Hebel [1]

Hebel [1]

Hebel, jeder um einen festen Punkt oder eine feste Achse drehbare Körper, an dem Kräfte wirken. Da ein solcher Körper keine andre Bewegung als eine Drehung um jenen Punkt oder jene Achse ausführen kann, so befindet er sich im Gleichgewicht, wenn die durch die einzelnen Kräfte hervorgerufenen Drehungsbestrebungen sich gegenseitig aufheben. Das von einer Kraft bewirkte Drehungsbestreben ist um so größer, je größer die Kraft ist und in je größerer Entfernung die Richtung der Kraft neben dem Drehungspunkt vorbeigeht, und wird daher durch das Produkt aus der Kraft und dieser Entfernung ausgedrückt. Diese Entfernung, nämlich die vom Drehungspunkt auf die Richtung der Kraft gezogene Senkrechte, nennt man den Hebelarm der Kraft und das die Drehungsbestrebung darstellende Produkt aus Kraft und Hebelarm das Drehungsmoment oder das statische Moment oder auch kurz das Moment der Kraft.

Die einfachste Form des Hebels ist eine gerade, unbiegsame, um einen ihrer Punkte (Stützpunkt, Hypomochlion) drehbare Stange, an deren Enden parallele, gleichgerichtete Kräfte (z. B. angehängte Gewichte) senkrecht angreifen (Fig. 1). Da bei diesem H. die beiden Teile der Stange (MA und MB) vom Drehpunkt bis zu dem Angriffspunkt der Kräfte die Hebelarme sind und als solche unmittelbar ins Auge fallen, hat man ihn den zweiarmigen H. genannt.

Fig. 1. Hebel.
Fig. 1. Hebel.

Er befindet sich im Gleichgewicht, wenn die beiden entgegengesetzten Drehungsbestrebungen, d. h. die Produkte aus Kraft und Hebelarm, beiderseits einander gleich sind, oder, was dasselbe ist, wenn die Kräfte im umgekehrten Verhältnis ihrer Hebelarme stehen. Vermittelst des Hebels kann daher eine große Last durch eine kleine Kraft im Gleichgewicht gehalten und, bei geringer Vermehrung der Kraft, gehoben werden, wenn man den Hebelarm der Kraft sovielmal länger nimmt als denjenigen der Last, wie diese größer ist als die Kraft. Ein einfaches Beispiel bietet das Hebeeisen: um einen schweren Steinblock von der Stelle zu bewegen, schiebt der Arbeiter das eine Ende der eisernen Stange unter den Block, legt nahe diesem Ende als Stützpunkt einen Stein unter und lüpft nun, indem er mit seiner Muskelkraft den langen Arm des so geschaffenen Hebels niederdrückt, den auf dem kurzen Hebelarm lastenden Steinblock. Ein gleicharmiger H. ist im Gleichgewicht, wenn die beiden an seinen Enden wirkenden Kräfte einander gleich sind (Wage).

Fig. 2. Hebel.
Fig. 2. Hebel.

Wenn zwei auf eine um einen Punkt drehbare Stange wirkende Kräfte die entgegengesetzte Richtung haben, so müssen sie, um entgegengesetzte Drehungsbestrebungen wachzurufen, auf der nämlichen Seite des Drehungspunktes wirken (Fig. 2); wie im vorigen Fall halten sie sich das Gleichgewicht, wenn sie sich umgekehrt verhalten wie die Entfernungen ihrer. Angriffspunkte vom Drehpunkt. Obgleich also auch hier jeder Kraft ein Hebelarm (MA und MB) entspricht, hat man doch, weil nur der längere Hebelarm (als Länge der um ihren Endpunkt drehbaren Stange) sich der Wahrnehmung selbständig aufdrängt, während der kürzere nur einen Teil desselben ausmacht, diesen H. als einarmigen bezeichnet. Eine bekannte Anwendung desselben ist z. B. der Schiebkarren; der Drehpunkt ist die Achse des Rades, die an den Griffen aufwärts ziehende Muskelkraft des Kärrners hält die auf den Karren geladene, in kleinerer Entfernung vom Drehpunkt abwärts ziehende Last in der Schwebe und vermag sie nun mit Hilfe des Rades (das übrigens auf die Hebelwirkung keinen Einfluß übt) fortzubewegen.

H. von den verschiedensten Formen finden im täglichen Leben häufige Anwendung: die eiserne Klinke z. B., an der die Drähte eines Klingelzuges befestigt sind, und die dazu dient, den lotrechten Zug der Hand in einen wagerechten Zug an der Glocke umzusetzen, ist ein Winkelhebel, dessen Hebelarme einen rechten Winkel miteinander bilden. Jeder Schlüssel ist ein um seine Längsachse drehbarer H.; der Bart stellt den einen, der Griff den andern Hebelarm dar. Scheren, Zangen, Nußknacker sind Verbindungen von je zwei Hebeln etc. Wie aber auch ein H. gestaltet sein mag, es werden zwei an ihm wirkende Kräfte immer im Gleichgewicht sein, wenn sie sich umgekehrt verhalten wie ihre Hebelarme, d. h. wie ihre Entfernungen vom Drehpunkt. Befindet sich ein H. im Gleichgewicht, so hat sein Drehpunkt einen Druck auszuhalten, der gleich der Mittelkraft sämtlicher an dem H. wirkender Kräfte ist. Beim zweiarmigen H. ist dieser Druck gleich der Summe, beim einarmigen gleich dem Unterschiede der parallelen Kräfte (s. Parallele Kräfte). Eine Reihe von Hebeln, die mit ihren Enden auseinander wirken, heißt ein zusammengesetzter H.; er befindet sich im Gleichgewicht, wenn die Kraft am Ende des letzten Hebels zur Kraft am Anfang des ersten sich verhält wie das Produkt aller diesem Anfang zugewendeten Hebelarme zu dem Produkt aller jenem Ende zugekehrten. An einem um eine Ach se drehbaren Körper kann, ohne daß an seinem Zustand etwas geändert wird, jede Kraft durch eine andre mit gleichem Drehungsbestreben ersetzt werden; man braucht die neue Kraft nur so zu wählen, daß sie sich zu der gegebenen verhält wie deren Hebelarm zu dem neuen Hebelarm.

Fig. 3. Hebel.
Fig. 3. Hebel.

Durch einen H. kann, wie durch Maschinen überhaupt, niemals Arbeit gewonnen werden; die Arbeit, die von der bewegenden Kraft verausgabt wird, ist stets gleich der Arbeit, die von der Last oder dem zu überwindenden Widerstand aufgezehrt wird. Ein H. (Fig. 3) ist bekanntlich im Gleichgewicht, wenn die Produkte aus Kraft und Hebelarm beiderseits gleich sind. Wird nun, indem man den H. aus der wagerechten Gleichgewichtslage AMB in die schiefe Lage A'MB' übergehen läßt, die größere Last durch die kleinere Kraft gehoben, so ist die Arbeit, welche die Kraft leistet, gleich dem Produkt aus der Kraft P und der Strecke bB', um die sich ihr Angriffspunkt gesenkt hat, und ebenso die Arbeit, welche die Last Q zu ihrer Hebung beanspruchte, gleich dem Produkt aus der Last und der Strecke aA'. Da nun die Strecken aA' und bB' augenscheinlich in demselben Verhältnis zueinander stehen wie die zugehörigen Hebelarme MA' und MB', so müssen auch die eben genannten Produkte einander gleich sein, d. h. die Arbeit der Last ist gleich der Arbeit der Kraft. Schafft man eine Last, statt sie lotrecht in die Höhe zu heben, längs einer schiefen Ebene bis zur nämlichen Höhe, so hat man in beiden Fällen die nämliche Arbeit zu leisten; denn in demselben Verhältnis, in dem im letztern Fall der Kraftaufwand geringer ist, ist der zurückzulegende Weg größer. Wird eine Last mittels eines Flaschenzugs durch eine z. B. sechsmal geringere Kraft gehoben, so steigt die Last mit sechsmal kleinerer Geschwindigkeit empor, als der Angriffspunkt der Kraft herabgeht, und die beiderseits geleisteten Arbeiten sind wiederum einander gleich. Man hat diesen allgemein gültigen Satz auch in folgender Form als goldene Regel der Mechanik ausgesprochen: Was an Kraft gewonnen wird, geht an Geschwindigkeit verloren.


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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