China [3]

China [3]

China (hierzu 3 Karten: »China und Japan«, »Die Provinzen Tschili und Schantung«; ferner »Unterlauf des Pei-ho etc.« bei S. 55), in eigentlichem Sinn das »Land der 18 Provinzen« (Schipa schöng), das alte Stammland der chinesischen Herrschaft, oft noch gleichbedeutend mit Chinesisches Reich (s.d.) gebraucht. Der Name C. ist wahrscheinlich malaiischen Ursprungs und zu alter Zeit von Hinterindien aus auf C. übertragen. Der europäischen Kultur des Altertums waren die Bewohner gerüchtweise als Siner oder Serer (Seidenleute) bekannt. Die Chinesen nennen ihr Land namentlich Tschung kwo (Reich der Mitte), nicht aber Himmlisches Reich. Der mittelalterliche Name Kitai oder Kathay (bei Marco Polo für Nordchina) hat sich bei den Russen und Nordasiaten erhalten. Die Chinesen haben sich auch jeweilig nach ihren Dynastien genannt, z. B. Söhne der Han, der Ming.

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Lage und Grenzen. C. umfaßt den südöstlichen Teil des Chinesischen Reiches zwischen der mongolischen Steppe im N., dem tibetischen Hochland im W., Hinterindien im S., dem Meer im S. und O. Die Nordgrenze wurde früher durch die Chinesische Mauer (s.d.) bezeichnet, jetzt sind noch einige Gebiete nördlich derselben, soweit der Abfluß zum Meere reicht, den Provinzen Schansi und Tschili hinzugefügt. Die Breitenausdehnung liegt zwischen 44 und 18° nördl. Br. (einschließlich der Insel Hainan), die Längenausdehnung zwischen 98 und 125° östl. L., nach beiden Richtungen etwa 2200 km, bei einem Flächeninhalt von 3,877,000 qkm; letztere Zahl ist noch recht unsicher.

Bodengestaltung

Gebirge. Von dem aus vielen Parallelzügen gebildeten Kwenlun-System Innerasiens setzen sich zwei Ketten, zu einer verschmelzend, als Östlicher Kwenlun gegen O. nach C. hinein fort. Dies Gebirge, im Hauptteil (bis etwa 110° östl. L.) Tsinlingschan genannt, bildet die schärfste Scheide zwischen einem nördlichen und einem südlichen C. nach allen Verhältnissen (Bodengestaltung, Bewässerung, Klima, Besiedelung, Bodenbau, Verkehr). Der Tsinlingschan ist ein mauerartiger, schwer übersteigbarer Gebirgswall von hohem Alter, seine größten Höhen liegen zwischen 3000 und 4000 m. Früher dehnte er sich wahrscheinlich ununterbrochen bis zur Gegend der Jangtsekiangmündung aus. Jetzt findet er seine Fortsetzung nur noch im Funiuschan (2–3000 m) und (nach einer Unterbrechung) im Hwaigebirge (1500 m [?]). Das Land im N. kann als Nordchinesisches Tafelland bezeichnet werden. Es besteht aus flach gelagerten Gesteinsschichten, die aber hoch mit Löß beschüttet sind, der das ganze nördliche C. beherrscht; in das Tafelland, das in zahlreiche Schollen verworfen ist, ist namentlich längs des Fönnho in Schansi und längs des Weiho in Schensi eine Reihe von Becken eingesenkt, die für Besiedelung, Kultur und Politik (Verteidigung) hochwichtig sind. Vom mittlern Schansi gegen NO. streicht eine Folge von parallelen Gebirgsketten, die als Nordchinesischer Gebirgsrost zusammengefaßt werden (Wutaischan [über 3000 m], Kleiner Wutaischan [3000 m], Nan kou schan [800–1000 m] und südlich davon zu beiden Seiten der Ebene von Peking der Höngschan und Wulungschan). Der Nordchinesische Gebirgsrost, der Abfall des Nordchinesischen Tafellandes (Taihangschan 600–900 m) und der Abbruch des östlichen Kwenlun, ferner das Hwaigebirge begrenzen im N. und W. das Einbruchsfeld der Großen Ebene, das südlich noch das Deltagebiet des Jangtsekiang umfaßt und mit dessen Sedimenten sowie namentlich denen der verschiedenen Läufe des untern Hwangho bedeckt ist. Inselartig ragt aus der Großen Ebene das Gebirgsland von Schantung auf, das in der Halbinsel Schantung steil ins Meer fällt, es erreicht im Taischan 1545 m; der westliche Teil ist ein verworfenes Schollenland, der östliche ein abradiertes Faltungsgebirge aus ältesten Gesteinen mit einzelnen höhern Zügen (Laischan 750, Aischan 1000, Lauschan über 1000 m). Fast das ganze Gebiet südlich vom Ostlichen Kwenlun (Tsinlingschan) wird von Faltungen in der Durchschnittsrichtung SW. bis NO. (Sinisches System) durchzogen. Als wichtige Niveaustufe hat v. Richthofen eine Reihe von bogenförmig verlaufenden, mit dem Abfall nach O. und S. gerichteten Verwerfungslinien, die in Nordchina die Nord- und Westgrenze der Großen Ebene bilden, weiter durch Südchina verfolgt; sie begrenzen im W. die Ebene des Hankiang und des Tungtingsees und scheiden die verkarsteten Hochflächen von Kweitschou und Jünnan von dem weiten Hügelland Südostchinas. Letzteres, nach dem Verlauf der unzähligen parallelen Faltungszüge auch als Gebiet des Südchinesischen Gebirgsrostes zu bezeichnen, hat massigere Gebirge nur auf der Westgrenze der Küstenprovinzen Tschekiang und Fokiën aufzuweisen (Wuischan [Bohea der Engländer] 2009–2400, Tahwangschan etwa 2000 m). Auf der Nordgrenze von Kwangtung gehen die höchsten Gipfel keinesfalls viel über 1000 m hinaus, die Pässe (Meiling und Tscheling) haben nur 300 m. An der Westgrenze von C. treten Hochgebirgsketten von N. bis S.- Richtung (Hinterindisches System) auf und ziehen sich bis ins nördliche Sz'tschwan hinauf (Gambugebirge bis 7000. Tasüeschan im Dschara 7800 m erreichend). Der Winkel zwischen diesen meridionalen Ketten und dem Ostlichen Kwenlun wird wieder von Gebirgsfalten Sinischen Systems (SW. bis NO.) ausgefüllt, die in der Nähe jener ebenfalls zu Hochgebirgen anschwellen (Taliangschan in Süd-Sz'tschwan ca. 6000 m, Ketten in Nord-Sz'tschwan 5–6000, Tapaschan südlich vom Tsinlingschan bis 3000 m). Zwischen diesen und der Hochfläche von Kweitschou eingesenkt, liegt das Rote Becken von Sz'tschwan, benannt nach der charaktergebenden Farbe des Sandsteinbodens, bis auf die Ebene von Tschongtufu ein sanftes Hügelland von 900–1200 m ü. M.

Geologische Verhältnisse. Außer dem in den Hochgebirgen, in Schantung und in Südostchina weitverbreiteten Urgebirge sind paläozoische Schichten nach ihrer Mächtigkeit und Ausdehnung von größter Wichtigkeit. Die durch v. Richthofen festgestellten Sinischen Schichten (hauptsächlich Kambrium) herrschen im Nordchinesischen und Südchinesischen Gebirgsrost, in Schantung und im Ostlichen Kwenlun vielfach vor, Silur und Devon finden sich namentlich im S. vom Tsinlingschan und in den Hinterindischen Ketten. Das Nordchinesische Tafelland wird (unter der Lößdecke) vermutlich fast völlig aus den Schichten der Steinkohlenformation zusammengesetzt, die außerdem in Südchina (Hunan, Kweitschou und Jünnan, in letztern Provinzen besonders als Kohlenkalk) weite Verbreitung findet. Mesozoische Ablagerungen erfüllen die großen Becken in Südchina (Sz'tschwan, Kwangsi, Hunan etc.) und enthalten ebenfalls häufig Kohle. Unter den neuern Gebilden ist der Löß (s.d.) für den Norden, der Laterit für den Süden am wichtigsten; der erstere ist als »gelbe Erde« in Nordchina überhaupt maßgebend für die gesamte kulturelle Entwickelung (Bewässerung, Siedelung, Landwirtschaft, Verkehr). Jüngere vulkanische Gesteine haben geringe Verbreitung; sie bilden Lavadecken an der Nordgrenze gegen die Mongolei und finden sich in der Umrandung der Großen Ebene (namentlich im Hügelland von Nangking und im SO. [südliches Jünnan]).

Die Bewässerung, natürliche und künstliche, ist in C. überaus reichlich. Man kann folgende fünf hydrographische Provinzen unterscheiden: das Nordchinesische Stromgebiet oder das des Hwangho (s.d.), zu dem wegen der häufigen Wanderungen von dessen Unterlauf auch der größte Teil der Großen Ebene (bis Peking hinauf) zu rechnen ist; das Mittelchinesische Stromgebiet oder das des Jangtse (Jangtsekiang, s.d.); das Südchinesische Stromgebiet, hauptsächlich das des Sikiang (s.d.); das Gebiet der südostchinesischen Küstenflüsse (Tschekiang und Fokiën); das Gebiet der hinterindischen Ströme (West-Jünnan). Weitaus der wertvollste Strom in C. ist der Jangtsekiang, der dem Land ein ungeheures Netz schiffbarer Kanäle bietet. das künstlich noch sehr erweitert und verbessert ist. Namentlich das Mündungsgebiet des Jangtse ist ganz mit Kanälen durchzogen, aber auch der gesamte übrige Teil der Großen Ebene, der von dem an sich fast unschiffbaren Hwangho beherrscht wird; der größte Kanal, der Kaiserkanal (s.d.), führt aus dem Delta des Jangtse bis Tientsin. Durch den bei Hankou mündenden Hankiang werden Verbindungen nach Nordchina, durch den Siangkiang und Kiakiang solche nach den südlichsten Provinzen geschaffen. Von Landseen sind die größten der Tungtinghu (5000 qkm), der Poyanghu (5000 qkm), der Taihu (2500 qkm), sämtlich im untern Jangtsegebiet; die Seen von Talifu und Jünnanfu (Jünnan); außerdem ist die Ebene von Hankau und die Große Ebene mit zahllosen Seen bedeckt.

Die Küste, deren Länge auf 5570 km geschätzt wird, ist in ihrer südlichen Hälfte, namentlich von Hainan bis zur Jangtsemündung, sehr inselreich und stark gegliedert, ebenso in der Halbinsel Schantung; auf diese Strecke sind auch die guten Häfen beschränkt. Sonst ist sie flach und für die Schiffahrt durch Untiefen gefährlich. Für die Beleuchtung dienen 75 Leuchtfeuer (einschließlich der auf dem untern Jangtse) und eine große Zahl von Bojen und andern Zeichen. Große Gefahren bringen die Zyklone oder Taifune (Wirbelstürme). Größere Buchten der Küste sind die von Liautung und Tschili (Inneres Gelbes Meer), die Hangtschoubai und der Golf von Tongking. Von den zahlreichen Inseln seien außer Hainan (34,000 qkm) die Gruppe der Tschusan-Inseln vor der Hangtschoubai und die der Miautau-Inseln in der Meeresstraße von Tschili erwähnt.

C. gehört seinem Klima nach der Monsunregion Ostasiens an. Als Wirkung des Hochdruckgebietes über Innerasien herrschen im Winter Nord- und Nordwestwinde vor, daher trockne und kalte Winter, im Sommer wegen des niedrigen Luftdruckes über Innerasien Süd- und Südwestwinde, daher sehr feuchte Sommer mit gleichmäßigen Wärmeverhältnissen. Nur im Innern Chinas ist der Monsuncharakter abgeschwächt. Der kälteste Monat ist der Januar, der wärmste meist der Juli. Die Wärmeschwankungen sind im Winter sowohl in Bezug auf die Monats-als auch auf die Tagesmittel sehr erheblich, dagegen gering in den Sommermonaten.

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Die Niederschlagsmengen haben ihr Maximum im S. (Hongkong 2291 mm), nach N. hin nehmen sie bedeutend ab (Peking 500–600 mm). Am wenigsten Regen fällt überall in den Wintermonaten, am meisten im Mai bis September. Die Zahl der Regentage liegt durchschnittlich unter 100. (Vgl. Thirring in der »Meteorologischen Zeitschrift«, 1887 und 1888; Supan in »Petermanns Mitteilungen«, 1896.) Die äquatoriale Grenze des Schneefalles reicht bis zur Südküste, die des jährlichen Schneefalles bis Schanghai. Über Bodengestaltung, Bewässerung und Klima vgl. Tiessen, C., das Reich der 18 Provinzen; Teil 1: Allgemeine Geographie des Landes (Berl. 1902).

Von der Pflanzenwelt Chinas ist, wie überhaupt vom Innern des Reiches, wenig bekannt. Sie ist im wesentlichen eine Mischung europäisch-sibirischer und indischer Formen, von denen erstere im N., letztere im S. überwiegen, auch ist Anlehnung an die japanische Flora erkennbar; jedoch sind auch viele selbständige Formen vorhanden, namentlich scheinen die Hochgebirge in Jünnan ein Zentrum phytologischer Entwickelung gewesen zu sein. In den Gebieten dichtester Bevölkerung, besonders in der Großen Ebene und an der ganzen Küste, ist infolge der Einwirkung menschlicher Kultur eine Unterscheidung zwischen einheimischen und eingewanderten Formen unmöglich geworden. Gleichen Gründen ist die geradezu bedenkliche Entwaldung der Gebirge zuzuschreiben, die sich nur im W. noch nicht bemerkbar macht. Als Eigentümlichkeit wird bislang die große Mannigfaltigkeit der Holzgewächse gegenüber andern Pflanzenformen hervorgehoben. Immergrüne Bäume wachsen noch im N. (Eichen), überhaupt sind die meisten Bäume immergrün. Nadelhölzer verbinden sich mit Lorbeergewächsen. Charakteristisch sind: Pinus chinensis an der Küste Südchinas, Pinus Bungeana mit weißlicher Rinde in Nordchina, die chinesische Zypresse (Cupressus funebris), überall auf Gräbern, Podocarpus mit olivenähnlichem Blatte, die Gattung Gingko; unter den Gräsern die Bambusarten. Von Laubhölzern sind außer Eichen, Kätzchenträgern, Linden, Eschen und Sykomoren mit besondern Arten zu erwähnen: der Kampferbaum (wild nicht im N.), Laurazeen und Magnoliazeen. Unter den Sträuchern sind besonders häufig: Kamelien, Teepflanzen, Rhododendren, Rubiazeen, Myrsineen, Styrazeen, Ilicineen und Korneen (Ancuba); Oleander und Myrten erinnern an die europäische Mittelmeerflora. Unter den Araliazeen ist der Ginseng (Panax Ginseng) als Arznei hochgeschätzt, gedeiht aber fast nur noch in der Mandschurei und Korea, kaum noch in Tschili. Die chinesischen Gärten sind berühmt, die Gewässer durch ihre Flora von Nelumbium (Lotos). Vgl. Bretschneider, History of the European Botanical Discoveries in C. (Lond. 1898); Diels in Englers »Botanischen Jahrbüchern«, Bd. 24 (Leipz. 1897).

Die Tierwelt Chinas gehört zwei tiergeographischen Regionen an, überwiegend der mandschurischen oder mongolischen Subregion der paläarktischen Region; hierher gehört ganz Ostchina vom Amur bis zum Jangtsekiang; der südlich dieses Stromes gelegene Teil gehört zur orientalischen Region, und zwar zu deren indochinesischer Subregion. Die Tierwelt Chinas ist, entsprechend der vielseitigen Bodengestaltung, die neben den höchsten Gebirgen gewaltige Flußläufe und ausgedehnte Wüsteneien bietet, eine außerordentlich mannigfaltige, und es können hier nur einige Charaktertiere hervorgehoben werden. Das mächtigste Raubtier ist der Tiger, der von der orientalischen Region bis zum Amur und selbst darüber hinausgeht; neben ihm kommen andre Katzenarten und kleinere Raubtiere vor; die Insektenfresser sind durch eine Reihe typischer Gattungen vertreten. Von den Hirscharten findet sich die merkwürdigste, der Milu (Elaphurus Davidianus), nur in einem kaiserlichen Park bei Peking, hierzu kommen noch Formen mit kurzem Geweih oder ohne Geweih. Im südlichen C. finden sich von orientalischen Charaktertieren unter andern der Elefant und der Schabrackentapir. In den Gebirgsgegenden des westlichen C. leben charakteristische Affen, eine eigentümliche Bärenart und das durch die fortgesetzten Nachstellungen immer seltener werdende Moschustier. Unter der Vogelwelt nehmen die weitaus erste Stelle die Fasanen ein, vertreten durch prachtvoll gefiederte, meist in Gefangenschaft gezogene Arten, ferner auf den Gewässern unzählige Arten von Wasservögeln, namentlich Gänse und Enten. Die Reptilien sind im S. häufiger, darunter von Giftschlangen die Brillenschlange und die Pama (Bungarus annularis). Von Amphibien ist die interessanteste Form ein Riesensalamander (Sieboldia Davidiana), dem japanischen verwandt. In der Fischfauna ragen die karpfenähnlichen Fische hervor. In der Verbreitung der Landmollusken darf C. den Charakter einer eignen Provinz beanspruchen. Von Schmetterlingen und Käfern sind C. viele Gattungen eigen; eine Coccus-Art erzeugt Pflanzenwachs.

Areal und Bevölkerung

Nach Sakharow zählte das ganze Reich 1749 nur 177, stieg bis 1780 auf 277 Mill., erreichte 1812 die Ziffer 360 und 1852 die von 420 Mill. Die neuesten Schätzungen gaben nur 360 Mill. Allerdings hat C. viele Millionen in letzter Zeit durch Überschwemmungen, Aufstände und Hungersnöte verloren. Eine neue Volkszählung nennt freilich nach den noch nicht beglaubigten Ergebnissen wieder 426,447,325 für das Reich, 407,737,305 für die 18 Provinzen. Die zuverlässigsten Hilfsmittel geben Areal und Bevölkerung der 18 Provinzen wie folgt an:

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Trotz der Liebe zur Heimat zwingt die Übervölkerung vieler Landschaften zur Auswanderung, namentlich in Kwangtung und Fokiën. Begräbnis in der Fremde gilt jedoch als Unglück, so daß man die Toten wenigstens in heimatliche Erde legt, deren Einfuhr sich nach allen Gegenden lohnt, wo chinesische Arbeiter leben. Das erste Ziel der chinesischen Auswanderer war Hinterindien und der Archipel, wohin noch jetzt jährlich viele Tausende auswandern. In Niederländisch-Indien zählte man 1901: 469,514 Chinesen (309,859 Männer). Die chinesische Bevölkerung von Hinterindien beträgt an 4 Mill., die Hälfte der Einwohner von Bangkok sind Chinesen, in Singapur beherrschen sie fast den Handel. Die Goldentdeckungen in Kalifornien und Australien zogen einen starken Strom von Chinesen dorthin, aber bald wurden in Nordamerika Verbote gegen die chinesische Einwanderung erlassen. Dennoch wurden 1900 in der nordamerikanischen Union 119,050 Chinesen gezählt, der größte Teil in den pacifischen Staaten. In den sieben australischen Kolonien lebten 1901 etwa 35,000 Chinesen, gegen früher eine starke Abnahme. Dem Inselreich Hawai, wo man 1901: 25,742 Chinesen zählte, haben sie den Aussatz gebracht. Bei dem Bau der Panama-Eisenbahn und des Kanals hat man Chinesen massenhaft verwendet, die meist zu Grunde gingen. Ebenso sind Tausende von Chinesen nach Zentral- und Südamerika, Chile, Réunion, Britisch-Westindien, besonders aber nach Cuba gezogen worden.

Städte. Über die Einwohnerzahl der Städte Chinas gehen die Schätzungen weit auseinander. Als größte Stadt wird Kanton mit 1,600,000 Einw. angenommen, darunter bis zu 1 Mill. haben Siangtan, Singanfu und Tschangtschoufu, unter 1 Mill. und bis 500,000 Einw. 9 Städte: Tiëntsin, Tschöngtufu, Hankou, Futschou, Hangtschousu, Schaohing, Peking, Sutschou und Wöntschou, unter 500,000 und bis 200,000 Einw. die Städte: Nanking, Fatschan, Schanghai, Taiyüenfu, Tschungking, Ningpo, Weihsiën, Tengtschoufu, Yungping, Tsinanfu und Wutschangfu und unter 200,000–100,000 Einw. die Städte: Tschinkiang, Pautingfu, Tschifu, Tungkun, Hanyang, Hutschoufu, Schäklung, Tungtschou. Alle chinesischen Städte haben ähnliche Bauart, gewöhnlich einen viereckigen Kern, von hohen Mauern mit Türmen, zuweilen auch von Gräben umgeben. Er enthält fast nur die Beamtenwohnungen, weite Räume sind öde, Verkehr fehlt. Sitz des Handels sind die Vorstädte. Die Straßen sind meist krumm und eng, selten breiter als 3–4 m, im S. vielfach noch enger und für Wagen nicht passierbar. Daher fehlt es sehr an Lüftung; Wasserabzüge sind selten vorhanden, gewöhnlich verpestet Unrat die Straßen. Feuersbrünste sind häufig, werden aber energisch bekämpft.

Kulturverhältnisse

(Hierzu die Tafel »Chinesische Kultur I u. II«.)

Die Bevölkerung Chinas bestand ursprünglich aus tibetischen und hinterindischen Stämmen, deren Überreste als Sifan, Yao, Lolo und Miaotse heute in Jünnan, Kweitschou, Kwangsi und Kwangtung wohnen. Sie wurden zurückgedrängt durch ein von NW. (nach der chinesischen Mythologie vom Kwenlun) einwanderndes Volk, das den Grundstock der mit allerlei mongolischen Elementen vermischten eigentlichen Chinesen bildet. Später kamen türkische Stämme, endlich als Eroberer die Mandschu hinzu, ein zum tungusischen Zweig der Altaier gehöriger Stamm, die heute in den wichtigern Städten, wo sie die sogen. Tatarenstadt bewohnen, die Besatzung bilden. Außer den der großen mongolischen Rasse und, mit Ausnahme der Mandschu, den Völkern mit einsilbigen Sprachen angehörigen Stämmen wohnten 1900 in den dem fremden Handel geöffneten Vertragshäfen (s. unten) 16,811 Europäer, Japaner und Amerikaner.

Die eigentlichen Chinesen (s. Tafel »Asiatische Völker I«, Fig. 17) sind selten über 1,52 m groß, die Frauen meist noch kleiner. Das Gesicht ist rund; die Augen sind klein, eng geschlitzt, weit voneinander abstehend, stets schwarz, häufig schief gestellt, mit dicken Augenbrauen; die Backenknochen vorstehend; die Nase klein und platt. die Stirn niedrig, die Lippen dicker als bei den Europäern; Bart auf Kinn und Oberlippe ist selten, das Haupthaar straff und schwarz. In der Muskelbildung stehen die Chinesen den kaukasischen Rassen nach; eine gewisse Schlaffheit der Gesichtsmuskeln verleiht dem Mann einen weibischen Typus. Die Bewohner der einzelnen Provinzen sind sehr verschieden, die des nördlichen C. im allgemeinen stärker als die der mittlern und südlichen Provinzen; die der letztern sind auch dunkler als die mehr rötlichen des Nordens, die des mittlern C. blaßgelb. Die Bewohner der Gebirge haben sich mehr eine rohe Eigenart bewahrt.

Der gesellschaftlichen Stellung nach werden vier Klassen unterschieden: Gelehrte, Ackerbauer, Handwerker und Kaufleute. Geburtsadel tritt gegen den Berufsadel zurück. Nicht die Prinzen, sondern die hohen Beamten bilden die Aristokratie; kaiserliche Prinzen, deren es etwa 6000 verschiedener Grade gibt, werden ohne Amt kaum beachtet. Würden und Titel sind nicht erblich. Der Gelehrtenstand, der geachtetste, ergänzt sich aus allen Schichten der Bevölkerung. Nur Gelehrte und die aus ihnen hervorgegangenen Regierungsbeamten gelten als höhere Klassen. Da aber alle Klassen dem Gelde nachstreben, so fehlt es dem Wohlhabenden auch ohne Wissen nicht an Mitteln zur Gewinnung von Ansehen. Die Sklaverei ist althergebracht. Der zum Frondienst verurteilte Verbrecher ist dauernd seiner persönlichen Freiheit beraubt. Im 3. Jahrh. n. Chr. wurde den Armen gestattet, ihre Kinder zu verkaufen; hieraus entstand die Privatsklaverei. Die Kaufsklaven werden meist wie Kinder behandelt und sind gegen Mißhandlung durch Gesetze geschützt. Die weiblichen Haussklaven gehen mit dec Verheiratung in die Gewalt des Mannes über. Beschränkungen am Bürgerrecht erleiden Schauspieler und Prostituierte, Scharfrichter, Gefängniswärter.

Die Sprache der Chinesen ist unter allen Kultursprachen der Erde die einfachste. Sie besteht nur aus einsilbigen Wörtern. Ihr fehlen alle Beugungen, jede Unterscheidung von Hauptwort und Zeitwort, jede Wortbildung überhaupt, außer einfacher Zusammensetzung der Silben. Die bestimmte Bedeutung der Wörter im Satz wird durch ihre Stellung hervorgebracht, die strengen Gesetzen unterworfen ist. Die Sprache zerfällt in Schriftsprache und Umgangssprache. Die Umgangssprache besteht aus zahlreichen Dialekten, die in Aussprache und Artikulation so voneinander abweichen, daß sich die Angehörigen verschiedener Provinzen oft kaum verstehen. Allgemein verbreitet ist das sogen. Kwānhoa (»gemeinsame Verkehrssprache«) und der Mandarinendialekt als Sprache des Hofes, der Beamten und der gebildeten Klassen. Die chinesische Schrift ist aus einer Bilderschrift hervorgegangen. In der ältesten Zeit schrieb man mit einem Bambusgriffel und schwarzem Firnis; seit 220 n. Chr. mit Pinsel und Tusche. Weiteres vgl. Chinesische Sprache und Literatur.

Die geistige Befähigung der Chinesen ist nicht gering, der Durchschnitt der Volksbildung sehr bedeutend; sie haben ganz selbständig eine Reihe überraschender Erfindungen gemacht, eine umfassende, besonders enzyklopädische Literatur hervorgerufen sowie in staatlichen Einrichtungen Größeres geschaffen als alle andern Asiaten und Bleibenderes als alle andern Völker überhaupt. In der Kulturentwickelung überwiegen neben religiösen Motiven stets praktische Gesichtspunkte. Kunstsinn ist vorhanden und bedeutend ausgebildet, aber, wie überhaupt die Gesamtheit der Kulturanschauung, von dem europäischen weltenweit verschieden. Im besondern fehlt der Trieb nach wissenschaftlicher Vertiefung um ihrer selbst willen. Den Charakter der Chinesen kennzeichnet Fleiß, an Fatalismus grenzende Geduld, Anstelligkeit, Genügsamkeit, Verschlagenheit, vor allem praktischer Sinn. Als Kaufleute stehen sie in allererstem Rang. Feine und gefällige Umgangsformen findet man durchgehends in den östlichen Provinzen und im mittlern C.; Zudringlichkeit und Unfreundlichkeit bei den Bewohnern des Südens; geistigen Tiefstand und Roheit bei denen des Südwestens. Diese Verschiedenheit spricht sich auch im Benehmen gegen-die Europäer aus, die stets auf Treubruch und Übervorteilung rechnen müssen; in kaufmännischem Verkehr ist der Chinese jedoch unbedingt zuverlässig.

Die Kleidung ist nach den Provinzen verschieden, doch überall von ähnlichem Zuschnitt. Der gemeine Mann trägt baumwollene Jacke und Beinkleid, der Reichere während des Sommers Beinkleid und ein langes, weites Obergewand von Seide oder Leinwand ohne Kragen, mit weiten Ärmeln, das frei herunterhängt oder durch einen seidenen Gürtel zusammengehalten wird. An letzterm werden der Fächer in seidener Scheide, ein gestickter Tabakbeutel, eine Taschenuhr in gesticktem Beutel, eine Dose mit Feuerstein und Stahl getragen, zuweilen auch ein Messer mit Scheide und ein Paar Eßstäbchen. Als Kopfbedeckung haben die Beamten im Sommer kegelförmige Kappen aus Bambusgewebe, auf der Spitze mit einem Knopfe versehen, dessen Farbe den Rang des Trägers anzeigt, mit einem Büschel von roter Seide oder roten Pferdehaaren. Die Landleute benutzen im Sommer große, schirmartige Bambushüte, gegen Regen ein Rohrgestell, an dem das Wasser abläuft. Im Winter tragen die niedern Volksklassen wattierte Baumwollenkleider oder mehrere übereinander; Reichere kleiden sich in Tuch und Pelz. Die Feier- und Staatsanzüge sind außerordentlich kostbar und möglichst reich mit Seide und Gold bestickt. Strümpfe, meist aus Baumwolle oder aus Seide gewebt oder auch zusammengenäht, sind allgemein im Gebrauch. Die Schuhe sind aus baumwollenem oder seidenem Zeug gefertigt und mit papierner oder lederner Sohle versehen; Reiche tragen im Winter Schuhe von Tuch, Atlas oder Samt. Die Landleute gehen meist barfuß, die Lastträger auf Sandalen von Stroh. Vom Tragen weißer Wäsche, von Tisch- und Bettüchern wissen die Chinesen nichts, überhaupt ist Reinlichkeit den Chinesen nicht nachzurühmen. Die Frauentracht ist ähnlich der männlichen, nur von größerer Länge und Weite; Schleier sind unbekannt; Augenbrauen, Wangen und Lippen werden geschminkt; das Haar wird bei Verheirateten in allerlei künstlichen Gestalten geordnet, mit Gold- und Silbernadeln, Goldplättchen und Perlen, mit natürlichen und künstlichen Blumen geschmückt; die Unverheirateten tragen es in langen Zöpfen. Die Männer scheren es am Vorder- und Hinterkopf kahl ab, binden es um den Scheitel in einen Zopf, der über den Rücken herabhängt. Der Zopf ist eigentlich unchinesisch und erst durch die Mandschu (seit 1644) eingeführt worden. Vor dem 40. Lebensjahr einen Schnurrbart, vor dem 60. weitern Bart zu tragen, ist gegen die Sitte. Neben dem Zopf gehören zu den Seltsamkeiten der Chinesen die langen Nägel an der linten Hand und die verkrüppelten Füße der Frauen, die durch dauernde Einpressung von früher Jugend an derart erzeugt werden, daß der Fuß im Schuh wie eine Art Huf erscheint und zum ordentlichen Gang seine Fähigkeit verliert; die »goldenen Lilien« sind namentlich bei den vornehmern Chinesinnen zu finden. Bei den Mandschufrauen, also auch Frauen und Nebenfrauen des Kaisers, ist diese Verstümmelung der Füße nicht Sitte.

Die Wohnungen der Chinesen sind sehr verschiedener Art. Auf den Flüssen und in den großen Häfen leben viele ganz auf Schiffen oder festgelegten Flößen, neben dem Wohnschiff befinden sich oft andre als Schweinestall oder Gemüsegarten. Die um einen Hof erbauten Häuser sind einstöckig, höchstens zweistöckig und meist bloß in ihrer Hinterwand oder zwei Seitenwänden aus gebrannten oder ungebrannten Ziegelsteinen gebaut, sonst teils aus Brettern, teils aus mit Lehm bestrichenem Flechtwerk oder Matten hergestellt. Der Boden ist nicht gedielt und uneben; Papier bedeckt die Fensteröffnungen. Charakteristisch ist an größern Gebäuden das geschweifte Dach. Der Hausrat besteht aus wenigen Stühlen und Tischchen. Die Häuser haben bei Vornehmen eine besondere Ahnenhalle mit den Stammtafeln, auch geschmackvoll angelegte Gärten.

Ein Grundzug des sozialen Lebens in C. ist die Innigkeit und Strenge des Familienlebens. Der Hausvater ist im vollsten Sinne des Wortes Hausherr, mit unumschränkter Gewalt über die ganze Familie, aber auch mitverantwortlich für ihre Vergehungen. Natürlich steht auch die Verheiratung der Kinder ganz beim Vater. Die Mutter teilt die dem Vater erwiesene Ehrerbietung und muß als Witwe vom Sohn zeitlebens erhalten werden. Man wünscht sich Söhne; die Unsitte der Tötung (Ertränkung) und Aussetzung neugeborner Mädchen, die in einzelnen Provinzen unter den untern und mittlern Ständen noch ungemein häufig ist, ist durch Errichtung von Findelhäusern, die durch Subskription der Wohlhabenden erhalten werden, einigermaßen eingeschränkt worden. Die Mädchen erhalten schlechte Erziehung, wenige können lesen und schreiben; bei den wohlhabenden Klassen dürfen sie vom 12. oder 13. Jahr mit keinem männlichen Wesen, selbst nicht mit ältern Brüdern, verkehren und nur in dicht verschlossener Sänfte das Haus verlassen. Die Verheiratung findet schon in frühen Lebensjahren des Mannes statt, weil er, um eine Frau zu erhalten, keinen selbständigen Erwerb zu haben braucht, da die Frau in das Hauswesen seiner Eltern eintritt. Die Verlobungen erfolgen sehr häufig schon im frühesten Kindesalter. Der Gehorsam, den die Frau ihrem Mann und zugleich dessen Vater und Mutter schuldig ist, kennt keine Ausnahmen. Scheidung ist zugelassen, auch Verkauf der Frau an einen andern Mann vorbehaltlich ihrer Zustimmung. Die reichern Klassen leben oft in Vielweiberei, namentlich wenn die erste Frau kinderlos geblieben, doch behält diese den Vorrang. Wiederverheiratung ist nur den Männern gestattet; Frauen geben sich zuweilen nach dem Tode des Mannes unter großen Zeremonien durch Gift u. dgl. den Tod. Der Eintritt in das mannbare Alter wird bei Knaben (vom 12.–15. Jahre) durch die Mützenverleihung gefeiert; bei Mädchen durch Schmückung mit der Nadel, dem Kopfputz der Frauen. Sehr zahlreich sind die Zeremonien bei der Leichenbestattung wohlhabender Personen, wobei die Leiche im wohlverkitteten Sarg oft 40 Tage und länger über der Erde steht; die Toten werden in kostbaren Seidenstoffen in einen hölzernen Sarg gelegt, der in feierlichem Zug zum Begräbnisplatz geleitet und in die Erde versenkt wird, nachdem die bösen Geister ausgetrieben sind. Die Gräber werden öfters im Jahre geziert, wobei Opfer dargebracht werden. Die Trauerzeit für die Eltern, der Frau mit ihren Mann dauert 27 Monate, um Kinder und Geschwister und des Mannes um die Frau ein Jahr. Jeder Beamte ist genötigt, abzudanken und kann während der nächsten drei Jahre kein Amt bekleiden. Trauerfarben sind Weiß, Blau und Aschgrau. Der Nachlaß gehört den Söhnen gemeinsam, die Ahnentafel dem ältesten, der oft auch doppelten Anteil hat.

Die Nahrung der Chinesen ist sehr mannigfach; der gewöhnliche Mann ißt ziemlich alles Genießbare, nach unsern Begriffen noch mehr. Doch halten die strenggläubigen Buddhisten das Fleischessen für zu sinnlich und insbes. das Rindfleischessen für undankbar gegen das dienstbare Vieh. Spezialitäten sind Bohnenkäse und Fadennudeln aus Weizenmehl. Der Teekonsum ist zwar enorm, der ärmere Mann begnügt sich indes mit Ausguß von Surrogaten (Artemisia- und Ribes-Arten). In den an Landstraßen vielfach aus Mildtätigkeit erbauten Teehäusern wird den Reisenden unentgeltlich Tee gewährt. Abweichend von allen übrigen Asiaten speist der Chinese sitzend; statt einer Gabel braucht er zwei kleine Stäbchen von Bambus oder Elfenbein, mit denen er aus den suppenartigen Gerichten alle festen Stücke geschickt herausfischt. Aus Reis und Hirse wird ein Branntwein hergestellt, der, warm in kleinen Tassen gereicht, die Stelle des Weins vertritt. Trunksucht ist im allgemeinen selten; dagegen herrscht das entnervende Opiumrauchen unter allen Klassen trotz aller Edikte der Regierung (s. Tafel »Rauchgeräte II«, Fig. 21). Tabakrauchen und-Schnupfen sind verbreitet. Reisen finden, wenn möglich, zu Wasser statt, sonst in Tragsesseln aus Bambus; im N. auf zweiräderigen Karren. Alle Anstalten zur Beförderung sind Unternehmungen einzelner; das gut organisierte Regierungspostwesen dient nur für amtliche Korrespondenzen. Die Warenbeförderung wird auf dem Landwege im S. mittels Schiebkarren, im N. mittels zweiräderiger, von Pferden oder Ochsen gezogener Karren bewerkstelligt. Träger, Esel und Maultiere, im N. und W. Kamele sind jedoch die meist benutzten Transportmittel. Öffentliche Schaugepränge sind beliebt; die öffentlichen Feste (Neujahrstag, Fest der Drachenboote, gestiftet zu Chren des im 4. Jahrh. v. Chr. lebenden Kinjuen, das Laternenfest am 15. des ersten Monats, das Fischerfest) werden allgemein und lärmend gefeiert. Leibliche Übungen werden nur vom Militär vorgenommen; doch ist eine Art Fußball beliebt. Die Neigung zum Glücksspiel ist allgemein. Das Schachspiel ist seit undenklichen Zeiten üblich, weicht aber vom indischen und abendländischen bedeutend ab (»Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 24, S. 172). Mechanische Spielereien mit überraschendem Effekt sind sehr gesucht, Spieldosen ein lohnender Einfuhrartikel, Theatervorstellungen ein Hauptvergnügen. Eine besondere Belustigung für groß und klein ist ferner das Steigenlassen von Papierdrachen, die der berühmte General Hansi 206 v. Chr. erfunden haben soll. Bewunderungswürdiges wird in Feuerwerken geleistet. Als Eigentümlichkeit sei noch erwähnt, daß die Chinesen beim Schreiben die Wörter nicht in wagerechten, sondern in senkrechten Linien aneinander fügen, dabei aber rechts anfangen; daß sie beim Kompaß den Süden als Hauptrichtung nehmen.

Religionen

Die vorherrschenden Religionsbekenntnisse sind die Lehren des Kungfutse (Confucius), des Laotse, des Buddha und die durch ihre gegenseitige Einwirkung entstandene gegenwärtige Volksreligion. Von großer Bedeutung für die Provinzen des Nordwestens und Südwestens ist der Islam, während die Bekenner des Christentums nach Zahl und Einfluß wenig hervortreten. Obschon der Staat keine feierliche Verpflichtung zur Anerkennung einer bestimmten Religion fordert, genießen die Bekenner des Confucianismus politisch höheres Ansehen. Die alte Religion war fast ausschließlich der noch heute grundlegend wichtige Ahnenkultus. Menschen und Naturgeister werden nicht gänzlich getrennt gedacht; die ganze Natur ist von Geistern (Schin) belebt. Der Himmel (Tien) ist das Höhere, die Erde (Ti) das Niedere. An der Spitze aller Geister steht der Himmel oder Schangti, der »höchste Herrscher«, Gott; in der philosophischen Sprache werden diese beiden Gegensätze durch Yang und Yin, etwa das männliche und weibliche oder das lichte und dunkle Prinzip, ausgedrückt. Durch die Zusammenwirkung von Himmel und Erde entstehen alle Wesen und das vorzüglichste, der Mensch. Beim Tod erfolgt die Auflösung des Menschen in einen himmlischen und irdischen Teil. Die verstorbenen Herrscher werden dem obern Kaiser (Gott) im Himmel zur Seite stehend gedacht. Von Belohnung oder Bestrafung ist nirgends die Rede, die Gestorbenen bleiben in demselben Verhältnis zu ihren Fürsten etc. wie auf Erden und üben auf das Schicksal ihrer lebenden Nachkommen einen wesentlichen Einfluß. Ein Priesterstand fehlte; der Kaiser, die Vasallenfürsten, zuletzt der Hausvater versahen die religiösen Zeremonien. Die Parallelisierung der Stellung vom Sohn zum Vater und der vom Volk zur Obrigkeit und in letzter Linie zum Reichsoberhaupt ist die eminente politische Bedeutung des chinesischen Ahnenkultus. Vgl. Plath, Religion und Kultus der alten Chinesen (Münch 1862–63); »Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft«, Bd. 21; F. Heige, Die Religion und Kultur Chinas (Berl. 1900). – Die Religion, zu der sich jetzt der Kaiser, alle Staatsbeamten und die Gelehrten bekennen, ist die Lehre des Konfutse (s.d.). Auch in dieser blieben Kaiser, Fürsten, Staatsbeamte die vornehmsten Priester, doch gibt es auch Berufspriester. Die Opfergaben bestehen in Ochsen, Schafen, Schweinen, Seidenzeugen. Die Opferhandlung ist stets ein Fest und wird im Tempel oder auch im Freien vorgenommen (Kaiseropfer auf dem heiligen Taischan in Schantung). Wallfahrten wird ein großer Wert beigelegt; jeder größere Ort hat seinen Kungfutsetempel. Vgl. I. Legge, The life and teachings of Confucius (Lond. 1867). – Das dritte C. eigentümliche Religionssystem ist das des Laotse (s.d.), des Stifters der Taosekte, die auch in Japan und Hinterindien Verbreitung fand. Ihre Anhänger (Taoisten) haben jedoch die erhabenen Lehren des Stifters zu einem wahren Zerrbild gemacht und sind jetzt einem groben Mystizismus ergeben. Ihre Hauptsitze sind in der Provinz Kiangsi; sie stehen übrigens in geringem Ansehen. Vgl. Douglas, Confucianism and Taoism (Lond. 1893).

Der Buddhismus (hier Religion des Fo genannt) kam 65 n. Chr. von Indien nach C., ist aber zu rohem Heidentum und Götzendienst verunstaltet. Die Indolenz und der Zölibat machen die Priester den Anhängern des Kungfutse verächtlich, ebenso ihre freiwillige Armut und ihr lästiges Betteln. Ihr Gottesdienst ist aber prunkhaft, der Klerus, die Bettelmönche überaus zahlreich, das Land mit buddhistischen Klöstern übersät. Die große Masse des Volks gehört ohne Zweifel dem Buddhismus an (s.d.). Scharfe und bewußte Gegensätze zwischen diesen Religionen bestehen unter der Bevölkerung nicht, vielmehr hat sich auf der Basis des Ahnenkultus eine Volksreligion gebildet, die sich bei den niedern Klassen als Aberglaube zeigt, bei den Gebildeten aber einer allgemeinen Tugendlehre Platz gemacht hat. Der Glaube an Seelenwanderung, eine der alten Religion ganz fremde und entgegengesetzte Vorstellung, kam mit den Buddhismus ins Land und beherrscht alle Selten um Religionen.

Der Islam faßte schon 628 in C. Fuß, nachdem ein Vetter Mohammeds, Wah Abi Kabscha, vom Kaiser Taitsung die Erlaubnis erhalten hatte, in Kanton eine Moschee einzurichten. Sein Grab ist noch jetzt ein Wallfahrtsort für alle in C. lebenden Mohammedaner. 755 sandte der Kalif Abu Giafr dem vom Rebellenführer Anlo-Chan bedrängten Kaiser Sun tsung 4000 arabische Soldaten, die sich später in mehreren Städten niederließen. Die größte Zahl der Mohammedaner befindet sich heute in Kan su (8,350,000), Schensi (6,500,000) und Jünnan (3,750,000), viel weniger in Schantung und Honan (je 200,000), Schansi, Hunan und Hupe, Kweitschou, Sz'tschwan u. a. Die Gesamtzahl aller Mohammedaner im Chinesischen Reich wird auf 19,950,000 Seelen berechnet. Juden sollen zuerst unter der Dynastie Han (206 v. Chr. bis 221 n. Chr.) eingewandert sein; jetzt befindet sich noch eine kleine jüdische Gemeinde zu Kaiföngfu in Honan.

Das Christentum wurde bereits in der ersten Hälfte des 7. Jahrh., wenigstens in seinen äußerlichen Formen, durch Nestorianer eingeführt, wie die berühmte, in chinesischer und syrischer Sprache abgefaßte Inschrift der »Nestorianischen Tafel« von Singanfu beweist. Die ersten europäischen Reisenden (Marco Polo n. a.), die während der Mongolenherrschaft durch Innerasien nach C. gelangten, fanden bereits zahlreiche nestorianische Gemeinden vor. Papst Clemens V. errichtete 1307 den erzbischöflichen Stuhl von Khambalu (Peking), 1313 den bischöflichen Stuhl von Zeitun (Tschüentschoufu in Fokiën), doch bestanden sie nur bis 1369. Die nachhaltige Einführung des Christentums datiert erst seit 1580, als es dem Jesuiten Ruggieri gelang, in Kanton festen Fuß zu fassen, und erst 1601 konnte der Jesuit Ricci die Hauptstadt Peking betreten. 1696 erschienen auch Dominikaner und Franziskaner in C., doch vermochten sie nicht annähernd gleiche Erfolge zu erzielen wie die Jesuiten, die sich gewandt den Formen der Volksreligion anzupassen wußten. Die Mißgunst der Orden gegeneinander untergrub bald ihre Macht, zunächst wurden 1718 alle Missionare mit Ausnahme der Jesuiten verbannt, dann auch diese heftig verfolgt; 1814 wurde der Bischof Dufresne enthauptet. Erst durch die Verträge von Tiëntsin (26. und 27. Juni 1858) und von Peking (24. und 25. Okt. 1860) wurde den Angehörigen aller christlichen Glaubensbekenntnisse wieder Sicherheit der Person und des Eigentums sowie freie Religionsübung und den ins Innere reisenden Missionaren, wenn sie mit Pässen versehen, wirksamer Schutz zugesichert. Auch sollte der Übertritt zur christlichen Religion erlaubt und straflos sein. Doch sind wiederholt und bis in die neueste Zeit blutige Christenverfolgungen unter Billigung der Behörden vorgekommen und haben auch bei der Entwickelung der neuesten europäischen Attion gegen C. den Hauptanlaß gegeben. Die Zahl der gegenwärtig in C. tätigen katholischen Orden ist elf, nämlich Augustiner, Belgisches Seminar, Dominikaner, Franziskaner, reformierte Franziskaner, Jesuiten, Lazaristen, Mailänder, Römisches, Holländisches (Steyl) und Pariser Seminar, mit 37 Vikariaten in den 18 Provinzen. Man zählte 1900: 41 Bischöfe, 700 europäische und 500 eingeborne Priester, rund 1 '/4 Mill. Gemeindemitglieder und Anhänger, über 3000 Kirchen und Kapellen, ebenso viele Schulen mit etwa 60,000 Schülern und etwa 50 Seminare mit über 1000 Studierenden. Die evangelische Mission, die zuerst 1807, tatkräftiger seit 1842 in C. auftrat, zählt etwa 100,000 Anhänger; es arbeiten über 40 Missionsgesellschaften, darunter 5 deutsche (Rheinische, Berliner, Baseler, Allgemeiner evangelisch-protestantischer Missionsverein, Berliner Findelhaus) mit etwa 1500 Missionaren (zur Hälfte Frauen) und gegen 1800 ein heimischen »Helfern«, über 600 Kirchen und Kapellen, über 20,000 Missionsschülern beider Geschlechter, 70 Hospitälern, 50 Apotheken; ferner 18 englische und 13 amerikanische Gesellschaften mit einer Jahresausgabe von 11/2 Mill. Ml. Vgl. I. Legge, The religions of C. (Lond. 1880); Edkins, Religion in C. (das. 1880); Piton, La Chine, sa religion, ses mœurs, ses missions (Toulouse 1880); Harlez, Les religions de la Chine (Par. 1891); de Groot, The religious system of C. (Leiden 1892–97, 3 Bde.); Max Müllerin »The XIX. Century«, Bd. 48; die Zeitschrift »Missionary Recorder« (Futschou 1867–72); »Veröffentlichungen des Missionshauses zu Steyl«; »C. Mission Handbook« (jährlich in Schanghai); »Das Evangelium in C« (jährlich in Berlin).

Unterrichtswesen. Bildung

So eigentümlich wie die Religion ist das Unterrichtswesen in C. Es gibt weder staatliche Elementarschulen noch Schulzwang; es geschieht aber von den Privaten viel für den Unterricht. Gewöhnlich vereinigen sich mehrere Familien, oder es nimmt der »Stamm« einen Lehrer an, dem die Knaben, nicht auch die Mädchen, im Alter von 5–6 Jahren auf so lange anvertraut werden, bis sie lesen und schreiben können; es wird weder Mathematik noch Naturgeschichte gelehrt. Dennoch können von der erwachsenen männlichen Bevölkerung nur 37 Proz., von der weiblichen nur 2 Proz. lesen. Erst bei der Erwerbung der literarischen Grade spricht die Regierung ein gewichtiges Wort mit. Es gibt drei Grade: Ssiutsai (»Kandidat«), Tschüyen (etwa »Doktor«) und Tschinschih (etwa »Professor«). Die beiden letzten Prüfungen finden alle drei Jahre statt, und zwar in Prüfungshöfen mit Tausenden kleiner Hütten, wo die Examinanden mehrere Tage und Nächte eingesperrt leben müssen. Hauptaufgabe der Schüler ist Aneignung der Klassiker (Kungfutse), der zweite und dritte Grad befähigen zu Staatsämtern; man bereitet sich zum Studium vor in den vom Staat und von Stiftungen unterhaltenen Seminaren. Geld, Verwandtschaft und Empfehlung verhelfen jedoch vielen Unwissenden zu diesen drei Graden. Dagegen werden die Prüfungen in der kaiserlichen Hofburg für die höchste Stufe des Hanlin (Pinselwald) strenger gehandhabt. Wer diese Prüfung bestanden hat, findet Aufnahme in den Hanlinyüen, die kaiserliche Akademie der Wissenschaften, oder wird sonst in hohen Stellungen verwendet. Die zu Tausenden durchfallenden Kandidaten werden Schullehrer, Notare, Schreiber etc. Schulbesuch der Mädchen ist Ausnahme. Das Wissen auch der Gebildetsten geht über den Bereich ihres Landes selten hinaus. Neuerdings bereitet sich darin eine Änderung vor, 1867 erfolgte die Errichtung eines Kollegiums für fremde Wissenschaften (Tungwönkwan) in Peking, einer Art Universität mit europäischen und amerikanischen Professoren. Auch werden seit 1872 jährlich junge Chinesen zu ihrer Ausbildung nach Europa und Amerika gesandt. Ein seit 1868 bestehendes Bureau im Arsenal zu Nanking hat ausländische Werke ins Chinesische zu übersetzen. Neuerdings sind auch durch Ausländer höhere Schulen in C. begründet worden, eine Universität in Peking (1896), zwei höhere Schulen in Kanton, bez. Schanghai.

In der Zeitrechnung bedient man sich eines 60jährigen Zyklus. Die Tage, von Mitternacht zu Mitternacht, werden in zwölf Stunden geteilt; eine Einteilung der Monate in Wochen ist nicht gebräuchlich (also auch kein wöchentlicher Ruhetag). Geometrie und Algebra sind dem Chinesen etwas Fremdes. Im gemeinen Leben hilft man sich mit einem Rechenwerkzeug. Die Anfänge der Kunstübung reichen bis in den Beginn des zweiten Jahrtausends v. Chr. hinaus. Die ältesten erhaltenen Kunstdenkmäler sind Bronzegefäße und-Geräte für den Kultus, deren Ornamentierung auf selbständige Nachahmung der Natur deutet. Mit der Einführung des Buddhismus kamen in die chinesische Kunst neue Elemente, die schließlich ihren Charakter bestimmt haben. Indisch-buddhistische Einflüsse zeigen die ältesten uns erhaltenen Baudenkmäler (aus dem 11. Jahrh.), und aus indischen Mustern hat sich auch der eigentliche chinesische Baustil entwickelt, dessen vornehmlichste Eigentümlichkeit in den geschweiften Dächern der Tempel und in den Glockentürmen, den sogen. Pagoden, besteht, deren zahlreiche Stockwerke besondere Dächer tragen. Obwohl die Chinesen in spätern Jahrhunderten eine große Virtuosität in der Schnitzerei in Elfenbein, Horn und Holz erlangt haben, liegt doch der Schwerpunkt ihrer Kunstübung in der Porzellanindustrie und in der Malerei. Die Entwickelung dieser beiden Kunstzweige ist erst in neuester Zeit von europäischen Gelehrten erforscht worden. Danach ist die Malerei nach Japan, dessen Schöpfungen zuerst in Europa bekannt wurden, von C. eingeführt worden, wo schon im 10. Jahrh. v. Chr. eine Art von Freskomalerei geübt worden sein soll und im 2. Jahrh. n. Chr. die Bildnismalerei bekannt war. Auch die Malerei mit Schmelzfarben auf Ton und Porzellan hat ihren Ursprung in C. (s. Porzellan und Tafel »Ornamente IV«, Fig. 1 u. 2). Vgl. Paléologue, L'art chinois (Par. 1887); Chavannes, La sculpture sur pierre en Chine (das. 1893); F. Hirth, Über fremde Einflüsse in der chinesischen Kunst (Münch. 1896), und die Tafeln »Chinesische Kultur Ju. II«, S. 37. Als Meister zeigt sich der Chinese in der Gartenkunst durch die anmutigsten und wirkungsvollsten Gruppierungen von Bäumen und Rasen, obschon seine Vorliebe für das Zwerghafte für unsern Geschmack störend eingreift (s. Tafel »Gartenkunst II«). Für die Musik hat man zahlreiche Instrumente: Laute, Gitarre, Flöte und andre Blasinstrumente, dreisaitige Geigen, eine Drahtharmonika, die mit zwei Bambusstäbchen geschlagen wird, Glocken, Trommeln, Pauken etc., doch fehlt jeder Sinn für Akkorde, Melodie oder Harmonie (s. Tafel »Musikinstrumente III«). Daß man selbst tanze, statt sich vortanzen zu lassen, ist ihnen unbegreiflich. Sehr beliebt sind Schauspiele, doch nicht ohne Obszönitäten. Die Frauenrollen dürfen, seitdem der Kaiser Kiënlung im 18. Jahrh. eine Schauspielerin geheiratet hat, nur von Jünglingen gespielt werden. Über die dramatischen Dichtungen der Chinesen sowie über die Literatur derselben überhaupt s. Chinesische Sprache und Literatur.

Zeitungen in chinesischer Sprache sind sehr wenige vorhanden; von 14 einheimischen Zeitungen oder Zeitschriften erscheinen je 5 in Schanghai und Hongkong und je eine in Amoy, Kanton und Peking. Die älteste von ihnen, zugleich die älteste Zeitung überhaupt, ist die »Hauptstadt-Zeitung« (»King-Pan«) in Peking, eine täglich gedruckt und geschrieben erscheinende Sammlung der am Tor des kaiserlichen Palastes angeschlagenen Bekanntmachungen. Von den Berichten der Beamten aus der Hauptstadt und den Provinzen, die die Regierung in der Staatskanzlei zur Kenntnisnahme der Beamten und Literaten täglich auslegt, dürfen Private Abschriften nehmen, die dann in Heften, meist geschrieben, erscheinen. Nach europäischer Weise erschien zuerst »Shōn-Pan«, das 1870 von dem Engländer Major begründet wurde, jetzt eine monatliche Auflage von 350,000 hat und das gediegenste und verbreitetste Blatt Chinas ist. Ebenfalls in Kanton erscheint seit 1881 in einer Auflage von 60,000 »Hu-Pan«, Eigentum der »North China Daily News«, ferner die illustrierten Zeitschriften »Tiën-Schi-Tschai-Hwa-Pan«, seit 1887 in einer Auflage von 20,000, von Chinesen herausgegeben, und von den Missionaren herausgegebene Blätter für jugendliche Leser. Die Gesellschaft Jesu gibt seit 1879 die in ihrer Druckerei in Zikawei bei Schanghai hergestellte »Ji-Wen-Luh« (»Der Verbesserer der Literatur«) in einer Auflage von 15,000 heraus. Hongkong besitzt fünf chinesische Zeitungen, von denen »Chung-Wai-Shing-Pan«, »Hwa-Tsze-Juh-Pan«, »Wei-Shing-Juh-Pan« (Auflage je 15,000) und »Jue-Pan« (30,000) europäische Gründungen sind. In Kanton erscheint seit 1886 »Kwang-Pan« (»Kanton-Zeitung«), in Tiëntsin »Schi-Pan« (»Die Zeit«) in einer Auflage von 30,000, Eigentum englischer Kaufleute, gegründet zur Förderung ihrer Handelsinteressen. Stark vertreten ist die europäische Presse, die zuerst mit dem »Canton Register« auftrat, dem der »Chinese Recorder«, »North China Daily News«, »North China Herald«, »The Celestial Empire« (sämtlich in Schanghai), »Foochow Advertiser« (in Futschou), »Hankow Times« (in Hankau), »Daily Press«, »China Mail«, »China Review« (in Hongkong) und ebenda auch das portugiesische »Echo de Povo«, seit 1. Okt. 1886 auch der deutsche »Ostasiatische Lloyd« und seit 1902 »Der ferne Osten« in Schanghai folgten. Ein gelehrtes Journal gibt die North China Branch of the Royal Asiatic Society heraus. Über die Kulturverhältnisse der Chinesen vgl. Doolittle, The social life of the Chinese (Lond. 1866, 2 Bde.); Gray, C., a history of the laws, manners and customs of the people (das. 1878); Katscher, Bilder aus dem chinesischen Leben (Leipz. 1881); Smith, Chinese characteristics (Lond. 1895; deutsch, Würzb. 1900); Derselbe, Village Life in C. (New York 1899); Scott, The people of C. (Lond. 1900); Bard, Les Chinois chez eux (Par. 1899); Rob. Hart, These from the land of Sinim (Lond. 1900); E. H. Parker, John Chinaman and a few others (das. 1901); A. H. Smith, Village life in C. (das. 1900). Der Sinologie und Landeskunde gewidmete periodische Publikationen sind: »The C. Review« (zweimonatlich, Hongkong); »The Chinese Recorder« (Schanghai).

Erwerbszweige

[Landwirtschaft.] Die vorzüglichste und zugleich in höchsten Ehren stehende Beschäftigung der Chinesen ist der Landbau. Der Ackerbau wurde der Sage nach vom zweiten Kaiser Tschinnung im 28. Jahrh. v. Chr. gelehrt. Das Land wird als dem Kaiser gehörig betrachtet; seit dem Ende der dritten Dynastie (4. Jahrh. v. Chr.) erhebt jedoch der Staat nur noch eine Abgabe, während früher ein Teil für den Landesfürsten bebaut wurde. Der Grundbesitzer ist jetzt nicht weiter beschränkt, als daß er des Landes bei Nichtanbau verlustig wird. (Über Grundeigentum vgl. v. Sacharow, Arbeiten der russischen Gesandtschaft in Peking über C., Bd. 1.) In der Ebene ist das Land sehr parzelliert, hier lebt eine Familie von fünf Mitgliedern von 1–2 Hektar Ackerbodens. Ein Besitzer von 6 und mehr Hektar gilt als vermögender Mann; man findet aber auch Besitzungen von 600 und, in hügeligen Gegenden, von 12–1800 Hektar. Bei Bearbeitung des Bodens werden meist Hacken und Rechen verschiedenster Art verwendet, Pflüge und Eggen nur auf größern Gütern. Das Getreide wird entkörnt durch Austreten unter Anwendung von Tieren oder mit Dreschflegeln. Zum Enthülsen von Reis oder Mahlen von Getreide dienen Mühlen, durch Menschenhände, Büffel oder Wasser bewegt, zur Entkörnung und Reinigung der Baumwolle sehr primitive Geräte. Der Ackerboden besteht aus jüngstem Alluvium und im Norden vor allem aus Löß; mit Ausnahme des nördlichen C. kann überall das ganze Jahr im Feld gearbeitet, im südlichen C. auch gesät, gepflanzt und geerntet werden; namentlich werden die verschiedenen Gemüsearten auch mitten im Winter für die Nahrung eingesammelt. Die Hauptarbeiten beginnen im März und enden im November. Es wird meist in Drillen gesät und gepflanzt; Gewinnung von Unterfrüchten wird allgemein angestrebt. Fruchtwechselwirtschaft ist Regel; als Dungmittel verwendet man Ölkuchen, menschliche Exkremente, Dünger von Schweinen, Büffeln u. Ochsen, selten von Pferden und Ziegen, Wasserpflanzen, Asche, gebrannten Kalk, Fische. Das wichtigste Bodenprodukt des südlichen und mittlern C. ist Reis in drei Arten, roter, kleiner und großer. Der Norden und Nordwesten (einschließlich Sz'tschwan) bringt in Fülle Weizen, Gerste, verschiedene Hirsearten hervor, auch Kartoffeln und Bataten, Wein, Baumwolle, Rhabarber, Indigo, Hanf, das chinesische Gras (Boehmeria nivea), Jute, Lein, Gewürze u. a. Der Zuckerrohrbau hat durch den Verlust von Formosa stark gelitten. Tabak wird fast von jedem Landwirt zu eignem Gebrauch gebaut, in größerer Menge im Norden und Süden sowie in Hupe; ausgeführt wurde 1899 für 2,309,958 Haikwan Tael. Der Teestrauch wird ausschließlich in kleinen Gärten gezogen, meist in hügeligen Distrikten mit schlechtem sandigen Boden. Bis zum Beginn der 1870er Jahre war C. fast die alleinige Quelle für die Versorgung der ganzen Menschheit mit Tee. Seitdem haben Japan und Britisch-Indien eine große Konkurrenz geschaffen. Dennoch betrug die Teeausfuhr 1899: 31,469,100 Haikwan Tael. Ölpflanzen werden vielfach angebaut; sehr wichtig und trotz aller Verbote dauernd wachsend ist der Anbau von Mohn für die Opiumgewinnung, vornehmlich in Sz'tschwan, dann in Jünnan, Schensi, Hupe, Hunan, Kiangsu und Fokiën. Von Früchten sind die Litschi- und Longanpflaumen, Pomeranzen, Ananas, Kokosnüsse, Bananen, Mango u. a. zu nennen. Ingwer baut man überall im Innern. Von Gemüse, Wurzel- und Knollengewächsen aller Art werden ungeheure Quantitäten gewonnen. Kunstgärtnerei wird im Freien wie in geschlossenen Räumen mit ' Sachkenntnis und Sorgfalt betrieben. Forstwirtschaft, Wiesenkultur, verbunden mit Heugewinnung, sind den Chinesen fremd. Eine besondere Wichtigkeit hat für C. der Seidenbau, der seit alters auf einer hohen Stufe steht; die meiste und beste Seide liefern die mittlern Provinzen und die Umgegend von Kanton. Eine Besonderheit ist hier wie in Japan der Eichenspinner. Die Viehzucht ist unbedeutend. Das Pferd, klein und häßlich, aber knochig und stark, wird hauptsächlich beim Heer und Postdienst gebraucht; im Osten zieht man Esel und Maultiere, im Norden zweihöckerige Kamele vor; Rinder züchtet man sehr wenig; sie sind klein, oft nur von der Größe des Esels, dem Zebu ähnlich. Der Büffel, kleiner als der ägyptische und indische, wird nur zum Ziehen gehalten; er ist hellfarbig, haarlos, sehr gelehrig. Das Schaf, im Norden seltener als die Ziege, besitzt den Fettschwanz. Die Schweine haben sehr kurze Beine, einen eingedrückten Rücken und sind sehr fettreich; sie gehören zu den meistausgenutzten Haustieren. Hunde und Katzen werden allgemein gehalten (auch gegessen). Gold- und Silberfasanen werden in großer Menge gezogen, ebenso Pfauen und Hühner; in den mittlern Provinzen auch die heimische, prachtvoll gefiederte Mandarinente. Die Fischerei, und zwar das Fischen von Pflanzen wie von Süßwassertieren und einigen Seetieren, beschäftigt eine große Zahl von Leuten und liefert für die Nahrung der Menschen wie für Düngung der Felder enorme Massen; sie wird häufig mittels eines abgerichteten Kormorans ausgeführt. Die künstliche Fischzucht ist den Chinesen schon seit den frühesten Zeiten bekannt (Goldfische). Zu den Landplagen, die oft Mißwachs und Hungersnot zur Folge haben, gehören vor allen die Überschwemmungen, weil der Reis meist in den Flußtälern angebaut wird; aber auch Dürre verdirbt die Ernten auf weite Strecken, namentlich infolge der rücksichtslosen Entwaldung. Für Zeiten der Hungersnot haben Regierung und Privatwohltätigkeit Speicher angelegt, wo ein Teil der in Reis entrichteten Grundsteuer oder angekaufte Frucht aufbewahrt wird, bis Mißernte unentgeltliche Abgabe oder Verkauf unter dem Marktpreise nötig macht. Vgl. Plath, Die Landwirtschaft der Chinesen (Münch. 1884).

[Bergbau.] Der große Reichtum Chinas an Mineralschätzen wird noch sehr wenig ausgenutzt. Es muß abgewartet werden, ob das kaiserliche Edikt vom 27. März 1896, worin die Gouverneure zur Förderung des Bergbaues und zur Bildung lokaler Bergbaugesellschaften mit chinesischem Kapital aufgefordert werden. Wandel schaffen wird. Bisher sind die chinesischen Bergbauunternehmungen nicht gerade glücklich gewesen. Gold findet sich in größerer Menge im obern Jangtsekiang, der Kinschakiang (Goldsandfluß) heißt, und auch in Flüssen Jünnans, das vielleicht die größten Goldwäschereien der Welt hat. In den Minen von Tinkwan arbeiten 2000 Mann. Auch in Schensi und Kweitschou soll es goldreiches Gebirge geben. In Schantung, das schon auf einen blinden Lärm hin vor Jahren Goldgräber aus Kalifornien angezogen hatte, will man bei Ninghai ergiebige Goldadern gefunden haben, die angeblich seit 1890 von einheimischen Unternehmern ausgebeutet werden. Bei der mangelhaften geologischen Erkundung des Landes sind solche Angaben mit Vorsicht aufzunehmen. Silber findet sich teils in Verbindung mit Blei, wie in Kwangtung (Abbau zwischen Kanton und Makao durch eine chinesische Gesellschaft), teils rein, wie in Kansu, Hunan, Kwangsi, besonders aber in Jünnan, wo der jährliche Ertrag auf 33 Mill. Mk. berechnet wird. Das in C. gewonnene Seissisilber enthält etwas Gold und soll an Feinheit einzig dastehen. Eisen findet sich zwar fast überall, wird aber auch viel eingeführt; dasselbe gilt von Blei und Zinn (letzteres über Pakhoi ausgeführt) sowie vom Kupfer, das in ansehnlicher Menge in Jünnan und Kweitschou gewonnen wird, auch Nickel, Quecksilber, namentlich als Zinnober, gibt es in Schensi, Hunan, Kweitschou und Kansu. Südjünnan liefert Rubine, Amethyste, Saphire, Topase, Granaten, Opale, Malachit, Speckstein (Agalmatolith), Schensi u. a. den geschätzten Yüstein (Jadeit), Tschili Karneole. Schöne Bergkristalle kommen aus Fokiën, Lapislazuli (zur Ultramarinbereitung), Porphyr und Jaspis aus den Granitbergen von Tschekiang. Porzellanerde findet sich bei Kingtetschönn in Kiangsi, bei Jutschou in Honan, bei Lungtschuën in Tschekiang u. a. Schwefel, Graphit und Meerschaum werden in Menge gewonnen. An Kohle, über deren Verwendung zum Heizen schon Marco Polo berichtet, ist C. das reichste Land der Erde; man schätzt die Ausdehnung seiner Kohlenfelder auf gegen 500,000 qkm. In Schansi allein soll ein Areal von 88,100 qkm mit abbauwürdigen Kohlenschichten von mehr als 13 m Mächtigkeit bedeckt und ein Vorrat von 630,000 Mill. Ton. ausgezeichneten Anthrazits und bituminöser Kohle vorhanden sein. Bei Lophing finden sich Eisenerze und Anthrazit dicht nebeneinander. Auch Tschili, Schantung, Schensi, Kansu, Hupe, Hunan etc. besitzen einen fast unglaublichen Reichtum an Kohle. Doch findet mit Ausnahme der Gruben von Kaiping im nordöstlichen Tschili mit einer jährlichen Förderung von 6–700,000 Ton., die durch Eisenbahn mit Taku und Schanhaikwan verbunden sind, nur ein ganz lokaler Abbau statt. Zu erwähnen sind etwa noch: im W. und SW. von Peking die Gruben von Tschaitang. Yangkiafang, Fangschan, Siwan, Hutai und Möntoukou, im nördlichen Schansi die von Tatung; in Honan bei Hwaiking und Jutschou, in Schantung bei Poschanhien, Tschangkiuhien und Weihien, in Kiangsu nordöstlich von Nanking, in Hupe nordöstlich von Hwangtschoufu, in Kiangsi bei Lophinghien, in Hunan an sieben Stellen im Tal des Luiho sowie bei Kweiyanghien und Siangyanghien, in Kwantung bei Schantschoufu. Salz wird teils in Südchina aus dem Meerwasser, teils aus 500–600 m tiefen Brunnen in Sz'tschwan und Jünnan, in Schansi aus dem Salzsumpf von Lutsun gewonnen. Seit den frühesten Zeiten ist das Salz Regierungsmonopol; die mit den Salzzolleinnahmen beauftragten Mandarinen sind die höchsten Steuerbeamten, die Salzhändler die reichsten Kaufleute. Längs der Ufer des Paiho gewahrt man endlose Salzschober. Der Salzzoll bringt jährlich 12 Mill. Haikwan Tael. Granit, in dessen Bearbeitung die Chinesen Meister sind, wird meist zu architektonischen Zieraten verarbeitet; Marmor braucht man nur zu Fliesen. Heiße Quellen kommen zahlreich in den meisten Provinzen, namentlich im W. vor; in Sz'tschwan auch die Feuerbrunnen (Huotsing), die durch das den Bohrlöchern (nach Salz) entströmende Gas entstanden sind. Das Gas, durch Bambusröhren weiter geleitet, dient zum Verdampfen der Salzsole. – Die Vergebung bergbaulicher Konzessionen in Verbindung mit den Eisenbahnkonzessionen an europäische Gesellschaften (in Schantung an Deutsche, in Jünnan und Kwangsi an französische, in Schansi und Honan an italienisch-englische) wird zur Erschließung der chinesischen Bodenschätze mit der Zeit viel beitragen. Übrigens ist dabei chinesischem Kapital stets das Recht der Beteiligung gewahrt.

[Industrie.] Der Erfindungsgeist der Chinesen muß ehemals bedeutender gewesen sein als jetzt, wo sie von ihren Schülern in Korea und Japan in vielen Stücken übertroffen werden. Die Magnetnadel scheinen sie schon 2500 v. Chr., das Schießpulver lange vor uns gekannt zu haben, doch wurde es nur zu Feuerwerk verwendet, bis das Beispiel der Europäer seinen Nutzen zu Kriegszwecken lehrte. Die früher berühmte Metallschmiederei und Bronzegießerei wird jetzt von den Japanern überboten. Bei der Billigkeit menschlicher Arbeit ist das Bedürfnis zur Erfindung von Maschinen gering. Nur Pumpen zur Hebung des Wassers aus den Kanälen über die Deiche zur Bewässerung der Felder, an Flüssen die sinnreichen Schöpfräder, bemerkt man überall. Öl- und Getreidemühlen werden von Büffeln bewegt. Die Papierbereitung geht zurück bis 153 n. Chr.; man verwendet jetzt dazu Hanffasern, junge Bambussprosse und Bambusfaser, die Rinde des Papierbaums (Broussonetia papyrifera), Baumwolle, Maulbeerbaumrinde, Rotang, Meeralgen, Reis-, Weizenstroh u. dgl. Die dauerhaften Sorten werden zu Fenstern und Regenschirmüberzügen verarbeitet, In Schanghai besteht eine große Papierfabrik in chinesischem Besitz. Der Gebrauch des Holzstockdrucks reicht bis ins 6. Jahrh. unsrer Zeitrechnung zurück; 992 wurden zum erstenmal Schriften durch Steindruck vervielfältigt. Letterndruck wurde im 11. Jahrh. erfunden, kam aber bei den großen Schwierigkeiten, welche die chinesische Sprache seiner Benutzung entgegenstellt, erst seit 1662 in Anwendung, als auf Veranlassung europäischer Missionare 250,000 bewegliche Letternstücke in Kupfer gestochen wurden. Neuerdings werden chinesische Zeitungen, Bibelübersetzungen, Missionsschriften etc. mit beweglichen Lettern gedruckt. Feuerwerkskörper werden fabrikmäßig bei Kanton produziert und nach den Vereinigten Staaten ausgeführt. Chinesisches Email (Cloisonné) hat jetzt noch seinen besondern Wert; an Porzellan wird für den Handel heute wenig mehr als Fabrikware geliefert; Form und Ornamentation sind bei den Japanern in dieser Branche viel vorzüglicher, doch ist für Articles de vertu C. immer noch der klassische Boden. Besondere Aufmerksamkeit erregen die zierlichen und saubern Lackwaren, die mit andern kunstgewerblichen Artikeln in Elfenbein, Holz, Kristall, Nephrit, Gold und Silber ihren Hauptmarkt in Kanton finden. Die Schiffbaukunst hat nur in den immerhin vervielfachten kaiserlichen Werften unter europäischen Lehrern Fortschritte gemacht. Die chinesischen Händler befrachten jetzt mit Vorliebe europäische Fahrzeuge, deren größere Sicherheit und Seetüchtigkeit, verglichen mit den kiellosen, wenig leistungsfähigen Dschonken, sie bald erkannten. Die Bestimmung im Handelsvertrag zwischen C. und Japan vom 21. Juli 1896, wonach die Einfuhr von Maschinen freigegeben wurde, ist von äußerster Tragweite, zumal sich der praktische Sinn des Chinesen gegen den Nutzen moderner Maschinen nicht verschließt. Amerikaner unterhalten in Schanghai eine ständige Maschinenausstellung. Zunächst sind meist Ausländer die Begründer moderner Fabriken: Spinnereien, chemische Fabriken, Dampfkornmühle in Schanghai, Spinnereien in Tientsin, Sutschou, Hangtschou etc.; schon aber regt sich der chinesische Unternehmergeist, fürs erste bei den hohen Beamten und Mandarinenkonsortien, namentlich auf dem Gebiete der Seidenspinnerei.

Handel

Der Handel mit dem Ausland war bis zum Frieden von Nanking (1842) auf dem Landweg nur über Maimatschin, für den Seeweg nur über Kanton unter hemmenden Bedingungen gestattet. 1842 wurden dann Amoy, Futschou, Ningpo und Schanghai freigegeben, im Frieden von Tientsin und später noch eine größere Zahl von »Vertragshäfen« (Treaty Ports) geschaffen, neuerdings auch Binnenhäfen am Jangtsekiang und Sikiang. Die Liste des neuesten »Report on the trade of C.« für 1900 (Schanghai 1900) führt 33 Vertragshäfen auf, ist jedoch auch nicht mehr ganz vollständig. Es sind hinzugekommen: Wusung, Tschinwaman (am Golf von Liantung), doch sind darin auch Binnenplätze enthalten, wie Lungtschou, Möngtse, Ssemao (Yatung in Tibet). In der unten folgenden Tabelle sind die Ziffern von Ein- und Ausfuhr (in Haikwan Tael) für 1899 angegeben, weil sie eher ein normales Handelsjahr darstellen als die durch die Wirren beeinträchtigten von 1900. Die mit Sternchen versehenen sind Binnenplätze. Von der Einfuhr ist die Wiederausfuhr im Betrage von 9,007,609 Haikwan Tael abzuziehen; bleibt eine Nettoeinfuhr von 264,748,456 Haikwan Tael. 1900 fiel die Einfuhr auf 211,070,422, die Ausfuhr auf 158,996,752 Haikwan Tael. Diese Zahlen geben noch kein vollständiges Bild des Gesamthandels, da die vielen auf chinesischen Fahrzeugen verschifften Waren der Kontrolle entgehen. An dem Außenhandel Chinas waren 1899 beteiligt: Hongkong mit 189,941,766, Haikwan Tael, Großbritannien mit 54,123,662, Japan mit 53,147,889, der europäische Kontinent (außer Rußland) mit 46,935,904 (Deutschland 79,6 Mill. Mk.), die amerikanische Union mit 43,974,460, Indien mit 33,642,712, Rußland mit 22,079,396 Haikwan Tael. In den Vertragshäfen befanden sich 4899: 933 fremde Firmen (Banken, Handelshäuser) mit 16,922 Angehörigen (Handelsbeflissene, Missionare, Ärzte), davon 401 englische (5562 Personen), 195 japanische (2240), 115 deutsche (1134), 76 französische (1183), 70 amerikanische (2335), 19 russische (1621), 10 portugiesische (1423), 9 holländische (106), 9 spanische (448), 9 belgische (234), 9 italienische (124), 5 österreichische (90), 4 dänische (178), 2 skandinavische (244). Die Zahl der deutschen Firmen betrug 1890 erst 80 mit 648 Personen. Der bei weitem wichtigste Hafen ist Schanghai, das über die Hälfte des Gesamthandels vermittelt, demnächst Kaulun, Kanton, Tientsin, Swatau. An der Einfuhr waren 1899 meistbeteiligt: Baumwollenwaren mit 1031/2, Opium mit 353/4, Petroleum mit 13, Metalle mit 91/4 Mill. Haikwan Tael, demnächst Kohle, Fischereiprodukte, Wollenwaren, Rohbaumwolle; an der Ausfuhr Rohseide und Seidenwaren mit 82 und Tee mit 311/2 Mill. Haikwan Tael, demnächst Häute, Zucker, Strohborte, Papier, Chinawaren. Die Opiumeinfuhr aus Indien ist stetig zurückgegangen, weniger wegen geringern Bedarfs als wegen vermehrten Anbaues in C. Der chinesische Teehandel hat unter der Konkurrenz des indischen zu leiden, hauptsächlich wegen des Ausfuhrzolls für chinesischen Tee.

Tabelle

Der Schiffsverkehr ist in stetem Steigen begriffen; in den Vertragshäfen verkehrten 1899: 65,418 Schiffe von 39,268,330 Ton., darunter 25,350 britische von 23,338,230 T., 31,009 chinesische von 9,349,247 T. (worunter 8461 Dschonken von 404,428 T.), 2078 deutsche von 1,854,246 T., 3712 japanische von 2,839,741 T., 18 österreichisch-ungarische von 41,950 T., 822 französische von 613,191 T., 716 amerikanische von 310,107 T. etc. Von der Gesamtzahl waren 52,720 Dampfer von 37,794,440 T. und 12,698 Segelschiffe von 1,473,890 T. Konsulate. Das Deutsche Reich unterhält einen General- konsul in Schanghai, Konsuln in Amoy, Futschou, Hankou, Kanton, Swatau, Tiëntsin und Tschifu, Vizekonsuln in Kiungtschou, Ningpo, Niutschwang und Tschifu.

Der Binnenverkehr wird in Nord- und Südchina in sehr verschiedener Weise vermittelt. Dort finden wir Wagenstraßen, hier nur Saum- und Fußpfade; dort Lasttiere (Kamele, Maultiere, Esel) zum Tragen und Fahren, hier ist der Mensch das vornehmste Transportmittel. Für die Schiffahrt bietet der Süden ein weitverzweigtes Wassernetz, während die Flüsse im Lößgebiet unschiffbar sind. Im Bereich der Großen Ebene ist ein sehr verzweigtes, leider teilweise verfallendes Kanalsystem angelegt worden. Auf dem Jangtsekiang haben neuerdings auch Bremer Firmen einen regelmäßigen Dampferverkehr eingerichtet; allerdings ist ein Versuch des Dampfers Suihsiang auf dem Strom oberhalb Itschang gescheitert. Auf den kleinern Flüssen im Innern dürfen jetzt, was früher verboten war, Dampfer fahren; namentlich geschieht dies in Kwangtung, seit 1889 auch auf dem Sikiang.

Gegen Eisenbahnen hat sich C. lange zäh verschlossen; eine 1876 eröffnete und vom Volk vielbenutzte kurze Linie (Schanghai-Wusung) wurde auf Betreiben der Mandarinen wieder beseitigt. Andre Pläne wurden nicht einmal in Angriff genommen. Eine neue Ära begann 1880 mit Einführung des Dampfbetriebs auf der Feldbahn Tongschan-Taku zur Beförderung der Kaiping-Kohle (Alte Kaiping-Bahn). Die Neue Kaiping-Bahn: Tongschan-Tongku (120 km), Tongku-Tiëntsin (50 km), wurde Ende 1888 durch Lihungtschang eröffnet. 1890 gab ein kaiserliches Edikt die Genehmigung zur Weiterführung der Linie nach dem Hafen Schanhaikwan (115 km), die Ende 1893 beendet wurde, die erste »kaiserlich chinesische« Eisenbahnlinie. Die weitere Verlängerung bis Tschintschou (187 km) wurde im Herbst 1899 fertig. Der von hier aus geplante Anschluß an die mandschurischen Linien einerseits über Niutschwang nach der Bahn Kharoin-Port Arthur, anderseits gegen Mukden (s. Chinesische Ostbahn und Mandschurei) ist unter englischer Leitung noch im Bau. Ende 1895 wurde der Bau der Linie Tiëntsin-Matschiapu (Peking) durch kaiserlichen Erlaß angeordnet, 1897 eröffnet, 1899 durch eine von Deutschen gebaute elektrische Bahn bis zum Südtor von Peking verlängert. Der schon 1889 durch kaiserlichen Erlaß angeordnete Bau der wichtigen Linie Peking-Hankau (etwa 1200 km) ist nach vielen Schwierigkeiten von Norden her über Pantingfu bis Tschöngtingfu (250 km), von Süden her etwa 200 km weit fertiggestellt. Die Verbindung wird namentlich in der Überschreitung des Hwangho große Hindernisse zu überwinden haben; die Konzession hat ein französisch-belgisches Syndikat. Zweiglinien zur Ausnutzung von Bergwerken sind geplant, namentlich nach der Hauptstadt des kohlereichen Schansi, Taiyüenfu. Für die an amerikanische Unternehmer vergebene Linie Hankou-Kanton haben erst vorläufige Erkundungen des Geländes stattgefunden (vgl. Parsons, An American engineer in C., New York 1901). Die Strecke Schanghai-Wusung (16 km) wurde 1898 wieder eröffnet; eine Verlängerung über Sutschou und Tschinkiang nach Nanking nebst Zweiglinie Sutschou-Hangtschou ist noch nicht begonnen. Die deutsche Schantung-Eisenbahn Tsingtau-Tsinanfu wurde im Frühjahr 1901 bis Kiautschou, im Frühjahr 1902 bis Weihsien (180 km) eröffnet; die Gesamtlänge, einschließlich einer Zweigbahn nach dem Industriezentrum Poschan, beträgt etwa 450 km. Von großartiger Tragweite ist der konzessionierte deutsche Plan einer Linie von Tiëntsin über Tsinanfu nach Ihsien (650 km), der seine natürliche Erweiterung bis Tschinkiang am Jangtsekiang (300 km) finden soll; sie würde teilweise dem Lauf des Kaiserkanals (s.d.) folgen. Konzessionen an französische Unternehmer sind erteilt für die Linien: Laokay (Grenze von Tongking)-Jünnanfu, Langson-Lungtschou, Nanningfu-Pakhoi.

Das kaiserlich chinesische Telegraphenamt hat sich sehr erweitert. Peking ist jetzt mit allen Provinzialhauptstädten und Freihandelshäfen, außerdem mit den wichtigsten Grenzplätzen verbunden. Die längste, 1892 beendete Linie führt von Pautingfu, der Hauptstadt von Tschili, nach dem äußersten Nordwesten von C. und endet bei Sutschoufu in Kansu. Die Linie Kanton-Jünnanfu ist bis Mangwyn an der birmanischen Grenze geführt worden. Den Jangtsekiang aufwärts ist der Telegraph bis Tschungking vorgedrungen. Auch in Schanghai laufen von allen Teilen des Reiches die Drähte zusammen. Die Linien hatten 1901 eine Gesamtlänge von etwa 225,000 km mit 250 Telegraphenämtern. Die Beamten sind meist Chinesen. Der erste Telegraph in C. wurde 1874 zwischen Futschou und dem benachbarten Arsenal gelegt.

Postwesen. Die chinesische Staats- oder Reichspost gehört zur Abteilung für Gespann und Pferde des Kriegsministeriums in Peking und zerfällt in die gewöhnliche oder Botenpost und die Eilpost. Botenpostämter bestehen nur in 18 Provinzen, und zwar 8000, die außer den 16 in Peking stationierten Postexpedienten von Lokalbehörden verwaltet werden. Die Eilpost mit 2040 Ämtern umfaßt das ganze chinesische Reich und erfordert eine Jahresausgabe von etwa 2 Mill. Haikwan Tael, der keine Einnahmen gegenüberstehen. Privatposteinrichtungen besorgen den größten Teil des nichtamtlichen Verkehrs. Durch Erlaß vom 1. Febr. 1896 wurde ein Reichspostamt errichtet und dem Generalinspektor der Seezölle unterstellt. Der Beitritt zum Weltpostverein ist noch nicht erfolgt, ebensowenig die Einführung von Briefmarken.

Bankinstitute. In den Vertragshäfen bestehen die von England aus gegründeten Hongkong and Shanghai Banking Corporation; Chartered Bank of India, Australia and China; Chartered Mercantile Bank of India, London and China; Oriental Banking Corporation; National Bank of India und die Agra-Bank sowie das französische Comptoir d'Escompte de Paris; die 1890 gegründete, aber nach dem erstgenannten Institut bereits bedeutendste Deutsch-Asiatische Bank in Schanghai; die Russisch-Chinesische Bank (seit 1895, auch für französische Interessen); die Jokohama Speziebank. Chinesische Banken (»Geldbureaus«) bestanden schon im 1. Jahrh. n. Chr.; heute sind die meisten chinesischen Bankiers zugleich Pfandleiher, bilden als solche eine sehr einflußreiche, angesehene Gilde und erheben für die Regierung Taxen und Steuern. Seit 1897 besteht eine kaiserlich chinesische Staatsbank in Peking mit nur chinesischem Kapital. Die wichtigsten und sichersten sind die »Schansi-Banken« (Hsihao). Der Zinsfuß beträgt durchschnittlich 10–15 Proz. Anstatt des früher emittierten Staatspapiergeldes, das wegen der von der Regierung systematisch verübten Betrügereien in Mißkredit kam, geben die chinesischen Banken gegen einige Sicherheit Noten aus. Allein in Tiëntsin emittieren gegen 300 Banken solche. Sie haben ungefähr die Größe europäischer Banknoten, sind auf starkes, grobes Papier gedruckt und mit einer Menge Stempel versehen, um Fälschungen zu verhüten. Die Noten lauten auf 100–10,000 Käsch.

Maße und Gewichte haben bei derselben Bezeichnung an jedem Platz, auch für verschiedene Waren, verschiedenen Wert. So wechselt das Tschi = 10 Tsun zwischen 9 und 19 engl. Zoll; in den Vertragshäfen werden dafür meist 14,1 Zoll = 35,813 cm gerechnet. Wichtig ist das Wegmaß Li ( = 1800 Tschi) mit sehr wechselndem Wert, durchschnittlich = 644,58 m. Lebensmittel etc. handelt man fast immer nach Gewicht. Vertragsmäßig soll der Tan oder Pikul 1331/3 engl. Handelspfund = 60,453 kg enthalten. 1 Pikul = 100 Kin oder Kätti zu 16 Liang oder Tael.

Mün z- und Währungsverhältnisse. Als Münzen laufen massenhaft die Tungtsien, Sapeken oder Käsch um, das sind auf einer Seite bezeichnete Rundstücke aus Kupfer mit Zinn, Blei und Zink, von ungleicher Größe und Dicke mit vierkantigem Loch. Je 100 werden zu einem Mahs oder Tsiën aufgereiht und 10 Schnüre zu einem Liang oder Tael gebündelt. Diesem wurde ein Kegel fast reinen Silbers (engl. sycee) von in Schanghai 34,246 g Gewicht gleich gesetzt; aber man erhält für solches Tael 750–2000 Käsch, je nach dem Platzkurs. In Haikwan Tael von 38,246 g oder bei vertragsmäßig 11/3 Unze Avoirdupois = 37,799 g werden die Zölle bezahlt. Als wirkliche Münzen, jedoch vielfach verunstaltet, benutzt man mexikanische und andre Dollars, die seit 1873 auch in Kanton geprägt werden und hier 24,494 g sein wiegen sollen; dieser Dollar von Kanton, = 4,409 Mk. Silber, erhielt 1890 Gültigkeit im ganzen Reiche, wird aber, wie die übrigen Edelmetallmünzen, außerhalb der Vertragshäfen in der Regel gewogen. Größere Barzahlungen erfolgen in gestempelten Silberdarren von meist 50 Tael. Außerdem zahlt man in Goldblättern, deren Feinheit der Goldschmied in chinesischer oder englischer Schrift beglaubigt. Alle diese Wertzeichen haben gegeneinander veränderlichen Kurs. Den Geldverkehr mit Europa und Amerika vermitteln in den Vertragshäfen ansässige Banken. Über die Noten der einheimischen s. oben: Bankinstitute.

Staatsverfassung und Verwaltung

Die Staatsverfassung Chinas ist monarchisch und den Staatsgrundgesetzen nach, wie sie in den ersten vier Büchern des Kungfutse enthalten sind, patriarchalisch; in Wirklichkeit ist die Regierung jedoch in eine Willkürherrschaft der Provinzvorstände ausgeartet. Der Kaiser wird als Tientse, »Sohn des Himmels«, oder Hwangti, »gelber Kaiser«, bezeichnet, hat über alle Untertanen unumschränkte Gewalt, ist geistliches Oberhaupt, höchster Richter und Anführer im Kriege. Man verehrt ihn, indem man sich in den Staub wirft (Kotau); er ist aber selbst einem sehr strengen Zeremoniell unterworfen. Äußeres Zeichen seiner Würde ist die gelbe Kleidung. Der Kaiser wählt seinen Nachfolger unter seinen Söhnen; falls solche nicht vorhanden, unter den nächsten männlichen Verwandten, doch wird die Wahl erst bei seinem Tode bekannt gemacht. Die Regierung des Landes ist ziemlich verwickelt. Ein umfassendes Staatshandbuch in 920 Bänden, das Tatsing Huitien, ist ausschließlich der Darstellung der Regierungsformen gewidmet. Die Gesetzgebung erfolgt durch den Kaiser, aber auf Anregung und unter Verantwortlichkeit der Minister; Gesetze und Erlasse werden im »King-Pan«, dem Staatsanzeiger, veröffentlicht. Das Ministerium des kaiserlichen Hauses (Tsungyenfu), deren Mitglieder Prinzen sind, hat unter sich den kaiserlichen Haushalt (Newufu) und die Pekinger Akademie (Hanlinyüen), die alle die Reichsgeschichte und Landesliteratur betreffenden Dokumente zu redigieren und die Prüfungen zu beaufsichtigen hat. Seit Beginn des 18. Jahrh. werden die wichtigsten Staatsangelegenheiten von dem Hohen Rat (Künkitschu) in Gegenwart des Kaisers, meist in den frühen Morgenstunden (von 5–6 Uhr), verhandelt. Nächst diesem steht nominell die oberste Leitung der Verwaltung bei der »innern Ratskammer« (Nuiko) von vier Mitgliedern (zwei Chinesen und zwei Mandschu). Unter den Befehlen dieser Mitglieder arbeiten die sechs Tribunale (Liupu): für Zivilverwaltung, für Finanzen (Hupu), für Gebräuche und Zeremonien (Lipu), für Kriegswesen (Pingpu), für Justiz (Hsingpu) und für öffentliche Arbeiten (Kungpu). Jedes dieser Ministerien steht unter zwei Präsidenten, einem Mandschu und einem Chinesen, nur das Kriegsministerium hat drei Präsidenten. Außerdem sind als weitere höchste Behörden in Peking: das Fremdenamt (Lifanjüen) für die Verwaltung der äußern Reichsteile, nur mit Mandschu und Mogolen besetzt, eine 1860 eingesetzte Behörde für die auswärtigen Angelegenheiten (Tsungliyamen), der auch das von Europäern geleitete Seezollamt untersteht. Ferner der »Rat der öffentlichen Zensoren« (Tutschayuen) mit dem Vorrecht, gegen jede Regierungsmaßregel dem Kaiser Gegenvorstellungen zu machen. Dieser Rat hat seine Vertreter in jeder Provinz, die teils den Sitzungen der Provinzialbehörden beiwohnen, teils die Provinz bereisen und über ihre Wahrnehmungen an den Rat berichten.

Für die 18 Provinzen von C. gibt es 7 Vizekönige (Tsungtu), von denen die von Tschili und Sz'tschwan über je eine Provinz, der von Liangkiang über drei, die von Schenkan, Mintsche, Liangkwang, Yünkwei über je zwei Provinzen gebieten; in den Provinzen Schantung, Schansi und Honan ist ein selbständiger Gouverneur (Sünsu) die oberste Zivilstelle, doch hat auch von den unter einem Vizekönig stehenden Provinzen jede ihren besondern Gouverneur. C. wird eingeteilt in 18 Provinzen; jede derselben zerfällt in: Fu, Tschou, Hien (Hoiën); die Fu und Tschon erster Ordnung können als Regierungsbezirke, die Tschou zweiter Ordnung und die Hien als Kreise bezeichnet werden; außerdem gibt es Ting erster und zweiter Ordnung mit mehr militärischer Bedeutung und noch kleinere Einheiten. Die Beamten, Kwan (das Wort Mandarin ist in C. nicht gebräuchlich), gliedern sich in neun Rangstufen, unterschieden durch kleine Knöpfe auf den Mützen (einfache und verzierte Koralle, Hellblau, Dunkelblau, Bergkristall, Weiß, Gold) und durch Stickerei des Brustlatzes (Vögel bei den Zivilbeamten, Vierfüßer beim Militär). Die Gehalte sind sehr niedrig, werden auch durch Strafgelder wegen wirklicher oder angeblicher Verschuldungen (so bei Überschwemmungen, Feuersbrünsten, Hungersnot) häufig verkürzt oder ganz eingezogen, so daß die Beamten zu Erpressungen und Unterschlagungen geradezu genötigt werden. Vgl. Hirth, Über das Beamtenwesen in C. (»Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde«, Berl. 1882).

Rechtspflege. Das chinesische Kriminalgesetzbuch (Tatsing Lüli, übersetzt von Staunton, engl., Lond. 1810) verliert sich in Kasuistik und belegt eine große Menge von Handlungen mit Strafe. Tötung eines Menschen. Raub, Diebstahl gelten bei weitem nicht für die größten Verbrechen; sehr hart werden Verfehlungen gegen Moral und Pietät gestraft, weil sie als Zeichen schlechten Charakters gelten; ein Recht des Aufstandes gegen Tyrannen ist anerkannt. Um Geständnisse zu erlangen, werden die unglaublichsten Torturen angewendet, auch gegen Zeugen, und die Behandlung der Gefangenen, die man wie wilde Tiere einsperrt, ist unmenschlich. 10–100 Hiebe mit dem Bambus, Transportation, Verbannung in ferne Provinzen, harte Sklavenarbeit und Tod sind die gesetzlichen Strafen. Enthauptung ist die gewöhnliche Art der Hinrichtung, nur auf Elternmord steht das Lingtschi, d. h. die Strafe, bei lebendigem Leib in Stücke geschnitten zu werden, deren Ausführung jedoch durch Bestechung des Henkers gemildert werden kann. Für die Jurisdiktion über die Untertanen fremder Staaten gilt das Recht der Exterritorialität, d. h. die Gerichtsbarkeit steht bei dem Repräsentanten der betreffenden Nation, dem Konsul, nicht bei den Gerichten des Landes. Der Konsul entscheidet über Kriminal- und Zivilsachen nach den Gesetzen seines Landes; die letzte Instanz ist in der Heimat des Beklagten. Chinesen werden von Fremden bei deren Konsulat und bei dem betreffenden chinesischen Beamten verklagt, ein Beamter des Konsulats wirkt als Beisitzer, in zweiter Instanz eine höherer Beamter und der Konsul. Über weitere Berufungen beschließen die Gesandten und das Auswärtige Amt in Peking.

[Finanzen.] Angaben über den Staatshaushalt werden amtlich nicht veröffentlicht. Die Einnahme der Staatsregierung fließt aus einer Land- und einer Reissteuer, die direkt den Grundbesitz treffen, aus dem Salzmonopol, aus einer Stempeltaxe, einer Umschreibegebühr von 8 Proz. des Verkaufspreises und aus den Grenz- und Binnenzöllen. Nach einer vom englischen Konsul in Schanghai für den Durchschnitt 1892–94 aufgestellten Schätzung betrugen die Einnahmen in Haikwan Tael:

Tabelle

Unter Likinzöllen versteht man die Abgaben auf den Transport aller Waren im Innern des Landes, insofern sie nicht durch Entrichtung des vom fremden Zolldienst erhobenen Transitzolles bereits von weiterer Besteuerung befreit sind. Diese Zölle waren von Haus aus nur zur Deckung außerordentlicher Bedürfnisse während des Krieges gegen die Taiping-Rebellen eingeführt, sind aber bis heute beibehalten worden.

Die Höhe der Staatsschulden dürfte jetzt etwa 900 Mill. Haikwan Tael betragen; die erste äußere Anleihe wurde 1874 in Europa im Betrag von 627,675 Pfd. Sterl. zum Zinsfuß von 8 Proz. gegen Verpfändung der Zölle kontrahiert; 1887 schloß die kaiserliche Regierung, ebenso der frühere Generalgouverneur von Liangkwang eine Anleihe mit deutschen Banken ab. In den Jahren 1894–1901 vermehrte sich die äußere Schuld um über 800 Mill. Taels, zuletzt durch die Entschädigung an die bei den letzten Wirren beteiligten Mächte um 450 Mill., wofür bis 1941 jährlich 18,829,500 Taels zu zahlen sind. Die lokalen Steuern und Taxen fließen zum größten Teil in die Provinzialkassen. Für die Zentralregierung in Peking ist daher von größter Bedeutung das 1854 geschaffene Inspektorat der Seezölle, dessen Vorstände in jedem Ort Europäer sind. Ursprünglich ins Leben gerufen während der Taiping-Rebellion, als die kaiserlichen Autoritäten sich in Schanghai nicht halten konnten und eine von den auswärtigen Mächten eingesetzte Kommission von Fremden die Zölle für die Regierung provisorisch einnahm, dann aber aufrecht erhalten, um den Eingang der Zolleinnahmen zu überwachen, die der Bezahlung der Kriegsschuld an die Westmächte als Sicherheit dienen sollten, wurde dieses in Schanghai domizilierende Institut von der Regierung beibehalten, beträchtlich erweitert und einem fremden Generalinspektor, der in Peking residiert, unterstellt. Unter diesem stehen 19 Inspektorate mit Europäern als Beamten an der Spitze, Engländern, Amerikanern, Franzosen, Russen und Deutschen. Die Zolleinnahmen betrugen 1899: 26,661,460 Haikwan Tael, wovon 21,418,189 auf den auswärtigen und 5,243,271 auf den innern Handel entfallen. Sie setzen sich zusammen aus Einfuhrzöllen 8,473,471, Ausfuhrzöllen 10,235,968, Küstenhandel 1,763,757, Tonnengeldern 640,191, Transitzöllen 835,830 und Opiumsteuer 4,748,243 Haikwan Tael. 1858 hatten diese Einnahman nur 379,000 Tael betragen. Als Sicherheit für die letzte 450-Millionenschuld dienen die bisher nicht belasteten Seezölle, die Transitzölle und die bisher unbelastete Salzsteuer.

[Heer und Flotte.] Das Landheer setzt sich seit 200 Jahren, nachdem das altchinesische durch ein mongolisches Heer überwunden war, aus vier Hauptgruppen zusammen: 1) das kaiserliche Achtbannerheer (Pa-tschi), besteht aus 24 Einheiten oder 678 mandschurischen, 221 tatarischen und 266 chinesischen Kompagnien zu 90 Mann, in Summa 105,000 Mann. Die ersten acht Banner waren ausschließlich für den kaiserlichen Dienst bestimmt. 2) Die grüne Fahne (Luing), das den Gouverneuren der Provinzen unterstellte Bannerheer, das neben dem Lokaldienst und dem Schutz der eignen Provinz nur zur Stellung von Detachements für den Feldkrieg verpflichtet war, wurde zur Zeit des Boxeraufstandes auf 440,000 Mann geschätzt. 3) Die disziplinierten Truppen, wurden erst Mitte des 19. Jahrh. aufgestellt, man sing an, das Heer in europäischer Weise zu bewaffnen und auszubilden, und strebte eine Stärke der disziplinierten Truppen von 417,900 Mann an. 4) Die von der Bevölkerung der Mongolei und Tibets aufzustellenden Milizen haben im Frieden etwa nur 3000 Mann im Dienst, im Kriegsfall 118,000, bez. 64,000 Mann, aber wegen der Mängel in Bewaffnung und Ausbildung sind sie ziemlich wertlos.

Seit 1895 bemühte sich Lihungtschang, das gänzlich veraltete Heerwesen umzugestalten. Küstenbefestigungen wurden unter Leitung europäischer Offiziere errichtet, man berief Lehrer für die Militärschulen und Instruktoren für die Ausbildung der Truppen. Truppen und Küstenwerke wurden mit der besten Bewaffnung ausgerüstet und Waffenfabriken unter Leitung europäischer Techniker errichtet. An Geschützen wurden Gebirgs- und Feldgeschütze (meist 7,5 em-Kaliber), für die Befestigungen 12 und 15 cm-Geschütze, neuerdings auch mit Schnellfeuereinrichtung, beschafft. Nach russischen Quellen hatte man bei Beginn des Boxeraufstandes mit folgenden Truppen zu rechnen: Von den damals auf 203,000 Mann geschätzten Bannertruppen kamen nur das 13,000 Mann starke Felddetachement von Peking (8000 Mann Infanterie, 4000 Mann Kavallerie, 800 Mann Artillerie mit 189 Geschützen) und 42,000 disziplinierte (ausgebildete) Mandschutruppen in Betracht. Von den Provinzialtruppen (539,000 Mann) waren nur die von Tschili (64,000 Luing, 35,000 disziplinierte Truppen) und Schantung (7–8000 Mann) beachtenswert. In andern Provinzen fanden sich noch etwa 20,000 Mann ausgebildeter Truppen. Die drei mandschurischen Provinzen erhielten neben 37,000 Mann Bannertruppen und kleinen Detachements der grünen Fahne eine »ausgebildete«, mit Kruppschen Geschützen und modernen Gewehren etc. bewaffnete Truppe in Stärke von 48,000 Mann. Dazu kommen die etwa 30,000 Mann starken Truppen der »Neuen Linie« und der Bezirke von Ili und Tarbagatai, im ganzen etwa 8000 »Ausgebildete«. Ferner ist noch das aus Mohammedanern bestehende Korps der Provinz Kansu mit 9000 Mann hinzuzurechnen. Trotz aller Reformen war das chinesische Heer nicht zu erfolgreichen Kriegshandlungen befähigt, weil andauernde Verpflegung, sanitätliche Behandlung u. a., aber auch die moralischen Eigenschaften fehlten. Der Soldat ging aus den untersten Schichten der Bevölkerung hervor, und das auf niedrigster Stufe stehende Offizierkorps schloß jeden Vergleich mit Heeren der Kulturstaaten aus. Der Kaiser hat nicht als oberster Kriegsherr die unbedingte Obergewalt über das Heer, auch ist die oberste Kriegsverwaltung äußerst unselbständig. – Von den Befestigungen in C. ist das Hauptbollwerk, die Große Mauer, völlig veraltet. Die Umwallungen Pekings und andrer größerer Städte widerstehen nicht modernen Belagerungsmitteln. Ebensowenig leisteten auch die nach europäischer Art gebauten und ausgerüsteten Forts von Taku und Peitang, die Befestigungen von Tiëntsin, Lutai u. a. O. dauernden Widerstand. Vgl. Putjata, Chinas Wehrmacht (a. d. Russ., Wien 1900). – Die Flotte zerfällt in vier Geschwader: ein nördliches (Peiyang) mit 5 kleinen Kreuzern, 2 Torpedojägern, 2 Schulschiffen und 1 Truppendampfer; das südliche (Nanyang) mit 5 kleinen, ungeschützten Kreuzern, 4 Kanonenbooten, 6 schwimmenden Batterien, 4 Hochseetorpedobooten und 3 Truppendampfern; das Geschwader von Futschou mit 2 kleinen geschützten und 5 kleinen ungeschützten Kreuzern und 2 Torpedojägern; schließlich das Kantongeschwader mit 10 Kanonenbooten, 11 Küstentorpedobooten und 1 Truppendampfer. Außerdem sind 11 Kanonenboote für den Zolldienst vorhanden. Gesamtbesatzung etwa 8000 Mann.

Wappen, Flagge, Orden. Das Staatswappen (s. Tafel »Wappen IV«), zugleich Symbol der kaiserlichen Familie, ist ein gelber Drache mit fünf Klauen an den Füßen und eine geflammte Kugel. Kaiserliche Farbe: Gelb. In der viereckigen gelben Kriegsflagge erscheint ebenfalls ein Drache mit roter Kugel. Die Handelsflagge zeigt in Rot eine gelbe Scheibe (s. Tafel »Flaggen I«). Es bestehen vier Orden: der Drachenorden in 4 Klassen, der Orden vom doppelten Drachen in 5 Klassen mit 11 Graden (s. Tafel »Orden III«, Fig. 1 u. 2), der Orden vom kostbaren Stern in 3 Klassen und der Zivilverdienstorden in 3 Klassen.

Die Entdeckungsgeschichte Chinas ist im Artikel »Asien« (S. 869f.) übersichtlich dargestellt.

[Geographisch-statistische Literatur.] Außer den unter den betreffenden Abschnitten (Kultur, Religionen, Unterricht u. a.) bereits aufgeführten Spezialwerken und den Berichten der Forschungsreisenden besitzen wir eine große Zahl Land und Volk im allgemeinen behandeln der Werke. Das älteste derselben ist die 1477 m Nürnberg herausgegebene Übersetzung der Reisen von Marco Polo, dann die Berichte der 1665 von Holland, 1794 und 1816 von England nach C. abgeordneten Gesandtschaften. Unter den neuern sind besonders hervorzuheben: der Bericht der »Reise der österreichischen Fregatte Novara«, enthaltend einen beschreibenden, linguistischen und anthropologischen Teil (Wien 1861–68); Scherzers »Fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, C. und Japan« (Stuttg. 1872); das offizielle Werk »Die preußische Expedition nach Ostasien« (Berl. 1864–73, 4 Bde.). Zusammenfassende Werke sind namentlich: Hippisley, C., geographical, statistical and political sketch (Schanghai 1876); Eden, C., historical and descriptive (2. Aufl., Lond. 1880); Playfair, Cities and towns of C., a dictionary (das. 1880); Douglas, C. (das. 1882); Exner, C., Skizze von Land und Leuten mit besonderer Berücksichtigung kommerzieller Verhältnisse (Leipz. 1889); Grunzel, Die kommerzielle Entwickelung Chinas in den letzten 25 Jahren (das. 1891); »Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Reise des Grafen B. Széchényi in Ostasien 1877–1880« (nach d. ungar. Original verfaßt hauptsächlich von Kreitner und v. Loczy, Wien 1893–99, 3 Bde.); v. Richthofens großes, noch nicht vollendetes Werk: »C., Ergebnisse eigner Reisen und darauf gegründeter Studien« (Berl. 1877–84, Bd. 1, 2 u. 4), mit wichtigen orographischen und geologischen Karten; Derselbe, Letters on C. 1870–1872 (Neudruck, Schanghai 1900); Tiessen, C., das Reich der 18 Provinzen (Berl. 1902); Obrutschew, Aus C. (Leipz. 1896); Martin, A cycle of Cathay (Edinb. 1896); Bigham, A year in C. (Lond. 1901); Williams, The Middle Kingdom (2. Aufl., das. 1899, 2 Bde.); Colquhoun, C. in transformation (Lond. 1900); v. Brandt, 33 Jahre in Ostasien (Leipz. 1901); B. Navarra, C. und die Chinesen, auf Grund eines 20jährigen Aufenthalts geschildert (Bremen 1901); E. und O. Réclus, L'empire du Milieu (Par. 1902, 2 Bde.). Zeitschriften: »C.: returns of trade at the Treaty Ports« und »Reports on trade at the Treaty Ports«, alljährlich in Schanghai erscheinend, auch die Monatsschrift »Asien« (Berl., seit 1901).

Geschichte

Die Aufzeichnungen der chinesischen Geschichtschreiber gehen bis 2600 v. Chr. zurück; doch ist die älteste Überlieferung sagenhaft. Danach drangen die Stammväter des »schwarzhaarigen Volkes« aus dem Nordwesten in das Gebiet des Hwangho ein und unterjochten die Urbewohner, die ihre Sitten annahmen und sich mit ihnen verschmolzen. Große Herrscher, wie Fuhi, Yao, Schun und Yü, pflanzten die ersten Keime der Gesittung und Bildung, führten den Ackerbau ein, entwässerten das Land durch Kanäle und begründeten die Kultur des Maulbeerbaums und die Zucht der Seidenraupe; sie gewöhnten das Volk an häusliches und geselliges Zusammenleben, an die Ordnung der Ehe, Gehorsam gegen die Gesetze und den Dienst des Himmels. Die Einrichtung des chinesischen Kalenders geht auf diese alten Zeiten zurück; das erste Jahr des ersten 60jährigen Zyklus entspricht dem Jahre 2637 v. Chr. In der Regel bestimmke der Kaiser den tüchtigsten seiner Minister zu seinem Nachfolger. Mit Yüs Sohn begann 2205 v. Chr. die erste erbliche Dynastie Hia (2205–1767). Unter ihr und der nächstfolgenden Schang (1766–1123) erstreckte sich das Reich wohl nur über das Gebiet des Hweiho und des untern Hwangho bis zum Meere. Mit Wuwang, dem eigentlichen Gesetzgeber Chinas, bestieg die Dynastie Tscheu den Thron, den sie 1122–256 innehatte; sie dehnte das Reich über das Gebiet des Jangtsekiang aus. Während die heutige Provinz Schensi der eigentliche Stützpunkt des Kaiserhauses blieb, gewannen die schon von Wuwang eingerichteten Lehnsfürstentümer im Osten und Süden allmählich fast unbeschränkte Selbständigkeit. Die drei Heroen des chinesischen Geisteshimmels, Laotse (geb. 604 v. Chr.), Kungfutse oder Confucius (551–478) und Mengtse oder Mencius (geb. 371 v. Chr.) waren Verwandte oder Beamte von Lehnsfürsten; die beiden letztern in Schantung. Bis 769 residierten die Kaiser in Singanfu am Weifluß; da aber von Nordwesten her die barbarische Völkerschaft der Djung hereinbrach, verlegte der Kaiser Pingwang seinen Wohnsitz nach dem leichter zu verteidigenden Loyang.

Seit dieser Zeit steigen die Fürsten von Tsin, die das Reich an der nordwestlichen Grenze zu verteidigen hatten, an Macht und Bedeutung. Schließlich schwang sich Tsin Shi Hoangti (246–210) zum Alleinherrscher auf. Er teilte das Reich in 36 Provinzen, deren Hauptstädte er durch Kunststraßen verband, begann den Bau der Großen Mauer zum Schutz gegen die Barbaren und befahl zur Unterdrückung der Literaten die Verbrennung aller historischen und staatswissenschaftlichen Bücher (213 v. Chr.). Sein Sohn wurde nach dreijähriger Regierung von einem Eunuchen ermordet. Noch kürzer war die Regierung des Enkels und letzten Sprosses Hoangtis, des Kaisers Ing-Wang, der sich nach sechswöchentlicher Regierung das Leben nahm, als seine Truppen zu dem General Lieon Pang übergingen. Dieser machte sich darauf zum Kaiser und begründete die glorreiche Han-Dynastie (206 v. Chr.). Der Unternehmungsgeist weitschauender Staatsmänner während der ersten 300 Jahre dieser Dynastie, die auch durch die Pflege von Kunst und Literatur für C. die größte Bedeutung hat, hatte die Einverleibung der heutigen Südprovinzen und Tongkings sowie die Oberherrschaft über Anam und Kotschinchina zur Folge (111 v. Chr.). Im Westen wurde das Tarymbecken durch Handelsstraßen aufgeschlossen und die Sicherheit durch Bündnisse und Kriege mit den Nomadenstämmen Turkistans gesichert. Gegen die Hiongnu nahm man die Offensive auf und trieb sie in die Dsungarei. Im I. 95 n. Chr. stand ein chinesisches Heer am Ostufer des Kaspischen Meeres; wenigstens nach Mesopotamien und Syrien richteten sich damals die chinesischen Bestrebungen um friedlichen Verkehr. Hellenistische Kunstindustrien und buddhistische Missionare fanden am chinesischen Kaiserhof eifrige Förderung. Römische Kaufleute segelten bis zur Küste Tongkings, um Seide zu holen; sie brachten den von den Malaien gehörten Namen für das Seidenland mit, der sich bis heute in Europa erhalten hat. In den Annalen der Han-Dynastie ist zum Jahre 166 n. Chr. eine Gesandtschaft des römischen Kaisers Antun (M. Aurelius Antoninus) erwähnt. Unter der Han-Dynastie wurde auch das Prüfungswesen in C. eingeführt.

Der Mangel geeigneter Thronfolger in der kaiserlichen Familie verursachte im I. 221 n. Chr. den Zerfall des Reiches in drei ungleiche Teile, die sich fortwährend bekriegten. Die romantischen Abenteuer dieser 41jährigen Kriegsperiode bilden den Gegenstand einer berühmten Geschichtsklitterung, die noch heute die beliebteste Unterhaltungslektüre in C. ist. Der Verlust der Vorherrschaft bei den westlichen Nomaden war die Folge der innern Zerrüttung. Allerdings vereinigte Wuti durch die Macht seines Schwertes wieder ganz C. und gründete die zweite Tsin-Dynastie. Aber die 150 Jahre dieser Herrschaft haben in den chinesischen Geschichtsquellen nur schwache Eindrücke hinterlassen. Dann folgte wieder eine Teilung in fünf kleinere Reiche, von denen das nördlichste, Wei, allein zeitweise eine allgemeine Leitung an sich reißen und nach außen kräftig auftreten konnte. Diesem Stillstande machte erst die allerdings kurzlebige Sui-Dynastie (589–618) ein Ende, die wenigstens mit Japan und den Riukiui-Inseln wieder Beziehungen anknüpfte. Der eigentliche Wiederhersteller einer weitreichenden kaiserlichen Autorität war aber der Kronprinz und spätere Kaiser Taitsung, der von 627–650 regierte, also ein Zeitgenosse des großen Kalifen war. Er widmete sich besonders der Ausbildung eines berufsmäßigen, stehenden Heeres, reorganisierte die Verwaltung des Tarymbeckens, errang die Anerkennung chinesischer Oberhoheit in Tibet und drang siegreich in Korea vor. Unter seiner Regierung machte Hsuen-Tsang eine 17jährige Reise durch Indien und Zentralasien. Taitsung gestattete auch christlichen syrischen Missionaren, die 635 zuerst anlangten, die Niederlassung und Bekehrungsversuche in der Hauptstadt und den Provinzen (Nestorianische Tafel von 781). Palastränke und Vernachlässigung des Heeres verursachten einen allmählichen Verfall der Herrschaft über Asien. Zwar wurde Korea 658–674 trotz japanischer Hilfe vollständig unterworfen; aber Tibet, dessen Chan durch Heirat mit dem chinesischen Herrscherhause verbunden war, beunruhigte die südlichen Provinzen durch räuberische Einfälle (seit 710), und seit 751 waren im Norden die Türken und die Khitan zu bekämpfen. Die siegreichen Feldherren bildeten eine unabhängige Macht im Staate, während den Kaisern Zeremonien, Kulturpflege und höfischer Luxus überlassen blieben. Das 8. Jahrh. hat die drei chinesischen Dichterfürsten Thufu, Wangoey und Litaipe hervorgebracht. Aber in den Ländern am Oxus und Jaxartes wich die chinesische Kultur vor der persisch-arabischen zurück. Im Innern des Reiches kamen Streitigkeiten über den Buddhismus und Hofränke hinzu, so daß seit 800 die Tang-Dynastie als »im Verfall befindlich« bezeichnet wird. Seit 906 machten sich einzelne Gouverneure vom Kaiser ganz unabhängig, so daß über 50 Jahre lang fünf Dynastien nebeneinander bestanden. Erst ein energischer General, der 961 den Namen Taitsu und den Kaisertitel annahm, stellte die verlorne Einheit wieder her und gründete die Sung-Dynastie, die sich drei Jahrhunderte (961 bis 1280) erhielt.

Damals erhob sich von der Mandschurei aus die Macht der Khitan unter dem Fürsten Apaokhi, der ihnen ein Schriftsystem, ein Gesetzbuch und eine feste Organisation gab. Sie eroberten das nördliche C. und wurden dadurch die Veranlassung, daß die Hauptstadt der Sung-Dynastie nach Nanking verlegt wurde. Seit 1043 mußte C. ihnen Tribut zahlen; von ihnen ist der Name Cathay abzuleiten, der seitdem für C. gebräuchlich wurde. Zwar machte sich 1123 ein Fürst der unterjochten Yutschi zum Herrn des Reiches Khitan, dem er den Namen Kin gab, aber die neue Dynastie dehnte ihre Eroberungen noch weiter aus und führte sogar den Kaiser Kintsung als Gefangenen fort. Das Emporkommen der Mongolen machte 1211 diesem Reich ein Ende. Aber der Enkel Dschengis-Chans, Kublai Chan, unterwarf sich ganz C., Korea, die Mongolei, Mandschurei, Tibet, Tongking und Teile von Awa. Er machte Peking zu seiner Residenz und begründete die Auen-Dynastie, die 88 Jahre lang (1280–1368) C. beherrschte und durch Gesandtschaften mit dem Papst und Könige von Frankreich in Verbindung trat. Marco Polo stand 17 Jahre lang in Kublais Diensten. Die Stärke der Mongolen in Ostasien beruhte auf ihren berittenen Bogenschützen und den Katapulten, mit denen sie die Mauern der Städte brachen. Aber in ihren Unternehmungen gegen Japan (1266–81) waren sie unglücklich. Auch die Expeditionen gegen Anam und Birma hatten keinen dauernden Erfolg. Die Verteilung der mongolischen Reiterscharen über ein so weites Gebiet gab örtlichen Empörungen die Aussicht des Gelingens. Steuerdruck, große Bauten und fanatische Devotion vor dem tibetanischen Buddhismus waren die Quellen einer stets steigenden Abneigung der Chinesen und Koreaner gegen die Nachfolger Kublai Chans.

Nachdem Korea in einer blutigen Schlacht seine Unabhängigkeit errungen hatte, fand sich auch in C. der Leiter einer allgemeinen Erhebung gegen das fremde Joch. Es war Tschuyuentschang, ein ehemaliger Priester von geringer Herkunft, der aus innerm Drange Soldat geworden war. Er machte sich 1356 zum Herrn von Nanking, von wo aus er das Banner der Empörung von Stadt zu Stadt sandte, so daß von allen Seiten bewaffnete Scharen gegen Peking heranrückten. Die Mongolen, denen die starken Mauern der Stadt die Möglichkeit leichter Verteidigung gewährten, leisteten keinen Widerstand, da der Kaiser Schunti geflohen war und ihnen Schonung ihres Lebens zugesichert wurde. Der Leiter der nationalen Empörung bestieg als erster Kaiser der Ming-Dynastie den Thron 1368. Es war eine leicht durchgeführte Restauration innerhalb der 18 Provinzen des eigentlichen C.; seit 1382 wurde kein Versuch des Widerstandes mehr gewagt. Unter der Ming-Dynastie (1368–1644), die später ihre Residenz von Nanking nach Peking verlegte, verbreitete sich der auf alten Erinnerungen und kungfutseanischen Lehren, Staatsexamen und Bevormundung, Förmlichkeit und Materialismus gegründete, selbstzufriedene und spannungslose Geist des öffentlichen Lebens, der als Chinesentum fremden Kulturerscheinungen so teilnahmslos gegenübersteht. Die Zulassung der Portugiesen zum Handel in Macao (seit 1517), die Verwendung einiger Jesuiten im Staatsdienste (seit 1580), die feindlichen Berührungen mit japanischen Piratenbanden (seit 1552) und selbst der gegen die japanische Heeresmacht in Korea durchgeführte Kampf (1592–1598) sind auf die innere Entwickelung Chinas ohne Einfluß geblieben. Jeder direkte Verkehr mit Japan wurde verboten und den Spaniern, Holländern und Engländern das Handels- und Niederlassungsrecht verweigert. Um das Schicksal der Chinesen auf Formosa und den Philippinen kümmerte die Ming-Dynastie sich nicht.

Seit 1573 wirkte aber die kriegerische Organisation der Mandschu-Tataren, denen gegenüber der Kaiser Suzeränitätsrechte ausüben wollte, auf die chinesische Geschichte ein. Die Überlegenheit der Lanzenreiter und berittenen Bogenschützen des Nordens in Verbindung mit innern Streitigkeiten hatte den merkwürdigen Erfolg, daß man die wiederholten Einfälle nicht abwehren, und daß Peking nicht verteidigt werden konnte. Der letzte Ming-Kaiser erhängte sich 1644 an einem Baum, als der Empörer Li mit einem großen Heere die Hauptstadt überraschte. Aber der ebenfalls aufständische General Wu Sangwai wandte die Herrschaft lieber dem verbündeten jungen Chan der Mandschuren zu, der als Kaiser Schuntschi die jetzt noch regierende Tsin g-Dynastie begründete. Unter Schuntschi, seinem Sohn Schingtsu (Khanghi) und unter Kaotsungtschün (Khianlung) erhob sich C. zu großer Macht. Alle Aufstände im Lande wurden niedergeschlagen, der größte Teil der Dsungarei, ganz Turkistan und Tibet unterworfen. Formosa, das 1625–62 den Holländern gehört hatte, dann aber von dem großen Piratenhäuptling Koxinga erobert wurde, fiel 1683 dem chinesischen Kaiserreiche zu und wurde als Anhängsel der Provinz Fukien verwaltet. Ein gut organisierter Nachrichtendienst ermöglichte eine starke Zentralisation der Verwaltung. Mit den Russen, denen 1646 der Handelsverkehr, wenn auch unter erschwerenden Umständen, gestattet worden war, brach 1684 wegen Grenzstreitigkeiten ein Krieg aus, der 1688 durch eine Gesandtschaft Peters d. Gr. beigelegt wurde. Rußland erlangte die Erlaubnis, jährlich einmal eine Karawane nach Peking zu senden, sowohl des Handels wegen als auch um den schuldigen Tribut in Geschenken zu entrichten; seit 1727 unterhielt Rußland in Peking eine »geistliche Mission« von zehn Mitgliedern, durch welche die russische Regierung über C. genau unterrichtet wurde. Den Franzosen wurde 1660, den Engländern 1670 der Handel erlaubt; doch wurden die letztern 1693 auf Kanton beschränkt. Die Christen, längere Zeit geduldet, wurden seit 1735 von Khianlung aus politischen Rücksichten hart verfolgt. Unerbittlich gerecht, war dieser Kaiser auch rücksichtslos grausam; im übrigen beförderte er die Wissenschaften und legte vier Bibliotheken der schätzbarsten Bücher an. 1796 entsagte er zugunsten seines ältesten Sohnes, Kiakhing, der Regierung und starb 1799. Von dieser Zeit an war die Macht der Mandschu im Ab nehmen begriffen. Kiakhings Gewalttätigkeit und Grausamkeit erregten bald allgemeine Unzufriedenheit; immer neue Verschwörungen wurden angezettelt, Räuberbanden durchzogen verheerend das Land; Seeräuber, die sich in Hainan und Formosa festsetzten, beherrschten nicht allein das Meer und bekämpften hier die chinesischen Flotten mit wechselndem Glück, sondern drangen von den Flußmündungen aus auch in das Innere des Landes plündernd und verwüstend ein, bis ihre Macht endlich durch innern Zwiespalt zu Grunde gerichtet ward. 1807 kam der erste protestantische Missionar nach C., 1815 wurden alle Katholiken aus dem Reiche verbannt. Auf Kiakhing, der vermutlich durch einige Mißvergnügte ermordet wurde, folgte 1820 Mianning als Kaiser Taokuang (bis 1850). Die Unruhen im Innern des Reiches dauerten unter ihm fort; dazu kamen Konflikte mit den an der Grenze nomadisierenden Buräten und Kirgisen wie mit dem Chan von Khokand, die zu einer Erweiterung der Reichsgrenzen führten.

Die Eröffnung des Landes für den Handelsverkehr erzwangen die Engländer durch den sogen. Opiumkrieg 1840–42. Die Ostindische Kompagnie allein hatte von den am Ende des 17. Jahrh. gewährten Handelsrechten dauernden Gebrauch gemacht; sie genoß bis 1834 in Kanton ein Handelsmonopol; Tee war der Hauptexportartikel, Opium der immer mehr begehrte Einfuhrartikel. Als nun dieser Handel allen britischen Untertanen freigegeben wurde, stieg die Einfuhr und besonders der Schmuggelhandel in diesem gefährlichen Artikel so schnell, daß die chinesische Regierung die Einfuhr völlig verbot. Durch Bestechung der Mandarinen wurde dies Verbot umgangen, bis ein energischer Spezialkommissar zur Unterdrückung des Opiumhandels in Kanton erschien. Diesem, namens Lin, wurden 4. Mai 1839 auf Befehl des englischen Superintendenten des Handels, Kapitän Elliot, 20,283 Kisten Opium zur Vernichtung übergeben. Als aber die nach Macao und Hongkong geflüchteten Kaufleute auf Lins Wunsch nach Kanton zurückgekehrt waren, wurden sie, weil sie sich nicht unter chinesisches Gesetz stellen wollten, verbannt. Das Geschwader chinesischer Kriegsdschunken, das die beiden englischen Kriegsschiffe Volage und Hyacinth angriff, wurde 3. Nov. 1839 völlig zerstört. Jetzt machte die englische Regierung Ernst. 1841 wurde Kanton blockiert, eine der Chusaninseln besetzt, Amoy erobert, Ningpo okkupiert und Wusung und Schanghai genommen. Als sich die Flotte anschickte, Nanking zu beschießen, lenkte der Kaiser ein und schloß 29. Aug. 1842 mit den Engländern einen Friedensvertrag, worin er sich verpflichtete, in 3 Jahren 21 Mill. Doll. zu bezahlen, die Häfen Kanton, Amoy, Futschou, Ningpo und Schanghai dem britischen Handel zu öffnen, britische Konsularagenten daselbst zuzulassen und festeund billige Tarife der Ein- und Ausgangszölle sowie auch die Transitzölle für das innere Land festzusetzen. Die Insel Hongkong wurde für alle Zeit an England abgetreten und die Inseln Tschouschan und Kolangfu ihnen als Pfand überlassen. Die fünf Häfen eröffnete C. nicht bloß dem Handel der Engländer, sondern aller Nationen und schloß 3. Juli 1841 mit den Vereinigten Staaten von Amerika sowie 23. Okt. 1841 mit Frankreich einen Handelsvertrag ab, der beiden Nationen dieselben Zugeständnisse einräumte wie den Engländern. Ein Artikel des französischen Vertrags bestimmte, daß allen Missionaren überall in C. die Ausübung ihrer Tätigkeit und Grunderwerb, allen Chinesen aber die Annahme des Christentums gestattet sein solle. Dieser Toleranzartikel führte zu vielen Reibereien und wurde von den chinesischen Beamten vielfach gar nicht beachtet, wenn Missionare ihren Schutz gegen die Beleidigungen seitens des Pöbels anriefen. In Kanton wagte die Regierung nicht, die versprochene Zulassung der Fremden zu genehmigen, da die Bevölkerung zu erbittert war.

Auf den Kaiser Taokuang folgte 25. Febr. 1850 sein ältester Sohn, Tschu, der sich den Titel Hienfong (»Fülle des Segens«) beilegte. Die herrschende Mandschu-Dynastie Tsing wurde von den Chinesen noch immer als eine fremde angesehen, die den Gehorsam des Volkes nur durch die Furcht vor den Mandschutruppen erzwang. Angebliche Nachkommen der letzten einheimischen Dynastie der Ming und ihre Anhänger, die Mingschin (Mingleute), versuchten wiederholt durch Verschwörungen die Tsing zu stürzen, besonders seit dem unglücklichen Ausgang des englischen Krieges. Eine wirklich ernste Bedrohung der Dynastie entstand aber durch die Taipingrevolution. Urheber war Hung-Siutsuen, dessen Vater Oberhaupt des Stammes der Hung bei Kanton war. Siutsuen, ein aufgeregter Mensch, der Visionen hatte und zur Herrscherwürde berufen zu sein meinte, war durch den Missionar Gützlaff mit dem Christentum bekannt geworden und warf aus seinem Haus und seiner Schule alle Götzenbilder. Als er auch ein hochgehaltenes Wunderbild zerstörte, schritt die Regierung gegen ihn ein, wobei sein Stamm, die Hung, zu ihm hielt. 1850 rief ihn der Stamm der Hakka an seine Spitze, der mit den Punti in Kampf lag, und sein Anhang mehrte sich so, daß er im Herbst 1851 nach der Einnahme der Stadt Jungngan in Kuangsi als Gründer der neuen Dynastie Taiping (»Großer Friede«) oder Tinkwok (»Himmelskönigreich«) ausgerufen wurde. Die Mandarinen versuchten vergeblich der Bewegung durch Hinrichtung der Christen und der Anhänger des neuen Herrschers Herr zu werden. Siegreich zog Siutsuen durch die Provinzen Kuangsi, Hunan, Hupei, Kiangsi, Nganhui und Kiangsu, brachte dadurch alles Land östlich des Tsekiang und südlich des Jangtsekiang in seine Gewalt und ergriff 19. März 1853 Besitz von Nanking, der alten Hauptstadt des Reiches, die als Tienking (»Himmelsresidenz«) Mittelpunkt des neuen Reiches wurde. Siutsuen ließ das Alte und Neue Testament in vielen Exemplaren drucken und leistete dem Christentum allen Vorschub, nahm aber selbst die Taufe nicht an. Er stellte sich vielmehr auf gleichen Fuß mit den Kaisern von C. und Japan wie mit dem Dalai Lama in Tibet und proklamierte sich als jüngerer Bruder von Christus. Indessen fehlte es an fester Organisation und Disziplin; es vergingen mehrere Jahre, ohne daß die Taiping, trotz einzelner Erfolge, größere Fortschritte machten, zumal sie durch innere Streitigkeiten sich selbst schwächten. 1858 waren sie aus einem Teil ihres Gebietes bereits verdrängt und konnten sich in Nanking nur mit Mühe behaupten.

Da geriet die kaiserliche Regierung durch den Krieg mit England und Frankreich in die größte Bedrängnis. Schon seit Jahren mahnte England immer ernstlicher an die Erfüllung des Vertrags von 1842, namentlich an die Zulassung in Kanton, ohne indes etwas zu erreichen. 1856 verlangten wegen der Wegnahme eines unter englischer Flagge segelnden Schiffes die Engländer Genugtuung, erstürmten, da diese nicht erfolgte, alle Forls am Perlfluß und die Stadt Kanton selbst, beschossen den Palast des Oberstatthalters Yeh, legten einen Teil der Stadt in Asche und zerstörten 6. Nov. 1856 die kaiserliche Flotte. Da die vorhandenen Streitkräfte indes nicht zur Ausbeutung dieses Erfolges genügten, nahm C. dies als Zeichen der Schwäche und rief in amtlichen Erlassen das Volk, das ohnedies wegen des grausamen Kulihandels gegen die Fremden erbittert war, zu deren völliger Vertilgung auf. Die fortgesetzte Verfolgung aller Europäer führte 1857 zu einem gemeinsamen Vorgehen Englands und Frankreichs. Beide Mächte sandten Kriegsflotten unter den Admiralen Seymour und Rigault de Genouilly mit 8000 Mann Landungstruppen nach Hongkong, und nachdem Yeh eine gütliche Verständigung abgelehnt, beschossen die Verbündeten 28. Dez. Kanton mit solchem Erfolge, daß die 40,000 Mann chinesische Truppen aus Kanton entflohen und die Stadt sich 29. Dez. ergeben mußte; Yeh wurde gefangen genommen. Inzwischen hatten die Gesandten beider Mächte, Lord Elgin und Baron Gros, denen sich der russische und der amerikanische Gesandte anschlossen, von Schanghai aus Noten nach Peking gerichtet. Als sie keine Antwort erhielten, fuhren sie mit den Kriegsschiffen im April 1858 nach der Mündung des Peiho und ließen 20. Mai die Forts von Taku besetzen. Erst als die Verbündeten den Strom hinauf bis Tiëntsin, dem Hafen von Peking, vordrangen, unterwarf sich der chinesische Hof und schloß erst mit den neutralen Gesandten, dann mit denen der Verbündeten 26. und 27. Juni einen vierfachen Vertrag, wonach in Zukunft europäische Gesandte in Peking zuzulassen, die Ausübung des Christentums ungehindert sein und C. an England 24 Mill., an Frankreich 12 Mill. Mk. Kriegskosten zahlen sollte. Wieder versuchte die chinesische Regierung, die Ratifikation des Vertrags hinauszuschieben, und ließ die Befestigungen am Peiho in guten Verteidigungszustand setzen. Auf die Kunde hiervon beschlossen die Engländer 24. Juni 1859 die Befestigungen zu zerstören, mußten aber nach einem mörderischen Kampfe mit einem Verlust von 464 Toten und Verwundeten sich zurückziehen. Um das Ansehen der europäischen Waffen herzustellen, vereinigten sich die Westmächte zu einer größern Unternehmung gegen C. 12,600 Mann englische Truppen (7800 Mann europäische, 4800 indische Soldaten) und 7500 Franzosen unter dem General Cousin-Montauban rückten im Juli 1860 mit den Kriegsschiffen von Taku den Peiho hinauf vor, eroberten sämtliche Forts auf beiden Seiten des Stromes und besetzten Tientsin, rückten 9. Sept. bis Tungtschao, 30 km von Peking, vor und bestanden auf dem Einzug der Gesandten in die Reichshauptstadt mit einer Ehrenwache von 1000 Mann. Die englischen und französischen Offiziere indes, die sich mit den chinesischen Behörden über die Aufnahme der Gesandten und die Unterbringung der Truppen in Peking verständigen sollten, wurden 18. Sept. von tatarischen Soldaten überfallen, im Kampf getötet oder verschmachteten im Gefängnis. Gleichzeitig wurden die Lager der Verbündeten von chinesischen Truppen umstellt. Durch einen kühnen Reiterangriff wurden jedoch die chinesischen Linien durchbrochen und im Treffen bei Palikiao 21. Sept. die chinesische Streitmacht, 50,000 Mann, wovon 30,000 Reiter, von 7000 Engländern und Franzosen unter Cousin-Montauban völlig geschlagen. Ohne Schwertstreich wurde der kaiserliche Sommerpalast vor Peking von den Franzosen besetzt und dessen ungeheure Schätze geplündert; später wurde der Palast zur Sühne für den Verrat vom 18. Sept. verbrannt. Der Hochmut der Chinesen war hiermit gebrochen; sie gestanden die Übergabe eines Stadttors von Peking, eine Entschädigung von 4 Mill. Frank für die Opfer des Verrats vom 18. Sept. und den Einzug der verbündeten Gesandten mit je 1000 Mann Ehrenwache in Peking zu. In Peking wurde Ende Oktober 1860 der Friede unterzeichnet und erst nach dessen Ratifikation durch C. Anfang November die Hauptstadt geräumt. Tiëntsin und die Forts am Peiho blieben noch länger von den Verbündeten besetzt.

Der Kaiser Hiensong starb 22. Aug. 1861; ihm folgte sein Sohn Kit siang, der, 5. Sept. 1855 geboren, unter eine von seinem Oheim, dem Prinzen Kong, geleitete Regentschaft gestellt ward; als Regierungsname ward ihm Tungtschih (»Vereinigte Ordnung«) gegeben. Da Prinz Kong, der zur Beobachtung der eingegangenen Verträge entschlossen war, in dem Regentschaftsrat auf Opposition stieß, so vereinigte er sich mit der Kaiserin-Mutter, die Mitregentin war, zum Sturze der Regentschaft und setzte eine ihm ergebene Regierung ein. C. trat von nun an mit fast allen Seemächten in vertragsmäßig geregelten diplomatischen und handelspolitischen Verkehr; so wurde auch mit Preußen 2. Sept. 1861 zu Tiëntsin ein Handelsvertrag abgeschlossen. Europäische Gesandte und Vertreter nahmen ihren Sitz in Peking. Noch immer wütete in mehreren Provinzen der Taipingaufstand. In dem langen Bürgerkrieg hatten sich vielfach Banden organisiert, die unter Vorschützung politischer Zwecke lediglich auf Plünderung ausgingen; in Jünnan wie in Turkistan waren sogar neue Reiche in der Bildung begriffen. Die Regierung betrachtete es als das Dringendste, dem Aufstand ein Ende zu machen, und fand bei England und Frankreich Unterstützung, die von der Fortdauer der Unruhen Gefährdung ihrer Handelsinteressen befürchteten. Sie beauftragten daher ihre Flottenkommandanten in den chinesischen Gewässern, gemeinsam mit den Kaiserlichen gegen die Rebellen vorzugehen, und erlaubten ihren Offizieren in chinesischen Diensten Flotten zu organisieren und tüchtige Truppenkörper auszubilden; besonders der Engländer Gordon tat sich hierbei hervor. Zunächst galt es, Schanghai zu sichern, das die Aufständischen im Februar 1862 vollständig eingeschlossen hatten. Ihre Vertreibung gelang leicht; im April und Mai 1862 wurden kleinere Punkte genommen und das am 9. Dez. 1861 von den Rebellen besetzte Ningpo wieder erobert. Allmählich gelang es, die Taiping von den Seeprovinzen in das Innere zurückzutreiben; am 31. März 1864 erzwang das französisch-chinesische Korps nach längerer Belagerung die Übergabe von Hangtschou, der Hauptstadt der Provinz Tschekiang, und Hutschous, während das englisch-chinesische Korps im Dezember 1863 nach sechsmonatiger Belagerung Sutschou und im Januar 1864 Tschangtschou eroberte. Nun waren die Taiping auf Nanking beschränkt, wo der Rebellenkaiser Tienwang residierte. Unter englischer Leitung unternahmen die kaiserlichen Truppen die Belagerung der Stadt und zwangen sie 19. Juli 1864, sich zu ergeben, nachdem Tienwang sich mit seinen Weibern verbrannt hatte. Doch war die Erbitterung der Mandarinen über den Anteil der Fremden an der Unterdrückung der Rebellion so groß, daß schon im Oktober 1864 die Fremdenlegion entlassen wurde. Der Regentschaft blieb noch die Aufgabe, die Nienfei oder die Banden, die aus versprengten Taiping sich gebildet hatten und Honan und Schantung unsicher machten, sowie andre Räuberbanden im Westen, die 1859 zu bedeutender Macht erstarkt waren und 1861 den größten Teil von Setschuan in ihre Gewalt gebracht hatten, zu vernichten. Im ganzen raffte die Taipingrevolution 2 Mill. Menschen hinweg und schädigte stark die Tee- und Seidendistrikte. Nun konnten auch die andern Aufstände beseitigt werden. Die Dunganen, die unterdrückten muslimischen Bewohner der an die Mongolei grenzenden Provinzen Kansu und Schensi, durchzogen in Banden von 3–6000 Mann brandschatzend die westlichen Provinzen und plünderten die reichen buddhistischen Klöster. Eine größere Armee wurde ihnen erst 1871 entgegengestellt, und 1876 wurden die Dunganen völlig unterworfen. Ebenso wurde in einem Feldzuge gegen die muslimischen Panthai in Jünnan (s.d.) der zum Landesfürsten eingesetzte Sulaiman ibn i Abd ur Rahmân verjagt und das Land vom Raubgesindel gesäubert. Länger hielt sich Jakub Beg, der sich zum Herrscher in Kaschgar aufgeschwungen hatte; nach seinem Tode (Juli 1877) folgte ihm sein Sohn Beg Kuli Beg, der aber Anfang 1878 von C. gestürzt wurde, das nun das Land wieder durch seine Beamten regieren ließ.

Der Kaiser Tungtschih starb 13. Jan. 1875, noch nicht 20 Jahre alt, an den Blattern, ohne, was zum erstenmal in der Tsingdynastie vorkam, einen Sohn als Nachfolger zu hinterlassen. Durch das Los wurde ein Neffe des Verstorbenen, der erst 4 Jahre alte Tsaitien, dessen Regierung Kwangsü (»Glänzender Erfolg«) genannt wird, Kaiser; auch für ihn wurde bis 1889 eine Regentschaft eingesetzt. Die Beziehungen zu den europäischen Staaten gestalteten sich immer befriedigender. Hierzu trug nicht wenig die Errichtung ständiger chinesischer Gesandtschaften in Berlin, Paris, London und St. Petersburg, ferner in Washington, in Birma und Japan bei. Als 1874 Japan an C. Ansprüche auf Entschädigung für Untertanen, die auf Formosa geplündert worden waren, erhob und beide Teile sich zum Kriege rüsteten, legte sich der englische Gesandte zu Peking ins Mittel, und 12. Nov. 1874 ward der Zwist friedlich beigelegt. Nachgiebig erwies sich C. auch gegen England 1875 aus Anlaß der Ermordung von Margary an der chinesisch-birmanischen Grenze. Zur unparteiischen Feststellung der Tatumstände gestattete C. Mitgliedern der englischen Gesandtschaft die Überlandreise von Schanghai nach Britisch-Birma und erließ 16. Sept. 1876 die ausbedungene Proklamation (Konvention von Tschifu) des Inhalts, daß die Regierung die Ermordung Margarys bedauere und den Fremden gestatte, das Innere des Landes unter dem Schutze der Behörden zu bereisen. Ein Dekret vom 30. Juni 1875 hatte bereits verboten, sich im Verkehr mit Fremden des Wortes I, d. h. Barbaren, zu bedienen sowie christliche Missionare (1901 betrug die Zahl der protestantischen allein 2629) und Konvertiten zu belästigen und ihren Kirchen Gewalt anzutun. Das Verdienst, dem See- und Strandräuberunwesen, das seit alters in C. blühte, einigermaßen gesteuert zu haben, gebührt dem Deutschen Reich. Nach dem räuberischen Angriff auf den Schoner Anna im November 1875 schickte es eine Flottille von 6 Schiffen mit 1380 Mann Bemannung nach den chinesischen Gewässern; die Vertragsmächte England, Rußland und Nordamerika sicherten erforderlichenfalls ihre Unterstützung zu, so daß im März 1876 für eine Landung 36 Schiffe mit 340 Geschützen bereit waren. Die verlangte Genugtuung wurde gewährt und zugleich eine allgemein gültige Strandordnung erlassen. Während so C. dem Einfluß der Fremden allmählich nachgab, überflutete der Überschuß seiner Einwohner den Westen von Nordamerika, die Sundainseln und Australien; während die Chinesen sich mit der weißen Bevölkerung nicht verschmolzen, verdrängten sie diese durch ihre billige Arbeit aus lohnenden Beschäftigungen, so daß besonders in Kalifornien und Australien die Ausweisung der Chinesen und die Verhinderung weiterer Einwanderungen gefordert wurde. In Nordamerika nahm der Kongreß 1882 ein Gesetz an, das für 20 Jahre die chinesische Einwanderung verbot, und ein ähnliches Gesetz verlangten die australischen Kolonien (1901 eingeführt). Um C. nicht zur Ausweisung der nordamerikanischen Bürger zu reizen, vollzog der Präsident der Vereinigten Staaten jenes Gesetz nicht. Erst 1884 wurde das Verbot auf 10 Jahre erlassen und 1892 verschärft.

Nach der Wiedereroberung Kaschgars forderte C. 1878 von Rußland die Rückgabe von Kuldscha, das die Russen 1871 besetzt hatten, um den Raubeinfällen der Tarantschen ein Ende zu machen. Rußland stellte eine Auslagenrechnung auf; zur Führung der Verhandlungen entsandte C. den Würdenträger Tschunghaou nach Petersburg. Dieser schloß 25. Sept. 1879 einen Vertrag über die Rückgabe von Kuldscha ab, wurde aber, da die Regierung ihn für demütigend hielt, abberufen und zum Tode verurteilt. Der Vertrag wurde als unannehmbar zurückgewiesen, und beide Teile zogen an der Grenze Truppen zusammen. Indes der Marquis Tseng schloß 14. Febr. 1881 einen neuen, beide Teile befriedigenden Vertrag ab, durch den C. Kuldscha zurückerhielt. Nicht so friedlich verlief eine Verwickelung mit Frankreich, das die Herrschaft über Anam und Tongking beanspruchte, welche die Chinesen als unter ihrer Hoheit stehend betrachteten. Frankreich bemächtigte sich des Flußdeltas in Tongking, indem es die chinesischen Truppen bei Sontai und Bacninh vertrieb, und zwang Anam zur Unterwerfung unter seine Schutzherrschaft. Außer stande, seine Ansprüche mit Waffengewalt gegen die Franzosen zu verteidigen, schloß der chinesische Vizekönig Lihungtschang 1884 mit dem französischen Bevollmächtigten Fournier in Tiëntsin einen Vertrag ab, wonach C. Tongking zu räumen versprach. Bevor die Frist hierzu abgelaufen war, griffen die Franzosen das von den Chinesen besetzte Baclé an, wurden aber zurückgeschlagen. Die Franzosen erklärten dies für einen verräterischen Vertrauensbruch, forderten eine hohe Geldentschädigung und schritten, als diese abgelehnt wurde, zu Repressalien. Admiral Courbet erzwang die Einfahrt in den Hafen von Futschou, vernichtete mehrere Kriegsschiffe und zerstörte das Arsenal. Ferner setzten sich die Franzosen auf Formosa fest, und es entspannen sich nun an der chinesischen Grenze und auf Formosa zahlreiche Kämpfe, die nicht alle für C. ungünstig endeten; namentlich errangen die Chinesen im März 1885 bei Langson einen Sieg über die Franzosen, und da der kostspielige Krieg in Frankreich heftig getadelt wurde, beeilte sich die französische Regierung, unter englischer Vermittelung 9. Juni 1885 den Frieden von Tiëntsin abzuschließen. C. gestand Frankreich die Oberherrschaft über Anam sowie die Einverleibung von Tongking zu, nahm aber im übrigen den Standpunkt des Mächtigern ein, der gewährt, um die ruhige Entwickelung im Innern nicht zu gefährden.

Eine Zeitlang schien es, als ob jetzt wenigstens in den an der Küste gelegenen Provinzen den Reformen energischer Vizekönige ein freies Feld gegeben sei. Im N. schuf Lihungtschang eine Kriegsflotte und die Anfänge einer Küstenverteidigung und Armee. Im S. ging der Vizekönig Lin Ming Tschuan von Formosa, das jetzt von Fukien abgetrennt wurde, mit Eisenbahnbauten, Posteinrichtungen, Kabellegungen und industriellen Unternehmungen schnell voran. Aber vor den finanziellen Schwierigkeiten und dem Widerstande der Bevölkerung mußte er 1891 weichen, während im N. eine bereits fertige Eisenbahn von Schanghai nach Wusung wieder abgebrochen werden mußte. Am Hofe fanden die konservativen Interessen einen um so lebhaftern Widerhall, weil die koreanische Regierung sich wieder aufs engste an C. anschloß, um bei ihm Rückhalt gegen die rebellische Reformpartei im eignen Land zu suchen, die ihrerseits in Japan ein Vorbild und eine Stütze sah. Der chinesische Ministerresident in Söul, Yuanschikai, kämpfte im Bunde mit der energischen, aber ränkevollen Königin und ihrer in der Beamtenschaft weitverzweigten Familie Min gegen jede Abänderung der verkommenen Verhältnisse. Als nun im Frühling 1894 der Bauernaufstand der Tonghaks gegen die koreanischen Truppen siegreich blieb, bat der König um chinesische Hilfe. C. sandte 3000 Mann unter General Yi und gab, einer Bestimmung des Friedens von Tiëntsin entsprechend, Nachricht von dieser Truppensendung an Japan. Die japanische Regierung protestierte gegen den Ausdruck »unser Vasallenstaat«, den die chinesischen Aktenstücke in Bezug auf Korea gebrauchte, sandte ebenfalls Truppen nach Tschemulpo, der Hafenstadt Söuls, und erklärte 14. Juli, daß es die weitere Sendung von chinesischen Truppen nach Korea als einen Akt der Feindseligkeit betrachten würde. Am 23. Juli besetzten japanische Truppen den königlichen Palast und setzten den Vater des Königs Tai-Won-Kun, den bittersten Feind der Königin, zum Regenten ein. Am 25. Juli schoß der japanische Kreuzer Naniwa das unter englischer Flagge segelnde chinesische Truppentransportschiff Kowshing in den Grund und erklärte 1. Aug. an C. den Krieg. Die chinesischen Truppen, die von der Mandschurei aus zur Vertreibung der Japaner in Korea eingerückt waren, wurden 15. Sept. im N. der Hauptstadt bei Phyöngyang mit großen Verlusten geschlagen. Ebenso zog 17. Sept. die Flotte des Admirals Ting in der Seeschlacht am Yalufluß den kürzern. Während das japanische Landheer langsam in der Mandschurei vorrückte, eroberte 21. Nov. ein zur See gegen Port Arthur ausgesandtes Armeekorps diese starle Festung und den von ihr beschützten Kriegshafen. Dann erschien eine Flotte von 30 Schiffen und eine neue Armee von 30,000 Mann Ende Januar 1895 vor dem Hafen Wei-hai-wei an der Nordküste der Schantunghalbinsel und eroberte 13. Febr. nach heftigem Kampf die Festung und die im Hafen liegende chinesische Nordflotte. Nachdem auch der die Mandschurei vom eigentlichen C. trennende Fluß Liaoho von den Japanern überschritten war, wurde Mitte März der Vizekönig von Tschili, Lihungtschang, als Generalbevollmächtigter zur Friedensverhandlung nach Schimonoseki gesandt. Im Frieden vom 17. April 1895 trat C. an Japan einen Teil der Mandschurei, Formosa und die Pescadores ab, versprach 200 Mill. Taels (600 Mill. Mk.) Kriegsentschädigung zu zahlen und gestattete den in C. wohnenden Japanern alle Handelsvorteile und die Exterritorialität der meistbegünstigten Nation. Ehe aber die Ratifikationen dieses Friedensvertrags in Tschifu ausgetauscht wurden, intervenierten die drei Mächte Rußland, Frankreich und Deutschland durch eine gemeinsame Note bei der japanischen Regierung und erlangten die Rückgabe der festländischen Abtretung gegen Erhöhung der Kriegsentschädigung um 30 Mill. Taels (90 Mill. Mk.).

Da die Japaner ihre Überlegenheit zumeist der rationellen Benutzung moderner Technik und Administrationsgrundsätze verdankten, so bildete sich auch in C. nach der Niederlage eine Reformpartei, die meist aus jungen, mit dem Ausland bekannten Männern bestand. Sie begründeten im Sommer 1895 in Peking den Verein Tschiang Hsü Hui, dessen Leiter Kang Yu-wei, ein Mitglied der Akademie, wurde. Es handelte sich darum, Eisenbahnbauten zu fördern, bei den Staatsprüfungen europäisches Wissen zuzulassen, Zeitungen zu gründen etc. Seit Februar 1896 war der Kaiser Kuangsu für dieses Programm gewonnen. Eine Ära der Europäisierung Chinas nach dem Beispiel Japans von oben her und mit Anlehnung an England, Japan und Amerika schien in Sicht. Aber diese Ermannung des Kaisers konnte niitten im Frieden die schwersten Demütigungen nicht abwehren. Im November 1897 erschienen deutsche Kriegsschiffe in der Bucht von Kiautschou, um für die Ermordung zweier Missionare Genugtuung zu fordern; C. mußte die Bucht und ihre Umgegend auf 99 Jahre pachtweise abtreten und Schantung als deutsche Interessensphäre anerkennen. Daraus nahm Rußland den Anlaß her, sich Port Arthur und Talienwan auf 25 Jahre verpachten zu lassen, Frankreich nahm die Kwang Tschowbucht und England Wei-hai-wei (Frühjahr 1898). Als auch Italien mit ähnlichen Ansprüchen kam (Sanmunbucht), genügte allerdings eine einfache Weigerung der chinesischen Regierung, um die Zurückziehung der Forderung zu erreichen. Durch dieses Vorgehen der europäischen Mächte erhielt die fremdenfeindliche Partei bei Hofe die Oberhand. Im September 1898 fand eine Palastrevolution statt, durch die der Kaiser bewogen wurde, die Zügel der Regierung wieder der Kaiserin-Witwe Tsi Thsi zu übergeben. Fünf Leiter der Reformpartei wurden ermordet; Kang Yu-wei rettete sich nur durch schleunige Flucht an Bord eines englischen Kriegsschiffes. Um für die Zukunft vor der Rache der Reformpartei sicher zu sein, wurde der Kaiser im Januar 1899 gezwungen, den Sohn seines Vetters, des aus der Verbannung zurückberufenen Prinzen Tuan, zu adoptieren und zum Thronfolger zu ernennen. Die Reaktion siegte vollkommen am Hof und im nördlichen C., während die Vizekönige des Jangtsekianggebietes und des Südens (Lihungtschang vertauschte seine Provinz Tschili mit Kwantong) sich neutral verhielten.

Die charakteristischste Erscheinung dieser Reaktionsperiode war die Ausbreitung der sogen. Boxerbewegung. Dies ist keineswegs, wie oft behauptet wird, eine Erneuerung oder Erweiterung der vielen geheimen Gesellschaften, die es in C. gibt. Vielmehr muß man darin eine patriotisch-pädagogische Organisation anerkennen, die in ihren Ursprüngen mit den Jahnschen Turngemeinden eine gewisse Analogie hat. Ihr Begründer ist der ehemalige Gouverneur von Schantung, Li Ping Heng, der auf Deutschlands Verlangen abgesetzt wurde, aber wegen seiner Gelehrsamkeit und seines Charakters den Ruf eines Weisen hatte. Er organisierte von seinem Privathaus in Tschili aus Vereine von Knaben der gebildeten und wohlhabenden Klassen, die gemeinschaftlich mit roten Abzeichen auszogen, Freiübungen machten, vor kleinen Altären Formeln hersagten und in Mysterien eingeweiht wurden; auch Mädchen wurden zugelassen. Je 500 wurden in eine Kompagnie vereinigt, die zusammen essen, schlafen und exerzieren unter einem Anführer, dem sie Gehorsam schwören müssen. Daß dies zur Vorbereitung des Kampfes gegen die fremden Mächte und aller fremden Einflüsse geschah, wurde offen verkündigt. Der Name der Vereinigung I-Ho-Tuan oder I-Ho-Tschuen bedeutet »Freiwillige patriotische Vereinigung«. Von Engländern, die ihre Exerzitien sahen, wurde die Bezeichnung Boxerdrill in Umlauf gebracht, die dann in Europa zu vielen Mißverständnissen Veranlassung gab. Der Fanatismus dieser Scharen wurde durch den Aberglauben genährt, daß die höhern Mysterien der Vereinigung den Eingeweihten Unverwundbarkeit verleihen. Im Mai 1899 sind die ersten Übungen dieser Art beobachtet worden. Da sich der Haß dieser Fanatiker besonders gegen einheimische Christen, Missionsstationen, Eisenbahnen und Telegraphen richtete, kam es beim Bau der neuen Linien bald zu Ausschreitungen und selbst Blutvergießen. Es gesellten sich Erwachsene, meist schlimmster Sorte, mit Messer und Speer bewaffnet und roter Kopfbinde und rotem Gürtel versehen, den enthusiasmierten Kindern bei. Die fremden Gesandten in Peking verlangten das Verbot dieser Übungen; aber in den kaiserlichen Edikten vom 24. Jan. und 29. Mai 1900 wurden nur die schlechten Beimischungen der Vereinigung als strafwürdig hingestellt. Selbst bei Hofe gaben Boxer Vorstellungen in ihrer Kunst, und der junge Thronfolger nebst seinen Spielgenossen erhielten ebenfalls Unterricht in diesen Übungen. Prinz Tuan war der Protektor der ganzen Bewegung, die sich schnell von Stadt zu Stadt verpflanzte. Die große Dürre des Frühjahrs 1900 und der dadurch verursachte Mißwachs erhöhte die Gefahr. Schon Ende Mai mußten die fremden Ingenieure der im Bau begriffenen Eisenbahn nach Hankau flüchten; Eisenbahnstationen und Missionshäuser wurden verbrannt, Missionare und chinesische Christen getötet. Die Gesandten in Peking ließen im Einverständnis mit dem Tsungli Yamen, dem chinesischen Auswärtigen Amt, 31. Mai mit der Bahn von Taku aus, wo die Kriegsschiffe ankerten, 340 Seesoldaten zum Schutze der Legationen kommen, denen drei Tage darauf 35 Österreicher und 45 Deutsche folgten Da es aber bekannt wurde, daß die Kaiserin-Witwe von dem fremdenfeindlichen General Tung Fuhsiang die Zusicherung erhalten hatte, daß er imstande sei, den Fremden erfolgreich zu widerstehen, und daß sie den Truppen den Befehl gegeben hatte, in keinem Fall auf die Boxer zu schießen, so erbaten die Gesandten von den Befehlshabern der vor Ta ku (s. die beifolgende Karte: »Unterlauf des Peiho«) vereinigten Flotten 8. und 9. Juni neue Verstärkungen. Die Rückkehr des Hofes trotz der Hitze 8. Juni und die Ernennung des Prinzen Tuan zum Präsidenten des Tsungli Yamen 10. Juni waren beunruhigende Anzeichen. Mit nicht weniger als 2000 Mann aller Nationen, darunter 200 Deutschen, fuhr Admiral Seymour 10. Juni per Bahn bis zur Station Lanfang, wo er wegen der Zerstörung des Bahnkörpers Halt machen und Reparaturen vornehmen lassen mußte. Er wurde dabei von Boxern so behelligt, daß er sich entschloß, nach Tiëntsin zurück zu marschieren. Seit 12. Juni waren die Gesandten in Peking von allem Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten. Da entschlossen sich die sämtlichen Kommandanten der Kriegsschiffe vor Taku, mit Ausnahme der Amerikaner, 16. Juni durch die Konsulate das Ultimatum an den Befehlshaber der Takuforts zu stellen, ihnen bis 17. Juni 2 Uhr morgens die Forls zu übergeben. Es lagen bereits 7 Kanonenboote im Flusse Peiho oberhalb der Takuforts, also an ihrer schwächsten Seite, und zu einem eventuellen Sturm waren Truppen gelandet worden. Der chinesische Kommandant ging auf die Forderung nicht ein, sondern eröffnete das Feuer. Um 7 Uhr morgens waren die Forts nach schwerem Kampf genommen. Jetzt stellte sich die Regierung in Peking auf den Standpunkt, daß sie mit allen Vertragsmächten im Kriegszustand war. Sie forderte deshalb die Gesandten 19. Juni um 4 Uhr nachmittags auf, Peking binnen 24 Stunden zu verlassen, und gab den Truppen Befehl, gegen Admiral Seymour zu kämpfen. Der deutsche Gesandte v. Ketteler, der am Vormittag des 20. sich nochmals zum Tsungli Yamen begeben wollte, wurde auf dem Wege von einem chinesischen Soldaten erschossen. Pünktlich um 4 Uhr eröffneten die Chinesen das Feuer auf die verbarrikadierten englischen, deutschen, amerikanischen und russischen Gesandtschaften und einige in die Verteidigung hineingezogene Nachbargebäude. Mit zwei kurzen Unterbrechungen währte dieser ungleiche Kampf acht Wochen lang. Es ist außer Zweifel, daß die eingeschlossenen 700 Europäer und Japaner und 6000 Chinesen ihre Rettung nur den Schwankungen innerhalb des Palastes und der höchsten Regierungsämter verdanken. Inzwischen war der Kampf um Tientsin bereits zugunsten der Verbündeten entschieden. Die Fremdenniederlassung wurde von 1400 Soldaten (meist Russen) standhaft verteidigt. Die neu ankommenden Verstärkungen konnten zunächst Seymour befreien (25. Juni) und dann, 7000 Mann stark, die chinesischen Truppen aus der umwallten Chinesenstadt verdrängen (14. Juli). Da jetzt auch eine Division aus Japan herankam, konnte der Vormarsch gegen Peking beginnen. Am 13. Aug. wurde die Stadt von 20,000 Mann erreicht, am 14. genommen, wobei nur an einem Tor ein heftiger Kampf stattfand. Die Deutschen langten erst 18. Aug. in Peking an.

Da die kaiserliche Familie nach Singanfu floh, so galt es, mit Prinz Tsching und Lihungtschang, der erst 17. Sept. in Tiëntsin eintraf, zu Friedensvereinbarungen zu kommen. Seitdem sich C. über das Gegenüberstehen der Ansichten der kriegführenden Mächte genauer unterrichtet hatte, zogen sich die Verhandlungen sehr in die Länge. Diese Verzögerung ermutigte die Boxerpartei, den Fremden auch weiterhin zu schaden, was seinerseits wiederholte Strafexpeditionen der Ausländer in die aufrührerischen Gebiete nach sich ziehen mußte. Am schärfsten gingen die Russen in der Mandschurei gegen die Zerstörer ihrer Eisenbahn und die auf eigne Faust kämpfenden Bannerleute vor. Sie zerstörten Aigun und das Dorf Sahalien am Amur und errichteten, nachdem sie 29. Sept. auch die aus Peking herangezogenen Truppen verwenden konnten, in der ganzen Mandschurei eine provisorische Militärverwaltung. Seit Eintreffen des Feldmarschalls Waldersee (27. Sept.) machten die ihm unterstellten Deutschen, Japaner, Briten, Österreicher und Italiener und die im besten Einvernehmen mit ihnen vorgehenden Franzosen Streifzüge nach Pauting-fu im S. (Oktober), Ho-ghu und Mi-yün-hsien im N. und NO. und nach den Ming-Gräbern im W. von Peking. Zugleich wurden von Tiëntsin aus Expeditionen, an denen sich auch die Russen wieder beteiligten, zur vollständigen Pazifizierung der Provinz Tschili unternommen. Die deutschen Truppen fochten in 18 Gefechten gegen reguläre chinesische Truppen, in 15 gegen Boxer. Die Verluste betrugen für die Marine 68 Tote, 130 Verwundete, für die Landtruppen 60 Tote, 134 Verwundete; durch Krankheiten und Unglücksfälle verloren die Marine 82, die Landtruppen 252 Mann, darunter die Generalmajore Yorck v. Wartenburg und Groß v. Schwarzhoff. In Lazarettbehandlung befanden sich (meist an Ruhr und Typhus) 8850 Mann; 823 wurden als dienstunbrauchbar in die Heimat zurückgesandt. Unterm 10. Mai 1901 stiftete Kaiser Wilhelm II. eine »Denkmünze für die an den kriegerischen Ereignissen in Ostasien beteiligt gewesenen deutschen Streitkräfte« (s. China-Denkmünze). Die Vorbereitungen zu einer umfassendern Unternehmung veranlaßten den chinesischen Hof, endlich im Februar 1901 die verlangten Strafurteile gegen die Hauptschuldigen zu erlassen.

Die auf Japans Vorschlag zu gemeinsamem Vorgehen ermächtigten Vertreter der Mächte in Peking fanden bei den chinesischen Unterhändlern um so weniger Entgegenkommen, da es bekannt war, daß Amerika, Japan und Rußland in der Forderung der Bestrafung eine mildere Auffassung walten lassen wollten. Das deutsch-englische Abkommen vom 16. Okt., das von allen Mächten im Prinzip angenommen wurde, sicherte zwar eine leichtere Verständigung. Doch dauerte es bis zum 22. Dez., ehe die Gesamtnote unterzeichnet wurde, so daß sie am folgenden Tage den chinesischen Bevollmächtigten übergeben werden konnte. Während nun aber über die Liste der zu bestrafenden Provinzialbeamten und über die Höhe der von C. zu zahlenden Entschädigungen beraten wurde, ging Rußland mit Separatverhandlungen über die Mandschurei vor, um durch die Aussicht, bessere Bedingungen zu erlangen, Lihungtschang zur Erwirkung der förmlichen Abtretung des Stammlandes der Dynastie zu vermögen. Dem setzte sich aber die öffentliche Meinung Chinas, geleitet von den Vizekönigen Tschan-tschi-tung (s.d.) und Liu-kuen-ji (s.d.), entgegen. Da auch Japan auf Grund des deutsch-englischen Abkommens in Petersburg vorstellig wurde und England und Amerika sich ihm anschlossen, so gab Rußland den schon erreichten Vorteil im April 1901 wieder preis. Endlich 7. Sept. 1901, also über ein Jahr nach der Einnahme von Peking, wurde das Friedensprotokoll von C. angenommen und ratifiziert. Es besteht aus zwölf Artikeln und 19 Annexen. Zu allererst führt es die für die Ermordung des Freiherrn v. Ketteler beschlossenen Sühnemaßregeln (Sendung des Prinzen Tschun nach Berlin etc.; das zum Andenken an den Ermordeten in Peking errichtete Denkmal wurde 18. Jan. 1903 feierlich enthüllt) auf, zählt dann die geschehenen Bestrafungen der schuldigen Beamten der Zentralregierung auf und geht dann zu der Sühnegesandtschaft nach Japan und zu der Verpflichtung Chinas, die zerstörten Grabdenkmäler der Fremden wiederherzustellen, über. Erst mit Artikel 5 beginnen die politisch wichtigen Bestimmungen. C. verbietet für zwei Jahre jede Waffen- und Munitionseinfuhr, zahlt von 1902 eine Entschädigungspauschalsumme von 465 Mill. Haikwan Taels (1420 Mill. Mk.) durch eine bis 1940 sich erstreckende Amortisation bei 4 Proz. Zinsen. In Peking ist das Gesandtschaftsviertel neu abgesteckt, den Chinesen als Wohnsitz verboten und mit ständigen Besatzungen belegt worden. Die Takuforts sollen geschleift und zwölf Plätze zwischen Peking und dem Meere mit fremden Truppen besetzt werden. Als einziges Zugeständnis der Mächte haben die Chinesen eine Abänderung der Handelsverträge verlangt, so daß seit dem 11. Nov. 1901 die Einfuhrzölle in den Vertragshäfen erhöht sind. So konnte endlich im September 1901 die definitive Räumung Pekings vor sich gehen; im Oktober 1902 wurde auch die Räumung Schanghais vereinbart. Im Oktober 1901 machte sich der Hof zur Rückreise nach Peking auf den Weg. Ehe er hier eintraf, raffte der Tod den leitenden Staatsmann Lihungtschang 7. Nov. dahin. Wang Wen-siao wurde zu seinem Nachfolger als Generalbevollmächtigter und der bewährte Gouverneur von Schantung, Yuan-Shikai, zum Vizekönig von Tschili ernannt.

Das Jahr 1902 brachte gleich im Anfang drei wichtige Ereignisse. Im März brach ein besorgniserregender Aufstand im Süden aus, der die Provinzen Kwangsi, Kwangtung, Jünnan und Kweitschou umfaßte; der Führer der Bewegung, Hung Ming, gab sich für einen Nachkommen des Leiters der Taiping-Revolution aus. Am 8. April wurde der Mandschureivertrag (von Rußland durch den Gesandten Lessar, von C. durch den Prinzen Tsching und Wang Wen-siao) zu Peking unterzeichnet, wonach Rußland im allgemeinen in die Wiederherstellung der chinesischen Regierungsgewalt in der Mandschurei willigte. Mitte Mai endlich wurde das Eisenbahnabkommen bekannt, das der englische Gesandte Satow mit Yuanschi-lai und Hu-yu-sen abgeschlossen hatte: alle Eisenbahnen, die von nun an innerhalb einer Entfernung von 80 Meilen von der (den Chinesen zurückgegebenen) Linie Peking-Shanhaikwan gebaut werden, soll die (englische) Verwaltung der nördlichen Eisenbahnen errichten, ohne von einer auswärtigen Macht kontrolliert zu werden. Die andern Mächte, namentlich Rußland, das sofort damit drohte, die Mandschurei nunmehr nicht räumen zu wollen, erhoben dagegen Einspruch. Trotzdem setzte England Ende Juli ein zweites, namentlich für den Handel auf dem Jangtsekiang wichtiges Abkommen mit C. durch.

[Geschichtsliteratur.] Plath, Geschichte des östlichen Asien: Die Mandschurei (Götting. 1830–31, 2 Bde.); Bretschneider, Notes on Chinese medieval travellers to the West (Schanghai 1875); Hirth, C. and the Roman Orient (Leipz. 1885); Derselbe, Chinesische Studien (das. 1890); Yule, Cathay and the way thither (Lond. 1866, 2 Bde., Hakluyt Society); Derselbe, The book of Ser Marco Polo the Venetian (das. 1875. 2 Bde.); Käuffer, Geschichte von Ostasien (Leipz. 1858–60, 3 Bde.); Derselbe, Überblick über die Geschichte Ostasiens (das. 1864); Neumann, Ostasiatische Geschichte 1840–1860 (das. 1861); Sykes, The Taiping rebellion in C. (Lond. 1863); Neumark, Die Revolution in C. (nach Maddow bearbeitet, Berl. 1857); Spielmann, Die Taiping-Revolution in C. (2. Aufl., Halle 1900); Roß, The Manchus, or the reigning dynasty of C. (Lond. 1880); Boulger, History of C. (2. Aufl., das. 1898, 2 Bde.); Fries, Abriß der Geschichte Chinas (Wien 1884); Mac Gowan, A history of C. (Lond. 1897); Michie, The Englisman in C. during the Victorian era (das. 1900, 2 Bde.); Pouvourville, L'empire du milieu, und La Chine des Mandarins (beide Par. 1902); Weulersse, Chine ancienne et nouvelle (das. 1901); Wildman, The story of the Dragon Empire (New York 1900); Krauße, C. in decay (Lond. 1900); »Chan chi tung, China's only hope« (das. 1899); Arendt in den »Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen«, Bd. 1–4 (Berl. 1898ff.); Parker, C. Her history, diplomacy and commerce (Lond. 1901); Cordier, Histoire des relations de la Chine avec les puissances occidentales 1860–1902 (Par. 1902, 3 Bde.); R. Zabel, Deutschland in C. (Leipz. 1902); v. Brandt, China (im 2. Bde. von Helmolts »Weltgeschichte«, das. 1902); Cordier, Bibliotheca sinica (Bibliographie, Par. 1878–81, 2 Bde.; Supplement 1893–95).

Zu den Wirren 1900: Außer den im englischen Blaubuch, China Nr. 3 und Nr. 5,1900, enthaltenen Aktenstücken vgl. Bigham, A year in C. 1899–1900 (Lond. 1901); Martin, The siege in Peking (New York 1900); Oliphant, A diary of the siege of the Legation in Peking (Lond. 1901); Tariel, La campagne de Chine et le matériel de 75 (Nancy 1902); Cheminon u. Fauvel-Gallais, Les événements militaires en Chine (Par. 1902); Löffler, Die C.-Expedition 1900–1901 (Berl. 1902); v. Müller, Die Wirren in C. (das. 1902, 2 Bde.); »Die Kämpfe in C., in militärischer und politischer Beziehung dargestellt von Asiaticus« (das. 1900–1901); Scheibert, Der Krieg in C. (das. 1901, 2 Bde.); v. Binder-Krieglstein, Die Kämpfe des deutschen Expeditionskorps in C. und ihre militärischen Lehren (das. 1902); Wójcik, Ursachen und Verlauf der chinesischen Wirren (Wien 1902); A. v. Müller, Unsere Marine in C. (Berl. 1901); »Die kaiserliche Marine während der Wirren in C. 1900–1901« (hrsg. vom Admiralstab der Marine, das. 1903). Über die Boxerbewegung. zwei Artikel des Generaldirektors der chinesischen Seezölle Sir Robert Hart im Novemberheft (1900) der »Fortnightly Review« und im Märzheft (1901) der »Deutschen Revue«; »The Boxer Rising« (gesammelte Artikel des »Shanghai Mercury«); Rudakow, Die Gesellschaft I-ho-man (in »Nachrichten des Orientalischen Seminars in Wladiwostok«, 1901); d'Anthouard, Les Boxeurs (Par. 1902). Karten des Kriegsschauplatzes: die der kartographischen Abteilung der königlich preußischen Landesaufnahme (Sektionen Hokiën-fu, Peking und Schanhai-kwan, 3. Aufl., Berl. 1901), die Karte von Ostchina von P. Krauß (Leipz. 1900) und die politisch-militärische Karte von Ostasien von P. Langhans (Gotha 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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