Schädel

Schädel

Die Untersuchung des Schädels und seiner Teilze bildet einen wichtigen Zweig der anthropologischen Forschung (Schädellehre, Kraniologie). Die an ihm zu beobachtenden Merkmale sind beschreibender (Kranioskopie) oder messender (Kraniometrie, bez. Kephalometrie am Lebenden) Natur.

I. Beschreibende Methode. Die Bestimmung des Geschlechtes eines Schädels bietet keine Schwierigkeiten, wenn charakteristische Grabbeigaben (Waffen, Werkzeuge, Kleidung, Schmucksachen, Frauenhaar) bei ihm gefunden wurden. Wo ein Schädelfund auf solche Weise nicht charakterisiert ist, ist man auf die Feststellung der sekundären Geschlechtsmerkmale angewiesen, die unter Umständen wenig ausgesprochen sein können, besonders bei niedern Völkerschaften, gelegentlich auch bei höchststehenden Rassen (schwächliche Männer mit weiblichem Typus, Mannweiber). Der männliche Schädel ist im allgemeinen größer und voluminöser als der weibliche; er weist einen mächtigern Knochenbau, kräftigere Ausbildung der zum Ansatz der Muskeln dienenden Knochen und Leisten auf, einen absolut größern, relativ kleinern Schädelbinnenraum und Umfang, ein größeres Gesicht, größere Durchmesser, ein mächtigeres Gebiß, mehr abgerundete Zahnbogen, eine stärkere Ausbildung der Stirnglatze und der Knochenbogen über den Augenhöhlen. Für den weiblichen Schädel ist besonders charakteristisch die Neigung zur Prognathie, mehr zugespitzte Zahnbogen, größere obere mittlere Schneidezähne, schmälere Nase, stärkere Ausbildung der Stirn- und Scheitelhöcker, relativ größerer Querumfang (Bartels). Allerdings muß hinzugefügt werden, daß wir einen durchgreifenden Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Schädeln zurzeit nicht kennen. Im allgemeinen ist der weibliche Schädel mehr auf der Stufe des kindlichen Schädels stehen geblieben. Am kindlichen Schädel überwiegt der Hirnteil bedeutend den Gesichtsteil, der überdies mehr in die Breite als in die Länge geht. Das Gesicht gewinnt dadurch rundliche Formen. Während des Wachstums nimmt das Untergesicht, die Mund- und Kinngegend, mehr an Höhe als das Obergesicht, die Nasengegend, zu, und zwar wächst von diesem der obere, die Augenhöhlen umfassende Abschnitt, das Nasenbein eingeschlossen, weniger als der untere. Auch die Breitendimensionen des Gesichtes wachsen nach der Geburt nicht in allen Abschnitten gleichmäßig; die seitlichen Partien wachsen mehr als die zentralen. Die am meisten medianwärts gelegene Nasenhöhle nimmt nicht in dem Maße an Breite zu wie die Jochgegend. Das Wachstum des knöchernen Gesichtes nimmt also von oben nach unten und von der Mittellinie beiderseits nach außen zu. Auch bezüglich der Tiefendimensionen findet ein ungleichmäßiges Wachstum statt. Am wenigsten nimmt die obere Partie in dieser Richtung zu (vom Ohr bis zur Nasenwurzel); etwas mehr verlängert sich die mittlere Dimension zum Nasenstachel, am meisten indessen der untere, der Abstand des Kinnes vom Ohr (Langer). Was das Wachstum des Hirnschädels anbetrifft, so nehmen alle Durchmesser in regelmäßiger Weise bis zum 9. Lebensjahre zu; von dann an wird für einzelne die Zunahme unregelmäßig; nur der Horizontalumfang steigt stetig bis zum erwachsenen Alter an, zwar auch nicht für jedes Jahr um den gleichen Wert. Im allgemeinen vollzieht sich die Zunahme des Kopfes in drei Abschnitten, von denen der erste, die lebhafteste, von der Geburt bis zum 4. Jahre, der zweite vom 6. bis zum 8. reicht, und der dritte das 12. und 13. Jahr umfaßt. Die Zwischenzeiten bedeuten Wachstumsstillstand. Im Vergleich zum Längenwachstum des Körpers weist der Schädel zunächst ein sehr schnelles Wachstum auf, das aber viel früher als das der Körperlänge nachläßt. Zu jeder Periode des Lebens, selbst während der ersten Monate nach der Geburt, geht die Entwickelung des Kopfes langsamer vor sich als die der Körperlänge.

Bei der Bestimmung des Alters eines Schädels liefern für den frühern Lebensabschnitt die Zähne, für den spätern die Nähte die wichtigsten Anhaltspunkte; allerdings können gelegentlich frühzeitige Verknöcherung der Nähte und Abweichungen in der Entwickelung der Zähne (pathologisches Verhalten, Rassenunterschiede) eintreten. Bis zum Durchbruch der ersten echten Mahlzähne rechnet man die erste Kindheit (von der Geburt bis zum 6. Lebensjahr), von da an bis zum vollendeten Durchbruch aller zweiten echten Mahlzähne die zweite Kindheit (7.–14. Jahr), von der vollendeten Entwickelung der zweiten echten Mahlzähne bis zum Verschluß der Sphenobasilarfuge (Naht), bez. zum Durchbruch des Weisheitszahnes das jugendliche Alter (14.–25. Jahr). Wenn die Entwickelung der Zähne abgeschlossen ist, die Zähne an ihrer Kaufläche nur mäßig abgenutzt erscheinen und die Nähte des Schädeldaches noch vollständig offen sind, spricht man vom kräftigen, erwachsenen Alter (25.–40. Jahr), wenn der Grad der Zahnabnutzung bereits ein vorgeschrittenerer ist und die Nähte bereits in mittlerm Maße sich geschlossen haben, vom reifen Alter (40.–60. Jahr), und wenn die Zähne bis auf die Wurzeln abgekaut erscheinen, alle Nähte des Schädeldaches sich vollständig geschlossen zeigen und die Schädelknochen durch Schwund der Knochensubstanz bereits dünner geworden sind, vom Greisenalter (über 60 Jahre).

Außer der Geschlechts- und Altersbestimmung hat man bei der deskriptiven Untersuchung noch zu berücksichtigen, ob irgend eine Formveränderung vorliegt. Es kommen hierbei Veränderungen durch pathologische Zustände des Gehirns und seiner Häute sowie der Schädelknochen, ferner durch künstliche Einwirkung bei Lebzeiten (Deformation) und schließlich durch mechanische Einwirkung nach dem Tode (posthume Veränderung) in Betracht. 1) Pathologische Veränderungen. Gesteigerter Druck infolge vermehrten Schädelinhaltes (übermäßige Ansammlung von Flüssigkeit) führt zur Hydrokephalie (gekennzeichnet durch auffällige Dünnheit des Gewebes, lockere Verbindung zwischen sämtlichen Schädelknochen, kugelige Gestalt und mächtiger Binnenraum der Schädelkapsel). Verminderter Wachstumsdruck auf die Schädelkapsel infolge gehemmter oder verkehrter Entwickelung des Gehirns führt auf der andern Seite zur Mikrokephalie (gekennzeichnet durch auffällige Kleinheit des Schädels, namentlich in der Stirnregion, verhältnismäßig mächtige Entwickelung der Gesichtspartie). Krankhafte Zustände der Knochensubstanz infolge von Rachitis, Syphilis, Osteomalacie etc. haben ebenfalls Formenveränderungen zur Folge. Am bedeutendsten sind indessen diese Veränderungen, wenn vorzeitig oder ungleichmäßig einzelne Nähte verknöchern; es entstehen dann die verschiedenartigsten Mißbildungen, die man als Akro-, Cylindro-, Cymbo-, Klino-, Oxy-, Plagio-, Platy-, Pyrgo-, Skapho-, Steno-, Thyrso-, Trigono- und Trochokephalie bezeichnet. 2) Künstliche Verände- rungen durch Druckeinwirkung, entweder unabsichtlich (z.B. bei langem Liegen des Kindes auf einer Seite) oder willkürlich (s. Makrokephalie) herbeigeführt. 3) Posthume Veränderungen.

1. Norma frontalis.
1. Norma frontalis.

Lagert ein Schädel längere Zeit in der Erde, so büßt er infolge beständiger Durchtränkung mit der Feuchtigkeit seiner Umgebung und der daraus resultierenden Veränderung seines Knochengewebes seine Festigkeit ein und nimmt infolge des gleichzeitig herrschenden permanenten Druckes eine andre Form an.

Anatomische Anomalien zeigen sich im Offenbleiben der Stirnnaht (Metopismus), Intermaxillarnaht (Zwischenkiefer) oder Interparietalnaht (Inkaknochen), Teilung der Seiten wandbeine, Anwesenheit einer oder mehrerer ungemein großer Schaltknochen (Os epactale), Vorhandensein eines dritten Gelenkknopfes, einer Jugularapophyse, einer mittlern Hinterhauptsgrube, eines Gaumen- oder Hinterhauptwulstes, eines Lemurenfortsatzes, einer H- oder X-förmigen Anordnung des Pterions etc., Erscheinungen, die zumeist als Rückschläge auf tierische Vorfahren des Menschen zu deuten sind.

2. Norma temporalis.
2. Norma temporalis.

Für die Beurteilung der allgemeinen Schädelform mittels der Methode des Augenmaßes hat man fünf sogen. Normen aufgestellt, die Norma frontalis, occipitalis, temporalis, basilaris und verticalis, je nachdem man den in einer bestimmten Ebene aufgestellten Schädel von vorn, hinten, seitlich, unten oder oben betrachtet. Bei der Betrachtung von vorn achte man unter anderm besonders auf das Verhältnis von Hirn- zu Gesichtspartie, die Höhe und Breite der Stirn, die Ausladung der Wangenbeine und die Breite des Unterkiefers, von hinten auf die Form der Hinterhauptsregion und die Profillinie des Scheitels, von der Seite auf die Profilierung des Hirn- und des Gesichtsschädels, das Verhältnis beider zueinander sowie der einzelnen Teile des Gesichtes und auf die Profilierung der Hinterhauptsschuppe, von unten auf die Stellung des Hinterhauptsloches zur Schädelbasis und von oben auf das Verhältnis von Länge zur Breite des Schädeldaches, seine Form und den Grad des Sichtbarseins der Jochbogen. Die sich aus der Betrachtung des Schädels in den verschiedenen Normen ergebenden geometrischen Umrißformen hat G. Sergi seiner Einteilung des Menschengeschlechtes (Menschenrassen) zugrunde gelegt. Zunächst unterscheidet er 16 Varietäten, die er nach der Form des Schädels in den verschiedenen Normen (Ellipse, Fünfeck, Rhombus, Kugel, Keil etc.) als Varietà ellipsoides, pentagonoides, rhomboides, sphaeroides, sphenoides etc. benannt hat. Zur Wiedergabe der Schädelnormen in der Projektion bedient man sich der Kraniographen oder Diopteren (Brocas Stereograph, Cohausens Perigraph, Gavarts Diagraph, Lucaes Orthoskop oder Zeichentisch, Spenglers geometrischer Zeichenapparat); um ein Profilbild zu erhalten, leisten Hartings Profilzeichner und Brocas Profilometer gute Dienste.

3. Norma verticalis.
3. Norma verticalis.
4. Norma basilaris.
4. Norma basilaris.

Da sowohl bei der kranioskopischen als auch der kraniometrischen Untersuchung eine Unmasse Stellen am Schädel von Wichtigkeit sind, deren anatomische Nomenklatur gewisse Schwierigkeiten oder wenigstens Umständlichkeiten macht, hat man der Einfachheit und Gemeinverständlichkeit halber diese mit prägnanten, aus dem Griechischen stammenden Bezeichnungen belegt.

5. Norma occipitalis.
5. Norma occipitalis.

Dementsprechend unterscheidet man in der Norma frontalis (Fig. 1) das Akanthion (ak), Dentale (de), Dakryon (dk), Frontotemporale (ft), die Glabella (gb), das Gnathion (gn), Gonion (go), Jugale oder Joch(bein)punkt (jg), Infraorbitale (io), Malare (ma), Mentale oder Kinnpunkt (ml), Metopion (mo), Nasion (na), Nasale inferius (ni), Nasale superius (ns), Orbitale oder Orbitalpunkt (or), Ophryon (oy), Pogonion (pg), Prosthion (pr), Rhinion (ri), Supraorbitale (so), Sphenion oder Pterion (sp), Symphysion (sy), Tuber frontale (tuf), Zygion (zy), Zygomaxillare (zm) und Zygoorbitale (zo); in der Norma temporalis (Fig. 2) außer einigen bereits genannten Punkten noch das Asterion (ast), Bregma (br), Auriculare (au), Frontomalare orbitale (ofm), Frontomalare temporale (tfm), Inion (in), Koronion (kr), Lambda (la), Krotaphion (kt), Stephanion (stp) und in der Norma verticalis (Fig. 3) außer bereits genannten Punkten das Obelion (ob); in der Norma basilaris (Fig. 4) außer bereits genannten Punkten das Basion (ba), Orale (ol), Opisthion (op), Porion (po) und Staphylion (st); für die Norma occipitalis (Fig. 5) außer den bereits genannten Punkten Genion (ge) und Linguale (li). Die beigefügten Abbildungen geben an, für welche Punkte diese Bezeichnungen Anwendung finden.

6. Tasterzirkel (zusammenlegbar) nach Virchow.
6. Tasterzirkel (zusammenlegbar) nach Virchow.

II. Messende Methode. Um einen Schädel messen zu können, stellt man ihn in einer Ebene auf, die möglichst der Haltung des Kopfes am Lebenden nahekommt, d.h. der Haltung des stehenden Menschen bei Betrachtung des natürlichen Horizontes, wobei die Augenachsen horizontal gerichtet sind. Um diesen Zweck zu erfüllen, sind eine ganze Reihe sogen. Horizontalebenen vorgeschlagen worden (von Äby, Bell und Busk, Barclay, Blumenthal, Benedikt, Ihering u.a.); die gebräuchlichsten sind indessen die französische oder Brocasche Horizontale (durch den tiefsten Punkt der Gelenkhöcker des Hinterhauptsbeines u. den untern Rand des Alveolarrandes zwischen den beiden innern Schneidezähnen, den Point alvéolaire, gelegt) und die deutsche Horizontale oder die Horizontale der Frankfurter Verständigung (durch den tiefsten Punkt des untern Augenhöhlenrandes und den senkrecht über der Mitte der Ohröffnung liegenden Punkt des obern Bandes des knöchernen Gehörganges beiderseits gelegt) geblieben.

7. Französischer Tasterzirkel.
7. Französischer Tasterzirkel.

Die letztere wurde 1877 auf der Versammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft zu Frankfurt a.M. vereinbart und von allen deutschen Anthropologen u. einem Teil der ausländischen angenommen; die erstere wird hauptsächlich von den romanischen Anthropologen angewendet.

8. Anwendung des Tasterzirkels.
8. Anwendung des Tasterzirkels.

Um den Schädel behufs Messung in der horizontalen Grundebene zu fixieren, sind eine Reihe Schädelhalter (Kraniophore von Topinard, Ranke, v. Török) angegeben worden. Das notwendigste Inventarium besteht in einem Tasterzirkel (Fig. 6–8), einem Stangen-, Gleit- oder Schiebezirkel (Fig. 9 u. 10) und einem Bandmaß; das Kopfwinkelmaß (équerre céphalométrique) ist eine Abart des Schiebezirkels. Der Hutmacherapparat, den die Hutmacher gebrauchen, um die Form des Hutes dem Umfang des Kopfes anzupassen, ist zu wissenschaftlichen Zwecken unbrauchbar.

9. Stangen- oder Schiebezirkel.
9. Stangen- oder Schiebezirkel.
10. Anwendung des Schiebezirkels.
10. Anwendung des Schiebezirkels.

Hiermit werden die direkten Linearmaße (Entfernung zweier Punkte), die Projektionsmaße (Entfernung zweier Punkte auf die horizontale Grundebene projiziert) und der Umfang des Schädels zwischen zwei Punkten gemessen. Dazu kommen noch die Meßinstrumente zur Inhaltsbestimmung (Kubieren) des Schädelbinnenraums und der Höhlen (Zinkgefäße, Stopfer, graduiertes Meßgefäß und Blechtrichter); zur Ausführung dieser Bestimmung füllt man Sand, Hirse, Kanariensamen, Quecksilber, Wasser oder Schrot durch das Hinterhauptloch in das Innere des Schädels, dessen Öffnungen gut gedichtet sind, und bestimmt die Menge der Substanz durch Ausgießen in den Meßzylinder.

11. Mesokephaler Schädel in der Seitenansicht (Norma temporalis); h h Horizontallinie; p f Profillinie; P Profilwinkel; L gerade Länge; H Höhe._– 12. Mesokephaler Schädel von oben gesehen (Norma verticalis); B B größte Breite; J B der größte Abstand der Jochbogen (Jochbreite).
11. Mesokephaler Schädel in der Seitenansicht (Norma temporalis); h h Horizontallinie; p f Profillinie; P Profilwinkel; L gerade Länge; H Höhe._– 12. Mesokephaler Schädel von oben gesehen (Norma verticalis); B B größte Breite; J B der größte Abstand der Jochbogen (Jochbreite).

Ein weiterer Hilfsapparat (zur Kontrolle der Dichte des verschiedenen Füllmaterials) ist der Rankesche Bronzenormalschädel, dessen Inhalt genau bekannt ist. Zur Winkelbestimmung (Alveolar-, Basiopischer, Camperscher Gesichtswinkel, Daubentonscher Okzipitalwinkel, Kinnwinkel die wichtigsten) endlich dienen die Goniometer (von Broca, Quatrefages, Ranke und von v. Török [Parallelgoniometer] angegeben).

13. Langschädel in der Seitenansicht; L gerade Länge; gr. L größte Länge; OK Obergesichtshöhe; G H Gesichtshöhe; G L Profillänge; N L Nasenhöhe; O H Ohrhöhe; s Stirnnasenwulst; w Sutura naso-frontalis (Nasion)._– 14. Mesokephaler Schädel in der Vorderansicht (Norma frontalis); a größte Breite des Augenhöhleneinganges; b Höhe desselben senkrecht auf a; c horizontale Orbitabreite; d die dazugehörige senkrechte Höhe; x x größte Breite der Nasenöffnung.
13. Langschädel in der Seitenansicht; L gerade Länge; gr. L größte Länge; OK Obergesichtshöhe; G H Gesichtshöhe; G L Profillänge; N L Nasenhöhe; O H Ohrhöhe; s Stirnnasenwulst; w Sutura naso-frontalis (Nasion)._– 14. Mesokephaler Schädel in der Vorderansicht (Norma frontalis); a größte Breite des Augenhöhleneinganges; b Höhe desselben senkrecht auf a; c horizontale Orbitabreite; d die dazugehörige senkrechte Höhe; x x größte Breite der Nasenöffnung.

Alle angeführten Meßwerkzeuge finden sich in dem Universalkraniometer v. Töröks vereinigt.

Die Hauptmaße nach der Frankfurter Verständigung lassen die Abbildungen 11–14 erkennen. Um aus diesen Maßen eine Vorstellung von der Gestalt und Form des Schädels zu erhalten, berechnet man die sogen. Indices (s. Index), durch die das Verhältnis zweier Maße zueinander prozentualiter ausgedrückt wird. Folgende Indices sind die gebräuchlichsten:


100 X Breite: (geteilt durch Länge) = Längenbreitenindex (Kephalindex, Schädelindex)

100 X Höhe: Länge = Längenhöhenindex

100 X Gesichtshöhe: Gesichtsbreite = Gesichtsindex

100 X Gesichtshöhe: Jochbreite = Jochbreitengesichtsindex

100 X Augenhöhlenhöhe: Augenhöhlenbreite = Augenhöhlenindex

100 X Nasenöffnungsbreite: Nasenhöhe = Nasenindex

100 X Gaumenbreite: Gaumenlänge = Gaumenindex


Die Frankfurter Verständigung hat die so erhaltenen Indices in folgende Gruppen eingeteilt:


Dolichokephalie (Langschädel) bei
einem Längenbreitenindex ...bis 75,0
Mesokephalie (Mittelschädel) bei
einem Längenbreitenindex ...von 75,1-79,9
Brachykephalie (Kurzschädel) bei
einem Längenbreitenindex ...von 80,0-85,0
Hyperbrachykephalie ...85,1 u. darüber
Chamäkephalie (Flachschädel) bei
einem Längenhöhenindex ...unter 70,0
Orthokephalie (Mittelhochschädel) bei
einem Längenhöhenindex ...von 70,1-75,0
Hypsikephalie (Hochschädel) bei
einem Längenhöhenindex ...über 75,0
Chamäprosopie (Breitgesichter) bei
einem Gesichtsindex ...bis 90,0
Leptoprosopie (Schmalgesichter) bei
einem Gesichtsindex ...über 90,0
Chamäkonchie (Niedrigäugigkeit) bei
einem Augenhöhlenindex ...bis 80,0
Mesokonchie (Mitteläugigkeit) bei
einem Augenhöhlenindex ...von 80,1-85,0
Hypsikonchie (Hochäugigkeit) bei
einem Augenhöhlenindex ...über 85,0
Leptorrhinie (Schmalnasigkeit) bei
einem Nasenindex ...bis 47,0
Mesorrhinie (Mittelnasigkeit) bei
einem Nasenindex ...von 47,1-51,0
Platyrrhinie (Breitnasigkeit) bei
einem Nasenindex ...von 51,1-58,0
Hyperplatyrrhinie (Übermäßige
Breitnasigkeit) bei einem Nasenindex ...über 58,0
Leptostaphylie (Schmalgaumigkeit) bei
einem Gaumenindex ...unter 80,0
Mesostaphylinie (Mittelgaumigkeit) bei
einem Gaumenindex ...von 80,0-85,0
Brachystaphylinie (Breitgaumigkeit) bei
einem Gaumenindex ...über 85,0

Die Neigung der Profillinie zur Horizontalebene wird in folgende drei Gruppen geteilt:


Prognathie (Schiefzähner), wenn der
Profilwinkel ...bis 82° beträgt
Mesognathie oder Orthognathie
(Geradzähner), wenn der Profilwinkel ...83°-90°
Hyperorthognathie (übermäßige Geradzähner),
wenn der Profilwinkel ...über 90°

Breite Beschaffenheit der Kiefer bezeichnet man als Eurygnathie. Retzius war der erste, der auf die Wichtigkeit des Verhältnisses von Länge der Schädelkapsel zur Breite hinwies und unter Mitbenutzung des Gesichtswinkels das Menschengeschlecht in vier Gruppen einteilte: 1) orthognathe Dolichokephalen, 2) prognathe Dolichokephalen, 3) orthognathe Brachykephalen und 4) prognathe Brachykephalen. Bald stellte sich indessen heraus, daß die extremen Langköpfe und die extremen Kurzköpfe durch eine ganz geschlossene Reihe von Mittelgliedern miteinander verbunden seien, für die Welcker und Broca die Bezeichnung Meso- oder Mesatikephalen schufen. Die Kombination der beiden Haupttypen, resp. ihrer Mischformen mit den beiden Gesichtsformen (Schmal- und Breitgesichtigkeit) hat Ranke als Grundlage seines Schemas zur Erklärung der europäischen Schädelformen benutzt.


A. Die beiden Hauptformen:


1) Langgesichtige Kurzköpfe, dolichoprosope Brachykephalen. Schmales Gesicht (a) + kurzer Schädel (α); Formel: a + α (Disentistypus Rütimeyers und His'; moderne Schädelform in Südbaden Eckers; süddeutsche Brachykephalen Virchows, leptoprosope Brachykephalen Kollmanns).

2) Kurzgesichtige Langköpfe, brachyprosope Dolichokephalen. Breites Gesicht (b) + langer Schädel (β); Formel: b + β (Siontypus Rütimeyers und His'; Hügelgräbertypus Eckers; germanisch-turanische Mischform der Reihengräber der Völkerwanderungszeit v. Hölders; altthüringische Form Virchows z. Teil; chamäprosope Dolichokephalen Kollmanns).


B. Mischformen 1. Ordnung, entstanden durch wechselseitigen Austausch der Hauptcharaktere beider Hauptformen:


3) Langgesichtige Langköpfe, dolichoprosope Dolichokephalen. Schmales Gesicht (a) + langer Schädel (β); Formel: a + β (Hohbergtypus Rütimeyers und His'; Reihengräbertypus Eckers; Franken Virchows, Germanen v. Hölders; leptoprosope Dolichokephalen Kollmanns).

4) Langgesichtige, Mittelköpfe, dolichoprosope Mesokephalen. Schmales Gesicht (a) + einer annähernd gleichen Mischung eines kurzen (α) mit einem langen (β), also mittellangen (mesokephalen) Schädel; Formel a + (α + β)/2 (sarmatisch-germanische Mischformen v. Hölders).

5) Kurzgesichtige Kurzköpfe, brachyprosope Brachykephalen. Breites Gesicht (b) + kurzer Schädel (α); Formel: b + α (Turanier v. Hölders; chamäprosope Brachykephalen Kollmanns).

6) Kurzgesichtige Mittelköpfe, brachyprosope Mesokephalen. Breites Gesicht (b) + mittellanger Schädel (wie oben); Formel b + (α + β)/2 (turanisch-germanische Mischformen v. Hölders; chamäprosope Mesokephalen Kollmanns; altthüringische Form Virchows zum Teil).


Die Kapazität wird mittels der oben angegebenen Methoden berechnet. Mit annähernder Sicherheit läßt sie sich auch aus den drei Hauptdurchmessern des Schädels ableiten nach der Formel ((Länge + Breite + Höhe)/3☓11996/15239)3☓1,089 (E. Schmidt). Ihrem Inhalt nach unterscheidet man die Schädel in nannokephale (Zwergschädel) bei einer Kapazität unter 1200 ccm, eurykephale bei einer Kapazität von 1201–1600 und kephalone (Riesenschädel) bei einer Kapazität von 1601 und darüber. Der weibliche Schädel besitzt einen absolut kleinern Binnenraum als der männliche, da das Weib im allgemeinen kleiner als der Mann ist. Der Schädelbinnenraum kulturell hochstehender Völker ist größer als der von Völkern, die auf niederer Kulturstufe stehen. Über das geistige Durchschnittsniveau hervorragende Männer eines Kulturvolkes weisen eine höhere Ziffer auf. In gleicher Weise ist bei begabten Schülern der Schädelbinnenraum größer als bei intellektuell minderwertigen Kindern (Buschan).

Vgl. Bartels, Über Geschlechtsunterschiede am Schädel (Berl. 1897); Bonnifay, Du développement de la tête, au point de vue de la céphalométrie, depuis la naissance jusqu'à l'âge adulte (Lyon 1897); Buschan, Gehirn und Kultur (Wiesbad. 1906); Ecker, Crania Germaniae (Freiburg 1863–65); His und Rütimeyer, Crania helvetica (Basel 1864); v. Hölder, Zusammenstellung der in Württemberg vorkommenden Schädelformen (Stuttg. 1876); Lucae, Zur Morphologie der Rassenschädel (Frankf. a.M. 1861–64); Ranke, Der Mensch (2. Aufl., Leipz. 1894, 2 Bde.); Retzius, Om formen af nordboernes cranier (Stockh. 1843); E. Schmidt, Anthropologische Methoden (Leipz. 1888); v. Török, Grundzüge einer systematischen Kraniometrie (Stuttg. 1890); Welcker, Untersuchungen über Wachstum und Bau des menschlichen Schädels (Leipz. 1862).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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