Moses

Moses

Moses, Sohn des Leviten Amram und der Jochebed, Bruder Mirjams und Aarons, Befreier, Führer und Gesetzgeber Israels. Nach der traditionellen Auffassung der biblischen Berichte war er als Kind in Gefahr, wie die andern neugebornen Knaben der Hebräer, auf Befehl des Pharao getötet zu werden. Ihn rettet die Tochter des Pharao, nennt ihn Mose (nach der Volksetymologie der Bibel »aus dem Wasser gezogen«, wahrscheinlich aber Hebraisierung des ägyptischen mes, mesu = Kind), übergibt ihn durch kluge Vermittelung Mirjams seiner Mutter zur Pflege, adoptiert ihn und läßt ihn (nach Apostelgesch. 7, 22) in »aller Weisheit der Ägypter« erziehen. Von Mitgefühl beseelt, nimmt er sich seiner unterdrückten Stammesgenossen an, erschlägt einen Ägypter, der einen Hebräer mißhandelt hat, und entzieht sich der drohenden Todesstrafe durch die Flucht nach Midjan. Hier gibt ihm der Priester Jethro, dem er dient, die Tochter Zipora zur Frau, mit der er zwei Söhne, Gersom und Elieser, zeugt. Am Berge Horeb wird er zum Befreier der Hebräer berufen und der Mithilfe Aarons versichert. Er erwirkt von Pharao (wahrscheinlich Mernephtah I.), dessen Widerstand zehn Plagen brechen, die Freilassung seiner Stammesgenossen. Nach Einsetzung des Passah (s. d.) führt er sie aus Ägypten und nach wunderbarer Errettung am Schilfmeer in die Wüste der Halbinsel Sinai. Hier verkündete er ihnen im dritten Monat nach dem Auszug die »Zehn Gebote«, gab ihnen »Gesetz und Rechte«, verteidigte sie gegen Nachbarstämme und bildete sie 40 Jahre lang zu einem kriegstüchtigen Volke für den Kampf um das verheißene Land Kanaan aus. Eines Vergehens wegen war es nicht ihm, sondern erst seinem Nachfolger Josua beschieden, dies Land zu erobern. Vor seinem Tod erblickt er es vom Gipfel des Nebo, wo er, »der größte Prophet Israels«, 120 Jahre alt, stirbt. Sein Grab blieb unbekannt. Die neue bibelkritische Schule erklärt die genealogischen Angaben über M.' Familie, seine wunderbare Errettung, seine Wunder vor Pharao, am Schilfmeer und in der Wüste als sagenhaft gefärbt. Sie hält aber an der von andern, wie z. B. von Voltaire, geleugneten Geschichtlichkeit der Person M.' fest, der aber nicht eine geschlossene Volksmasse, sondern nur die in Gosen ansässigen und von den Ägyptern unterdrückten hebräischen Stämme befreit und den Jahwekult des Sinai zum Volkskult erhoben habe. Als Priester und Orakelspender dieses Kultus habe er gewirkt. Die sogen. mosaische Religion sei das Produkt der prophetischen Bewegung und habe durch diese erst ihre höchste Stufe des Glaubens und der Sittlichkeit erreicht, während allerdings die Keime des »sittlichen Monotheismus« im weitern Umfange schon durch M. gelegt seien. Über die ihm zugeschriebenen mosaischen Bücher s. Pentateuch; über seine Gesetzgebung s. Judentum. Vgl. J. J. Lauth, M. der Ebräer (Münch. 1868) und Mose Hosarsyphos (das. 1879); Schöbel, Le Moïse historique et la rédaction mosaïque du Pentateuque (Par. 1875); Baum, M., sein Leben, Streben und Wirken (2. Aufl., Leipz. 1885); H. Weiß, M. und sein Volk (Freib. 1885); Rawlinson, M., his life and times (Lond. 1887); Stosch, Alttestamentliche Studien, Bd 2 u. 3 (Gütersl. 1897–98); Strack, Einleitung in das Alte Testament (6. Aufl., Münch. 1905); Stade, Biblische Theologie des Allen Testaments, S. 28 ff. (Tübing. 1905); »The Jewish Encyclopedia«, Bd. 9, S. 44 ff. (New York 1905); Gelber, Achad ha-Am u.a., Moses (Berl. 1905); Beer, Das Leben M. ' nach Auffassung der jüdischen Sage (Leipz. 1863); Grünbaum, Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde (Leiden 1893); außerdem die Werke über die Geschichte des Volkes Israel (s. Juden).

Leben und Wirken M.' ist nicht nur wissenschaftlich, sondern auch von Dichtern, Malern und Bildhauern künstlerisch verwertet worden. In der Dichtung spielt M. keine so große Rolle wie Adam, Kain, Jakob, Joseph etc. In der Zeit, als die biblischen Epen unter dem Einfluß von Miltons »Verlornem Paradies« und Klopstocks »Messias« ins Kraut schossen, plante der junge Schiller eine »Sendung Mose«, von der aber nur wenig ausgeführt worden sein dürfte und nichts erhalten ist. Herder gab in der »Ältesten Urkunde des Menschengeschlechts« und im »Geist der hebräischen Poesie« ein halb wissenschaftliches, halb poetisches Bild des Helden. Heine feierte ihn im »Romanzero« als seinen »besten Heros« und außerdem in den »Geständnissen«. Die Aussetzung Mose fand mancherlei Nachhall in der lyrischen Poesie. – Die bildende Kunst hat schon seit den ersten Anfängen der christlichen Kunst M. häufig zum Gegenstande der Darstellung gemacht. In den Wandmalereien der Katakomben erscheint M. gewöhnlich, wie er das Wasser aus dem Felsen schlägt, als Vorbild Christi (s. Tafel »Christliche Altertümer I«, Fig. 3), und seit dem 5. Jahrh. werden die Hauptmomente aus seinem Leben immer häufiger dargestellt (Mosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom von 432), anfangs zumeist in Miniaturen und sonstigen Illustrationen von Bibeln, später auch in Wandgemälden. Von diesen sind aus dem 15. Jahrh. die von Benozzo Gozzoli im Camposanto zu Pisa und die von Perugino, Botticelli, Cosimo Rosselli, Signorelli und Pinturicchio in der Sixtinischen Kapelle zu Rom, die M.' ganzes Leben umfassen, die bedeutendsten. Aus dem 16. Jahrh. sind die Darstellungen in der sogen. Bibel Raffaels in den Loggien des Vatikans die hervorragendsten. Eine imponierende Mosesgestalt hat als Erster in der Plastik der Bildhauer Claus Sluter um 1400 an dem Mosesbrunnen in Dijon (s. Tafel »Bildhauerkunst VII«, Fig. 5) geschaffen; doch sind diese und andre plastische Darstellungen (z. B. Gesetzgebung auf dem Sinai von Ghiberti am Ostportal des Baptisteriums in Florenz) durch Michelangelo übertroffen worden, der in seinem M. für das Grabmal des Papstes Julius II. (in San Pietro in vincoli zu Rom) eine unvergleichliche Idealgestalt geschaffen hat (s. Tafel »Bildhauerkunst IX«, Fig. 3). Die Hörner dieser Figur bedeuten die Lichtstrahlen göttlicher Erkenntnis, die auf gemalten Darstellungen auch als Strahlen sichtbar sind. Übrigens beruht die Vorstellung von dem gehörnten Haupt M. ' auf einer falschen Übersetzung der Vulgata von der Stelle 2. Mos. 34, 29, wo die hebräischen Worte bloß bedeuten: sein Antlitz leuchtete. Als M. nämlich vom Sinai zurückkam, hatte er ein so glänzendes Angesicht, daß niemand es ansehen konnte; daher trug er iederzeit ein Tuch über seinem Haupte (Decke M.'). Erst in neuerer Zeit sind Rauch (Gruppe des M. mit Aaron und Hur in der Schlacht mit den Amalekitern) und der Däne Bissen (Bronzestatue vor der Frauenkirche in Kopenhagen) wieder mit beachtenswerten plastischen Darstellungen von M. hervorgetreten. Aus dem 17. Jahrh. sind die Ausrichtung der ehernen Schlange von Rubens (London, Nationalgalerie), die Findung des M. durch die Tochter Pharaos und M., die Gesetzestafeln zerschmetternd (Berlin, Kaiser Friedrich-Museum), von Rembrandt, M., Wasser aus dem Felsen schlagend, von Murillo (Kirche der Caridad in Sevilla) und die Findung des M. von Poussin (Paris, Louvre) zu erwähnen. In neuerer Zeit haben Köhler und Plockhorst die Findung des M. dargestellt. Plockhorst hat auch den Kampf des Erzengels Michael mit dem Satan um den Leichnam des M. nach einer talmudischen Sage geschildert (Köln, Museum).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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