Juden

Juden

Juden (Israeliten), die Bekenner der mosaischen Religion. Ihr ursprünglicher, meist nach außen geltender Name war Hebräer oder Ebräer (hebr. Ibrim), »die Jenseitigen«, weil ihr Stammvater Abraham von jenseit des Euphrat in Palästina eingewandert war. Die mehr einheimische, auf die Bestimmung des Volkes hinweisende Benennung nach dem dritten Stammvater, Jakob (Israel, d. h. »Gottesstreiter«), Israeliten, entstand schon zu Anfang ihres Geschichtslebens, und mit J. (hebr. J'udim) bezeichnet man nach dem babylonischen Exil die gesamte israelitische Nation, weil die meisten Zurückkehrenden Bürger des ehemaligen Königreichs Juda waren. Die Ereignisse vor der Gefangenschaft in Babylon bilden demnach streng genommen die Geschichte des hebräischen oder israelitischen Volkes, während nach derselben die jüdische Geschichte beginnt.

I. Anthropologisch-ethnographische Verhältnisse.

Über die anthropologische Stellung der J. herrscht zurzeit noch nicht völlige Klarheit. Bisher wollte man in den J. typische Vertreter der semitischen Rasse erblicken. Neuere Untersuchungen haben aber festgestellt, daß anscheinend nur ein geringer Bruchteil der heutigen J., die in Nordafrika ansässigen, diesen Typus aufweisen, daß hingegen bei der großen Mehrzahl der J. der physische Habitus keineswegs dem Typus entspricht, den wir auf Grund unsrer Beobachtungen an heutigen semitischen Völkerschaften (Araber, Syrer etc.) als semitischen bezeichnen. Wie weit man berechtigt ist, von einer jüdischen Rasse zu sprechen, wird weiter unten noch erörtert werden. Auffällig ist, daß sich der jüdische Typus mit seltener Hartnäckigkeit Jahrtausende hindurch erhalten hat. Es kennzeichnen den Juden im allgemeinen eine lange, hakenförmig gekrümmte Nase, vorstehende feuchte Augen, dicke hängende oder wenigstens umgestülpte Unterlippe, straffes, glänzendes Haar, schmächtiger Brustkasten und Plattfüße. Die Hautfarbe weist alle Schattierungen vom dunkelsten Braun über Gelb zum hellsten Weiß auf; im allgemeinen aber besitzt der Jude dunkeln Teint, dunkles Haar und dunkle Augen. Die Frauen pflegen dunkler als die Männer zu sein (Talko-Hryscewicz, Weißenberg, Ripley u. a.); dem widerspricht allerdings Fishberg (auf Grund seiner Untersuchungen von 2272 New Yorker J.). Nach den bisherigen anthropologischen Untersuchungen (bei dieser und der folgenden anthropologischen Betrachtung haben wir freilich nur die J. Europas, des Kaukasus und Nordamerikas im Sinn; über die J. der andern Erdteile existieren keine oder nur mangelhafte Erhebungen), die sich auf nahezu 6000 Individuen erstrecken, kommt dunkles Haar, je nach der Örtlichkeit, bei 74–97 Proz. derselben, helles Haar bei 0,5–32 Proz. und rotes Haar bei 0,7–4,3 Proz. vor, ferner braune und schwarze Augen bei 59–89 Proz., graue Augen bei 12–37 Proz. und blaue Augen bei 1,5–27 Proz. Die Hälfte aller J. (unter der New Yorker jüdischen Bevölkerung 56,8 Proz.) besitzen dunkles Haar und dunkle Augen. Der Bart ist immer heller als das Kopfhaar; rotes Barthaar trifft man dreimal so häufig an als rotes Kopfhaar. Die Beschaffenheit der Haare ist nach Fishbergs Untersuchungen in 67 Proz. schlicht, in 26 Proz. wellig, in 6 Proz. lockig runden Schädel; der Cephalindex liegt um die Ziffer 82 herum. Aus der Gesamtheit der bisherigen Messungen, die an J. der verschiedensten Länder, Klimate und sozialen Verhältnisse genommen worden sind, hat sich herausgestellt, daß über 80 Proz. aller J. einen Schädel besitzen, dessen Index zwischen 78 und 85 liegt, 70 Proz. einen solchen zwischen 79 und 84 und 50 Proz. zwischen 80 und 83. Eine solche Homogenität des Schädeltypus ist bisher bei keinem andern Kulturvolke festgestellt worden. Die Frauen sind im allgemeinen kurzköpfiger als die Männer, weisen indessen nicht eine solche Homogenität wie diese auf. Was die Körpergröße betrifft, so dürfen die J. für klein gelten; für Europa stellt sich ihre durchschnittliche Länge auf 1,63 m. Stets sind die J. kleiner als der Durchschnitt der Bevölkerung, unter der sie leben. Unter großwüchsigen Rassen wird dieser Unterschied mehr betragen als unter kleinwüchsigen Rassen. Diese Minderwertigkeit im Wuchs wird von einigen als erworbene Eigenschaft, als die Folge der ungünstigen hygienischen und sozialen Bedingungen angesehen, unter denen die J. Jahrhunderte, besonders im Mittelalter, gelebt haben. Der gleiche Umstand wird für die Schmalbrüstigkeit und geringe Lungenkapazität angeschuldigt, die den Juden kennzeichnen.

Bei solcher augenscheinlichen Schwächlichkeit in ihrem Äußern fällt an den J. auf, daß sie eine große Lebenskraft entwickeln. Zunächst ist ihre Sterblichkeit in allen Kulturländern eine verhältnismäßig geringere als bei den Nichtjuden, und zwar betrifft diese Mindersterblichkeit vorzugsweise die Lebensalter unter 15 Jahren. Auch die Zahl der Totgeburten ist bei den J. erheblich geringer. Der geringen Sterblichkeit der J. entspricht eine längere Lebensdauer. Auch hat sie zur Folge, daß die Zahl der J. stärker zunimmt, resp. bis vor kurzem zugenommen hat, obgleich die Anzahl der Heiraten und Geburten bei ihnen im allgemeinen geringer ist als bei den Nichtjuden. Der größern Lebenszähigkeit entspricht eine geringere Neigung zu Erkrankungen und demgemäß auch eine geringere Morbidität. Dies kommt im besondern bei den Infektionskrankheiten zum Ausdruck, wie Tuberkulose, Lungenentzündung, Typhus, Malaria, Cholera, Pest und Pocken; alle diese Krankheiten befallen die J. seltener und verlaufen bei ihnen im allgemeinen milder. Besonders auffällig ist dieser Unterschied bei der Tuberkulose, obwohl die Mehrzahl der J. in schmutzigen und hygienisch ungünstig gestellten Wohnungen untergebracht sind, bez. waren (Gettos). Nur eine Infektionskrankheit macht eine Ausnahme, das ist die Diphtherie; für sie weist die Sterblichkeit bei den J. eine höhere Ziffer auf. Von nicht ansteckenden Affektionen ist bei den Krankheiten der Atmungs- und Kreislauforgane, der Nieren, der Leber, des Darmes, der Knochen und der Gelenke die Empfänglichkeit der J. relativ geringer. Hingegen disponieren die J. wiederum mehr für Grünen Star (entzündliches Glaukom) und Farbenblindheit. Ein auffällig hohes Kontingent stellen sie für Zuckerkrankheit, Hysterie, Neurasthenie und Geisteskrankheiten. Verhältnismäßig selten trifft man Epilepsie, Rückenmarksschwindsucht (Tabes) und Gehirnerweichung (Dementia paralytica) sowie alkoholige Geisteskrankheiten an. Auffällig ist endlich noch die außerordentlich große Häufigkeit von Blinden, im besondern Blindgebornen, und Taubstummen.

Als Ursache der relativ geringen Empfänglichkeit für gewisse Krankheiten werden die strengen Speisegesetze, das innerliche und reine Familienleben und die Mäßigkeit im Essen und besonders Trinken (alkoholischer Getränke) angenommen, und auf der andern Seite wieder wird als Ursache der erhöhten Disposition für andre Affektionen die bedrückende Armut, der Schmutz und der Jammer in den Gettos, sowie der nervenaufreibende Konkurrenzkampf ums Dasein ins Feld geführt. Wenngleich alle diese Momente zugestandenermaßen für die erhöhte Immunität, bez. Disposition ins Gewicht fallen mögen, so reichen sie doch zur Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung nicht aus; man kann nicht umhin, auch das Rassenmoment, d. h. eine biologische Rasseneigentümlichkeit, mitsprechen zu lassen.

Die europäischen J. werden in zwei große Gruppen unterschieden, die sich durch Tradition, Ritus, Aussprache des Hebräischen und auch durch ihren physischen Habitus voneinander unterscheiden, in die Sephardim oder südeuropäischen (spanisch-portugiesischen) und die Aschkenasim oder nordeuropäischen (deutsch-polnischen) J. Die Sephardim, die 90 Proz. der gesamten Judenschaft ausmachen, haben ihren Namen von einem (Obadja 20 genannten) unbekannten Lande, Sepharad, erhalten, in das die J. aus Jerusalem vertrieben wurden; die mittelalterlichen Rabbiner verlegten dieses Land nach der Iberischen Halbinsel; daher bezeichnet man auch die von dort im Laufe des Mittelalters infolge der Judenverfolgungen nach Nordafrika, der Balkanhalbinsel und der Levante ausgewanderten Sephardim noch heutigestags als Spaniolen. Die Aschkenasim haben ihren Namen von Aschkenas, dem Sohne Gomers (erwähnt 1. Mos. 10,3) erhalten und sollen nach der jüdischen Überlieferung die Germanen und im besondern die Deutschen bezeichnen. Merkwürdigerweise unterscheiden sich die Sephardim deutlich in körperlicher Hinsicht von den Aschkenasim. Die erstern stellen den feinern und edlern Typus dar mit schlanker Gestalt, zierlichen Extremitäten, exquisit länglicher Kopfform, länglichem, ovalem Gesicht, hakenförmiger, aber sein gebildeter Nase und dünnen Lippen; es kommt dieser Typus dem semitischen nahe. Die letztern weisen unedlere Formen auf: großen Mund, dicke Lippen, dicke Nase und mehr untersetzten Wuchs.

Über die Herkunft des Typus der europäischen J. haben die Untersuchungen v. Luschans neuerdings Klarheit geschaffen. Bereits früher war den Forschern der hohe Prozentsatz an blonden J. ausgefallen. Man glaubte diese Tatsache, die mit der semitischen Abstammung der J. nicht gut in Einklang zu bringen war, einfach dadurch erklären zu können, daß im Laufe der Jahrhunderte die J. Verbindungen mit Vertretern der blonden (teutonischen) Rasse eingegangen seien. Daß zahlreiche Ehen zwischen J. und nichtsemitischen Elementen in fast allen Ländern Europas im Mittelalter geschlossen worden sind, hat die Geschichte berichtet. Bereits zur Römerherrschaft war nach Josephus der Übertritt zum JudentumJudengenossen«) eine nicht ungewöhnliche Erscheinung. Und noch 1092 verbot der ungarische König Ladislaus in seinen Landen die Ehe zwischen J. und Christinnen; jedoch scheint dieser Erlaß nicht den gewünschten Erfolg gehabt zu haben, denn 1119 erließ der Bischof Robert von Gran ein neues derartiges Dekret, da zahlreiche J. mit Christinnen in illegitimer Ehe lebten und in wenigen Jahren die jüdische Religion Tausende von Anhängern gewonnen hatte. Indessen trotz dieser zahlreichen Vermischungen im Mittelalter blieb der hohe Prozentsatz blonder jüdischer Elemente unter der durchaus brünetten Bevölkerung Palästinas und Syriens nicht recht erklärbar; auch die Annahme, daß diese aus einer Kreuzung mit blonden Kreuzfahrern herrühren könnten, genügte nicht. Da kam die prähistorische Forschung zu Hilfe. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß bereits um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. auf den ägyptischen Grabdenkmälern für Palästina ein Volksstamm mit heller Haut, blauen Augen und blondem Haar bezeugt wird, die Amoriter, die großen Enaksöhne, deren in der Bibel des öftern Erwähnung geschieht. Sie müssen als verwandt mit den auf den gleichen Darstellungen vorkommenden blonden Tamahu, d. h. dem »Volk der Nordländer«, angesehen werden, also als Angehörige der arischen Rasse. Auf die Kreuzung der Israeliten mit diesen Nordländern dürften die blonden Elemente unter den heutigen J. zurückzuführen sein. Was die Kurzköpfigkeit der modernen J. anbetrifft, die sie in geraden Gegensatz zu der ausgeprägten Langköpfigkeit der semitischen Stämme stellt, so hat v. Luschan wahrscheinlich gemacht, daß sie von einer kurzköpfigen Urbevölkerung Kleinasiens herrührt, von der die heutigen Armenier, das fast am meisten kurzköpfige Volk der Erde, ihre Schädelform überkommen haben. Die Armenier zeichnen sich außerdem noch durch fast durchweg dunkle Augen, schlichtes dunkles Haar und große gebogene Nase (wie die J.) aus. Diese vorderasiatische kurzköpfige Urbevölkerung (Armenoiden nach v. Luschan, Alarodier nach Hommel), die uns, mit der gleichen äußern Erscheinung ausgestattet, auf den Reliefs von Sendschirli entgegentritt, dürfte mit den Hethitern (Kheta) der Bibel identisch sein, die von einigen Autoren in Zusammenhang mit den Mongolen gebracht wird. Es haben demnach im wesentlichen drei Rassenelemente zur Zusammensetzung des jüdischen Typus beigetragen: 1) der ursprüngliche semitische Stamm, 2) die arischen Amoriter und 3) [und dieses in der Hauptsache] die (mongolischen?) Hethiter. Solange wir keine Schädel der alten Hebräer oder naturgetreue Darstellungen derselben aus dem Beginn der Geschichte des jüdischen Volkes besitzen, müssen wir uns mit dieser Annahme bescheiden. In körperlicher Hinsicht können also die J. nicht mehr als eine reine, d. h. ursprüngliche Rasse angesehen werden. Trotzdem kann man von einer jüdischen Rasse wohl in dem Sinne reden, daß sich der aus einer Vermischung verschiedener ethnischer Elemente bereits vor Jahrtausenden hervorgegangene Typus durch beständige Inzucht, resp. relativ sehr geringe spätere Vermischung erhalten und fixiert hat.

Mit mehr Zähigkeit haben sich bei den J. gewisse Charaktereigenschaften der Semiten erhalten, wie Habgier, Verschlagenheit, Schlauheit und Abneigung gegen körperliche Arbeit, Eigenschaften, denen wir bei den heutigen J. häufig genug begegnen. Daneben aber auch treffen wir bei ihnen edlere Züge an, wie ausgeprägten Familiensinn, Sittenreinheit, Mäßigkeit in Genüssen, Anhänglichkeit an die von den Vätern überkommene Religion und altruistisches Gefühl nicht bloß für ihre Glaubensgenossen. Die J. leben in den Kulturstaaten Mitteleuropas mitten unter der übrigen Bevölkerung und genießen heutigestags die gleichen Rechte wie diese. Aber schon in Böhmen und noch mehr im Osten Europas nehmen sie eine untergeordnete soziale Stellung ein, und in unzivilisierten Staaten, wie in Marokko, Tunis und Tripolis, fristen sie ein Dasein, das den unwürdigen Zuständen nicht unähnlich ist, unter denen die J. bei uns im Mittelalter lebten. Sie sind in eignen Stadtvierteln (Gettos, Millah, Hara) eingepfercht, die vor Schmutz starren und auch sonst so unhygienisch wie möglich eingerichtet sind, müssen besondere Abzeichen oder Kleidung tragen und die niedrigsten Beschäftigungen verrichten. Mit einer Zähigkeit sondergleichen halten die J. zumeist an dem Glauben und den Überlieferungen ihrer Väter fest: sie üben durchweg die Beschneidung, halten Sabbatruhe, befolgen die Reinigungsgesetze und z. T. auch die Speiseverbote, verrichten beim Gottesdienste die gleichen Riten wie ihre Altvordern u. a. m. Die J. sprechen im allgemeinen die Sprache des Volkes, unter dem sie leben. Die Aschkenasim haben sich in Deutschland ein eignes Idiom geschaffen, das Jüdisch-Deutsch (s. Jüdisch-deutscher Dialekt), das von der Volkssprache sich dadurch unterscheidet, daß es viele Ausdrücke hebräischen Ursprunges sowie zahlreiche sonstige fremdländische Wörter enthält, eine dumpfere Vokalisation aufweist und in einem eigenartigen singenden, dabei aber auch lispelnden Tone (Mauscheln) gesprochen wird. Im allgemeinen scheuen die J. die körperliche Arbeit; sie ziehen einen Beruf vor, der mit nicht großen Anstrengungen verbunden ist, und betreiben daher mit Vorliebe Handel und Geldgeschäfte. Auf dem Gebiete der Geisteswissenschaften besitzen sie eine große Ausdauer und haben der Welt verhältnismäßig mehr Männer von hervorragender Bedeutung gestellt als die Christen. Die Arbeitsgebiete, auf denen sich die J. in wissenschaftlicher Hinsicht betätigen, sind die dramatische und die Tonkunst, ferner die Medizin, die Mathematik, die Philologie und die Sozialwissenschaften, und zwar sind die Männer, die sie geliefert haben, mehr talentvolle als geniale Naturen.

[Statistisches.] Die Zahl der J. auf der Erde beziffert sich nach den neuesten statistischen Ergebnissen auf 10,597,250. Diese verteilen sich wie folgt:

Tabelle

Vgl. auch die statistische Übersicht zur »Religionskarte der Erde«; die Verbreitung der J. im Deutschen Reiche zeigt die Karte bei Art. »Deutschland« (S. 775, mit Textblatt). Vgl. Alsberg, Rassenmischung im Judentum (Hamb. 1891); Andree, Zur Volkskunde der J. (Bielef. 1881); Buschan, Einfluß der Rasse auf die Form und Häufigkeit pathologischer VeränderungenGlobus«, Bd. 67, 1895); Fishberg, Physical anthropology of the Jews (American Anthropologist, Bd. 4 u. 5,1902 u. 1903); Hoppe, Krankheiten und Sterblichkeit bei J. und Nichtjuden (Berl. 1903); Jacobs, On the racial characteristics of modern Jews (Journal of Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, Bd. 15, 1886; Bd. 19, 1890) und Studies of Jewish statistics (Lond. 1891); Judt, Die J. als Rasse (deutsche Ausg., Berl. 1903); Lombroso, Der Antisemitismus und die J. (deutsch, Leipz. 1894); v. Luschan, Die anthropologische Stellung der J. (im Korrespondenzblatt der Deutschen anthropologischen Gesellschaft 1893); Weißenburg, Die südrussischen J. (Archiv für Anthropologie, Bd. 23, 1895); Ripley, The races of Europe, Kap. 14: The Jews and Semites (Lond. 1900); H. Singer, Allgemeine und offizielle Krankheitslehre der J. (Leipz. 1904); Stratz, Was sind die J.? (Wien 1903); Nossig, Jüdische Statistik (Berl. 1903); »Zeitschrift für Demographie und Statistik der J.« (redigiert von A. Ruppin, das. 1905 ff.).

II. Geschichte des Volkes Israel.

Die Quellen der israelitischen Geschichte fließen in der Bibel. Die neuere Forschung hat diese Quellen zu scheiden und zu klären versucht, die Ergebnisse der Ethnologie und der orientalischen Wissenschaft, sowie die Entzifferung der babylonisch-assyrischen Tontafel-Inschriften u. a. verwertet. Dadurch wurden die erzählenden biblischen Bücher als jüngere Berichte deklariert, und vieles, was seither als historisch galt, besonders die ganze ältere Überlieferung, als volkstümliche Sage hingestellt. Da die Kritik der historischen Bücher des Alten Testaments vielfach umstritten und noch nicht abgeschlossen ist, so erscheint hier unter Hinweis auf die Resultate der neuern Forschung noch der alte Gang der biblischen Geschichte, jedoch mit dem Verzicht auf die Angaben einer zweifelhaften Chronologie. Den einzelnen Personen sind meist Spezialartikel gewidmet, so daß sich hier weitere Ausführungen erübrigten.

Vorgeschichte bis zur Königsherrschaft.

Aus Mesopotamien zieht um 2140 Abraham nach Palästina, um den Glauben an Einen Gott zu verbreiten (Einführung der Beschneidung, s. d.). Sein Sohn Isaak und sein Enkel Jakob erhielten die monotheistischen Grundsätze. Jakobs Sohn Joseph, von seinen Brüdern als Sklave nach Ägypten verkauft, schwang sich hier zum Minister empor und siedelte während einer Hungersnot seine Familie (70 Personen) in der ägyptischen Provinz Gosen an. Hier bildete sie sich, eigne Sitten, Sprache und Gebräuche bewahrend, zu einem Volk aus, das nach Jahren ungestörter Entwickelung durch eine neue Dynastie geknechtet ward. Aus der Knechtschaft befreite es Moses, unterstützt von seinem beredten Bruder Aaron. Am 15. Nissan-fand nach Einsetzung des Passah der Auszug aus Ägypten statt. Nach wunderbarer Rettung am Roten Meer, Führung und Erhaltung in der Wüste und Abwehr feindlicher Angriffe ward der Bund mit Gott am Sinai geschlossen und das Zehngebot verkündet, dem sich später die weitere Gesetzgebung anreihte. Die Pflege des religiösen Lebens ward den Priestern, dem Stamm Levi, anvertraut und das Hohepriesteramt Aaron übertragen. Dieser leitete dann im Stiftszelt den Opfergottesdienst. Das Volk ward in zwölf Stämme, die nach zehn Söhnen Jakobs und den zwei Söhnen Josephs (Ephraim und Manasse) benannt sind, diese in Geschlechter und diese wieder in Familien eingeteilt. Ausbrüche der Unzufriedenheit, Rückfall in ägyptischen Götzendienst, die Entmutigung des Volkes nach dem Bericht der von Moses nach Kanaan ausgesandten Kundschafter veranlaßten den Führer, die Israeliten 40 Jahre in der Wüste zu halten, um ein kriegstüchtiges, zuchtgewohntes Volk heranzubilden. Moses schuf für sie eine theokratische Verfassung und brachte sie bis an die Grenzen des verheißenen Landes, das zu erobern seinem Jünger und Nachfolger Josua vorbehalten blieb.

Unter Josuas Leitung überschritten die Israeliten den Jordan, bemächtigten sich in einem siebenjährigen Kriege der festen Städte des Landes, rotteten, wie ihnen das Gesetz vorschrieb, den größten Teil der alten heidnischen Einwohner (die Gibeoniten fanden durch List Schonung) aus und teilten, nachdem bereits 21/2 Stämme ihren erwünschten Besitz im Ostjordanland empfangen hatten, das Land durchs Los unter die übrigen 91/2 Stämme (vgl. das Kärtchen). Die Leviten erhielten 48 Städte, einschließlich der Asylstädte (s. Asyl). Nach der Regierung Josuas und der ihm folgenden »Ältesten« bedrohten den Staat innere Unruhen, Gesetzlosigkeit und äußere Feinde. Begeisterte Persönlichkeiten aus der Mitte des Volkes übernahmen nun als »Richter« (Othniel, Ehud, Samgar, die Richterin Debora, Gideon, Jephta, Simson u. a.) die Führung. Der vorletzte derselben, Eli, vereinigte in sich das Richter- und Priesteramt, konnte aber der Philister nicht Herr werden; erst seinem Schüler Samuel gelang es, diesen mächtigen Feind zu besiegen, die Einigkeit des Volkes zu schaffen und durch Gründung von Prophetengenossenschaften zu wirken. Trotzdem sah er sich gezwungen, auf Wunsch des Volkes statt der alten Stammesverfassung die Monarchie einzuführen.

Während die neue bibelkritische Richtung die ägyptische Sklaverei und die Befreiung aus derselben durch Moses für historisch hält, verweist sie den Aufenthalt der Stammväter in Ägypten in das Reich der Sage, macht sie und die Söhne Jakobs zu Stammheroen und betont, daß nur einzelne Stämme aus der Knechtschaft gezogen seien, die größere Volksmasse sich aber erst nach und nach gebildet habe. Ebenso sei der Monotheismus das Produkt späterer, vom Kultus der kanaanitischen Ureinwohner beeinflußter Entwickelung. Die Eroberung des Ostjordanlandes sei allmählich erfolgt, wie die Umbildung des von Moses geschaffenen Volksverbandes zum Volkskörper und der Nomaden zu Ackerbauern. Von den Richtern sei nur der Tyrann Abimelech eine geschichtliche Persönlichkeit, die Richterzeit selbst aber jene Epoche, in der verschiedene Nomadenstämme und auch die Philister mit Israel um den Besitz des Westjordanlandes stritten, welche Kämpfe die Monarchie gezeitigt hätten.

Das nationale Königtum.

Samuel salbte Saul, den Sohn des Kisch, einen benjaminitischen Landmann, zum König. Die äußere Gefahr brachte das Volk unter Sauls Leitung zur Einigkeit; nach einem glänzenden Sieg über die Ammoniter ward ihm allgemein gehuldigt.

Gebiete der zwölf Stämme Israels.
Gebiete der zwölf Stämme Israels.

Ferner siegte er über die Moabiter, Edomiter, Philister und Amalekiter. In diesem letzten Krieg erregte er das Mißfallen Samuels, der in dem mächtigen Stamm Juda einen neuen, im Geiste des Prophetentums erzogenen König suchte und David, Isais Sohn aus Bethlehem, zum Regenten bestimmte. Eifersucht gegen David, in dem er den Kronprätendenten fürchtete, Schwermut und Mißerfolge führten den Fall Sauls in der Schlacht am Berge Gilboa gegen die Philister herbei, und der neue König, wenn auch 71/2 Jahre lang nur den Stamm Juda beherrschend (denn Sauls Sohn Esbaal herrschte durch des Feldherrn Abner Einfluß zu Machanajim über die übrigen Stämme), befestigte den Staat, entfaltete seine Macht und dehnte das Land nach Kriegen über innere und äußere Feinde vom Mittelmeer bis zum Euphrat aus. Unter ihm ward Jerusalem, das frühere Jebus, Mittelpunkt des gottesdienstlichen und nationalen Lebens; er führte von Kirjath-Jearim die Bundeslade dorthin über, bereitete den Bau eines Tempels vor, richtete einen regelmäßigen Gottesdienst ein, den er durch Musik und Gesang hob, und pflegte die religiöse Dichtkunst. David brachte den Staat, den er, mit Umgehung seines ältesten Sohnes, Adonia, seinem Sohn von der Bathseba, Salomo, vererbte, durch Einigung der Stämme und Pflege religiösen Lebens zur Blüte. Salomos Regierung war friedlich. Ein wissender und weiser Regent, förderte er Kunst und Bildung, verschönerte Jerusalem, baute den prachtvollen Tempel, befestigte das Land, erweiterte den Heerbann und schloß verwandtschaftliche Beziehungen mit Ägypten sowie Handelsverbindungen mit Phönikien. Mit dem Wohlstand wuchs aber der Luxus und mit diesem die drückende Steuerlast des Volkes. Heidnische Frauen entfremdeten den König dem Volk, und allmählich bereitete sich die Auflösung vor, die nach seinem Tod auch eintrat. Unter Salomo hatte sich das Reich zur höchsten Blüte entfaltet. Er hat sein Land dem Weltverkehr geöffnet, die Produkte des Auslandes eingeführt, die Kunst der Ägypter und Phöniker verwertet, den Wohlstand der Untertanen, ihr Wissen und ihre Religiosität gefördert und durch strenge Gesetzlichkeit seinen Staat fest gefügt.

Die Unzufriedenheit des Volkes in den letzten Regierungsjahren Salomos, die Weigerung seines Sohnes und Nachfolgers Rehabeam, den Druck zu erleichtern, führten zur Auflösung des vereinigten Reiches. Die Stämme Juda, Benjamin und die Leviten schlossen sich als Reich Juda Rehabeam an; die übrigen Stämme wurden mit dem tributpflichtigen Moab unter Jerobeam zu dem Reich Israel vereinigt.

Tabelle

Das Reich Israel.

Israel gelangte nie zu innerer Festigkeit. Bedrängt von Feinden, versagte der Schutz der schwachen, oft verbrecherischen Regenten; ja, sie störten den Frieden im Innern durch Begünstigung heidnischer Kulte. Parteikämpfe, unkluge politische Verbindungen schwächten Macht und Wohlstand. Begeisterte Propheten konnten trotz größern Anhanges dem Verderben nicht steuern, und nach ca. 250 Jahren unterlag Israel den Angriffen der Assyrer. Jerobeam 1., aus dem Stamm Ephraim, der schon unter Salomo einen Aufstand geplant und, nachdem er entdeckt war, sich der Strafe durch Flucht nach Ägypten zum Pharao Scheschenk entzogen hatte, ward zum König ausgerufen. Durch Erhebung des Götzendienstes zur Staatsreligion, durch stete Kämpfe mit Juda begann bereits unter ihm die Schwächung der Volkskraft. Sein Sohn Nadab ward bei Belagerung der Feste Gibbethon von dem Heerführer Baësa ermordet, der nun den Thron bestieg und mit Asa von Juda, den der Beistand Damaskus' rettete, kämpfte. Er regierte 24 Jahre, während sein Sohn und Nachfolger Ela nach nur zweijähriger Herrschaft von Simri ermordet wurde. Dieser genoß sein Herrscherglück nur sieben Tage. Dann rief das vor Gibbethon liegende Kriegsvolk Omri zum Regenten aus, der in mehrjährigem Bürgerkrieg seinen Gegenkönig Tibni bekämpfte. Omri gründete das feste Samaria, machte es zur Residenz und ward dadurch der eigentliche Begründer des Reiches Israel. Omris Sohn und Nachfolger Ahab war der Gemahl der phönikischen Prinzessin Isebel, auf deren Veranlassung er den Baals- und Astartekultus einführte und dadurch einen harten Kampf mit dem Prophetentum (Elias und Elisa) hervorrief. Er bahnte ein freundschaftliches Verhältnis mit Juda an, besiegte die Syrer, fiel aber in einem spätern Kampfe gegen sie. Ihm folgte sein Sohn Ahasja, der die Wiedereroberung früher moabitischer Landesteile durch Mesa geschehen lassen mußte. Trotz judäischer Hilfe vermochte auch sein jüngerer Bruder und Nachfolger Joram die verlornen Bezirke nicht wiederzugewinnen. Als Werkzeug zur Ausrottung der Familie Ahabs ward Jehu auf Betreiben Elisas zum König erkoren. Er erschlug Joram und rottete dessen ganze Familie und durch eine Fülle von Mordtaten den Baalsdienst aus. Unter seinen Nachfolgern Joahas und Joas sinkt das Reich, das Jerobeam 11. wieder zu kurzer Blüte bringt. Die nach Jerobeams Tod eintretende Anarchie, die Zunahme der Sittenlosigkeit unter seinen Nachfolgern Secharja, Sallum, Menachem, die unter Pekach erfolgte Niederlage gegen Tiglathpileser von Assyrien, die Fortführung eines großen Teiles des Volkes in die Gefangenschaft bereiteten die Auflösung des Reiches vor, die 722, nachdem der letzte König Hosea schon seit drei Jahren im Kerker schmachtete, durch den König Sargon von Assyrien erfolgte. Ein großer Teil des Volks, darunter allein die Einwohnerschaft Samarias mit 27,280 Seelen, ward nach Assyrien ins Exil geführt, assyrische Kolonisten kamen aus Babel, Kuta und andern Bezirken in das Land, aus deren Vereinigung mit den Israeliten die Samaritaner (Kutäer) entstanden sein sollen.

Das Reich Juda.

Das Reich Juda, bevorzugt durch den Besitz Jerusalems, des Nationaltempels und einer gesetzlichen Priesterschaft, nach außen durch natürliche Festigkeit geschützt, pflegte mehr das reine Israelitentum, ward von der Dynastie Davids beherrscht (mit wenigen Ausnahmen vererbte sich das Reich vom Vater auf den Sohn) und behauptete seine Selbständigkeit bis 586 v. Chr. Die Regierung Rehabeams befestigte die Monarchie, suchte die Vereinigung der getrennten Stämme zu erzwingen, ward aber im Kriege mit Scheschenk von Ägypten geschwächt. Rehabeams Sohn Abiam vererbte nach ruhmloser Regierung den Thron auf seinen Bruder Asa. Dieser besiegte arabische Stämme, mit Hilfe des Syrerkönigs Ben Hadad den König Baësa von Israel, befestigte das Land, verbesserte die Heereseinrichtungen und hob den verbotenen Höhendienst auf. Asas Sohn Josaphat, ein gerechter Fürst, konnte in meist friedlichen Zeiten die Rechtspflege heben und den Einfall der Edomiter, Moabiter und Ammoniter siegreich zurückweisen. Weniger Erfolg hatte er in seinen Kriegen gegen Syrien und mit seiner Schiffahrt nach Ophir, da die in Ezjongeber erbauten Schiffe im Arabischen Meerbusen scheiterten. Um die Feindseligkeiten mit Israel beizulegen, vermählte er seinen Sohn Joram mit Athalia, der Tochter Ahabs. Nachdem deren Sohn Ahasja, der kaum ein Jahr regierte, von Jehu ermordet worden war, übernahm sie die Regierung und ließ, um die Dynastie Davids auszurotten, ihre Enkel, von denen nur Joas entkam, umbringen. Sie ward von dem Hohenpriester Jojada gestürzt und getötet, und ihr Enkel, der siebenjährige Joas, unter Vormundschaft auf den Thron erhoben. Joas regierte zuerst nach mosaischen, später nach heidnischen Grundsätzen. Den Abzug der Syrer mußte er mit Geld erkaufen. Er ward nach 40jähriger Regierung von Verschwornen ermordet. Sein Sohn Amazja verlor Jerusalem an Israel und wurde ebenfalls ermordet. Das Volk rief seinen 16jährigen Sohn Usia, auch Asarja genannt, zum König aus. Es hatte recht gewählt, denn sein Regent war umsichtig und stark, wußte seine Rechte geltend zu machen und, vom Kriegsglück begünstigt, verstand er es, in einer 52jährigen Regierungszeit den Wohlstand des Landes und dessen Macht bedeutend zu heben. Unter Usias Nachfolgern Jotam und Ahas sank die Macht Judas wieder, das Land war 20 Jahre lang von Assyrien abhängig und hatte Kämpfe mit Syrien und Israel und mit den Assyrern zu bestehen. Zu dieser Zeit eiferte der begeisterte Jesaias wie in Israel so auch in Juda gegen den Götzendienst und die Sittenverderbnis, wie es vor ihm Hosea in Israel getan hatte. Der fremde Kultus hörte erst unter Hiskia auf. Hiskia versagte nach Sargons Tod (705) den Assyrern den Tribut, verband sich mit Ägypten, mußte aber von Sanherib, der auf seinem Zuge nach Ägypten Jerusalem belagerte, Frieden erkaufen. Sein Sohn Manasse begünstigte trotz des Widerstandes der Propheten den Dienst der Astarte, des Baal und Moloch, ward gefangen nach Babylon geführt und regierte, wieder entlassen, in besserm Sinn, aber stets als tributpflichtiger Vasall Assyriens. Amon, Manasses Sohn, wurde schon nach zweijähriger Regierung durch eine Palastverschwörung ermordet. Das Volk tötete die Verschwörer und setzte den achtjährigen Sohn Amons Josia auf den Thron. Dieser war nach dem Zeugnisse seines Zeitgenossen, des Propheten Jeremias, ein gerechter und milder König. Er beseitigte den Götzendienst und hob auf Grund des neugefundenen »Gesetzbuch Moses« (vielleicht identisch mit dem 5. Buch Mose) den religiösen Geist im Volk, in dem auch begeisterte Propheten Erfolg hatten. Josia fiel als Bundesgenosse der Babylonier in der Schlacht bei Megiddo (609) gegen Necho von Ägypten. In der letzten Zeit seines Bestehens von Schwächlingen regiert (Joahas, Jojakim, Jojachin) und von den Nachbarvölkern öfters besiegt, wurde das Reich Juda unter dem letzten König, Zedekia, von Nebukadnezar der Herrschaft Babylons unterworfen. Zedekias Versuche, die Selbständigkeit wiederzuerlangen, mißglückten; seine Kinder wurden vor seinen Augen geschlachtet, er selbst wurde auf der Flucht ergriffen und geblendet und starb im Kerker zu Babylon. Jerusalem wurde erobert und sein Tempel zerstört (Juli bis August 586), während das Volk in die »babylonische Gefangenschaft« geführt wurde. Über den im Lande bleibenden Rest des Volkes setzte Nebukadnezar den Statthalter Gedalja, unter dessen Leitung die Zustände sich hoben, bis Ismael ihn erschlug. Den Verfolgungen der Sieger suchten viele J. durch die Flucht nach Ägypten zu entgehen.

III. Jüdische Geschichte.

A. Vom babylonischen Exil bis zur Zerstörung Jerusalems durch die Römer (586 vor bis 70 n. Chr.).

Von der dem Volk, für das jetzt der Name J. (s. die Einleitung, S. 328) allgemein wurde, von Kyros 536 erteilten Erlaubnis, nach Palästina zurückzukehren, machten nur 42,360 Verbannte Gebrauch. Diese begannen den Wiederaufbau des Tempels, den sie unter Darius J., nachdem die von den Samaritanern ausgehenden Verleumdungen entkräftet waren, vollendeten und 516 einweihten. Esra, Spezialkommissar des persischen Königs Artaxerxes I. Longimanus, brachte 458 neue Kolonisten (allein 1772 Männer) nach Palästina, löste die mit Heiden geschlossenen Ehen, befestigte Jerusalem und weckte die Begeisterung für die unverfälschte Moseslehre. Mit ihm vereint, wirkte seit 444 Nehemia, der Mundschenk Artaxerxes' I. Mit königlichen Vollmachten versehen, setzte er energisch das Reformwerk fort, umgab Jerusalem mit einer Mauer und sorgte für innere Kräftigung und Konsolidierung der jungen Gemeinde, der das Ausscheiden der Samaritaner (s. d.) bald einheitliches Gepräge gab. Jetzt soll auch die große Synode von Schriftgelehrten (Soferim), welche die heiligen Schriften sammelte und den Gottesdienst ausbildete, entstanden und von Nehemia eine Tempelbibliothek angelegt worden sein. Der junge Staat ward als Satrapie Persiens zunächst von dem jedesmaligen Hohenpriester regiert. Äußere Ruhe, nur einmal unter Xerxes I. (dem Ahasverus des Buches Esther) unterbrochen, ließ trotz der Einwirkung Babylons den jüdischen Geist erstarken. Die politischen und religiösen Zustände änderten sich auch nicht, als Alexander 332 Jerusalem sich unterwarf und nach dessen gerechter Regierung das Land 320 bei der Eroberung des phönikischen Küstenlandes Ptolemäos Lagi, dem nachmaligen ersten König Ägyptens, anheimfiel, der es auch nach dem Friedensschluß von Ipsos (301) gegen Seleukos von-Syrien behauptete. Ptolemäos I., dem viele J. nach Ägypten folgten, behandelte sie, wie auch sein Nachfolger Ptolemäos II. Philadelphos, wohlwollend. Nach weniger günstigen Verhältnissen unter Ptolemäos Euergetes und Philopator erfuhren die J. während der syrischen Oberherrschaft unter Antiochos III. (224–187) und Seleukos IV. (187–175), dessen Vorhaben, den Tempelschatz zu berauben, mißlang, im allgemeinen eine milde Behandlung. Mit der in Vorderasien sich immer mehr einbürgernden griechischen Kultur erwuchs den J. und dem Judentum ein starker Feind, und unter Antiochos IV. Epiphanes (175–163), der in Palästina den griechischen Gottheiten Altäre errichtete, die Bildsäule des Zeus im Tempel zu Jerusalem aufstellen ließ, die Feier der Festtage und die Beschneidung bei Todesstrafe untersagte, brach ein Verzweiflungskampf zwischen Judentum und Hellenismus aus. Die J., von den begeisterten Makkabäern (Hasmonäern), besonders von Judas Makkabäus (s. d., S. 327) geführt, siegten und konnten nach dreijährigem Kriege 25. Kislev (Dezember) 164 den durch heidnische Opfer verunreinigten Tempel wieder einweihen (Entstehung des Weihefestes Chanukka, s. Feste, S. 463). In dem von neuem entbrannten Kriege mit den Syrern war Juda 160 gefallen, und seine Brüder Jonathan und Jochanan setzten das Befreiungswerk fort. Zehn Jahre lang behauptete Jonathan, der eigentliche Begründer des Makkabäerstaates, sich als Herrscher, ward aber 142 von Tryphon, dem Vormunde des jungen syrischen Regenten Antiochos Theos, zu Ptolemaïs ermordet. Sein entschlossener, tapferer Bruder Simon (142–136) schlug Tryphon, zwang ihn zum Rückzug und zog 141 im Triumphzug in Jerusalem ein, das der freie Fürst befestigte. Er schuf eine neue Heeresorganisation, förderte Handel und Ackerbau und erlangte von den Römern die Anerkennung des neuen jüdischen Staates. – Ein ruhigeres Leben als ihre Brüder im Mutterland führten die J. in Ägypten. Sie beteiligten sich, hauptsächlich in Alexandria, an Handel und Gewerbe, pflegten die griechische Wissenschaft und zeichneten sich nicht selten als Soldaten aus. Zahlreiche J. siedelten sich auch in der Nähe des von Onia 160 v. Chr. bei Heliopolis nach dem Muster des jerusalemischen errichteten, bis zu seiner Zerstörung durch Vespasian (73 n. Chr.) bestehenden Tempels an.

Mit Simon beginnt die Reihe der selbständigen Herrscher Judäas (140 v. bis 6 n. Chr.), zuerst die der Hasmonäer, denen von 37 v. Chr. ab die Herodäer folgen. Johannes Hyrkan, Simons Sohn (136 bis 105), eroberte, als die Streitigkeiten mit Syrien beigelegt waren, ostjordanische Gebiete, den Hafen zu Joppe, zerstörte Sichem, den samaritanischen Tempel auf dem Berge Gerisim und Samaria (109 v. Chr.), nachdem er früher schon die unterworfenen Idumäer zur Annahme des Judentums gezwungen hatte. Beleidigungen von der pharisäischen Partei veranlaßten zum Verdruß des Volkes seinen Anschluß an die Sadduzäer (s. Pharisäer und Sadduzäer). Nach zweijähriger grausamer Regierung des Juda Aristobul (105–104) bestieg Alexander Jannai (104–78), ein schwelgerischer Tyrann, den Thron; er führte einen sechsjährigen Bürgerkrieg herbei, den seine Grausamkeit auch wieder beendigte. Er hinterließ seiner Witwe Salome Alexandra (78–69), einer umsichtigen Frau, die sich auf seinen Rat wieder den Pharisäern anschloß, die Regierung. Die Übertragung des Hohenpriesteramts auf ihren ältesten, kraftlosen Sohn, Hyrkan, erweckte den Haß des jüngern, tatkräftigen Aristobul, der, unterstützt von den beleidigten Sadduzäern, nach der Mutter Tode dem Bruder den Krieg erklärte. Die Niederlage Hyrkans bei Jericho hob Aristobul auf den Thron, den er wohl gegen den Idumäer Antipater, nicht aber gegen den zum Schiedsrichter in dem Bruderzwist angerufenen Pompejus behaupten konnte. Pompejus eroberte 63 Jerusalem, setzte Hyrkan (11.) zum Hohenpriester und Vasallenfürsten (Ethnarchen) ein, ließ die Mauern der Stadt niederreißen und machte das auf die Grenzen vor der makkabäischen Erhebung beschränkte Land tributpflichtig. Die Unruhen im Lande nahmen zu, die Fluchtversuche Aristobuls und seines Sohnes Alexander und die damit beabsichtigten Volksaufstände wurden vereitelt. Die Römer suchten den Einfluß der Hauptstadt dadurch zu brechen, daß sie das Land in fünf Gerichtsbezirke (Jerusalem, Jericho, Sepphoris, Amathus und Gadara) einteilten. Diese Maßregel verhütete neue Aufstände nicht. Unter Crassus, der den Tempelschatz beraubt hatte, entstand wiederum eine Empörung, deren erst Cassius bei Tarichäa Herr wurde. Cäsar belehnte Hyrkan mit der Hohenpriesterwürde, er gewährte rücksichtsvoll religiöse und bürgerliche Freiheit und setzte Antipater zum Landesverweser ein. Dieser regierte eigenmächtig und machte seine Söhne zu Statthaltern, Phasael erhielt Jerusalem, Herodes Galiläa. Um die Gunst Roms buhlend, verletzte Herodes die Autorität des Synedrions, zog die von Cassius dem Land auferlegte Kontribution mit Härte ein und erntete für seine Grausamkeit den Haß des Volkes. Als M. Antonius, der Herodes' und Phasaels Autorität mit grausamer Strenge wahrte, Palästina, dem er nach der Schlacht bei Philippi einen Besuch abstattete, wieder verlassen hatte, brachen die Parther (40) in das Land ein, nahmen Hyrkan und Phasael gefangen und setzten Antigonos, den Sohn Aristobuls, zum Fürsten ein, während Herodes sich machtlos in die Festung Masada flüchtete. Mit Hilfe der Römer (der Senat hatte ihn [40] zum König der J. ernannt) konnte er später nach dreijährigem Krieg über Trümmer und Leichen in Jerusalem einziehen. Den durch Gewalt erworbenen Thron wußte Herodes I., der Große, König von Judäa (37–4), mit unmenschlicher Grausamkeit zu behaupten. Seine Familienglieder und Freunde wurden Opfer seines Blutdurstes. Letztwillig noch dekretierte er den Tod gefangener Pharisäer. Der Haß gegen ihn verstummte nicht, trotzdem er Prachtbauten aufführte, den salomonischen Tempel glänzend restaurierte und sich freigebig während einer Hungersnot zeigte. Der nach seinem Tod entstandene Bürgerkrieg wurde mit großen Opfern bezwungen. Augustus bestätigt das Testament Herodes', nach dem Archelaos Volksfürst über Judäa, Idumäa und Samaria, Herodes Antipas Tetrarch über Galiläa und Peräa, Philipp Tetrarch über das nordöstliche Gebiet wird. Das Land des Archelaos wird 6 n. Chr. als römische Provinz proklamiert. Seine Bewohner erhielten das römische Bürgerrecht. An die Stelle der jüdischen Fürsten traten nun die den Prokonsuln Syriens untergeordneten römischen Landpfleger (Prokuratoren) Valerius Gratus, Pontius Pilatus, unter dem Jesus gekreuzigt wurde, u. a. Sie entschieden über Leben und Tod, setzten Priester und Beamte ein, überließen aber die Leitung des bürgerlichen Lebens den jüdischen Behörden. Harter Steuerdruck rief den Unwillen des Volkes hervor und reizte unter Juda dem Galiäer, dem Gründer der Zelotenpartei, zum Aufstand, dessen Rom bald Herr wurde. Ganz Judäa ward noch ein mal ein von Rom abhängiges Königreich unter dem Enkel Herodes', Agrippa I. (41–44), der nur zum Schein regierte, wie sein Sohn Agrippa II. über das Königreich Chalcis. Unter den Landpflegern Tiberius Alexander, Cumanus, Felix, Festus, Albinus, Gessius Florus steigt die römische Tyrannei. Verschärfter Druck, Erpressungen, bezahlte Mörder mehrten den Haß und die Aufregung des Volkes. Unter Gessius Florus begann der Aufstand, der nach der Niederlage des Feldherrn Cestius Gallus (66) organisiert wurde. Zur Unterdrückung des Aufstandes sandte Nero den Vespasian, dem sein Sohn Titus Truppen zuführte. Vespasian besetzte Sepphoris, nahm nach verzweifelter Gegenwehr die Feste Jotapata und andre wichtige Plätze. Zum Kaiser erwählt, überließ er Titus den Oberbefehl. Dieser belagerte 69 Jerusalem, das trotz der heldenmütigsten Verteidigung 70 erobert wurde. Parteikämpfe im Innern, Hunger und Pest, die vielleicht gegen Titus' Willen erfolgte Einäscherung des Tempels (am 9. des Monats Ab) brachen den Widerstand des Volkes, das nun seine politische Selbständigkeit verlor und zu Hunderttausenden in die Sklaverei geführt wurde. 72 nahmen die Römer (Lucilius Bassus und Flav. Silva) die letzten Bollwerke des jüdischen Staates, Herodium, Machärus, Masada, verteilten das Land z. T. an römische Soldaten, veräußerten den übrigen Grundbesitz und machten die jährliche Tempelsteuer zu einer Abgabe an den Kaiser (fiscus judaicus).

B. Geschichte der Juden in der Zerstreuung. Von 70 n. Chr. bis zur Gegenwart.

Israels nationale Selbständigkeit ist vernichtet. Die Judenheit ist vaterlandlos. Zerstreut über die ganze Erde, ist sie durch das Gesetz zu einer Religionsgemeinde vereinigt. Ereignisse, welche die gesamte Gemeinde betreffen, sind nicht zu verzeichnen. Ihre Geschichte wird, von wenigen lichtvollen Epochen abgesehen, zur Leidensgeschichte, besonders in der zweiten Hälfte des Mittelalters. Sie werden überall befeindet und bedrückt, mit Abgaben und Zöllen überbürdet, vom ehrenden Erwerb ausgeschlossen und bald hier, bald dort aufgescheucht und verjagt. Trotzdem arbeiten sie meistens an der Erhaltung und Fortbildung ihrer religiösen Ideen und treten, wo ihnen der Zutritt erschlossen wird, erfolgreich ein für Kultur und Geistesleben. Für eine Idee kämpfend und duldend, überdauern sie Druck und Haß, bis mit der zunehmenden Zivilisation ihre bürgerliche Gleichberechtigung durch ihr Glaubensbekenntnis nicht mehr in Frage gestellt wird.

1) Die Juden im römischen Reich.

Schon vor dem Fall Jerusalems hatten J. ihre Heimat verlassen und fremde Länder aufgesucht. Sie wohnten bereits in Persien, Ägypten, Kyrene, Griechenland, Kleinasien und Italien. Im römischen Reich galten sie in den ersten Jahrhunderten n. Chr. für rechtsfähig, nahmen teil am Staatsleben und bekleideten Ämter. Die Spitzen ihrer religiösen Behörden waren den staatlichen gleichgestellt und von Steuern befreit. In Rom war schon zur Zeit Titus' eine einflußreiche jüdische Gemeinde. J. begleiteten die Römer auf ihren Zügen und siedelten sich früh in Gallien und Spanien an. Das Judentum selbst erwarb sich damals in der Heidenwelt zahlreiche Anhänger. Der Wunsch, die nationale Selbständigkeit zu erneuern, trieb die J. im Stammlande zu häufigen, erfolglosen Empörungen, so zur Zeit Hadrians 132 unter Bar-Kochba. Der römische Befehlshaber Jul. Severus dämpfte nach hartem Kampfe 135 diesen Aufstand, in dem mehr als eine halbe Million Menschen umkamen, mit der Einnahme der Bergfestung Bettar, der Hinrichtung vieler hervorragender Persönlichkeiten, besonders Gelehrter. Die Zerstreuung der J. setzte sich fort, Jerusalem ward zerstört, aber von Hadrian neu erbaut, nach Norden und Osten erweitert und unter dem Namen Aelia capitolina eine militärische Stadt. Die strengen Erlasse Hadrians gegen das Studium wurden von M. Antoninus Pius (138–161) gemildert, aber Marcus Aurelius (161–180) glaubte bei neuen Unruhen dieselben wieder verschärfen zu müssen. Während die zahlreichen nach Babylon ausgewanderten J. politisch frei eine rege geistige Tätigkeit entfalteten, konnten die im römischen Reich trotz zeitweiliger Begünstigungen nie recht zur Ruhe kommen. Zwar hatte Konstantin d. Gr. (311–337) durch das Edikt von Mailand (März 313) die Rechtsgleichheit für alle Untertanen proklamiert, aber mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion kam mit dem Konzil zu Nicäa (325) neue Feindschaft, die auf Jahrhunderte hinaus die J. recht- und ehrlos machte. Konstantin, sein Sohn Konstantius (337–361) und dessen Mitkaiser Gallus bedrückten sie. Julianus (361–363) war ihnen gewogen, aber der von ihm unterstützte Versuch der J., den jerusalemischen Tempel wieder aufzubauen, scheiterte, der Pöbel verfolgte sie nach wie vor, und die Bischöfe quälten sie durch Bekehrungseifer und veranlaßten Verfolgungen, wie z. B. Ambrosius von Mailand (384) und Cyrillus von Alexandria. Auch Hieronymus, der sein hebräisches Wissen J. verdankte. war gegen sie unduldsam. Das innere Leben der J., vornehmlich im Mutterland Palästina, ging während dieser Periode unter dem Drucke nicht zugrunde. In ihrem Unglück fanden die J. im Studium und in der Fortbildung ihres Schrifttums (vgl. Jüdische Literatur) Trost und Halt.

2) Die Juden im neupersischen Reich.

Früh wurden die Euphratländer die Heimat zahlreicher J., die in Ardschir, Apamia, Nahardea, Nares, Ktesiphon, Pumbedita, Sura, Machusa und Firuz-Schabur sich zu Gemeinden vereinten. Die B'ne gola, »Exulanten«, standen unter einem von der Regierung abhängigen Exilarchen, »Resch galuta«, dem die Rechtspflege übertragen war. Mit den Palästinensern wetteifernd, gründeten die babylonischen J. Lehrhäuser in Nahardea, Sura und Pumbedita, die zu hohem Ansehen gelangten und die im Stammland, mit dem man in geistigem Verkehr, wie dies die Entstehung des Talmud (s. d.) beweist, blieb, überflügelten. Unter den neupersischen Herrschern Jesdegerd II. (455 bis 458) und Firuz (471–484) wurden die J. verfolgt und rechtlich beschränkt. Zu Anfang des 6. Jahrh. (511–518) erkämpfte der Exilarch Mar Sutra eine sieben Jahre dauernde Unabhängigkeit der persischen J., die unter Kobad (518–531) aber von neuem verfolgt wurden. Das Exilarchat erlosch auf einige Zeit. Chosroes Nuschirwan war, obwohl er Christen und J. eine Kopfsteuer auferlegte, den J. doch im allgemeinen zugetan. Das religiöse Leben ordneten die Vorsteher der Hochschulen (s. Jüdische Literatur, S. 345). Chosroes II. behandelte die J. weniger hart als sein Vorgänger. Mit ihm schlossen die J. Palästinas, 26,000 an der Zahl, welche die Macht der Christen zu brechen und in den Besitz Jerusalems zu kommen hofften, ein Bündnis gegen Kaiser Heraklios und leisteten den Persern Kriegsdienste. Der siegreich vordringende Islam brachte auch die J. in Asien und Afrika bald unter seine Oberhoheit.

3) Die Juden unter den Mohammedanern in Asien und Afrika.

Mit dem Vordringen des Islams beginnt für die J. eine Epoche regen geistigen Schaffens. Arabien wurde schon seit alter Zeit von jüdischen Stämmen bewohnt, von denen die in Jemen den abendländischen Handel mit dem Morgenland vermittelten. Ihre im Norden ansässigen Brüder führten mehr ein landwirtschaftliches, oft unstetes Beduinenleben. In religiösen Angelegenheiten suchten sie Belehrung und Vertretung bei den palästinensischen oder babylonischen Schulvorstehern. Ein König von Jemen soll, wie später sein Volk, zum Judentum übergetreten sein und eine jüdische Dynastie begründet haben. Mohammed, der von J. lernte und den Koran größtenteils aus dem Judentum schöpfte, hat in Schrift und Tat Judenhaß gezeigt, wie auch sein Nachfolger Omar. In allen Ländern, die Omar im raschen Siegeszug sich unterwarf, wurden die Ungläubigen, die er nicht zu bekehren vermochte, durch den sogen. Omarbund in ihrer Religionsübung und in der Fähigkeit, Ämter zu bekleiden, durch unterscheidende Tracht und durch Kopf- und Grundsteuer beschränkt. Verdienstvollen J. ward aber auch häufig von den Mohammedanern Achtung erwiesen. Mekka und Medina durften die J. nicht betreten. Da der Islam den von Nichtmohammedanern besessenen Grund und Boden übermäßig besteuerte, wandten sie sich mehr dem Handel zu. Harun ar-Raschid (um 800) begünstigte die J., die noch immer politisch vom Exilarchen, der unter den Kalifen fürstliches Ansehen genoß, rechtlich und religiös von den Geonim (s. Gaon) vertreten wurden. Von diesen Geonim fungierte Mar Isak, nach der Einnahme von Firuz Schabur, als erster in Sura. Parteiungen veranlaßten die Entstehung der antirabbinischen Sekte der Karäer (s. d.) unter Anan ben David (761). Mit der Entstehung des Karaïsmus fällt die angebliche Bekehrung der Chasaren (Kusarim) an der Wolga und ihres Königs Bulan der Zeit nach zusammen (731). Dieses jüdische Reich ward um 969 von dem Großfürsten Swjatoslaw von Kiew besiegt und nach abermaliger Erhebung 1016 von Russen und Byzantinern völlig aufgelöst.

In den Euphratländern wohnten J. in Neu-Ninive (Mosul) und Bagdad, von den Kalifen beschirmt. Mohammed Almuktafi (1136–60) setzte für das Kalifat einen Exilarchen ein, dem die Anstellung der Beamten, die Einziehung der Abgaben oblag. Den J. in Jemen ward 1172 von den Schiiten (s. d.) der Islam aufgedrungen. Die ägyptischen J. standen unter dem Nagid, einem Fürsten, der von den Gemeinden besoldet wurde und dieselbe Amtstätigkeit wie der babylonische Exilarch übte. In Kleinasien, Syrien und Palästina zählte man in den vom Christentum beherrschten Gebieten weniger J. als in den unter dem Islam stehenden Bezirken. Im christlichen Antiochia waren die wenigen J. Glasarbeiter, die zahlreichern in Tyrus trieben Landwirtschaft, die in und um Palmyra zeigten kriegerischen Sinn in ihren Fehden mit Christen und Mohammedanern; unter den J. in Damaskus waren viele Talmudgelehrte. Durch Wahlstreitigkeiten veranlaßt, hob die Regierung das Exilarchat auf und damit die äußere Einheit der J. des hochasiatischen Morgenlandes. Unter den Mongolen, die 1258 das Kalifat eroberten, verschlimmerte sich die Lage der J. nicht.

4) Die Juden während des Mittelalters bis zu ihrer Vertreibung aus Spanien und Portugal.

Mit der Bevölkerung Spaniens, das J. schon als römische Bürger bewohnten, lebten sie in vollem Einvernehmen, bis die katholische Geistlichkeit (Konzil von Iliberis 306) die freundschaftlichen Beziehungen zu lösen versuchte. Die arianischen Westgoten (seit 419) gewährten ihnen Gleichberechtigung und verwendeten sie im öffentlichen Dienst. Beschränkungen durch den katholischen König Reccared (590), Glaubenszwang und Vertreibungen unter Sisebut (612), Chintila (638) und die Schreckenszeiten unter Egica (693) änderten das glückliche Verhältnis, das erst nach der Schlacht von Jerez de la Frontera (711) wiederhergestellt wurde. Die arabischen Sieger gewährten den J., die nur eine Kopfsteuer zu bezahlen hatten, Religionsfreiheit und eigne Gerichtsbarkeit. In den friedlichen Zeiten konnten sie ihre Kräfte in den Dienst der erblühenden Wissenschaften stellen, und sie pflegten Philosophie, Philologie und Dichtkunst neben bürgerlichen Berufen. Der gelehrte Arzt Chisdai ben Isak war unter den Kalifen Abd er Rahmân III. und Alhakim (961–976) als Finanzmann beschäftigt, als Nasi (»Oberhaupt«) der J. hoch geschätzt. In dieser Würde folgte ihm unter dem Kalifen Haschim der Besitzer einer großen Seidenweberei, Jakob ibn Gau. Die Abhängigkeit der J. von den morgenländischen Akademien hörte auf, als das Talmudstudium durch Moses ben Chanoch aus Cordoba u. a. größere Verbreitung fand. In Malaga, wohin er vor den Berbern, die um 1020 Cordoba verwüstet hatten, geflohen war, bekleidete Samuel ha Levi, genannt Hanagid, »der Fürst« (1027–55), die Würde eines Wesirs; ähnliche Vergünstigungen wurden andern J. zuteil. Vorübergehend wurden die J. in Granada (1066) verfolgt, waren aber im übrigen Spanien so ziemlich geschützt. Alfons VI. von Kastilien bediente sich jüdischer Diplomaten, führte die Gleichheit der J. vor dem Gesetz durch, vertraute seine Person und Politik einem jüdischen Leibarzt an und kehrte sich nicht an den Unwillen des Papstes Gregor VII., der auf dem Konzil zu Rom (1078) neue Judenbeschränkungen durchgesetzt hatte; ja, er sicherte den J. Toledos, das er 1085 eroberte, die verbrieften Freiheiten. Unter den Almorawiden waren J. Staatsbeamte und Ärzte, während sie unter den Almohaden im nordwestlichen Afrika und im südlichen Spanien zum Islam oder Exil gezwungen wurden. Das geistige Leben der J. blieb trotzdem in voller Blüte (s. Jüdische Literatur, S. 346), denn Kastilien, Leon, Aragonien und Navarra boten den J. eine meist ruhige Heimat. In Toledo wohnten über 12,000 J., sie waren unter Alfons VIII. (1170–1214) ihrer Bildung und Begabung wegen protegiert. Alfons X. (1252–82) hatte einen jüdischen Leibarzt und ließ die astronomischen (Alfonsinischen) Tafeln von einem Juden bearbeiten. In Aragonien, das sie anfangs geschützt hatte, dauerten unter Jakob I. auf Betreiben der Dominikaner auch nach der erfolglosen Disputation zu Barcelona (1263) zwischen Nachmanides und dem Konvertiten Pablo Christiani Bekehrungsversuche und Bedrückungen fort. Ruhig hingegen verfloß dann für die J. Spaniens, abgesehen von einigen Verfolgungen, das Leben und war bis auf die Greuel des Bruderkriegs zwischen Peter dem Grausamen und Heinrich von Trastamara (1366–69), an dem sich auch kastilische J. beteiligten, erträglich. 1391 predigte der Erzbischof von Niebla in Sevilla gegen die J., und der Pöbel fiel hier, in Cordoba, Gerona, Ascalona, Valencia, Barcelona, in andern spanischen Städten und auf den Balearischen Inseln über sie her. Die dem Verderben Entronnenen flüchteten sich meistens nach Nordafrika und waren glücklicher als viele ihrer spanischen Brüder, die zum Schein sich taufen ließen; denn diese Neuchristen (Anussim, Maranen, s. d.) wurden mit Mißtrauen verfolgt, so daß sie häufiger die Flucht oder, zum alten Glauben zurückgekehrt, das elende Schicksal ihrer Glaubensgenossen wählten, für die jahrhundertelang die Scheiterhaufen der Autodafés (s. d.) loderten. 1412 in besondere Stadtviertel (Juderias) zurückgedrängt, durch Bekehrungsversuche (unter andern Disputation von Tortosa vom Februar 1413 bis November 1414, 68 Sitzungen umfassend), Judengesetze und Abzeichen an der Kleidung entwürdigt, mußten sie in der 1481 förmlich eingeführten Inquisition ihre Todfeindin erblicken. Nach dem Fall Granadas erwirkte der Großinquisitor Torquemada trotz der Bemühungen des hochgeachteten Finanzministers Isak Abarbanel (s. d.) vom König Ferdinand V. 31. März 1492 ein Ausweisungsdekret, das mit 2. Aug. ablief, und demzufolge mehr als 300,000 J. heimat- und besitzlos auswandern mußten. Sie flohen nach Marokko, der Berberei, Italien, der Türkei und Portugal, arm und verachtet, namenlosem Elend preisgegeben. In Portugal endeten die guten Zeiten, welche die J. namentlich unter Sancho II. (1223 bis 1245) und Dionysius (1279–1325) erlebt hatten, nach Alfons' V. (gest. 1481) Tod. König Johann II. hatte die Flüchtlinge aus Spanien gegen hohe Geldsummen auf acht Monate in Portugal aufgenommen, duldete sie aber, von der fanatischen Geistlichkeit beeinflußt, nicht länger im Lande, das sie dann auch unter dem früher judenfreundlichen Emanuel d. Gr. 1498 verlassen mußten. Die Scheinchristen verfolgte die Inquisition in Spanien und in Portugal bis Ende des 17. Jahrh., so daß viele von ihnen nach den Niederlanden auswanderten.

Justinian (527–565) beschränkte im byzantinischen Reich die den J. gewährten Freiheiten, stellte sie den Ketzern gleich, schloß sie von allen Ehrenämtern, die nicht mit bedeutenden Lasten verknüpft waren, aus und suchte sie zu bekehren, welche Politik seine Nachfolger Justinus II., Heraklios, Leo der Isaurier fortsetzten. Heraklios erneuerte nach Vertreibung der Perser, für welche die J. Partei genommen hatten, 628, kurz bevor Palästina, Syrien und Ägypten von den Arabern erobert wurden, das Hadrianische Edikt, nach dem kein Jude Jerusalem betreten durfte, und nötigte viele J., nach Ägypten auszuwandern. Ende des 8. Jahrh. zogen viele verfolgte J. in das Chasarenland (s. oben). Die spätern politischen Ereignisse des byzantinischen Reiches, das zahlreiche jüdische Gemeinden in Thessalien, Mazedonien, Thrakien zählte, trafen auch die J. In Korinth, Lepanto, Negroponte, Saloniki, Gallipoli, auf Mytilene, Chios, Samos, Rhodos, in Theben, wo geschickte jüdische Seiden- und Purpurfabrikanten wohnten, in Konstantinopel hat der Pöbel die schutzlosen J. oft genug ungestraft mißhandelt.

Mit der Gründung des Ostgotenreichs konnte sich die Lage der J. in Italien nicht wesentlich verschlimmern. J. wohnten bereits zahlreich in Rom, Mailand, Genua, Verona, Ravenna, Neapel, Salerno, Trani, Otranto, Tarent, Palermo, Messina, Agrigent und in andern Orten, weniger zahlreich im geschäftsstillen Norden, in Lucca, Mantua, Pisa und Venedig. Auch die Herrschaft der Langobarden brachte ihnen keinen Nachteil. Ebenso haben sie unter den fränkischen Herrschern, abgesehen von Bekehrungsversuchen und lokalen Verfolgungen (Bologna 1171), ruhig gelebt. Später hatten sie jedem neuen Kaiser und Papst, unter dessen Schutz sie standen, zu huldigen. Seit dem 13. Jahrh. mußten sie Abzeichen tragen, seit dem 15. Jahrh. in abgeschlossener Stadtgegend (Getto) wohnen. Vollständig frei lebten sie später in Venedig und Livorno unter Ferdinand I. König Robert von Neapel war ihnen sehr gewogen, und einzelne Päpste haben sie, allerdings nach den Begriffen jener Zeit, mild behandelt. Gregor VII., Innozenz III., der sie des geheimen Verkehrs mit den Albigensern verdächtigte, harte Beschlüsse auf den Konzilen gegen sie durchsetzte und die Fürsten Raimund VI. von Toulouse und Roger von Béziers gegen sie einnahm, und andre behandelten sie feindlich. Unter dem Schutz gebildeter Herrscher glänzten in Italien bedeutende jüdische Gelehrte und Dichter; die jüdische Jugend studierte auf den Universitäten, und der italienische Handel ward durch J. sehr gefördert. Von der Insel Sizilien, wo sie frei unter Arabern und Normannen gelebt hatten, wurden sie 1493 von Ferdinand dem Katholischen vertrieben.

Den Boden des fränkischen Reiches haben J. wohl schon vor oder zu der Zeit Cäsars aufgesucht. Ihre Rechte sind ihnen in der ältesten fränkischen und burgundischen Verfassung nicht geschmälert worden. J. waren Handwerker, Ackerbauer, Kaufleute, die oft eigne Schiffe besaßen, und Ärzte. Sie verkehrten, trotz der auf den Konzilen gefaßten Beschlüsse, freundschaftlich mit der christlichen Bevölkerung. Im südlichen Frankreich, in der Provence und im Languedoc, unterhielten die J. geistigen Verkehr mit spanischen Glaubensgenossen, trieben Ackerbau und Handel, wurden aber nicht selten von den Launen der Grafen und den Bekehrungsversuchen der Bischöfe (Agobard von Lyon 831 und seines Nachfolgers Amulo 846) belästigt. Karl d. Gr. hat mit klarem Blick die Bedeutung seiner jüdischen Untertanen gewürdigt und zur sozialen Hebung derselben beigetragen; einer Gesandtschaft an Harun ar-Raschid gab er einen Juden bei. Ludwig der Fromme schützte die J. gegen die Anmaßungen der Vasallen und Geistlichen, förderte ihren Handel und ihr Gewerbe und ließ ihre Privilegien von einem »Judenmeister« überwachen. Nach dem Vertrag von Verdun (843) hatten die J. in Frankreich, in Limoges, Lyon u. a. O., besonders aber während der Kreuzzüge zu leiden. Die Kapetinger Ludwig VI. (1108–37) und Ludwig VII. (1137–80) suchten sie zu schirmen; sie gaben ihnen ausgedehnte Rechte und eigne Bürgermeister (prévôts). Mit Philipp August, der sie anfangs begünstigte, wendete sich in Frankreich das Glück der J. Eingekerkert, beraubt und nie begangener Verbrechen angeklagt, wie beispielsweise in Blois, wo man 26. Mai 1171 über 30 Märtyrer verbrannte, wurden sie 1181 aus Paris, 1191 aus der Landschaft Bray ausgewiesen. Auch aus den Baronien wurden sie verjagt, wenn sie nichts mehr an Schätzen herzugeben hatten. Der geldbedürftige Philipp August rief sie wieder ins Land und behandelte sie milder. Doch waren sie auf einen bestimmten Wohnort beschränkt und wurden Leibeigne ihres Schutzherrn. Der Haß, der sie immer mehr quälte, ihre Schriften vernichten und sie von Ausübung der Arzneikunde ausschließen wollte, entlud sich 1306 unter Philipp IV., dem Schönen, der sie, an 100,000 Seelen, aus ganz Frankreich vertrieb. Ludwig X. gestattete ihre Rückkehr (1315), aber nur unter harten Bedingungen. Leidvoll und kurz war ihr neuer Aufenthalt, denn 1320 wurden sie während der Ausschweifungen fanatischer Haufen von Bauern und Hirten (Pastoureaux oder Pastorels) und wieder 1321, weil sie die Aussätzigen zur Brunnenvergiftung verleitet haben sollten, wie auch 1349 zur Zeit des Schwarzen Todes schwer heimgesucht und endlich 1394 von Karl VI. für immer des Landes verwiesen. In einzelnen Landesteilen (in dem päpstlichen Bezirk Venaissin mit den Städten Avignon und Carpentras) blieben J.; den Vertriebenen gewährten Deutschland, Italien und Polen eine unsichere Zufluchtsstätte. Ludwig XII. vertrieb 1501 die J. aus der Provence.

Gleich traurig war das Los der J. in den damals zu England gehörenden französischen Landstrichen (Normandie, Bretagne, Anjou, Touraine, Maine, Guienne, Poitou und Gascogne) und in England selbst. Schon Erzbischof Theodor von Canterbury (669–691) nimmt die Christen gegen sie ein. Eduard der Bekenner erklärt 1041 die J. und ihr Vermögen als Krongut. Wilhelm der Eroberer hat abgefallene J. zur Rückkehr zum Judentum gezwungen, um seine Einkünfte nicht durch die Kirche geschmälert zu sehen. Sie wurden den Königen immer unentbehrlicher, dem Volk aber verhaßt, weil sie wohlhabend waren. Am Krönungstag Richard Löwenherz' (3. Sept. 1189) entlud sich der Haß, und das Volk fiel über die mit ihren Huldigungsgeschenken auf Veranlassung des Erzbischofs von Canterbury zurückgewiesenen, dann über alle J. Londons plündernd und mordend her. Richard zog die Mörder zur Verantwortung. Als er mit den Kreuzrittern, die auch in England den Krieg für den Glauben mit den J. begannen, das Land verlassen hatte, traf die jüdischen Gemeinden in Norwich, York und andern Städten das gleiche Schicksal wie die J. in London, die später (1264) nochmals verfolgt wurden. Nach Bedrückungen unter Johann ohne Land und Heinrich III. verwies sie ein Edikt Eduards I. 1290 für immer aus England.

Von Italien und Frankreich aus mögen J. schon in sehr früher Zeit Deutschland, und zwar meist dessen südliche und mittlere Gegenden, aufgesucht haben, denn in Köln lassen sie sich schon 321, in Mainz im 9., in Worms, Magdeburg, Merseburg und Regensburg im 10., in Trier, Speyer im 11. Jahrh. nachweisen; sie bildeten in Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich zahlreiche Gemeinden, während sie im mittlern und nördlichen Deutschland vom 13. Jahrh. an nur vereinzelt vorkommen. Vor den Kreuzzügen war ihre Lage erträglich, sie wetteiferten in ihrer beruflichen Tätigkeit mit den Christen und verkehrten mit ihnen gesellschaftlich. Die Privilegien, die der Bischof Rüdiger Huozmann von Speyer den speyerischen J. erteilte (1084) und Kaiser Heinrich IV. auf Ansuchen der J. bestätigte und erweiterte (1090), gaben ihnen Handelsfreiheit für das ganze Reich, eigne Gerichtsbarkeit, das Recht, Grundstücke zu erwerben, christliche Dienstboten zu halten, den Eid nach jüdischem Gesetze zu leisten, schützten sie vor Anwendung der Gottesgerichte u. dgl. Ähnliche Privilegien sind auch den J. andrer Städte erteilt, jedenfalls aber nicht allen J. im Reich ausgestellt und bestätigt worden. Erst nach den Schreckenszeiten der Kreuzzüge (s. unten) nahmen sie die Kaiser, zuerst Heinrich IV. im Landfrieden von 1103, dann Konrad III. während des zweiten Kreuzzugs, in Schutz. Aus diesem Schutz entwickelte sich die sogen. Kammerknechtschaft für alle J. des Reiches. Sie sollten als Servi camerae (Kammerknechte, besser »Abhängige der Kammer«) den kaiserlichen Schutz genießen und dafür Abgaben an die Kammer entrichten. Die Abgaben blieben, aber der Schutz ward illusorisch, und seit der Mitte des 14. Jahrh. kam der Grundsatz zur Anwendung, daß Leben wie Vermögen den J. nur precario, »bittweise«, gehöre und der Kaiser befugt sei, es jederzeit zu nehmen. Sie mußten bei jeder neuen Kaiserkrönung den Schutz erneuern lassen und dafür die »Krönungssteuer« zahlen, die zuerst unter Friedrich I. von den J. in Goslar (1155), vom 15. Jahrh. an allgemein erhoben wurde. Der Kaiser konnte dieses Schutzrecht als königliches Regal auf andre (Landesherren, Bischöfe, Städte) übertragen, damit belehnen oder es verpfänden, auch erlauben, »J. zu halten«. Dadurch wurden sie mit der Zeit landesherrliche oder städtische Kammerknechte und in ihrer Freizügigkeit beschränkt. Zu der bedeutenden, nicht überall gleichen Steuer für den Schutz, der in besondern »Schutzbriefen« verbürgt war, kamen noch andre Abgaben, wie der güldene Opferpfennig, und außerordentliche Geldlasten in Finanznöten der Kaiser. In den unsichern Zeiten des Mittelalters konnten J. bei ihren Reisen sich von ihrem Schutzherrn gegen eine Steuer ein sicheres Geleit erwerben (»Geleitszoll«). Dieser Zoll ward ohne jede Gegenleistung bis Ende des 18. Jahrh. als »Leibzoll« (s. d.) erhoben und bestand hier und da noch zu Anfang des 19. Jahrh. Durch den Ausschluß aus den Gilden und Innungen zwang man die J., die vor den Kreuzzügen noch den Weltverkehr vermittelt hatten, zum verderblichen Kleinhandel, zu Pfand- u. Geldgeschäft. Auswüchse dieser Berufe suchte die Reichspolizeiordnung von 1530 zu beseitigen, insofern sie die Ernährung »mit ziemlicher Hantierung und Handarbeit« forderte. In religiöser und gesellschaftlicher Beziehung litten die J. unter vielen Beschränkungen. Sie bewohnten eigne Stadtviertel (Judengassen); man verhöhnte und beschimpfte sie in Bildern, Worten und Taten, ließ ihnen oft nur die Wahl zwischen Tod und Taufe, belästigte sie mit Bekehrungsversuchen, untersagte ihnen während der Passionszeit das Erscheinen an öffentlichen Plätzen, suchte sie von jeder Gemeinschaft mit Christen auszuschließen, verbot ihnen das Halten christlicher Dienerschaft sowie den jüdischen Ärzten die Behandlung christlicher Patienten und befahl ihnen, Abzeichen, über deren Form und Farbe besondere Verordnungen erschienen, zu tragen.

Mit bewundernswertem Opfermut haben die J. Deutschlands die Greuel und Verfolgungen ertragen, die vom 11.–16. Jahrh. über sie hereinbrachen. 1012 vertrieb sie Heinrich II. aus Mainz. Die Kreuzfahrer plünderten, tauften oder ermordeten sie zur Ehre Gottes und vertilgten die Gemeinden in Speyer, Worms, Mainz, im Bistum Köln, in Trier, Metz, Regensburg, Prag u. a. O. Bald nachher scheinen sich aber überall wieder J. angesiedelt und ruhig bis zum zweiten Kreuzzuge gelebt zu haben. Kaiser Heinrich IV. gestattete den zwangsweise getauften J. die Rückkehr zum alten Glauben und verpflichtete in Mainz (1103) Fürsten und Bürger, ähnlichen Greueln vorzubeugen. Aber alle Bemühungen waren vergeblich. Man verfolgte sie beim zweiten Kreuzzug (1146), um ihre Handelsvormundschaft zu brechen, während des 13. Jahrh. (z. B. 1221 in Erfurt, 1235 in Fulda, 1285 in München, 1283–88 am Rhein), weil man sie des rituellen Christenmordes beschuldigte. 1298 metzelte man 146 Gemeinden in Franken, Bayern und Österreich nieder, um die angebliche »Hostienschändung« (s. Hostien) an ihnen zu rächen, und die »Könige Armleder« erschlugen sie 1336–37 am Rhein, im Elsaß, in Schwaben, Franken, Böhmen und Österreich. 1348–49 klagte man sie, die lästigen Gläubiger, der Brunnenvergiftung an und befreite sich in Hunderten von Orten von den Judenschulden durch Massenmord. Einige Jahrzehnte nach dieser sozialen Revolution in deutschen Landen und Städten als unentbehrlich wieder geduldet, zurückgesetzt und gequält, begannen schon mit dem Ende des 14. Jahrh. ihre Verweisungen aus den einzelnen Ortschaften. 1384 und 1385 fanden in Franken und Schwaben, später, meistens auf Beschluß der Obrigkeit, in der Trierer Diözese (1418), im Mainzer Stift (1420), unter dem Erzherzog Albrecht in Österreich (1420 und 1421), in Freiburg i. Br. (1424), Zürich (1424 und 1435), Köln (1426), in Sachsen (1432), in Heilbronn, Speyer und Zürich (1435), in Mainz (1438), Augsburg (1439), in ganz Bayern (1450) und auf Veranlassung des fanatischen Reisepredigers, des Franziskanermönchs Johann von Capistrano (1452–55), in Schlesien, 1492 aus Mecklenburg, 1493 aus dem Erzstift Magdeburg, 1499 aus Nürnberg und Ulm nach den üblichen Plünderungen neue Austreibungen statt. Auch die Schweiz, wo schon im 12. und 13. Jahrh. J. sich niederließen, hat seit 1348 und Steiermark seit 1496 Judenverfolgungen aufzuweisen (Winterthur und Schaffhausen 1401, Zürich 1442, wo ihnen später [1451 und 1490] der Aufenthalt gestattet wurde, Genf 1490, Thurgau 1491). Die Baseler Kirchenversammlung von 1434 verpflichtete zur tätigen Judenbekehrung. In Polen und Litauen war die Lage der J. unter Kasimir III. günstig, und Flüchtlinge aus andern Ländern fanden hier seit 1349 eine neue Heimat. Später jedoch wurden sie wieder in ihren Rechten beschränkt. Selbst Rußland, das schon im 10. Jahrh. J. hatte, wies sie im 15. Jahrh. aus. Aus Ungarn wurden sie 1526 vertrieben. Mit der seit dem 13. Jahrh. immer mehr um sich greifenden Entehrung ging das innere Leben der J., das sich bis dahin in seltener Weise entfaltet hatte, einem allmählichen Verfall entgegen. Äußerlich geknechtet und entwürdigt, ohne Vaterland und Recht, blieb der Jude trotzdem freier und sittenreiner als seine Bedrücker. Aus seinem religiösen Schrifttum gewann er in der Leidenszeit den Geist der Brüderlichkeit und Opferfreudigkeit, Gemeinsinn, Fleiß, Wohltätigkeit und vor allem jene seltene Kraft des Duldens, die bis in die neueste Zeit hinein sich noch oft bewähren mußte.

5) Geschichte der Juden in der Neuzeit.

Politisch und geistig unfrei finden wir zu Anfang des 16. Jahrh. die J. in Arabien, wo sie noch jetzt in Hedschas wohnen, in Persien, in Afghanistan, Indien, China, in der Bucharei, wo sie Seiden- und Metallarbeiter sind, in der Tatarei und in Abessinien. Nordafrika hatten sie schon bei den Verfolgungen auf der Pyrenäischen Halbinsel aufgesucht und sich in den dort zahlreichen Judengemeinden in Algier, Oran, Tlemsen, Tetuan und Tunis niedergelassen. In Marokko wurde ihre zeitweilige bürgerliche Freiheit durch Druck und Verfolgung abgelöst. Ihre trübselige Lage in Algier ward 1830 durch Frankreich gebessert, das ihnen 1870 Bürgerrecht verlieh. Die Türkei, wohin sie von Spanien aus sich wandten und große Gemeinden in Konstantinopel, Saloniki, Gallipoli, Smyrna, Adrianopel, Damaskus u. a. O. bildeten, zeigt uns die J. als einflußreiche Handelsherren und Fabrikanten, durch die Gunst der Sultane (Selim, Soliman 1.) auch zu Staatsämtern (Joseph Nasi [gest. 1579] sogar zum Herzog von Naxos) erhoben. Hier aber verflachte sich das anfangs blühende wissenschaftliche Leben im Studium der Kabbala (s. d.) und begünstigte von 1648 ab die messianische Bewegung unter Sabbatai Z'wi (s. d.). Vor staatlichem Druck sind die J. in der Türkei und Palästina durch einen Ferman des Sultans geschützt, den Moses Montefiore 1840, als sie in Damaskus beschuldigt wurden, den Pater Thomas ermordet zu haben, erwirkt hat. Nach Italien brachte die Inquisition harte Judengesetze mit; für die jüdischen Schriften wurden nach Einführung der Zensur die Scheiterhaufen (z. B. in Rom, Venedig, Bologna 1553–60), für die J. selbst die Gettos errichtet. Mit Bekehrungsversuchen belästigt, bis Ende des 16. Jahrh. aus einzelnen Städten ausgewiesen, änderte sich ihre Lage erst, als das vereinigte Königreich sie den übrigen Bürgern vollständig gleichstellte. In der Schweiz, wo sie in der Neuzeit nur in Endingen und Lengenau geduldet wurden, sind sie aus Basel schon 1616, Appenzell 1622, Zürich 1634, Schaffhausen 1655 ausgewiesen worden. Peter I. ließ die J. in Rußland wieder zu, Elisabeth vertrieb sie (1743), Katharina II. gestattete nochmals ihre Ansiedelung. Die meist aus Deutschland stammenden J. in Polen waren zu Anfang des 17. Jahrh. politisch gut gestellt, vermittelten den Verkehr, trieben neben Ackerbau Gastwirtschaft und Handwerk und hatten eigne Gerichtsbarkeit. 1648 dezimierte der Kosakenaufstand unter Chmelnicki in Polen, Podolien, Wolhynien, der Ukraine und Litauen ihre blühenden Gemeinden. Vor den Schergen der Inquisition fanden Scheinchristen (s. oben) und J. in Frankreich (Bayonne und Bordeaux 1550) und in Holland Aufnahme, sie gründeten in den Niederlanden Gemeinden, in denen sie Wissenschaft, Handel und Industrie fördern halfen. In England wurden, auf Verwendung des gelehrten Menasse ben Israel (s. d.) aus Amsterdam bei Cromwell, J. wieder aufgenommen (1655), während auf der Pyrenäischen Halbinsel die Autodafés (Glaubensakte der Hinrichtung) für Ketzer und J. fortdauerten. Holländische J. wanderten 1642 nach Brasilien, englische 1639–1664 nach Cayenne.

In Deutschland kamen der von dem Humanismus und der Reformation erzeugte freiere Geist und die Mahnung Luthers (in seiner 1523 erschienenen Schrift »Daß Jesus ein geborner Jude gewesen«), die J. als Blutsfreunde und Brüder zu behandeln, christliche Liebe an ihnen zu üben, sich ihrer freundlich anzunehmen und sie mit werben und arbeiten zu lassen, den Unterdrückten so bald nicht zugute. Man beschuldigte sie immer noch, Hostien geschändet (Joachim von Brandenburg ließ deshalb 1510 in Berlin 30 J. verbrennen und verwies alle andern seines Landes) und Christen gemordet zu haben, nahm nur eine beschränkte Zahl auf und duldete sie an manchen Orten gar nicht. Die Zünfte und viele Handelszweige blieben ihnen immer noch verschlossen, die lästigsten und entehrendsten Gesetze behielten Rechtskraft, und die mannigfachsten Abgaben (über 60 verschiedene Steuern) wurden von ihnen erhoben. Trotz des von Karl V. ihnen gewährten Reichsschutzes wurden sie 1551 aus Bayern, 1555 aus der Pfalz, 1573 aus der Mark, 1670 aus den österreichischen Erblanden vertrieben. Die österreichischen J. wurden in der Mark von Friedrich Wilhelm II. 1671 aufgenommen. Unduldsame Judenordnungen finden sich noch bis in die Mitte des 18. Jahrh. Der Anfang der geistigen und politischen Befreiung der J. fällt in das letzte Viertel des 18. Jahrh., wo Moses Mendelssohn (s. d.) mit gleichgesinnten Freunden, wie Dohm und Lessing, unermüdlich für ihre Besserstellung gearbeitet und Emanzipationsbemühungen in Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden angeregt hat. Die Zeitverhältnisse waren diesen Bemühungen günstig. Nach dem Vorgange der Vereinigten Staaten von Nordamerika proklamierte die französische Nationalversammlung, in der Mirabeau für die J. sprach, 28. Sept. 1791 ihre Gleichberechtigung. Napoleon hat durch die Einberufung einer Notabelnversammlung unter dem Vorsitz Furtados (1806) und die Bildung eines aus 71 Personen bestehenden Synedrions, dem David Sinzheim präsidierte, ihre Verhältnisse geregelt und ihnen eine jetzt noch gültige Konsistorialverfassung gegeben. Ist ihr Bürgerrecht auch vorübergehend beschränkt (1808), so ist es doch während der Revolutionszeiten (1830 und 1848) nicht geschmälert, sondern erweitert worden. Gleiche Fortschritte machte die Emanzipation der J. in Belgien und Holland nach der Vereinigung mit Frankreich, wo ihre vollständige Gleichstellung aber erst durch das Grundgesetz von 1814 ausgesprochen wurde. In demselben Jahre wurden sie in Dänemark emanzipiert.

Die russische Regierung gewährte den J. (1805 bis 1809) gewerbliche Freiheiten, erlaubte ihnen den Besuch höherer Lehranstalten, förderte die Errichtung jüdischer Schulen und gestattete die Anlegung von Kolonien bei Nikolajew, wo J., wie in Kaukasien und Grusien, Ackerbau treiben. Die harten Maßregeln gegen polnische Untertanen jüdischen Glaubens sind wohl mehr aus politischen als aus glaubensfeindlichen Gründen zu erklären; letztern verdankten freilich die Petersburger J. ihre harte Behandlung, die in Kiew ihre Vertreibung (1843). Alexander II. war bemüht, die Lage seiner jüdischen Untertanen zu verbessern. Kurze Zeit nach seinem Tode (13. März 1881) brachen im Süden Rußlands Judenverfolgungen aus, die Hunderttausenden von jüdischen Handwerkern und Ackerbauern Armut und Exil brachten. Die seit Mai 1882 inszenierten grausamen Beschränkungen der Freizügigkeit, des Ackerbaubetriebes und des Studiums, die dadurch verhängten Ausweisungen mit dem ihnen folgenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ruin zwangen die am härtesten Betroffenen, auszuwandern und mit Unterstützung ihrer Glaubensbrüder sich eine neue Heimat zu gründen. Sie wanderten nach Palästina, England, Amerika, Australien und nach Argentinien aus, wo Baron Moritz v. Hirsch (s. Hirsch 8) in hochherziger Weise Kolonien für sie gründete. Wie in Rußland, wo 1903 noch furchtbare Judenmassaker in Kischinew und Homel stattfanden, so stehen in Rumänien, das die Forderungen des Berliner Vertrags von 1878, Gleichstellung aller Untertanen, ignoriert, die J. noch unter schweren Ausnahmegesetzen. Sie haben sich massenweise dem Druck durch Auswanderung entzogen. In Österreich sind die Grundsätze des Toleranzedikts Kaiser Josephs II. von 1782, welche die Hebung des gedrückten Volkes bezweckten, es für Landwirtschaft und Gewerbe, besonders aber für deutsches Leben und deutsche Sitten gewinnen sollten, in der Folge nur langsam zur Geltung gekommen. Heute sind die J. des österreichischen Kaiserreichs gleichberechtigt mit den übrigen Staatsbürgern. Deutschland wurde durch die französische Revolution zur Judenemanzipation gedrängt. Nachdem diese bereits 1808 in den von Frankreich behaupteten deutschen Gebietsteilen erfolgt war, ward sie auch in Hessen (1808), Frankfurt (1811), in Baden (1808 und 1811), Mecklenburg (1813) und Preußen durch das Edikt vom 11. März 1812 durchgeführt. Die J. haben in den Befreiungskriegen durch Opferfreudigkeit und Heldenmut sich als fähig und würdig erwiesen, deutsche Staatsbürger zu sein; aber nach dem Siege suchte man ihre Gleichberechtigung wieder zu kürzen. Denn trotz des Art. 16 der deutschen Bundesakte, der bestimmte, daß die Lage der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland übereinstimmend zu regeln sei, fand eine solche Regelung in den einzelnen Ländern nur langsam statt. Während manche Regierungen (Hessen, Mecklenburg, Preußen) die J. von neuem beschränkten, nahmen ihnen andre (Hannover, Frankfurt, Hamburg) das Bürgerrecht wieder. Württemberg emanzipierte sie 1828, Kurhessen 1833. Der Hauptvorkämpfer für die Emanzipation seiner Glaubensgenossen war Gabriel Rießer (s. d.). Die deutschen Grundrechte von 1848 bestimmten, daß der Genuß der bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Rechte nicht durch das religiöse Bekenntnis bedingt oder beschränkt sein solle, ein Prinzip, das durch das nunmehrige Reichsgesetz vom 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, für Deutschland zur allgemeinen Geltung gelangt ist. Diese Gleichberechtigung sucht eine seit 1874 nach und nach angewachsene antijüdische Strömung, die sich auch außerdeutschen Ländern mitgeteilt hat, der sogen. Antisemitismus, aufzuheben (s. Antisemiten). Er hat die Pöbelaufstände in den östlichen und südöstlichen Gouvernements Rußlands (1881, 1903), die durch den Blutaberglauben entstandene Judenhetze in Ungarn (1883), die judenfeindlichen Bewegungen in Frankreich (Dreyfus-Prozeß), Algier, Rumänien und anderswo gezeitigt. Alle zivilisierten Staaten Europas, mit Ausnahme Rußlands und Rumäniens, und Amerikas haben ihre jüdischen Untertanen den übrigen Staatsbürgern gleichgestellt, nur in den despotisch regierten Ländern Asiens und Afrikas befinden sich die J. noch meist in unfreier Lage, so daß Bedrückungen und Exzesse des Pöbels gegen sie auch in der Neuzeit zu verzeichnen sind.

Mit der Hebung der äußern entwickelten sich auch die innern Verhältnisse der J., das Gemeindeleben, das Schulwesen und die jüdische Wissenschaft (s. Jüdische Literatur, S. 350). Zu erwähnen sind die von dem Präsidenten des westfälischen jüdischen Konsistoriums in Kassel, Israel Jacobson (s. d. 1), gegründete Jacobsonschule in Seesen, die Franzschule in Dessau, das Philanthropin in Frankfurt a. M., die Freischule in Berlin, die Samsonschule in Wolfenbüttel, die Wilhelmschule in Breslau u. a., von denen die in Seesen, Wolfenbüttel und Frankfurt, zu Realschulen umgewandelt, noch heute blühen. Für die Ausbildung von Lehrern sind Seminare (Münster, Kassel, Hannover, Berlin, Würzburg und Köln), für die von Rabbinern Hochschulen (s. Judentum, S. 343) tätig. Bedrückter Glaubensgenossen und der Auswanderer nehmen sich humane Vereine an, wie die Alliance Israélite (s. d.) in Paris, die Anglo-Jewish-Association, die Jewish-Colonization-Association (s. d.) in London, die Israelitische Alliance in Wien und der »Hilfsverein der deutschen Juden« (s. d.). Die Wahrung der staatsbürgerlichen Rechte erstrebt der »Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens« (s. d.), und die gemeinsamen Interessen der deutschen Judenheit, namentlich deren Erziehungs- und Wohltätigkeitsbestrebungen, sucht der Deutsch israelitische Gemeindebund (s. d.) zu fördern, während die Partei der Zionisten (s. Zionismus) der Judennot in Rußland, Galizien, Rumänien und anderswo durch Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte für die Verfolgten Herr zu werden versucht. Vgl. Judentum.

[Literatur.] Die Geschichte des Volkes Israel ist außer in den allgemeinen Geschichtswerken von Max Duncker, L. v. Ranke, Maspero, Ed. Meyer, G. Weber, Helmolt u. a. wissenschaftlich behandelt in: H. Ewald, Geschichte des Volkes Israel (bis Bar-Kochba, 3. Aufl., Götting. 1864–68, 7 Bde.); B. Stade, Geschichte des Volkes Israel (Bd. 1 in 2. Aufl., Berl. 1885; Bd. 2, von der griechischen Zeit an, von O. Holtzmann, 1888); E. Rénan, Histoire du peuple d'Israël (Par. 1887–94, 5 Bde.; deutsch von Schälsky, Berl. 1894, 5 Bde.); Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels (5. Ausg., Berl. 1899) und Israelitische und jüdische Geschichte (5. Ausg., das. 1904); Winckler, Völker und Staaten des alten Orients, Bd. 2: Geschichte Israels in Einzeldarstellungen (Leipz. 1895–1900,1. u. 2. Teil); ferner von Klostermann (Münch. 1896), W. Schulze (Berl. 1897), Buhl (»Die sozialen Verhältnisse der Israeliten«, das. 1899), Guthe (2. Aufl., Tübing. 1904), Cornill (Chicago 1898), Budde (»Die Religion des Volkes Israel bis zur Verbannung«, Gieß. 1900), Schall (»Die Staatsverfassung der J.«, Leipz. 1896) u. a. Für die nachbiblische jüdische Geschichte vgl. die Werke von Zunz, Jost, Herzfeld, Steinschneider, Grätz und Güdemann, sowie S. Cassels Artikel »J.« in Ersch und Grubers »Enzyklopädie«, 2. Sektion, Bd. 27.

Vgl. außerdem für die allgemeine Geschichte: D. Cassel, Lehrbuch der jüdischen Geschichte und Literatur (Leipz. 1879); Bäck, Geschichte des jüdischen Volkes und seiner Literatur (2. Aufl., Frankf. 1894); Braun, Geschichte der J. und ihrer Literatur (2. Aufl., Bresl. 1896–99, 2 Bde.); Neubauer, Mediaeval Jewish Chronicles (Bd. 1 u. 2, Oxf. 1887–1896); Depping, Les juifs dans le moyen-âge (2. Aufl., Par. 1844; deutsch, Stuttg. 1834); Abrahams, Jewish Life in the middle ages (Lond. 1896); »The Jewish Encyclopedia« (New York 1901 ff.); für die Zeit von 175 v. Chr. bis 135 n. Chr.: Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi (4. Aufl., Leipz. 1901 ff.); für Rom und Italien: Berliner, Geschichte der J. in Rom (Frankf. 1893, 2 Bde.); Vogelst ein und Rieger, Geschichte der J. in Rom (Berl. 1895–96, 2 Bde.); für die Geschichte der J. in den mohammedanischen Ländern: A Geiger, Was hat Mohammed aus dem Judentum aufgenommen? (2. Aufl., Leipz. 1902); Hirschfeld, Beiträge zur Erklärung des Koran (das. 1886); für Deutschland und Österreich: Stobbe, Die J. in Deutschland während des Mittelalters (Braunschw. 1866); Aronius, Regesten zur Geschichte der J. im Fränkischen und Deutschen Reich, bis 1273 (Berl. 1887–92).

Quellen zur Geschichte der J. in Deutschland: Höniger, Das Judenschreinsbuch der Laurenzpfarre in Köln (Berl. 1888); Neubauer u. Stern, Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge (deutsch von Bär, das. 1892); Salfeld, Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches (das. 1898); Zeitschrift für die Geschichte der J. in Deutschland (hrsg. von L. Geiger, Braunschweig 1887–92, 5 Bde.); M. Stern, Quellenkunde zur Geschichte der deutschen J. (Kiel 1892, Bd. 1: Die Zeitschriftenliteratur); Klaus, Die J. im deutschen Mittelalter (in den »Deutschen Geschichtsblättern«, Bd. 2, S. 241 ff., Gotha 1901); Kohut, Geschichte der deutschen J. (Berl. 1899); Wertheimer, Die J. in Österreich (Leipz. 1842); Scherer, Die Rechtsverhältnisse der J. in den deutsch-österreichischen Ländern (das. 1901); Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit (das. 1903); für die Schweiz: Ulrich, Sammlung jüdischer Geschichten (Zür. 1770); Augusta Steinberg, Studien zur Geschichte der J. in der Schweiz (das. 1903); für Spanien: Kayserling, Geschichte der J. in Spanien und Portugal (Berl. 1861–67, 2 Bde.); Bloch, Die J. in Spanien (Leipz. 1875); für England: Goldschmidt, Geschichte der J. in England (1. Teil: 11. und 12. Jahrh., das. 1886); Schaible, Die J. in England (Karlsr. 1890); für Frankreich: Groß, »Gallia judaica. Dictionnaire géographique de la France« (Par. 1897) und Kahn, Histoire de la communauté israélite de Paris (das. 1885–88, 5 Bde.); für Polen: Wettstein, Quellenschriften zur Geschichte der J. in Polen (Krakau 1892); für Amerika: »Publications of the American Jewish Historical Society« (New York 1893 ff.) etc. Außerdem finden sich Beiträge zur jüdischen Geschichte in der »Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums« (1851 begründet von Frankel, Bresl., jetzt Organ der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums); in Berliners »Magazin für die Wissenschaft des Judentums« (Berl., seit 1874); in der »Revue des études juives« (Par. 1880 ff.); »Jewish Quarterly Review« in London, den »Publications of the Anglo-Jewish historical Exhibition« (das.). Einen »Jahresrückblick« über die politische und soziale Lage der J. in der Gegenwart gibt M. Philippson im »Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur« (Berl. 1898 f.). Vgl. auch die oben (S. 330) angegebene anthropologische und statistische Literatur.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Juden — Juden, Name der Israeliten (s. Israel) oder Hebräer, die aus dem Babylon. Exil seit 536 v. Chr. nach Palästina zurückgekehrt, 521 516 den Tempel wieder ausbauten und, meist dem Stamme Juda (s.d.) angehörig, zunächst eine religiöse Kurtgemeinde… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Juden — Juden, Jüdeln, verb. reg. neutr. mit dem Hülfsworte haben, auf Jüdische Art wuchern, einen übermäßigen unerlaubten Gewinn zu bekommen suchen. Er judet (jüdelt) ärger als ein Jude …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Juden — Als Juden (hebr. ‏יְהוּדִים‎, transliteriert Jehudim) bezeichnet man sowohl die Angehörigen des jüdischen Volkes als auch der jüdischen Religion. Inhaltsverzeichnis 1 Der Begriff „jüdisches Volk“ 2 Entstehung des Judentums …   Deutsch Wikipedia

  • Juden — This most interesting surname is of early medieval English origin, and has two possible sources. Firstly, the surname may be from an assimilated form of Jordan, which is a baptismal name taken from the name of the river Jordan (which derives from …   Surnames reference

  • Juden in Afghanistan — Juden lebten seit der Antike in Afghanistan, aber die Gemeinde hat sich aufgrund von Verfolgung und Auswanderung erheblich verringert. Heute existieren afghanische jüdische Gemeinden zumeist in Israel und den USA. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte… …   Deutsch Wikipedia

  • Juden: Stellung im Mittelalter —   Eine besondere Gruppe innerhalb der städtischen Bevölkerung bildeten die Juden. Als Nichtchristen waren sie an sich rechtlos; doch bereits seit der Karolingerzeit standen sie unter dem besonderen Schutz des Königs, der es ihnen erlaubte gegen… …   Universal-Lexikon

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