Kirgisen

Kirgisen

Kirgisen (Kirghisen), türk. Volk in den Steppen Mittelasiens. Ihr Name bedeutet türkisch soviel wie Räuber; sie selbst nennen sich Kaisak (Chazak). Die echten K., Kara-Kirgisen (»schwarze K.«), werden von den Russen Dikokammenije Kirghisy (»die in den Bergen wohnenden wilden K.«), von den Chinesen Buruten genannt, bewohnen besonders Ferghana und die südlich davon gelegenen Gebirge bis zum obern Laufe des Amu Darja und zerfallen in zwei Völkerschaften, die Rechten (On) und die Linken (Sol), die wiederum in viele Hauptstämme und Geschlechter auseinander gehen; ihre Zahl wird auf 850,000 angegeben, wovon 169,000 unter russischer Herrschaft stehen. Alle andern kirgisischen Völker führen die Bezeichnung der Kirgiskaisaken. Diese letztern zerfallen in drei Hauptabteilungen oder Horden: 1) Uludschus (»das große Hundert«), 2) Ortadschus (»das mittlere Hundert«) und 3) Kitschidschus (»das kleine Hundert«); zur letztern gehört die im Gouv. Astrachan auf europäischem Boden nomadisierende sogen. innere oder Bukejewsche Horde (s. d.). Die äußere Erscheinung der K. (s. Tafel »Asiatische Völker I«, Fig. 8) verrät die mongolische Abstammung, sie scheinen ein Gemisch der verschiedenartigsten Elemente zu sein, deren hauptsächlichstes wohl das türkische ist; ihre Sprache ist ein rein türkischer Dialekt. Von Statur sind sie mittelgroß bis klein, aber gedrungen und kräftig gebaut; ihre Hautfarbe hat einen bräunlichen, zum Teil ins Gelbbräunliche ziehenden Ton. Sie sind sunnitische Mohammedaner, ohne sich streng an die Gebote zu halten, und von kriegerischem, wild unbändigem Charakter. Ihr Anzug besteht aus weiten Hosen und Röcken von Wolle und aus hohen ledernen Stiefeln. Die Zelte (Jurten, Kibitken, s. d.) stehen in den zum Ackerbau geeigneten Flußniederungen meist dorfartig vereinigt. Die Gesamtzahl der K. wird auf 1–2 Mill. angegeben. Der Ackerbau beginnt sich unter ihnen allmählich einzubürgern; Hauptreichtum aber sind die Herden. Ihre vortrefflichen, ausdauernden Pferde liefern das geschätzte Material für die Armee. Einzelne K. sollen mehr als 5000 Pferde und bis 20,000 Schafe besitzen. Im ganzen wird die Gesamtzahl ihrer Pferde (wohl zu hoch) auf 6–10 Mill. Stück, auf ebensoviel die Zahl ihrer Schafe und auf 2 Mill. die Zahl ihrer Rinder geschätzt. Milchprodukte machen neben Schaffleisch die Hauptnahrung aus, Pferde werden nur bei großen Festen geschlachtet; Rindfleisch verachten sie. Ihr Lieblingsgetränk ist der Kumys (s. d.). Im Winter sind die K. auch Jäger und wissen mit schlechten Feuerschloßgewehren vortrefflich zu schießen. Vom Handwerk treiben sie nur etwas Schmiederei und Sattlerei. Die Frauen beschäftigen sich mit Filzbereitung, Spinnen, Weben und Gerben. 30 bis 200 Jurten oder Kibitken bilden eine Gemeinde (Aul), mehrere Auls ein Weidegebiet oder einen Kreis (Wolost). An der Spitze der Wolost steht ein eingeborner Kreischef, der auf drei Jahre gewählt wird. Seit 1824 haben die K. auch eine Abgabe, Jassak, an die russische Regierung zu zahlen. Das Kirgisenelement gewinnt seit kurzem in Sibirien große Bedeutung. Bis nach Biisk und Kusnezk hin sind fast alle Hirten der russischen Dörfer K.; viele suchen Arbeit bei der Heuernte, Tausende finden sich auch in den Goldwäschen. Zwar kehren diese K. stets wieder nach der Heimat zurück; aber ihre außerhalb der Steppe gebornen Kinder werden doch mehr und mehr russifiziert, viele nehmen selbst das Christentum an und leben dann außerhalb der Steppe meist als Landbauer. – Die K. (Hakas) im südwestlichen Sibirien begegnen uns zum erstenmal in der Geschichte kräftiger, als sie um 830 n. Chr. vereint mit den Chinesen die Vorherrschaft der Uiguren zertrümmerten; seitdem erscheinen die K. als Verkehrsvermittler, die mit Waffengewalt arabische Karawanen aus dem Westen durch das uigurische Gebiet nach China geleiteten, ohne daß sie es dabei zu einer Reichsgründung größern Stils gebracht hätten. Im 16. Jahrh. bildeten sich in den südwestsibirischen Steppen (nördlich Westturkistan) zwei Reiche: das der Ulus Mongul und der eigentlichen K. oder Kaisaken unter Chan Arslan; doch zerfiel das Volk der K. bald wieder in mehrere Horden. Im 18. Jahrh. beherrschten die südlich um Taschkent herum sitzenden K., in einer großen, mittlern und kleinern Horde locker organisiert, den Mittellauf des Sir Darja. Zu Anfang des 18. Jahrh. durch den Bund der Dsungaren, Baschkiren, Wolgakalmücken und sibirischen Kosaken bedrängt, riefen die K. 1719 vergeblich Rußlands Hilfe an. 1723–41 war ihre Hauptstadt Turkistan in den Händen der Dsungaren; 1780 erkannten die K. der großen Horde den Yunus Chodscha von Taschkent als Herrn an. Allmählich verfielen sie jedoch dem russischen Einflusse; vgl. darüber den Artikel »Kirgisensteppe«. Vgl. v. Helmersen in den »Beiträgen zur Kenntnis des russischen Reichs etc.«, Bd. 5 und 6 (Petersb. 1841 u. 1843); A. de Levchine, Description des hordes et des steppes des Kirghiz-Kazaks (a. d. Russ., Par. 1840); v. Köppen und Stein in »Petermanns Mitteilungen«, 1858, und Radloff, ebenda 1864; Atkinson, Oriental and Western Sibiria (Lond. 1857); Schott, Über die echten K. (Berl. 1864); Zaleski, La vie des steppes Kirghizes (Par. 1865); Wenjukow, Die russisch-asiatischen Grenzlande (deutsch, Leipz. 1874); Finsch, Reise nach Westsibirien (Berl. 1879); Lansdell, Russisch-Zentralasien (deutsch, Leipz. 1885); Radloff, Aus Sibirien, Bd. 1 (das. 1884), Kirgisische Mundarten (Petersb. 1870) und Der Dialekt der Karakirgisen (das. 1886); Jadrinzew, Sibirien (deutsch, Jena 1885); Grodekow, K. und Karakirgisen im Gebiet Syr Darja (russisch, Taschkent 1889 ff.), daraus in französischer Übersetzung von Dingelstedt: »Le régime patriarcal et le droit coutumier des Kirghiz« (Par. 1891); Krahmer, Rußland in Mittelasien (Leipz. 1898).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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