Buddhismus

Buddhismus

Buddhismus (Buddhaismus), eine Religionsform, die, vom nördlichen Indien ausgehend, sich dem Brahmanismus (s.d.) entgegensetzte. Der Name B. kommt her von dem Sanskritwort Buddha (»der Erweckte«), worunter man einen versteht, der durch die Erkenntnis der Wahrheit und Überwindung aller Sünde zur vollständigen Erlösung von den Banden der Existenz gelangt ist. Man unterscheidet »Pratjekabuddhas«, die diese Erlösung nur für sich selbst erwerben, und »Samjaksambuddhas«, die vor ihrem gänzlichen Entschwinden aus der Welt die zu solcher Erlösung führenden Lehren der Welt mitteilen. Die Zahl der Buddhas, die diese vollkommene Erkenntnis (Bôdhi) erlangt haben, als vollkommene Lehrer aufgetreten sind und noch auftreten werden, ist nach dem Dogma der Buddhisten unendlich. Der historische Buddha, der wirkliche Begründer des B., ist der Adlige (nach späterer Vorstellung Prinz) Siddhârtha aus dem Geschlechte der Çàkja, dem im 6. Jahrh. v. Chr. ein kleines Reich am Fuße des Himalaja untertan war; die Hauptstadt war Kapilavastu; sie ist am 1. Dez. 1896 durch A. A. Führer (s.d.) bei dem nepalesischen Dorf Paderia wiedergefunden worden. Nach der Legende wurde B. auf unbefleckte Weise empfangen, indem er sich als weißer Elefant aus der Götterregion herabsenkte und in den Leib seiner Mutter einging. Schon in frühester Jugend gab er Proben seiner außerordentlichen Begabung; Hang zu einsamer Meditation zeichnete ihn von jeher aus, daher auch sein Name ÇâkjamuniEinsiedler der Çakja«). Er heißt auch Gautama, nach dem Namen eines vedischen Sängergeschlechts, den die Çâkja angenommen hatten. Nachdenken über die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers und Lebens soll ihn dazu bestimmt haben, dem Thron zu entsagen, Weib und hohe Umgebung zu verlassen. Nachdem er sieben Jahre lang als Schüler zweier damals angesehener Lehrer und in harten Kasteiungen der erlösenden Erkenntnis vergeblich nachgetrachtet, soll ihm diese in einer Nacht, wie er zu Uruvela unter dem Bodhibaum (Baum der Erkenntnis) saß, in plötzlicher Erleuchtung zu teil geworden sein. Von da an trat er lehrend auf. Die Sûtra- u. Vinajatexte (s. unten) schildern, wie er, von seinen Jüngern begleitet, das Land durchzog, predigend, disputierend, dem von ihm gestifteten Mönchs- und Nonnenorden die Lebensregeln vorschreibend. Er ist um 560 v. Chr. geboren, um 480 gestorben. Die in dem Werke Köppens (s. unten) gegebene Darstellung seiner Lehre, auf den nordindischen, in Sanskrit geschriebenen Quellen beruhend, ist seit der Bekanntschaft mit den im Pâlidialekt geschriebenen, namentlich in Ceylon erhaltenen Quellen wesentlich modifiziert worden.

Die älteste uns bekannte Lehre des B. spricht sich am kürzesten und klarsten in den »vier heiligen Wahrheiten« aus. Diese sind: 1) Das Leiden. Alles Leben ist Leiden. 2) Die Entstehung des Leidens durch den Durst nach Luft; dieser Durst verstrickt das Wesen in die Seelenwanderung. 3) Die Aufhebung des Leidens durch Aufhebung dieses Durstes. 4) Der achtteilige Weg zur Aufhebung des Leidens: rechtes Glauben, rechtes Entschließen, rechtes Wort, rechte Tat, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken. Das höchste und letzte Ziel alles geistlichen Trachtens ist das Nirvâna (»Erlöschen«), die Befreiung von Wiedergeburt, das Aufhören alles Leidens. Ob das Nirvana als Eingehen in das Nichts zu denken ist, hierüber soll Buddha die Antwort verweigert haben; die Ausdrucksweise einzelner unter den alten Texten nähert sich bald mehr der Bejahung, bald der Verneinung dieser Frage. Der Weg zu dieser höchsten Erlösung geht durch die drei Gebiete von »Rechtschaffenheit, Sichversenken, Weisheit«. Die Forderungen der »Rechtschaffenheit« haben einen überwiegend negativen Charakter; besonders tritt ein Komplex von fünf Ordnungen in den Vordergrund: kein Wesen des Lebens berauben, nicht fremdes Eigentum, nicht die Gattin eines andern berühren, Enthaltung von Unwahrheit, von geistigen Getränken. Das »Sichversenken« bedeutet die planmäßige Übung einer förmlichen Technik von Konzentration und Ekstase; auch Selbsthypnose spielt hier mit. Die »Weisheit« ist die Erkenntnis der vornehmlich in den vier heiligen Wahrheiten niedergelegten Lehre. Die Übung von Kasteiungen verwirft der B. Es scheint, daß die theoretische Spekulation des B. von der Philosophie des Sânkhjasystems (s. Indische Philosophie), die Praxis seiner Übungen der Konzentration vom Joga (s. ebendaselbst) beeinflußt ist: wobei freilich an ältere Formen von Sânkhja und Joga als die uns vorliegenden zu denken sein wird. Die Anhänger des Buddha schlossen sich zu einem Mönchs- und Nonnenorden zusammen (»Bhikkhu«, »Bhikkhunî«, d. h. Bettler, Bettlerin) und übten streng die Pflichten von Armut und Keuschheit.

Kurz nach Buddhas Tode soll auf einem (offenbar der Legende angehörigen) Konzil der Kanon der heiligen Schriften festgestellt sein. Diese zerfallen in drei »Pitaka« (»Körbe«): 1) Vinaja, d. h. die Texte der Gemeindeordnung. 2) Sutta (Sûtra), die Predigten Buddhas, auch Sammlungen metrischer Sentenzen lyrischen oder didaktischen Inhalts. Hierher gehört die berühmte Spruchsammlung Dhammapada (engl. von M. Müller in den »Sacred Books of the East«, Bd. 10, deutsch von L. v. Schröder: »Worte der Wahrheit«, 1892; von K. E. Neumann: »Der Wahrheitspfad«, 1893). Zu dieser Abteilung werden auch Erzählungssammlungen gestellt, vornehmlich die berühmte Sammlung Dschâtaka, »Geburtsgeschichten«, d. h. Geschichten aus Buddhas frühern Existenzen, eine reiche, für das Studium der Volkskunde höchst wichtige Sammlung von Fabeln, Märchen, Erzählungen (hrsg. von Fausböll, Lond. 1877–96, 6 Bde.; engl. »The Jâtaka or stories of the Buddha's former births, transl. under the editorship of Prof. Cowell«, Cambridge 1895ff., bis jetzt 4 Bde.). 3) Abhidhamma (Abhidharma), systematische Aufzählung und Diskussion dogmatischer Kategorien. Der heilige Kanon ist am authentischsten im Pâlidialekt auf Ceylon und in Hinterindien erhalten (Übersetzungen: Warren, Buddhism in translations, Cambridge [Nordamerikas] 1896; von Vinajatexten: Rh. Davids und Oldenberg in den »Sacred Books of the East«, Bd. 13, 17,20; von Suttas: Rh. Davids, ebenda, Bd. 11, und in den »Sacred Books of the Buddhists«, Bd. 2, Lond. 1899; ferner K. E. Neumann, Buddhistische Anthologie, Leiden 1892; Derselbe, Reden Gotamo Buddhos, Leipz. 1896ff.). Die nordbuddhistische Literatur von Nepal in Sanskrit und dem sogen. Gâthâdialekt ist an legendarischem Inhalt viel reicher, steht aber an Altertümlichkeit hinter den Pâlitexten zurück. Die Übersetzungen buddhistischer Texte in außerindische Sprachen, vor allem in das Tibetische und Chinesische, gewinnen für die Forschung immer größere Bedeutung.

Glanzperioden des B. werden durch die Namen der Könige Açoka (um die Mitte des 3. Jahrh. v. Chr.) und Kanishka (gegen Ende des 1. Jahrh. n. Chr.) bezeichnet. Der erstere soll zahlreiche Missionen nach den angrenzenden Ländern ausgesandt haben; die Bekehrung Ceylons zum B. wird auf eine derselben zurückgeführt. Die spätere Geschichte des indischen B. steht unter dem Zeichen des Kampfes der alten Richtung (»Hînajâna«, d. h. das »geringere Fahrzeug«) mit der jüngern, von Nâgârdschuna (lebte um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 2. Jahrh. n. Chr.) begründeten Schule des »Mahâjâna« (»großes Fahrzeug«). Das Mahâjâna wird auf theoretischem Gebiete durch die Formel »Alles ist nichtig« charakterisiert, auf dem des kirchlichen Lebens durch die Verehrung der Bodhisattvas, d. h. zu künftiger Buddhaschaft bestimmter Wesen (so Mandschuçrî, Avalokiteçvara). Die letzte Phase des verfallenden indischen B. wird durch den Einfluß des »Tantrismus« (etwa vom 8. Jahrh. ab) bezeichnet, wüsten Aberglauben und Zauberpraktiken, in denen sich der B. mit der Religion des Çiva berührt und von dieser stärkste Einflüsse erfährt. Um das 13. Jahrh. ist der B. in Indien (abgesehen von den Grenzländern, einigen Punkten in Dekhan etc.) im wesentlichen erloschen. Der Hauptzufluchtsort der indischen Buddhisten war Nepal.

Wohl schon in recht alter Zeit setzte sich der B. in Afghanistan und Turkistan fest, Länder, deren Bewohner sich jetzt dem Islam zugewendet haben. Über Ceylon s. oben; von dieser Insel aus wurde der B. nach Birma (um 450 n. Chr.) und Siam (638 n. Chr.) verbreitet, während Java seine ersten Missionen vom südlichen Indien aus (6. oder 7. Jahrh.) erhalten zu haben scheint: von der einstigen weiten Verbreitung des B. dort zeugen noch alte Bauwerke, wieder Tempel von Boro Budor. In China fand der B. 65 n. Chr. Eingang; in Tibet verbreiteten ihn die Könige seit dem 7. Jahrh. (über den B. Tibets s. Lamaismus); von China aus wurde er (um das 6. Jahrh.) in Japan eingeführt. Er wurde bei den Mongolen, den Kalmücken an der untern Wolga und bei den Burjäten des südlichen Sibirien bekannt, sogar nach Amerika vorübergehend getragen. Buddhisten finden wir gegenwärtig von Ceylon bis zum Baikalsee, vom Kaukasus bis nach Japan. Ausschließlich zum B. bekennen sich nur Ceylon, Tibet, die Mongolei und einzelne Himalajadistrikte. E. Schlagintweit hat 1862 die Zahl der Bekenner des B. zu 341 Mill. berechnet, Rh. Davids zu 500 Mill., er rechnet aber alle Chinesen und Japaner als Buddhisten, eine überaus bedenkliche Berechnungsweise. Vgl. die »Religions- und Missionskarte der Erde«, mit statistischer Tabelle, die Tafeln »Asiatische Kultur 11«, Fig. 5; »Japanische Kultur I«, Fig. 2 u. 9.

Vgl. Burnouf, Introduction à l'histoire du Bouddhisme indien (2. Aufl., Par. 1876); Derselbe, Lotus de la bonne loi (das. 1852); Stan. Julien, Voyages des pélerins bouddhistes (das. 1853–57, 2 Bde.); Sp. Hardy, Eastern monachism (Lond. 1860); Derselbe, Manual of Buddhism (2. Aufl., das. 1880); Köppen, Die Religion des Buddha und ihre Entstehung (Berl. 1857); Derselbe, Die Lamaische Hierarchie und Kirche (das. 1859); Wassiljew, Der B., seine Dogmen, Geschichte und Literatur (Petersb. 1860); Târanâtha, Geschichte des B. in Indien (deutsch von Schiefner, das. 1869); Eitel, Handbook of Chinese Buddhism (2. Aufl., Hongkong 1888); Beal: Travels of Fah Hian and Sung-Yun, Buddhist pilgrims from China to India (400 und 518 n. Chr.), translated from the Chinese (Lond. 1869); Hiuen Tsiang, translated from the Chinese (das. 1884–88, 3 Bde.) und Buddhism in China (das. 1884); Senart, Essai sur la légende du Buddha (2. Aufl., Par. 1882); Edkins, Chinese Buddhism (Lond. 1880); Rockhill, The life of the Buddha (das. 1884, nach tibetan. Quellen); Oldenberg, Buddha (3. Aufl., Berl. 1897); Kern, Der B. und seine Geschichte (deutsch von Jacobi, Leipz. 1882–84, 2 Bde.); Derselbe, Manual of Indian Buddhism (in Bühlers »Grundriß der indo-arischen Philologie«, Straßb. 1896); Seydel, Die Buddhalegende und das Leben Jesu (2. Aufl., Weimar 1897); Rhys Davids, The Buddhism (Lond. 1878; nach der 17. Aufl. deutsch von A. Pfungst, in Reclams Universal-Bibliothek); M. Williams, Buddhism in its connection with Brahmanism (Lond. 1889); E. Hardy, Der B. nach den ältern Pâliwerken (Münst. 1890); I. Dahlmann, Nirvâna (Berl. 1896); Derselbe, Buddha (das. 1898); Waddell, Buddhism of Tibet (Lond. 1895); Pavolini, Buddismo (Mail. 1898); Grünwedel, Buddhistische Kunst in Indien (2. Aufl., Berl. 1900); Foucher, Etude sur l'iconographie bouddhique de l'Inde (Par. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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