- Niederlande
Niederlande, Königreich der (Koninkrijk der Nederlanden, auch bloß Nederland, hierzu Karte »Niederlande«), europäisches Königreich, zwischen 50°45´49´´-53°32´21´´ nördl. Br. und 3°23´27´´-7°12´20´´ östl. L. gelegen, grenzt im O. an die preußischen Provinzen Hannover, Westfalen und Rheinland, im S. an Belgien, im Norden und W. an die Nordsee und hat nach der 1879–89 ausgeführten neuen Katastervermessung einen Flächeninhalt von 32,538,27 qkm (590,9 QM.), nach den neuesten Angaben von 33,078,62 qkm (600,74 QM.), wobei der Zuidersee, die Wadden (Watten) und der niederländische Teil des Dollart, die zusammen etwa 5345 qkm repräsentieren, nicht gerechnet sind. Der Gewinn an Land durch Eindeichungen u. Trockenlegungen beträgt vom 16. Jahrh. an bis 1903 etwa 3740 qkm. Weitere Eindeichungen u. Trockenlegungen im Zuidersee, den Wadden und dem Dollart hat man in Aussicht genommen.
Physische Beschaffenheit.
Bodengestaltung. Die N. gehören mit Ausnahme des südlichen Limburg dem großen norddeutschen Tiefland an. Wie in diesem läßt sich auch hier eine Gliederung in die aus Moor und Heideland bestehende Geest, in die einen bis 40 km breiten Gürtel bildenden Marschen und eine Dünenreihe an der See verfolgen. Die niederländischen Dünen bilden einen Teil der Dünenkette, die bei Calais anfängt, sich mit einigen Unterbrechungen längs der ganzen Nordseeküste hinzieht und beim Skagerrak endet. An der Küste fehlen sie nur bei Westkapelle auf der Insel Walcheren (Zeeland) und in Nordholland zwischen Petten und Kamp. Die Dünen haben eine Breite von 200–2300 m; sie erheben sich selten auf 60 m ü. M. Einer der höchsten und breitesten Hügel, der Blinkert, liegt unweit Haarlem. Die innern Dünen sind meist bewaldet oder in Wiesen oder Ackerland verwandelt. Das hinter den Dünen liegende Marschland ist völlig eben; es bedeckt mehr als die Hälfte des Königreichs, und mehr als zwei Drittel davon (38 Proz. des Gesamtareals) erheben sich noch nicht 1 m ü. M., während manche Marschen 3–5 m unter das Meeresniveau hinabsinken. Das Marschland wird gegen die Meeresfluten durch die Dünen und, wo diese fehlen, durch Deiche geschützt. Ohne diesen Schutz würde der größte Teil des Landes im Meere versinken. Insgesamt liegt etwa ein Viertel des Bodens der N. unter dem Meeresniveau. Durch die Anlage von Polders (s. Polder), viereckiger, von Dämmen eingeschlossener und von unzähligen Gräben durchzogener Bodenflächen, hat man die Marschen für den Ackerbau nutzbar gemacht. Das Wasser wird aus den vielfach unter dem Meeresspiegel liegenden Gräben durch Windmühlen oder Pumpwerke in die höhern Kanäle gehoben, und großartige Schleusen ermöglichen zur Zeit der Ebbe oder niedrigen Wasserstandes das Abfließen des Binnenwassers in die Flüsse oder in das Meer und schützen gegen eindringende Fluten. In neuerer Zeit verwendet man vorzüglich den Dampf dabei (gegenwärtig etwa 500 Pumpwerke mit 600 Maschinen und 35,865 Pferdekräften).
Die Geest erfüllt den ganzen Süden und Osten des Landes und tritt in drei großen Massen auf: im S. zieht sie sich von der Oosterschelde bis zur Waal bei Nimwegen hin und nimmt nach O. an Breite zu. Die zweite große, zusammenhängende Fläche bildet die Veluwe zwischen Rhein und Yssel; endlich tritt die Geest geschlossen auch in den Provinzen Gelderland, Overyssel und Drenthe auf und wird nur in ihrem nordöstlichen Teile durch Marschland unterbrochen. Das Land ist hier flachwellig, mit vielen Hügeln übersät. In einigen Teilen des Landes bilden die Hügel Gruppen, wie in Overyssel, auf der Veluwe und längs der Waal bei Nimwegen in Gelderland, im S. der Provinz Limburg; andre Hügel stehen mehr isoliert, wie in Groningen, Drenthe, Utrecht und Holland. Die höchsten Hügel und Dünen sind folgende: in Limburg der Krikkelenberg oder Ubagsberg (200 m), der Vaalser Berg bei Vaals (198 m); in Gelderland das Imbosch (110 m), der Philippsberg (107 m); in der Veluwe der Hettenheuvel bei Zevenaar (105 m), der Hoenderberg (Hühnerberg) bei Nimwegen (100 m); in Overyssel der Lemeler Berg bei Ommen (81 m), der Tankenberg bei Oldenzaal (80 m); in Utrecht die Austerlitzer Pyramide bei Zeist (65 m), der Soester Berg bei Soest (64 m); in Nordholland der Blinkert (s. oben).
Die beiden Hauptflüsse der N. sind der Rhein und die Maas, während von der Schelde nur die Mün dungen den Niederlanden angehören. Der Rhein tritt unterhalb Emmerich bei Lobith auf niederländisches Gebiet, entsendet bei Pannerden, wo das Rheindelta anfängt, die Waal westwärts, die sich mit der Maas zur Merwede vereinigt, und teilt sich oberhalb Arnheim bei Westervoort nochmals in zwei Arme, wovon der rechte den Namen Yssel oder Geldersche Yssel führt und in den Zuidersee mündet. Der linke Arm behält den alten Namen Rhein und teilt sich bei Wijk bij Duurstede in zwei Arme. Der linke Arm führt den Namen Lek und vereinigt sich unterhalb Krimpen a. d. Lek mit dem Noord zur Nieuwe Maas (Neue Maas). Der nördliche Zweig, früher der Hauptfluß. trägt den Namen Kromme Ryn. Bei Utrecht kann von keiner vierten Teilung des Rheins die Rede sein. Der Utrechter Vecht und der Oude Ryn sind jetzt vielmehr abgeschlossene Kanäle. Der erste fließt in nordwestlicher Richtung nach dem Zuidersee; der Oude Ryn (Alte Rhein) fließt bei Leiden vorbei, verlor sich früher in den Dünen bei Katwijk, ist aber seit 1805 durch einen Kanal mit der Nordsee verbunden. Die Maas tritt oberhalb Maastricht in die N. ein, bildet bis Steevenswert die Grenze gegen Belgien, fließt dann durch Niederländisch Limburg und bildet weiter die Grenze zwischen dieser Provinz und Nordbrabant gegen Gelderland bis Loevestein. Die Merwede (s. oben) fließt bis Dordrecht, sendet aber unweit Werkendam einen kanalisierten Arm südwestlich, zwischen dem Biesbosch (jetzt eine Gruppe Inseln) und der Insel von Dordrecht, unter dem Namen Neue Merwede; dieses Wasser nimmt nach seiner Vereinigung mit der Amer bei Moerdyk den Namen Hollandsch-Diep an, den es bis Willemstadt behält, wo es sich wieder verzweigt. Der nördliche Arm, Haringvliet genannt, fließt zwischen den Inseln Beierland, Voorne und Putten am rechten und Overflakkee am linken Ufer der Nordsee zu, während der südwestliche Arm zwischen der Insel Overflakkee und Nordbrabant Volkerak, zwischen der nämlichen Insel und Tholen Krammer genannt wird und gleichfalls in die Nordsee mündet. Bei Dordrecht verzweigt sich die Merwede zum zweitenmal; der nördliche Arm, zwischen der Insel Ysselmonde und dem Alblasser Waard, vereinigt sich bei Krimpen mit der Lek (s. oben), und der aus dieser Vereinigung entstandene Strom fließt unter dem Namen Nieuwe Maas (Neue Maas) an Rotterdam und Schiedam vorüber. Der südliche Arm der Merwede fließt von Dordrecht, zwischen den Inseln von Dordrecht und Beierland am linken Ufer und Ysselmonde am rechten Ufer, unter dem Namen Oude Maas (Alte Maas) bis an die westliche Spitze der letzgenannten Insel, wo er sich mit der Neuen Maas vereinigt und dann bei Brielle vorbei unter dem alten Namen Maas der Nordsee zufließt. Bei Maassluis beginnt der 10–13 m tiefe Kanal, der durch die »Ecke von Holland« (Hoek van Holland) unter dem Namen Neuer Wasserweg in die Nordsee führt. Die Schelde (s. d.) tritt unterhalb des belgischen Forts Lillo in die N., wo sie sich früher in zwei Arme teilte, von denen jedoch der nördliche jetzt durch einen Damm versperrt ist. Der südliche Arm fließt unter dem Namen Westerschelde zwischen dem zeeländischen Flandern links und den Inseln Südbeveland und Walcheren rechts der Nordsee zu und erhält an seiner Mündung, wo er durch Sandbänke geteilt wird, die Namen Wielingen, Spleet und Deurlo. Der jetzt abgedämmte Arm hat den alten Namen Oosterschelde behalten, ist durch den Südbevelandkanal mit der Westerschelde verbunden und fließt zwischen den Inseln Südbeveland, Nordbeveland und Walcheren links, Tholen, Duiveland und Schouwen rechts unter dem Namen Roompot der Nordsee zu. Die kleinern Flüsse sind außer der Ems, deren Mündung in den Dollart die Grenze gegen Preußen (Hannover) bildet: die Westerwolder Aa, in den Dollart mündend, die Hunse in Drenthe und Groningen, das Schwarze Wasser in Overyssel, die Eem in Utrecht, die Amstel in Nordholland, die Holländische Yssel in Südholland etc.
In den nördlichen Provinzen finden sich trotz der Trockenlegungen noch bedeutende Seen (Süßwasserseen), so in Friesland, Groningen, Overyssel und Nordholland. Auch findet man eine Menge seenartiger Torfpfuhle (veenplassen). Kein Land besitzt so zahlreiche Kanäle zur Beförderung der Schiffahrt und der Abfuhr zu Wasser wie die N. Die bedeutendsten sind: der große Nordholländische Kanal (s. d.); der (1876 eingeweihte) Nordseekanal (s. d.), zur kürzern Verbindung Amsterdams mit der Nordsee; der Merwedekanal, der die Stelle der frühern »Keulsche Vaart« einnimmt: vom abgeschlossenen Y östlich von Amsterdam bis zur Lek westlich von Vreeswijk und weiter von hier nach Gorkum; der Kanal von Voorne in Südholland (1827–29 angelegt), der bei Helvoetsluys in die Nordsee mündet, genügte nicht für die Schiffahrt von Rotterdam, weshalb man den Kanal durch die »Ecke von Holland« gegraben hat (s. Nieuwe Waterweg); der Süd-Wilhelmskanal (s. d.); die Wilhelmsfahrt in Overyssel, nur ca. 3 km lang, zur Verbindung des Schwarzen Wassers bei Zwolle mit der Yssel; die Dedemsvaart (s. d.); das Damster-Diep (s. d.) und der Emskanal (s. d.); das Winschoter Diep von Groningen nach Winschoten, zum Teil das Schuitendiep genannt; der Stadtkanal, der Verbindungsweg für die Torfkolonien in der Provinz Groningen; das Hoendiep von Groningen nach den frie fischen Grenzen und dessen Fortsetzung in Friesland; das Kolonels- oder Kaspar Robles-Diep, die Verbindung der friesischen Seen mit dem Zuidersee; der Nord-Wilhelmskanal (s. d.) und dessen Fortsetzung, die Drenther Haupt- oder Smildefahrt, von Affen nach Meppel mit ihren Zweigen, dem Oranjekanal und der Hoogeveenschen Fahrt; der Kanal von Terneuzen (in Zeeland), der letzteres mit der belgischen Stadt Gent verbindet; der Kanal durch die Insel Walcheren von Vlissingen über Middelburg nach Veere; der Südbevelandkanal (s. oben) etc.
Zu den niederländischen Inseln gehören die in dem Scheldedelta: Walcheren, Nordbeveland, Südbeveland, Schouwen und Duiveland, St. Philipsland und Tholen; die in dem Maasdelta: Ysselmonde, Voorne und Putten, Rosenburg, Beierland, Goeree und Overflakkee, die Insel von Dordrecht, Tien-Ge meten und einige kleinere, durch Trockenlegung gewonnene; die vor dem Eingang des Zuidersees und nördlich von Friesland und Groningen liegenden. Texel, Vlieland, Terschelling, Ameland (jetzt durch einen Damm mit dem Festland verbunden), Schiermonnikoog und Rottum oder Rottumer Oog; die im Zuidersee: Wieringen, Marken und Urk und die Overysseler Insel Schokland (seit 1859 verlassen); ferner das Ysseldelta in Overyssel: Kamper Insel, Mandjes- und Katjeswaard und die durch Rhein und Waal gebildete Betuwe (s. d.); endlich die Inseln des Biesbosch (s. d.).
Geologisches. Den Hauptanteil an dem geologischen Aufbau der N. haben die alluvialen und die diluvialen Bildungen. Zu den erstern gehören die Dünen, oftmals bis gegen 2300 m breit und bis zu 60 m hoch, ferner die Torfmoore, bei denen der Niederländer niedrige (lage veenen), hohe (hoogeveenen) und Morasttorfbildungen (mœras veenen) unterscheidet. Die Diluvialbildungen der N. sind ganz ähnlich denjenigen der benachbarten norddeutschen Tiefebene. Ihre Entstehung dürfte wohl der zweiten großen, in nordsüdlicher Richtung besonders vorgerückten Inlandeisbedeckung zuzuschreiben sein. Tertiär und Kreide treten in den Niederlanden nur in untergeordneter Weise auf. Besondere Berühmtheit hat die Tuffkreide vom Petersberg bei Maastricht durch ihre so schön erhaltenen Fossilien (Mosasaurus, Baculites, Hemipneustes etc.) erlangt. Die produktive Steinkohlenformation kommt bei Kerkrade in Limburg, nördlich von Aachen, zutage. Die dortigen Flöze sind Ausläufer der belgisch-aachener Kohlenmulde, auch Wormmulde genannt.
Das Klima der N. hat unter dem Einfluß des nordatlantischen Ozeans milde Winter, relativ kühle Sommer, große Feuchtigkeit, große Bewölkung und häufige Regen, namentlich Landregen. Durchschnittlich erhebt sich hier die Sommertemperatur auf höchstens 31°, während die niedrigste Wintertemperatur durchschnittlich etwa -12° erreicht. Im Mittel fallen jährlich 60–70 cm Regen, am meisten im Spätsommer. Südwestliche bis nordwestliche Winde sind vorherrschend und während der kältern Jahreszeit häufig stürmisch. In heißen, trocknen Sommern sind die Ausdünstungen der Kanäle und stehenden Gewässer der Gesundheit sehr nachteilig (sumpfige Strecken von Zeeland, Nordholland, Südholland und Friesland). Ein besseres Klima haben die innern Provinzen. Deichbrüche und Überschwemmungen sind, insbes. im Frühjahr bei der Eisschmelze, nicht selten.
Ihrer Pflanzenwelt nach nehmen die N. eine Mittelstellung zwischen der Flora Belgiens und Nordwestdeutschlands ein, indem sie weniger Elemente der westeuropäischen Bergwaldflora in sich aufnehmen als jenes, dafür aber stärkere Entwickelung der dünenbewohnenden und salzliebenden Litoralflora zeigen. Ein Grundstock atlantischer Pflanzen, wie Ulex europaeus, Genista anglica, Myrica Gale u.a., ist allen Ländern der Nordseeküste gemeinsam; auf den Dünenstrecken und auch auf Texel kommen kleine Bestände von Eichen (Quercus pedunculata) und Birken vor, auch werden Buchen angepflanzt. Von Nadelhölzern finden sich außer Wacholder (z. B. auf Texel) auch Kiefern, Fichten und Tannen; die Flora der Dünen ist durch Anpflanzungen so verändert, daß der ursprüngliche Zustand kaum noch sichtbar ist. Reich ist die Flora der N. besonders an Moor-, Heide- und Wasserpflanzen.
Als ein wenig beträchtlicher Teil des mitteleuropäischen Faunengebietes der paläarktischen Region bietet die Tierwelt der N., zumal in den Teilen, in denen die größern Erhebungen und Wälder zurücktreten, kaum besondere Eigenart. In den bewaldeten und gebirgigen Teilen von Belgien, besonders in den Ardennen, ist die Tierwelt reicher, hier leben noch der Wolf und die Wildkatze, Wildschwein und Reh. Der Fuchs ist häufig im Lande, wo es noch bewaldet ist, tritt dagegen in den flachen und offenen Gegenden ganz zurück. Ähnliches gilt für den Dachs, der freilich sehr im Rückgang begriffen ist. Baummarder, großer und kleiner Wiesel sind ziemlich verbreitet, ebenso der Fischotter. Maulwurf und Igel finden sich überall, auch kommen einige Arten von Spitzmäusen vor. Hase und Kaninchen sind gemein, die Haselmaus findet sich in den bewaldeten Gegenden, der Gartenschläfer anscheinend, wenn auch nicht häufig, im größten Teil von Belgien. Das Eichhorn findet sich in den Wäldern rechts von der Maas, auch von Geldern bis Groningen, fehlt dagegen in Nordbrabant, Zeeland und den Provinzen Nord- und Südholland; der Hamster kommt in der Provinz Lüttich und auf dem rechten Ufer der Maas vor. An den Küsten, besonders bei Blankenberghe, Nieuport und an der Mündung der Maas, sind Seehunde häufig, ebenso Delphine (besonders Phocaena communis), die ziemlich weit in den Flußmündungen hinausgehen. Die Vogelwelt entspricht im ganzen den angrenzenden Gebieten des Kontinents mit der sehr erheblichen Bereicherung durch die Küstenfauna. Von jagdbaren Vögeln kommen Auer- und Birkwild nur selten im Herzogenwald, das Haselhuhn in den Ardennen noch seltener vor, das Rebhuhn ist ziemlich verbreitet. Verschiedene Arten von Wildenten sind häufig an den Sümpfen von Brabant und in andern Teilen des Landes; an der Küste kommt die Höhlenente (Tadorna vulpanser) häufig vor. Sehr gemein sind an der flandrischen Küste die Tauchenten (Schellen-, Berg- und Reiherente), ebenso der Halsbandregenpfeifer und an den Küsten im allgemeinen die schwarze Scharbe (Kormoran), der Haubentaucher, die Seeschwalbe, Lachmöwe und eine größere Zahl andrer Möwen. Von Reptilien ist die Ringelnatter außer in den Küstenbezirken ziemlich verbreitet, besonders in den bergigen und bewaldeten Gegenden, hier kommt, freilich selten, auch die glatte Natter vor; die Kreuzotter findet sich in Flandern, Groningen, Friesland, Drenthe, Nordbrabant und anscheinend auch in Utrecht und einigen Teilen Hollands. An Fischen ist das Land reich, außer den gewöhnlichen Nutzfischen sind besonders der Rheinsalm und der Stint in der Schelde und andern Flüssen zu erwähnen. Das Gebiet der Schelde soll durch das Vorkommen des Schlammpeitzgers und das Fehlen des Bitterlings, der Alandblecke, der gemeinen Nase ausgezeichnet sein. Die Mosel unterscheidet sich von der Maas durch das Vorkommen des Leuciscus dolabratus und das Fehlen von Abramis Heckeli. In den Flüssen gehen der Stör, Lachs, Maifisch, Finte, Flunder, Meerneunauge während des Winters an die Mündung hinab. Außer den ältern Bearbeitungen von Selys-Longchamps und Schlegel findet die Fauna der N. eine neue Darstellung durch Lameere, Manuel de la faune de Belgique (bisher Bd. 1 u. 2. Brüssel 1895 u. 1900).
Areal und Bevölkerung.
Die N. hatten nach der Volkszählung vom 31. Dez. 1899: 5,104,137 Einw. und zerfallen in elf Provinzen (s. die Karte), deren Größe und Einwohnerzahl aus folgender Tabelle ersichtlich ist:
Die Bevölkerung, die 1829 erst 2,613,487 Seelen betrug, hat sich in 70 Jahren um 2,490,650 Einw. vermehrt und wurde im Dezember 1904 auf 5,509,659 Seelen berechnet. Die Zahl der Auswanderer war 1903: 53,590, wovon 2963 Niederländer. Am dichtesten sind die Provinzen Nord- und Südholland bevölkert, indem hier die städtische Bevölkerung die ländliche überwiegt. Sie betrug 1899 im ganzen Reiche 154 (neuerdings 167) Seelen auf das Quadratkilometer. Nach dem Geschlecht unterschied man 1899: 49,4 Proz. Männer und 50,6 Proz. Frauen. Auf 100 Personen entfielen unter den
Im J. 1903 fanden 41,406 Eheschließungen statt; die Zahl der Gebornen belief sich auf 177,323 (darunter 7215 Tot geborne), der Gestorbenen auf 91,161, was einen Überschuß der Lebendgebornen von 86,162 (15,8 pro Mille) ergibt. Die Wohnungsverhältnisse sind sehr günstig. Die Verfassung erkennt keinen Unterschied zwischen Städten und Dörfern an; man spricht deshalb auch nur von Gemeinden, deren Anzahl 1903: 1121 betrug. Davon hatten 4 Gemeinden mehr als 100,000 Einw., 20 zwischen 20,000 und 100,000 und 77 mehr als 5000 Einw. Die ursprünglichen Bewohner waren Germanen, im südlichen und westlichen Teil des Landes haben sich verschiedene Volksstämme miteinander vermischt; die religiöse und politische Freiheit, der große Handelsverkehr und der Reichtum der Bevölkerung haben dazu beigetragen, daß französische Hugenotten, Deutsche, Belgier, Juden (auch aus Spanien und Portugal) sich in den Niederlanden angesiedelt haben. Am reinsten von fremder Beimischung haben sich die Friesen erhalten. (Einige Beispiele holländischer Tracht s. auf Tafel »Volkstrachten I«, Fig. 10, 12, 13.) An Ausländern waren 1899: 31,865 Deutsche, 14,903 Belgier, 1307 Engländer, 1018 Franzosen etc.
In konfessioneller Beziehung teilte sich die Bevölkerung nach der Volkszählung von 1899 in 3,068,129 Protestanten, 1,790,161 Römisch-Katholische, 8754 Altkatholiken, 45 Griechisch-Katholische, 103,988 Israeliten und 115,290 Personen unbekannt er Konfession. Die reformierte Kirche steht unter einer allgemeinen Synode, die aus einem Präsidenten, Vizepräsidenten, Sekretär, Quästor und 19 Mitgliedern besteht und jährlich am dritten Mittwoch des Juli im Haag zusammentritt. Sie zählte Ende 1903: 1353 anerkannte kirchliche Gemeinden. Die evangelisch-lutherische Kirche, deren Synode am Mittwoch nach Pfingsten in Amsterdam abgehalten wird, zählte 49 an erkannte Gemeinden; die hergestellte evangelisch-lutherische Kirche (Altlutheraner) steht unter einer allgemeinen kirchlichen Kommission und zählt 8 anerkannte Gemeinden. Die Mennoniten haben keine Zentralverwaltung und bilden 131 anerkannte Gemeinden. Die Bruderschaft der Remonstranten, an deren Spitze eine Kommission steht, zähl 126 anerkannte Gemeinden. Die Herrnhuter haben 2 Gemeinden (Haarlem und Zeist). Die Deutsch-Evangelischen der evangelischen Kirche in Preußen bilden 2 Gemeinden (im Haag und in Rotterdam). Die christlichen Separatisten, die sich von der reformierten Kirche getrennt haben, zählen ca. 700 anerkannte Gemeinden. Die römisch-katholische Kirche, die in den Niederlanden seit 1853 organisiert ist, besteht aus 5 Diözesen: dem Erzbistum Utrecht und den Bistümern Haarlem, Herzogenbusch, Breda und Roermonde, die in 1079 Gemeinden zerfallen. Der katholische Klerus bestand 1809 ous 2457 Mitgliedern. Die Zahl der Klöster hat seit 1853 sehr zugenommen, besonders in Nordbrabant und Limburg, hauptsächlich durch Einwanderung der aus Deutschland und Frankreich vertriebenen Mönche und Nonnen. Die Güter im Besitz der Toten Hand repräsentieren einen Wert von etwa 160 Mill. Gulden. Die altbischöfliche Kirche hat 3 Diözesen: das Erzbistum Utrecht und die Bistümer Haarlem und Deventer, und zählt 26 anerkannte Gemeinden. Die niederländischen Israeliten stehen unter einer Zentralkommission und besitzen 176 Gemeinden und 8 Hauptrabbinate. Die portugiesischen Israeliten stehen ebenfalls unter einer Hauptkommission und besitzen nur 2 Gemeinden: in Amsterdam und im Haag.
Bildung und Unterricht.
Was die geistige Kultur betrifft, so ist der Volksunterricht in den Niederlanden allgemein verbreitet. Öffentliche, von den Gemeinden unterhaltene (neutrale, d.h. konfessionslose) Elementarschulen zählte man 1902: 3188 mit 559,841 Schülern und 17,478 Lehrern; Privatschulen, d.h. meistens konfessionelle Schulen: 1535 mit 259,982 Schülern und 8257 Lehrern. Kinderbewahranstalten gab es 1902: 1096 (153 öffentliche, 943 private) mit bez. 27,285 und 90,697 Kindern. Kleinkinderbewahranstalten gab es 1902: 1096 mit 117,982 Kindern. Bildungsanstalten für Lehrer bestehen in Nimwegen, Groningen, Haarlem, Middelburg und Deventer, für Lehrerinnen in Apeldoorn, vom Staat unterhalten; außerdem besitzen verschiedene Gemeinden solche Anstalten, die sie selbst in Verbindung mit öffentlichen Elementarschulen unterhalten. Die Oberaufsicht über das Schulwesen führen drei Inspektoren, unter diesen zahlreiche Distrikts- und Arrondissementsschulaufseher; in den Gemeinden örtliche Schulkomitees (plaatselijke schoolcommissiën). Für den mittlern Unterricht waren Anfang 1902 in Wirksamkeit: 1 Bürgertagschule, 44 Bürgerabendschulen, 69 höhere Bürgerschulen für Knaben und 12 höhere Bürgerschulen für Mädchen. Die Technische Hochschule (bis 1905 Polytechnikum genannt) in Delft ist eine Anstalt zur Bildung von Ingenieuren, Technikern und Architekten. In Leiden ist eine Anstalt zur Ausbildung von Beamten für die ostindischen Kolonien. Die Armee hat eine Bildungsanstalt in Breda, die Marine in Willemsoord am Helder. Gewerbeschulen sind die Schule für Handel in Amsterdam und verschiedene Handwerkerschulen. Für die Ausbildung von Künstlern bestehen Akademien der schönen Künste in Amsterdam, Rotterdam und Groningen, Musikschulen im Haag, in Amsterdam, Rotterdam, Leiden und Maastricht. Außerdem bestehen verschiedene Bau-, Zeichen- und Industrieschulen, eine landwirtschaftliche Schule in Wageningen, Navigationsschulen in Amsterdam, Rotterdam, Leiden, Helder, Harlingen, Groningen, Delfzyl, Veendam etc., eine Landesveterinärschule in Utrecht. Für den höhern Unterricht (neugeregelt durch Gesetz von 1876) bestehen Gymnasien (1904: 30 öffentliche und 5 private mit etwa 500 Lehrern und 2048 Schülern) und die drei Staatsuniversitäten in Leiden, Utrecht und Groningen (1902 mit 133 Professoren); außerdem die Gemeindeuniversität in Amsterdam, die 1877 aus dem frühern Athenäum entstanden ist, ebenso wie die drei Staatsuniversitäten das Recht hat, wissenschaftliche Grade zu verleihen, und 51 Professoren zählt. Die Oberaufsicht über die Gymnasien führt ein Inspektor. Die Prediger der reformierten Kirche erhalten ihre Ausbildung auf den Universitäten und einer freien (konfessionellen) Universität in Amsterdam, die der übrigen Konfessionen auf besondern Seminaren. Die Römisch Katholischen haben 9 Seminare. Als Bildungsanstalten sind noch zu erwähnen: 3 Taubstummenanstalten in Groningen, St. Michielsgestel und Rotterdam, 2 Blindeninstitute in Amsterdam und Grave, eine Idiotenschule im Haag und eine Ackerbaukolonie für verwahrloste Knaben, Mettray genannt, in Rysselt bei Zutphen. Reich sind die N. an Gesellschaften für Wissenschaft und Kunst, hinsichtlich deren wir auf den Artikel »Akademie« (S. 219) verweisen. Die vornehmsten Museen und Sammlungen sind: Het Rijksmuseum in Amsterdam; Het Prentenkabinet, ebendaselbst; De Rijksverzameling van moderne Kunst in Haarlem; Het Rijksmuseum van Oudheden, Het Museum voor Natuurlijke Historie, Het Rijks Ethnographisch Museum, alle drei in Leiden etc. Die Preßfreiheit hat von jeher in den Niederlanden bestanden; die Tagespresse hat seit der Abschaffung der Zeitungsstempelsteuer (1869) nach Inhalt und Verbreitung eine höhere Stufe erreicht. Man zählt wenigstens 400 Buchdruckereien und 800 Buchhandlungen, wovon ein Drittel Verlagsgeschäfte sind. Hauptsitz des Buchhandels ist Amsterdam. Die Medizinalpolizei wird seit 1. Aug. 1902 geübt von einem zentralen Gesundheitsrat und 128 Gesundheitskommissionen. Von Wohltätigkeitanstalten unterscheidet man vier Arten: Staats-, Provinzial- und Gemeindeanstalten; Anstalten der kirchlichen Vereine; Anstalten von Privatpersonen und besonderer nichtkirchlicher Vereine; Anstalten gemischten Charakters.
Es wird in den Niederlanden nur eine Sprache gesprochen, die niederländische, ein Zweig der altgermanischen; nur die Bauern in Friesland sprechen noch einen Dialekt des Altfriesischen. Fast alle gebildeten Niederländer sprechen Französisch, Deutsch und Englisch. Die Zahl der Analphabeten bei der Rekruteneinstellung mindert sich von Jahr zu Jahr; 1870 waren es 16,3,1897 noch 4 und 1904 nur 2,2 Proz.
Ackerbau und Viehzucht.
Wiewohl in den Niederlanden die Landwirtschaft mit Fleiß und Sorgfalt betrieben wird, so reicht die Bodenproduktion doch nicht zur Ernährung der Bevölkerung hin, was seinen Grund besonders darin hat, daß (1903) 36 Proz. der Gesamtfläche zur Viehzucht verwendet werden, auch ein beträchtlicher Teil derselben mit Flachs, Hans. Tabak, Blumen etc. bebaut wird. Das Ackerland beträgt nur 30 Proz., die Obst- und Gemüsegärten 7 Proz., die Waldungen 2,8 Proz. des Areals. Weizen wird am meisten in Zeeland, Südholland, Limburg und im südlichen Teile des Gelderlandes, Roggen in Groningen, Drenthe, Nordbrabant, Gelderland, Overyssel und Limburg, Buchweizen in Drenthe, Gelderland, Utrecht und Nordbrabant gebaut. Bohnen werden besonders in Groningen, Friesland, Südholland und Zeeland gezogen. Kartoffeln liefern alle Provinzen, auch der Dünenboden. 1903 waren mit Feldfrüchten und Handelsgewächsen 859,325 Hektar bebaut. Die Ernte lieferte 1903: 1,500,000 hl Weizen, 4,924,000 hl Roggen, 1,347,000 hl Gerste, 7,087,000 hl Hafer, 476,000 hl Buchweizen, 747,000 hl Bohnen, 761,000 hl Erbsen, 25,864,000 hlKartoffeln, 959,806 Ton. Zuckerrüben. Der Anbau von Krapp nimmt jährlich stark ab. Zichorie (16,937,000 kg) wird in Friesland, Groningen, Limburg und Nordbrabant gebaut, Hanf in Nordbrabant, Südholland, Utrecht und Limburg, Hopfen (45,000 kg) in Gelderland und Nordbrabant, Tabak (803,000 kg) in Gelderland und Utrecht, Spelz (13,000 hl) in Nordbrabant, Südholland und Limburg, Flachs (8,390,000 kg) hauptsächlich in Nordbrabant, Süd- und Nordholland, Zeeland und Friesland, Ölsamenpflanzen in Groningen, Friesland, Nord- und Südholland, Nordbrabant und der Betuwe. Unter den Spezereisamen werden Feldkümmel, Koriander und Anis in Nordholland und Friesland, Kanariensamen in Nordbrabant und Friesland am meisten gebaut. Die Wiesen nehmen (1908) 1,189,222 Hektar ein (am bedeutendsten sind sie in Friesland, Nord- und Südholland und Gelderland). Unter den Futterkräutern sind, außer Gras und Heu, hervorzuheben roter und weißer Klee und Rüben. Ein bisheriges Haupthindernis für den noch raschern Aufschwung der Landwirtschaft, der Zehnte, ist zufolge des Gesetzes von 1872 beinahe verschwunden. Der Gartenbau blüht besonders in Süd- und Nordholland, Utrecht und einem Teil von Gelderland, neuerdings auch in Friesland und Nordbrabant. Obst, namentlich Kirschen, Äpfel und Birnen, gedeihen am besten in Gelderland, Utrecht, Südholland und Limburg, Erdbeeren in dem Westland und der Gegend von Boskoop (Südholland), bei Aalsmeer (Nordholland) und bei Breda (Nordbrabant). Die Blumenzucht in Nord- und Südholland, namentlich in der Gegend von Haarlem und Noordwijk, ist seit Jahrhunderten berühmt; neuerlich legt man sich mit gutem Erfolg auch in der Gegend von Utrecht, Arnheim und Breda auf dieselbe.
Eine der wichtigsten Quellen des Nationalwohlstandes bildet die Viehzucht. Ende 1903 zählte man 296.200 Pferde, 1,667,100 Stück Rindvieh, 654,300 Schafe, 169,400 Ziegen, 882,500 Schweine. In den letzten Jahren hat die Pferdezucht sehr zugenommen. Gute und starke Zugpferde liefert Friesland, gute Ackerpferde Zeeland. Die Rindviehzucht hat in den letzten Jahren infolge der Ausfuhr nach England, Deutschland und Frankreich sehr zugenommen, sowohl an Zahl als, durch Rassenkreuzung, an Wert. In Nord- und Südholland wird das fetteste und schwerste Vieh gezogen. Die Schafzucht wird am meisten auf der Insel Texel und auf dem Heideboden von Friesland, Drenthe und der Veluwe (Gelderland) betrieben. Ziegen werden besonders in den Provinzen Nordbrabant, Limburg und Gelderland gehalten. Die Schweinezucht ist in Gelderland, Nordbrabant und Limburg am bedeutendsten. Hühner- und Taubenzucht ist allgemein verbreitet. Bienenzucht, auf dem Buchweizen- und Heideboden betrieben, bildet zwar nirgends einen Haupterwerbszweig, doch schätzt man den Wert der gesamten Bienenstöcke auf mehr als 11/2 Mill. Gulden.
Fischerei und Forstwirtschaft.
Die Fischerei beschäftigte und ernährte früher ca. 100,000 Menschen. Wiewohl jetzt andre Nationen bedeutende Konkurrenz machen, so behauptet doch der holländische Hering noch seinen alten Ruhm. Die große oder Salzheringsfischerei wurde 1903 mit 781 Schiffen betrieben, von denen die größere Hälfte von Vlaardingen aus bemannt wurde, und lieferte einen Ertrag von 813,728 Ton. Salzheringen und 31 Mill. geräucherten Herin gen. Sie beginnt Ende Juni und endigt im November oder Dezember. Die kleine oder frische Heringsfischerei wird an der Küste der Nordsee von Scheveningen, Katwijk, Noordwijk und Egmond am See aus von August bis November oder Dezember betrieben. Der Wert der in der Nordsee gefangenen Heringe belief sich 1902 auf 7,390,345 Gulden. Die Fischerei mit Schleppnetzen, die besonders auf Schollen, Thunfische und Steinbutten gerichtet ist, brachte 1902: 147,156 Gulden ein. Die Ausfuhr der nicht gesalzenen Seefische betrug 1903: 9. 186,000 kg, von gesalzenem Kabeljau und Stockfisch 191,000, bez. 1,494,000 kg. Die Zuiderseefischerei bringt vornehmlich Anschovis (1902: 100,000 Anker) und Garneelen (2,238,000 kg). Die binnenländische Süßwasserfischerei liefert noch viele Lachse (auf den Markt in Kralingen bei Rotterdam wurden 1902: 29,389 Stück Lachse gebracht), Aale, Hechte, Barsche, Plötzen etc. Nach Deutschland und Belgien findet eine bedeutende Ausfuhr von Fischen statt. Für die N. selbst, Belgien, Deutschland und England wurden 1897: 40 Mill. Stück Austern geliefert.
Was die Forstwirtschaft betrifft, so ist Gelderland diejenige Provinz, in der sich noch größere Waldungen finden. Das meiste Schiffbauholz kommt teils von den Ostseeländern, teils auf großen Flößen den Rhein herab. 1902 betrug die Einfuhr an Schiffbau-, Zimmer- und Möbel holz 35,023,000, die Ausfuhr 34,145,000 Gulden. Der Holzbestand nimmt in Nord- und Südholland mit jedem Jahr ab, während in andern Provinzen, wo viel Heideboden kultiviert wird, die Holzanpflanzungen zunehmen. Die Jagd ist wegen den geringen Waldungen unbedeutend und beschränkt sich auf Hafen, Kaninchen, Rebhühner, Schnepfen, Haselhühner, Enten, Gänse etc. Rehe und Hirsche finden sich noch in Gelderland und Overyssel, Fasanen ebendaselbst und in der Provinz Utrecht, Kaninchen hauptsächlich in den Dünen.
Bergbau und Industrie.
Wegen des Mangels an Holz sind die N. vornehmlich auf Steinkohlen und Torf als Brennmaterial angewiesen. Eigne Steinkohlen verbraucht nur Limburg; die übrigen Provinzen beziehen ihren Bedarf an Steinkohlen meistens aus England (Newcastle), Preußen (von der Ruhr) und Belgien. Deshalb steht einer Einfuhr 1903 von 63 Mill. Gulden eine Ausfuhr von nur 13 Mill. Gulden gegenüber. Torfmoore findet man in Nordbrabant, Gelderland, Zeeland, in der Provinz Utrecht, einem Teile von Overyssel, in Nordholland und einigen Teilen von Südholland. Der gesamte Torfboden lieferte 1902: 2104 Mill. Stück. Fünf Sechstel der ganzen Torfsproduktion kommen auf die vier nördlichen Provinzen des Landes. An Metallen sind die N. sehr arm; es gibt nur vier Schmelzöfen, zu Ulft, Kappel, Wisch (Terborg) in Gelderland und zu Deventer in Overyssel, die aus der Nachbarschaft bezogenes Eisenerz verarbeiten und jährlich ungefähr 3 Mill. kg Eisen zu einem Werte von 200.000 Gulden produzieren. Das aus der Nachbarschaft von Hellendoorn (Overyssel) bezogene Eisenerz wird nach den Öfen in Westfalen versandt.
Hinsichtlich der industriellen Tätigkeit sind die statistischen Angaben unvollständig. Man zählte Ende 1853: 507 Dampfkessel, Ende 1903 aber (in 4929 gewerblichen Betrieben) 7055, wobei die Lokomotiven nicht mitgerechnet sind. Es besteht volle Gewerbefreiheit. Hauptfabrikorte sind: Amsterdam, Haarlem, Rotterdam, Schiedam, Leiden, Dordrecht, Haag, die Zaandörfer (Zaandam, Zaandijk, Wormerveer etc), Hilversum, Utrecht, Amersfoort, die Städte und Dörfer in Twenthe, Tilburg, Herzogenbusch, Eindhoven und die Dörfer in der Langstraat (Nordbrabant), Maastricht, Roermonde. Von 600–700 Schiffswerften beschäftigen sich ungefähr 150 mit dem Bau von Seeschiffen, die vorzüglichsten findet man in Feyenoord (Rotterdam), am Kinderdijk (Alblasserdam), in Amsterdam, Helder, Vlissingen, Harlin gen, Veendam. Die große Zunahme der Anwendung von Dampfmaschinen in Fabriken und auf Schiffen halte die Errichtung von Eisengießereien und Maschinenfabriken zur Folge, wovon die größten die in Amsterdam, Haag. Leiden, Delfshaven und die der Niederländischen Dampfschiffahrtsgesellschaft sind. Auch die Ziegelbrennerei, Papier- (1904 Produktion von 38,4 Mill. kg Papier und 70 Mill. kg Strohpappe) und Ölfabrikation, Reisschälerei, Zigarren-, Tabak- und Krappfabrikation, Branntweinbrennerei (1903: 276 Brennereien, meist in Südholland), Likörfabrikation, Bierbrauerei (477 Etablissements, meist in Nordbrabant), Zuckerraffinerie (12) und Rübenzuckerfabrikation (29. im J. 1904/05 mit einer Produktion von 165,570 Ton. Rohzucker, meist in Nordbrabant), Produktion von Salz, Seife, Essig, ferner Lein- und Baumwollweberei, Tapeten- und Kutschenfabrikation, Gerberei und Schuhwarenfabrikation, Seidenmanufaktur, Gold- und Silberwarenfabrikation sind von großer Bedeutung. Besondern Ruf genießen die Niederländer auch als Mühlenbauer und Stellmacher, ja ihre hydraulischen Werkzeuge und Bauten sind die vollendetsten der Welt.
Handel und Schiffahrt.
In betreff des Handels wurde seit 1850 eine liberale Politik befolgt. Nach dem am 1. Nov. 1862 in Kraft getretenen Gesetz betrn gen die Eingangszölle höchstens 5 Proz., einige Artikel, die höher verzollt werden, ausgenommen; zugleich wurden alle Ausgangszölle abgeschafst, mit Ausnahme derjenigen auf Lumpen, die 1877 auch aufgehoben wurden. Der Gesamtwert des auswärtigen Handels (ein schließlich Edelmetalle) betrug 1904: 4405,1 Mill. Gulden (gegen 1179,7 Mill. in 1874), wovon auf die Einfuhr zum Verbrauch 2419.5 Mill. Gulden (1874: 671,5 Mill.), auf die Ausfuhr aus dem freien Verkehr 1985,6 Mill. (1874: 508,2 Mill.) entfielen. Die wichtigsten Verkehrsländer sind Preußen, das 1904 bei der Einfuhr mit 505,8 Mill., bei der Ausfuhr mit 997,3 Mill. Gulden beteiligt war, Großbritannien, Belgien und Rußland. Im Warenhandel entfielen 1904 in Millionen Gulden auf:
Aus seinen Kolonien bezieht das Land hauptsächlich Kaffee, Zucker, Reis, Spezereien, Tabak, Indigo und Zimt. Außerdem beziehen die N. Manufakturwaren und Steinkohlen hauptsächlich aus England, Preußen und Belgien, Getreide aus den Ostseeländern, Archangel und den Häfen am Schwarzen Meer, Erbsen und Linsen aus Preußen, Bauholz aus Norwegen und den Rheinländern, Garn aus England, Wein aus Frankreich, Hopfen aus Bayern und Elsaß, während sie selbst mit Produkten des Landbaues, besonders mit Gemüse, Vieh, Butter, zum Teil den Londoner Markt ver sehen, Fische meist nach Belgien und Deutschland und Käse nach England, Frankreich, Belgien und Hamburg verschicken. Der Handel mit dem Ausland geschieht ungefähr zu 46 Proz. zur See, zu 21 Proz. an den Küsten und zu 14 Proz. auf dem Landwege. Beladen und leer wurden 1904 einklariert: 920 Segel- und 11,474 Dampfschiffe mit einem Gehalt von 787,000 und 30,090,700 cbm, ausklariert: 1020 Segel- und 11,422 Dampfschiffe mit einem Gehalt von 802,000 und 29,944,000 cbm. Auf den Flüssen und Kanälen liefen 1903 ein: 34,473 beladene Schiffe von 11,788,000 cbm, aus: 31,258 beladene Schiffe von 14,578,000 cbm. Der Bestand der niederländischen Handelsflotte betrug Anfang 1905: 732 Schiffe mit 1,131,000 Ton. Gehalt, davon 269 Dampfer mit 966,000 Ton. In den letzten Jahrzehnten wurden direkte Dampferverbindungen zwischen Holland und Ost- und Westindien, Rotterdam-New York und Amsterdam-New York ins Leben gerufen. Der Verkehr zu Lande wird durch gut unterhaltene Landstraßen und Eisenbahnlinien vermittelt. Seit der Verstaatlichung der Rhein bahn (1890) steht der größte Teil des niederländischen Eisenbahnnetzes unter der Verwaltung der Staalsbahn- und der Holländischen Eisenbahn gesellschaft; außerdem sind noch die Niederländische Zentralbahn und die Nordbrabant-Deutsche Eisenbahn zu erwähnen, die ihre Strecken (Utrecht-Kampen, resp. Boxtel-Wesel) selbst verwalten. Der Verkehr mit dem Auslande findet auf folgenden Routen statt: mit Norddeutschland (über Salzbergen), mit Köln etc. (über Emmerich und Venlo), mit Brüssel und Paris (über Breda-Rosen daal), mit Lüttich und Aachen (über Eindhoven-Hasselt und Maastricht), mit London (über Breda-Vlissingen und Rotterdam-Hoek van Holland). Die Gesamtlänge der Eisenbahnen betrug Ende 1903: 3145 km; der Eisenbahnverkehr belief sich 1902 auf 13,124,860 Ton. Fracht güter und 34,5 Mill. Reisende. 1902 bestanden 75 Straßen bahnen mit 1656 km Schienen länge; auf ihnen wurden 67,5 Mill. Personen befördert. Hierzu kommt ein sehr ausgebildetes Telegraphennetz (Länge der Staatslinien in 1904: 6912 km, der Drähte 30,412 km). Telephonanlagen gab es 1904 für den Lokalverkehr 61, für den Fernverkehr 224; die Zahl der Sprechstellen war 29,498. Der Postverkehr belief sich 1904 auf 120 Mill. Briefe, 76 Mill. Postkarten, 221 Mill. Stück Drucksachen und Warenproben, ferner Wertsendungen im Betrage von 491 Mill. Mk. Unter den Kreditanstalten nimmt die Niederländische Bank (1. April 1814 in Amsterdam gegründet) den ersten Pla tz ein (s. Banken, S. 348). Handels- und Industriekammern finden sich in großer Menge. Hauptgeldmarkt ist Amsterdam. Börsen befinden sich in verschiedenen Städten, die bekanntesten sind die von Amsterdam und Rotterdam. Man zählte 1903: 330 Sparkassen mit 82,338,000 Gulden Einlagen; außerdem waren in der Reichspostsparkasse 101,590,000 Gulden niedergelegt.
Für die Maße und Gewichte führte das Gesetz von 1816 das metrische System ein, beginnend zu Anfang 1821 und seit Anfang 1870 rein hergestellt und etwas erweitert. Man gebraucht noch den Steen von 3 Ponden = 3 kg. Das Gesetz von 1875 machte ein goldenes Zehnguldenstück (tientje) neben der silbernen Reichsmünze zum Standard = 6,72 g schwer und 9/10 sein = 16,8739 Mk. (s. Tafel »Münzen V«, Fig. 13, und Tafel VI, Fig. 1). Die ehemaligen Kupfermünzen wurden seit 1877 durch bronzene ersetzt. Ein Münzgesetz vom 28. Mai 1901 vereinigte, ohne ältere Münzen zu verbieten, die frühern Einzelgesetze. Freunde Münzen außer goldenen werden nur in einigen Grenzbezirken zugelassen. Volle Zahlkraft in jeder Höhe besitzen die Zehnguldner und die 945 Tausendteile Silber enthaltenden Rijksdaalder zu 21/2 Gulden, Gulden zu 100 Cents mit 10 g Gewicht und Halve Gulden; der Feingehalt eines Stückes darf um 1,5 (bei Dukaten nur 1) vom Tausend abweichen, und das Verhältnis des Goldes zum Silber ist 125: 8. Scheidemünzen (pasmunt) mit 640 Tausendteilen Silber zu 25 Cents (kwartje), 10 Cents (dubbeltje) und 5 Cents (stuivertje) braucht man nur bis zum Betrage von 10 Gulden anzunehmen und wechselt die Staatskasse bei mindestens 50 Gulden ein. Für Bronzemünzen zu 2 1/2,1 und 1/2 Cent aus 95 Teilen Kupfer, 4 Teilen Zinn und 1 Teil Zink reicht die Annahmepflicht bis 25 Cents und beginnt die Wechselpflicht des Staates bei 10 Gulden. Ende 1902 schätzte man die umlaufenden Zehngüldenstücke auf 52,9 und die Silbermünzen auf 140,8 Mill. Gulden, davon in der Bank 29,5 und 79,7 Mill. Gulden. Außerdem dienen dem Verkehr 15 Mill. Gulden Münzbilletts des Staates und seit 1863 die Noten der privaten Bank der Niederlande, wovon zwei Fünftel durch Edelmetall gedeckt sein muß.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Die Staatsverfassung ist konstitutionell-monarchisch. Die sehr freisinnige Verfassung datiert vom 3. Nov. 1848 und wurde zuletzt 30. Nov. 1887 revidiert (s. unten: S. 648). Die gesetzgebende Gewalt ist zwischen dem König und den Repräsentanten der Nation, den Generalstaaten (Staten Generaal), geteilt; die vollziehende Gewalt steht allein dem König zu. Die Generalstaaten zerfallen in eine Erste und eine Zweite Kammer. Die Mitglieder der Ersten Kammer, 50 an der Zahl, werden durch die Provinzialräte (Provinciale Staten) gewählt und zwar aus den in bezug auf die direkten Steuern Höchstbesteuerten, von denen in jeder Provinz nur 1 auf 1500 Einw. kommen darf, oder aus denjenigen, die ein oder mehrere hohe und wichtige Ämter bekleiden oder bekleidet haben. Die Mitglieder der Zweiten Kammer, 100 an der Zahl, werden durch die eingesessenen Niederländer gewählt, die das 25. Jahr zurückgelegt haben und im vollen Genuß ihrer bürgerlichen und politischen Rechte stehen. Zur Wählbarkeit ist für die Mitglieder beider Kammern die Vollendung des 30. Lebensjahres erforderlich. Die Dauer einer Legislaturperiode ist für die Mitglieder der Zweiten Kammer vier Jahre. Die Mitglieder der Ersten Kammer erhalten ihr Mandat auf neun Jahre, und es scheidet alle drei Jahre ein Drittel aus; doch können die Abtretenden wieder gewählt werden. Grundzüge der Verfassung sind ferner: Unverletzlichkeit des Königs, Verantwortlichkeit der Minister, jährliche Feststellung des Budgets, Rechtfertigung der Einnahmen und Ausgaben nach jeder Budgetperiode vor der gesetzgebenden Gewalt, Garantie der persönlichen Freiheit, Freiheit des religiösen Kultus, gleicher Schutz und gleiche Rechte für alle Konfessionen. Die Regierung geht auf den ältesten Sohn des Königs oder dessen männliche Nachkommen, in Ermangelung der letztern auf die Brüder des Königs und deren Deszendenten nach dem Rechte der Erstgeburt und in Ermangelung dieser auf die Töchter des letzten Königs nach dem Rechte der Erstgeburt über. Gegenwärtig ist Königin Wilhelmine (geb. 31. Aug. 1880), die am 23. Nov. 1890 ihrem Vater Wilhelm III. folgte und bis 1898 unter der Vormundschaft ihrer Mutter, der Königin Emma, stand. Zur Thronfolge berechtigt sind sodann die Nachkommen der Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar (gest. 1897), Schwester des verstorbenen Königs. Das Einkommen der Königin fließt teils aus Domanialgütern, teils besteht es aus einer Zivilliste. Königliche Residenz ist Haag. Im April pflegt der Hof eine Woche lang in Amsterdam auf Kosten dieser Stadt zu residieren.
In administrativer Beziehung besteht das europäische Gebiet des Königreichs aus den oben aufgeführten 11 Provinzen. An der Spitze der Staatsverwaltung steht ein Ministerrat, der aus den Chefs der 9 Ministerien: des Auswärtigen, der Justiz, des Innern, der Marine, der Finanzen, des Krieges, der Kolonien, des Waterstaats und von Ackerbau, Handel und Industrie besteht. An der Spitze der Verwaltung einer jeden Provinz steht ein königlicher Kommissar (früher Gouverneur genannt). Jede Provinz wird durch Provinzialstände vertreten, deren Mitglieder auf sechs Jahre gewählt werden. Die Obrigkeit jeder Gemeinde besteht aus einem Rat von 7–45 Mitgliedern, einem Bürgermeister und Schöffen (Wethouders). Der Bürgermeister wird vom König auf sechs Jahre ernannt, die Schöffen werden vom Rat aus seiner Mitte auf dieselbe Zeit gewählt. Die Wahl der Ratsherren geschieht durch die Bürgerschaft. Eine eigentümliche Behörde sind die Waterschappen, welche die Aussicht über Dämme, Teiche, Polder, Flüsse etc. führen. Die N. sind in zwei Inspektionen (zusammen elf Wasserdistrikte) eingeteilt, mit je einem Inspektor an der Spitze. Der oberste Gerichtshof ist der Hohe Rat (Hooge Raad) im Haag, zugleich allgemeiner Kassationshof. Unter ihm stehen die fünf Gerichtshöfe (in Amsterdam, Arnheim, im Haag, in Herzogenbusch und Leeuwarden); von diesen ressortieren die Bezirksgerichtsbänke (Arrondissementsrechtbanken), 23 an der Zahl, von diesen endlich die 106 Einzelrichter (Kantonrechters). Es besteht Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, eine Staatsanwaltschaft, Beweistheorie, aber ohne Schwurgerichte. Die »allgemeine Rechenkammer« im Haag kontrolliert die Ausgaben und Einnahmen des Staates und ist als selbständige Behörde keinem Ministerium untergeordnet.
Das Budget für 1906 beläuft sich in den Einnahmen auf 170,252,295 Gulden, in den Ausgaben auf 181,867,539 Gulden. Unter den Einnahmen waren die Hauptposten: direkte Steuern (Grund-, Personal-, Vermögens- u. Erwerbssteuer) 38,819,000, Akzise 54,080,000 und Stempel, Enregistrement, Erbsteuer 24,141,500 Gulden; unter den Ausgaben figurierten das königliche Haus mit 990,000, die Verzinsung der Staatsschuld mit 36,699,412, das Kriegsministerium mit 27,789,404, das Marineministerium mit 17,267,128, Handelsministerium mit 37,803,294, Finanzministerium mit 23,084,146, Ministerium des Innern mit 25,753,545 Gulden. Die Verwaltung der Provinzen kostet etwa 7 Mill. Gulden, die meist von den Provinzen selbst getragen werden. Die Staatsschuld hat eine eigentümliche Entwickelung gehabt. Bei der Invasion der Franzosen 1795 betrug die Schuld der Republik 787 Mill. Gulden und stieg bis Ende 1803 infolge von Erpressungen und Zwangsanleihen bis auf 1126 Mill. Bei der Einverleibung der N. in das französische Kaiserreich wurde diese noch um 90 Mill. vermehrte Schuld von Napoleon auf ein Drittel reduziert und belief sich infolgedessen beim Abzug der Franzosen 1814 auf 575 Mill. Gulden. Unter Wilhelm I. wurden zwar die gewaltsam beseitigten zwei Drittel wieder anerkannt, jedoch bis zur Ab tragung des ersten Drittels und der neuen Schuld als unverzinslich erklärt. 1836 sah man sich genötigt, die Kolonien als Hypothek für die Staatsschuld zu erklären. Endlich erlangten die N. eine wesentliche Erleichterung, indem Belgien zufolge des Vertrags vom 19. April 1839 eine jährliche Rente von 5 Mill. Gulden übernehmen mußte, und 1850 begann eine energische Schuldentilgung. Anfang 1846 betrug das Schuldkapital 1231, 12 Mill., 1864: 1015,29 Mill., 1876: 924,3 Mill., 1906 dagegen wieder 1144 Mill. Gulden; die Schuldentilgung belief sich seit 1850 auf 107 Mill. Gulden.
Heerwesen und Marine.
Nach dem Heeresgesetz von 1901 besteht die Landmacht aus dem stehenden Heer, der Landwehr und dem Landsturm. Die Ergänzung erfolgt durch Werbung aus freiwilligen und durch Aushebung mit Losung und gestatteter Stellvertretung aus Milizen; das Stärkeverhältnis beider ist gesetzlich festgelegt. Die Wehrpflicht beginnt mit dem 20. Lebensjahr, die Dienstzeit beträgt 8 Jahre, davon Freiwillige 12, Milizen 8 1/2–12, berittene Waffen 18 Monate, ein kleiner Teil Milizen nur 4 Monate bei der Fahne, der Rest in der Reserve, in der 12 Wochen, von berittenen Waffen 6 Wochen zu üben ist. Nach Erfüllung der Reservedienstzeit folgt der Übertritt zur Landwehr (7 Jahre mit zweimal 6 Tagen Übung), die allmählich die Schutterijen (Bürgerwehr, wird 1907 aufgehoben) ersetzt. Die Zugehörigkeit zum Landsturm dauert bis zum 50. Jahr.
An der Spitze des Heeres stehen der Kriegsminister, der Chef des Generalstabes und die Inspekteure der Infanterie, Kavallerie, Artillerie und des militärärztlichen Dienstes. Stärke: Infanterie: 3 Divisionen mit 12 Regimentern, zusammen 48 Bataillone zu 4 Kompanien; Kavallerie: 4 Regimenter Husaren zu 4 Eskadrons sowie 2 Depots und 1 Ordonnanzen-Eskadron; Feldartillerie: 4 Regimenter zu 2 Abteilungen zu 3 fahrenden Batterien, einem reiten den Artilleriekorps zu 2 Batterien, 4 Trainabteilungen und 4 Depots; Festungsartillerie: 4 Regimenter zu 10 Kompanien, 4 Panzerforlartilleriekompanien; Pontoniere: 2 Kompanien; Torpedokorps: 2 Kompanien; Genietruppen: 1 Regiment, gegliedert in 1 Bataillon Pioniere (4 Kompanien), 1 Bataillon technische Truppen (1 Eisenbahnabteilung mit 2 Kompanien, 1 Telegraphenabteilung mit 2 Kompanien) und 1 Schul- und Depotkompanie; Lazarettsoldatenkompanien: 4; Administrationstruppen: 1 Kompanie; königliche Marechausseedivisionen: 4; Schutterijen: 214 diensttuende Kompanien (davon 189 Infanterie und 25 Festungsartillerie) und 89 »ruhende« Bataillone. Gesamtfriedensstärke 1905: 1794 Offiziere, 114,184 Mann, 156 Geschütze, 5621 Pferde. Im Kriege gliedert sich das Heer in 4 Armeedivisionen mit zusammen 12 Regimentern (60 Bataillonen) Infanterie, 4 Regimentern (16 Eskadrons) Kavallerie, 4 Regimentern (24 Batterien) Feldartillerie, 2 Batterien reitende Artillerie, 4 Feldpionierkompanien, außerdem zu Besatzungszwecken 12 Bataillonen Infanterie, 46 Kompanien Festungsartillerie (einschließlich Torpedokorps) und entsprechenden Genietruppen. Gesamtstärke im Kriege 1743 Offiziere, 74,254 Mann Feld-, bez. 482 und 29,393 Besatzungs-, 204 und 1051 Depottruppen, 1192 und 67,080 Landwehr. Bewaffnung: Infanterie Mannlicher 95, Kaliber 6,5 mm (s. Handfeuerwaffen, S. 752), 9,4 mm-Revolver M/73, System Chamelot-Delvigne; Kavallerie Karabiner desselben Systems und Säbel; Feldartillerie 8,4 cm-Feldgeschütze (ein Kruppsches 7,5 cm-Schnellfeuergeschütz wird 1906 oder 1907 eingeführt). Militäranstalten: höhere Kriegsschule in s'Gravenhage, Militärakademie in Breda und Kadettenschule in Alkmaar (seit 1893); Remontedepot in Millingen. Landesbefestigung. Die militärische Organisation des Landes beruht großenteils auf dem Gedanken einer großartigen Verwertung des Wassers zu Inundationszwecken, die schon in den Kriegen des 17. und 18. Jahrh. ausgiebig in die Erscheinung trat, in Zukunft aber in strengen Wintern bei der rücksichtslosen Energie moderner Kriegführung kaum die gehegten Erwartungen erfüllen dürfte. Drei Landfronten mit etwa 150 und zwei Seefronten mit etwa 90 km Länge bilden nebst der Kernfestung Amsterdam das Verteidigungssystem des Landes. Die neue holländische Wasserlinie (Ostfront) mit den Stützpunkten Muiden, Utrecht, Forts und Batterien zwischen Zuidersee und Waal; die Südfront (Waal, Maasmündungen und Haringvliet) mit den Stützpunkten Brielle, Hellevoetsluis und mehreren Forts; die Nordfront (Stellung von Helder) sperrt die Nordspitze der Halbinsel Nordholland. Amsterdam ist Fortfestung ohne Kernumwallung mit ausgedehnten Inundationsanlagen. Die Stellungen haben Kommandanten, die teilweise zugleich die drei Militärabteilungen, in die das Land für Zwecke der Verwaltung, Kommandoführung, Mobilmachung etc. geteilt ist, unter sich haben. Das niederländisch-ostindische Heer ist vom heimischen getrennt und wird durch Werbung ergänzt. Stärke: 20 Feldbataillone zu 4 Kompanien (27 Europäer -15 Amboinesen-, 38 Javanerkompanien), 10 Garnisonbataillone, 5 Divisionen Gendarmerie in Atjeh, 1 Kavallerieregiment (8 Kompanien zu 60 Reitern), 6 schwere, 1 leichte Feld-, 2 Gebirgsbatterien, 7 Festungs-, 5 Garnison-Artilleriekompanien, 8 Kompanien Genie, Friedensgesamtstärke etwa 40,000 Mann (davon 16,000 Europäer) mit 1370 Offizieren. Außerdem stellen die abhängigen Fürsten Hilfstruppen.
Mit dem politischen Verfall und dem Herabsinken des Handels der N. seit dem Ende des 17. Jahrh. verfiel auch die ein st mächtige Kriegsflotte. Beim Ausbruch des englischen Krieges 1780 war die Flotte vernachlässigt, trotzdem zählte sie 1790 noch 44 (wiewohl sehr verkommene) Linienschiffe, 43 Fregatten und 100 kleinere Fahrzeuge. Bei Einführung der Dampfschiffe 1846 war der Bestand 4 Linienschiffe, 14 Fregatten, 9 Korvetten, 15 Schoner, 10 Dampfer, 95 Kanonenschaluppen, im ganzen 196 Schiffe. 1860 war die Zahl der Dampfer auf 42 angewachsen. Ein Aufschwung durch den Bau moderner Panzer- und Panzerdeckschiffe ist seit Anfang der 1890er Jahre eingetreten. Anfang 1906 waren vorhanden 7 Küstenpanzerschiffe mit 28,000 Ton.; 8 kleine geschützte Kreuzer mit 30,300 T.; außerdem 1 ungeschützter Kreuzer, 13 Kanonenboote für den indischen Dienst, 15 große und 20 kleine Torpedoboote; ferner 14 fast gänzlich veraltete Panzerfahrzeuge sowie etwa 20 veraltete Kanonenboote, meist für den indischen Dienst. Außerdem 15 kleinere Schulschiffe und 2 Vermessungskanonenboote.
Wappen und Orden.
Das Wappen zeigt im blauen, mit goldenen Schindeln bestreuten Felde den königlich gekrönten, goldenen Löwen des Hauses Nassau mit Schwert und einem Bündel von sieben Pfeilen in den Pranken (s. Tafel »Wappen II«, Fig. 4). Schildhalter sind zwei königlich gekrönte Löwen. Auf einem blauen Band erscheint der Wahlspruch: »Je maintiendrai«. Die Staatsflagge besteht aus drei horizontal laufenden Streifen: rot, weiß, blau (s. Tafel »Flaggen I«). Die Nationalfarbe und die Kokarde sind Orange. Orden sind der militärische Wilhelmsorden (30. April 1815 gegründet) mit vier Klassen, der Orden des niederländischen Löwen (29. Sept. 1815 gegründet) mit drei Klassen, der am 4. April 1892 gestiftete Orden von Oranien-Nassau mit fünf Klassen (letztere beide s. Tafel »Orden II«, Fig. 13 u. 14) und der Oranische Hausorden (Orden von Oranien, 1905 gegründet). Außerdem werden verschiedene Kreuze und Medaillen an Militär- und Zivilpersonen verliehen. Die 1811 aufgehobene Deutschordensballei wurde durch Dekret vom 8. Aug. 1815 wiederhergestellt.
[Geographisch-statistische Literatur.] Vgl. Staring, De bodem van Nederland (Haarlem 1856–1860, 2 Bde.) und Voormaalsen thans; opstellen over Nederlands grondgesteldheid (2. Ausg. von van Pesch, Zwolle 1878); Witkamp, Aardrijkskundig woordenboek van Nederland (neue Ausg. von Sipmann, Arnheim 1895, 2 Bde.); Blink, Nederlanden zijne bewoners (Amsterd. 1892, 3 Tle.); Schuiling, Aardrijkskunde van Nederland (4. Aufl., Zwolle 1897); Beekman, Nederland als Polderland (Zutphen 1883), De strijd om het bestaan (das. 1887) und Het Dijk-en het Waterschapsrecht in Nederland (Haag 1904 f.); Stubmann, Holland und sein deutsches Hinterland in ihrem gegenseitigen Warenverkehr seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Jena 1901); Bädeker, Reisehandbuch für Belgien und Holland (23. Aufl., Leipz. 1904); de Hartog, Staatsrecht des Königreichs der N. (Freiburg 1886); Bürger, Les musées de la Hollande (Par. 1858–1860, 2 Bde.); Steyn-Parvé, Organisation de l'instruction dans le royaume des Pays-Bas (Leiden 1878); Lauer, Entwickelung und Gestaltung des niederländischen Volksschulwesens (Berl. 1885); Menne, Die Entwickelung der Niederländer zur Nation (Halle 1903); »Statistische jaarboeken voor het koningrijk der Nederlanden« (Haag 1851 ff.); »Al gemeene statistiek van Nederland« (Leiden 1870–73, 2 Bde.); »Jaarcijfers, uitgegeven door het Centraal Bureau voor de statistiek«. Amtliche Karten werke s. in der Textbeilage zum Artikel »Landesaufnahme«; ferner Staring, Geologischer Atlas (1: 200,000, 28 Bl., Haarl. 1859–69); Kuyper, Atlas van de Nederlandenen de overzee'sche bezittingen (Leeuw. 1865–68); »Handelskaart van het koningrijk der Nederlanden« (Amsterd. 1894).
Über die Kolonien s. den besondern Artikel »Niederländische Kolonien«, S. 650.
Das Gebiet der Niederungen zwischen den weitverzweigten Mündungen des Rheins, der Maas und Schelde wurde in historischer Zeit von keltischen und germanischen Stämmen bewohnt, unter denen die Nervier (zwischen Maas und Schelde), die Bataver und Friesen (nördlich vom Rhein) zu nennen sind. Die Römer unterwarfen diese Gegenden und behaupteten sich trotz des Aufstandes der Bataver unter Julius Civilis (69/70 n. Chr.) bis um 400, wo die Franken den Rhein überschritten und der südlichen Gebiete sich bemächtigten, während die Friesen, die bis zur Ems wohn len, ihre Unabhängigkeit bewahrten. Nachdem auch sie von Karl Martell, Pippin und Karl d. Gr. im 8. Jahrh. zum Christentum bekehrt und zur Anerkennnug der fränkischen Oberhoheit gezwungen worden, gehörte dieie Gegend zum fränkischen Reich, wurde im Vertrag von Verdun 843 dem mittlern Reiche Lothars I. zugeteilt und bildete nach dessen Tode (855) einen Teil des Reiches seines Sohnes Lothar II., Lotharingiens. Doch wurde dieses nach Lothars II. Tode schon 870 zwischen Ost- und Westfranken so geteilt, daß jenes den größten Teil, dieses bloß das Gebiet links der Schelde, Artois und Flandern, empfing. Die spätern N. (der geographische Name kommt zuerst im 11. Jahrh. vor) gehörten seitdem als ein Teil des Herzogtums Lothringen, speziell Niederlothringen, zum Deutschen Reich.
Als die Herzogsgewalt im 11. Jahrh. oft ihre Inhaber wechselte und ihre Macht verlor, entstanden auch in den Niederlanden wie im übrigen Deutschland zahlreiche kleinere Gemeinwesen, Bistümer und Abteien, Grafschaften und Herzogtümer, seit dem 12. und 13. Jahrh. mit mächtigen Städten, die, durch Industrie und Handel blühend, sich von den Grafen und Herzogen Freibriefe und Privilegien kauften oder ertrotzten und dadurch eine Art von Selbstregierung erhielten, namentlich im 13. und 14. Jahrh. Nur mit Mühe behaupteten die Herzoge und Grafen ihre Oberherrlichkeit. Sie mußten zulassen, daß die Prälaten, der Adel und die Städte ihres Landes (die Stände oder Staaten) zu großem Einfluß gelangten. Die Staaten bewilligten Geldbeihilfen (beden) und gaben bisweilen ihren Rat in allen Landesnöten, vermehrten aber dafür ihre Rechte und Privilegien und hatten einigen Einfluß auf die Regierung.
Herrschaft der Häuser Burgund und Habsburg.
Im 14. Jahrh. begann das Haus der burgundischen Valois die niederländischen Provinzen durch Heirat und Verträge unter seinem Zepter zu vereinigen: zuerst 1384 infolge der Heirat Philipps des Kühnen mit der Erbin des Grafen von Flandern diese große Grafschaft nebst Artois und Mecheln, 1406 Brabant und Limburg, 1429 Namur, 1433 Holland, (West-) Friesland, Zeeland und Hennegau, 1451 Luxemburg. Im Besitz dieser Provinzen suchten die Burgunder Herzoge denselben eine einheitliche Verfassung zu geben. 1465 berief Philipp der Gute (1419 bis 1467) die ersten eigentlichen Generalstaaten, eine Versammlung von Abgeordneten der Provinzialstaaten; dieselben, allmählich immer häufiger berufen und meist in Brüssel oder Mecheln tagend, bewilligten die Beden (Geldbeihilfen) für die gesamten N. Die Südprovinzen, vor allen Brabant, hatten noch das Übergewicht. In Brüssel hielten die Herzoge ihren glänzenden Hof; Brabant regierten sie selbst, die übrigen Provinzen Statthalter. Doch führten sie als Beherrscher der N. noch keinen besondern Titel, und dieselben waren noch so wenig zu einem Einheitsstaat verschmolzen, daß jede Provinz die andre als Ausland betrachtete und keinen Beamten aus derselben duldete. Nach der stürmischen Regierung Karls des Kühnen (1467–77), der Gelderland und Zutphen erwarb, fielen die burgundischen N. durch die Vermählung seiner Erbin Maria mit Maximilian von Österreich an das Haus Habsburg. Die Verlegenheit der Herzogin nach dem jähen Tod ihres Vaters benutzten die Provinzen zur Vermehrung ihrer Rechte. Maria mußte sich ihre Hilfe wider Frankreich durch große Zugeständnisse erkaufen, z. B. durch das »Große Privilegium« an die Staaten von Holland. Nach ihrem Tode (1482) brachen gegen die vormundschaftliche Regierung Maximilians für seinen Sohn Philipp den Schönen Unruhen aus: in Holland erhob sich die Partei der Hoekschen (s. d.) wieder, die Bürger von Brügge nahmen 1488 Maximilian sogar gefangen und preßten ihm den Verzicht auf die Vormundschaft zugunsten der Staaten von Flandern ab. Indes mit Hilfe des Herzogs Albrecht von Sachsen gelang es Maximilian, der Empörungen Herr zu werden und auch Artois zu behaupten, das der französische König Ludwig XI. als erledigtes Lehen einzuziehen versucht hatte. 1494 übernahm Philipp selbst die Regierung der N.; unter ihm riß sich das früher schon unbotmäßige Gelderland unter seinem Herzog Karl wieder los (1499).
Nach Philipps frühem Tode (1506) führte seine Schwester Margarete hier die Regierung für den sechsjährigen Karl, den spätern Kaiser Karl V., und blieb auch, nachdem derselbe 1515 mündig und Herrscher geworden, seine Statthalterin in den Niederlanden bis zu ihrem Tode (1530), worauf Karls Schwester, die verwitwete Königin Maria von Ungarn, ihr in der Statthalterschaft folgte. Karls Herrschaft war die Blütezeit der N. Er erwarb die Utrechter Stiftslande (1528), kaufte Albrechts Sohne Georg von Sachsen seine Rechte auf Friesland ab und unterjochte es (1524), erlangte 1538 auch Groningen und Drenthe und 1543 Gelderland, so daß er die 17 Provinzen: Brabant, Limburg, Luxemburg, Gelderland, Flandern, Artois, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur. Friesland, Ryssel mit Französisch-Flandern, Door nick, Mecheln, Utrecht, Overyssel mit Drenthe, Groningen unter seinem Zepter vereinigte. Karl, in Gent geboren, galt den Niederländern als ihr Landsmann und ließ sich auch gern so nennen. In seinem Weltreich konnten die Niederländer ungehindert Handel treiben und rissen einen großen Teil des Weltverkehrs, als dessen Mittelpunkt damals Antwerpen gelten konnte, an sich. Neben Handel und Gewerbe blühten auch Ackerbau, Viehzucht und Fischerei, Künste und Wissenschaften. Auch die politische Verschmelzung machte Fortschritte: in Mecheln war schon in der Mitte des 15. Jahrh. ein oberstes Tribunal für die N. errichtet; nachdem Artois und Flandern von der französischen Oberlehnshoheit befreit und die nordöstlichen Provinzen vom westfälischen Kreis losgelöst worden, erhob Karl durch den Augsburger Vertrag (1548) die 17 Provinzen zu einer staatsrechtlichen Einheit, dem nur lose mit dem Deutschen Reich verbundenen burgundischen Kreis, der nach der Pragmatischen Sanktion von 1549 immer vereinigt und von einem Fürsten beherrscht sein sollte. Dabei wahrte Karl seine fürstlichen Rechte mit Entschiedenheit und schritt gegen Widerstand mit Strenge ein; 1540 unterwarf er seine Geburtsstadt Gent mit blutiger Energie. Die kirchliche Reformbewegung suchte er durch grausame Verfolgung und Hinrichtung von Hunderten ihrer Anhänger von den Niederlanden abzuhalten. Ungeheure Summen zog er aus den Bewilligungen der Generalstaaten.
Der Aufstand gegen Spanien.
Bei der Teilung des habsburgischen Weltreichs nach der Abdankung Karls V. (25. Okt. 1555) fielen die N. an Philipp II. Der neue Herrscher stieß durch seinen spanischen Hochmut die Niederländer von sich ab, behandelte die Generalstaaten in herrischer Weise, verletzte die Privilegien der einzelnen Provinzen und erbitterte das Volk durch die rücksichtslose Härte, mit der er die Ketzeredikte ausführen ließ. Als er 1559 sich nach Spanien begab, ernannte er seine Halbschwester Margarete von Parma zur Statthalterin und gab ihr einen Burgunder, den Kardinal Granvelle, als einflußreichsten Ratgeber bei. Dadurch verletzte er den hohen Adel. Gegen Granvelle richtete sich daher die allgemeine Opposition, als die Verzögerung des Abmarsches der spanischen Truppen, die neue Einteilung der niederländischen Kirche in drei Erzbistümer und 14 Bistümer, die Einführung einer strengen Inquisition und besonders der Beschlüsse des Trienter Konzils die herrschende Unzufriedenheit immer mehr steigerten. Durch das Eindringen des glaubenseifrigen streitbaren Calvinismus in den Niederlanden erhielt die religiöse Bewegung eine größere Kraft. Granvelles Entlassung 1564 beschwichtigte die Gemüter nicht, und die schroffe Ablehnung jeder Milderung der religiösen Strafedikte durch Philipp hatte die Vereinigung zahlreicher Edelleute zum Kompromiß vom November 1565 zur Folge, in dem sie sich zur Treue gegen den König und zur Verteidigung der Rechte und Freiheiten der N. verbanden; 5. April 1566 überreichten sie der Regentin eine Bittschrift, in der sie Milderung der Religionsedikte und Abschaffung der Inquisitionsgerichte verlangten. Margarete suchte durch Nachgiebigkeit und Mäßigung zu beschwichtigen, aber schon war es zu spät. Aus dem Kompromiß entstand der Geusenbund, und im August 1566 kam es im Bildersturm zu einem gewaltsamen Ausbruch der lange gärenden Bewegung. Margarete, anfangs von ihr überrascht, wurde ihr schon im Spätjahr wieder Meister; aber Philipp war damit nicht zufrieden. Er wollte strenge Strafe und tiefe Demütigung der Schuldigen. Er sandte den Herzog von Alba mit 10,000 Soldaten nach den Niederlanden, der im August 1567 seinen Einzug in Brüssel hielt. Niemand wagte Widerstand; der Geusenbund löste sich auf, einer der Führer des hohen Adels, Wilhelm von Oranien, begab sich nach Deutschland, zwei andre, Egmont und Hoorne, wurden 9. Sept. verhaftet. Nachdem Margarete im Dezember ihre Würde niedergelegt hatte, ward die gesamte öffentliche Gewalt in den Niederlanden Alba übertragen, der nun zur Ausführung der von Madrid befohlenen Schreckensregierung schritt. Er setzte einen »Rat der Unruhen« ein, den das Volk den »Blutrat« nannte, und der Hunderte dem Schafott überlieferte; Egmont und Hoorne wurden 5. Juni 1568 in Brüssel hingerichtet. Ein Versuch Wil hel ms von Oranien und seines Bruders Ludwig von Nassau, durch Einfälle in Brabant und Friesland einen Aufstand in den Niederlanden hervorzurufen, scheiterte an der Überlegenheit der spanischen Truppen. Zahlreiche Einwohner flüchteten ins Ausland. Alba schlug dem Handel und Gewerbfleiß weitere Wunden, indem er eine drückende Steuer (unter andern den zehnten Pfennig, 10 Proz., von jedem Warenverkauf) einführte. Endlich glückte es den Meergeusen, kühnen Freibeutern, sich 1. April 1572 der Stadt Brielle an der Mündung der Maas zu bemächtigen, welchem Hand streich der Abfall der festen Stadt Vlissingen und des größten Teiles von Zeeland sowie kurze Zeit darauf der meisten Städte Hollands und etlicher in den andern Provinzen folgte.
Am 18. Juli 1572 traten die Abgeordneten von etlichen holländischen Städten in Dordrecht zusammen, erkannten Wilhelm von Oranien, der kurz nachher wieder in Brabant einfiel, als Statthalter von Holland, Zeeland und Utrecht an und schlossen einen Bund zu gemeinsamer Verteidigung ihrer Freiheit unter seiner Führung. Die Spanier rächten sich durch blutige Züchtigung der Städte Mecheln, Zutphen, Naarden und Haarlem, wogegen Alkmaar 8. Okt. 1573 eine Belagerung abwehrte und die spanische Fl ot te auf dem Zuidersee 12. Okt. von der holländischen vernichtet wurde. Alba wurde zwar Ende 1573 abberufen, der neue Statt hat ter, Requesens, setzte indes nach einigen vergeblichen Versöhnungsversuchen die gewaltsame Unterwerfung der Aufständischen fort. In der unglücklichen Schlacht bei Mook (14. April 1574) fielen Oraniens Bruder Ludwig und Heinrich von Nassau. Dagegen wurden die Spanier durch die Eroberung von Middelburg (21. Febr.) aus Zeeland und durch den Entsatz von Leiden (3. Okt.) aus Südholland vertrieben. Die zügellosen Ausschreitungen der spanischen Truppen nach Requesens' Tod (4. März 1576) bewogen auch die südlichen Provinzen, sich gegen Spanien zu erklären und sich auf Andringen Oraniens mit Holland und Zeeland durch die Pazifikation von Gent (8. Nov. 1576) zur Vertreibung der Spanier und Aufrechthaltung ihrer Freiheiten und Privilegien zu verbinden. Der neue Statthalter, Don Juan d'Austria, mußte die Geuter Pazifikation durch das Ewige Edikt (12. Febr. 1577) bestätigen und die spanischen Truppen entlassen, ehe er 1. Mai in Brüssel einziehen durfte. Doch war er weder geeignet zu einer versöhnlichen Politik, noch gewann er das Vertrauen des Volkes, das Oranien als seinen Retter und Herrn begrüßte. Dieser wurde zum Ruwaard (Gouverneur) von Brabant erkoren. Nur war ein Teil des brabantischen Adels auf ihn eifersüchtig und rief den Erzherzog Matthias von Österreich, Kaiser Rudolfs II. Bruder, ins Land, während es in Hennegau, Artois und Südflandern zu heftigem Zwist zwischen den Calvinisten und den katholischen Truppen (Malkontenten) kam und die Lalaings im Hennegau im August 1578 den französischen Prinzen Franz von Anjou ins Land riefen.
Gründung der Republik der Vereinigten Niederlande.
Während dieses Wirrwarrs starb Juan dAustria 1. Okt. 1578. Sein Nachfolger Alexander Farnese, Prinz von Parma, ein ebenso ausgezeichneter Feldherr wie kluger Politiker, benutzte geschickt die Zwistigkeiten unter den Niederländern und die Eifersucht des Adels, sprengte die Genter Pazifikation und machte die Vereinigung sämtlicher Provinzen zu einem Bundesstaat mit nationaler und religiöser Freiheit unmöglich. Dem Atrechter Bunde der wallonischen Provinzen (6. Jan. 1579) gegenüber schlossen sich die nördlichen Provinzen: Holland, Zeeland, Utrecht, Gelderland, Groningen, Overyssel mit Dreuthe und Friesland allmählich der Union von Utrecht (23. Jan. 1579) an und sagten nach der Ächtung Oraniens im Haager Manifest vom 26. Juli 1581 dem König von Spanien den Gehorsam auf. Flandern und Brabant schwankten und schlossen sich eine Zeitlang teilweise der Utrechter Union an. Die Provinzen außer Holland und Zeeland wählten endlich den Herzog von Anjou zum Oberhaupt, der sich aber durch seine Ränke und vornehmlich durch seinen Anqriff auf Antwerpen so verhaßt machte, daß er im Juni 1583 zum zweitenmal die N. verlassen mußte. Wilhelm von Oranien wurde 10. Juli 1581 in Delst ermordet, noch ehe die neue Verfassung Hollands und Zeelands, die dem Oranier als erblichen Grafen die freilich beschränkten landesherrlichen Rechte übertrug, beschworen worden war. Parma unterwarf sich jetzt Flandern und Brabant und eroberte im August 1585 Antwerpen, so daß die Union sich um Schutz an Elisabeth von England wendete, die den Grafen von Leicester mit 6000 Mann Hilfstruppen sandte. Dieser verfolgte aber selbstsüchtige Herrschaftspläne und führte den Krieg mit Spanien so lau und unglücklich, daß die Spanier Herren des ganzen Laufes der Maas bis zur holländischen Grenze wurden. Endlich wich er dem allgemeinenUnwillen und verließ im Dezember 1587 die N. Der Landesadvokat von Holland, Johan van Oldenbarnevelt, bewirkte nun, daß Wilhelms öltester Sohn, der zum Statthalter von Holland und Zeeland ernannte junge Graf Moritz von Nassau, mit der Führung des Krieges beauftragt ward. Derselbe nahm infolge des Feldherrntalents des jungen Prinzen eine immer günstigere Wendung, zumal sich Philipp gleichzeitig in einen Krieg mit England und Frankreich einließ. Moritz befreite den Norden und errang 2. Juli 1600 bei Nieuwpoort einen glänzenden Sieg. Gleichzeitig schlugen die niederländischen Flotten die Spanier auf den Meeren und eroberten die portugiesischen Kolonien in Ostindien. Unter diesen Umständen schlossen Erzherzog Albrecht und seine Frau Isabella, Tochter Philipps II., denen dieser 1598 die N. überlassen hatte, 9. April 1609 mit den Niederlanden einen zwölfjährigen Waffenstillstand ab.
Die Verfassung der Republik der Vereinigten N. ging aus der Utrechter Union, einem Kriegsbündnis, hervor und litt daher an mancherlei Mängeln. Träger der Souveränität waren die Provinzen, deren Staaten aus dem in den nördlichen und östlichen Provinzen zahlreichen Adel und den Vertretern des städtischen Patriziats, einer Oligarchie von ca. 2000 Mitgliedern, gebildet waren. Die Deputierten der Provinzial staaten, die hochmögenden Herren, bildeten die Generalität oder die Generalstaaten, die seit 1584 sich im Haag versammelten. Die vollziehen de Gewalt wurde unter staatlicher Autorität von den Statthaltern der Provinzen (Friesland hatte immer einen eignen aus dem Hause Johanns von Nassau) ausgeübt. Neben diesen stand der einflußreiche Landesadvokat oder Ratspensionär (Raadpensionaris, d.h. besoldeter Rat) von Holland. Ein ebenfalls aus provinzialständischen Abgeordneten zusammengesetzter Staatsrat leitete die finanziellen und militärischen Angelegenheiten, während die Admiralitäten in Holland, Zeeland und Friesland dem Marinewesen vorstanden. Wie in den Provinzial-, so war auch in den Generalstaaten Einstimmigkeit bei wichtigen Beschlüssen erforderlich. Die Abgeordneten waren an die Lastbriefe (Instruktionen) ihrer Auftraggeber gebunden. Vermöge ihres Reichtums und ihrer großen Bevölkerung übte die Provinz Holland und in dieser wieder Amsterdam ein natürliches Übergewicht aus. Doch wahrten die Provinzen eifersüchtig ihre Souveränitätsrechte. Auf jede Erweiterung der Union verzichtete man; ja, die später den Spaniern entrissenen Teile Gelderlands, Brabants und Flanderns wurden nicht in sie aufgenommen, sondern im Namen der Generalität (daher Generalitätslande) regiert. Auch die kleine Provinz Drenthe war nicht in den Generalstaaten vertreten. Trotzdem errang dies unfertige Staatswesen große Erfolge durch die Weisheit seiner Staatsmänner und durch die kriegerische Tüchtigkeit der Oranier, denen zwar die erbliche Grafenwürde nicht wieder übertragen wurde, die aber als Statthalter der meisten Provinzen und als Oberbefehlshaber der Armee einen großen moralischen Einfluß im Sinneeinheitlicher Politik ausübten. Dies war um so notwendiger, als es an Parteistreitigkeiten nicht fehlte. Die Regentenpartei, um 1600 schon in Holland mächtig und geleitet von Oldenbarnevelt und aus der städtischen Aristokratie bestehend, erstrebte einen lockern Bund ohne monarchische Spitze und Aufrechthaltung der Partikularrechte der Provinzen, um Hollands Übergewicht zu behaupten; die statthalterliche Partei, zu der das von den politischen Rechten ausgeschlossene niedere Volk, der Adel und das Heer gehörten, wollte großenteils dem Haus Oranien eine erbliche, mehr oder weniger monarchische Gewalt übertragen. Da es dem Prinzen Moritz an politischer Einsicht fehlte, so wäre es nicht sobald zu einem Konflikt gekommen, wenn sich nicht die holländischen Regen ken in dem kirchlichen Streit zwischen den freisinnigen Arminianern und den orthodoxen Gomaristen (s. d.) für die erstern erklärt und zur Verteidigung ihres partikularistischen Standpunktes Truppen aufgeboten hätten. Wegen des eifrig calvinistischen Volkes, das im Arminianismus Kryptokatholizismus witterte, schritt Moritz ein und ließ die Häupter der holländischen Regenten, Oldenbarnevelt, Hugo De Groot und Hoogerbeets, verhaften; ersterer wurde wegen Hochverrats 13. Mai 1619 hingerichtet, letztere zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt.
Nicht lange nach dem Wiederausbruch des Krieges mit Spanien (1621) starb Moritz von Oranien 23. April 1625. Ihm folgte als Statthalter der fünf Provinzen Holland, Zeeland, Utrecht, Gelderland und Overyssel sein Bruder Friedrich Heinrich, während die Provinz Groningen schon früher den Grafen Ernst Kasimir von Nassau, Statthalter von Friesland, zum Statthalter gewählt hatte. 1640 erhielt der Oranier auch in Groningen die Würde. Prinz Friedrich Heinrich stellte den innern Frieden her, in dem er den Religionsverfolgungen Einhalt tat, die Verbannten zurückrief und die Eingekerkerten in Freiheit setzte. Der Krieg gegen Spanien wurde mit Glück fortgeführt und durch den gleichzeitigen Kampf gegen das Haus Habsburg in Deutschland sowie durch ein Bündnis mit Frankreich (1635) erleichtert. Herzogenbusch, Wesel, Maastricht und Breda wurden erobert, der spanischen Flotte mehrere Niederlagen (Duins 1639) beigebracht und durch Wegnahme der Silberflotte (1628) ansehnliche Beute gemacht. Das völlig erschöpfte und von Frankreich bedrängte Spanien zeigte sich endlich zum Frieden geneigt, der nach 80jährigem Kriege 1648 in Münster zustande kam. Die Republik wurde als unabhängiger Staat anerkannt, behielt ihre Eroberungen im Süden und den beiden Indien und erlangte vollkommene Handelsfreiheit in allen spanischen Häfen; auch die Verbindung mit dem Deutschen Reich wurde, wenn auch nicht formell, für immer gelöst.
Höchste Macht und Blüte der Niederlande.
Während ihres Freiheitskampfes waren die nördlichen N. das reichste Land Europas geworden, ihr Handel und ihre Industrie beherrschten die Welt; auch ihre bewaffnete Macht war bedeutend, und Künste und Wissenschaften standen in der höchsten Entwickelung. Der Kolonialbesitz der Handelskompanien hatte eine überraschende Ausdehnung gewonnen und wurde von den Niederländern mit rücksichtslosem Handelssinn ausgebeutet. Die Sundainseln, Ceylon, die Kapkolonie waren im Besitz der Ostindischen Kompanie; die Westindische eroberte sogar 1636 Brasilien, das sie indes nicht lange behauptete. Die Handelsflotte der N. zählte 1634: 35,000 Schiffe mit 2 Mill. Lasten. Hand in Hand mit dem Welthandel ging die Großindustrie, deren Fabrikate sich über die ganze Erde ausbreiteten. 300 Mill. Gulden in Metall lagen 1648 in den Kellern der Amsterdamer Bank. Der Geld reicht um war so groß, daß der Zinsfuß auf 2–3 Proz. stand und selbst der berüchtigte Tulpenschwindel dem Nationalwohlstand nur wenig schadete. Die ungeheuern Kriegskosten wurden durch zahlreiche hohe Steuern leicht und ohne Beschwerde aufgebracht. Der unbedingten Freiheit des Handels und Verkehrs entsprach die Freiheit des Glaubens, der Wissenschaft und der Presse, welche die N. zum Zufluchtsort aller Verfolgten und des anderswo unterdrückten freien Wortes machte. Prinz Wilhelm II. von Oranien, der 1647 seinem Vater Friedrich Heinrich als Statthalter gefolgt war, verweigerte nach dem Westfälischen Frieden die von den Staaten von Holland geforderte Verminderung des stehenden Heeres und der Abgaben und ließ 1650 sechs Mitglieder der aristokratischen Partei verhaften und Amsterdam belagern, wodurch er seinen Willen durchsetzte. Als er aber im November starb (erst nach seinem Tode wurde ihm ein Sohn, Wilhelm III., geboren), nahm die aristokratische oder Loevensteinsche Partei (so genannt nach der Festung, wohin der Oranier seine Gegner in Hast geschickt hatte) die Gelegenheit wahr, auf der Großen Versammlung (Groote Vergadering), einer außerordentlichen Zusammenkunft der Deputierten der Provinzen, 1651 den Beschluß, die Statthalterwürde (außer in Friesland und Groningen) nicht wieder zu besetzen, zur Annahme zu bringen. Ja, die aristokratische Partei, an deren Spitze seit 1653 der Ratspensionär von Holland, Johann de Witt, stand, ließ sich dazu herbei, bei dem Frieden mit England, das 1652 einen Seekrieg gegen die N. begonnen hatte, 1654 durch eine geheime Akte (acte van seclusie) zu versprechen, daß das Haus Oranien von jedem Staatsamt ausgeschlossen bleiben würde; die Akte verlor 1660 ihre Gültigkeit; aber das ewige Edikt (1667) der Staaten von Holland und die Harmonieakte der Generalstaaten (1670) trennten »für immer« die Statthalterwürde vom Amte des Oberbefehlshabers.
Der erste Seekrieg mit England (1652–54) war durch die von Cromwell erlassene Navigationsakte herbeigeführt worden, die der Schiffahrt der N. nach England einen tödlichen Streich versetzte; er wurde mit größter Erbitterung geführt, fügte den Niederlanden ungeheuern Schaden zu und endete nach mehreren Niederlagen der niederländischen Flotte mit der Anerkennung der Navigationsakte. De Witt richtete die Hauptkraft der N. auf die Wahrung der Schiffahrts- und Handelsinteressen gegen die gefährliche Nebenbuhlerschaft Englands, und so begann 1664 schon ein zweiter Seekrieg, der, von beiden Seiten mit Aufbietung aller Kräfte und mit wechselndem Erfolg geführt, im Frieden von Breda (31. Juli 1667) ohne Entscheidung über die Seeherrschaft endete. Die Landmacht vernachlässigte die republikanische Regierung; diese sah sich aber doch genötigt, als Ludwig XIV. 1667 die spanischen N. besetzte, mit England und Schweden im Januar 1668 die Tripelallianz zu schließen, die Ludwig im Aachener Frieden zum Verzicht auf den größten Teil seiner Eroberungen zwang. Hierfür beschloß der französische König sich an den Niederlanden zu rächen, bewog im tiefsten Geheimnis England und Schweden zum Bündnis und fiel im Frühjahr 1672 mit 100,000 Mann vom Niederrhein aus in die fast wehrlose Republik ein, während Karl II. von England den Krieg zur See erklärte. In wenigen Wochen hatten die Franzosen vier Provinzen erobert; 83 feste Plätze öffneten ihre Tore. Holland wurde noch im letzten Augenblick durch die Inundationslinie gerettet und der schimpfliche Friede, den die Regentenpartei abschließen wollte, nur durch den Übermut Ludwigs XIV. vereitelt. Gegen die holländische Aristokratie richtete sich nun der ganze Haß des verzweifelten Volkes. Johann de Witt wurde nebst seinem Bruder Cornelis als Urheber des Unglücks 20. Aug. 1672 auf gräßliche Weise im Haag ermordet, das Ewige Edikt abgeschafft und der junge Prinz Wilhelm III. von Oranien zum Statthalter, 1674 zum Erbstatthalter von bald fünf Provinzen erhoben.
Durch die Anspannung aller Kräfte unter der sichern, mutigen Leitung des jungen Prinzen und durch fremde Hilfe, erst des Kurfürsten von Brandenburg, dann des Kaisers und Spaniens, gelang es, die Franzosen aus den Niederlanden wieder zu vertreiben (1674). Wenn die Verbündeten auch im fernern Verlauf des Landkrieges von Mißgeschick verfolgt wurden und sich in der Hoffnung, Frankreichs Macht brechen zu können, täuschten, so wußten die N. doch im Frieden zu Nimwegen (1678), den sie einseitig abschlossen, nicht bloß ihr Gebiet zu behaupten, sondern auch Maastricht wieder zu erwerben und von Frankreich einen günstigen Handelsvertrag zu erlangen. Die Amsterdamer Partei, die diesen Frieden gegen den Willen des Statthalters durchgesetzt hatte, wünschte Frieden und Bündnis mit Frankreich. Aber Ludwigs XIV. unersättliche Eroberungssucht und seine Unduldsamkeit gegen die Protestanten verhalfen der Politik des Oraniers zum Sieg. Die Staaten unterstützten die Unternehmung des Prinzen gegen England 1688, die den Sturz der Stuarts und Wilhelms III. Thronbesteigung in England zur Folge hatte, schlossen sich 1689 der neuen Koalition gegen Frankreich an und nahmen mit Aufbietung aller Kräfte am Kampfe teil. Die N. blieben dem von Wilhelm III. gestifteten Bunde der Seemächte auch nach dessen Tode (1702) getreu und halfen unter der Leitung des Ratspensionärs Heinsius im Spanischen Erbfolgekrieg Frankreichs Übermacht brechen. Aber sie opferten hierbei ihre Sonderinteressen denen Europas auf. Sie erschöpften ihre Kräfte in den kostspieligen Kriegen, ohne für sich selbst einen andern Gewinn zu erreichen als den Barrieretraktat von 1714, der ihnen das Recht einräumte, die Festungen an der französischen Nordgrenze zu besetzen. Den Hauptvorteil trug England davon, das, größer und von der Natur mehr begünstigt, seinen Handel und seine Schiffahrt, auch auf Kosten der niederländischen, entwickelte und den Bundesgenossen bald überflügelte.
Der Verfall der Republik.
Nach dem Erlöschen der ältern oranischen Linie mit Wilhelms III. Tode (1702) war die Statthalterwürde in den meisten Provinzen zum zweitenmal abgeschafft worden und die Leitung der Republik wieder in die Hände der aristokratischen Partei übergegangen, die nach dem Utrechter Frieden (1713) eine unbedingte Friedenspolitik befolgte. Die Land- und Seemacht wurde aufs äußerste beschränkt, was ihren völligen Verfall zur Folge hatte; der kriegerische Geist, damit aber auch Energie und Tätigkeitstrieb erloschen im Volk, und dies wirkte auch auf die gewerblichen Verhältnisse lähmend ein. Das niedere Volk darbte infolge des Verfalls der Industrie, die Regenten erfreuten sich reichen Wohllebens und behielten alle öffentlichen Ämter sich und ihren Verwandten vor. Der Österreichische Erbfolgekrieg (1741–48) rüttelte die N. aus ihrer trägen Ruhe auf. Sie mußten die Barriere gegen Frankreich schützen; der Krieg wurde jedoch schlaff und ungeschickt betrieben, sämtliche Festungen gingen verloren, und 1747 fielen die Franzosen in Staatsflandern ein, dessen feste Plätze sie eroberten. Da empörte sich das Volk in Zeeland und Holland und rief 2. Mai 1747 den Prinzen Wilhelm von Oranien aus der Linie Nassau-Dietz, der bisher Erbstatthalter von Friesland, seit 1718 auch von Groningen und seit 1722 von Gelderland gewesen war, zum Statthalter aus. Diesem Beispiel folgten die übrigen Provinzen, so daß Wilhelm IV. erster erblicher Statthalter und Generalkapitän der sämtlichen sieben Provinzen, Kapitän und Generaladmiral der Union wurde; auch erhielt er die Verwaltung der Generalitätslande und die Generaldirektorschaft der Ost- und Westindischen Kompanien.
Wilhelm IV. starb bereits 22. Okt. 1751 und hinterließ einen erst dreijährigen Sohn, Wilhelm V., für den seine Mutter, die englische Prinzessin Anna, die Vormundschaft führte, während der von Wilhelm IV. ins Land gerufene Herzog Ludwig Ernst von Braunschweig den Oberbefehl über die Armee erhielt. Nach Annas Tode (1759) nahmen die Staaten der Provinzen die Rechte der Statthalterschaft, Herzog Ludwig die Vormundschaft wahr und befolgten wieder das System unbedingter Neutralität, als der Siebenjährige Krieg ausbrach. 1766 übernahm Wilhelm V. selbst die Regierung, blieb aber unter der Leitung des Herzogs Ludwig. Als 1776 die Engländer die abgefallenen amerikanischen Kolonien bekriegten, verlangten sie auf Grund alter Verträge von den Niederlanden Hilfstruppen gegen die Rebellen und erklärten, als die N. dies ablehnten und über ihren Anschluß an die von Rußland errichtete Neutralität verhandelten, 1780 den Krieg. Obwohl die N. gänzlich ungerüstet waren, so war wegen des seit langem angesammelten Hasses gegen den eigennützigen, anmaßenden englischen Verbündeten der Krieg sehr populär, trotz der großen Verluste für Handel und Schiffahrt. Wiewohl die Schlacht an der Doggersbank (5. Aug. 1781) unentschieden blieb, wurden die absonderlichen Friedensanträge Englands abgelehnt und mit den amerikanischen Freistaaten ein Allianz- und Handelsvertrag abgeschlossen. Aber schließlich ließ Frankreich die N. im Stiche, und diese mußten im Frieden vom 30. Mai 1784 England Negapatam in Vorderindien abtreten und demselben freie Schiffahrt in Ostindien zugestehen. Die Bedrängnis der N. benutzend, hob Kaiser Joseph II. 1784 den Barrieretraktat auf, ließ die Grenzfestungen schleifen und verlangte die Freigebung der Schelde und die Abtretung von Maastricht. Die Landmacht der N. war in einem solchen Zustand, daß sie einen Krieg gegen Österreich nicht wagen konnten, und sie mußten sich im Vertrag von Fontainebleau (8. Nov. 1785) zur Abtretung der Forts an der Schelde, zu einer Grenzregulierung und zur Zahlung von 5 Mill. Gulden verstehen, wogegen sie das Recht behielten, die Schelde zu schließen.
Die Entrüstung über diese Verluste wurde von der aus aristokratischen und demokratischen Bestandteilen gebildeten Patriotenpartei sehr geschickt gegen den Erbstatthalter gelenkt, dem nun die Staaten von Holland mehrere Rechte, 1786 sogar seine Würden entzogen. Herzog Ludwig hatte schon 1784 das Land verlassen müssen. Wilhelm V. verließ den Haag; es kam sogar zu Gewalttätigkeiten, indem die Geldrischen Staaten die aufrührerischen Städte Hattem und Elburg in ihrem Gebiet einnehmen ließen. Ein kleines Heer wurde in Gelderland und Utrecht wider Holland gesammelt. Als die Erbstatthalterin, die Prinzessin Wilhelmine von Preußen, nach dem Haag reisen wollte, wurde sie von den Patrioten angehalten und zur Rückkehr gezwungen. Dafür verlangte ihr Bruder, der König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, Genugtuung, und als dieselbe im Vertrauen auf die nachher ausbleibende französische Hilfe von Holland in stolzem Ton verweigert wurde, rückten im September 1787: 25,000 Preußen in die N. ein, eroberten in kurzer Zeit Holland und setzten unter dem Jubel des Volkes den Statthalter wieder ein. Die Rechte des Hauses Oranien und die Verfassung der Republik wurden von England und Preußen im April 1788 garantiert, auch schloß Wilhelm V. eine ewige Allianz mit diesen Mächten.
Die Niederlande während der Revolutionszeit.
Der Ausbruch der französischen Revolution verlieh der niedergeworfenen Patriotenpartei neue Kraft. Zwar nahmen die N. 1793 eine englische Armee in das Land auf und schlossen sich der Koalition gegen Frankreich an; aber durch die Niederlagen bei Hondschoote (7. u. 8. Sept. 1793) und bei Fleurus (26. Juni 1794), den Frost des Winters 1794–95, der die Wasserverteidigung unmöglich machte, und durch eine allgemeine Erhebung der Patrioten ward Pichegru die Eroberung der N. erleichtert. Die statthalterliche Familie flüchtete nach England, und die Generalstaaten erklärten nun die Erbstatthalterwürde für abgeschafft und konstituierten die N. 26. Jan. 1795 als Batavische Republik. Mit Frankreich, dessen revolutionäre Institutionen bis ins kleinste nachgeahmt wurden. schloß die Republik (16. Mai) ein beständiges Bündnis ab, das ihr aber große Opfer auferlegte: Maastricht, Venloo, Staats-Limburg, Staatsflandern mußten abgetreten, 100 Mill. Gulden bezahlt und 30,000 Mann französischer Truppen unterhalten werden; das nun feindliche England lähmte den niederländischen Handel und bemächtigte sich der Kolonien, von denen Ceylon 1802 förmlich abgetreten wurde. Eine neue Verfassung wurde 1798 eingeführt; die Batavische Republik wurde ein Einheitsstaat unter einem Direktorium, 1801 unter einem Staatsrat (staatsbewind). 1805 wurde eine neue Verfassungsänderung vorgenommen und ein Ratspensionär, Schimmelpenninck, an die Spitze des Staates gestellt. Jedoch schon 26. Mai 1806 wurden die N. auf Napoleons I. Befehl in ein Königreich Holland verwandelt, dessen Krone Ludwig Bonaparte (s. Bonaparte 3) erhielt. Die französischen Gesetze wurden eingeführt, und die holländischen Truppen mußten an allen Kriegen Frankreichs teilnehmen. Durch die Kontinentalsperre wurde der Handel auf den Schmuggel mit England beschränkt, und als der König Ludwig 1810 abdankte, weil er sein Königreich nicht den französischen Interessen preisgeben wollte, erklärte ein kaiserliches Dekret vom 9. Juli 1810 die Vereinigung Hollands als »einer Anschwemmung französischer Flüsse« mit Frankreich und Amsterdam zur dritten Stadt des Kaiserreichs.
Wenn die französische Herrschaft auch manche Mißbräuche mit scharfem Besen wegfegte und die nationale Verschmelzung beförderte, so empfand man in den Niederlanden, besonders in Holland, den Verlust politischer, geistiger und kommerzieller Freiheit bitter genug. Daher ward 1813 die Nachricht von dem Siege der Verbündeten bei Leipzig freudig begrüßt. Ein Anhänger der altoranischen Partei, Hogendorp, bildete mit seinen beiden Freunden van der Duyn van Maasdam und van Limburg-Stirum eine provisorische Regierung, und 1. Dez. 1813 ward zu Amsterdam die Freiheit der N. und der Sohn des verstorbenen Erbstatthalters Wilhelm V., Wilhelm I., der am 30. Nov. in Scheveningen gelandet war, als deren souveräner Fürst proklamiert. Der preußische Heerführer Bülow jagte mit seinem Heere die französischen Truppen vor sich her und eroberte mit Hilfe der neu entstandenen niederländischen Armee, die auch selbständig auftrat, mehrere Festungen. Eine Kom mission von 14 Mitgliedern arbeitete eine Verfassung aus, die am 29. März 1814 von einer Notabelnversammlung genehmigt wurde und 30. März in Kraft trat; die Macht des Fürsten wurde durch eine von den Provinzialstaaten gewählte Versammlung, die »Generalstaaten«, beschränkt.
Die Niederlande mit Belgien vereinigt.
Auf Englands Betreiben, das auf dem Festland einen Frankreich gegenüber widerstandsfähigen Staat wünschte, wurde durch die Londoner Artikel vom 20. Juli 1814 bestimmt, daß Belgien und Holland unter dem Namen Königreich der N. zu einem Ganzen vereinigt werden sollten; die Grenzen desselben wurden durch die Wiener Schlußakte vom 9. Juni 1815 festgesetzt und Wilhelm I. als König der N. von allen Mächten anerkannt. Außer Luxemburg, das der König als Ersatz für seine deutschen Besitzungen a's Großherzogtum erhielt, das aber zum Deutschen Bund gehören sollte, umfaßte das neue Königreich 17 Provinzen (Nord- und Südbrabant, Limburg, Gelderland, Lüttich, Ost- und Westflandern, Hennegau, Holland, Zeeland, Namur, Antwerpen, Utrecht, Friesland, Overyssel, Groningen und Drenthe) mit zusammen 60,000 qkm und 5,5 Mill. Einw.; dazu kam im zweiten Pariser Frieden 1815, nachdem die Truppen des jungen Königreichs unter dem jungen Prinzen von Oranien an den Kämpfen von Quatrebras und Waterloo rühmlichen Anteil genommen hatten, noch ein bisher französischer Landstrich mit den Festungen Marienburg und Philippeville. Von ihren Kolonien erlangten die N. bloß die ostindischen Inseln, einen Teil von Guayana und einige kleinere Besitzungen in Amerika und Afrika zurück; Ceylon, das Kapland und Demerary behielt England.
Den in doppelter Zahl einberufenen Generalstaaten und den belgischen Notabeln wurde eine neue Verfassung vorgelegt und, obwohl die Mehrheit der Belgier sich dagegen aussprach, 24. Aug. 1815 für angenommen erklärt; die Generalstaaten wurden in zwei Kammern eingeteilt, in die Belgien und Holland eine gleiche Anzahl Deputierte schickten. Der König widmete sich mit Erfolg vor allem der Regelung der Finanzen und der Hebung des Handels, wozu der Bau vieler Kanäle, die Wiederherstellung des Kolonialsystems in Indien und die Gründung der Niederländischen Handelsgesellschaft (1824) wesentlich beitrugen. Indes die Schwierigkeit, das neuerworbene Belgien mit den nördlichen Niederlanden zu verschmelzen, vermochte er nicht zu überwinden. Die beiden Teile der N. waren zu lange voneinander getrennt gewesen und hatten sich zu verschieden entwickelt. Die nördlichen Provinzen wollten die Einkünfte aus hohen Grundsteuern und Luxusabgaben ziehen, die südlichen, vorzugsweise Ackerbau und Industrie treibend, die Zölle erhöhen. Die große Schuldenlast der N. wurde von Belgien nur mit Unwillen getragen. Der Vorteil der Kolonien kam den südlichen Handelsstädten nur langsam zugute und wurde von den nördlichen möglichst verkümmert. Obwohl die Regierung ein Konkordat mit dem Papst schloß (18. Juni 1827) und drei neue Bistümer in Amsterdam, Brügge und Herzogenbusch errichtete, vermochte sie doch das Mißtrauen des katholischen Klerus nicht zu beseitigen, während die belgischen Liberalen, überwiegend Wallonen, durch das Streben der Regierung, bei den öffentlichen Geschäften die holländische oder flämische Sprache zur Herrschaft zu bringen, und durch die autoritäre Regierungsweise des Königs abgestoßen wurden und zu Frankreich neigten. Durch die Vereinigung der Klerikalen und der Liberalen kam es infolge der Julirevolution 1830 zum Ausbruch der belgischen Revolution (s. Belgien, S. 601).
Wilhelm I. versuchte zuerst durch Waffengewalt die südlichen Provinzen wieder unter seine Botmäßigkeit zu bringen. Dies mißlang im September 1830; im August 1831 aber besiegte der Prinz von Oranien im zehntägigen Feldzug die Belgier bei Hasselt (8. Aug.) und bei Löwen (12. Aug.) und drohte Belgien zu unterwerfen. Doch hatten die Mächte sich schon im Londoner Protokoll vom 26. Juni 1831 für die Trennung Belgiens von den Niederlanden ausgesprochen, und mit ihrer Genehmigung intervenierte Frankreich, drängte die dem Krieg mit den Machten ausweichenden Holländer zurück, nahm 24. Dez. 1832 die Zitadelle von Antwerpen und blockierte in Verbindung mit England die niederländischen Küsten. Dem Kriegszustand wurde durch die Londoner Übereinkunft vom 21. Mai 1833 ein Ende gemacht. Aber Wilhelm weigerte sich lange, die Unabhängigkeit Belgiens anzuerkennen, obwohl die 24 Artikel vom 15. Okt. 1831 den Niederlanden Luxemburg, einen Teil von Limburg und eine von Belgien zu zahlende jährliche Rente von 8,400,000 Gulden als Beitrag zu den Zinsen der Staatsschuld zusprachen. Erst 1838 erklärte sich der König zu deren Annahme bereit, und 19. April 1839 kam der Friede zwischen den Niderlanden und Belgien zustande, durch den die belgische Rente auf 5 Mill. Gulden verringert wurde. Das östliche Luxemburg und Limburg (ohne Maastricht und Venloo) sollten zum Deutschen Bund gehören; Luxemburg wurde daher in Personalunion mit den Niederlanden vereinigt, Limburg jedoch mit dem neuen Königreich verschmolzen, das nur noch zehn, aber durch Sprache und Geschichte innig verbundene Provinzen zählte.
Neueste Zeit.
Das Gefühl der Demütigung, das Wilhelm I. über dieses Ende des von ihm gegründeten Reiches empfand, die Unzufriedenheit des Volkes mit den erhöhten Geldforderungen der Regierung und das allgemeine Verlangen nach einer durchgreifenden Verfassungsreform bewogen den König, 7. Okt. 1840 zugunsten seines Sohnes abzudanken und sich mit einem großen Vermögen, das er vornehmlich durch Handelsspekulationen erworben, nach Berlin zurückzuziehen, wo er 12. Dez. 1843 starb. Wilhelm II. (1840–1849) bewilligte sofort die Verantwortlichkeit der Minister und verringerte den Stand des Heeres um ein Bedeutendes. Auch erlangte er die Zustimmung der Generalstaaten zu einer vom Finanzminister van Hall beantragten freiwilligen Anleihe von 127 Mill. Gulden, wodurch die Finanzen in Ordnung gebracht wurden. Zu der Verfassungsreform entschloß er sich aber erst nach der Februarrevolution 1848. Eine verdoppelte Zweite Kammer trat 18. Sept. 1848 zusammen und bewilligte einen durch einen Ausschuß unter Thorbeckes Vorsitz ausgearbeiteten liberalen Verfassungsentwurf, der die Einleitung der Provinzialstaaten in Stände abschaffte und für die Zweite Kammer direkte Wahlen, allerdings mit einem hohen Zensus, vorschrieb. Das neue Grundgesetz wurde 3. Nov. 1848 verkündet. Nicht lange darauf, 17. März 1849, starb Wilhelm II.
Sein Sohn Wilhelm III. (1849–90) berief den Urheber der neuen Verfassung, Thorbecke, 30. Okt. 1849 an die Spitze eines durchaus freisinnigen Ministeriums, das durch wichtige organische Gesetze (Versammlungsrecht, eine Provinzial- und Gemeindeordnung und eine Gerichtsorganisation) die Grundsätze der Verfassung verwirklichte. In Ausführung des Verfassungsartikels über die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirchen vom Staat schloß aber Thorbecke 1852 einen Vertrag mit der römischen Kurie, in dem er alle Aufsichtsrechte des Staates über die katholische Kirche preisgab und die Errichtung von fünf neuen Bistümern in den Niederlanden gestattete. Die päpstliche Allokution vom 7. März 1853, die dies verkündete, erregte einen Sturm der Entrüstung in der protestantischen Bevölkerung, den der König, des schroffen Ministers überdrüssig, in seiner Antwort auf die Adresse von Amsterdam billigte. Thorbecke forderte und erhielt darauf seine Entlassung, und ihm folgten nun einige konservative Ministerien unter van Hall, van der Brugghen u.a., die sich aber nur dadurch im Amt zu halten vermoch len, daß sie auf alle reaktionären Wünsche einer Verfassungsrevision verzichteten und 1857 sogar ein Unterrichtsgesetz, das den Religionsunterricht aus allen staatlichen Elementarschulen ausschloß, in den Kammern zur Annahme brachten. Die Liberalen hatten die Mehrheit in den Generalstaaten, waren aber sehr zerfahren. Dies zeigte sich, als im Januar 1862 Thorbecke zum zweiten mal an die Spitze der Regierung trat. Dieser reformierte das Steuersystem, indem er die Akzise gänzlich abschaffte, erlangte die Zustimmung zu wichtgen öffentlichen Anlagen, drang mit einem Gesetz für den Unterricht in Realschulen durch, scheiterte aber an dem Versuch, die Verwaltung der Kolonien umzugestalten und den 1830 auf Java eingeführten Kullurzwang, ein hartes, aber für den Staat einträgliches Fron system, abzuschaffen; nur der Bau der ersten Eisenbahn auf Java wurde genehmigt und die Sklaverei in Westindien aufgehoben.
Das neue konservative Kabinett van Zuylen van Nyevelt (1866) hatte die luxemburgische Frage zu lösen. Während des Krieges zwischen Preußen und Österreich 1866 hatten sich die N. neutral verhalten, obwohl die Sympathien der höhern Kreise und des Hofs auf seiten Österreichs gewesen waren. Bei der Neuordnung der deutschen Angelegenheiten kam es der niederländischen Regierung hauptsächlich darauf an, Limburg von der Verbindung mit Deutschland loszulösen. An Luxemburg zeigte sie gar kein Interesse, auch nicht, als der König sich 1867 veranlaßt sah, Luxemburg an Frankreich zu verkaufen. Nur woll le man den Verkauf nicht ohne Zustimmung Preußens genehmigen. Daß Zuylen durch seine Mitteilung an Preußen den Verkauf Luxemburgs zum Scheitern brachte und dann den Londoner Garantievertrag über die Neutralität Luxemburgs unterzeichnete, wurde aber von der Kammer, namentlich von Thorbecke, heftig getadelt und das Kabinett Zuylen, obwohl es die Loslösung Limburgs von Deutschland erreichte, durch Verwerfung seines Budgets 1868 gestürzt. nachdem es sich vergeblich durch Auflösung und Neuwahlen der Generalstaaten zu halten gesucht hatte.
Erst Fock, dann wieder Thorbecke selbst (Anfang 1871) leiteten neue liberale Ministerien, die den drückenden Zeitungsstempel und die Todesstrafe abschafften. Wider Willen sahen sie sich auch genötigt, die Frage der Heeresreform in die Hand zu nehmen. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 erregte die Gemüter in den Niederlanden um so mehr, als er deren Interessen nahe berührte. Die leitenden Kreise hatten das Emporkommen Preußens mit Besorgnis für die Unabhängigkeit des Königreichs beobachtet. Die gewaltigen und raschen Erfolge der Deutschen erregten wiederum Furcht vor deutschen Annexionsabsichten auf die N. selbst oder wenigstens ihre Kolonien. Unter diesen Umständen hielt selbst Thorbecke, der bisher sowohl als Abgeordneter wie als Minister stets für die größtmögliche Beschränkung des Militärbudgets ein getreten war, eine Verstärkung der Verteidigungsmittel durch Vermehrung der Streitkräfte für unvermeidlich. Aber keinem Ministerium gelang es, die Kammern zu einem entscheidenden Beschluß über die Heeresreform, namentlich die Frage der allgemeinen Dienstpflicht, zu bewegen. Nur ein Festungsgesetz wurde nach dem Tode Thorbeckes (4. Juni 1872) von dem Ministerium am Fransen van de Putte durchgebracht. Durch die Uneinigkeit zwischen den Liberalen wurde auch ein Einkommensteuer- und ein neues Wahlgesetz mit niedrigem Zensus abgelehnt.
Das liberale Ministerium Fransen van de Putte scheiterte an der Kolonialpolitik. Im Dezember 1871 hatten die N. ihre Besitzungen in Guinea an England verkauft und dafür die freie Hand auf Sumatra erlangt. Die Regierung hatte darauf vom Sultan von Atschin (s. d.) Unterwerfung unter gewisse Bedingungen gefordert und, als er das ablehnte, 1873 Krieg gegen ihn begonnen. Der erste Feldzug scheiterte aber gänzlich, und auch als General van Swieten im Januar 1874 den Kraton, die Hauptfestung der Atschinesen, erobert hatte, war damit wenig gewonnen, während das mörderische Klima ungeheure Opfer an Menschenleben forderte und die Rüstungen große Ausgaben verursachten. Das Ministerium machte daher im Juli 1874 einem konservativen Ministerium Heemskerk Platz, das sich durch geschicktes Lavieren bis zum September 1877 behauptete. Die liberale Mehrheit in den Kammern war inzwischen so an gewachsen, daß ihr Führer Kappeyne die Bildung eines liberalen Ministeriums zur Durchführung wichtiger Reformen wagte (im November 1877). Aber nur ein neues Schulgesetz, welches das von 1857 durch Erh oh ung des Staatszuschusses und Verstärkung der staatlichen Aussicht bei den Volksschulen ergänzte, setzte er durch. Dagegen lehnten die Kammern das Wehrgesetz die Rentensteuer und ein Kanalgesetz ab, und das Defizit erreichte eine bedenkliche Höhe (40 Mill. Gulden), weil der Krieg in Atschin alle Überschüsse des Kolonialbudgets verschlang. Kappeyne trat 1879 zurück, weil die liberale Partei ihm nicht mehr folgte. Das mittelparteiliche Kabinett van Lynden führte nur die Regierung weiter, ohne außer einem neuen Strafgesetzbuch (1881) gesetzgeberische Taten zu versuchen; um er ihm wurde 1879 der Krieg in At schin durch General van der Heyden siegreich geführt, wenn auch die völlige Unterwerfung des Landes damit keineswegs erreicht wurde.
Das Verlangen nach einer Verfassungsreform wurde inzwischen immer dringender laut, und Heemskerk, der wegen der Uneinigkeit der Liberalen 1883 ein »außerparlamentarisches« Ministerium bildete, nahm nun die Verfassungsrevision energisch in die Hand. Dieselbe war um so nötiger, als mit dem Tode des Kronprinzen Alexander (21. Juni 1881) die männliche Deszendenz des Königs erlosch, auch außer dem hochbetagten König kein andrer männlicher Sproß des Königshauses vorhanden war und daher die Thronfolge gesetzlich geregelt werden mußte. Heemskerk beantragte, den Wahlzensus herabzusetzen, die Mitgliederzahl der Ersten Kammer auf 50, die der Zweiten auf 100 zu bestimmen und die Thronfolge in der Weise zu ordnen, daß zuerst die Tochter des Königs, Prinzessin Wil hel mine, dann seine Schwester, die Großherzogin von Weimar und ihre Kinder, dann die Nachkommen der Geschwister seines Vaters erbberechtigt sein sollten; die allgemeine Wehrpflicht ward nicht berührt. Aber bei den Neuwahlen, Anfang 1885, wurden gerade so viel Liberale als Antiliberale (43) gewählt, und die letztern machten die Aufhebung der Schulgesetze zur Bedingung der Verfassungsrevision; als die Regierung hierauf nicht einging, vereitelten sie jeden Beschluß der Kammer. Dieselbe wurde daher zum zweitenmal 1886 aufgelöst, und diesmal erlangten die Liberalen eine kleine Mehrheit. Die öffentlichen Zustände, namentlich das Anwachsen der Sozialdemokratie in den Niederlanden, die im Sommer 1886 in Amsterdam und an andern Orten erhebliche Unruhen erregten, die mit Gewalt unterdrückt werden mußten, mahnten endlich die Antiliberalen, Orthodoxe und Katholiken, dem parlamentarischen Stillstand ein Ende zu machen. 1887 ward daher die Verfassungsrevision von den Generalstaaten endgültig angenommen und 30. Nov. die neue Verfassung verkündet, welche die Zahl der Wähler um 200,000 vermehrte. Bei der Wahl der Kammern nach dem neuen Gesetz im März 1888 erlangten die Liberalen bloß in der Ersten Kammer die Mehrheit. Heemskerk nahm daher seine Entlassung, und Baron Mackay bildete im April ein antirevolutionär-katholisches Ministerium. Dasselbe betonte die Ansprüche und Rechte des freien, d.h. konfessionellen Unterrichts gegenüber der Staatsschule ohne Religionsunterricht und versprach, die Erledigung der Landesverteidigungsfrage einer Staatskommission zu übertragen. Erreicht wurde das Ziel, die Schulgesetzgebung zu ändern, während in der Frage der allgemeinen Dienstpflicht die Antirevolutionären und die Katholiken entgegengesetzter Ansicht waren; namentlich bekämpften die Katholiken auf das entschiedenste die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Überdies hatte das Ministerium nur in der Zweiten, nicht aber in der Ersten Kammer die Mehrheit. Ein Vormundschaftsgesetz regelte für den Fall des Todes des Königs Wilhelm III. die Vormundschaft für die Kronprinzessin Wilhelmine, die der Königin und einem Vormundschaftsrat von neun Mitgliedern, von denen der König vier zu ernennen hatte, übertragen werden sollte (12. Sept.). Die Lage in Ostindien war noch immer nicht günstig: Atschin ward nicht unterworfen, vielmehr wütete unter den Truppen auf Sumatra die Beriberi-Krankheit.
König Wilhelm kränkelte fortwährend u. war meist fern vom Haag auf dem Schloß Loo. Anfang 1889 verschlimmerte sich sein Zustand immer mehr, so daß die Erledigung der Regierungsgeschäfte fast gänzlich stockte. Nach längern Beratungen mit der Königin Emma berief das Ministerium Anfang April 1889 die Generalstaaten und beantragte, daß die Einsetzung einer Regentschaft notwendig sei. Unmittelbar darauf trat aber eine ganz unerwartete Besserung im Befinden des Königs ein, so daß er 3. Mai die Regierung wieder übernehmen konnte. Die Kommission, welche die Heeresreform zu beraten hatte, veröffentlichte 17. Mai ihren Bericht, der die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 20.–40. Jahre vorschlug. Mit Unterstützung einiger Liberalen wurde das Schulgesetz des Ministeriums in beiden Kammern angenommen, das auch den konfessionellen Schulen eine Staatsunterstützung zusichert. Der Kolonialminister Keuchenius wurde durch die Erste Kammer 1890 durch Verwerfung des Kolonialbudgets zum Rücktritt gezwungen. Während der bisherige Minister des Innern und Vorsitzende im Ministerium Mackay die Kolonien übernahm, wurde für das Innere de Savornin Lohman, einer der entschiedensten Antirevolutionäre, berufen, dessen Hauptaufgabe die Ausführung des neuen Schulgesetzes war. In Surinam lag die niederländische Regierung in Streit mit Frankreich über einen bisher von ihr beanspruchten Landstrich. in dem sich Gold gefunden und den darauf die Franzosen besetzt hatten; man einigte sich dahin, die schiedsrichterliche Entscheidung dem Zaren zu übertragen, und dieser entschied 1891 für die niederländischen Ansprüche.
Im Juni 1890 legte die Regierung den Kammern den Gesetzentwurf über die Heeresreform vor. Die Mehrheit der Katholiken sprach sich aufs heftigste gegen den Gesetzentwurf aus, obwohl der Kriegsminister Bergansius zu ihrer Partei gehörte; die Antirevolutionären traten ebenso entschieden für sie ein. Die Minister schlugen den Generalstaaten 28. Okt. vor, den Staatsrat mit der Ausübung der königlichen Gewalt zu beauftragen. Die Gesetzvorlage des Staatsrats, die wegen der Krankheit des Königs die Königin Emma zur Regentin ernannte, wurde von den Generalstaaten angenommen, und die Königin leistete 20. Nov. vor den Kammern im Haag den Eid. Jedoch schon 23. Nov. starb Wilhelm III. im Schlosse Loo. Mit ihm erlosch das Haus Oranien im Mannesstamm, und dem Thronfolgegesetz gemäß folgte ihm seine Tochter Wilhelmine auf dem Thron, während deren Minderjährigkeit die Königin Emma Regentin blieb. Der lange erwartete Thronwechsel, der Luxemburg (s. d.) gänzlich von den Niederlanden trennte, vollzog sich ohne Zwischenfall. Er rettete auch vorläufig das Ministerium Mackay. Im April 1891 begann die Beratung des Kriegsdienstgesetzes des Ministers Bergansius, von diesem in kräftigster Weise verteidigt wider die Angriffe der Katholiken und etlicher Mitglieder der andern Parteien. Die Wahlen vom Juni 1891 unterbrachen diese Beratung. Die liberale Partei erhielt jetzt auch in der Zweiten Kam mer wieder eine kleine Mehrheit, der einzige Sozialdemokrat wurde ausgestoßen und dafür die linke Seite der liberalen Partei bedeutend verstärkt, während die Antirevolutionären etliche Sitze verloren durch den Abfall der Katholiken des Kriegsdienstgesetze wegen. Das Koalitionsministerium hatte jetzt seine Stütze verloren und wurde deshalb im August durch ein entschieden liberales ersetzt. Das neue Ministerium van Tienhoven-Tak van Poortvliet bekam in Seyffardt einen Kriegsminister, der dem System der Volksbewaffnung zugetan war, und zog den Entwurf Bergansius zurück. Der radikale Wahlrechtsentwurf dieses Ministeriums wurde unter heftigem Widerstand eines Teils der liberalen Partei, von den konservativen und katholischen Elementen unterstützt, zurückgewiesen, und im Sommer 1894 trat ein neues liberales Ministerium, Roëll-van Houten, auf, das in erster Stelle die Frage der Wahlrechtsreform, sodann die schon lange der Lösung harrenden sozialen uno finanziellen Fragen zu Ende zu bringen hatte. Im Spätjahr 1895 wurde ein neues Wahlgesetz vom Minister van Houten den Generalstaaten vorgelegt, während auch finanzielle und soziale Gesetze in Beratung genommen wurden. Der Krieg in Atschin wurde vom General Deykerhoff von einer starken Stellung aus mit großem Geschick unter Mithilfe eines Teiles der atschinesischen Bevölkerung selbst weitergeführt gegen den immer noch im Binnenland sich haltenden Nach folger der alten Fürsten und seine Parteigänger. Zwar erlitten die Niederländer 1895 eine schwere Niedet lage durch Verrat; doch wurde diese Scharte bald durch einen von General Vetter siegreich geführten Feldzug auf der Insel Lombok ausgewetzt, aber 1896 brach der Aufstand in Atschin von neuem los. Der Entwurf eines neuen Wahlgesetzes, welches das Mi nisterium Roëll-van Houten im Herbst 1895 den Generalstaaten vorlegte, führte im Grundsatz das allgemeine Wahlrecht ein, knüpfte aber seine Ausübung an eine gewisse Dauer des Wohnaufenthalts, einen bestimmten Mietsatz, ein bestimmtes Einkommen oder an den Besitz eines gesetzlich gültigen Prüfungsausweises; die Zahl der Wahlberechtigten in den Niederlanden wurde mehr als verdoppelt. Das Gesetz wurde nach langen Beratungen von der Zweiten Kammer im Juni 1896 mit 56 gegen 43 Stimmen, von der Ersten Kammer im September angenommen. Die Katholiken und die Antirevolutionäre hofften bei den für den Juni 1897 angesetzten Neuwahlen zu siegen und betrieben eine starke Agitation, der die gespaltenen Liberalen anfänglich unterlagen. Aber gerade die Siegesgewißheit, mit der die Führer der verbundenen kirchlichen Parteien auftraten, machte auch breitere Volksschichten auf die drohende Gefahr aufmerksam, und die Hauptwahlen 15. Juni, noch mehr die Stichwahlen 26. Juni bereiteten den Siegenden eine große Enttäuschung: sie eroberten nur 42 Mandate (20 katholische und 22 antirevolutionäre), die Liberalen 46; dazu kamen 4 Radikale, 4 Christlich-historische und 4 Sozialisten. Die Liberalen, früher 57 Mitglieder stark, besaßen zwar nicht mehr allein die Mehrheit in der Kammer; aber es war jedenfalls eine antiliberale Regierung abgewehrt. Das Ministerium Roëll-van Houten trat zurück, und der frühere Finanzminister Pierson bildete ein neues, in dem die fortschrittliche »liberale Union« stärker als bisher vertreten war.
Von den angekündigten Reformen kam 1898 nur die Einführung der allgemeinen persönlichen Dienstpflicht trotz hartnäckigsten Widerstandes der Katholiken zustande. Die Königin Wilhelmine wurde 31. Aug. 1898 volljährig. In der Thronrede vom 20. Sept. wurden die 1898 nicht erledigten sozialen Gesetzvorlagen zur Besserung der Lage der Arbeiterbevölkerung von neuem angekündigt. 1899 wurde der Haag von den Mächten zum Sitz der Friedenskonferenz bestimmt und die niederländische Regierung mit den Einladungen dazu beauftragt. Der Minister des Auswärtigen, de Beaufort, eröffnete die Konferenz 18. Mai im Huisten Bosch beim Haag (s. Friedenskonferenz).
Im Oktober 1899 sing Englands Krieg gegen die Burenrepubliken in Südafrika an. Bei der begeisterten Sympathie des niederländischen Volkes für seine Stammesbrüder trat dagegen alles andre in den Hintergrund. Selbst die großen Erfolge des Generals van Heutsz in Atschin. der die Bevölkerung durch angemessene Verfügungen und kräftiges Auftreten vorläufig zur Ruhe brachte, konnten die Aufmerksamkeit nicht dermaßen fesseln. Die Ausweisung aus Transvaal von mehreren tausend Holländern nebst vielen hundert Europäern andrer Nationalität erzeugte tiefe Erbitterung gegen England, nicht minder die in den Burenrepubliken verübten Grausamkeiten des englischen Heeres. Daß die niederländische Regierung das Kriegsschiff Gelderland dem Präsidenten Krüger zur Verfügung stellte, der sich nach Europa begeben wollte, versöhnte die aufgeregte Bevölkerung mit der anfangs vielfach gemißbilligten vorsichtigen Haltung der Regierung England gegenüber. Die Vermählung der Königin mit Herzog Heinrich von Mecklenburg-Schwerin (s. Heinrich 45) fand 7. Febr. 1901 statt.
Das Ministerium Pierson, das sich durch etliche Gesetze in sozialer Richtung (Unfallversicherung) und durch sein Schulpflichtgesetz viele Feinde gemacht hatte, wurde infolge der in antiliberaler Richtung ausgefallenen Wahlen für die Zweite Kammer von 1901 von einem antirevolutionär-katholischen Ministerium Kuyper (s. d.) aus der jetzt ziemlich starken »christlichen« (d.h. antirevolutionär-katholischen) Majorität ersetzt. Es regierte in antiliberalem Sinn nach den von Groen van Prinsterer (s. d., Bd. 8), Kuyper und Schaepman (s. d.) entwickelten Grundsätzen, wirkte wesentlich zum Frieden in Südafrika (31. Mai 1902) mit und hatte im Frühjahr 1903 mit einem großen Streik zu kämpfen, der Ende Januar nur die Transport- und Eisenbahnarbeiter, Anfang April auch andre Arbeiter unter anarchistisch-kommunistischer Führung umfaßte, also politischer Art war, aber unter Mitwirkung der gemäßigten liberalen und kräftigen Aktion der katholischen und reformierten Arbeiter unter Aufgebot der Miliz, jetzt durch ein von den Sozialisten heftig bestrittenes Gesetz gegen politische Streike beendigt wurde. Die »christliche« Majorität wendete sich an erster Stelle gegen den liberal gefärbten Unterricht, führte das seit 1889 bestehende Subsidiensystem für die niedere Volksschule energisch durch und stimmte (1904) für ein Gesetz für den höhern Unterricht, wobei den freien Universitäten, wie der schon bestehenden reformierten in Amsterdam, das Promotionsrecht und bürgerliche Gleichstellung mit den Staatsuniversitäten überhaupt zugestanden wurde. Die noch in Mehrheit liberale Erste Kammer, die sich gegen das letzte Gesetz gesträubt hatte, wurde aufgelöst und kam auch mit einer starken »christlichen« Majorität zurück. Die endgültige Pazifikation Atschins durch van Heutsz und die energische Handhabung der Neutralität in Ostindien während des russisch-japanischen Krieges erstarkte die »christliche« Regierung und die außerordentliche Persönlichkeit Kuypers gab ihr eine große äußerliche Kraft; aber auch die liberale Partei sammelte in dessen ihre Kräfte und brachte es mit Hilfe der übrigens nicht zahlreichen Sozialisten bei den Neuwahlen von 1905 zu einer kleinen Majorität. Kuyper, der auch bei seiner eignen Partei auf persönlichen Widerstand gestoßen hatte, mußte nun weichen, und ein liberales Koalitionsministerium wurde gebildet vom gewandten liberalen Führer Goeman Borgesius (s. d.), der aber nicht selbst ins Ministerium trat, sondern den bisher politisch nicht hervorgetretenen de Meester als Ministerpräsident auftreten ließ. Dieses nicht eigentlich politische Ministerium versprach an erster Stelle soziale Reformgesetze und sing im Frühjahr 1906 an mit einem Arbeiterkontraktgesetz. Das Ministerium scheint im allgemeinen ein »cabinet d'affaires« sein und die politischen Zwistigkeiten für gemäßigte soziale Reformpläne weichen lassen zu wollen, während in Ostindien neben der schon vom vorigen Ministerium vorgenommenen Einschränkung der Ausgaben, Verbesserung der finanziellen Verhältnisse und Entwickelung der Anfänge lokaler Selbstregierung, kräftige Handhabung der niederländischen Suprematie unter dem neuen Generalgouverneur van Heutsz vorgenommen mird; die Bestrafung der unbotmäßigen Fürsten auf Celebes ist im Frühjahr 1906 mit Energie durchgesetzt. die Entwickelung auch der westindischen Kolonien zur Hand genommen.
[Geschichtsliteratur.] Wagenaar, De vaderlandsche historie vervattende de geschiedenissen der vereenigde Nederlanden (Amsterd. 1749–60, 21 Bde.; Supplement bis 1790, das. 1789–90,. 3 Bde.; Fortsetzung von 1776 bis 1802, das. 1788–1810, 48 Bde.); Bilderdijk, Geschiedenis des vaderlands (Leid. 1832–53, 13 Bde.); Leo, Zwölf Bücher niederländischer Geschichten (Halle 1832- 1835, 2 Bde.); Holzwarth, Der Abfall der N. (Schaffh. 1865–72, 2 Bde.); Wenzelburger, Geschichte der N. (Gotha 1878–86, Bd. 1 u. 2); Blok, Geschiedenis van het nederlandsche volk (bisher 6 Bde., Groning. 1891–1905; deutsche Ausgabe, Gotha 1901 ff.); Nyhoff, Staatkundige geschiedenis van Nederland (Zutphen 1890–93, 2 Bde.); Wijnne, Geschiedenis van het vaderland (8. Aufl., Groning. 1897, Schulbuch); Motley, Rise of the Dutch republic (Lond. 1856, 3 Bde.; deutsch, Dresd. 1857–60, 3 Bde.), History of the United Netherlands (Lond. 1860–64, 4 Bde.) und John of Barnevelt (das. 1874, 2 Bde.), wiederholt aufgelegt; Nuyens, Algemeene geschiedenis des Nederlandschen volks (Amsterd. 1872–82, 20 Bde.) und Geschiedenis der nederlandsche beroerten in de XVI. eeuw (das. 1865–70, 4 Tle., katholisch); Groen van Prinsterer, Handboek der geschiedenis van het vaderland (4. Aufl., das. 1874, antirevolutionär); Arend, Algemeene geschiedenis des vaderlands (mit Fortsetzungen von van Rees, Brill und van Vloten, das. 1840–83, Bd. 1–5); van Welderen Rengers, Schets eener parlementaire geschiedenis van Nederland (2. Ausg., Haag 1905–06, 2 Bde.). Die geschichtliche Literatur über Niederländisch-Indien s. beim Artikel »Niederländische Kolonien«, Geschichte, S. 652 f.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.