- Serbĭen
Serbĭen (türk. Sirp, slaw. Srbija), Königreich, zwischen 42°22'–44°58' nördl. Br. und 19°10' bis 22°49' östl. L., grenzt im N. an Österreich-Ungarn (durch die untere Donau und die Save davon getrennt), im O. an Rumänien und Bulgarien, im Süden an Bulgarien und die Türkei, im W. an das Wilajet Kosovo und an Bosnien. (S. Karte »Rumänien, Bulgarien, Serbien etc.«, für den westlichen Teil auch die Karte »Bosnien«.)
[Physische Verhältnisse.] S. ist ein von zahlreichen Flußtälern und Schluchten durchschnittenes Berg- und Hügelland, letzteres als Schumadija (d. h. Waldland) ein Drittel des Landes einnehmend und seinen fruchtbarsten, bestbewässerten und am leichtesten für den Verkehr zugänglichen Teil bildend. Höhere Gebirge, den Übergang von den Dinarischen Ketten zum Balkan und zu den Transsylvanischen Alpen bildend, erheben sich im SW. und O. Im westlichen S. ziehen sich die Ausläufer der Gebirge von Bosnien und Novipasar hin, darunter Povljen Planina (1480 m), Golija Planina (1925 m), Kopaonik (2140 m). Das wald- und erzreiche Gebirgsland von Ostserbien erreicht seine größte Höhe an der bulgarischen Grenze: Skara Planina (Pobježdin Potok, 2119 m; Midžor, der höchste Gebirgszug des Landes, 2186 m); der Nordosten wird von den serbischen Karpathen erfüllt. Ebenen sind: die Matschwa längs der Drina und Save, der Stig längs der Morawa und Mlawa und die fruchtbare Talebene des Timok.
Geologische Beschaffenheit. Kristallinische Schiefer zusammen mit Granit und Diorit sind sowohl im nordöstlichen als auch im mittlern und südlichen S. sehr verbreitet. An der Grenze gegen Bosnien und am Kopaonik treten für paläozoisch gehaltene Tonschiefer, Grauwacken, Sandsteine und Quarzite hervor; karbonische Schichten finden sich zwischen Pek und Mlawa und an mehreren andern Stellen der östlichen Landesteile. Triadische Schichten sind nur im W. von S. bekannt, dem Dogger und dem Tithon angehörige Jurasedimente treten nur sporadisch in Ostserbien auf. Dagegen nehmen Kalksteine, Mergel, Sandsteine und Schiefertone der Kreideformation, zum Teil reich an Hippuriten, breite, zusammenhängende Flächen am Westabhang des Balkans ein und dringen von Zentralserbien, wo sie von großen Serpentinmassen und von Rhyolithen, Trachyten und Andesiten durchbrochen werden, gegen W. und SW. bis zur bosnischen Grenze vor. Das Neogen bedeckt im Savebecken, ferner zwischen Belgrad, Semendria und Kragujevac, am Oberlauf der Morawa und im Timoktal große Flächenräume. Von diluvialen Bildungen ist noch erwähnenswert der Löß, dem man besonders längs der Donau und der Save begegnet.
Das Klima ist gemäßigt, aber großen Schwankungen unterworfen, rauh im südlichen gebirgigen Teil des Landes. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt 11,4° (mittlere Extreme 36° und -15°). In Belgrad fallen jährlich 66 cm Niederschläge, und zwar vorwiegend im April bis Juli und im Oktober an durchschnittlich 153 Tagen.
Das östliche S. (östlich der südlichen Morawa) besitzt eine Flora mit südrussischen, teilweise asiatischen und größtenteils mitteleuropäischen Elementen; dieselbe Vegetation erstreckt sich als pontisch-pannonische Flora über Slawonien, Ungarn und in ihren letzten Ausläufern bis nach Niederösterreich, Mähren und Böhmen. Die Region der Ebene und des Hügellandes reicht bis zu einer Höhe von 600 m und ist charakterisiert durch das gänzliche Fehlen der Wälder; in die ursprünglich rein pontische Vegetation dieser Region sind viele mediterrane und kleinasiatisch-thrakische Elemente eingedrungen, von denen die meisten hier ihre nördliche, bez. westliche Grenze gefunden haben. Die Bergregion beginnt bei einer Höhe von 600 m, über welche Grenze Weingärten, Tabak und Melonen nicht emporsteigen; charakteristisch ist hier die Buschwaldformation mit besonders entwickelten Beständen von Quercus Cerris. Schon bei 1100 m Höhe kann man die untere Grenze der subalpinen Region annehmen, in welcher der Buschwald und die Eichenbestände verschwinden, um der Buche Platz zu machen. Prächtige Urwälder bilden bis zu einer Höhe von 1660 m zum großen Teil geschlossene Bestände, während Nadelhölzer weniger in Betracht kommen. Die alpine Region beginnt dort, wo die schon vereinzelt und sporadisch vorkommenden Fichten und Tannen nicht mehr baumförmig werden, und wo Juniperus nana auftritt; die Vegetation ist ein Gemisch von alpinen Pflanzen, welche die Alpen und Karpathen bewohnen, und einer ungemein großen Anzahl von endemischen Rassen, die ebenfalls nur der Hochgebirgsregion angehören. Die Pflanzenwelt des westlichen S. schließt sich eng an die von Kroatien, Bosnien, Montenegro und der Herzegowina an.
Die Hauptflüsse des Landes fließen den nördlichen Grenzströmen Donau und Save zu: der Save die Drina, der Grenzfluß gegen Bosnien, die Tamnawa mit dem Ub, die Kolubara (117 km), der Donau, in der mehrere zu S. gehörige Inseln liegen, die Morawa (mit 443 km Länge, 27,900 qkm Stromgebiet), nächst der Donau der bedeutendste Fluß des Landes. Ganz S., das von der Morawa (s. d.) in zwei Teile zerlegt wird, ist im wesentlichen als das Flußgebiet der Morawa aufzufassen, die auch als eigentlicher Nationalfluß Serbiens gilt. Sie entsteht aus der Vereinigung der westlichen und südlichen Morawa, deren Hauptnebenflüsse Ibar, Toplitza (101 km) und Nischawa (143 km) sind. In die Donau münden ferner: Mlawa (109 km), Pek (112 km) und Timok (182 km). Mineralquellen gibt es viele, warme besonders im östlichen Teil des Landes mit einer Temperatur von 44–73°.
[Areal und Bevölkerung.]Das Areal beträgt nach neuester Berechnung 48,303 qkm (877,2 QM.), und die Bevölkerung belief sich 1905 auf 2,688,747 Seelen (56 auf 1 qkm), die sich auf die einzelnen Kreise wie folgt verteilen:
Die Bevölkerung bestand 1903 größtenteils aus Serben (2,298,551), daneben aus 89,873 Rumänen, 46,148 Zigeunern, 7494 Deutschen, 5729 Juden. Nach dem Geschlecht waren 1906: männlich 1,408,757, weiblich 1,327,112. Die Bevölkerung zählte 1900: 2,493,770, 1891: 2,161,961. Die Lebensweise der Dorfbevölkerung ist eine althergebracht patriarchalische, doch bahnt sich auch hier die von W. eindringende Kultur immer breitere Wege, und das nicht immer zum Wohl der Nation (Weiteres s. Serben). Entsprechend dem bäuerlichen Charakter der Bevölkerung leben die Serben meist in Dörfern, und es gibt nur wenige größere Städte, die vornehmlich durch den Verkehr bedingt sind und meist im Donau- und Morawatal liegen. Auch die meisten der 24 Städte und 58 Städtchen machen einen ländlichen Eindruck. Über 10,000 Einwohner zählen: Belgrad, Niš, Kragujevac, Leskovac, Šabac, Pošarewac, Vranja und Pirot. Der Religion nach sind die Serben griechisch-orthodox und bilden eine eigne Nationalkirche (s. Serbische Kirche). Die Zahl der zu andern Konfessionen sich Bekennenden, denen freie Ausübung ihrer Religion gestattet ist, ist verschwindend klein. Die Beziehungen zum Patriarchen von Konstantinopel sind durch das Konkordat vom Januar 1832 (mit Zusatzakte von 1836) geordnet worden. Das Oberhaupt der serbischen Nationalkirche ist der Erzbischof von Belgrad, der als solcher den Titel »Metropolit von ganz S.« führt. Ihm sind die Bischöfe von Nisch, Sajetschar, Žitscha und Schabatz untergeordnet, die mit ihm die Nationalsynode bilden und mit der Oberaufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten betraut sind. Unter der Nationalsynode steht das Appellationskonsistorium in Belgrad, das, aus sechs geistlichen Mitgliedern bestehend, als Revisions- und Berufungsinstanz in allen von den vier Eparchialkonsistorien als ersten Instanzen verhandelten und erledigten Angelegenheiten fungiert. Der Metropolit wie die vier Bischöfe werden von der Nationalsynode aus den eingebornen Klostergeistlichen gewählt und vom König bestätigt; der übrige Klerus besteht aus Weltgeistlichen und Mönchen, welch letztere in 55 Klöstern leben. – Wiewohl sich die Staatsverwaltung die Hebung des öffentlichen Unterrichts sehr angelegen sein läßt und Schulzwang für den Besuch, bez. die Absolvierung von vier Volksschulklassen besteht, so steht doch die geistige Kultur noch auf ziemlich niedriger Stufe. Die Unterrichtsanstalten zerfallen in Gemeinde- und Staatsanstalten; zu erstern gehören die Volksschulen insoweit, als die Gemeinden deren Unterhalt, mit Ausnahme der Lehrerbesoldung, tragen, zu diesen alle Mittelschulen und höhern Lehranstalten. Dem Gesetz nach soll in jeder Gemeinde, die 200 steuerzahlende Köpfe hat, eine Volksschule bestehen. Mit Ende des Schuljahres 1903 hatte S. 957 Knaben- und 165 Mädchen-Volksschulen, die von 78,420 Schülern und 21,560 Schülerinnen besucht wurden. Au Mittelschulen (Gymnasien und Realschulen) hatte S. 1903: 18 Anstalten mit 307 Lehrkräften und (Ende 1903) 4624 Schülern. In Kraljevo besteht eine Landwirtschaftsschule, verbunden mit einer Musterwirtschaft, in Bukowo eine Wein- und Obstbauschule. Ferner hat S. noch 3 Lehrerseminare, 2 höhere Mädchenschulen, von denen diejenige in Belgrad zugleich als Lehrerinnenseminar dient. In Belgrad gibt es auch eine staatliche Handelsschule sowie eine Privathandelsschule, sodann bestehen in S. noch 2 theologische Lehranstalten, ferner in Belgrad noch eine Kriegsakademie (mit zwei Jahrgängen für die Ausbildung von Subalternoffizieren für den Generalstabsdienst), eine Kriegsschule für die Heranbildung zum Offiziersdienst, endlich eine Unteroffizierschule und mehrere Privatschulen (Musik-, Zeichen- etc. Schulen). Die 1838 als Lyzeum begründete Hochschule in Belgrad ist seit 1904 in den Universitätsrang erhoben worden; die theologische und medizinische Fakultät fehlen jedoch noch. Als größere Bibliothek ist die Staatsbibliothek in Belgrad zu erwähnen, ferner ein ethnographisches und ein Nationalmuseum, letzteres besonders reich an römischen Altertümern (Münzensammlung).
[Erwerbszweige.] Serbiens Wirtschaftsleben beruht wegen der Güte des Bodens und des milden, niederschlagsreichen Klimas fast ganz auf der Landwirtschaft. 90 Proz. der Bevölkerung sind Bauern. Von dem gesamten Grund und Boden Serbiens (4,830,260 Hektar) ist nur etwas über ein Drittel bebaut; 1903 gab es 1,686,442 Hektar Kulturland, 677,291 Hektar Waldland, das übrige ist Ödland. Die Anbaufläche ist 1906 auf 1,883,460 Hektar (39 Proz. des Areals) gestiegen. Der beste Getreideboden findet sich in den Tälern der Morawa, Save und der untern Drina sowie in der Matschwa. Hauptgetreidearten sind Mais und Weizen, von denen 1903: 494,784, bez. 296,250 Ton., 1906: 705,791, bez 359,543 T. geerntet wurden. Von Obstarten werden besonders viel Pflaumen (1906: 3,443,802 kg) gezogen. 1906 gab es 132,085 Hektar Obstgärten. Die Landstriche am Jadar liefern aber auch andre Obstarten von ausgezeichneter Güte. An Futterkräutern wurden 1903: 5,4 Mill. dz Heu und 215,463 dz Klee geerntet. Weinbau beschäftigt hauptsächlich die Bewohner der Donaugegenden (Negotin) sowie des Morawa- und Nischawatals; doch geht die Fläche des Reblandes wegen der Phylloxera beständig zurück (1906 noch 34,804 Hektar, wovon 11,316 Hektar infiziert waren; Ertrag 1906: 574,406 hl im Wert von 34,5 Mill. Frank). Von Handelsgewächsen wird Tabak (1906: 946,129 kg) gebaut, der im Belgrader Tabakmonopol verarbeitet wird. In ausgedehntem Maße wird endlich der Hanfbau betrieben. Von hoher Wichtigkeit als Hauptbeschäftigung der Eingebornen ist die Viehzucht, die einen sehr bedeutenden Ausfuhrartikel liefert. Der einheimische Pferdeschlag (1906: 172,281 Stück) ist zwar nicht besonders schön, aber von großer Ausdauer und Kraft. Das Rind ist von mittlerer Größe und wird, außer für die Ausfuhr, besonders als Arbeitstier gezogen. Man zählte 1906: 931,656 Stück Hornvieh, darunter 7710 Büffel. Schafe werden in großer Anzahl (1906: 3,066,231 Stück) gehalten und liefern Milch, Butter, Käse und Wolle. Bedeutend ist vor allem die Schweinezucht (1906: 875,549 Stück), jedoch ist hier eine starke Abnahme bemerkbar; in den gebirgigen Gegenden werden auch viele Ziegen gehalten (1906: 495,867 Stück). Bienenzucht gibt es nur in einigen Kreisen, und die Zahl der Bienenstöcke vermindert sich immer mehr (1906 im ganzen 130,538), wogegen die Seidenraupenzucht, besonders seit Gründung der Aktiengesellschaft Société sericole serbe, in Aufschwung kommt (1906 Ertrag: 290,000 kg Kokons); der Ertrag für 1907 wird auf 400,000 kg geschätzt. Die Fischerei in den Gebirgsbächen und Flüssen liefert Forellen in Menge, die in der Donau besonders Hansen zur Kaviargewinnung. Die Jagd beschränkt sich meist auf Geflügel; Wild ist nur wenig vorhanden, wohl aber hausen im Gebirge noch Bären und Wölfe. Das Land hat zwar große Waldungen (1903: 677,291 Hektar), doch hat der infolge unverantwortlicher Verwüstung und Raubwirtschaft für die Zukunft zu besorgende Holzmangel zu einer polizeilichen Beaufsichtigung der Waldbestände geführt, wie sich auch die Staatsgewalt von einem grosten Teil der Waldungen das Eigentumsrecht vorbehalten hat. Hauptsächlichster Waldbaum ist die Eiche, deren Früchte die großen Schweineherden ernähren. Der Bergbau war schon in römischer Zeit und noch mehr im Mittelalter (der Kopaonik hieß damals das Silbergebirge) von hoher Bedeutung; doch ist er neuerlich erst wieder etwas in Aufnahme gekommen; die reichen mineralischen Hilfsquellen (Kupfer, Blei, Eisen, Silber, Kohle) sind noch unvollkommen erschlossen. Er ist Regal und wird von der Staatsregierung als Monopol betrieben. Das Eisen- und Kupferwerk in Majdanpek ist seit 1868 auf 90 Jahre einer englischen Gesellschaft zum Betrieb übergeben; ein andres Werk, Majdan Kutschajna, ist ebenfalls in englische Hände übergegangen. Eine belgische Gesellschaft beutet die Kupfer- und Kohlenlager oberhalb der Donauenge des Kazan und bei Majdanpek aus, eine andre belgische Gesellschaft die Kohlenlager von Wrschka Cuka, die auch die Timokbahn Prlita-Radujewatz (schmalspurig) zur Erschließung derselben erbaut hat. Eine französische Gesellschaft beutet die reichen Kupferwerke von Bor (Umgebung von Sajetschar) aus, mit 17–20 m mächtigen Erzschichten von 30 Proz. Kupfergehalt. Wichtig ist die zu Krupanj im Podrinjer Kreis 1872 gegründete Bleihütte. Steinkohlen gibt es bei Dobra und Duboka im Kreis Poscharewatz. 1899 wurde der Abbau der Kohlenflöze bei Nisch begonnen. Ein großartiges Steinkohlenlager mit 5–14 m mächtigen Flözen, vom Staate betrieben, befindet sich im Kreis Morawa beim Dorfe Senje und ist von der größten Wichtigkeit für den serbischen Eisenbahnbetrieb. An verschiedenen Stellen findet sich Paraffinschiefer. 1905 waren im Bergbau 3617 Arbeiter beschäftigt; der Produktionswert belief sich auf nur 2,325,258 Frank. Handel und Gewerbe liegen noch danieder, so daß die Serben trotz guter körperlicher und geistiger Eigenschaften von den Nachbarn überflügelt worden sind. Gewerbliche Industrie ist in dem nur Landwirtschaft treibenden Land erst in schwachen Anfängen vorhanden und im wesentlichen noch Hausindustrie. Sie liefert Leinen, Wollen- und Seidengewebe und gewirkte Zeuge sowie Metall- und Holzwaren aller Art, und beinahe in jedem Dorfe trifft man Maurer, Zimmerleute, Dachdecker, Wagner, Huf-, Sensen- und Waffenschmiede, Böttcher, Schneider etc. Eigentliche Gewerbsleute sind bloß in den Städten ansässig. Nach der Gewerbeordnung vom 14. Aug. 1847 sind 20 Gewerbe für zünftig erklärt, die daher nur von geschlossenen Korporationen betrieben werden dürfen, während alle übrigen frei sind und zu ihrem Betrieb bloß polizeiliche Konzession erforderlich ist. Größere Fabrikanlagen finden sich erst vereinzelt, nämlich 9 Bierbrauereien (Produktion 1906 über 80,000 hl), 222 Mühlen (147 Dampf- und 75 Wassermühlen), eine große Mühle mit elektrischem Betrieb in Kraljevo, eine Tuchfabrik (die in Belgrad [1907] und Paratschin sind abgebrannt), Ziegeleien, Zement- und Tonwarenfabriken (letztere auch in kunstgewerblichen Artikeln), ferner Fabriken für Lederwaren, Treffen, Chemikalien, Metallwaren, Filigranarbeiten (Niš, Pirot, Vranja), Selterwasser, eine große Schlachthausaktiengesellschaft (Belgrad) etc.
Der Handel ist vornehmlich Ausfuhrhandel. Die Einfuhr (1905: 55,600,644 Fr.) ist bei dem unbedeutenden Bedarf ausländischer Erzeugnisse verhältnismäßig gering und beschränkt sich auf Baumwoll- und Leinenwaren (11,2 Mill.), Metalle (6,2 Mill.), Häute und Kautschuk (3,7 Mill.), Wolle und Wollwaren (4,2 Mill.), Kolonialwaren (5 Mill.), Kleider u. Stickereien (2,9 Mill.), Maschinen, Instrumente, wissenschaftliche Gegenstände, Waffen (3,5 Mill.), Steine, Glas- und Tonwaren (2,4 Mill.), Papier, Nahrungsmittel, Seide, Goldwaren, Drogen etc. Die Haupthandelsplätze des Landes sind: Belgrad (der Stapelplatz für ganz S.), Šabac, Smederevo, Pošarewae, Negotin, Niš, Pirot und Vranja. Der weitaus größte Teil der Ausfuhr ging bisher nach Österreich-Ungarn (1905: 64,717,406 Fr.), von wo wieder das meiste (33,375,501 Fr.) eingeführt wurde. Das Bestreben Serbiens, seinen Ein- und Ausfuhrhandel von der großen Nachbarmonarchie (Österreich-Ungarn) unabhängiger, wenn nicht unabhängig zu machen, hat im ersten Jahr des vertragslosen Zustandes nicht unbedeutende Erfolge aufzuweisen, doch bleibt abzuwarten, wie sich die Bilanzen des Außenhandels in Zukunft gestalten werden. Sollte zwischen S. und Österreich-Ungarn, wie zu erwarten, ein neuer Handelsvertrag zustande kommen, so wird auch wieder Österreich-Ungarn die vorherrschende Rolle spielen. Die Hauptziffern des serbischen Außenhandels in den Jahren 1905 und 1906 sind in mannigfacher Hinsicht von Interesse. Die Hauptartikel der Ausfuhr (1905: 54,5 Mill. Fr., der Gesamtwert der Ausfuhr betrug 1906: 71,996,274 Fr.) sind Rindvieh, Schweine, Getreide, frisches und getrocknetes Obst, Pflaumenmus. Ferner sind zu erwähnen: Mehl, Eier, Kohle, Erze, Schaf- und Rinderhäute, Wolle, Talg, Wachs, Honig, Knoppern. 1906 betrug die Ausfuhr in den genannten Hauptartikeln 48,2 Mill. Fr. Bei Mehl, Eiern, Kohle und Erzen betrug die Ausfuhr 1905 nicht ganz 1 Mill. Fr., 1906 dagegen über 5 Mill. Fr., wodurch der Gesamtwert der serbischen Ausfuhrwertziffer sich derjenigen des Vorjahres nähert. Nur bei der Viehausfuhr zeigte sich die Abhängigkeit von den österreichisch-ungarischen Märkten. Neue Absatzgebiete wurden hierfür mit mehr oder minder günstigem Erfolg in Italien, Ägypten und auf Malta gesucht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Auffindung neuer Märkte für serbisches Vieh und Viehprodukte erst im September 1906 begonnen wurde. Märkte werden in jedem Kreis an einem bestimmten Ort abgehalten; die besuchtesten sind die zu Waljevo und Tschuprija. Der Durchfuhrhandel ist in letzter Zeit bedeutender geworden, da S. wegen seiner Lage und des beiderseits offenen Morawatals ein ausgezeichnetes Durchgangsland ist. 1884 war der Gesamtwert der durchgeführten Artikel nur 0,599 Mill. Fr., 1905: 40 Mill. Fr. Die vom Volkswirtschaftsministerium verwaltete Uprawa Fondowa vertritt die Stelle einer Hypothekenbank. Die Verkehrswege sind vielfach noch sehr mangelhaft; die Save-Donaulinie an der Nordgrenze und das Morawatal mit je zwei Ausgängen im N. und Süden beherrschen fast den ganzen Verkehr des Landes. Die Eisenbahn verbindet Belgrad über Nis mit Konstantinopel und über Vranja mit Saloniki. Daneben ist noch die Timokbahn Prlita-Radujewatz bemerkenswert (s. oben). Das serbische Eisenbahnnetz umfaßt 562 km, doch wurde 1905 der Bau verschiedener neuer Strecken geplant und zum Teil schon in Angriff genommen. Die Gesamtlänge der neuen Linien beträgt etwa 600 km Die Telegraphenlinien umfassen 3281 km mit 7724 km Drahtlänge. Die Hauptorte sind durch gute Landstraßen verbunden; als Wasserstraßen für den Verkehr werden nur die Donau und Save benutzt. Am Schiffahrtsverkehr sind die Serbische, die Donau-Dampfschiffahrts- und die Ungarische Fluß- und Seeschiffahrts-Gesellschaft beteiligt, die 1904: 584,000 Personen und 394,000 Ton. Waren beförderten. Handelsfreiheit ist durch das Staatsgrundgesetz als Nationalrecht anerkannt. Die 1395 Postanstalten beförderten 1905: 39,7 Mill. Briefpostsendungen, 1,3 Mill. Wertbriefe u. Postanweisungen im Betrage von 340,8 Mill. Fr. Das Telephonnetz umfaßt (1904) im Lokalverkehr 433 km, im Fernverkehr 844 km Luftleitung.
In S. ist nach dem Münzgesetz vom 10. Dez. 1878 die Frankenwährung mit dem Dinar zu 100 Para = 81 deutsche Pfennig eingeführt. Geprägt sind 2-Parastücke aus Kupfer, Nickelmünzen zu 5,10 und 20 Para, Silbermünzen zu 1/2, 1, 2 und 5 Dinar (Fr.) und Goldmünzen zu 10 und 20 Dinar. Gold ist sehr selten und wird mit Aufgeld gehandelt. Die 1889 gegründete serbische Nationalbank in Belgrad hat das Recht zur Notenausgabe. Seit 1883 gilt für die Maße das metrische System.
[Verfassung und Verwaltung.] S. ist seit 6. März 1882 ein konstitutionelles Königreich und hat nach Vernichtung des Hauses Obrenović seit 2./15. Juni 1903 Peter I. aus dem Hause Karageorgiević zum König, in dessen Hause die Königskrone im Mannesstamm erblich ist. Der König, der der griechisch-orthodoxen Kirche angehören muß, ist der Träger der Staatsgewalt und übt das Recht der Gesetzgebung mit der Volksvertretung, die vollziehende Gewalt aber allein und durch Minister aus, die ihm und der Volksvertretung verantwortlich sind. Der Senat besteht aus 16 gewählten Mitgliedern. Allgemeine Volksvertretung ist die sich alljährlich versammelnde Skupschtina, aus 160 gewählten Abgeordneten bestehend, die mindestens 30 Jahre alt sein müssen; das Wahlrecht ist abhängig von einem Alter von mindestens 21 Jahren und der Zahlung einer direkten Steuer von 15 Fr. Niemand kann beiden Kammern zugleich angehören. Für die Gemeindeverfassung gilt das Gemeindegesetz vom 20. Okt. 1883, wonach jeder Serbe einer Gemeinde des Landes als Mitglied angehören muß. Jede Gemeinde verwaltet ihre Angelegenheiten selbst; die Staatsgewalt übt nur in bestimmten Fällen ihr Oberaufsichtsrecht durch die Polizeibehörden, die Kreis- und Bezirksvorstände aus. Die Staatsverwaltung wird im Namen und Auftrag des Königs von der Zentralregierung ausgeübt, die in acht Ministerien zerfällt, nämlich in die Ministerien des Innern, des Äußern, der Finanzen, der Justiz, des Krieges, für öffentliche Bauten, für Volkswirtschaft, für Kultus und Unterricht. Die Minister wählt der König aus den höhern Staatsbeamten. Behufs der Provinzialverwaltung zerfällt das Königreich seit 1896 in 17 Kreise und 1 Präfektur (Belgrad). Höchste zivil- und strafgerichtliche Behörde des Königreichs ist der oberste Gerichts- und Kassationshof in Belgrad. Zweite Instanz ist das Appellationsgericht daselbst; Gerichte erster Instanz sind 22 Kreisgerichte und das Stadtgericht zu Belgrad sowie die Friedensgerichte in den 1313 Gemeinden des Landes. Als Schiedsgericht in Handels- und Gewerbesachen fungiert das Handelsgericht in Belgrad. Das Budget für 1906 ergibt 89,207,073 Fr. Einnahme und 89,165,095 Fr. Ausgabe. Die finanzielle Lage ist ungünstig, da der Staatshaushalt fast stets einen Fehlbetrag aufweist. Eine Staatsschuld hat S. erst seit 1876. Im J. 1906 betrug sie 461,034,880 Fr., deren Verzinsung fast ein Drittel der gesamten Einnahmen verzehrt (24 Mill. Fr.). Die Armee erfordert 20,3, das Finanzministerium 9, die öffentlichen Arbeiten 10,9, Kultus und Unterricht 6,5 Mill. Fr.
[Heerwesen.] Seit 1901 gilt allgemeine Wehrpflicht und dauert die Dienstpflicht vom 21.–45. Jahr: 2 Jahre im stehenden Heer (erstes Aufgebot), bei der Infanterie aber meist nur 11/2 Jahr, 9 Jahre in der Reserve, 6 im zweiten, 8 im dritten Aufgebot (Bau) der Nationalmiliz; außerdem Landsturmpflicht vom 18.–20. und vom 46.–50. Jahr. Das erste und zweite Aufgebot bilden die Feldarmee, das dritte und der Landsturm dienen Besatzungszwecken etc. Studierende dienen 1/2 Jahr, bestehen sie dann die Reserveoffiziersprüfung nicht, noch 14 Monate; Kavalleristen, die ein Pferd einstellen, und Infanteristen mit sehr guten Ausbildungsresultaten 14 Monate. Den Oberbefehl führt der König. die höchste administrative Behörde ist das Kriegsministerium, von dem ein integrierender Teil der Hauptgeneralstab ist. Im Frieden bestehen: 5 Infanteriedivisionen zu 4 Infanterieregimentern (in einer Brigade) zu je 3 Bataillonen zu 4 Kompanien, 1 Artillerieregiment zu 9 Batterien, 1 Sanitätskompanie, 1 Traineskadron; 1 Kavalleriedivision mit 2 Brigaden zu 2 Regimentern zu 5 Eskadrons, 2 reitende Batterien, 1 Kavallerietelegraphenabteilung. Besondere Formationen: 1 Gardeabteilung (königlicher Convoi), 1 Haubitzregiment zu 6 Batterien zu 6 Geschützen, 1 Gebirgsartillerieregiment zu 6 Batterien zu 6 Geschützen, 1 Festungsartillerieregiment (2 Bataillone), 21/2 Bataillone technische Truppen (Mineure, Eisenbahn, Telegraphen). Friedensstärke: 27,412 Mann. Im Kriege sollen auftreten: 5 Infanteriedivisionen ersten Aufgebots zu 2 Brigaden zu 2 Regimentern zu 4 Bataillonen, 1 Divisionskavallerieregiment zu 3 Eskadrons, 1 Artillerieregiment zu 9 Batterien, 2 Pionier-, 1 Sanitätskompanie mit 4 Feldlazaretten und 1 Sanitätskolonne, 6 Munitionskolonnen, 1 Telegraphenabteilung, 1 Divisionsbrückentrain, 1 Proviantkolonne, Feldbäckerei, Schlachtviehdepot; 1 Ersatzdivision (2 Infanteriebrigaden, sonst unbestimmt); 5 Infanteriedivisionen zweiten Aufgebots (etwa 12 Bataillone, 2 Eskadrons, 3 Batterien); 5 Infanteriedivisionen dritten Aufgebots (wohl nur zu Besatzungszwecken brauchbar); 1 Kavalleriedivision (2 Brigaden zu 2 Regimentern zu 4 Eskadrons, 1 reitende Batteriedivision zu 2 Batterien, Munitionskolonne, Telegraphenabteilung). Gefechtsstand etwa 158,000 Mann, 6500 Reiter, 420 Geschütze. Bewaffnung: Infanterie des ersten Aufgebots 7 mm-Mauser-Repetiergewehr M/99 mit kurzem Säbelbajonett, zweite Linie 11 mm-Kruka-Mauser-Gewehr M/80, dritte Linie Berdan-Gewehre; Artillerie ältere 8,7 und 7,5 cm Kruppsche Geschütze, 12 cm-Haubitzen, 15 cm-Mörser von Schneider-Canet. Heeresanstalten: Arsenal und Geschützgießerei in Kragujevac, Hauptpulverfabrik Stragar, Artillerie- und Infanterieschießplatz im Lager von Baujica. Das Offizierkorps ergänzt sich durch Zöglinge der Militärakademie, Unteroffiziere können Offizier, aber nicht Oberst werden. Landesbefestigung: Pirot, Belgrad, Kladowo, Užitze, Sokol, Schabatz, Semendria (alte Bauten, Neubefestigung bei Nisch geplant). – Das Wappen bildet in Rot ein silberner, goldbewehrter Doppeladler, der auf der Brust einen roten Schild trägt, in dem sich ein silbernes Kreuz befindet, das mit vier silbernen Feuerstählen bewinkelt ist; zu Füßen des Adlers beiderseits je eine goldene Lilie (s. Tafel »Wappen II«). Die Nationalflagge ist rot, blau und weiß, mit dem gekrönten Wappen im blauen Mittelstreifen (s. Tafel »Flaggen I«). Orden hat S. fünf, und zwar: den Takowoorden mit und ohne Schwertern (1865 gestiftet), den Weißen Adlerorden (1882 gestiftet, s. Tafel »Orden II«, Fig. 27), den Orden des heiligen Sava (seit 1883), den Orden Milosch der Große (gestiftet 1898) und den Stern Karageorgiević (gestiftet 1904). Daneben bestehen eine goldene und eine silberne Tapferkeitsmedaille, eine Medaille für militärische Tugenden, eine goldene und eine silberne Medaille für Diensteifer und eine goldene und silberne Verdienstmedaille der Königin Natalie. Vgl. Müller v. Müllersheim, Die königlich serbischen Orden und Ehrenzeichen (Wien 1897). Hauptstadt ist Belgrad.
[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. Kanitz, S., historisch-ethnographische Reisestudien (Leipz. 1868) und Das Königreich S. und das Serbenvolk (Leipz. u. Wien 1904); Milićević, Das Fürstentum S. (serb., Belgr. 1876) und Das Königreich S. (serb., das. 1884); Millet, La Serbie économique et commerciale (Par. 1889); Tuma, Serbien (vornehmlich die Militärverhältnisse betreffend, Hannov. 1894); Coquelle, Le royaume de Serbie (Par. 1894); Kohn, S. in geo-ethnographisch-administrativ-volkswirtschaftlicher und kommerzieller Hinsicht (Semlin 1894); H. Vivian, Servia, the poor man's paradise (Lond. 1897); E. Lazard und J. Hogge, La Serbie d'aujourd'hui (Gembloux 1900); M. Petrović, Financije i ustanove abno vljene Srbije (Belgr. 1897 bis 1899, 3 Bde.); Hogge, La Serbie de nos jours (Brüssel 1901); Mallat, La Serbie contemporaine (Par. 1902, 2 Bde.); Jovanović, Die serbische Landwirtschaft (Münch. 1906) und Les richesses minérales de la Serbie (das. 1907); Antula, Revue générale des gisements métallifèresen Serbie (Par. 1900); Žujović, Geologische Übersicht des Königreichs S. (Wien 1886); Žujović, Urošević und Radovanović, Annales géologiques de la Péninsule Balcanique (Belgr., 6 Bde.); Cvijić u. a., Die Siedelungen der serbischen Lande (das. 1902, 2 Bde. mit Atlas); Markowitsch, Die Gemeinden und ihr Finanzwesen in S. (Jena 1904); Smiljanić, Beiträge zur Siedelungskunde Südserbiens (»Abhandlungen der Geographischen Gesellschaft in Wien«, 1900); »Annuaire statistique du royaume de Serbie« (Belgr. 1895 ff.). Karten des serbischen Generalstabs: »Generalkarte des Königreichs S.«, 1:200,000, 9 Blatt; »Topographische Karte des Königreichs S.«, in 95 Blättern, 1:75,000 (abgeschlossen Belgr. 1894); Lay, Kulturhistorischer und ethnographischer Atlas des Königreichs S. (das. 1891).
Geschichte.
Kurz vor Christi Geburt von den Römern unterworfen, bildete S. die Provinz Moesia superior. Eine Reihe von Städten an Donau und Morawa gelangte bald zu Wohlstand. Später überzogen Hunnen, Ostgoten und Langobarden nacheinander das Land; 550 brachte es der byzantinische Kaiser Justinian unter seine Herrschaft. Unter seinen Nachfolgern machten die Avaren S. zur Einöde. 638 wanderten die slawischen Serben (s. d.) ein; das nach ihnen benannte S. begriff damals auch Bosnien und Montenegro in sich. Die Serben erkannten die Oberhoheit der oströmischen Kaiser an und bekehrten sich im 8. Jahrh. zum griechisch-katholischen Christentum. Ihr nominelles Oberhaupt hieß Groß- oder Oberžupan, später Kralj (König) oder Zar (Kaiser) und residierte als Lehnsträger des byzantinischen Kaisers in Desniza an der Drina; sieben andre Župane herrschten als Häuptlinge über ihre Bezirke ziemlich selbständig. Seit 870 bemächtigten sich die Bulgaren mehrere Male (zuletzt 917–963) der Oberherrschaft in Ostserbien. Nachdem 971 ihre Macht durch die Griechen gebrochen war, gehorchte S. wieder Byzanz, bis Stephan Dobroslaw (von den Griechen Boistlaw genannt) 1043 die Unabhängigkeit errang und die andern Župane unterwarf. Sein Sohn Michael (1050–80) nahm den Titel eines Königs (Kralj) von S. an und ließ sich ihn von Papst Gregor VII. bestätigen, obwohl schon unter ihm die Spaltung wieder hervortrat. Kriege mit Byzanz und innere Zerwürfnisse vernichteten darauf die Blüte des Landes, bis sich 1165 Stephan I. Nemanja aus Ostserbien zum Fürsten aller Serben aufschwang. Sein Haus heißt nach ihm das der Nemanjiden (Nemjaniden), sein Reich nach der Residenz Rascha oder Rassia (jetzt Novipasar) die Großžupanie Rassia, später serbisches oder rascisches Reich (wovon der Name Raizen). Stephan Duschan (1331–55), der größte aller serbischen Herrscher, herrschte auch über Mazedonien, Albanien, Thessalien, Epirus und Bulgarien. Er nahm 1346 den Titel eines Kaisers (Zar) an, sicherte in seinem 1349 gegebenen Gesetzbuch (zakonik) Freiheit, Leben und Eigentum der Einwohner und begünstigte Wissenschaft und Handel. Unter seinem schwachen Sohn Stephan Urosch IV. ging 1359 das Banat Machow, 1362 die Herzegowina verloren, und 1367 erlosch das Haus der Nemanjiden. Der Woiwod Wukaschin, der sich 1366 von Urosch losgesagt hatte, beherrschte den Süden, verlor aber 25./26. Sept. 1371 gegen den Osmanen Murad I. an der Maritza Schlacht und Leben; sein Sohn Kraljević Marko unterwarf sich. 1386 vertrieb der Knjes Lasar (Lazar) mit Hilfe der Bosnier, Albanesen und Bulgaren die Türken, verlor aber 15. Juni 1389 gegen Murad (der Sage nach durch die Verräterei seines Eidams Wuk Branković) die Schlacht auf dem Amselfeld (Kossowo), auf der Hochebene von Prischtina, und fiel. Bajesid teilte das Land zwischen Lasars Sohn Stephan und Wuk Branković, die beide den Türken Tribut zahlen und Heeresfolge leisten mußten. Letzterm folgte 1427 sein Neffe Georg Branković (gest. 1456), der ein Bündnis mit den Ungarn schloß. Von Murad II. vertrieben, erhielt er durch die Siege des Johannes Hunyadi und durch den Frieden von Szegedin 1444 sein Land zurück. 1459 machte Mohammed II. der Herrschaft der serbischen Fürsten ein Ende; eine Menge der angesehensten Familien wurde völlig ausgerottet, andre flüchteten nach Ungarn, 200,000 Menschen wurden als Sklaven weggeführt und das Land in eine türkische Provinz verwandelt. Manche Bojaren nahmen den Islam an. Da jedoch die Türken das Land nur militärisch besetzten und nie das Landbesitzkum in Anspruch nahmen, so retteten die Serben Volkstum, Religion und Sprache.
Durch den Frieden von Poscharewatz (21. Juli 1718) kam S. mit dem Banat und dem größten Teil von Bosnien an Österreich; aber der Übermut der österreichischen Offiziere und Beamten erstickte die Sympathien für die christliche Herrschaft, und in dem für Karl VI. so unglücklichen Krieg von 1738–39 trugen die Serben sogar wesentlich zur Wiederherstellung des türkischen Regiments bei. Dieses lohnte aber durch die Grausamkeiten aufrührerischer Janitscharen ihre Anhänglichkeit so schlecht, daß während des von Katharina II. und Joseph II. 1788–90 unternommenen Krieges gegen die Türken die Serben sich für Österreich erhoben. 1804 veranlaßte der Druck, den die türkischen Befehlshaber und die Janitscharen ausübten, einen Aufstand in S., an dessen Spitze der tapfere Georg Petrović, genannt Czrni oder Czerny Georg (Karadjordje), stand. Glückliche Gefechte befreiten das Land von den Janitscharen, und 12. Dez. 1806 wurde die Stadt Belgrad erstürmt. Da 1804 Österreich den nachgesuchten Beistand verweigert hatte, rief man Rußlands Einmischung an; dies versprach den Serben seinen Schutz, wenn sie seine Oberherrschaft anerkennen würden. Aber das freie Volk schlug 1809 und 1810 die von Osten und Westen über die Morawa und Drina vordringenden Türken fast ohne russische Unterstützung zurück. Doch im Frieden von Bukarest (28. Mai 1812) waren für S. nur allgemeine Amnestie, eigne innere Verwaltung, dagegen Tributpflichtigkeit und Übergabe der Festungen an den Sultan enthalten. Anstatt der Amnestie gewährten die Türken Auswanderung aller Mißvergnügten; mit den Festungen forderten sie alle Waffen und Kriegsvorräte; außerdem verlangten sie die Aufnahme der vertriebenen Osmanen und ihre Wiedereinsetzung in den alten Besitz. Drei türkische Heere, die 1813 unter Khurschid Pascha über die Donau, Morawa und Drina in das Land einbrachen, rieben die verzettelten Kräfte Czerny Georgs auf. Nach seinem Übertritt auf österreichisches Gebiet (15. Okt. 1813) setzte nur Milosch Obrenović 1815 den Kampf fort; dieses Fürsten Sieg auf der Ebene der Matschwa über die unter Ali Pascha aus Bosnien eingedrungenen Türken entschied die Unabhängigkeit Serbiens.
Nachdem Czerny Georg bei seiner Heimkehr 25. Juli 1817 durch Meuchelmörder gefallen, ward Milosch Obrenović 6. Nov. in Kragujevac zum erblichen Fürsten von S. ausgerufen und von den Türken anerkannt. Der türkisch-russische Vertrag von Akkerman (1826), bestätigt durch den Frieden von Adrianopel (14. Sept. 1829), verbürgte den Serben freie Wahl ihrer Oberhäupter, unabhängige Gerichtsbarkeit, freie innere Verwaltung, eigne Erhebung der Steuern bei fest bestimmtem Tribut. Durch Bestechung wußte sich Milosch 31. Aug. 1830 in Konstantinopel einen Berat (Lehnsbrief) zu verschaffen, der ihn als erblichen Fürsten der Serben bestätigte. Die beiden Hattischerifs vom 6. Juni und 4. Dez. 1834 gaben sechs von S. losgerissene Distrikte zurück, setzten den Tribut an die Pforte fest und beschränkten den Aufenthalt der Türken auf Belgrad. Gestützt auf seine Momtzi (bewaffneten Begleiter), regierte Milosch fortan mit solch grausamer Willkür, daß Anfang 1835 unter Avram Petronijević und Thoma Vučić ein Aufstand ausbrach, infolgedessen sich Milosch 8. Febr. zur Anerkennung einer Verfassung verstand. Der Diwan ersetzte diese jedoch durch das Organische Statut (Ustav) von 1838, das weder die Volkswünsche noch den Fürsten befriedigte. An die Stelle der Volksversammlung trat jetzt ein Senat mit ausgedehnten Rechten. Milosch hielt aber diese Verfassung nicht; doch dankte er 13. Juni 1839 zugunsten seines Sohnes Milan Obrenović 11. ab. Da dieser schon 8. Juli starb, ernannte die Pforte dessen Bruder Michael Obrenović III. zum Nachfolger, setzte ihm aber eine Regentschaft zur Seite. Als Michael die Eichelmast zu besteuern wagte, erhob sich die Nationalpartei, und er sah sich 7. Sept. 1842 genötigt, auf österreichisches Gebiet überzutreten. Am 14. Sept. wählte bei Belgrad das Volk den Sohn Czerny Georgs, Alexander Karageorgiević, der am 14. Nov. die Bestätigung der Pforte als Basch-Beg, d. h. Oberherr, erhielt, sich aber mehrere mit den frühern Verträgen in Widerspruch stehende Beschränkungen gefallen lassen mußte.
Während sich S. gewerblich und nationalökonomisch bedeutend hob, dauerten die Parteiungen im Innern fort. Die am 16. Dez. eröffnete Skupschtina stellte 21. Dez. 1858 an Alexander, der sich durch seine Hinneigung zu Österreich und seine Friedensliebe verhaßt gemacht hatte, das Verlangen, abzudanken. Als sich der Fürst unter den Schutz der Pforte stellte, erhob die Skupschtina 23. Dez. den 78jährigen Milosch Obrenović zum zweitenmal auf den serbischen Thron. Er ward 12. Jan. 1859 von der Pforte bestätigt, starb aber schon 26. Sept. 1860, und sein Sohn folgte ihm wieder als Michael Obrenović III. Die seit 18. Aug. 1861 zu Kragujevac tagende Skupschtina nahm ein neues Skupschtinagesetz, eine Reorganisation des Senats und der Militärverfassung und eine Steuerregulierung an. Die Organisation der Volksmiliz ward 1862 trotz türkisch-österreichisch-englischen Widerspruchs durchgeführt. Auch traten jetzt die Bestrebungen der Serben nach voller Unabhängigkeit von der Pforte immer offener hervor. Während eines Auflaufs wurden 15. Juni 1862 die türkischen Torwachen nach der Festung zurückgedrängt, und der Kommandant bombardierte 17. Juni die Stadt. Am 18. Juni kam es zu einem Waffenstillstand. Der Streit ward von den Mächten durch das Protokoll vom 4. Sept. so geschlichtet, daß die Türken alle Festungen außer Belgrad, Schabatz (Šabac) und Smederevo räumten. Erst 3. März 1867 verstand sich die türkische Regierung auf Anraten Österreichs zur Räumung der serbischen Festungen, und 6. Mai 1867 verließen die letzten türkischen Truppen den serbischen Boden. Trotzdem bildete sich gegen die Herrschaft des Fürsten eine Verschwörung; Michael wurde 10. Juni 1868 im Park von Toptschider ermordet. Die Skupschtina rief jedoch 2. Juli den einzigen noch lebenden Obrenović als Milan Obrenović IV. zum Fürsten aus und beschloß 29. Juni 1869 eine neue Verfassung. Die Großmächte und die Pforte stimmten bei. Der Minister des Innern, Milojković, übernahm mit dem Justizminister die Vormundschaft über den 14jährigen Fürsten, während die Regentschaft aus Blasnavae, Ristić und dem Senator Gavrilović bestand. Doch war die Macht der Regierung gering; fortwährend wechselten die Ministerien, auch nachdem 22. Aug. 1872 Mil an selbst die Regierung übernommen hatte.
Gleichzeitig mit dem Aufstand in der Herzegowina begann die Omladina (s. d. 1) wieder ihre großserbischen Agitationen, gewann den Minister Ristić für sich und erlangte die Zusicherung der Hilfe russischer Slawophilen. Hierauf eröffnete S. 1. Juli 1876 den Krieg mit der Türkei. Rußland schickte Geld und Freiwillige; die serbische Armee unter dem russischen General Tschernajew zeigte sich aber der Aufgabe nicht gewachsen. Im Tal der Morawa bei Alexinac kam es im September und Oktober zu heftigen Kämpfen, die Ende Oktober mit der völligen Niederlage der Serben endeten. Die Rückeroberung Serbiens durch die Sieger wurde nur durch den Einspruch Rußlands verhindert, das der Türkei einen Waffenstillstand (31. Okt.) aufnötigte. Am 28. Febr. 1877 wurde zwischen der Türkei und S. der Stand der Dinge vor dem Krieg hergestellt. Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges im April 1877 traf S. sofort wieder Anstalten zum Beginn des Krieges. Doch der ungünstige Verlauf des russischen Feldzugs im Sommer bewog es zu einer beobachtenden Haltung, bis der Fall von Plewna (10. Dez.) die Serben ermutigte, in die Türkei einzufallen, wo sie 11. Jan. 1878 Nisch eroberten. Im Frieden von Santo Stefano erlangte S. die Anerkennung seiner Unabhängigkeit und eine beträchtliche Gebietserweiterung, die durch den Berliner Kongreß noch vergrößert wurde, nämlich die Gebiete von Nisch, Pirot und Leskovac; doch mußte es unbedingte Gleichheit aller Konfessionen zugestehen sowie einen entsprechenden Teil der türkischen Staatsschuld übernehmen. Am 1. Aug. 1878 nahm Milan als souveräner Fürst den Titel »Hoheit« an.
Dieser Erfolg steigerte den Einfluß der russenfreundlichen chauvinistischen Partei. Daß Österreich Bosnien besetzte und in Novipasar einrückte, wodurch es auch im Westen und Süden Serbiens Grenznachbar wurde, reizte jene nur zu größerer Feindseligkeit. Das Ministerium Ristić verschleppte die Ausführung des in Berlin 1878 mit Österreich-Ungarn geschlossenen Vertrags über den Bau der Eisenbahnen in S. und weigerte sich bei den Verhandlungen über einen neuen Handelsvertrag, das Anrecht Österreichs auf Meistbegünstigung anzuerkennen. Durch eine eilige Armeeorganisation wurde die serbische Wehrkraft im Kriegsfall auf vier Armeekorps erhöht. Eine energische Note Österreichs vom 17. Okt. 1880 bewog jedoch Ristić, seine Entlassung zu nehmen. Das neue fortschrittliche österreichfreundliche Ministerium Pirotschanatz, das auch in der Skupschtina durch Neuwahlen die Mehrheit erlangte, brachte den Handelsvertrag mit Österreich 1881 zum Abschluß und traf mit der Union générale von Bontoux ein Abkommen über eine Anleihe für Eisenbahnbauten, deren Beginn allerdings durch den Bankrott der Bank verzögert wurde. Dafür gab Österreich seine Zustimmung zu einem (bis 1902 geheim gehaltenen) Gegenseitigkeitsabkommen, das bis 31. Dez. 1894 gelten sollte. Fürst Milan nahm 6. März 1882 als Milan I. den Königstitel an, und S. wurde als Königreich proklamiert. Ein Aufstand der Radikalen in Sajetschar (Nik. Pašić u. a.) wurde im Oktober 1883 streng unterdrückt. Pirotschanatz' ebenfalls fortschrittlicher Nachfolger Garaschanin glaubte einen großen Erfolg zu erzielen, indem er den Aufstand in Ostrumelien und dessen Vereinigung mit Bulgarien (im September 1885) zum Anlaß nahm, um 13. Nov. 1885 den Krieg an Bulgarien zu erklären. 43,000 Serben überschritten unter dem Oberbefehl des Königs 14. Nov. die bulgarische Grenze, wurden ater 18. und 19. Nov. bei Slivnica von den Bulgaren unter dem Fürsten Alexander besiegt und auf dem Rückzug 27. Nov. bei Pirot nochmals entscheidend geschlagen. Dem weitern Vordringen der Bulgaren setzte der Einspruch Österreichs ein Ziel; 21. Dez. wurde ein Waffenstillstand geschlossen und 3. März 1886 in Bukarest der Stand der Dinge vor dem Kriege wiederhergestellt. Weniger die Finanzwirtschaft des Ministeriums, das S. in Abhängigkeit von Wiener Geldinstituten brachte, war die Ursache des Sturzes Garaschanins (13. Juni 1887), als vielmehr die schon damals drohende Ehescheidungsfrage des Königs. Darauf bildete Ristić ein liberal-radikales und, als dieses sich mit der radikalen Mehrheit der Skupschtina nicht verständigen konnte, Grujić Ende 1887 ein radikales Kabinett. Da aber die Skupschtina eine beträchtliche Verminderung des Heeres und neue Zölle beschloß, die dem Vertrag mit Österreich entgegen waren, so wurde Grujić im April 1888 entlassen und Christić zum Präsidenten eines energischen Beamtenministeriums ernannt. Die unaufhörlichen Wühlereien ehrgeiziger Parteiführer erhielten neue Nahrung durch den Zwist des Königs mit seiner herrschsüchtigen Gemahlin Natalie Keschko. Nachdem die Ehe des Königs 24. Okt. 1888 durch den neuernannten Metropoliten Theodosius getrennt worden, berief Milan, um durch Versöhnung der Radikalen die Stellung seiner Dynastie zu befestigen, einen aus allen Parteien gebildeten Nationalausschuß. Dieser arbeitete eine neue Verfassung aus, die der Volksvertretung große Rechte einräumte. Darauf wurde eine große Skupschtina gewählt, die, zumeist aus Radikalen bestehend, 22. Dez. 1888 die Verfassung annahm, die am 3. Jan. 1889 verkündet wurde. Unerwarteterweise erklärte König Milan 6. März 1889 seine Abdankung zugunsten seines einzigen Sohnes Alexander I. und ernannte, da der neue König (geb. 14. Aug. 1876) noch unmündig war, eine Regentschaft, die aus Ristić, Protić und Belimarković bestand. Diese beauftragte den Radikalen Taušanović mit der Bildung eines neuen Kabinetts. Doch die Finanzen in Ordnung zu bringen und die Steuern zu ermäßigen, gelang der radikalen Mehrheit nicht. Der Fehlbetrag im Staatshaushalt schwoll immer mehr an, zumal die Regierung von ihren Anhängern die Steuerrückstände (12 Mill.) nicht eintrieb. Anleihen mußten die Ausfälle decken, Ersparnisse wurden nicht gemacht. Endlich, im August 1892, berief die Regentschaft ein liberales Ministerium unter Avakumović; doch erlangte dieses keine zuverlässige Mehrheit in der Skupschtina und erweckte das Mißtrauen Rußlands. So entschloß sich der junge Alexander zu einem Staatsstreich; 13. April 1893 erklärte er sich für großjährig, setzte die Regentschaft und das Ministerium ab und nahm selbst die königliche Gewalt in die Hand. Zum Präsidenten des Ministeriums ernannte er den gemäßigtradikalen Dokić. Die neugewählte Skupschtina stimmte 16. Juni zu. Aber Dokić starb 13. Dez. d. J., und der König konnte mit den Radikalen nicht auskommen. Weder die Zinsen der Staatsschulden noch die Gehalte der Beamten konnten gezahlt werden; große Steuerrückstände bei den Bauern wurden aus Parteirücksichten nicht eingetrieben, aber bei Feststellung des Wahlzensus als bezahlt angerechnet. Daher rief Alexander I. 1894 seinen Vater aus Paris zum Beistand herbei und hob 21. Mai 1894 die Verfassung vom 22. Dez. 1888 auf, an deren Stelle die vom 29. Juni 1869 wieder in Kraft trat. Im Oktober 1894 wurde der tatkräftige Nikola Christić zum Ministerpräsidenten ernannt. Nach seinem Rücktritt (im Juli 1895) übernahm Novaković die Leitung des Ministeriums. Der König versprach eine Rev ist on der Verfassung und berief zu diesem Zweck im Januar 1897 das gemäßigt-radikale Ministerium Simić; doch wurde die Berufung des Verfassungsausschusses vom König wiederholt verschoben. Als sich auch der Exkönig Milan fortwährend in die serbische Politik mischte und sogar auf längere Zeit nach Belgrad kam, räumte Simić im Oktober das Feld, und der ehemalige Leibarzt Milans, Vladan Georgiević, bildete ein liberal-fortschrittliches Ministerium (Finanzen: Vuk. Petrović). Anfang 1898 übernahm Milan das ihm vom König übertragene Oberkommando der serbischen Armee. Trotz aller Schönfärberei war die Regierung nicht imstande, im März 1899 die in Frankreich bestellten neuen Gewehre zu bezahlen und abzunehmen; Rußlands Gesandter Schadowski verließ Belgrad. Am 6. Juli 1899 wurde in Belgrad von einem Bosnier, Knežević, ein Attentat auf Milan unternommen, bei dem dieser selbst mit einem leichten Streifschuß davonkam und nur sein Adjutant schwer verwundet wurde. Milan ließ nach Verkündigung des Belagerungszustandes die Häupter der Radikalen, über 50 Personen, darunter 3 frühere Minister (Pašić, Taušanović und Vesnić), verhaften. Schließlich wurden 26 Radikale vor ein Standgericht gestellt; der Prozeß begann 8. Sept. Am 25. Sept. wurden Knežević und Taissić (Tajsić) zum Tode verurteilt und ersterer sofort erschossen; Taissić war nach Montenegro geflüchtet (begnadigt im Mai 1901). Taušanović erhielt 9 Jahre Gefängnis. Pašić, zu fünfjährigem Gefängnis verurteilt, wurde aus Rücksicht auf Rußland begnadigt; Grujić und Vujić weilten im Auslande. Der Belagerungszustand wurde 1. Okt. 1899 aufgehoben.
Trotz ruhmrediger Thronansprachen, Budgetverschleierungen etc. befand sich S. je länger desto mehr auf einer schiefen Ebene und eilte unaufhaltsam einer Katastrophe zu. Das Hauptereignis 1900 war die Verlobung (im Juli) und Vermählung (5. Aug.) des Königs Alexander schon um deswillen, weil sie den Rücktritt des Exkönigs Milan (11. Febr. 1901 im Auslande gestorben und begraben) vom Oberbefehl und den des Ministeriums Georgiević zur Folge hatte. Die schon 12. Jan. 1901 in der Thronrede angekündigte Geburt eines Thronerben blieb aus. Damit waren neuen Ränken Tor und Tür geöffnet. Versuche der Königin Draga (s. d.), ihren jüngern Bruder zum präsumtiven Thronerben zu erheben, sind nicht erwiesen; doch ist das Gerücht davon eine Hauptursache des Unterganges des Hauses Obrenović. Zunächst freilich schien die Ruhe in S. noch nicht wesentlich gestört zu sein. Am 1. Febr. 1901 wurde die Dienstzeit bei der Infanterie von 2 auf 11/2 Jahr herabgesetzt, 4. April 1902 der Friedensstand des Heeres von 12,000 auf 17,500 Mann erhöht. Am 18. Febr. 1901 gab der Ministerpräsident Alexa S. Jovanović, die Justiz übernehmend, das Ministerium des Äußern an den Pariser Gesandten und vormaligen Finanzminister Michael V. Vujić (s. d.), einen gemäßigten Radikalen, ab und wurde 2. April durch diesen auch im Vorsitz ersetzt. Das Kabinett Vujić, aus vier Radikalen, zwei Fortschrittlern und zwei Neutralen bestehend, hielt sich, nach einer vorübergehenden Krisis im Mai 1902, bis zum Oktober (Finanzminister: Mika Popović). Seine erste Leistung war die neue Verfassung vom 19. April 1901, die S. zum erstenmal das Zweikammersystem verlieh (a: Senat, bestehend aus 3 Virilstimmen, 30 vom König auf Lebenszeit ernannten und 18 auf 7 Jahre gewählten Mitgliedern; b: Skupschtina: 130 vom Volk in geheimer Wahl nach Listenskrutinium gewählte Abgeordnete). Deutlich vollzog sich der Umschwung von der liberalen Ära (Ristić etc.) zur radikalen Vorherrschaft. Und damit wieder gewann der von Rußland geforderte, aber von Österreich bekämpfte großserbische Gedanke an eine mehr oder weniger enge Verbindung mit Montenegro von neuem an Boden; Prinz Mirko heiratete 12. Juli 1902 eine entfernte Verwandte der Obrenović. Daß angesichts der unsichern Verhältnisse auch die Ansprüche der Familie Karageorgiević auf den serbischen Thron von neuem mit Nachdruck verfochten wurden, blieb nicht länger verborgen (Ausruf des Prinzen Peter zu einem Denkmal für seinen Großvater Karageorg, im Januar 1902; Flugschrift des J. Balugdjić gegen die regierende Dynastie, im Februar; Putsch des Rade Alavantić zu Schabatz, 5. März; Aufenthalt des Prinzen Peter in St. Petersburg, im Mai).
Der Stein kam ins Rollen, als der König, um das lästige Übergewicht der Radikalen zu brechen, mit Hilfe des seit November 1902 amtierenden willfährigen fortschrittlich-liberalen Ministeriums Z. Marković 7. April 1903 die Verfassung von 1901 suspendierte, selbstherrlich den Staatsrat zur Disposition stellte, die Mandate der Senatoren für erloschen erklärte, die Skupschtina auflöste, das Preß-, Wahl- und Gemeindegesetz durch die entsprechenden Gesetze von 1869 ersetzte. Unmittelbar nach Ausführung dieser Verordnungen wurde die nunmehr konservativ gehandhabte Verfassung wieder in Geltung gesetzt. Doch konnte auch dieser Staatsstreich die seit Herbst 1901 immer drohender gewordene Katastrophe nicht aufhalten. Am frühen Morgen des 11. Juni 1903 wurden König Alexander und Königin Draga, deren beide Brüder, der Ministerpräsident Marković, der Kriegsminister Mil. Pavlović nebst einer großen Zahl von Anhängern durch eine Offiziersverschwörung ermordet; das Heer rief den Prätendenten Peter Karageorgiević zum König aus. Am 15. Juni vollzogen beide Häuser der serbischen Volksvertretung die Königswahl. Die provisorische Regierung lag inzwischen in den Händen eines Ministeriums, dessen Vorsitz der Liberale Jov. Avakumović übernommen hatte, bis König Peter I. 25. Juni die Regierung selbst antrat und 4. Okt. den gemäßigt-radikalen General Sawa Grujić zum Ministerpräsidenten ernannte.
Obwohl sich S. insofern einer gewissen Stetigkeit zu erfreuen hatte, als seitdem die Gemäßigt-Radikalen (mit Ausnahme der Zeit zwischen 28. Mai 1905 und 7. März 1906, wo der Extremradikale Lj. Stojanović den Vorsitz innehatte) durchaus die Oberhand behaupteten, kam das Land dennoch aus innern und äußern Schwierigkeiten nicht heraus. Es handelte sich um Beseitigung der Verschwörer vom 11. Juni 1903 aus der nähern Umgebung des von ihnen terrorisierten neuen Königs und Herstellung der Einheit der in sich gespaltenen Armee, Wiederanbahnung der durch den Königsmord abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zu den Großmächten, Ermöglichung einer größern Anleihe zur Bestreitung dringend nötig gewordener Kultur- und militärischer Aufgaben, Lösung der damit zusammenhängenden Frage nach der Wahl eines neuen (Rohrrücklauf-) Geschützsystems (7. Nov. 1906 Abschluß eines Vertrags mit der französischen Firma Schneider in Creuzot) und Vereinbarung eines Handelsvertrags mit Österreich-Ungarn, das wegen Nichtberücksichtigung seines Geschützlieferungsangebots und wegen der serbisch-bulgarischen Zollunion vom 1. Jan. 1906 (im Februar fallen gelassen) mit Repressalien drohte. Nach und nach verfiel die radikale Partei eben, um an der Herrschaft zu bleiben, selbst der Reaktion; Preßfreiheit bestand in jüngster Zeit nur noch in der Theorie. Der am 21. Sept. 1904 feierlich gekrönte König, der sich ganz in den Händen der Radikalen befand, büßte 1906 an Popularität merklich ein; im Februar 1907 ließ er ein Hausstatut ausarbeiten. Doch allem Anschein nach ist es dem (nach seinem vorübergehenden ersten Auftreten vom Dezember 1904 bis Mai 1905 und einem kurzlebigen zweiten Kabinett Grujić März und April 1906) seit 28. April 1906 wieder amtierenden Ministerium des Gemäßigt-Radikalen Nik. Pašić (Finanzen: Paču, Inneres: St. Protić [12 Juni 1907 durch N. Petrović ersetzt], Krieg: Putnik, Justiz: Vesnić) gelungen, mit Ausnahme der noch im Juni 1907 ausstehenden Regelung des Verhältnisses zu Österreich, die schlimmsten Krisen zu überwinden. Ende Mai 1906 wurden die fünf Hauptverschwörer (mit vollem Gehalte) pensioniert. Daraufhin ließ endlich auch Großbritannien seinen zähen Widerstand gegen ein Vertretensein bei der serbischen Regierung fallen (im Juni 1906). Anfang 1907 obstruierte die jungradikale Opposition so hartnäckig, daß die Skupschtina 10. April vertagt werden mußte.
Diese äußern und innern Wirren beschäftigten S. in den letzten Jahren so, daß es an ein planvolles Eingreifen in die mazedonischen Verhältnisse nur vorübergehend denken konnte. Doch die wachsenden Übergriffe der Bulgaren machten die darob erbitterte Pforte zu Zugeständnissen an serbische Ansprüche geneigt. Nachdem 1896 der erste serbische Bischof in Prizrendi eingesetzt und die Weihe Firmilians zum Metropoliten von Üschküb erst nach langen Kämpfen 1902 erfolgt war, beeilte sich nach dessen frühem Tode das ökumenische Patriarchat in Konstantinopel, den Altserben Sebastian Debeljković als Firmilians Nachfolger zu weihen (im Februar 1904). Metropolit von Belgrad ist seit 2. Sept. 1905 der bisherige Schabatzer Bischof Demetrius. Am 22. Febr. 1905 wurde die Belgrader Hochschule zur Universität erhoben und 15. Okt. als solche eröffnet. Vgl. die Geschichtskarten zum Artikel »Türkisches Reich«.
Geschichtsliteratur. Ranke, S. und die Türkei im 19. Jahrhundert (Leipz. 1879); Cunibert, Essai historique sur les révolutions et l'indépendance de la Serbie depuis 1804 (Par. 1850–55, 2 Bde.); Hilferding, Geschichte (ältere) der Serben und Bulgaren (a. d. Russ., Bautzen 1856–64, 2 Bde.); Mijatović, History of modern Servia (Lond. 1872) und A royal tragedy (das. 1906); Kállay, Geschichte der Serben (a. d. Ungar. von Schwicker, Pest 1878, Bd. 1); Schwicker, Politische Geschichte der Serben in Ungarn (das. 1880); Möller, Der serbisch-bulgarische Krieg 1885 (Hannov. 1888); Rachić, Le royaume de Serbie, étude d'histoire diplomatique (Par. 1901); Petrović, Die serbische Jahrhundertfeier und die Blutnacht vom 11. Juni 1903 (Berl. 1904); Georgević, Das Ende der Obrenović (Leipz. 1905); Barre, La tragédie serbe (Par. 1906).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.