- Leber [1]
Leber (Hepar, Jecur), bei den Tieren die Drüse am Mitteldarm zur Bereitung der Galle und vielleicht auch andrer Stoffe (s. unten). Bei vielen Tieren fehlt die L. oder wird durch Zellen des Darmepithels ersetzt, die bei der Verdauung dieselbe Rolle spielen dürften. Häufig sind hierfür besondere Blindsäcke des Mitteldarms bestimmt, oder es münden in ihn kleinere oder größere Drüsen, die man dann als L. bezeichnet. Durch Verlängerung der Ausführungsgänge rückt die L. immer weiter vom Darm weg und bildet ein besonderes Organ, das bei den Wirbeltieren beträchtliche Größe erlangt. Hier entsteht die L. als eine paarige Ausstülpung des Mitteldarms dicht hinter dem Magen, die sich durch vielfache Verzweigung bald in ein baumförmiges Organ verwandelt, dessen feinste Zweige aber hier und da miteinander verwachsen. Es entsteht so eine Art Flechtwerk aus hohlen Strängen (den sogen. Gallengängen), deren Wände aus Leberzellen bestehen. Die von diesen abgesonderte Galle fließt durch die Gallengänge (die feinsten heißen Gallenkapillaren) in den Darm. Die zwei ursprünglichen Leberlappen vereinigen sich fast überall zu einer Masse, doch bleiben die beiden Hauptgänge bestehen. Kompliziert wird der Bau der fertigen L. durch das Verhalten der Blutgefäße in ihr, die sich in derselben Weise verzweigen wie die Gallengänge, so daß diese allenthalben von feinsten Kapillaren umsponnen werden. Statt aber, wie dies bei den Kapillaren gewöhnlich der Fall, aus einer Arterie hervorzugehen und sich zu einer Vene zu vereinigen, sind sie nichts als die feinsten Verzweigungen der Pfortader (s. d. und Tafel »Blutgefäße«, Fig. 4), d.h. einer Vene, die das Blut aus den Eingeweiden sammelt und es zur L. führt; nachdem alsdann durch die Tätigkeit der Leberzellen die Galle aus dem Blut abgeschieden worden ist, vereinigen sich diese venösen Kapillaren zur Lebervene, die in die Hohlvene mündet. Das Blut zur Ernährung der L. wird hingegen von der Leberarterie geliefert, die gleichfalls ein Kapillarnetz bildet.
Beim Menschen (s. Tafel »Eingeweide I«, Fig. 1, und Tafel II, Fig. 3, 4 u. 6) liegt die L. als bräunlich gefärbtes Organ in der Bauchhöhle unmittelbar unter dem Zwerchfell, den Magen zum Teil bedeckend. Beim Erwachsenen ist sie etwa 30 cm lang, 20 cm breit, höchstens 6,5–7,5 cm dick und wiegt im Mittel 1800 g. Sie zerfällt durch drei seichte Furchen auf der Unterseite in vier Abteilungen, den sogen. rechten, linken, viereckigen und Spigelschen Lappen, von denen der rechte der größte ist. In den Furchen liegt die Gallenblase und verlaufen die Blutgefäße. Befestigt ist die L. an der vordern Bauchwand und dem Zwerchfell durch drei Bänder, die Teile des Bauchfelles sind. Letzteres überzieht die L. fast allseitig und gibt ihr so eine glatte Oberfläche. Ein andres Band, das sogen. runde Leberband, ist nichts als die beim Fötus noch tätige, nach der Geburt aber nicht mehr funktionierende Nabelvene (s. Embryo, S. 749). Der Eintritt der Blutgefäße und der Austritt der Gallengänge (ductus choledochus) erfolgt durch eine tiefe Furche (Leberpforte); sie sind in der L. von einer bindegewebigen Scheide (capsula Glissonii) umgeben. Das Innere der L. zerfällt bei der Betrachtung mit dem unbewaffneten Auge in dunkle Flecke, die durch hellere Umgebung voneinander getrennt sind. Jeder Fleck (Leberinsel, Leberläppchen) besteht aus einem Teil des oben besprochenen Netzwerkes von Leberzellen, wird von feinsten Zweigen der Pfortader umsponnen, von Bindegewebe begrenzt und hat im Innern außer den Kapillaren ein aus ihnen hervorgehendes Ästchen der Lebervene, bildet also gewissermaßen einen Bezirk für sich (eine L. im kleinen). Die in ihm abgesonderte Galle sammelt sich an seiner Peripherie in den sogen. Gallenkanälchen, die zu größern Kanälen zusammentreten. An letztern finden sich kleine Ausstülpungen (Gallengangdrüsen), die zur Absonderung gewisser in der Galle enthaltener Stoffe, vielleicht des Gallenschleims, dienen. Schließlich vereinigen sich die Gallengänge zu zwei größern Ästen, treten so aus der L. hervor und verbinden sich darauf zu einem einzigen Stamm, dem Lebergang (ductus hepatis), der in die Gallenblase (s. d.) mündet.
In der Textfigur 1 (S. 293) ist bei 350facher Vergrößerung das Lageverhältnis der Leberzellen 11 zu den Kapillaren der Gallengänge g g und Blutgefäße c c veranschaulicht, der bessern Übersicht halber sind die Leberzellen aber zu groß gezeichnet. Links unten verläuft eine Pfortadervene p, begleitet und umsponnen von seinen Gallengängen. Beide lassen ihre Kapillaren zwischen die Zellen treten, jedoch so, daß die Blutkapillaren die Zellen gewissermaßen auseinander drängen; die Gallenkapillaren sind immer eng von aneinander grenzenden Zellen umschlossen und entbehren vielleicht einer eignen Wandung. An den zwei isolierten Zellen rechts oben sind die Stellen, wo die Gallenkapillaren den Zelleib eindrücken würden, durch kleine Buchten bezeichnet. Die Blutkapillaren sind zum Teil von den körperlichen Bestandteilen, den roten (dunkel gehaltenen) und farblosen (kernhaltigen) Blutkörperchen erfüllt.
Die Leberläppchen (Textfigur 2, Vergrößerung 50fach) bilden längliche, ungefähr 1,5 mm dicke, unregelmäßig polygonale Prismen und enthalten in der Mitte eine Lebervene (h), am Rand eine Reihe von umspinnenden Pfortadergefäßen (p). Da sie in allen möglichen Ebenen zueinander liegen, kann derselbe Schnitt in einem Läppchen die Lebervene quer (h links im Gefäßnetz), in benachbarten längs treffen (h rechts). In der Mitte oben ist ein Pfortaderästchen quer getroffen (p), neben diesem sieht man einen kleinen Arterienzweig a und Gallengang g. Alle drei sind von einer bindegewebigen Hülle, der capsula Glissoni, wie zu einem Kabel vereinigt. Die Kapillaren bilden engmaschige, starke Netze um die Leberzellen. Diese sind in Strängen angeordnet, die nicht nur in demselben, sondern auch (namentlich beim Menschen) in den verschiedenen Läppchen miteinander in Verbindung stehen.
Die Funktionen der L. bestehen erstens in der Bereitung und Absonderung der Galle (s. d.), zweitens in den für den allgemeinen Stoffwechsel wichtigen Vorgängen, deren Herd sie ist. Bernard und Hensen fanden fast gleichzeitig ein eigentümliches Kohlehydrat in der L., dem wegen seiner leichten Überführung in Zucker der Name Glykogen gegeben wurde. Dasselbe häusl sich besonders bei zucker- oder stärkereicher Nahrung in der L. an und schwindet beim Hungern. Man kann es als einen Reservestoff auffassen, der, ähnlich wie die in den Knollen und Samen der Pflanzen sich bildende Stärke, zur Zeit des Überflusses an zugeführtem Nährmaterial sich ablagert, um später allmählich, dem Bedürfnis des Organismus entsprechend, an das Blut abgegeben und für die Zwecke des Körpers verwertet zu werden. Die Abgabe an das Blut bewerkstelligt sich so, daß das schwer lösliche Glykogen sich in Zucker verwandelt, der leicht durch das die Leberzellen umspülende Blut aufgenommen wird. Der Zucker wird den Geweben zugeführt, dort verbrannt und so als Heizmaterial und zu funktionellen Zwecken verwertet. Gewisse Stellen des Nervensystems stehen in naher Beziehung zur Zuckerbildung in der L. So beschleunigt ein Stich in den Boden des vierten Gehirnventrikels (Zuckerstich oder Piqûre) diese Umwandlung derartig, daß der Zucker nicht mehr in dem Maß, wie er sich bildet, durch Oxydation zerstört wird, sondern seine Menge im Blut erheblich wächst, so daß es zu einer Ausscheidung des Zuckers durch die Nieren kommt (Glykosurie, Zuckerharnruhr). Neben der Glykogenbildung und der Zuckerabsonderung finden in der L. noch andre für den Stoffwechsel bedeutsame Vorgänge statt. So ist sie als der Sitz der Harnstoffbildung anzusehen, indem die als Zerfallprodukte des Körpereiweißes entstehenden Stoffe, die Kohlensäure und das Ammoniak, in ihr durch einen synthetischen Prozeß zu Harnstoff vereinigt werden. Wie intensiv die in der L., dieser größten aller Drüsen, vor sich gehenden chemischen Prozesse sein müssen, läßt sich daraus ermessen, daß das aus der L. abfließende Blut (Blut der Lebervene) das wärmste des ganzen Körpers ist. – Über Leberkrankheiten s. d.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.