Hutten

Hutten

Hutten, 1) Ulrich, Ritter von, ritterlicher Vorkämpfer des Humanismus und der geistigen Freiheit, geb. 21. April 1488 auf dem Stammsitz seiner Familie, der Burg Steckelberg bei Fulda, gest. 1523, war der Sohn des Ritters Ulrich v. H. und der Ottilia v. Eberstein. H. kam 1499 in das Stift zu Fulda, um geistliche Erziehung zu genießen, verließ 1505 heimlich das Kloster und studierte in Köln bei Johann Rhagius, dann in Erfurt bei Eoban Hesse und Maternus Pistoris Latein und Griechisch. Nachhaltig wirkte dort auf ihn Mutianus R usus von dem benachbarten Gotha aus. Seinem Lehrer Rhagius folgte H. 1506 nach Frankfurt a. O., wo er Bakkalaureus wurde, und 1507 nach Leipzig. In diese Zeit fallen seine ersten, wenn auch noch unfertigen poetischen Versuche: eine Elegie an Eoban, ein Lobgedicht auf die Mark, eine Ermahnung zur Tugend. Seit 1509 trieb er, von Reiselust und Wißbegierde gelockt, ein unstetes Wanderleben, verlor bei der Eroberung von Pavia 1512 sein Letztes und trat aus Not t 513 in die Reihen der kaiserlichen Landsknechte. Auf die Kunde von der Ermordung Hans v. Huttens schrieb er fünf Reden gegen Herzog Ulrich (s. d.) von Württemberg, die vornehmlich dessen Achtung herbeiführten, und ein »Tyrannengespräch« (»Phalarismus«), worin er zuerst seinen Wahlspruch: »Jacta est alea« (»Ich hab's gewagt«) gebrauchte. Diese Teilnahme an dem Schicksal seines Verwandten versöhnte seinen Vater wieder mit ihm, der mit seiner Flucht aus dem Kloster und seinen wissenschaftlichen Studien sehr unzufrieden gewesen war. Die Angriffe der Kölner Dominikaner auf Reuchlin (s. d.) erregten Huttens lebendigste Teilnahme und veranlaßten sein wohl 1514 gefertigtes Gedicht »Triumphus Capnionis«, worin er die Gegner des Humanismus als Feinde der Wissenschaften und der beginnenden Aufklärung angriff. Gegen den Anfang des Jahres 1516 erschienen die »Epistolae obscurorum virorum« (s. d.). H. schrieb in Bologna eine Anzahl ähnlicher Briefe, die 1517 als 2. Teil gedruckt wurden.

Aus Italien 1517 nach Deutschland zurückgekehrt, erhielt H. in Augsburg von Kaiser Maximilian den Lorbeerkranz und den Goldenen Ring. Zum Dichter und Universitätsredner ernannt, machte er sich den Kampf gegen Rom und für das von der Kurie ausgebeutete deutsche Vaterland zur Lebensaufgabe. Er nahm die Dienste des humanistenfreundlichen Erzbischofs Albrecht von Mainz, der bekanntlich den Anlaß zu Luthers Angriff auf den Ablaß gab und, innerlich über Roms Geldgier empört, mit Huttens kecker Kampfweise wohl zufrieden war. Dieser hatte soeben die Schrift des Laurentius Valla: »De donatione Constantini quid veri habeat«, herausgegeben und damit die weltliche Herrschaft des Papstes in ihrer Grundlage angegriffen. Während des Augsburger Reichstags, den er 1518 mit dem Erzbischof besuchte, ermahnte er in seiner Schrift »Ad principes germanos ut bellum Turcis inferant exhortatoria«, der deutschen Nation ihre Zerrissenheit vor Augen stellend, zur Einigkeit und zum gemeinsamen Kampf gegen den Glaubensfeind, dann verließ er, des Hoflebens müde (er geißelte es damals in einem Dialog), den Dienst des Mainzer Erzbischofs und beteiligte sich in Schwaben an dem Feldzug gegen Herzog Ulrich (1519). H. trat jetzt Franz v. Sickingen (s. d.), der die politische Wiedergeburt Deutschlands anstrebte, näher, und ebenso Luther. In mehreren Gesprächen, unter denen der »Vadiscus, oder die römische Dreifaltigkeit« das bedeutendste ist, deckte er das materielle und moralische Unheil auf, das von Rom aus seit langem schon über Deutschland hereingebrochen sei. Von fast gleicher Bedeutung wie der »Vadiscus«, aber noch vollendeter in der Form waren »Die Anschauenden«; auch hier fehlt es nicht an Spottreden über den hochmütigen Klerus (sein Repräsentant ist Cajetan), aber die Hauptsache ist eine Schilderung der deutschen Zustände, wie sie dem Sonnengott von seinem erhöhten Standpunkt aus erscheinen. In der Vorrede zu einer Sammlung von kirchenpolitischen Streitschriften aus dem 14. Jahrh. warnte H. die Nation vor den schriftstellernden Schmeichlern und munterte sie zum Kampfe für die Geistesfreiheit auf (»De schismate extinguendo etc.«, 1520).

Im Sommer 1520 war H. an den Hof des Erzherzogs Ferdinand nach den Niederlanden gegangen, wo man damals die Ankunft des neuen Kaisers, Karls V., erwartete, kehrte aber bald zurück, denn von Rom aus war an Erzbischof Albrecht der Befehl ergangen, die Frechheit der Lästerer, unter denen sein Diener H. der schlimmste sei, zu züchtigen. H. fand einstweilen eine Zuflucht auf der Ebernburg bei Franz v. Sickingen, verteidigte sich von hier aus in einem Sendschreiben an die Deutschen aller Stände, begann noch vor Ende 1520 um der größern Wirkung willen deutsch zu schreiben mit der Schrift »Klag vnd vormanung gegen den übermässigen gewalt des Bapsts«. Der Wormser Reichstag, die Besorgnis für Luthers Leben und den Ausgang der guten Sache veranlaßten H. zu einer wahren Flut von Schmähschriften gegen die Römlinge, vor allen gegen den Legaten Aleander; er leitete sie durch ein Sendschreiben an Kaiser Karl ein, worin er den jugendlichen Monarchen vor seinen geistlichen Ratgebern warnte. Doch Karl nahm das Schreiben ungnädig auf und änderte seine Haltung gegen Luther auch nicht, als ihn H. in einem zweiten milder zu stimmen versuchte. Luthers Verurteilung versetzte ihn in die größte Entrüstung. Doch vergebens bemühte er sich, einen Bund der Ritter und Städte herbeizuführen; Sickingen brachte zwar 1522 einen Bund der rheinischen Ritterschaft zustande, doch mißlang sein Zug gegen den Erzbischof von Trier; H. hatte, wenn er Sickingens Feinden in die Hände geriet, das Schlimmste zu befürchten und floh nach Basel, wo ihm sein langjähriger Mitstreiter Erasmus, zu weichmütig für jene eiserne Zeit, die Aufnahme versagte; Zwingli dagegen gewährte ihm eine Zuflucht, fand aber einen gebrochenen Mann. Jahrelang hatte Huttens Feuergeist gegen die verheerende Krankheit (Franzosenkrankheit, Syphilis), die auch ihn befallen hatte, angekämpft; trotz des Besuchs der warmen Quellen in Pfäfers schritt die Krankheit fort. Zwingli erwirkte ihm zwar bei einem heilkundigen und wohlgesinnten Geistlichen Aufnahme auf der Insel Ufnau im Züricher See, aber wenige Monate nach Sickingens traurigem Untergang machte ein schneller Tod den Leiden des Freundes ein Ende (in den letzten Tagen des August oder Anfang September 1523). Die Idee, für die H. zuletzt, aus dem literarischen Humanismus kommend, gelebt hatte, Deutschland zugleich kirchlich und politisch neu zu gestalten, ging mit ihm zu Grabe. Seine Werke hat zuletzt Böcking herausgegeben (Leipz. 1859–62, 5 Bde., mit 2 Supplementbänden); ein Verzeichnis der Schriften Huttens enthält Böckings »Index bibliographicus Huttenianus« (das. 1858). Die Gespräche sind übersetzt und erläutert von D. Strauß (Leipz. 1860). 1889 wurde H. und Sickingen ein großes Denkmal (von Cauer) auf der Ebernburg errichtet; vgl. auch Tafel »Berliner Denkmäler II«, Fig. 3. Vgl. D. Strauß, Ulrich von H. (6. Aufl., Bonn 1895); Szamatólski, U. v. Huttens deutsche Schriften (Straßb. 1891); Volksschriften von Lange (Gütersl. 1888), Reichenbach (2. Aufl., Leipz. 1888), Schott (Halle 1890), Pappritz (Marb. 1893) u. a. – Die heldenhafte Persönlichkeit Huttens übte übrigens auch auf die neuere Dichtung eine mächtige Anziehungskraft. In epischer Form wurde sein Leben behandelt von Ernst v. Brunnow in dem Roman »Ulrich v. H.« (Leipz. 1843), von A. E. Fröhlich in den Gesängen »Ulrich v. H.« (Zürich 1845), von A. Schlönbach in einem gleichnamigen Epos (Berl. 1862), am vortrefflichsten von K. F. Meyer in der lyrischepischen Dichtung »Huttens letzte Tage« (Leipz. 1871). Zum Helden eines Dramas machten ihn R. Gottschall, H. Köster, G. Logau, K. Nissel und K. Berger.

2) Hans von, s. Ulrich, Herzog von Württemberg.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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