Görgei

Görgei

Görgei (spr. görgē-i), Arthur, ungar. General, geb. 30. Jan. 1818 zu Toporcz im Zipser Komitat, stammt aus einer alten protestantischen Adelsfamilie, die, deutschen Ursprungs, mit den gleichfalls deutschbürtigen Berzeviczi die Hauptrolle unter dem Zipser Sachsenadel spielte, trat 1832 in die Pionierschule von Tulln und 1837 in die ungarische adlige Leibgarde zu Wien, wo er nebenbei akademische Vorlesungen hörte, und ward 1842 Oberleutnant im Palatinal-Husarenregiment. Von dem einförmigen Friedensdienst nicht befriedigt, verließ G. 1845 die Armee, widmete sich in Prag dem Studium der Chemie und ging im Frühjahr 1848 nach Haus, um die Verwaltung des Familienlandguts zu übernehmen. Um jene Zeit schrieb G. eine gute Abhandlung über die flüchtigen Säuren des Kokosnußöls (»Sitzungsberichte der Wiener Akademie«, 1848, Heft 3). 1848 bot G. der ungarischen Regierung seine Dienste an, ward am 13. Juni zum Hauptmann in der Honvédarmee ernannt, gewann durch sein gewandtes Verfahren bei Errichtung der Zündhütchenfabrik, später bei den Waffeneinkäufen in Lüttich das Vertrauen der damaligen Regierung und ward 27. Aug. zum Major und Kommandanten der mobilen Nationalgarde im Kreis diesseit der Theiß befordert. Mit dieser besetzte er Ende September die Donauinsel Csepel unterhalb Pest, um einen Übergang der Kroaten zu verhindern. Hier fiel 29. Sept. Graf Edmund Zichy in seine Gewalt, und das von G. eingesetzte und geleitete Kriegsgericht verurteilte den reichen Magnaten als Aufwiegler gegen die gesetzliche Regierung, Agenten Jellachichs und als Vaterlandsverräter zum Tode durch den Strang; 1. Okt. wurde Zichy hingerichtet. Dies machte G. sehr populär. Am 7. Okt. gelang es ihm, in Gemeinschaft mit Oberst Perczel die 10,000 Mann starke kroatische Reserve, die Jellachich bei seinem eiligen Rückzug zurückgelassen, bei Ozora zur Kapitulation im offenen Feld zu zwingen. Nun wurde er zum Obersten ernannt und nach dem unglücklichen Treffen von Schwechat (30. Okt.) an Mogas Stelle mit dem Kommando der Donauarmee betraut (15. Nov.). Seine Truppen, die in langgestreckter Linie die Westgrenze Ungarns besetzt hatten, hielten indes vor Windisch-Grätz, der am 15. Dez. die Leitha überschritt, noch nicht stand, und G. wich trotz aller Gegenbefehle Kossuths bis vor Ofen zurück, nach dessen Räumung (3.–5. Jan. 1849) er dse Aufgabe erhielt, nach der Waaglinie zo marschieren und das österreichische Heer in dee linken Flanke zu bedrohen. Von Waitzen aus erließ G. 5. Jan. ein Manifest, das alle Schuld an der schlimmen Kriegswendung den verkehrten Befehlen des Landesverteidigungs-Ausschusses (Kossúths) zuschob und diesen mit den härtesten Anklagen überhäufte. Die »Erklärung der obern Donauarmee«, von sämtlichen Offizieren unterschrieben, wiederholte diese Beschuldigungen und sagte der Regierung förmlich den Gehorsam auf. Diese ignorierte den aus Ärger über den Rückzug, aus verletzter Eitelkeit und Eifersucht entsprungenen Schritt Görgeis, weil sie sein Korps nicht entbehren konnte, übertrug aber (Februar) das Oberkommando dem Polen Dembinski. Die Opposition des soldatischen Kastengeistes in G. und seiner Umgebung gegen die »Schreiber von Debreczin« horte im ganzen Kriege nicht auf. Vor den nahenden österreichischen Korps warf sich G. nun in das Ungarische Erzgebirge und bewerkstelligte von da aus kühn und geschickt seine Vereinigung mit Klapka in Kaschau Jetzt sollte er sich mit dem neuen Oberbefehlshaber vereinigen, traf aber bei Kápolna so spät ein, daß die Schlacht unentschieden blieb (26.–28. Febr.). Nunmehr erhielt Vetter den Oberbefehl; nach dessen Erkrankung aber wurde G. Oberbefehlshaber (31. März). Er ging sofort mit sämtlichen Streitkräften (50,000 Mann) gegen Windisch-Grätz vor, schlug ihn nach mehrtägigen siegreichen Gefechten entscheidend 6. April bei Izsaszeg, wandte sich, während die Österreicher Pest räumten, nach Norden, marschierte das linke Donauufer aufwärts, siegte bei Waitzen, schlug General Wohlgemuth 19. April bei Nagy-Sarló an der Gran und entsetzte 22. April Komorn. Ein Versuch, 26. April der feindlichen Armee auf dem rechten Donauufer den Rückzug nach Österreich, zu verlegen, mißlang, und den Offensivvorstoß gegen Preßburg und Wien unterließ G. gänzlich. Statt dessen wandte er sich gegen das noch immer von Österreichern (Hentzi) besetzte Ofen. Inzwischen war 14. April su Debreczin die habsburgische Dynastie vom Reichstag abgesetzt und Ungarn für eine unabhängige Republik erklärt worden. G. nahm, um die militärische Macht in Händen zu behalten, das Kriegsministerium neben dem Oberkommando an, ging aber nicht auf den Plan ein, die Revolution nach Österreich und Galizien zu verpflanzen, sondern verwendete kostbare Wochen, um Ofen zu erstürmen (21. Mai), allerdings im Interesse der sich nach Pest sehnenden Debrecziner Regierung. Als nun die russische Intervention eintrat und Haynau den Oberbefehl über die Österreicher an der Leitha übernahm, wurde G. bei Zsigárd und Pered 20. und 21. Juni von Wohlgemuth geschlagen, während Haynau, auf dem rechten Ufer vorgehend, Pöltenberg bei Raab 28. Juni schlug und diese Stadt eroberte. G. zog sich in ein verschanztes Lager bei Komorn zurück, und als er sich weigerte, dem Befehl des Kriegsrats in Pest zu folgen und mit der Armee den Rückzug nach der Theiß anzutreten, wurde er 1. Juli abgesetzt, auf Vorstellung seiner Generale (Klapka und Alex. Nagy) indes im Kommando der obern Donauarmee belassen. Von einer einheitlichen Kriegführung konnte von nun an keine Rede sein. Nachdem 11. Juli ein Angriff auf die Österreicher bei Ács zurückgeschlagen worden war, wobei auch G. verwundet wurde, trat er 13. Juli von Komorn aus auf dem linken Donauufer den Rückzug nach der Theiß an, während die Regierung und das Parlament nach Szegedin flüchteten. Um die Russen zu vermeiden, beschloß G., Szegedin über Miskolcz und Tokaj zu erreichen; doch verpaßte er in Ungewißheit über den Feind den Anschluß an die Südarmee. Während dieser Zeit unterhandelte er auch (mit Wissen der Regierung) mit russischen Generalen (Rüdiger); Ende Juli trug er im Auftrag Kossúths dem Großfürsten Konstantin und dem Prinzen Leuchtenberg die ungarische Krone an; vergeblich. Als er nun erfuhr, daß ein Teil der Russen die Theiß überschritten habe, zog er in Gewaltmärschen, dennoch zu spät, auf Arad, während seine Nachhut bei Debreczin von den Russen vernichtet wurde. In Arad, wo er 9. Aug. eintraf, kam er abermals mit Kossuth in Berührung, während die Südarmee unter Dembinski am selben Tage von Haynau vor Temesvár trotz des Eingreifens Bems vernichtend geschlagen ward. Am 10. Aug. kam es im Ministerrat in der Arader Festung zwischen Kossuth und G. zu einem heftigen Streit. Schließlich stellte G. die Forderung: Kossuth und die Regierung möge abdanken und ihm die höchste Zivil- und Militärgewalt formell übertragen. Am 11. Aug. fügte sich Kossúth, und noch am Abend übernahm G. die Diktatur. Daß dies die hoffnungslose Lage der Insurrektion nicht mehr verbessern konnte, war G. klar. Von der Erkenntnis durchdrungen, daß er dem eisernen Ring der Verbündeten nicht entrinnen könne, erklärte sich G. General Rüdiger gegenüber bereit, dem unnützen Blutvergießen durch Kapitulation, doch nur vor seinen Besiegern, ein Ende zu machen. Die Hoffnung jedoch, daß des Zaren Fürsprache die vormals österreichischen Offiziere Görgeis und Ungarns Verfassung retten werde, erwies sich als trügerisch. Am 13. Aug. vollzog sich die Waffenstreckung in ernster Stimmung. G. selbst erhielt auf die Intervention des Zaren hin ungebeten Gnade und wurde in Klagenfurt interniert; dreizehn seiner Generale dagegen wurden in Arad auf Befehl Haynaus hingerichtet; ein ähnliches Schicksal ereilte Hunderte der Honvédoffiziere und Patrioten. Dieses Strafgericht hatte zur Folge, daß viele Ungarn, dem Beispiel Damjanichs folgend, G. des Verrates beschuldigten, welchen Vorwurf G. und seine Anhänger im Laufe der letzten 50 Jahre sich wiederholt bemühten zu entkräften. Er selbst rechtfertigte sein Verhalten in seinem Werke: »Mein Leben und Wirken in Ungarn in den Jahren 1848–1849« (Leipz. 1852, 2 Bde.); dasselbe tat der ehemalige Honvédoberst Aschermann (»Ein offenes Wort in der Sache des Honvédgenerals A. G.«, Klausenburg 1867); ferner Görgeis Bruder Stephan (geb. 1825, ehemaliger Honvédhauptmann, derzeit königlicher Notar in Budapest) mit der Aktensammlung »1848 és 1849 böl« (Budap. 1885, 2 Bde.). Unter den jüngern Verteidigern Görgeis ist besonders Hegyesi zu nennen (s. unten). 1884 sprachen 260 Waffengefährten Görgeis ihren Kommandanten von jeder Schuld frei; später bezeichnete Paul Gyulai (in »Romhányi«) G. als den Sündenbock der Nation. Er selbst griff noch zweimal zur Feder. 1875 erschien anonym die Schrift: »Was verdanken wir der Revolution?«; ferner übte er an Kossúths »Schriften aus der Emigration« unter dem Pseudonym Joh. Demár scharfe Kritik (Budapesti Szemle 1881, Bd. 25 und 26). Die Jahre 1849–68 verlebte G. in Klagenfurt und, als Chemiker, in der benachbarten Moroischen Tuchfabrik in Viktring. 1868 kehrte er zurück und war 1872 als Ingenieur am Bau der Siebenbürger Bahnen tätig, zog sich aber bald nach dem einsamen Visegrád zurück, wo er noch lebt. Seine militärische Korrespondenz befindet sich im Nationalmuseum. – Die außerordentlich reiche Literatur über G. verzeichnet Szinnyei, Magyar irók (Bd. 3, Sp. 1378 ff.). Vgl. Horn, Arthur G. (Leipz. 1850); Kmety, A. Görgeis Leben und Wirken (Lond. 1853); L. Hentaller, G. als Politiker (ungar., 2. Aufl.); O. Elemér, G. im Jahre 1848–1849 (ungar., Budap. 1896), die größern Werke über den 1848er Freiheitskampf von Mich. Horvath, Al. Szilágyi und Al. Márki, und die kriegsgeschichtlichen Werke von Rüstow, Gelich, Bauch, Eug. Horváth; Wacqant, Die ungarische Donauarmee im Jahre 1848–1849 (Bresl. 1902); M. Hegyesi, Geschichte des 3. Honvédbataillons (ungar., 1898); ferner die Memoiren von Asbóth, Szemere, Mészáros, Vetter, Dembinski, Vukovics u.a. (dieMemoiren des Honvédgenerals Joh. Máriássy sind noch nicht veröffentlicht) sowie die ausführlichen Literaturnachweise in Pohlers »Bibliotheca historico-militaris«, Bd. 3 (Kassel 1895).


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