Haag [1]

Haag [1]

Haag (den Haag, eigentlich 's-Gravenhage, 's Hage, franz. la Haye, lat. Haga comitis, »Grafenhain«), die Residenz der Königin der Niederlande. Sitz der Landesregierung und des höchsten Gerichtshofs, Versammlungsort der Generalstaaten, Hauptstadt der Provinz Südholland, liegt 4 km von der Nordsee, bloß durch Dünen davon getrennt, an der Linie Amsterdam-Rotterdam der Holländischen Eisenbahn, mit Gouda und Scheveningen durch Zweigbahnen verbunden, und bildet mit dem Badeort Scheveningen an der Nordsee eine Gemeinde. Der H. ist die schönste Stadt der Niederlande. In der Mitte der Stadt liegt der Weiher (Vijver), ein von Alleen umgebenes Wasserbecken mit Insel.

Wappen vom Haag.
Wappen vom Haag.

Unter den Plätzen zeichnen sich aus: der Buitenhof, südlich vom Weiher, mit dem Standbild Wilhelms II., der von Gräben umschlossene Binnenhof mit vielen ansehnlichen Gebäuden, das Plein, der Vijverberg, der Plaats, das Tournooiveld. Die Hauptstraßen, Kanäle etc. sind: das mit Bäumen bepflanzte Voorhout, der Kneuterdijk, der Prinzen- und Prinzessinnen-, der Königinnengraben, der Wilhelmspark. Seit 1885 führt eine 172 m lange Passage mit 25 m hoher Kuppel vom Buitenhof südwärts nach der Spuistraat. Von den künstlerisch wenig bedeutenden 27 Kirchen der Stadt gehören fünf der größten den Reformierten (darunter eine französische), ebenso viele den Römisch-Katholischen; die Juden haben zwei Synagogen, eine deutsche und portugiesische, die Russen eine Kapelle. Von den übrigen Konfessionen haben eigne Kirchen die Lutheraner, die Deutsch-Evangelischen, die Remonstranten, die englischen Episkopalen, die alten Reformierten etc. Die hervorragendste Kirche im H. ist die Groote Kerk (St. Jakobskirche), ein gotischer Bau aus dem 15. und 16. Jahrh., mit einem sechseckigen Turm nebst Glockenspiel. Zu den schönsten und wichtigsten Gebäuden gehören: die königliche Bibliothek mit ca. 400,000 Bänden, wertvollen Miniaturen, Handschriften, Münz- und Kameenkabinett; das Museum Meermanno-Westreenianum (eine reichhaltige Sammlung alter Drucke, Handschriften, Vasen und Skulpturen etc.), in der Nähe die Geschützgießerei und das Reichsarchiv; ferner die Paläste der Königin und der Königin-Mutter; das Provinzialregierungsgebäude, die Gebäude der verschiedenen Ministerien (darunter das der Marine mit einer bedeutenden Sammlung von Schiffsmodellen und nautischen Gegenständen und das Justizministerium, ein prächtiger Bau im holländischen Renaissancestil); das neue Gebäude für den obersten Gerichtshof; der den Binnenhof umgebende sogen. Alte Hof von Holland, durch den Grafen Wilhelm II. gestiftet, mit den Sitzungssälen der beiden Kammern der Generalstaaten und dem ehemaligen Rittersaal, einem kapellenähnlichen Ziegelbau aus dem 13. Jahrh. (auf dem Platz vor dem Gebäude wurde Oldenbarneveldt enthauptet); ferner das Mauritshuis am Platz Plein (vom Grafen Johann Moritz von Nassau erbaut), mit einer ausgezeichneten Sammlung von Gemälden der holländischen Schule, unter denen besonders Rembrandt, Potter und Jan Steen vertreten sind; die königliche Musikschule und Zeichenakademie; das von Gugel erbaute großartige Gebäude für Künste und Wissenschaften mit einem nahezu 2500 Menschen fassenden Saal; das Gebäude der Société littéraire (Witte Societeit); das Stadthaus (16. Jahrh.); das 1875 restaurierte Gefangenentor, worin 1672 die Brüder Cornelius und Jan de Witt gefangen saßen und vom Pöbel zerrissen wurden.

H. zählt als Gemeinde mit Scheveningen (1990) 212,211 Einw. Die Industrie ist nicht ohne Bedeutung; es gibt große Eisen-, Kupfer- und Metallgießereien, zahlreiche Tischlereien, Wagenbauanstalten, Ofenfabriken, Gold- und Silbertreffen- und Schminkefabriken, Buchdruckereien und eine Geschützgießerei. Die wissenschaftlichen und Unterrichtsanstalten der Stadt bestehen in einem Gymnasium, 3 höhern Bürgerschulen, einer Zeichenakademie (zugleich für technische Wissenschaften), einer Seefahrtsschule, einer Musikschule, einem städtischen Museum (seit 1884, mit Gemäldesammlung), der Gemäldegalerie des Barons von Steengracht, der Indische Genootschap und dem Instituut voor de Taal-, Land-en Volkenkunde van Ned.-Indië mit ausgezeichneter Bibliothek, einem zoologisch-botanischen Garten und einigen Altertümersammlungen, einer Menge Volksschulen, der Louisa-Stiftung, einer von den Freimaurern unterhaltenen Erziehungsanstalt für Knaben und Mädchen, der Gesellschaft Diligentia für Naturwissenschaften und andern Gesellschaften, einem Theater etc. Zu den Wohltätigkeitsanstalten gehören die Waisen- und Alte-Männer- und Weiberhäuser der verschiedenen Glaubensbekenntnisse, eine Idiotenanstalt, die Militär- und Bürgerhospitäler etc. Von Standbildern sind noch die Statue des Prinzen Wilhelm I. von Royer (auf dem Plein in der Nähe des Mauritshauses) und desselben ehernes Reiterstandbild von Nieuwerkerke (vor dem königlichen Palast in der Noordeinde, seit 1845), ein Denkmal zu Ehren des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar (im Voorhout, seit 1866), die Statue Spinozas (1881, von Hexamer) und das kolossale Denkmal zum Andenken der Befreiung von der französischen Herrschaft (von Jaquet, 1869 eingeweiht, mitten im Wilhelmspark) zu erwähnen. Unweit des königlichen Palastes liegt der Prinzessinnengarten, der schönste im H. Den größten Zuwachs und die meiste Verschönerung erhielt die Stadt in den letzten Jahrzehnten durch Anbau breiter Straßen und schöner Landhäuser (der indischen Nabobs) im Wilhelmspark, an dem Wege nach Scheveningen und südlich vom »Haagschen Busch« (het Bosch). Letzterer, an die Stadt grenzend, enthält prächtige Alleen, dichten Wald, schöne Teiche, einen Hirschpark und das königliche Landhaus »Haus im Busch« (Huisten Bosch, 1647 erbaut) mit dem achteckigen, herrlich gemalten Oraniensaal. H. ist der Geburtsort der Dichter Johannes Secundus und Konstantin Huygens und des Mathematikers Christian Huygens.

Geschichte. Der H. war im 13. Jahrh. nur ein Jagdschloß der Grafen von Holland; Graf Florens V. machte es zu seiner Residenz. Doch war der Ort damals nur ein ansehnliches Dorf und erhielt auch in der Zeit der alten Republik nie Stadtrechte, war daher in den Staaten von Holland nicht vertreten. Dagegen war er Sitz der Regierung und des höchsten Gerichtshofs von Holland und seit Wilhelm von Oranien bis zum Ende der Republik Sitz der Generalstaaten. H. war im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. der Mittelpunkt der europäischen Diplomatie. Von den hier geschlossenen Verträgen etc. sind vor allem zu nennen: am 23. Jan. 1668 die Tripelallianz zwischen England, Schweden und den Niederlanden, im Februar 1691 die Haager Zusammenkunft der deutschen Fürsten im Kriege wider Frankreich, 31. März 1710 das Haager Konzert zwischen dem deutschen Kaiser, England und Holland zur Aufrechthaltung der Neutralität der deutsch-schwedischen Provinzen in dem Krieg der nordischen Mächte gegen Schweden, 4. Jan. 1717 die Tripelallianz zwischen Frankreich, England und Holland zur Sicherung der Aufrechthaltung der Bestimmungen des Utrechter Friedens, 17. Febr. 1717 der Friede zwischen Spanien, Savoyen und Österreich, worin ersteres die Bestimmungen der Tripelallianz anerkannte, und 16. Mai 1795 der Friede mit Frankreich. Zuletzt (1899) wurde hier die Friedenskonferenz der europäischen und außereuropäischen Staaten abgehalten und der H. zum Sitz des daraus hervorgegangenen stehenden Schiedsgerichtshofs erkoren, wohin verschiedene Staaten ihre Diplomaten schickten (Weiteres s. Friedenskonferenz). König Ludwig Napoleon verlieh dem Ort Stadtrechte, verlegte aber die höchsten Landesbehörden bald nach Utrecht und Amsterdam. Durch das Haus Oranien stieg H. als fürstliche, dann königliche Residenz zu höherm Glanz. Vgl. van Stockum, 's Gravenhage in den loop der tijden (Haag 1889, 2 Tle.).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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