- Liechtenstein [1]
Liechtenstein, souveränes Fürstentum, nächst Monaco und San Marino der kleinste Staat Europas, liegt zwischen 47°3´ und 47°14´ nördl. Br. und zwischen 9°29´ und 9°38´ östl. L., umfaßt den westlichen Abfall des Rätikon zum Oberlauf des Rhein, wird von Vorarlberg im O. und N., von den Schweizer Kantonen Graubünden im S. und St. Gallen im W. begrenzt und hat eine Fläche von 159 qkm (2,9 QM.). Die höchste Erhebung ist der Naafkopf (2573 m) an der Südgrenze. Das Land wird vom Rhein (Grenzfluß gegen die Schweiz) und der Samina (Nebenfluß der Ill) bewässert und hat ein mildes Klima. Die Bevölkerung belief sich 1901 auf 9477 deutsche, kath. Einwohner (4587 männliche, 4890 weibliche), so daß 59 auf 1 qkm kommen. An Unterrichtsanstalten bestehen 33 Volksschulen und eine Unterrealschule (in Vaduz). Die Erwerbsquellen sind namentlich Viehzucht, ferner Getreide-, Obst- u. Weinbau. Die Berge sind mit Wäldern (4700 Hektar) bedeckt. Die Industrie umfaßt Holzbearbeitung, Baumwollspinnerei und -Weberei, Maschinenstickerei und Bierbrauerei. Bis 1866 ein Glied des deutschen Bundes, ist L. seitdem selbständig, steht aber in mehrfacher Beziehung unter österreichischem Einfluß. Die Verfassung des Fürstentums ist konstitutionell-monarchisch und beruht auf der Verfassungsurkunde vom 26. Sept. 1862, die 1878, 1895 und 1901 teilweise abgeändert ist. Der Fürst, dessen Thron im Mannesstamm (Primogenitur) des fürstlich Liechtensteinschen Hauses erblich ist, übt die gesetzgebende Gewalt unter der Mitwirkung des Landtags aus. Derselbe besteht aus 15 Mitgliedern, wovon 3 vom Fürsten ernannt, 12 durch indirekte Wahl nebst 5 Ersatzmännern auf 4 Jahre gewählt werden. Zur Wahlberechtigung und Wählbarkeit ist das zurückgelegte 24. Lebensjahr erforderlich. Der Landtag wird vom Fürsten jährlich einmal in Vaduz einberufen. Als Verwaltungsbehörde fungiert die fürstliche Regierung in Vaduz mit dem Landesverweser als Chef und die politische Rekursinstanz in Wien; außerdem besteht ein Landesschulrat und eine fürstliche Domänenverwaltung. 1903 beliefen sich die Einnahmen auf 835,629 Kr., die Ausgaben auf 820,810 Kr. Eine Staatsschuld fehlt. Die Rechtspflege wird vom Landgericht in Vaduz ausgeübt; als zweite Instanz fungiert das fürstliche Appellationsgericht in Wien, als dritte Instanz das k. k. Oberlandesgericht in Innsbruck. In kirchlicher Beziehung gehört L. zur Diözese Chur. Rücksichtlich der Zölle, der Verzehrungssteuer und des Tabakmonopols bildet L. seit dem 1852 mit Österreich abgeschlossenen Zollvertrag ein gemeinsames Zoll- und Steuergebiet mit Vorarlberg. Das Postregal wird gleichfalls von Österreich ausgeübt. Maße und Gewichte sind die metrischen, Landeswährung ist die Kronenwährung. Das Militär wurde 1868 aufgelöst und die Bevölkerung von der Wehrpflicht entbunden. Das Landeswappen enthält fünf Felder und einen Mittelschild (s. Tafel »Wappen II«, Fig. 9); die Landesfarben sind Blau und Rot. Hauptort des Fürstentums ist Vaduz. S. die Karten »Tirol« und »Schweiz«.
Geschichte. Das fürstliche, vormals gräfliche Haus L., eins der ältesten Geschlechter Österreichs, ist schon um 1130 urkundlich nachweisbar und teilte sich im 13. Jahrh. in zwei Linien, die steirische, L.-Murau, und die mährische, L.-Nikolsburg. Die erstere, welcher der Minnesinger Ulrich von L. (1200–1275) angehörte, starb 1619 aus. Von der Linie L.-Nikolsburg stifteten Hartmanns IV. Söhne Karl und Gundakar, von denen der erste 1618, der zweite 1623 in den Fürstenstand erhoben wurde, zwei nach ihnen benannte Linien. Karl erwarb 1614 das Fürstentum Troppau und 1623 Jägerndorf. Sein Enkel Johann Adam Andreas erkaufte 1699 von den Grafen von Hohenems die reichsunmittelbare Herrschaft Vaduz und Schellenberg und erhielt für ein dem Kaiser gemachtes unverzinsliches Darlehen von 250,000 Gulden eine Stimme auf der Fürstenbank des schwäbischen Kreises. Mit ihm erlosch 1712 die ältere Karlsche Linie im Mannesstamm, worauf Vaduz und Schellenberg an den Fürsten Joseph Wenzel Lorenz von der Gundakarschen Linie kam. Diesem kaufte seines Vaters Bruder, Anton Florian, 1718 Vaduz und Schellenberg ab, und Kaiser Karl VI. erhob diese Herrschaften 1719 unter dem Namen L. zu einem unmittelbaren Reichsfürstentum, daher sein Sohn Johann Joseph Adam 1723 für sich und seine männlichen Nachkommen auch auf dem Reichstag Sitz und Stimme erhielt. Als sein Sohn Johann Nepomuk Karl 1748 ohne männliche Erben starb, erbte Fürst Joseph Wenzel das Majorat und die Güter des Hauses. Nach dessen kinderlosem Ableben fielen 1772 seine Besitzungen an die Söhne seines Bruders Emanuel, Franz Joseph und Karl Borromeus, welche die beiden jetzt blühenden Linien des Hauses L. stifteten. Die ältere besitzt das Fürstentum L. nebst dem größten Teil der Güter in Österreich und Schlesien, die jüngere, Kromauer Linie ist im Besitz des Karlschen Majorats als Sekundogenitur. Auf Franz Joseph (gest. 1781) folgte Alois Joseph bis 1805, dann Johann Joseph (s. unten: Liechtenstein 3), diesem 20. April 1836 sein Sohn Alois (geb. 26. Mai 1796, gest. 12. Nov. 1858) und diesem sein Sohn Johann II., geb. 5. Okt. 1840. Im Besitz der Sekundogenitur war Prinz Karl, geb. 23. Okt. 1790, Obersthofmeister des Kaisers von Österreich und General der Kavallerie, gest. 7. April 1865, dann Prinz Karl Rudolf, geb. 19. April 1827, k. k. Kämmerer und Oberstleutnant, gest. 16. Jan. 1899; sein Erbe wurde sein einziger Bruder, Fürst Rudolf (geb. 18. April 1838). Vgl. Umlauft, Das Fürstentum L. (Wien 1891); Kaiser, Geschichte von L.-Vaduz (Chur 1847); Falke, Geschichte des fürstlichen Hauses L. (Wien 1868–83, 3 Bde.); Klenze, Die Alpenwirtschaft im Fürstentum L. (Stuttg. 1889); Krätzl, Statistische Übersicht des gesamten Joh. Liechtensteinschen Güterbesitzes (7. Aufl., Brünn 1903); »Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum L.« (Vaduz).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.