei Marengo eine Niederlage und mußte ganz Oberitalien bis zur Etsch räumen; als dann auch Erzherzog Johann 3. Dez. bei Hohenlinden geschlagen wurde, schloß der Kaiser 9. Febr. 1801 den Frieden von Lüneville, der den Vertrag von Campo Formio im wesentlichen erneute. Doch erwarb O. im Reichsdeputationshauptschluß (im März 1803) Trient und Brixen, Salzburg mit Teilen von Bayern fiel an den Großherzog von Toskana, der Breisgau an den Herzog von Modena. In Erwartung der bevorstehenden Auflösung des Deutschen Reiches, und nachdem Napoleon Bonaparte Frankreich zur Erbmonarchie erklärt hatte, nahm Franz II. 11. Aug. 1804 den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich an und nannte sich als solcher Franz I. (1801–35). Schwere Opfer kostete Ö. der Anschluß an die dritte Koalition gegen Frankreich 1805, denn nach der Kapitulation Macks bei Ulm (17. Okt.) und der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz (2. Dez.), in der die vereinigten Russen und Österreicher vollständig besiegt wurden, worauf die russische Armee eiligst nach Rußland zurückging, blieb O. nur die Unterwerfung unter den Willen des Siegers übrig. Im Frieden von Preßburg (26. Dez. 1805) mußte es Venetien an das neue Königreich Italien, Tirol und Vorarlberg an Bayern abtreten (60,000 qkm mit 3 Mill. Einw.) und erhielt nur Salzburg. Noch erheblicher war die Einbuße an politischer Macht, indem O. von Italien und Deutschland abgeschnitten wurde und diese Länder, die es als seinen Machtbereich anzusehen gewohnt gewesen, der Herrschaft Napoleons überlassen mußte. Daher blieb auch Franz I. nach der Stiftung des Rheinbundes nichts andres übrig, als auf den Titel eines römisch-deutschen Kaisers zu verzichten (6. Aug. 1806); vgl. Deutschland (Geschichte), S. 817.
Diese Ereignisse brachten auch im Innern Österreichs starke Umwälzungen mit sich. An die Stelle der bisher allmächtigen Minister Colloredo und Cobenzl traten der Staatsminister Graf Philipp Stadion (s. d.) und als Kriegsminister Erzherzog Karl (s. d. 42), der in der vorangegangenen Periode nicht zur vollen Geltung gelangt war. Durch die Neuorganisierung des Heerwesens, die Bildung der Landwehr wurde der Wiederaufnahme des Krieges vorgearbeitet; wie anderwärts regte sich im Frühjahr 1809 auch in O. die Begeisterung für die Abwälzung des Joches. Tirol erhob sich gegen die bayrisch-französische Herrschaft, aber Napoleon drängte den Erzherzog Karl aus Bayern über Böhmen nach O. zurück und besetzte am 13. Mai Wien. Unter furchtbaren Verlusten auf beiden Seiten siegten die Österreicher in der Schlacht bei Aspern (s. d.; 21. und 22. Mai). Aber der unglückliche Ausgang der Schlacht bei Wagram (5. und 6. Juli) entschied den Krieg. Im Schönbrunner oder Wiener Frieden (14. Okt.) verlor O. über 100,000 qkm mit mehr als 3 Mill. Einw.; es trat Salzburg, Krain, den Villacher Kreis, Görz, Triest, einen Teil von Kroatien und das ungarische Dalmatien, endlich Westgalizien und einen Teil von Ostgalizien ab und mußte außerdem eine Kriegskontribution von 85 Mill. Frank zahlen. Die Tiroler mußten trotz der feierlichsten Versprechungen, die man ihnen gemacht hatte, wieder der Fremdherrschaft preisgegeben werden.
Der Wiener Friede hatte einen völligen Umschwung in der österreichischen Politik zur Folge, der durch den Wechsel in der Staatskanzlei bezeichnet wurde: an Stadions Stelle trat 8. Okt. 1809 Metternich. Dieser gab zunächst jeden Gedanken an einen neuen Krieg auf und stellte ein möglichst freundschaftliches Verhältnis zu Frankreich her, indem er den Kaiser 1810 bewog, seine Tochter Marie Luise Napoleon zur Gemahlin zu geben. O. bedurfte auch dringend des Friedens, vor allem der zerrütteten Finanzen wegen. Seit 1782 war die österreichische Staatsschuld stetig im Steigen; 1791 betrug sie 399, 1802 bereits 680 Mill. Gulden, die ordentlichen Einnahmen dagegen nur 86 Mill. Gulden. In den folgenden Jahren suchte man durch das Verbot der Geldausfuhr (1802), durch Verschlechterung der Währung und durch Ausgabe von Bankozetteln (unverzinsliches Papiergeld seit 1770) der Geldnot abzuhelfen. Als auch diese Mittel nicht hinreichten, der Krieg von 1809 die Summe der Zettel auf 729 Mill. Gulden erhöhte, erließ der Finanzminister O'Donnell das Silberpatent vom 19. Dez. 1809, durch das alles für entbehrlich geltende Silber im Privatbesitz gegen Anteilscheine oder Bankozettel vom Staat eingezogen wurde. Schließlich trat aber durch das Patent vom 20. Febr. 1811, das am 15. März in allen Provinzen zu derselben Stunde bekannt gemacht und in Ungarn trotz des Widerspruchs des Reichstags 1. Sept. 1812 als Provisorium eingeführt wurde, der Staatsbankrott ein, indem verfügt wurde, daß die Zinsen der Staatsschuld auf die Hälfte reduziert und die 1060 Mill. umlaufender Bankozettel auf den fünften Teil des Nennwerts (212 Mill.) herabgesetzt seien, und daß, da es unmöglich sei, auch diese verminderte Summe in Metall auszuzahlen, sie gegen neue Einlösungsscheine (»Wiener Währung«) umgetauscht werden sollten, die fortan allein als Papiergeld zu gelten hätten. Trotz des Versprechens der Regierung, nicht mehr als 212 Mill. solcher Einlösungsscheine auszugeben, wurde das Papiergeld unter anderm Namen (Antizipationsscheine) in den folgenden Jahren wiederum heimlich immer wieder erhöht. Denn O. wurde wider Willen in neue Kriege verwickelt. 1812 mußte es mit einem Hilfskorps von 30,000 Mann unter Schwarzenberg an dem Kriege Frankreichs gegen Rußland teilnehmen. Die Katastrophe von 1812 gab ihm seine Unabhängigkeit zurück, ja der Ausbruch des Krieges in Deutschland (s. Deutscher Befreiungskrieg) 1813 und der für die Verbündeten, Rußland und Preußen, anfangs ungünstige Verlauf desselben verschafften dem Wiener Kabinett eine ausschlaggebende Stellung, die Metternich mit diplomatischer Meisterschaft zu verwerten wußte. Nachdem Napoleon Metternichs Friedensanträge abgelehnt, schloß sich Ö. den Verbündeten an und erklärte 11. Aug. 1813 an Frankreich den Krieg. Es spielte fortan sowohl bei der Führung des Krieges, dessen oberste Leitung dem Fürsten Schwarzenberg übertragen wurde, als bei den Unterhandlungen eine bedeutende Rolle, und Metternich verstand es, die Lage der Dinge zum Vorteil des Hauses Ö. vortrefflich auszunutzen. Durch den ersten Pariser Frieden (30. Mai 1814), durch einen geheimen Vertrag mit Bayern (3. Juni 1814) und durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses (s. d.; 1814–1815) wurde Ö. nicht nur in seinen alten Grenzen hergestellt, sondern erhielt noch einen Gebietszuwachs, so daß es 670,000 qkm zählte. Belgien und der Breisgau wurden abgetreten, dagegen in Italien das Lombardisch-Venezianische Königreich erworben, Galizien zum größern Teil wiedergewonnen.
Die europäische Machtstellung, die Ö. auf dem Wiener Kongreß erlangt hatte, nicht nur unvermindert zu behaupten, sondern noch zu erhöhen, war das Ziel der Politik Metternichs, der als Staatskanzler bis 1848 an der Spitze der österreichischen Regierung stand. Zu diesem Zwecke sollten die europäischen Verhältnisse, wie der Kongreß sie geschaffen, überall unverändert bleiben, durch Niederhaltung jeder Volksbewegung eine Wiederkehr der verderblichen Revolutionszeit verhindert und in der unumschränkten landesväterlichen Gewalt das Heil der Monarchie gesucht werden; Leute wie Gentz, A. Müller, Fr. Schlegel u.a. priesen diese engherzige und kurzsichtige Metternichsche Politik als ein hochpolitisches System. Jede freiere Bewegung in Ö. auch auf literarischem Gebiet wurde durch eine strenge, ja brutale Zensur unterdrückt. Überall, wo es galt, die Regierungsgewalt gegen Ansprüche der Völker in Schutz zu nehmen oder Regungen nach nationaler Freiheit zu unterdrücken, stand Ö. 1815–48 an der Spitze der Reaktion. Metternich war es, der die Berufung der drei Kongresse der Heiligen Allianz zu Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822), also alle drei auf österreichischem Boden, erwirkte, auf denen beschlossen wurde, die in Neapel, Piemont und Spanien eingeführten konstitutionellen Verfassungen durch bewaffnete Intervention, die Ö. 1821 für Neapel und Sardinien übernahm, umzustürzen und das absolute Königtum herzustellen. Auch der Aufstand der Griechen (1821) wurde als eine strafbare Auflehnung gegen die legitime Herrschaft der Türken angesehen, weil er die Ruhe auf der Balkanhalbinsel zu ungelegener Zeit störte, und demnach von Ö., wenn auch vergeblich, diplomatisch bekämpft. Als nach der französischen Julirevolution die Fürsten von Parma und Modena im Februar 1831 flüchten mußten und die päpstlichen Behörden aus der Romagna verjagt wurden, rückten österreichische Truppen in diese Länder ein und unterdrückten den Aufruhr. Auch für Deutschland wurden auf der Zusammenkunft der Kaiser von Ö. und Rußland und des Kronprinzen von Preußen zu Münchengrätz (im September 1833) energische Maßregeln zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung durch die Einsetzung einer Zentralkommission in Mainz, Knebelung der Presse, Überwachung der Universitäten u.a. getroffen. In der Schweiz unterstützte Ö. den Widerstand der alten katholischen Kantone gegen jede Reform der Bundesverfassung. Als der auf dem Wiener Kongreß 1815 geschaffene kleine Freistaat Krakau als Sitz der revolutionären Nationalregierung sich zum Herd neuer Umtriebe gegen die russische Herrschaft in Polen machte, wurde er gemäß einem Vertrage zwischen den Schutzmächten (6. Nov. 1846) Ö. einverleibt.
Nicht so ausschließlich beherrschte Metternich die innere Politik Österreichs. Diese stagnierte fast völlig. Zur Hebung der herabgekommenen Finanzen geschah nur wenig. Nachdem der allgemeine Friede eingetreten war, blieb Ö. nur noch ein zweiter Bankrott 1816 übrig. Der Kurs der sogen. Wiener Währung wurde auf 40 festgesetzt, und 250 Gulden dieser Währung sollten 100 Gulden Konventionsmünze wert sein. Eine Nationalbank, die der Hofkammerpräsident Graf Philipp Stadion (es war der ehemalige Minister des Äußern) 1816 ins Leben rief, erhielt das ausschließliche Recht der Notenemission und bis 1841 auch das Privilegium des Wechseleskomptes. Da man aber die Praxis der Anleihen unter dem Nachfolger Stadions, Grafen Klebelsberg, nicht verließ, kam es 1834 zu einer neuen Verlegenheit. Zwar an Anläufen zu wirtschaftlicher Erhebung fehlte es nicht. Es wurde die Dampfschiffahrt auf der Donau 1829 begründet, die Nordbahn, die das Zentrum des Reiches mit Mähren und Galizien verband, war eine der ersten auf dem Kontinent, die Dampfschiffahrtgesellschaft des Triester Lloyd sollte dem Seeverkehr dienen; aber daß man sich in den Zollordnungen von 1835 und 1838 nicht von dem bisherigen Prohibitivsystem zu trennen vermochte, daß man die Zwischenzollinie, welche die ungarischen Länder von den österreichisch-slawischen trennte, aufzuheben nicht wagte, daß man durch den geistigen Druck die Bevölkerung auch für das Verständnis ihres wirtschaftlichen Vorteils ungeeignet machte, ließ es zu einem echten Aufschwung trotz aller natürlichen Hilfsquellen, über die Ö. verfügt, in jener Zeit nicht kommen. Wenn auch Metternich zur Erkenntnis gekommen war, daß ein regelmäßiger Fortschritt der Erhaltung des Staates nicht schädlich, sondern förderlich sei, und daß eine Reform der Zoll- und Wirtschaftspolitik, wie Preußen sie vorgenommen und auf den Zollverein ausgedehnt hatte, Österreichs Machtmittel heben würde: Franz I. wollte hiervon nichts wissen, und als er 2. März 1835 starb, ermahnte er seinen Nachfolger: »Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes, regiere und verändere nicht!« Dieser, Ferdinand I. (1835–48), war zur persönlichen Betätigung an der Regierung ungeeignet. Um nun Metternich die ausschließliche Gewalt nicht zu überlassen, setzte die Partei der Erzherzoge im Dezember 1835 die Einsetzung der Staatskonferenz durch, in der Metternich sein Nebenbuhler, der böhmische Hofkanzler Kolowrat, und der allen Neuerungen durchaus abgeneigte Erzherzog Ludwig an die Seite gestellt wurden. Die Folge war, daß nun alle Reformvorschläge, die Begünstigung des Handels durch Handelsverträge u. dgl., die Berufung von Abgeordneten der Landtage zur Beseitigung der Finanznot u.a., an dem Widerstand des Erzherzogs scheiterten. Dennoch machte sich die lebhaftere politische Bewegung, die in Deutschland 1840 begann, auch in Ö. bemerkbar. Im niederösterreichischen Landtag erschreckte Graf Brenner die Regierung durch den Antrag auf Zuziehung bürgerlicher Vertreter, auf Ablösung der Feudallasten und Reform des Unterrichts; der böhmische Landtag petitionierte um mildere Handhabung der Zensur: aber dies waren vereinzelte Regungen ohne erhebliche Bedeutung. Wichtiger war, daß sich die Nationalitäten erhoben, daß in Ungarn (s. d.) die Magyaren unter Führung des Grafen Stephan Széchényi eine zugleich freisinnige und nationale Reform ihres Staatswesens begannen und auch dem Wiener Hofe gegenüber durchsetzten; daß die Kroaten, Serben und Slowenen zum Bewußtsein ihrer Stammesverwandtschaft erwachten und auch in Böhmen, angelehnt an das vom Grafen Sternberg gegründete Museum, eine nationaltschechische Partei entstand, die auf dem Landtag zwar auch liberale Zugeständnisse von der Regierung forderte, vornehmlich aber die Autonomie Böhmens unter österreichischer Oberhoheit erstrebte und tschechische Institute, Vereine und Zeitungen gründete. Diesen Autonomiegelüsten seiner Nationalitäten gegenüber hatte Ö. jede Stärkung der einigenden Elemente unterlassen.
Vom Ausbruch der Märzrevolution bis zum Ausscheiden Österreichs aus Deutschland 1848–1866.
Der Ausbruch der Februarrevolution des Jahres 1848 in Frankreich gab auch in O. das Zeichen zu revolutionären Bewegungen zum Zwecke der Erlangung politischer Freiheit. In Wien und in den Provinzen erhob sich in den Märztagen ein Adressensturm für Reformen, gegen den Zensur und Polizei ohnmächtig waren. Am bedeutendsten war die Adresse der Wiener Studentenschaft, die allgemeine Volksvertretung, Preß-, Rede-, Lehr-, Lern- und Glaubensfreiheit forderte und am Abend des 12. März dem Kaiser überreicht wurde. Die unbefriedigende Antwort, die darauf erfolgte, der Umstand, daß am folgenden Tage, 13. März, der niederösterreichische Landtag eröffnet wurde, boten den äußern Anlaß, daß die erregten Massen zu revoltieren begannen und vor allem Metternichs und des Polizeipräfekten Sedlnitzkys Entfernung verlangten. Die Staatskonferenz bewilligte nicht nur diese Forderungen, sondern gewährte sofort auch ein neues Preßgesetz. Bewaffnung der Studenten und Bildung einer Nationalgarde. Am 15. März verkündete ein kaiserliches Manifest die Einberufung einer Volksvertretung und Erlassung einer Verfassung, die das neuernannte Ministerium, dessen Seele Franz Freiherr von Pillersdorff wurde, zu verfassen hatte. Sie erschien 25. April (April- oder Pillersdorffsche Verfassung), befriedigte aber wenig, schon weil Ungarn und Lombardo-Venetien aus derselben ausgeschlossen waren. Die Unzufriedenheit wuchs, das politische Zentralkomitee, das aus Abgeordneten der Nationalgarde und der akademischen Legion bestand und sich an die Spitze der Bewegung stellte, veranstaltete 15. Mai eine Sturmpetition, die unter anderm Suspension der Verfassung und die Einberufung einer konstituierenden Reichsversammlung forderte, und setzte ihre Forderung auch durch, als die akademische Legion und die Arbeiter bewaffnet anrückten. Am 17. Mai reiste zufolge dieser Zustände der Kaiser plötzlich nach Innsbruck ab. Der Zusammenbruch der Regierungsautorität entfesselte alle zentrifugalen Kräfte in der Monarchie. In Ungarn, wo Ferdinand persönlich 11. April in Preßburg die von Kossuth in einer Adresse an den König vom 3. März verlangte Verfassung (»1848er Gesetze«) sanktioniert hatte, verschwanden die österreichischen Farben und der kaiserliche Adler. Diese Erfolge der Ungarn veranlaßten die Kroaten und Serben, ihrerseits die Lostrennung von Ungarn zu verlangen. In Prag bildete sich ein Nationalausschuß, der vom Kaiser die Vereinigung sämtlicher Länder der Wenzelskrone zu Einem Staat und eine neue böhmische Verfassung forderte. In Krakau kam es zu einem Aufstand, der aber vom Gouverneur Grafen Stadion 26. April unterdrückt wurde Dagegen mußten die Österreicher vor der Erhebung der Italiener Mailand und Venedig räumen und Radetzky mit den Truppen sich in das Festungsviereck zurückziehen. Die Deutschösterreicher sahen aber in dieser Auflösung des alten Ö. keine Gefährdung ihrer eignen politischen Stellung, sondern nur die Niederlage der verhaßten Regierung. In Wien versuchte Pillersdorff die akademische Legion mit Gewalt aufzulösen, allein er erzielte nur, daß sich aus Bürgern, der Nationalgarde und der akademischen Legion ein sogen. Sicherheitsausschuß bildete, der sich von jeder andern Behörde unabhängig erklärte, alles Hof- und Staatseigentum unter seinen Schutz nahm und mit diktatorischer Unabhängigkeit schaltete. Als Erzherzog Johann auf Grund einer kaiserlichen Vollmacht 26. Juni in Wien die Regierung übernahm, entließ er auf Verlangen des Sicherheitsausschusses das Ministerium Pillersdorff und berief Doblhoff zur Bildung eines neuen, in das die Demokraten Hornbostl, Latour, Kraus, Wessenberg, Schwarzer und A. Bach aufgenommen wurden, »um eine volkstümliche Monarchie auf Grundlage des gesetzlich ausgesprochenen Volkswillens zu begründen«. Der erste konstituierende österreichische Reichstag wurde 22. Juli vom Erzherzog eröffnet. Die in ihm vereinigten 383 Deputierten der deutschslawischen Kronländer bildeten zumeist nur nationale Gruppen. Ein Konstitutionsausschuß wurde zwar 1. Aug. gewählt, er arbeitete auch einen Verfassungsentwurf aus, doch kam es nie zu einer Beratung desselben; die einzige Tat dieser Versammlung war die am 7. Sept. erfolgte Annahme des Kudlichschen Antrags vom 26. Juli, wonach das Untertänigkeitsverhältnis der Bauern und die Feudallasten (Robot) endgültig abgeschafft und der Grund und Boden für frei erklärt wurde.
Inzwischen hatte die Regierung in den Provinzen an Ansehen und Kraft gewonnen. Ein Aufstand, der im Anschluß an den Slawenkongreß 12. Juni in Prag ausbrach, wurde von Windisch-Grätz niedergeschlagen und damit den tschechischen Bestrebungen nach Selbständigkeit Böhmens ein Ende gemacht. Radetzky brach im Juli 1848 aus dem Festungsviereck hervor, besiegte 23. Juli bei Sommacampagna und 25. Juli bei Custoza die sardinische Armee, rückte in Mailand ein, worauf die Sardinier das lombardisch venezianische Königreich räumten; Venedig allein blieb unbezwungen. Im September begann der Banus von Kroatien, Jellachich, den Krieg gegen die Magyaren. Der ungarische Reichstag schickte, um hierüber Beschwerde zu führen, eine Deputation an den Reichstag und an das Volk von Wien, die von dem Reichstag nicht vorgelassen, von der Wiener Demokratie aber mit offenen Armen aufgenommen wurde. Als dann der von der Wiener Regierung ernannte Kommandierende für Ungarn, Graf Lamberg, in Pest 27. Sept. ermordet wurde, löste die Regierung den ungarischen Reichstag auf, übertrug Jellachich den Oberbefehl über alle Landestruppen, und Kriegsminister Latour wollte Truppen zu dessen Unterstützung nach Ungarn senden. Dem widersetzte sich aber die radikale Partei in Wien, die in der Unterwerfung der Ungarn eine Gefahr für die Errungenschaften in O. sah, es kam 6. Okt. zu einem Kampf zwischen den Truppen, der Nationalgarde und den Volksmassen, in dem letztere den Sieg behaupteten; der Aufruhr verbreitete sich in das Innere der Stadt, wobei Latour grausam ermordet wurde. Nun schritt die Hofpartei, nachdem der Kaiser, der im August zurückgekehrt war, 7. Okt. Wien verlassen und sich nach Olmütz begeben hatte, mit Gewalt gegen Wien ein. Graf Karl Auersperg hielt die Wiener Besatzung bei Schönbrunn versammelt, Jellachich kam von Ungarn, Fürst Alfred Windisch-Grätz, der Befehlshaber aller österreichischen Truppen, traf am 20. von Prag aus mit seinen Streitkräften vor Wien ein und verhängte allsogleich Belagerungszustand und Standrecht über die Stadt. In Wien war die Bevölkerung, von der 100,000 Einw. geflohen waren, zu einer entschlossenen Gegenwehr wenig geneigt. Der Zentralausschuß der demokratischen Vereine übertrug dem ehemaligen Leutnant Messenhauser das Oberkommando der Stadt, dem sich internationale Revolutionäre anschlossen, von denen der Pole Bem den Oberbefehl über die mobilen Truppen übernahm. Auch rechnete man auf den Beistand der Ungarn, die schon die Leitha überschritten hatten. Die Frankfurter Parlamentsmitglieder Robert Blum und Fröbel überbrachten eine Adresse der Frankfurter Linken, in der den Wienern Anerkennung ausgesprochen wurde; andre Abgeordnete gingen nach Olmütz, um mit dem Hof zu unterhandeln. Als aber Windisch-Grätz' Forderungen, Entwaffnung und Auslieferung Bems, Pulszkys, der Mörder Latours u.a., nicht erfüllt wurden, schritt derselbe 26. Okt. zum Angriff auf Wien, das sich 30. Okt. auf Gnade und Ungnade ergeben mußte. Schon war man mit der Ausführung der Kapitulation beschäftigt, als der Kanonendonner die Ankunft der so lange vergeblich erwarteten Ungarn verkündete und der Kampf von Messenhausers Adjutanten, Fenner von Fenneberg, erneuert wurde. Doch die Ungarn wurden bei Schwechat von Jellachich geschlagen und das planlos verteidigte Wien 31. Okt. abends von Windisch-Grätz erobert. Messenhauser, die Literaten Becher und Jellinek sowie Blum wurden erschossen, viele andre von den Kriegsgerichten zu Kerkerstrafen verurteilt.
Nach der Niederwerfung des Aufstandes in der westlichen Reichshälfte wurde Fürst Felix Schwarzenberg (s. d.) 22. Nov. 1848 an die Spitze eines neuen Ministeriums, dem Stadion, Bach, Krauß, Bruck und später Schmerling angehörten, gestellt, das die Monarchie wieder ausrichten sollte, während der Reichstag seit 22. Okt. in Kremsier tagte. Kaiser Ferdinand legte 2. Dez. 1848 die Krone nieder, und sein Neffe Franz Joseph I. übernahm im Alter von 18 Jahren die Herrschaft, in der Hoffnung, wie seine Proklamation sagte, »daß es ihm gelingen werde, alle Länder und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen«. Am 4. März 1849 erließ der Kaiser ohne Rücksicht auf die Tätigkeit des Kremsierer Reichstags, der denn auch 7. März für aufgelöst erklärt wurde, eine Reichsverfassung für Gesamtösterreich, deren Verfasser der fortschrittlich gesinnte Graf Franz Stadion (s. d.) war. Manche Volksvertreter, wie Hans Kudlich, Füster, Goldmark, flohen, Fischhof wurde verhaftet. Da die neue Verfassung mit ihrem zentralistischen Grundgedanken auch Ungarn umfassen sollte, der ungarische Reichstag aber 14. April den Beschluß faßte, Ungarn mit allen Nebenländern für einen selbständigen Staat, die habsburg-lothringische Dynastie für abgesetzt zu erklären und Kossuth zum Gouverneur von Ungarn ernannte, wurde die militärische Unterwerfung Ungarns zur Notwendigkeit. Während die Ungarn Ofen belagerten und 21. Mai erstürmt en, rief der Kaiser, gestützt auf ein früher gegebenes Versprechen, die russische Hilfe gegen die Revolution an, die der Zar Nikolaus sofort zusagte. Ein russisches Korps von 90,000 Mann, unter Paskewitsch, rückte über die Karpathen in Ungarn ein, und gleichzeitig drangen die Österreicher unter Haynau die Donau abwärts vor. Die Ungarn erlagen der Übermacht, und 13. Aug. streckte Görgei mit der Hauptarmee (23,000 Mann) bei Világos vor dem russischen General Rüdiger bedingungslos die Waffen. Über die Häupter des Aufstandes erging ein grausames Strafgericht; viele wurden hingerichtet, die Flüchtigen, darunter Kossuth und der nachmalige Minister Graf Julius Andrássy (s. d. 3), im Bilde gehenkt. Die ungarische Verfassung wurde für gänzlich verwirkt erklärt und Ungarn zu einem bloßen Kronland des Gesamtstaates umgewandelt, die Nebenländer zu selbständigen Kronländern erhoben. Zur selben Zeit ward der im März 1849 von Sardinien aufs neue erklärte Krieg in Italien, nachdem 23. März Radetzky bei Novara glänzend gesiegt hatte, im August durch die Unterwerfung Venedigs siegreich beendet und die Verhältnisse auf der Apenninenhalbinsel ganz so wiederhergestellt, wie sie vor 1848 gewesen waren. Und dieselbe Wiedergewinnung seiner Machtstellung glückte O. auch in Deutschland. Als König Friedrich Wilhelm IV. zum »Kaiser der Deutschen« gewählt wurde, berief O. 5. April 1849 seine Abgeordneten aus dem Frankfurter Parlament zurück. Diese Stellungnahme Österreichs gegen die Beschlüsse des Parlaments war für den König ein Grund mehr, die ihm angetragene Krone abzulehnen, und von da an verlor das Parlament seine Bedeutung (s. Deutschland, Geschichte, S. 823). O. erlangte von Preußen im Olmützer Vertrag (im November 1850) das Aufgeben seiner Unionspolitik, und nach den Dresdener Konferenzen (23. Dez. 1850 bis 15. Mai 1851) erschien der Bundestag als Vertreter des deutschen Fürstenbundes ganz in der frühern Weise wiederhergestellt.
Diese Erfolge der Schwarzenbergischen Politik gaben der von ihm geleiteten Hof- und Militärpartei die Macht in die Hände. Nach Graf Stadions Rücktritt (17. Mai 1849), der wenigstens ein vernünftiges Verwaltungssystem durchführen wollte, herrschte die Reaktion unumschränkt. Sein Nachfolger als Minister des Innern, Alexander Bach, verfolgte das Ziel, O. zu einem einheitlichen, aber absolut monarchischen Staat zu machen, worauf im Januar 1851 Schmerling und Bruck aus dem Ministerium traten. Nachdem 14. April 1851 als Ersatz für die Volksvertretung ein aus kaiserlicher Ernennung hervorgegangener Reichsrat mit lediglich beratender Stimme errichtet worden war, wurden 20. Aug. die Ministerverantwortlichkeit, das Stadionsche Gemeindegesetz und Schmerlings Justizreform mit dem Institut der Schwurgerichte und endlich 31. Dez. die Verfassung vom 4. März 1849 aufgehoben. Nach dem Tode Schwarzenbergs (5. April 1852) arbeiteten Bach und der Kultusminister Graf Leo Thun im Sinne des Zentralismus und Absolutismus scheinbar erfolgreich mit Hilfe des Militärs, der Bureaukratie und der katholischen Geistlichkeit, deren übermäßiger Einfluß sich in dem am 18. Aug. 1855 mit dem päpstlichen Stuhl geschlossenen Konkordat kundtat, das die Souveränität des Staates mehr einschränkte als irgend eine Verfassung und den Volksschulunterricht dem Klerus überlieferte. Dagegen erwarb sich das Ministerium Verdienste um die Reform des Hoch- und Mittelschulwesens im Anschluß an deutsche Muster, um die Hebung der materiellen Kultur, die sich der 1855 wiederernannte Finanzminister Bruck angelegen sein ließ. In dieser Zeit, da der Absolutismus, was er an politischer und geistiger Freiheit nahm, durch erhöhte Genußfähigkeit des Volkes ersetzen wollte, wurde fremdes Kapital nach Ö. gezogen, entstanden neue Eisenbahnen (die über den Semmering 1854), wurde nach modernem Muster das Kreditwesen durch die Gründung der Eskomptebank und der Kreditanstalt befördert, entstanden Anstalten für höhere kommerzielle Bildung in den Handelsakademien von Wien, Prag und Graz. Aber die Früchte dieser Anstrengungen gingen sogleich durch eine fehlerhafte auswärtige Politik verloren. Als 1853 der russisch-türkische Krieg (Krimkrieg) ausbrach, zwang Ö. Rußland, die Donaufürstentümer zu räumen, in die es selbst einrückte. Gegen die Erwartung der Westmächte England und Frankreich, die 1854 in den Krieg gegen Rußland eingetreten waren, und trotz des mit diesen abgeschlossenen Allianzvertrages vom 2. Dez. 1854 entschloß sich O. aber nicht zur Offensive. Diese Politik der Halbheit hatte aber zur Folge, daß O. Rußland schwer verletzte und sich seinen Haß zuzog, das Vertrauen der Westmächte dagegen nicht gewann und auch keinen materiellen Vorteil aus dem Kriege zog; vielmehr verschlang die Besetzung der Donaufürstentümer eine Anleihe von mehr als 600 Mill. Gulden. Die allgemeine Mißstimmung gegen O. benutzte Cavour, der Vertreter Sardiniens, das den Westmächten 15,000 Mann Hilfstruppen gegen Rußland zugeschickt hatte, auf dem Pariser Kongreß 1856, um Napoleon III. für den Plan zu gewinnen, die österreichische Herrschaft in Italien zu stürzen. Die Ansprache Napoleons an den österreichischen Gesandten Baron Hübner 1. Jan. 1859 deutete auf Krieg, und als Sardinien auf das österreichische Ultimatum vom 23. April nicht abrüstete, rückte Feldzeugmeister Gyulai (s. d.) in Piemont ein, ließ aber Wochen nutzlos verstreichen, bis die Franzosen die Alpen überschritten und sich mit den Sardiniern vereinigt hatten. Nach den für die Österreicher ungünstig entschiedenen Schlachten bei Magenta (4. Juni) und Solferino (24. Juni) kamen Napoleon und Kaiser Franz Joseph 8. Juli in Villafranca zusammen, und 11. Juli wurden daselbst die Friedenspräliminarien geschlossen, denen 10. Nov. der Friede zu Zürich folgte. Ö. trat die Lombardei ohne Mantua und Peschiera an Napoleon ab, der es an Sardinien überließ, behielt aber Venetien.
Der unglückliche Ausgang des Krieges von 1859 hatte die Erfolglosigkeit des absolutistischen Systems erwiesen. Ö. stand isoliert da, der Staatskredit war aufs äußerste erschüttert, die Schuldenlast groß, die Nationalbank mußte ihre Barzahlungen einstellen, die dem Staate gehörige Südbahn mußte an eine französische Gesellschaft verkauft werden. Es zeigte sich, daß in der Verwaltung Unordnung herrschte und bei der Verpflegung des Heeres große Unterschleife vorgekommen waren; Finanzminister Bruck, in den Unterschleifsprozeß gegen den Feldmarschalleutnant v. Eynatten (s. d.) verwickelt, endete durch Selbstmord (22. April 1860), obwohl der Verdacht gegen ihn sich später als unbegründet erwies. Diese Verhältnisse veranlaßten den Kaiser, zur konstitutionellen Staatsform zurückzukehren. Das Ministerium Bach wurde entlassen und der bisherige Statthalter von Galizien, Graf Agenor Goluchowski (s. d. 1), übernahm als Staatsminister die innere Verwaltung. Am 20. Okt. 1860 erschien ein kaiserliches Manifest (Oktoberdiplom), das die Grundzüge einer neuen Konstitution verkündete, in der sowohl für die Autonomie der Kronländer als für die Einheit des Reiches gesorgt sein sollte. Den Ungarn wurde ihre Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden, zurückgegeben, in allen übrigen Kronländern sollten Landtage für ihre besondern Interessen sorgen, die gemeinsamen Angelegenheiten aber, sowohl der ungarischen als der übrigen Länder, sollten von einem Reichsrat beraten werden, dessen Mitglieder teils vom Kaiser ernannt, teils von den Landtagen gewählt werden sollten. Doch trat die Oktoberverfassung nie in Wirksamkeit, da sie sowohl in Ungarn als in den deutschen Provinzen wegen der durch sie geplanten föderalistischen Staatsgestaltung Österreichs Unzufriedenheit erregte. Die allgemeine Befürchtung, daß O. nach dem Verluste seiner Machtstellung in Italien nun auch die Vorherrschaft in Deutschland einbüßen werde, bewog endlich den Kaiser, 13. Dez. 1860 Goluchowski zu entlassen und den als liberal und deutschgesinnt bekannten Schmerling (s. d.) an die Spitze eines neuen Ministeriums zu berufen. Das Programm desselben verkündete 23. Dez., daß die Landtage eine Vertretung der verschiedenen Interessengruppen, nicht der Stände, wie ehedem, bilden und die Mitglieder des Reichsrats wählen sollten; beiden sollten Initiative und Öffentlichkeit zugestanden sein. Das Programm erhielt 26. Febr. 1861 seine Ausführung durch Verkündigung einer Verfassung (Februarverfassung) für den Gesamtstaat und von Landesordnungen für die Kronländer mit Ausnahme der Länder der ungarischen Krone und Venetiens. Die Vertretung des Gesamtstaates sollte der aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehende, jährlich zu berufende Reichsrat bilden, das Herrenhaus aus erblichen und aus lebenslänglichen, vom Kaiser ernannten Mitgliedern, das Abgeordnetenhaus aus 343 aus direkten Wahlen durch die Landtage hervorgehenden Deputierten bestehen, von denen 203 auf die 17 zisleithanischen Landtage, 120 auf die von Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen, 20 auf Venetien entfallen sollten. Die Wahlordnungen sicherten der fortschrittlich gesinnten deutschen Bürgerpartei im Verein mit dem Großgrundbesitz die Mehrheit. An demselben 26. Febr. erfolgte die Auflösung des verstärkten Reichsrats und die Einsetzung eines Staatsrats. O. trat hiermit in die Reihe der konstitutionellen Staaten ein.
Die Durchführung der neuen Verfassung stieß jedoch auf vielseitigen Widerstand. Abgesehen von den Anhängern des Absolutismus im Heer und in der Bureaukratie sowie den Verfechtern der feudalen und klerikalen Anschauungen, erhoben sich in Böhmen, Galizien und andern Ländern die slawischen Elemente und bewirkten, daß die Wahlen zum Reichsrat nur unvollständig und unter Verwahrungen vorgenommen wurden. In Ungarn äußerte sich die Abneigung gegen jede Gesamtstaatsverfassung in so heftiger Weise, daß man der Regierung auch die Steuern und die Aushebung zum Militär verweigerte und der Landtag keine Wahlen zum Reichsrat vornahm. Als dieser 1. Mai 1861 eröffnet wurde, waren Ungarn, Kroatien, Istrien und Venetien nicht vertreten; Siebenbürgen nahm erst 1863 die Februarverfassung an. Diesen tatsächlichen Verhältnissen wurde insofern Rechnung getragen, als man den versammelten Reichsrat als bloße Vertretung der deutsch-slawischen Länder den »engern« nannte, während der »weitere« das durch den Beitritt der ungarischen Vertreter vervollständigte Reichsparlament sein sollte. Aber auch im engern Reichsrat war die Stimmung der Slawen oppositionell, so daß das ganze Verfassungswerk nur auf den 130 Stimmen der deutschen Abgeordneten, der sogen. Linken, beruhte. Zu den Schwierigkeiten im Innern gesellte sich die wichtige Frage nach dem Verhältnis Österreichs zu Deutschland. Schmerling strebte eine Bundesreform an, welche Ö. die Hegemonie in Deutschland, Deutsch-Österreich aber die Herrschaft im Gesamtstaat sichern sollte. Zu diesem Zwecke wurde von Kaiser Franz Joseph im August 1863 der Fürstentag nach Frankfurt berufen. Der hier erörterte Bundesreformplan scheiterte jedoch am Widerspruche Preußens, das jede Beteiligung abgelehnt hatte. In rascher Wendung schloß nun der Minister des Auswärtigen, Rechberg, als im November 1863 mit dem Tode des dänischen Königs Friedrich VII. die schleswig-holsteinische Frage wieder ausbrach, ein Bündnis mit Preußen zum Kriege gegen Dänemark. Der deutsch-dänische Krieg, in dem sich die österreichischen Truppen unter Gablenz durch ihre stürmische Tapferkeit auszeichneten, hatte die Abtretung Schleswig-Holsteins und Lauenburgs an Ö. und Preußen im Wiener Frieden (30. Okt. 1864) zur Folge. Dieser gemeinsame Besitz wurde aber bald die Quelle ernster Mißverständnisse zwischen den beiden Eroberern.
Das Scheitern der deutschen Bundesreform zusammen mit dem Fernbleiben der Ungarn untergrub Schmerlings Ansehen bei Hofe; dazu kam das Zerwürfnis mit dem Reichsrat wegen der Finanzlage. Das Abgeordnetenhaus bewilligte die Steuererhöhungen für 1865 nur auf drei Monate und minderte durch Abstriche das Defizit im Budget auf 7 Mill. herab. Die Regierung ließ sich dagegen vom Herrenhaus 6 Mill. für Heer und Marine mehr bewilligen und verlangte zur Deckung weiterer Defizits und Steuerausfälle eine Anleihe von 117 Mill., was im Abgeordnetenhaus die schärfste Kritik hervorrief. Diese Schwierigkeiten des Ministeriums Schmerling benutzte die Hofpartei, zu der namentlich Graf Moritz Esterházy (s. d. 4) gehörte, vor allem zu einer Versöhnung des Hofes mit Ungarn. Diese wurde auf einer Reise des Kaisers nach Pest im Juni 1865 erreicht; an Stelle der bisherigen Hofkanzler von Ungarn und Siebenbürgen, der Grafen Franz Zichy und Nádasdy, Anhänger der Februarverfassung, wurde Graf Mailáth, einer der Führer der altkonservativen Magnaten, ernannt, was zur unmittelbaren Folge hatte, daß Schmerling seine Entlassung einreichte und Graf Belcredi an seine Stelle trat; Graf Larisch übernahm statt Pleners die Finanzen, Graf Mensdorff-Pouilly das Auswärtige (Drei-Grafenministerium). Durch ein kaiserliches Manifest vom 20. Sept. 1865 wurde der Reichsrat vertagt und damit die Sistierung der Februarverfassung ausgesprochen. Dagegen ward im Dezember der ungarische Landtag vom Kaiser persönlich eröffnet. Die Thronrede erkannte die Rechtskontinuität und die formelle Gültigkeit der Gesetze von 1848 an, verlangte aber deren vorherige Revision, während die Ungarn erst ihre Einführung forderten. Noch war man hierüber zu keiner Einigung gelangt, als der Krieg mit Preußen ausbrach und der ungarische Landtag 26. Juni 1866 geschlossen wurde. In der schleswig-holsteinischen Frage hatten sich Preußen und O. in der Gasteiner Konvention vom 14. Aug. 1865 (s. Gastein) zwar verständigt, doch bedeutete der Vertrag bloß einen Aufschub der offenen Feindseligkeiten, die ausbrachen, als der Wien er Hof die endgültige Entscheidung der Frage dem Bund übertrug, was Preußen für einen Bruch der Verträge erklärte. Nach heftigen Streitigkeiten führte Kaiser Franz Joseph, gegen den abmahnenden Rat des Ministers Graf Mensdorff, im Vertrauen auf seine kriegerische Überlegenheit und die Hilfe der meisten deutschen Staaten den Ausbruch des Krieges (s. Preußisch-deutscher Krieg) durch seinen Antrag auf Mobilmachung der nichtpreußischen Bundeskorps herbei, der am 14. Juni 1866 vom Bundestag angenommen wurde. Die österreichische Streitmacht siegte zwar über das mit Preußen verbündete Italien zu Lande 24. Juni bei Custoza und zur See 20. Juli bei Lissa, unterlag aber den Preußen völlig in Böhmen, zuletzt 3. Juli bei Königgrätz. Ö. wurde gezwungen, unter Preisgebung seiner deutschen Verbündeten den Frieden von Prag (23. Aug.) zu schließen. Derselbe legte zwar Ö., abgesehen von der Abtretung Venetiens, keine Verluste an Ländergebiet auf, allein es schied aus Deutschland aus, so daß es die 1815 errungene und 1849 wiedereroberte vorherrschende Stellung in Italien und Deutschland gleichzeitig und für immer verlor und einer Neugestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des Kaiserstaates zustimmen mußte.
Naturgemäß übte der unglückliche Ausgang des Krieges auch auf die innern Verhältnisse Österreichs eine bedeutende Wirkung aus. Zwar blieb Belcredi im Amt, allein der am 30. Okt. 1866 ernannte Leiter der auswärtigen Angelegenheiten, der bisherige sächsische Minister Baron Ferdinand Beust (s. d. 4), der bald auch Minister des kaiserlichen Hauses wurde, erlangte auch Einfluß auf die innere Politik. Belcredi plante zunächst eine staatsrechtliche Umwandlung Österreichs durch Zerteilung desselben in fünf Königreiche: Tschechien, Polen, Südslawien, Ungarn mit Siebenbürgen und die übrigen Länder. Zu diesem Behufe wurde mit Patent vom 2. Jan. 1867 ein außerordentlicher Reichsrat für 25. Febr. einberufen. Gegen dieses feudal-föderalistische Verfassungsprojekt, das den Slawen das Übergewicht im Reiche verschafft hätte, sprachen sich aber die Ungarn, wo die altkonservative Adelspartei gegen die fortschrittliche Deáks nicht aufkam, und die deutschen Landtage auf das entschiedenste aus; diese drohten, die Wahlen zu verweigern, jene, die reine Personalunion zu fordern. Unter diesen Umständen bewog Beust den Kaiser, die Wünsche der Deutschen und Ungarn zu erfüllen und in Ungarn sofort ein Ministerium zu ernennen, mit dem der Ausgleich abgeschlossen werden könne. Belcredi erhielt seine Entlassung, und Beust wurde 7. Febr. 1867 Ministerpräsident. In Ungarn ward Graf Andrássy 17. Febr. zum Präsidenten eines verantwortlichen Ministeriums ernannt. Mit diesem und Deák wurden nun die Bedingungen des Ausgleichs zwischen Ö. und Ungarn vereinbart und nach der Sanktion durch den Kaiser in einer Reihe von Reskripten im Februar 1867 verkündigt. Der Ausgleich teilte das Reich in eine österreichische (Zisleithanien) und eine ungarische Hälfte (Transleithanien), die außer durch die Person des Herrschers auch durch gemeinsame Institutionen verbunden waren. Als gemeinsame Reichsangelegenheiten wurden erklärt: 1) das Auswärtige, wobei aber die Genehmigung der internationalen Verträge den beiderseitigen Vertretungskörpern vorbehalten blieb; 2) das Kriegswesen, mit Ausschluß der Gesetzgebung über die Art der Erfüllung der Wehrpflicht, die Rekrutenbewilligung und die Dislokation und Verpflegung des Heeres; 3) das Finanzwesen, soweit es die gemeinsam zu bestreitenden Auslagen, das gemeinsame Budget und die Kontrolle der bezüglichen Rechnungslegung betraf. Über die gemeinsamen Auslagen sollte alle zehn Jahre ein Übereinkommen getroffen werden; dieselben sollten zunächst aus dem Ertrag der Zölle bestritten, der Rest im Verhältnis von 70 Proz. zu 30 Proz. (seit der erfolgten Einverleibung der Militärgrenze von 68 Proz. zu 32 Proz.) von beiden Reichshälften getragen werden. Die kommerziellen Angelegenheiten, speziell die Zollgesetzgebung, die Gesetzgebung, betreffend die mit der industriellen Produktion verknüpften indirekten Abgaben (Zucker, Spiritus etc.), die Feststellung der Valuta sollten nach von Zeit zu Zeit zu vereinbarenden gleichen Grundsätzen behandelt werden (Zoll- und Handelsbündnis). Die Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten hatte ein gemeinsames Ministerium (für Auswärtiges, Krieg und gemeinsame Finanzen) zu besorgen, das den »Delegationen«, die alljährlich sowohl vom österreichischen Reichsrat als vom ungarischen Reichstag zu entsenden wären, verantwortlich sein sollte. Dieses Ausgleichswerk fand in der Krönung des Kaisers Franz Joseph in Ofen 8. Juni 1867 seinen Abschluß. Späterhin wurde durch ein Handschreiben vom 14. Nov. 1868 verfügt, daß das Reich fortan »Österreichisch-Ungarische Monarchie« zu heißen habe.
Nach der Zuerkennung so wichtiger politischer Rechte an die Ungarn mußten auch in der zisleithanischen Reichshälfte die verfassungsmäßigen Volksrechte an stärkere Bürgschaften geknüpft werden. Graf Taaffe wurde mit der Bildung eines interimistischen Ministeriums beauftragt und 22. Mai 1867 der engere Reichsrat berufen, der im Dezember 1867 den ungarischen Ausgleich, der ohne sein Zutun geschlossen worden war, genehmigte, und dessen Verfassungsausschuß vier Staatsgrundgesetze, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt, über die richterliche Gewalt und die Errichtung eines Reichsgerichts, ausarbeitete, die nebst dem Gesetz über die Reichsvertretung 21. Dez. 1867 vom Kaiser bestätigt wurden. Das letztgenannte Staatsgrundgesetz (Dezemberverfassung) fußte auf der Februarverfassung vom 26. Febr. 1861.
Die österreichisch-ungarische Monarchie seit 1867.
Das neue Reichsministerium (Beust Reichskanzler, Becke Reichsfinanzminister, John [später Kuhn] Reichskriegsminister) wurde 24. Dez. 1867 ernannt; die Delegationen traten zum erstenmal im Januar 1868 in Wien zusammen. Für Zisleithanien wurde 1. Jan. 1868 ein neues Ministerium, das sogen. Bürgerministerium, eingesetzt, dessen Vorsitz zwar der Fürst Karlos Auersperg, dann Taaffe hatte, dessen bedeutendste Mitglieder aber die Juristen Giskra, Herbst, Brestel, Hasner, Plener und Berger (s. d.) waren. Gemeinsam mit der deutschliberalen Partei entfaltete es eine ungemein fruchtbare gesetzgeberische Tätigkeit: vor allem erwirkte es die Annahme der drei Kirchengesetze, durch welche die Gerichtsbarkeit in Ehesachen den weltlichen Gerichten überwiesen, die oberste Leitung und Aussicht über das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen dem Staate zuerkannt, die interkonfessionellen Verhältnisse im Sinne der Gleichberechtigung geregelt wurden, trotz des Widerstandes des Klerus und des Protestes Papst Pius' IX. Die Staatsfinanzen wurden geordnet, das Heerwesen neu gestaltet, die Landesverwaltungen nach neuen Grundsätzen geregelt, das Volksschulgesetz, das Gesetz über Einführung der Geschwornengerichte für Preßvergehen wurden durchgeführt. Widerstand gegen das neue liberale Regiment erhob sich zuerst in den slawischen Ländern. Als 22. Aug. 1868 der böhmische Landtag eröffnet wurde, erschienen die 81 tschechischen Abgeordneten nicht, sondern überreichten 23. Aug. eine »Deklaration« (s. d.), in der sie die Regelung der Verhältnisse Böhmens zum Reich im Sinn einer staatsrechtlichen Sonderstellung der »Länder der böhmischen Krone« (Böhmen, Mähren, Schlesien) verlangten; die Aufregung in Böhmen steigerte sich so, daß die Regierung den General v. Koller zum Zivil- und Militärgouverneur ernennen und 10. Okt. den Belagerungszustand über Prag verhängen mußte. Auch aus dem mährischen Landtag traten die tschechischen Mitglieder aus. Die Polen forderten eine völlige Autonomie Galiziens, die Slowenen ein slowenisches Königreich. In Dalmatien empörten sich 1869 die Bocchesen in der Krivošije gegen das 1869 beschlossene Landwehrgesetz und konnten nicht überwältigt werden, so daß General Rodich mit ihnen einen förmlichen Frieden (zu Knezlac 11. Jan. 1870) abschloß. Im Schoße des Ministeriums selbst entstanden Konflikte, indem eine Minderheit (Taaffe, Potocki, Berger) im Einverständnis mit Beust einem Ausgleich mit den widerstrebenden Nationalitäten das Wort redete und deshalb eine Verfassungsrevision durch einen neuen eigens einberufenen Reichsrat wünschte, die Mehrheit (Hasner, Brestel, Giskra, Plener, Herbst) dagegen eine solche Revision durch den bestehenden Reichsrat empfahl. Da sich auch das Herrenhaus für die Mehrheit entschied, traten jene drei Minister zurück, und Hasner übernahm 25. Jan. 1870 das Präsidium. Jedoch nur für kurze Zeit. Das Ministerium Hasner war den Polen so weit entgegengekommen, daß ihnen durch eine Ministerialverordnung vom 5. Juni 1869 die polnische Dienstsprache für Galizien zugestanden worden war; aber auch nicht weiter, und als dann durch ein Notwahlgesetz direkte Wahlen in den Reichstag als zulässig erklärt werden sollten, wenn einzelne Landtagsmehrheiten sich weigern würden, den Reichsrat zu beschicken, verließen auch die Polen, gleich den Tschechen, das Abgeordnetenhaus. Die föderalistisch gesinnten Slowenen, Istrianer und Bukowinaer folgten; die Tiroler, die aus kirchlichen Beweggründen der neuen Verfassung abhold waren, waren schon vorher ausgetreten, das Haus war nur zur Not beschlußfähig. Der Vorschlag des Kabinetts, jene Landtage aufzulösen, fand nicht die Zustimmung des Kaisers, worauf dasselbe 4. April 1870 seine Entlassung nahm.
Das neue Ministerium Potocki (s. d.) mit Taaffe für das Innere, Distler, später Holzgethan für die Finanzen und seit 30. Juni 1870 Stremayr (s. d.) für Kultus und Unterricht, dem die Aufgabe zufiel, als Folge der auf dem vatikanischen Konzil von 1870 erklärten Unfehlbarkeit des Papstes das österreichische Konkordat aufzuheben, sollte in innerpolitischer Hinsicht eine Verständigung mit Polen und Tschechen durchführen. Da der böhmische Landtag an den Deklarationen festhielt, Abgeordneten- und Herrenhaus dagegen nachdrücklichst für die Aufrechterhaltung der Verfassung eintraten, mißlangen die Ausgleichsversuche. Das Ministerium Potocki fiel im Februar 1871, aber an seine Stelle trat das angeblich über den Parteien stehende, in Wirklichkeit durchaus föderalistische Ministerium Graf Karl Hohenwart (s. d.), dem zwei Tschechen (Habietinek für die Justiz und Jireček für den Kultus), ein Pole, Grocholski, außerdem Schäffle als Handelsminister angehörten, und das es übernahm, die österreichische Verfassung den Forderungen der Slawen anzupassen. Es legte 25. April dem Reichsrat einen Gesetzentwurf vor, der den Landtagen die Initiative in der Gesetzgebung verlieh, und 5. Mai einen andern, der Galizien die gewünschte Autonomie bewilligte; hierbei erklärte Hohenwart, daß er gesonnen sei, wenn die böhmische Opposition sich mit der Galizien zugestandenen Autonomie zufrieden geben würde, Böhmen dieselbe einzuräumen. Den ersten Entwurf lehn le das Abgeordnetenhaus 9. Mai ab, gegen den zweiten richtete es 26. Mai eine Adresse an den Kaiser, der aber in seiner Antwort 30. Mai sein Vertrauen zum Ministerium betonte. Nachdem ein Antrag Herbsts, nicht in die Budgetberatung einzutreten, abgelehnt und das Budget 4. Juli genehmigt war, wurde der Reichsrat 10. Juli 1871 auf unbestimmte Zeit vertagt. Die sieben verfassungs treuen Landtage wurden aufgelöst und bei den Neuwahlen in Oberösterreich und in Mähren eine regierungsfreundliche Mehrheit erzielt, so daß das Ministerium im Abgeordnetenhaus mit Einschluß der Böhmen auf 203 gegen nur 66 verfassungstreue Stimmen und damit die zu Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit rechnen konnte. In dem Reskript, mit dem der böhmische Landtag 14. Sept. 1871 eröffnet wurde, erkannte der Kaiser die Rechte des Königreichs Böhmen an und erklärte sich bereit, diese Anerkennung mit seinem Krönungseid zu bekräftigen. Im Einverständnis mit Hohenwart entwarf ein Ausschuß des Landtags die 18 Fundamentalartikel, die Böhmen eine ähnliche Stellung wie Ungarn geben und O. in einzelne Staaten mit einem Delegiertenkongreß und einem Senat als gemeinsamen Vertretungen auflösen sollten. Die Artikel wurden 10. Okt. dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt.
Da aber die Aufregung der Deutschen wegen des geplanten Verfassungsbruches von Tag zu Tag stieg, im Ministerium selbst keine volle Einigkeit herrschte, legte zunächst Beust dem Kaiser seine Bedenken gegen die Einführung der Fundamentalartikel in einer Denkschrift vor. Das Entscheidende aber war, daß sich der ungarische Ministerpräsident Graf Andrássy, der schon während des deutsch-französischen Krieges den Kaiser entgegen den Wünschen Beusts und der Militärpartei für eine volle Neutralität gewonnen hatte, aufs nachdrücklichste gegen die geplante Verfassungsänderung aussprach, da er mit gutem Grund eine Rückwirkung auf die in Ungarn lebenden Slawen (über 4 Millionen) fürchtete. Der Kaiser entschied 21. Okt., daß die Fundamentalartikel zur Vorlage für den Reichsrat nicht geeignet seien, und nachdem ein Versuch, die Tschechen zu einer Mäßigung ihrer Ansprüche zu bewegen, gescheitert war, reichte Hohenwart 26. Okt. seine Entlassung ein. Aber auch Beust wurde als auswärtiger Minister 6. Nov. durch Andrássy ersetzt, wodurch auch äußerlich dokumentiert wurde, daß die Revanchepolitik für 1866 aufgegeben sei, wiewohl auch Beust schon nach den beispiellosen Siegen der Deutschen das Schreiben Bismarcks vom 14. Dez. 1870, in dem dieser die Gründung des Deutschen Reiches anzeigte und die Hoffnung auf freundschaftliche Beziehungen zu O. aussprach, entgegenkommend beantwortet hatte. An die Spitze Zisleithaniens trat 25. Nov. 1871 ein verfassungstreues Ministerium unter Fürst Adolf Auersperg, dessen leitender Kopf der Minister des Innern, Lasser, war. Dieser löste die im Sommer neugewählten Landtage wieder auf, und da die von Oberösterreich, Mähren und der Bukowina für die verfassungstreue Partei zurückgewonnen wurden, war die Beschlußfähigkeit und die verfassungstreue Mehrheit des Abgeordnetenhauses gesichert. Seine dringendste Aufgabe war die Wahlreform, die im März 1873 beschlossen wurde und die direkte Wahl der Reichsratsabgeordneten, deren Zahl auf 353 erhöht wurde, festsetzte, wodurch der Reichsrat von den Landtagen und den in denselben vorwaltenden Strömungen unabhängig und der Staat von einer stetigen Krisengefahr befreit wurde. Die ersten Wahlen nach diesem Gesetze fanden 7. Sept. 1873 statt und ergaben eine verfassungstreue Mehrheit von 233 Stimmen gegen 81 Polen und Ultramontane; die Tschechen traten nicht in den Reichsrat ein.
Es war peinlich für die neue Regierung, daß ihren Antritt eine tief einschneidende wirtschaftliche Krisis begleitete. Schon das Ministerium Belcredi hatte, einerseits um die Gunst Frankreichs und Englands für seine Anleihen zu gewinnen, anderseits um die Annäherung an die freihändlerisch-agrarischen Ungarn zu fördern, den Übergang vom Schutzzoll zum Freihandel in O. angebahnt, als dessen sichtbare Zeichen der französische (1866), deutsche (1866), insbes. aber der englische Handelsvertrag mit der Nachtragskonvention von 1869 galten. Mit diesem, vom liberalen Doktrinarismus verfochtenen System und mit der übrigen freisinnigen Gesetzgebung und Verwaltung wurde einer ungemessenen Spekulation Tür und Tor geöffnet, und der Gründungsschwindel feierte in den Jahren 1868–73 wahre Orgien, bis kurz nach der Eröffnung der Weltausstellung in Wien 1. Mai 1873 der »große Krach« erfolgte, der dann bis 1879 eine schleichende Krisis, aber auch den Bruch mit dem für O. unhaltbaren System freien Handels und freier Wirtschaft im Gefolge hatte. Die Weltausstellung hatte übrigens dazu gedient, durch die Besuche des Kaisers Alexander von Rußland, Wilhelms I. und Bismarcks, endlich Viktor Emanuels, die guten Beziehungen des Reiches mit den Nachbarmächten zu befestigen, wozu schon im September 1872 mit der Dreikaiserzusammenkunft in Berlin der Anfang gemacht worden war.
Die Verfassungspartei war auf dem Gebiete der freiheitlichen Gesetzgebung in den ersten Jahren eifrig tätig und selbst von den vier konfessionellen Gesetzen, welche die Aufhebung des Konkordats nötig gemacht hatte, wurden alle bis auf das Klostergesetz trotz des Widerstandes des Episkopats und der klerikal-feudalen Herrenhausmitglieder vom Reichsrat angenommen und vom Kaiser 7. und 20. Mai 1874 sanktioniert. Dagegen unterließ sie es, das Deutschtum durch Gesetze und Institutionen zu stärken und die Stellung der deutschen Sprache als Staatssprache zu sichern. Sie lehnte mehrmals Forderungen für die Verstärkung der Wehrkraft ab, und in den Delegationen wurde das Armeebudget wiederholt gegen ihre Stimmen durch die Ungarn und Ultramontanen bewilligt. Gegen die Erneuerung des finanziellen Ausgleichs mit Ungarn auf der Basis vom Jahr 1867 leistete die Verfassungspartei hartnäckigen Widerstand und gab erst ihre Zustimmung, als Auersperg mit dem Rücktritt des Ministeriums drohte. Der Ausgleichsvertrag kam daher erst nach fast zweijähriger Verhandlung 1878 zustande. Die Stellung des verfassungstreuen Ministeriums ward hierdurch bedenklich erschüttert. Sie wurde noch schwieriger, als O. in die durch den 1875 ausgebrochenen Aufstand Bosniens und der Herzegowina gegen die türkische Herrschaft hervorgerufene orientalische Krisis hineingezogen wurde. Die verschiedenen Nationen des Reiches standen mit ihren Sympathien in den entgegengesetzten Lagern: die Ungarn waren türkenfreundlich, die Polen russenfeindlich, die Tschechen und Südslawen panslawistisch, nur die Deutschen unbedingt friedlich. Andrássy beobachtete eine vorsichtige Zurückhaltung und erlangte bei der Zusammenkunft des Zaren mit Kaiser Franz Joseph in Reichstadt (8. Juli 1876) von Rußland für das Versprechen der Neutralität das Zugeständnis, daß O. nach dem Kriege Bosnien und die Herzegowina besetzen dürfe. Als aber Rußland im Frieden mit der Türkei zu Santo Stefano (3. März 1878), gestützt auf seine Erfolge, die Abmachung mit O. unberücksichtigt ließ, forderte Andrássy von den Delegationen 9. März 1878 eine Anleihe von 60 Mill., um für eine eventuelle kriegerische Aktion bereit zu sein, und regte bei den Mächten den Berliner Kongreß zur Regelung der orientalischen Frage an. Hier erlangte O. 29. Juni die Bestätigung des russischen Zugeständnisses, Bosnien und die Herzegowina besetzen und in Verwaltung nehmen zu dürfen. Die österreichischen Truppen unter Philippovich rückten 29. Juli 1878 in Bosnien und der Herzegowina ein, die trotz des heftigen Widerstandes binnen zwei Monaten besetzt waren. Die neuen Provinzen, deren Okkupation die Pforte für so lange anerkannte, bis sie die Kosten für dieselbe zurückerstattet habe, wurden dem gemeinsamen österreichischen Zollgebiet einverleibt und ihre Verwaltung dem Reichsfinanzminister übertragen.
Die bedeutenden Opfer und Kosten (62 Mill.) der Okkupation riefen sowohl in O. als in Ungarn große Unzufriedenheit hervor. Die Verfassungspartei zerfiel deswegen mit dem Ministerium Auersperg, das schon 13. Juli 1878 seine Entlassung gab. Der bisherige Finanzminister De Pretis-Cagnodo (s. d.) wurde vom Kaiser mit der Mission betraut, ein liberales Ministerium zu bilden; allein dessen Okkupationsprogramm vom 22. Okt. fand im Abgeordnetenhaus nicht die Mehrheit, vielmehr richtete diese 29. Okt. 1878 eine Adresse an den Kaiser, in der die Okkupation vom politischen und finanziellen Gesichtspunkt aus getadelt wurde. Auch in den Delegationen setzten Herbst und Giskra ihre Opposition fort und beantragten im Januar 1879 im Abgeordnetenhaus nicht bloß die Verwerfung des Berliner Vertrags, sondern auch die Ablehnung der Verlängerung des Wehrgesetzes und die Bewilligung der provisorischen Steuererhebung für 1879 nur auf einen Monat. Sie erreichten aber nur eine Sprengung der Verfassungspartei, indem alle ihre Anträge gegen 112 Stimmen abgelehnt wurden. Als zufolge der Zerfahrenheit der Verfassungspartei auch die Mission De Pretis' scheiterte, wurde dann aus den Resten des frühern Kabinetts ein neues unter Stremayr gebildet, in das Graf Taaffe als Minister des Innern mit der Mission eintrat, die Regierungsakte gegen einen erneuten Widerstand der Liberalen sicherzustellen und eine feste Majorität zu bilden. Zur Erreichung dieses Zweckes wurden die Neuwahlen im Juni und Juli 1879 benutzt. Der böhmische und mährische Großgrundbesitz, der die Opposition in den Militärfragen nicht billigte, fiel von der Verfassungspartei ab; den böhmischen Feudalen wurden durch ein Kompromiß 10 von 23 Sitzen eingeräumt und schließlich auch die Tschechen durch allerlei Versprechungen zum Eintritt ins Abgeordnetenhaus bewogen, in dem sie die Angelobung ohne Vorbehalt leisteten; nur beim Beginn der Verhandlungen legten sie eine Rechtsverwahrung ein. So ergaben die Neuwahlen nur 145 Deutsch-Liberale, die in den Klub der Liberalen und in die Fortschrittspartei zerfielen, gegen 168 Konservative (Polen, Tschechen und Klerikale), während der Rest von 40 Abgeordneten außerhalb der Parteien stand. Unter diesen Umständen nahm das vorwiegend liberale Ministerium seine Entlassung, und nun wurde Taaffe (12. Aug. 1879) Präsident eines neuen Kabinetts, das ein Versöhnungsministerium darstellen sollte, und in dem Stremayr als Justizminister neben dem Tschechen Pražak, dem klerikalen Grafen Falkenhayn und dem Polen Ziemialkowski saß. Diese Regierung hatte aber nur dann Lebensfähigkeit, wenn es zu gleicher Zeit gelang, eine entsprechend starke Mittelpartei durch die Koalition der verschiedenen Richtungen zu bilden. Es gelang nicht. Die Deutsch-Liberalen versagten auf dem Linzer Parteitage 3. und 31. Aug. dem neuen Programm ihre Zustimmung auf das entschiedenste, worauf die Konservativen (Polen, Tschechen, Slowenen, Deutsch-Klerikale und Feudale) auf die Anregung Hohenwarts hin 14. Sept. sich der Regierung zur Verfügung stellten.
Wenige Tage darauf, 21. Sept., kam Bismarck nach Wien und schloß 7. Okt. 1879 das deutsch-österreichische Bündnis, das, 1881 durch Italiens Anschluß zum Dreibund erweitert, für die auswärtige Politik Österreichs bis zum heutigen Tag grundlegend geblieben ist. Nach Abschluß dieses Vertrags nahm Andrássy noch 1879 seine Entlassung, wurde zuerst durch Baron Haymerle, nach dessen Tode (1881) durch Kalnoky und nach dessen Rücktritt (1895) durch Goluchowski als Leiter der auswärtigen Politik ersetzt.
In der innern Politik vollzog sich alsbald der Wandel im Sinne der slawisch-föderalistischen Majorität, auf die sich Taaffe stützen mußte, wenn er sich überhaupt am Ruder erhalten wollte, und deren Unterstützung er durch Konzessionen allerart sich von Fall zu Fall sicherte. Dazu gehörte die Ersetzung der letzten verfassungstreuen Mitglieder des Ministeriums durch solche aus den Reihen der Rechten: im Juni 1880 schieden die Deutsch-Liberalen Stremayr, Horst und Korb-Weidenheim aus, dagegen erhielt der Pole Dunajewsky das Finanzportefeuille und im Januar 1881 der Tscheche Pražak die Leitung des Justizministeriums. Ebenso bezeichnend für die Richtung des Ministeriums waren die Sprachenverordnungen, mit denen bereits 19. April 1880 für Böhmen und Mähren begonnen worden war, denen die vom 29. April 1882 für die slowenischen Gebiete in Steiermark und 20. Okt. für Schlesien folgten. Die Tschechen erlangten ferner die Zweiteilung der Prager Universität in eine tschechische und eine deutsche (1882), die Slawisierung zahlreicher Mittelschulen, die Auflösung des böhmischen Landtags (1883), wo nun die Tschechen und der feudale Großgrundbesitz das Übergewicht besaßen. Die Polen erhielten materielle Vorteile (Begünstigungen bei allen Steuervorlagen, Eisenbahnen u. dgl.) zugestanden, auch wurden ihnen die Ruthenen in Galizien preisgegeben. Die Klerikalen konnten zwar die konfessionelle Schule, die sie anstrebten, nicht durchsetzen, wurden aber 1883 durch eine Schulgesetznovelle schadlos gehalten, welche die Entscheidung über die Herabsetzung der Schulpflicht von 8 auf 6 Jahre fakultativ den Gemeinden einräumte und bestimmte, daß der Schulleiter der Konfession der Mehrheit der Schüler zugehören solle.
Von seiten der Deutschen wurden zur nationalen Abwehr verschiedene Vorkehrungen getroffen. Im Abgeordnetenhaus vereinigten sich die beiden deutschen Parteien zur sogen. Vereinigten Linken (19. Nov. 1881), die anfangs an 150 Mitglieder zählte. 1883 wurde der Antrag des Grafen Wurmbrand auf Erlassung eines Sprachengesetzes und verfassungsmäßige Feststellung des Deutschen als Staatssprache eingebracht, aber 29. Jan. 1884 mit 186 gegen 155 Stimmen abgelehnt. Es wurden Vereine gegründet, die in nationalem Sinne wirken sollten, 1880 der Deutsche Schulverein, der Böhmerwaldbund, der Verein der Deutschen Nordmährens, die Südmark u.a. Die Wirkung dieser Verhältnisse zeigte sich bei den Abgeordnetenwahlen im Juni 1885: die Rechte stieg auf 192, die Linke sank auf 132 Stimmen; nachteiliger noch war, daß die ehemalige Vereinigte Linke sich in einen Deutsch-österreichischen und einen Deutschen Klub spaltete, und von letzterm sich wiederum 1887 die Deutsch-nationale Vereinigung absonderte, worauf der Rest des Deutschen Klubs uch mit dem Deutsch-österreichischen Klub zur Vereinigten Deutschen Linken in der Stärke von 112 Mitgliedern vereinigte. Bei dieser Spaltung der Kräfte der Deutschen wagten sich die Fraktionen der Rechten mit immer weiter gehenden Forderungen hervor. Zunächst mußte der den Tschechen nicht genehme Unterrichtsminister Baron Conrad im November 1885 dem farblosen v. Gautsch weichen. Bald darauf, im März 1886, ward ein neuer Gesetzentwurf auf Feststellung der Geltung des Deutschen als Staatssprache an den Ausschuß verwiesen, um nie wieder zum Vorschein zu kommen. Die den Deutschen in Böhmen so überaus nachteilige Sprachenverordnung vom 19. April 1880 wurde 23. Sept. durch eine neue Verfügung ergänzt, nach der bei den Oberlandesgerichten von Prag und Brünn die Erledigungen der in tschechischer Sprache eingereichten Sachen auch tschechisch begründet werden sollten. Die Lage der Deutschen verschlechterte sich von Tag zu Tag. Im Dezember 1886 verließen sie den böhmischen Landtag, da über ihre Abänderungsvorschläge betreffs der Sprachenverordnungen zur Tagesordnung übergegangen wurde (s. Böhmen, S. 156). Im Oktober 1888 wurde das slawische und klerikale Element durch die Aufnahme des klerikal-feudalen Polen v. Zaleski und des tschechisch gesinnten Grafen Schönborn ins Ministerium gestärkt. Es war auch ein herber Schlag für sie, wie für ganz O., als Kronprinz Rudolf 30. Jan. 1889 plötzlich eines schrecklichen Todes starb, Große Erregung verursachte der im Januar 1888 zuerst eingebrachte Antrag des Prinzen Alois Liechtenstein, es solle die Dauer der Volksschulpflicht von 8 auf 6 Jahre herabgesetzt, die Zahl der Unterrichtsgegenstände beschränkt, der Kirche neben dem Staate die Aussicht über die Schule eingeräumt und bei Anstellung der Lehrer den Organen der Kirche der nötige Einfluß gewährt werden. Gegen diesen Antrag erhoben sich aber im Abgeordnetenhaus nicht nur die liberalen Deutschen, sondern auch die liberalen Jungtschechen, die ihn zu einer Kampfparole gegen die Alttschechen unter der Führung Riegers verwendeten. Sie fanden dafür in ihrer Heimat so viel Zustimmung, daß die böhmischen Landtagswahlen von 1889 einer unerwartet großen Anzahl ihrer Kandidaten zu Mandaten verhalfen, wodurch in den politischen Verhältnissen eine bedeutsame Wendung herbeigeführt wurde. (Weiteres s. Böhmen, S. 156.) Die Besorgnis, daß die bevorstehenden Reichsratswahlen den Jungtschechen über die Alttschechen zum Siege verhelfen wurden, wodurch die Rechte gesprengt werden könnte, in der sich auch sonst Spannungen, so zwischen Klerikalen und Polen, zeigten, veranlaßte die Regierung, den Deutschen näher zu treten. Zwar die Ausgleichskonferenzen im Januar 1890 (s. Böhmen, S. 156) scheiterten, aber die Deutschen waren wieder in den böhmischen Landtag getreten, Dunajewski wurde im Februar 1891 durch Steinbach ersetzt, im Dezember 1891 trat Graf Kuenburg als Vertreter der Linken ins Ministerium. Die Reichsratswahlen im März 1891 hatten nämlich den Alttschechen in Böhmen alle ihre Mandate, die den Jungtschechen zufielen, gekostet, so daß der »eiserne Ring« der alten Majorität tatsächlich gesprengt war. Die radikal-nationalen Jungtschechen gingen in die Opposition. Man plante zunächst, aus den Deutschliberalen, Polen und dem linken Zentrum (Coroniniklub) eine parlamentarische Mehrheit zu bilden, was aber am Widerstand der Polen scheiterte, wie denn überhaupt alle Versuche des Grafen Taaffe von 1891–93, die Deutschen dauernd zur Regierung heranzuziehen, an seiner Unentschlossenheit, die frühern Beziehungen zu lösen und einen Systemwechsel herbeizuführen, im Sande verliefen. Es war ein fortwährendes Schwanken zwischen Deutschen und Tschechen, Klerikalen und Liberalen, ohne klar erkennbares Ziel, das schließlich zu einem völligen Schiffbruch des Taaffeschen Systems der angeblichen Völkerversöhnung führen mußte. Mit einer Gewaltmaßregel, dem Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechtes (10. Okt. 1893), befreite sich Taaffe aus seiner unhaltbaren Situation, indem die drei großen Parteien, Deutsch-Liberale, Klerikale und Polen, aus Selbsterhaltungsgründen zur gegenseitigen Verständigung und zur Bildung eines Koalitionsministeriums gezwungen wurden. Am 12. Nov. 1893 wurde die Demission Taaffes, der fast 14 Jahre die österreichische Regierung geleitet hatte, vom Kaiser angenommen.
So verhängnisvoll und zerstörend diese Periode in nationaler und freiheitlicher Hinsicht gewesen war, in ökonomischer Beziehung war vieles von dauerndem Erfolge geschaffen worden. Zahlreiche Bahnen wurden verstaatlicht und nur der Nordbahn, gegen die Stimmen der Deutschen, ihr Privilegium auf 50 Jahre bestätigt. 1882 waren der Industrie und den Staatsfinanzen zuliebe die Positionen des autonomen Zolltarifs beträchtlich erhöht worden, namentlich ergaben die Zölle auf Kaffee und Petroleum reichliche Einnahmen. Auch Ungarn, bisher freihändlerisch, ging auf bas Schutzsystem ein, um durch hohe Zölle auf deutsche Fabrikate Deutschland zur Herabsetzung seiner Agrarzölle und zur Aufhebung der Viehsperre zu bewegen. War dies zunächst ohne Erfolg, so erwies sich eine weitere Erhöhung der Zölle 1887 und insbes. die Einführung von Agrarzöllen gegen Rumänien geradezu als nachteilig, da die Industrie ein wichtiges Absatzgebiet im Osten verlor, die ungarische Landwirtschaft aber nichts gewann. Dennoch blieb die Handelsbilanz seit 1876 aktiv, und als neben einer drückend hohen Gebäudesteuer (1882) und im Einvernehmen mit Ungarn ein neues Zucker- und Branntweinsteuergesetz (1888) die Staatseinnahmen wesentlich erhöhte, so daß den Polen eine Entschädigung für ihre Einbußen an Branntweinbrennereien und Schankgerechtigkeiten, 1,100,000 Gulden, für 22 Jahre bewilligt werden konnte, verschwand seit 1889 auch das Defizit aus dem österreichischen Budget. Die andauernd günstige Finanzlage des Reiches ermöglichte es auch, an die Valutaregulierung zu gehen, die vom Finanzminister Steinbach im Mai 1892 durch Vorlage der betreffenden Gesetze in Angriff genommen wurde; damit hing zusammen die Einführung der Kronenwährung. Eine zweite wichtige Vorlage desselben Ministers war die im Februar 1892 durchgeführte Steuerreform, durch die an die Stelle der bisherigen Erwerbs- und Einkommensteuer eine Erwerbs, Besoldungs-, Renten- und allgemeine Personaleinkommensteuer gesetzt wurde. Kurz zuvor, im Januar 1892, waren überdies die neuen Handelsverträge mit Deutschland, Italien, Belgien und der Schweiz genehmigt worden. In der auswärtigen Politik war die ganze Zeit hindurch das deutsch-österreichisch-italienische Bündnis in Kraft geblieben, nur das Verhältnis zu Rußland schwankte. Nach den Zusammenkünften Franz Josephs mit Alexander III. in Skierniewice (1884) und Kremsier (1885) schienen freundschaftlichere Beziehungen zwischen den beiden Staaten Platz zu greifen, doch traten 1886 und 1887 nach der Abdankung des Fürsten Alexander von Bulgarien und der Wahl des Prinzen Ferdinand von Koburg die Gegensätze wieder zutage, nicht minder 1889, als König Milan von Serbien abdankte und auch hier die russenfreundliche Richtung O. zwang, auf seiner Hut zu sein. Schon 1883 war die Landwehr näher an das stehende Heer herangezogen worden; dann wurde 1886 ein Landsturmgesetz erlassen, das alle wehrfähigen Staatsbürger, die nicht schon andern Heeresbestandteilen angehören, vom 19. bis zum 42. Lebensjahr, Offiziere und Militärbeamte des Ruhestandes bis zum 60. Lebensjahr kriegsdienstlich verpflichtete; 1889 aber wurde ein neues Wehrgesetz angenommen, welches das Rekrutenkontingent um 7600 Mann erhöhte, alle bisher Befreiten in die Ersatzreserve einreihte und diese zu periodischen Waffenübungen heranzog. Das Kriegsmaterial wurde erneuert durch Repetiergewehre und Karabiner, modernste Geschütze für Festungen und Küstenbatterien, rauchschwaches Pulver etc. Alle diese Opfer wurden von Ungarn mitgetragen, mit dem 1877 und 1887 das Zoll- und Handelsbündnis erneuert worden, und wo es in den 80er Jahren zu einer Konsolidierung der innern Verhältnisse und zu einer namhaften Steigerung des Staatskredits gekommen war (s. Ungarn).
Das neue österreichische Ministerium, das aus den drei großen Parteien gebildet wurde, hatte Fürst Alfred Windisch-Grätz zum Präsidenten; aus dem frühern Ministerium wurden Marquis Bacquehem, nunmehr als Minister des Innern, Graf Falkenhayn als Ackerbauminister, Graf Welsersheimb als Landesverteidigungsminister und Graf Schönborn als Justizminister herübergenommen, neu waren die Polen v. Jaworski als Minister für Galizien und v. Madeyski als Unterrichtsminister, dann der Führer der Vereinigten Deutschen Linken v. Plener als Finanzminister und Graf Wurmbrand als Handelsminister. Als ihre erste Pflicht erklärte die Regierung, eine Wahlreform zu schaffen, die mit Aufrechthaltung der bestehenden Vertretung von Interessengruppen eine wesentliche Ausdehnung des Wahlrechts herbeiführen sollte. Bis zum Zustandekommen dieser Wahlreform sollten die großen politischen Fragen auf sich beruhen bleiben, und die Tätigkeit der Regierung der Lösung finanzieller und volkswirtschaftlicher Aufgaben, insbes. der Steuerreform, und der Erledigung der Justizvorlagen (Strafgesetz, Zivilprozeß) gelten. Allein der Wahlreformplan, den die Regierung im März 1894 dem Hause vorlegte, fand nicht einmal die Zustimmung aller koalierten Parteien und wurde durch Überlassung an den Wahlreformausschuß des Parlaments im Oktober 1894 aufs unbestimmte vertagt, während Volksversammlungen allerorten das allgemeine Wahlrecht forderten. Aber auch der von der Regierung verlangte zeitweilige Verzicht auf die Erfüllung gewisser nationaler Wünsche erwies sich als eine schwierige Bedingung der neuen Situation, namentlich als die Slowenen ein ihnen seit Jahren geleistetes Versprechen, betreffend die Errichtung eines slowenischen Untergymnasiums in der deutschen Stadt Cilli, zur Geltung brachten und die Regierung dem von Slowenen gewählten Grafen Hohenwart diese Forderung nicht verweigern mochte. Aus derlei Differenzen innerhalb der Koalition schöpften die radikalen Parteien, voran die Jungtschechen und die christlich-sozialen Antisemiten, den Anlaß zu mehrfachen Angriffen, insbes. bei den Beratungen über das neue Strafgesetz, das fallen gelassen, und über die Steuerreform, die durch Obstruktion verhindert wurde. Die schwächliche Haltung der Regierung erregte die Unzufriedenheit mit dem herrschenden System in weiten Kreisen der Bevölkerung, so daß im März 1895 bei den Gemeindewahlen in Wien und Salzburg die radikalen Antisemiten gegen die gemäßigten Liberalen Vorteile errangen, während die agitatorische Bewegung unter der Arbeiterschaft um das von der Regierung und dem Parlament zurückgewiesene allgemeine gleiche Wahlrecht nichts an Intensität verlor. Als schließlich durch die Nachgiebigkeit des Ministeriums in der Frage des Cillier Gymnasiums auch in den nationalen deutschen Kreisen eine tiefe Verstimmung entstand, die sich zunächst bei der Abstimmung im Budgetausschuß ausdrückte, war die Koalition der Parteien als gelöst anzusehen, und die darauf begründete Regierung nahm im Juni 1895 ihre Entlassung. Nach einem interimistischen Beamtenministerium unter der Führung des niederösterreichischen Statthalters Grafen Kielmannsegg ernannte der Kaiser Anfang Oktober den bisherigen Statthalter Galiziens, Grafen Kasimir Badeni, zum Ministerpräsidenten und Leiter des Ministeriums des Innern, der seine Mitarbeiter außerhalb des Parlaments wählte: Baron Gautsch wurde wieder Unterrichtsminister, Graf Gleispach Justizminister, Bilinski Finanzminister, Baron Glanz Handelsminister, Graf Ledebur Ackerbauminister, zu denen später in v. Guttenberg ein Eisenbahnminister und in Rittner ein Minister für Galizien hinzukamen.
Von den zwei Hauptaufgaben, die dem neuen Ministerium oblagen, glückte die erste vollständig: 7. Mai 1896 wurde im Abgeordnetenhaus die Wahlreformvorlage mit großer Majorität angenommen. Der wesentliche Punkt lag in der Ergänzung der bisherigen 353 Abgeordneten durch 72 weitere aus einer neugebildeten allgemeinen Wählerklasse, in der jeder 24 Jahre alte Staatsbürger, der seit mindestens sechs Monaten im Wahlbezirk wohnt, wahlberechtigt ist. Um so verhängnisvoller wurde der Versuch der Lösung der zweiten Aufgabe: die Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs mit Ungarn. Die Reichsratswahlen im März 1897 hatten eine abermalige Schwächung der deutsch-liberalen Partei, dagegen ein starkes Anwachsen der Klerikalen, Antisemiten und radikaleren nationalen Parteien zur Folge gehabt. Um sich in diesem zerklüfteten Parlament eine Majorität zu sichern, gewann Badeni die Jungtschechen durch neue Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren (5. April), die aber bei den Deutschen ganz Österreichs größte Aufregung hervorriefen. Badeni gab zwar seine Demission, die aber der Kaiser (6. April) in einem huldvollen Handschreiben nicht annahm. Die deutsche Opposition forderte die Zurücknahme der Sprachenverordnungen und suchte dieselbe durch Obstruktion der parlamentarischen Verhandlungen zu erzwingen, was zu stürmischen Sitzungen im Abgeordnetenhaus führte, bis 2. Juni der Reichsrat vertagt wurde. Die Opposition wurde nunmehr auf verschiedenen Parteitagen fortgesetzt, bei denen es, wie insbes. beim großen deutschen Volkstag in Eger (11. Juli), zu bedenklichen Zusammenstößen zwischen Volk und Militär und zu entschiedenen Kundgebungen gegen die Regierung kam. Als 23. Sept. der Reichsrat wieder zusammentrat, stellten die deutschen Parteien den Antrag, Badeni wegen der Sprachenverordnungen in Anklagezustand zu versetzen, der am 20. Okt. mit 161 gegen 141 Stimmen abgelehnt wurde, ebenso wie ein zweiter wegen der Egerer Vorfälle 26. Okt. mit 172 gegen 145 Stimmen. Von da an steigerte sich der Kampf der Parteien von Sitzung zu Sitzung. Nach dem Rücktritt des ersten Präsidenten, Kathrein (katholische Volkspartei), ward der Pole Abrahamovicz sein Nachfolger, Kramař (Jungtscheche) erster, Fuchs (katholische Volkspartei) zweiter Vizepräsident; 28. Okt. obstruierten die deutschen Parteien die Debatte über das Ausgleichsprovisorium durch eine 33stündige Sitzung mit der zwölfstündigen Rede Lechers (s. d.); 4. Nov. ward nach stürmischer Sitzung das Ausgleichsprovisorium mit 177 gegen 122 Stimmen an den Ausschuß verwiesen; 12. Nov. folgten neue Anträge auf Anklage des Ministeriums; 24. Nov. sollte die zweite Lesung des Ausgleichsprovisoriums beginnen. Da die Deutschen obstruierten, wurde 25.–26. der Versuch einer Änderung der Geschäftsordnung (lex Falkenhayn) unternommen und Polizei gegen die Obstruktion aufgeboten, was in Wien und in den deutschen Provinzen einen solchen Entrüstungssturm hervorrief, daß Badeni 25. Nov. entlassen werden mußte, worauf der Unterrichtsminister v. Gautsch zum Ministerpräsidenten ernannt und der Reichsrat vertagt wurde. Der Ministerwechsel hatte gefährliche Unruhen und Ausschreitungen gegen die Deutschen in verschiedenen Orten Böhmens zur Folge, so daß über Prag 2. Dez. das Standrecht verkündet, aber schon 8. Jan. 1898 wieder aufgehoben wurde. Da es dem neuen Ministerium Gautsch nicht gelang, für seine neuen Sprachenverordnungen, die an Stelle der Badenischen treten sollten, die Parteien zu gewinnen und unter solchen Verhältnissen die Einberufung des Reichsrats behufs Verhandlung des Ausgleichs zwecklos erschien, gab es 5. März seine Demission, worauf Graf Thun, der ehemalige Statthalter von Böhmen, mit der Bildung eines neuen Ministeriums betraut wurde. Durch Aufnahme des Jungtschechen Kaizl (für Finanzen), Bärnreithers aus dem deutschen Großgrundbesitz (für Handel), Baron Kasts aus der katholischen Volkspartei (für Ackerbau) und des Polen Jendrejowicz hoffte er die großen Parteien für das Ausgleichswerk zu gewinnen; allein der Umstand, daß in der Frage der Sprachenverordnungen vom Ministerium kein entscheidender Schritt gewagt wurde, veranlaßte die deutschen Parteien, in ihrer Obstruktionstaktik zu beharren. Im Sommer 1898 leitete der Ministerpräsident neue Verhandlungen über die Sprachenfrage mit der Opposition ein, die wiederum resultatlos verliefen. Trotzdem nach Wiedereröffnung des Reichsrats 26. Sept. der einzige deutsche Vertreter Bärnreither aus dem Ministerium schied, für den Dipauli aus der katholischen Volkspartei eintrat, entschloß sich die Mehrheit der deutschen Parteien, die Obstruktion gegen die Verhandlung des Ausgleichs aufzugeben, um es der Regierung unmöglich zu machen, den Ausgleich mit dem Notverordnungsrecht des § 14 des Staatsgrundgesetzes über die Reichsvertretung durchzuführen; allein die Regierung vertagte den Reichsrat noch vor Abschluß der Kommissionsberatungen 20. Dez., worauf 31. Dez. der Ausgleich vermittelst kaiserlicher Verordnungen auf Grund des § 14 auf ein Jahr verlängert wurde. Als aber auch im folgenden Jahr alle Versuche, das Abgeordnetenhaus arbeitsfähig zu machen, fehlschlugen, ein neues Sprachengesetz der Regierung auf den Widerstand der Tschechen stieß, die Los von Rom-Bewegung stetig anwuchs, die neuerliche Durchführung des neuen Ausgleichsprovisoriums auf Grund des § 14 der Opposition zu heftigen Protesten in zahlreichen Versammlungen Anlaß bot und auch die letzten Versuche der Regierung, eine Annäherung unter den Parteien herbeizuführen, an dem Widerstand der Deutschen scheiterten, trat das Kabinett Thun 23. Sept. 1899 zurück. Das neue Ministerium unter der Präsidentschaft des Grafen Clary-Aldringen (s. d.) hob die Gautschschen Sprachenverordnungen bedingungslos auf, gewann zwar dadurch die Mitwirkung einiger deutschen Parteien, konnte aber die Ausgleichsvorlagen wegen der mittlerweile ausgebrochenen tschechischen Obstruktion nicht auf parlamentarischem Weg erledigen und trat deshalb 19. Dez. zurück, worauf ein Beamtenministerium Wittek bis zum 18. Jan. 1900 die Regierungsgeschäfte führte, um die dringendsten staatlichen Bedürfnisse, Budgetprovisorium und Quotenfrage, zu regeln.
Die schwierige, in den letzten Jahren so oft mißglückte Aufgabe, das Abgeordnetenhaus arbeitsfähig zu machen, die feindlichen Parteien zu versöhnen, zwischen Deutschen und Tschechen eine Verständigung in der Sprachenfrage herbeizuführen, wurde vom Kaiser dem neuen Ministerium übertragen, in dem v. Körber (s. d. 1) das Präsidium und Inneres, Welsersheimb Landesverteidigung, Wittek Eisenbahnen, Böhm v. Bawerk Finanzen, Spens-Boden Justiz, Hartel Kultus u. Unterricht, Call Handel, Giovanelli Ackerbau übernahmen, und dem Pientak als polnischer, Rezek als tschechischer Landsmannminister an gehörten. Körber leitete die Tätigkeit der neuen Regierung mit Verständigungskonferenzen zwischen Deutschen und Tschechen ein, die am 5. Febr. 1900 in Wien begannen, und an denen alle Parteien, mit Ausnahme der Deutsch-Nationalen und radikalen Tschechen, teilnahmen; gleichzeitig wurde der Reichsrat 22. Febr. wieder eröffnet, im Abgeordnetenhaus wurde Prade von der deutschen Linken erster, der Tscheche Začek zweiter Vizepräsident. Die Konferenzen verliefen im Sande, die Landtagsverhandlungen in Prag im April hatten das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen wesentlich verschlimmert, und als 8. Mai das Ministerium die Sprachengesetze für Böhmen und Mähren vorlegte, kündigten die Tschechen sofort die Obstruktion gegen die parlamentarische Behandlung derselben an, die Deutschen zeigten sich wenig befriedigt. Am 8. Juni mußte mitten in einer stürmischen aussichtslosen Nachtsitzung das Haus vertagt werden, da die Tschechen auch die Beratung des Budgetprovisoriums obstruierten. Für die Durchführung der Staatsnotwendigkeiten trat der Notparagraph 14 wieder ein, und um im Parlament neue Verhältnisse zu schaffen, wurde 7. Sept. das Abgeordnetenhaus aufgelöst und Neuwahlen für den Januar 1901 angeordnet. Das Ergebnis derselben war ein starkes Anwachsen der radikalen Stimmen bei Deutschen und Tschechen. Unter Stürmen begann die neue Session 30. Jan. 1901, doch milderte sich im März die Obstruktion, und durch Voranstellung wirtschaftlicher und kultureller Fragen (Errichtung einer Galerie für moderne Kunst in Prag, Bau von großen Wasserstraßen), durch einen persönlichen Besuch des Kaisers in Prag und Aussig (im Juni) versuchte Körber das Interesse der Parteien von der Sprachenfrage abzulenken. Allein die Herbstsession stand wieder im Zeichen der Obstruktion der Tschechischradikalen, und nur in langsamstem Tempo vollzog sich die Tätigkeit, so daß der Ministerpräsident in der Sitzung vom 9. Dez. mit einer »Radikalkur« drohte, worunter allgemein der Versuch eines Staatsstreiches verstanden wurde; doch wies Körber diese Deutung in der Sitzung vom 24. Febr. 1902 zurück. Immerhin wurde es möglich, im Mai ordnungsgemäß das Budget zu beraten und zu genehmigen, zum erstenmal seit 1897, im Juni sogar die Tschechen zum Verzicht auf die Obstruktion zu veranlassen gegen das Versprechen, in der Herbstsession dem Abgeordnetenhaus neue Sprachengesetze vorzulegen. Der Entwurf zur Regelung der Sprachenfrage in Böhmen und Mähren vom 14. Okt. 1902 wurde aber vom Tschechenklub dahin beantwortet, daß dieser gegen die Körbersche Regierung den schärfsten Kampf mit allen im Wiener Parlament üblichen Mitteln eröffnete. Angesichts der ernsten Gefahr eines Zusammenbruches der Verfassung entschlossen sich die deutsch-böhmischen Abgeordneten, mit Ausnahme der radikalen ostdeutschen und alldeutschen Gruppe, die eine vorherige gesetzliche Feststellung der deutschen Sprache als Staatssprache zur Bedingung ihrer Mitwirkung machte, im Dezember 1902 mit neuen Verständigungsvorschlägen an die Tschechen heranzutreten. Sie beantragten, alle Streitpunkte stufenweise zu erledigen; man faßte sie in folgende Gruppen zusammen: 1) äußere und innere Amtssprache und Reform der Verwaltung, 2) Beamtenfrage, 3) Minoritätsschulen, 4) sprachliche Scheidung von Handels- und Gewerbekammern, 5) Reform der Landtagswahlordnung und der Kurien. Die zwischen Deutschen und Tschechen in diesen Fragen abgegebenen Denkschriften führten in den ersten Tagen im Januar 1903 zu gemeinsamen Konferenzen in Wien unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Körber; allein der von diesem vorgelegte Sprachenvorschlag, wonach Böhmen in 5 tschechische, 3 deutsche und 2 gemischtsprachige Kreise geteilt werden sollte, wurde 12. Jan. vom Klub der tschechischen Reichsrats- und Landtagsabgeordneten abgelehnt und die Verständigungskonferenz 20. Jan. ohne jedes Ergebnis abgebrochen. Der Klub erneuerte 23. Jan. 1903 seinen Obstruktionsbeschluß vom 16. Okt. 1902, und nur aus taktischen Gründen wurden einige Regierungsvorlagen, Wehrvorlage, Zuckersteuergesetz sowie die Dringlichkeitsanträge wegen der Mängel an der Prager Universität und wegen der Geschäftsordnung, von der Obstruktion ausgenommen. Die Schwierigkeiten der innerpolitischen Lage wurden noch verschärft durch die Entwickelung der politischen Verhältnisse Ungarns, wo die Wehrvorlage, die in Zisleithanien 19. Febr. 1903 mit großer Majorität angenommen wurde, den Anlaß bot, Verfassungsfragen ernstester Art aufzuwerfen. Die Vorgänge in Ungarn, die Demission des Ministeriums Szell, der die Obstruktion gegen die Wehrvorlagen nicht zu beseitigen vermochte, die Neubildung des Ministeriums durch Graf Khuen-Hedervary, sein Entgegenkommen gegen die Opposition durch teilweise Zurückziehung der Militärvorlage, veranlaßten das Ministerium Körber, 26. Juni seine Demission einzureichen, die aber nicht angenommen wurde; nur der tschechische Landsmannminister Rezek trat 11. Juli von seinem Posten zurück. Die parlamentarische Krisis in Ungarn, die insbes. seit dem Chlopyer Armeebefehl des Kaisers vom 16. Sept. bedenklichen Charakter gewann, veranlaßte Körber, den Reichsrat 23. Sept. einzuberufen, der die Rekrutenvorlage genehmigte, die durch die ungarische Krise nötig geworden war, aber nicht einmal in die Verhandlung des Budgetprovisoriums eintreten konnte. Die Tschechen verharrten in der Obstruktion und stellten 8. Nov. ein unerfüllbares staatsrechtliches Programm auf, weshalb der Reichsrat 12. Dez. vertagt wurde. Schon vorher hatte der böhmische Landtag seine Tätigkeit einstellen müssen, weil daselbst die Deutschen die Obstruktion für so lange einführten, als der Reichsrat durch die tschechische Obstruktion in seiner Tätigkeit behindert würde. Auch im Frühjahr 1904 zeigte das Abgeordnetenhaus, das am 8. März zusammentrat, wie der Ministerpräsident sich ausdrückte, »das Bild einer parlamentarisch toten Stadt«, da außer den Wahlen in die Delegation und Quotendeputation die Zeit mit der obstruktionistischen Verlesung von Interpellationen totgeschlagen wurde.
Hierzu kamen neue Schwierigkeiten. Die Einführung der italienischen Kurse an der Innsbrucker Universität hatten schon im Mai 1903 zu ernsten Unruhen und bald zur Aufhebung dieser Kurse geführt. Die Italiener verlangten eine besondere italienische Universität in Triest, während der Ministerpräsident nur die Errichtung an einem passenden Orte, gedacht wurde an Rovereto, versprach. Die Slowenen verlangten slowenische Parallelklassen am Triester deutschen Gymnasium, nebst einer slowenischen Akademie in Laibach. Beide Parteien unterstützten, da ihre Wünsche nicht erfüllt werden konnten, die tschechische Obstruktion. Die deutschen Parteien wiederum waren ungehalten über den Erlaß bezüglich der Anerkennung der an der Agramer Universität betriebenen Rechtsstudien und abgelegten Prüfungen an andern österreichischen Universitäten sowie über die geplante Errichtung tschechischer und polnischer Parallelklassen an den deutschen Lehrerbildungsanstalten in Schlesien. Ebenso verstimmte in deutschen Kreisen die vom Ministerpräsidenten im August unternommene Reise nach Galizien und die im Oktober vorgenommene Umbildung des Kabinetts, bei welcher der Finanzminister Böhm v. Bawerk durch den frühern Direktor der Postsparkassen Kosel, Ackerbauminister Giovanelli durch den Grafen Bucquoy ersetzt und Professor Randa von der tschechischen Universität in Prag zum tschechischen Landsmannminister ernannt wurde. Die von der Regierung durch eine bloße Verordnung errichtete provisorische rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät mit italienischer Vortragssprache in Innsbruck mußte wieder geschlossen werden, als in Innsbruck Anfang November 1904 abermals große Unruhen ausbrachen, die auch die Studentenschaft in Wien erfaßte. Die unter solchen Auspizien 17. Nov. begonnene neue Session im Reichsrat verlief daher überaus stürmisch und wurde 9. Dez. geschlossen, da die von der Regierung eingebrachten Refundierungsforderungen (Ausgabe von 69 Mill. Kr. Tilgungsrente behufs Refundierung an die Kassenbestände) abgelehnt wurden. Diese Schwierigkeiten veranlaßten das Ministerium Körber, seine Demission einzureichen, die denn auch 27. Dez. vom Kaiser angenommen wurde, worauf Freiherr v. Gautsch 31. Dez. die Kabinettsbildung übernahm. Er ergänzte das Ministerium durch die Ernennung des bisherigen Statthalters von Oberösterreich Graf Bylandt-Rheidt zum Minister des Innern und des Sektionschefs Klein zum Leiter des Justizministeriums und eröffnete den Reichsrat 24. Jan. 1905 mit einer optimistischen Rede. In der Tat nahm die Session anfangs einen sachlichen Verlauf: die zahlreichen (181) Dringlichkeitsanträge, durch welche die Verhandlung der Tagesordnung verlegt war, wurden von den Parteien zurückgezogen; die Refundierungsvorlage wurde genehmigt, selbst die Ersetzung des Eisenbahnministers v. Wittek, der große Etatsüberschreitungen beim Bau der Alpenbahnen zugelassen hatte, durch den Sektionschef Wrba (2. Mai) hatte auf die Stellung der Regierung kemen weitern Einfluß. Auch wurde trotz langer, zeitweise stürmischer Beratung, die überdies von der tschechisch-radikalen Partei durch Obstruktion behindert wurde, 6. Juli sowohl der Handelsvertrag mit Deutschland als auch das provisorische Abkommen mit der Schweiz und Bulgarien unter Dach gebracht und der Reichsrat alsbald vertagt.
Vor seiner Wiedereröffnung hatten sich einige wesentliche Änderungen im Ministerium vollzogen, indem 11. Sept. der Minister für Kultus und Unterricht v. Hartel und der Handelsminister v. Call zurückgetreten und durch bisherige Sektionschefs, Richard Freiherrn v. Bienerth (geb. 1863 in Verona) für die Leitung des Unterrichtsministeriums und Graf Leopold Auersperg (geb. 1855 in Budapest) für jene des Handelsministeriums, ersetzt worden waren. Die neue Session stand von Anbeginn unter dem Eindruck der Verhältnisse in Ungarn, woselbst die Regierung im August die Einführung des allgemeinen Wahlrechts behufs Lösung der innerpolitischen Krise ernstlich ins Auge gefaßt hatte, zur Einbringung eines dahinzielenden Gesetzes aber nicht die Zustimmung der Krone erhielt und deshalb im September ihr Entlassungsgesuch einbrachte. Es verlautete, daß der Widerstand der Krone mit ernsten Bedenken, die das österreichische Ministerium bezüglich der Rückwirkung, die das in Ungarn eingeführte allgemeine Wahlrecht auf O. haben mußte, zusammenhing. Ministerpräsident v. Gautsch erklärte denn auch allsogleich in der Eröffnungssitzung des Abgeordnetenhauses (26. Sept.), daß er ein Gegner der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in O. sei, und zwar mit der Begründung, daß die Rücksicht auf die nationale Zusammensetzung Österreichs der Regierung den Schutz wichtiger Interessen zur Pflicht mache, ein allgemeines Wahlrecht in Zisleithanien, wenn es die Gewähr seines Bestehens in sich tragen solle, nur auf der festen und dauernden Unterlage der Ordnung der nationalen Verhältnisse beruhen könne. Die an diese Ministererklärung und an den von den Tschechen 5. Okt. gestellten Dringlichkeitsantrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts sich anschließende Debatte endete zwar mit der Ablehnung der Dringlichkeit, für die Zweidrittelmajorität nötig gewesen wäre; allein die Abstimmung ergab, daß die Mehrheit der Häuser sich tatsächlich für das allgemeine gleiche Wahlrecht ausgesprochen hatte. Das Abgeordnetenhaus wurde schon 6. Okt. vertagt, um die Landtagssession möglich zu machen; allein von diesem Augenblick an stand das ganze innerpolitische Leben Österreichs unter dem Gedanken der Einführung des allgemeinen gleichen Stimmrechts für die Wahlen ins Abgeordnetenhaus. In vielen größern Städten fanden Massendemonstrationen für das allgemeine Wahl recht statt, so daß die Regierung (vgl. »Wiener Abendpost« vom 4. Nov. 1905) ihren frühern grundsätzlichen Widerstand aufgab. Als der Reichsrat 28. Nov. wieder zusammentrat (am selben Tage demonstrierte die Wiener Arbeiterschaft durch einen Massenumzug von etwa 100,000 Menschen für das allgemeine Wahlrecht), kündigte der Ministerpräsident an, binnen zwei Monaten den Entwurf einer Wahlreform auf Grundlage des allgemeinen Wahlrechts dem Hause vorzulegen. Diese Zusage wurde im Abgeordnetenhaus mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, während sich im Herrenhaus in der Debatte vom 1. und 2. Dez. besonders die Vertreter des Feudaladels (Fürst Karl Schwarzenberg und Graf Karl Thun) auf das heftigste gegen das Reformprojekt in den vom Ministerpräsidenten kundgegebenen Grundzügen aussprachen. Die parlamentarischen Weihnachtsferien vom 19. Dez. 1905 bis 30. Jan. 1906 wurden zu eingehenden Besprechungen des Ministerpräsidenten mit den Parteien benutzt; auch wurde ein erster (vergeblicher) Versuch der Parlamentarisierung des Kabinetts angebahnt. Am 23. Febr. 1906 brachte sodann die Regierung ihren Wahlreformantrag im Abgeordnetenhaus ein, der aus folgenden fünf Gesetzentwürfen bestand: 1) Änderung des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, 2) Reichsratswahlordnung samt Wahlbezirkseinteilung, 3) Schutz der Wahlfreiheit, 4) Ergänzung des § 16 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung (Immunität der Abgeordneten) und 5) Abänderung der Geschäftsordnung des Reichsrats. Wiewohl die Verquickung der Reform der Geschäftsordnung und die nationale Verteilung der Mandate (Deutsche 205, Tschechen 99, Polen und Ruthenen 95, Italiener 17, Südslawen 35, Rumänen 4; zusammen 455) von Anfang an bei den verschiedenen Parteien lebhaften Widerspruch erweckten, erfolgte doch Mitte März die Wahl eines Ausschusses für die weitere Beratung, da der Ministerpräsident und der Minister des Innern einige Abänderungen der Vorlage, betreffend die Zahl der Mandate und die Einteilung der Wahlbezirke, in Aussicht gestellt hatten. Allein schon die Einbringung der beiden Dringlichkeitsanträge, 1) auf die Sonderstellung Galiziens durch den Alldeutschen Schönerer, 2) auf Verfassungsrevision durch den Jungtschechen Herold, ließ deutlich erkennen, daß das Wahlreformprojekt in dieser Form auf Schwierigkeiten stoße. Die Dringlichkeit, für die eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen wäre, wurde zwar beiden Anträgen aberkannt, aber daß der erstere, über die Sonderstellung Galiziens, überhaupt eine Majorität von 19 Stimmen erzielen konnte, wurde als eine Schlappe der Regierung angesehen, besonders da sich die gegensätzlichsten Parteien (Alldeutsche und Polen) bei dieser Abstimmung zusammenfanden. Unter dem Vorwand der notwendigen Einberufung des krainischen Landtags erfuhren durch Vertagung des Reichsrats 31. März die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses und somit auch des Wahlreformausschusses eine unerwartet frühe Unterbrechung, um Zeit für neue Verhandlungen zu gewinnen.
Wichtig wurde der in den ersten Tagen des April vollzogene Abschluß der ungarischen innerpolitischen Krise durch den Friedensschluß zwischen Krone und Koalition mit Ernennung des Ministeriums Wekerle. Das am 24. April zusammentretende Parl. unent traf somit eine neue, gründlich veränderte Lage: die Wahl reformschwierigkeiten hatten sich nicht vermindert, hinzugekommen war die Aussicht, alsbald im Abgeordnetenhaus in ernste, weittragende Verhandlungen über das Verhältnis Österreichs zu Ungarn eintreten zu müssen und die Delegationswahlen vornehmen zu lassen. Der Ministerpräsident glaubte durch einen ernsten Versuch der Parlamentarisierung des Kabinetts, derart, daß alle drei großen Parteien, Deutsche, Tschechen und Polen, darin vertreten sein sollten, den Weg zu finden, um vor allem die Wahlreform zu sichern. Allein die Polen stellten an ihren Eintritt ins Ministerium derartige Bedingungen bezüglich Änderung der Wahlreformvorlage, daß auf dieser Grundlage kein Einvernehmen zu erzielen war. Am 30. April reichte der Ministerpräsident Gautsch seine Entlassung ein, die ihm ebenso wie dem Minister des Innern, Grafen Bylandt-Rheidt, 2. Mai vom Kaiser bewilligt wurde. Gleichzeitig wurde der Reichsrat für kurze Zeit bis zur Konstituierung des neuen Ministeriums vertagt. Zum Ministerpräsidenten ernannte der Kaiser den Prinzen Konrad zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Sohn des verstorbenen Obersthofmeisters des Kaisers, Konstantin Fürsten Hohenlohe (geb. 1863), der zuletzt die Statthalterwürde in Triest bekleidet hatte. Nach langwierigen Vorbesprechungen mit den Abgeordneten aller Parteischattierungen wurde der Reichsrat 15. Mai wieder eröffnet. Als die zwei wichtigsten Punkte seines Programms erklärte der Ministerpräsident die Durchführung der Wahlreform und die Regelung des Verhältnisses zu Ungarn. In ersterer Beziehung war von dem Ministerpräsidenten schon von früher bekannt, daß er ein warmer Anhänger des allgemeinen Wahlrechts sei und diese seine politische Überzeugung ihn als Nachfolger des Freiherrn von Gautsch empfohlen habe. Seine Ausführungen in der Programmrede gipfelten denn auch in dem Satze, daß die Wahlreform nicht nur »eine Forderung der Gerechtigkeit gegen die untern Volksschichten sei, die in ihren politischen Rechten trotz ihrer Entwickelung bisher zurückgesetzt waren«, sondern auch das nationale Friedenswerk in O. begründen oder wenigstens dessen Durchführung erleichtern werde. Was den österreichisch-ungarischen Ausgleich anlangt, so stellte Hohenlohe in Aussicht, daß zwischen beiden Regierungen Verhandlungen über »den ganzen Komplex« der strittigen Fragen eingeleitet werden sollten. Dem gegenüber trat aber der ungarische Ministerpräsident mit der Absicht auf, den zwischen den Ministerien Körber und Szell als gemeinsam vereinbarten Zolltarif, der auch vom österreichischen Reichsrat als solcher votiert wurde, dem unmittelbar zu eröffnenden ungarischen Reichstag als autonomen ungarischen Zolltarif vorzulegen. Die Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Ministerpräsidenten konnte nicht ausgeglichen werden, obwohl wiederholt Kronrat unter Vorsitz des Kaisers abgehalten wurde, da Hohenlohe auf dem unzweifelhaft zutreffenden Standpunkt beharrte, daß an dem bestehenden Zustande vor den zu pflegenden Verhandlungen einseitig nichts geändert werden dürfe. Wider alles Erwarten erhielt aber der Standpunkt des ungarischen Ministerpräsidenten die Sanktion des Kaisers 27. Mai, worauf Hohenlohe und das Gesamtministerium ihre Demission überreichten, die denn auch mit kaiserlichem Handschreiben vom 29. Mai angenommen wurde.
Die Niederlage Hohenlohes und des österreichischen Standpunktes überhaupt in einer für die Ausgleichsverhandlungen symptomatischen Frage erzeugten in den Kreisen der österreichischen Abgeordneten ungeheure Aufregung. Noch mehr verstimmte, daß die für 29. Mai verfassungsgemäß bereits einberufene Sitzung des Abgeordnetenhauses kurzerhand abgesagt wurde. Zahlreiche Abgeordnete versammelten sich denn an diesem Tag im Parlament und hielten auch ohne Präsidentschaft eine »freie Sitzung« ab, bei der Prade den Vorsitz führte. Hier wurde gegen eine etwa geplante Vertagung des Reichsrates entschieden Stellung genommen. Das hatte die Wirkung, daß schon 30. Mai die regelrechte Tätigkeit des Abgeordnetenhauses wieder aufgenommen und in einem Dringlichkeitsantrag gegen das einseitige Vorgehen Ungarns in der Frage des Zolltarifs entschiedene Verwahrung eingelegt wurde.
Die allgemeine Überzeugung, daß nur durch energisches und einträchtiges Auftreten des österreichischen Parlaments den einseitigen Bestrebungen Ungarns die Wage gehalten werden könne, ließ auch den schon seit längerer Zeit keimenden Gedanken zur Reise kommen, ein parlamentarisches Ministerium in O. zu bilden. Mit dieser Mission wurde schon 29. Mai Freiherr Max Wladimir v. Beck, bisheriger Sektionschef im Ackerbauministerium und Vertrauensperson des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, betraut, der nach einigen Schwierigkeiten das neue Kabinett schon am folgenden Tage folgendermaßen zusammensetzte, das auch vom Kaiser 2. Juni bestätigt wurde; Ministerpräsident: Freiherr v. Beck, Minister des Innern: der bisherige Leiter des Unterrichtsministeriums Richard Freiherr v. Bienerth, Unterrichtsminister: der Rektor der Hochschule für Bodenkultur Hofrat Gustav Marchet, Justizminister: der bisherige Leiter des Justizministeriums Franz Klein, Finanzminister: der Vizepräsident der Lemberger Finanzlandesdirektion Witold R. v. Kocytowski, Handelsminister: der bisherige Sektionschef im Eisenbahnministerium Joseph Forscht, Eisenbahnminister: Julius Derschatta Edler v. Standhalt, Ackerbauminister: der bisherige Leiter des Handelsministeriums Graf Leopold Auersperg, Landesverteidigungsminister: der bisherige Minister Feldzeugmeister Schönaich, deutscher Landsmannminister: der Abgeordnete Heinrich Prade, tschechischer Landsmannminister: der Abgeordnete Friedrich Pacak, polnischer Landsmannminister: der Abgeordnete Graf Adalbert Dzieduszycki.
Das neue Kabinett stellt sich als ein Koalitionsministerium dar, das die Führer der Deutschen, Polen und Tschechen vereinigt, in dem aber auch die hauptsächlichsten politischen Richtungen vertreten sind: Fortschritt und Konservatismus, Zentralismus und Föderalismus. In seiner Programmrede im Abgeordnetenhaus 7. Juni erklärte der Ministerpräsident, daß die neue Regierung eine »Konzentration von Kräften der Arbeit« darstelle, entnommen teils den großen parlamentarischen Parteien, teils dem Stande der Beamten, weil die Lage Österreichs die »Zusammenfassung der großen nationalen Kräfte gebieterisch fordert«. In bezug auf das Verhältnis zu Ungarn betonte der Ministerpräsident, daß O. daran festhalte, daß nur über den ganzen Komplex der mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich zusammenhängenden Fragen verhandelt werden darf, daß man aber auch die Möglichkeit selbständiger Verfügungen von österreichischer Seite ins Auge fassen müsse. Als weitere wichtigste Programmpunkte bezeichnete der Ministerpräsident die Verstaatlichung der Privatbahnen, die Wahlreform und die nationale Verständigung.
[Geschichtsliteratur.] Gesamtdarstellungen: Coxe, Geschichte des Hauses Österreich (deutsch von Dippold u. Wagner, Leipz. 1810–17, 4 Bde.; eine englische Fortsetzung bis 1852 erschien Lond. 1853); Lichnowski, Geschichte des Hauses Habsburg bis zum Tod Kaiser Maximilians I. (Wien 1836–44, 8 Bde.); Mailath, Geschichte des österreichischen Kaiserstaates (Hamb. 1834–50, 5 Bde.); Büdinger, Österreichische Geschichte bis zum Ausgange des 13. Jahrhunderts (1. Bd., Leipz. 1858); »Österreichische Geschichte für das Volk« (Sammelwerk, Wien 1864 ff.); Krones, Handbuch der Geschichte Österreichs (Berl. 1876–79, 5 Bde.); F. M. Mayer, Geschichte Österreichs mit besonderer Rücksicht auf das Kulturleben (2. Aufl., Wien u. Leipz. 1899–1901, 2 Bde.); Huber, Geschichte Österreichs (Gotha 1885–96, Bd. 1–5) und Österreichische Reichsgeschichte (2. Aufl., bearbeitet von Dopsch, Wien 1901); v. Zeißberg, Geschichtliche Übersicht der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in »Die Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und Bild«, Bd. 3 (das. 1887); Luschin v. Ebengreuth, Österreichische Reichsgeschichte (Bamb. 1895–96, 2 Bde.) und Grundriß der österreichischen Reichsgeschichte (das. 1899); Bachmann, Österreichische Reichsgeschichte (2. Aufl., Prag 1904); Vancsa, Geschichte Nieder- und Oberösterreichs (Gotha 1905, Bd. 1). Insbesondere für die neuere Zeit: Springer, Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809 (Leipz. 1863–65, 2 Bde.); v. Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgange des Wiener Oktoberaufstandes 1848 (Prag 1869–86, 6 Bde.); Rogge, O. von Világos bis zur Gegenwart (Leipz. 1872–73, 3 Bde.) und O. seit der Katastrophe Hohenwart-Beust (das. 1879, 2 Bde.); Wertheimer, Geschichte Österreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts (das. 1884–90, 2 Bde.); Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–1866 (6. Aufl., Stuttg. 1904, 2 Bde.); Kolmer, Parlament und Verfassung in O. 1848–1885 (Wien u. Leipz. 1902–05, 3 Bde.); Rauter, Geschichte Österreichs von 1848–1890 (Wien 1891).
Literaturnachweise, Quellen etc.: Schmit Ritter v. Tavera, Bibliographie zur Geschichte des österreichischen Kaiserstaates (1. Abt., Wien 1858, 2 Bde.); Krones, Grundriß der österreichischen Geschichte (das. 1881–83, 4 Tle.); Dahlmann u. Waitz, Quellenkunde der deutschen Geschichte (7. Aufl. von E. Brandenburg, Leipz. 1905 ff.). Vgl. ferner: Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums O. (Wien 1857–92, 60 Bde.); die von der kaiserlichen Akademie seit 1849 herausgegebene Sammlung von Quellenschriften u. d. T.: »Fontes rerum Austriacarum« (bis 1906: 67 Bde.), das »Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen«, später »Archiv für österreichische Geschichte« (Wien 1848–1905, Bd. 1–94; Register zu Bd. 1–80) und die »Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung« (Innsbr. 1880–1906, Bd. 1–27 und 6 Ergänzungsbände); »Autogramme zur neuern Geschichte der habsburgischen Länder«, herausgegeben von der Direktion des k. u. k. Kriegsarchivs (Bd. 1: Die Habsburger, Wien 1906). Über die von der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Generalstabs u. dem Kriegsarchiv herausgegebenen Werke s. Generalstab.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.