- Erkenntnis [1]
Erkenntnis, im abstrakten Sinn die Auffassung und Nachbildung des Wirklichen und seiner Beziehungen im Denken, im konkreten das einzelne Produkt oder Resultat des Erkennens. Alles Denken (s.d.) ist seinem Wesen nach ein, wenn auch nicht immer wahres, Erkennen, und umgekehrt beruht jede E. auf einem Akte des Denkens. Kein Denken aber kann des Inhalts oder Stoffes entbehren, an dem es ausgeübt wird, und je nachdem nun diesem Stoff oder der ihn bearbeitenden Tätigkeit der Hauptanteil an dem Ergebnis zukommt, hat man verschiedene Stufen oder Arten der E. unterschieden. Bei der anschaulichen E. werden die Beziehungen einzelner, individueller Gegenstände auf Grund der unmittelbaren Gegenwart derselben vor dem äußern oder dem innern Sinn (Wahrnehmung, »reine« Anschauung) erfaßt. Die Verstandes erkenntnis bedient sich des Begriffs als Hilfsmittel zur Auffassung der Wirklichkeit, sie setzt deshalb die Vergleichung einer Mehrheit einzelner Tatsachen, die Abstraktion des Allgemeinen aus dem Individuellen voraus und lehrt die konkreten Dinge als Repräsentanten allgemeiner Arten, die einzelnen Vorgänge als Beispiele allgemeiner Gesetze betrachten. Der Vernunft erkenntnis endlich ist es eigentümlich, daß sie, dem Triebe nach Einheit folgend, den gesamten Inhalt des Erkennens zu einem geschlossenen System zu verknüpfen sucht, ohne sich dabei an die Bedingung der Anschaulichkeit zu binden, die für die Verstandeserkenntnis maßgebend bleibt; ihr Erzeugnis ist daher die Idee (s.d.). Während wir im gewöhnlichen Leben im allgemeinen auf der Stufe der anschaulichen E. uns bewegen, herrscht in den Einzelwissenschaften die Verstandeserkenntnis vor, aus der heraus sich in der Metaphysik (s.d.) die Vernunfterkenntnis entwickelt. Je nachdem die E. sich auf die Erfahrung oder auf die subjektiven Bedingungen der Erfahrung (die Gesetze des Anschauens und Denkens) gründet, unterscheidet man (mit Kant) E. a posteriori und a priori.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.