- Hessen [4]
Hessen, Großherzogtum (hierzu die Karte »Hessen«), ein deutscher Bundesstaat, besteht aus zwei durch preußisches Gebiet getrennten Hauptteilen nebst elf kleinern Exklaven und liegt mit seinen Hauptteilen zwischen 7°51´ und 9°39´ östl. L. v. Gr. und 49°24´ und 50°50´ nördl. Br. Das südliche Hauptgebiet wird durch den Rhein in die Provinzen Starkenburg und Rheinhessen getrennt und grenzt nördlich an Preußen, östlich an Bayern und Baden, südlich an Baden, westlich an die bayrische Rheinpfalz und Rheinpreußen; der nördliche Hauptteil umfaßt die Provinz Oberhessen und wird gänzlich von Preußen umschlossen. Von den Exklaven sind die größten die zusammenhängenden Gemarkungen Wimpfen a. Berg, Wimpfen i. Tal und Hohenstadt, an Baden und Württemberg grenzend, die mit Baden gemeinschaftliche Gemarkung Kürnbach und die Gemarkung Helmhof mit Forstbezirk, beide von Baden umschlossen, sowie die von Preußen umschlossene Gemarkung Steinbach, sämtlich zur Provinz Starkenburg gehörig. Die zur Provinz Oberhessen gehörenden Parzellen (mehrere Walddistrikte) liegen südwestlich von dieser Provinz in preußischem Gebiet. Enklaven fremder Staaten (Preußen und Baden) sind acht von hessischem Gebiet eingeschlossen. Das Großherzogtum H. ist zusammengesetzt teils aus den ältern Ländern, nämlich der Obergrafschaft Katzenelnbogen (1567) und dem größern Teil von Oberhessen (1584 und 1627), teils aus den seit 1803 zur Entschädigung und durch Tausch hinzugekommenen Teilen von Kurpfalz und Kurmainz, dem Bistum Worms, der Abtei Seligenstadt, den ehemaligen Reichsstädten Worms, Friedberg und Wimpfen und einem Teil des ehemaligen französischen Departements Donnersberg (Provinz Rheinhessen, s. unten: Geschichte, S. 271 f.), ferner den Standesherrschaften Isenburg, Solms, Schlitz, Stolberg, Erbach, Löwenstein-Wertheim etc. sowie den reichsritterschaftlichen Besitzungen der Familien Riedesel, Löw, Wambolt, Gemmingen etc.
Bodenbeschaffenheit.
Die Bodenbeschaffenheit des Landes ist mannigfaltig. Oberhessen hat Gebirgscharakter; hier erhebt sich im O. der die Wasserscheide zwischen Rhein und Weser bildende Vogelsberg (Basalt) mit dem 772 m hohen Taufstein als dem höchsten Punkte des Landes, dem Hoherodskopf (770 m), der Siebenahorn (753 m), der Herchenhainer Höhe (733 m), dem wilden Felskopf (729 m) und dem Geiselstein (721 m), im SW. eine Verzweigung des Taunus; zwischen beiden Gebirgen breitet sich nach dem Main hin eine fruchtbare, wellenförmige Landschaft, die Wetterau, aus. Die Provinz Starkenburg ist im SO. von dem größern Teil des Odenwaldes erfüllt, der in der Seidenbucher Höhe (höchster Punkt) 599 m, im Hardberg bei Siedelsbrunn 594 m, in der Neunkircher Höhe 591 m, der Sensbacher Höhe 555 m, der Tromm 554 m, im Krähberg 549 m, im Melibokus bei Zwingenberg 515 m und im Felsberg 501 m Höhe erreicht. Im westlichen Teil des Odenwaldes wechseln Syenit, Grünschiefer und Granulit zonenweise miteinander ab, während der südöstliche Teil desselben aus Buntsandstein besteht. Beide Hauptteile sind durch ein von Schaafheim in südwestlicher Richtung bis nach Hammelbach hinziehendes Lager von Gneis getrennt. Durch die Bergstraße (s. d.) wird das Gebirge von der westlich in einer durchschnittlichen Höhe von 150 m über der Meeresfläche gelegenen Rheinebene geschieden, an die sich im nördlichen Teil der Provinz die Mainebene in nahezu gleicher Höhe anschließt. Rheinhessen endlich umfaßt das fruchtbare, volkreiche Hügelland im N. des Pfälzer Gebirges zwischen Kreuznach, Mainz und Worms, im SW. noch vom Hardtgebirge durchzogen, das im Eichelberg bei Fürfeld 320 m hoch ansteigt. Die Gewässer des Großherzogtums gehören größtenteils dem Rheingebiet an. Nur der östliche Teil des Vogelsbergs schickt seine Flüsse in die Fulda und gehört somit in das Wesergebiet. Der Hauptfluß ist der Rhein, der bei Worms das Land betritt, Rheinhessen von der Provinz Starkenburg scheidet, dann von unterhalb Mainz an die Grenze gegen Preußen bildet und nach einem Laufe von etwa 92 km, wovon 63 innerhalb des hessischen Gebietes und 29 längs der Grenze, das Land bet Bingen wieder verläßt. Von seinen Nebenflüssen gehören H. ganz oder z. T. an, rechts: der Neckar, der die hessische Exklave Wimpfen berührt und auf einer kurzen Strecke die Provinz Starkenburg gegen Baden abgrenzt, die Weschnitz, Modau, der Main, der die Grenze gegen Preußen, teilweise auch gegen Bayern bildet, die Mümling, die Gersprenz und die Nidda (mit Wetter und Nidder) aufnimmt und bei Kostheim mündet, endlich die Lahn (mit der Ohm, Lumda und Wieseck); links: die Selz und die Nahe. Zur Fulda, die den nordöstlichen Teil von Oberhessen bewässert, fließen die Schlitz und die Schwalm, letztere sich in die Edder ergießend. Landseen sind nicht vorhanden, dagegen Mineralquellen in allen drei Provinzen. Die bekanntesten sind die Sauerquellen bei Schwalheim, des Ludwigs- und Selzerbrunnens bei Okarben und die Kochsalzquellen zu Bad-Nauheim (Saline) und Bad-Salzhausen in Oberhessen. Bäder (Solbäder) sind vorhanden in Bad-Nauheim (Thermen) und Bad-Salzhausen sowie in Wimpfen a. Berg (Saline). Wie die Beschaffenheit des Bodens, ist auch das Klima verschieden. Während es in den südlichen ebenern Gegenden so mild ist, daß Wein und Obst aller Arten vortrefflich, selbst süße Kastanien und Mandeln gedeihen, ist es in den nördlichen Gegenden rauher, und in den höhern Punkten des Vogelsbergs wird hier und da nicht vielmehr als Hafer und Kartoffeln erzielt.
Areal und Bevölkerung.
Das Land hat einen Flächeninhalt von 7681 qkm (139,5 QM.) mit (Ende 1900) 1. 119,893 Einw., die sich auf die drei Provinzen (die ihrerseits wieder m 18 Kreise geteilt sind) folgendermaßen verteilen:
Die Bewohner des Großherzogtums gehören der Abstammung nach dem hessischen oder westfränkischen Zweig des oberdeutschen Stammes an (über die hessische Mundart vgl. Deutsche Sprache, S. 744). Auf 1000 männliche Personen entfallen 1006 weibliche. Es bekennen sich 66,63 Proz. zur evangelischen, 30,49 Proz. zur römisch-katholischen, 0,67 Proz. zu sonstigen christlichen Konfessionen. 2,19 Proz. sind Juden. Die Zahl der Gemeinden beträgt 993 und zwar 900 Gemeinden von weniger als 2000 Einw. (sogen. ländliche Gemeinden) und 93 Gemeinden von 2000 Einw. und darüber (sogen. städtische Gemeinden). Die Bevölkerung teilt sich in 518,139 Bewohner jener ländlichen Gemeinden und 601,754 Bewohner von städtischen Gemeinden. Die Zahl der Wohnplätze beläuft sich auf etwa 2700. Im Durchschnitt kommen 146 Einw. auf 1 qkm. Am dichtesten bevölkert sind der rheinhessische Kreis Mainz mit 700, die starkenburgischen Kreise Darmstadt mit 379 und Offenbach mit 321 Bewohnern auf 1 qkm; am dünnsten die ober hessischen Kreise Lauterbach (mit 54), Schotten (mit 57) und Alsfeld (mit 58). Die Bevölkerungszunahme beträgt seit 1895: 80,873 Personen (7,78 Proz., im Jahresdurchschnitt 1,56 Proz.), sie war stärker als in jeder der vorhergehenden Zählungsperioden; sie beträgt im Jahresdurchschnitt von 1816–1900: 0,82 Proz. Auf die Provinzen kommt 1900 eine Zunahme. in Starkenburg von 44,950, in Oberhessen von 10,523, Rheinhessen 25,400 Personen, d. h. durchschnittlich jährlich 2,02, bez. 0,78 und 1,57 Proz. Von den größten Städten zählten Mainz 84,251 (Zunahme 7305), Darmstadt 72,381 (8636), Offenbach 50,468 (11,070), Worms 40,705 (7530), Gießen 25,457 (2573) Einw. Die Auswanderung, die früher, besonders in den Jahren 1843–67, 1871–75 und 1880–85, sehr bedeutend war, ist seit 1894 beträchtlich zurückgegangen. Während sich der Überschuß der Auswanderungen über die Einwanderungen in den letzten Jahrzehnten bis zum genannten Jahr auf ca. 3000 Personen durchschnittlich jährlich belief, ist seitdem ein Wanderungsgewinn von jährlich rund 1400 Personen zu verzeichnen. 1902 betrug die überseeische Auswanderung nach außereuropäischen Ländern nur 386 Personen. Die natürliche Vermehrung der Bevölkerung betrug 1902 bei 39,076 Gebornen und 22,028 Gestorbenen 17,048. Unter den Gebornen waren 20,091 männliche, 18,985 weibliche; uneheliche: 2879. Auf 100 Geburten entfallen nach dem Durchschnitt der 20 Jahre 1883–1902: 7,8 uneheliche (1902: 7,4). Die Zahl der Ehescheidungen betrug 1902: 107 (in der Periode 1893–1902 durchschnittlich jährlich 82,9). 1900 lebten 433 männliche Geschiedene ( = 0,08 Proz. der männlichen Bevölkerung) und 815 weibliche Geschiedene ( = 0,15 Proz. der weiblichen Bevölkerung).
Für die geistige Kultur geschieht im Großherzogtum viel, namentlich sind die Unterrichtsanstalten vortrefflich eingerichtet. Von den 63,670 in den 20 Jahren 1883–1902 in das Militär eingestellten Mannschaften hessischer Staatsangehörigkeit waren nur 27 = 0,04 Proz. ohne Schulbildung. Die oberste Landesbehörde für Schulsachen ist das Ministerium des Innern mit einer besondern Abteilung für Schulangelegenheiten (an Stelle der aufgehobenen Oberstudiendirektion), unter der die 18 Kreisschulkommissionen in den einzelnen Kreisen stehen. Die örtliche Beaufsichtigung und Leitung des Volksschulwesens einer Gemeinde steht einem, bez. mehreren Schulvorständen zu. Die Kosten für die Volksschulen, einschließlich der Fortbildungsschulen, werden in der Regel von den Gemeinden bestritten. Anfang 1903 zählte man im Lande 986 einfache Volksschulen mit 86,224 Schülern und 87,706 Schülerinnen, 7 erweiterte Volksschulen (Mittelschulen) mit 1840 Schülern und 2079 Schülerinnen; daneben 902 Fortbildungsschulen mit 23,083 Schülern, 3 Schullehrerseminare in Friedberg, Bensheim und Alzey, 3 Lehrerinnenseminare (2 verbunden mit höhern Mädchenschulen in Darmstadt und Mainz), 3 Schullehrer-Präparandenanstalten in Lindenfels, Lich und Wöllstein. Unterrichtsanstalten für Taubstumme und für Taubstummenlehrer bestehen in Bensheim und Friedberg, eine Blindenanstalt in Friedberg, Waisenhäuser in Mainz (2) und Sandbach (1), auch sorgt eine Landeswaisenanstalt (mit beträchtlichen Fonds) für die Unterkunft der Waisen in achtbaren Familien. Höhere Mädchenschulen (mit staatlicher Anerkennung) bestehen in Darmstadt, Offenbach, Gießen, Mainz und Worms. Gymnasien gibt es 11: in Darmstadt (2), Bensheim, Offenbach, Gießen, Büdingen, Friedberg, Laubach, Mainz (2) und Worms, letzteres verbunden mit einer Oberrealschule, dasjenige in Friedberg verbunden mit einer Realschule, das eine Gymnasium in Darmstadt und das Gymnasium in Gießen in Verbindung mit einem pädagogischen Seminar. Realgymnasien gibt es 3: in Darmstadt, Gießen und Mainz, beide letztere mit Oberrealschulen, dasjenige in Mainz auch mit einer höhern Handelsschule, dasjenige in Darmstadt mit pädagogischem Seminar verbunden. Außer den genannten 3 Oberrealschulen bestehen noch 2 weitere in Darmstadt und Offenbach. Realschulen bestehen 11: in Gernsheim, Groß-Umstadt, Heppenheim a. d. B., Michelstadt, Wimpfen a. B., Alsfeld, Butzbach, Friedberg (s. oben), Alzey, Bingen und Oppenheim; diejenigen in Alzey und Bingen sind mit Progymnasien, die Realschule in Groß-Umstadt mit einer Landwirtschaftsschule verbunden. Weiter bestehen 31 staatlich anerkannte höhere Bürgerschulen sowie 42 Privatunterrichtsanstalten. Die Landesuniversität ist Gießen (s. d.). Außerdem hat H. eine technische Hochschule (in Darmstadt), ein Predigerseminar (in Friedberg), ein bischöfliches (Priester-) Seminar (in Mainz), ein landwirtschaftliches und ein Forstinstitut (mit der Universität Gießen verbunden), 10 landwirtschaftliche Winterschulen (Ackerbauschulen), eine Wein- und Obstbauschule (Oppenheim), eine Obstbauschule (Friedberg), eine Molkereischule (Lauterbach), eine Brauerakademie (Worms), Handelsschulen, kaufmännische Fortbildungsschulen, Industrieschulen, Haushaltungsschulen für Mädchen. Gewerbliche Unterrichtsanstalten waren 1902/03 vorhanden: eine Landesbaugewerkschule in Darmstadt, eine Fachschule für Elfenbeinschnitzerei und verwandte Gewerbe in Erbach i. O., eine Webschule in Lauterbach, die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule in Mainz, eine Bau-, Maschinenbau- und Kunstgewerbeschule in Offenbach, eine Baugewerk- und Gewerbeschule sowie eine Schule für Maschinenbau und Elektrotechnik in Bingen, eine Gewerbeakademie für Maschinen-, Elektro-, Bau-Ingenieure und Architekten, verbunden mit Schule für Maschinen- und Elektrotechniker in Friedberg, 10 Gewerbeschulen, 113 Handwerker-Sonntags-Zeichenschulen, teilweise verbunden mit Wochenunterricht, 42 gewerbliche Fortbildungsschulen für nicht zeichnerische Fächer, Korbflechtereischulen in mehreren Orten; weiter eine Schule für Frauenbildung u. – Erwerb in Darmstadt. An der Förderung der geistigen Bildung nehmen endlich einen bedeutenden Anteil die wissenschaftlichen und Kunstsammlungen, in erster Linie die Hofbibliothek in Darmstadt, die Universitätsbibliothek in Gießen und die Stadtbibliothek in Mainz und die Museen in Darmstadt und Mainz sowie verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften und Kunstvereine.
Landwirtschaft, Bergbau.
Die Bodenkultur, die neben der Industrie den wichtigsten Nahrungszweig des Landes bildet, wird von der Regierung wie von den Bewohnern (durch Versicherungsanstalten, landwirtschaftliche Vereine und Lehrinstitute, das landwirtschaftliche Versuchs- und Genossenschaftswesen etc.) gleich kräftig gefördert Nach der neuesten Statistik (1895) zählte man 167,469 in der Landwirtschaft, Gärtnerei etc. als ihrem Hauptberuf erwerbstätige Personen und im ganzen 371,919 Personen (oder 36,03 Proz. der Gesamtbevölkerung), die von der Landwirtschaft etc. lebten. Von der gesamten Bodenfläche sind (1900) 48,9 Proz. Acker- und Gartenländereien, 12,3 Wiesen, 0,8 Weiden und Hutungen, 1,8 Weinberge und Weingärten, 31,2 Forsten und Holzungen, zusammen 95 Proz. produktive Fläche, sodann 5 Proz. Haus- und Hofräume, Od- und Unland, Wegeland, Gewässer etc., darunter 0,7 Proz. größere Flüsse. Unter den Provinzen steht Rheinhessen bezüglich der relativen Größe der Ackerfläche (75,1 Proz.) und der Weinlandfläche (9,4 Proz.), Starkenburg bezüglich der Waldfläche (41,9 Proz.), Oberhessen bezüglich der Wiesenfläche (16,6 Proz.) voran. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe betrug nach der neuesten Erhebung (1895) 133,840. Von diesen Betrieben waren 59,043 weniger als ein Hektar groß, 65,419 zwischen 1–10 Hektar, 9255 zwischen 10–100 Hektar und 123 von 100 Hektar und mehr. Die durchschnittliche Größe eines Betriebes nach der landwirtschaftlich benutzten Fläche betrug 3,1 Hektar, nach der Gesamtfläche 4,3 Hektar. Der im allgemeinen rationell betriebene Ackerbau liefert Getreide aller Art in beträchtlicher Menge, und zwar 1903: 61,638 Ton. Weizen, 151,504 T. Roggen, 138,697 T. Gerste, 110,183 T. Hafer. Hülsenfrüchte, namentlich Erbsen, werden fast überall, am meisten aber in Oberhessen gezogen, Kartoffeln, deren Kultur vielfach, besonders in Rheinhessen, in sehr hoher Blüte steht, werden allenthalben angebaut und liefern, selbst nach Abzug eines sehr bedeutenden Teiles der Ernte für Viehfutter, Brennereizwecke und Stärkefabrikation, einen über das Bedürfnis hinausgehenden Ertrag (Gesamtertrag 1903: 9,577,280 dz). Ebenso hat der Gemüsebau, insbes. von Kraut und Feldkohl, Spargel, Gurken, Zwiebeln etc., in einzelnen Gegenden eine hohe Entwickelung erlangt, so in Starkenburg in der Gegend von Griesheim, Büttelborn, Biblis, Heppenheim a. d. Bergstraße, Offenbach, in Rheinhessen bei Gonsenheim, Mombach, Budenheim, Finthen, Bretzenheim, Kastel, Heidesheim, Ingelheim und im Eisbachtal (im Kreise Worms), in Oberhessen bei Glauberg, Nieder- und Ober-Mockstadt, Petterweil u. a. O. Rüben werden sehr viel angepflanzt (1902 auf 31,028 Hektar, außerdem 5805 Hektar Zuckerrüben, verarbeitet 1,398,911 dz), von Ölgewächsen besonders Raps, Rübsen (1902: 1110 Hektar). Tabakbau (1903: 465 Hektar, Ertrag 7178 dz) ist nur auf Starkenburg beschränkt; der Flachs- (Lein-) bau herrscht in Oberhessen vor (1902 waren insgesamt 160 Hektar angebaut, wovon 150 in Oberhessen), ist aber zurückgegangen. Der Obstbau ist sehr lohnend und wird in allen drei Provinzen emsig gepflegt (1903 Gesamtertrag ca. 249,000 dz im Werte von ca. 3 Mill. Mk.).
Noch bedeutender ist der Weinbau, besonders, wie schon erwähnt, in Rheinhessen und an der Bergstraße, wo er einen wichtigen Artikel für die Ausfuhr liefert. Von der Fläche der Acker- und Gartenländereien und Weinberge kommen auf Weinland: im Kreise Bingen 20,2 Proz., in Oppenheim 14, in Mainz 7,6, in Alzey 8,3, in Worms 7,7 Proz. Die Hauptorte in Rheinhessen für weiße Weine sind Nierstein, Büdesheim (mit dem berühmten Scharlachberg), Bingen, Oppenheim, Worms (mit den berühmten Sorten Liebfrauenmilch, Luginsland und Katterlöcher), Dienheim, Laubenheim etc., für Rotweine Gundersheim, Ober- u. Nieder-Ingelheim und Heidesheim. In Starkenburg sind als hervorragende Weine der Auerbacher Rottberg, Bensheimer Kirchberg, Pfaffensteiner, Heppenheimer Schloßberg und Heiligenberg zu nennen. Der gesamte Weinertrag belief sich 1903 auf 518,483 hl im Werte von 12,1 Mill. Mk. (im letzten Jahrzehnt auf durchschnittlich 337,233 hl im Jahr, 1896 auf 705,607,1898 auf nur 126,878 hl). Die Wiesenkultur hat seit Jahrzehnten außerordentliche Fortschritte gemacht; auch die Forstkultur ist überall (mit Ausnahme Rheinhessens) sehr ansehnlich und in hoher Blüte. Von den Waldungen sind nach Erhebungen 1900: 58,42 Proz. Laubwald (10,29 Proz. Nieder-, 0,23 Proz. Mittel-, 0,15 Proz. Plänter-, 47,75 Proz. Hochwald), 41,58 Proz. Nadelholz (0,04 Proz. Plänter-, 41,54 Proz. Hochwald). Sie sind zu 27,70 Proz. Kronforste, 2,05 Proz. Staats- und Staatsanteilsforste, 36,23 Proz. Gemeindeforste, 0,28 Proz. Stiftungsforste, 0,93 Proz. Genossenforste und 32,81 Proz. Privatforste. Die größte Waldfläche besitzt der Kreis Erbach (58,74 Proz. des Areals); am schlechtesten bewaldet sind die Kreise Worms (0,76 Proz.) und Oppenheim (1,96 Proz.). Als Gegenstände der Jagd sind zu nennen: Rot- (Edel-) und Damwild, Sauen, Rehe, Hafen, Kaninchen, Fischottern, Füchse, Marder, Iltis, Dachse, Wildkatzen, Birk- und Auerhühner, Fasanen etc. Was die Viehzucht anlangt, so ist besonders die Rindviehzucht von großer Wichtigkeit. Man zählte 1900: 330,666 Stück Rindvieh (die meisten in Oberhessen) mit einem Werte von ca. 81 Mill. Mk. Die Schafzucht (81,596 Stück) ist nur in Oberhessen (57,835 Stück), die Schweinezucht (313,382 Stück) in Oberhessen und Starkenburg von Bedeutung. Ziegen (126,958 Stück) werden relativ in Oberhessen und Rheinhessen fast gleichmäßig, in Starkenburg in beträchtlich größerer Anzahl gehalten. Zur Verbesserung der Pferdezucht (59,342 Stück) tragen das Landgestüt in Darmstadt (1902 mit 59 Zuchthengsten und 23 Stationen) und der Hessische Pferdezuchtverein, der durch Einrichtung von Fohlenweiden, Körung und Vereinsstuten, Prämiierung von Pferden etc. sich verdient gemacht hat, viel bei. Der gesamte Kapitalwert der Pferde etc., des Rindviehs, der Schafe, Schweine und Ziegen berechnet sich auf ca. 134 Mill. Mk. Federvieh wird überall in Masse gezogen, die Bienenzucht strichweise (namentlich im Odenwald, Vogelsberg, in der Wetterau und in Rheinhessen) betrieben (1900 waren insgesamt 36,165 Bienenstöcke vorhanden).
Der Bergbau, der schon in alten Zeiten in H. heimisch war und teils vom Staate, teils von Privaten betrieben wird, ist in Oberhessen viel bedeutender als in den beiden andern Provinzen und liefert gegenwärtig Braunkohlen, Eisen- und Manganerze und Salz (Chlornatrium) als wichtigste Produkte. 1902 zählte man: 15 Eisenerzbergwerke (13 in Oberhessen, 2 in Starkenburg) mit 1083 Arbeitern und einer Produktion von 174,439 Ton. im Werte von 1,437,996 Mk., ein Manganerzbergwerk, zugleich Eisenerzbergwerk, 7 Braunkohlenbergwerke (5 in Oberhessen, 2 in Starkenburg) mit 568 Arbeitern und 296,685 T. Produktion im Werte von 763,281 Mk. Das Land hat zwei Salinen (Ludwigshalle bei Wimpfen und Bad-Nauheim), die 1902 eine Belegschaft von 137 Arbeitern hatten und 14,541 T. Kochsalz im Werte von 479,601 Mk. produzierten. Nicht ohne Bedeutung sind endlich die ausgedehnten Torflager, die in Starkenburg, besonders in den Gemarkungen Pfungstadt und Eschollbrücken, Brenntorf, in Oberhessen, auf der Breungeshainer Heide im Vogelsberg, Streutorf liefern; auch an Erden und Ton und an Steinbrüchen ist das Land reich. Marmorbrüche befinden sich in der Nähe von Auerbach, Granit- und Syenitbrüche allenthalben im Odenwald.
Industrie.
Die gewerbliche Tätigkeit in H. ist ansehnlich und im stetigen Fortschritt begriffen. Seit Einführung der deutschen Gewerbeordnung herrscht vollständige Gewerbefreiheit und ist nur der Betrieb einzelner Gewerbe, wie Apotheken, Schankwirtschaften etc., aus polizeilichen Gründen von einer Konzession abhängig. Zur Hebung des Gewerbewesens wirken neben den 7 Handelskammern (s. S. 268) in erster Linie die Zentralstelle für Gewerbe und der Landesgewerbverein in Darmstadt mit zahlreichen Zweigvereinen, die Handwerkskammer, eine große, sich stets vermehrende Zahl von Vorschuß- und Kreditvereinen sowie zahlreiche Gewerbe- und Handwerkerschulen etc. Gewerbegerichte (Schiedsgerichte) bestehen mehrere. Nach der neuesten Erhebung (1895) zählte man 162,203 in der Industrie, dem Bergbau, Hütten- und Bauwesen als ihrem Hauptberuf erwerbstätige Personen und im ganzen 394,291 Personen (oder 38,20 Proz. der Gesamtbevölkerung), die durch die Industrie ernährt werden. Gewerbebetriebe wurden 51,730 gezählt, wovon 45,517 Haupt- und 6213 Nebenbetriebe. Die Zahl der im Betriebe befindlichen Dampfkessel, ausschließlich derjenigen der Lokomotiven auf den Hauptbahnen, betrug 1899 in Starkenburg 1012, in Oberhessen 607, in Rheinhessen 835, zusammen 2454, die Zahl der Dampfmaschinen 2408. Einen ziemlich bedeutenden Zweig der hessischen Industrie bildet auch das Hüttenwesen. 1902 war in Oberhessen für Roheisenproduktion ein Werk im Betrieb und produzierte aus 58,260 Ton. Erzen und Schlacken und 18,758 T. andern (Zuschlags-) Materialien 25,395 T. Roheisen im Werte von 1,523,000 Mk. Für die Roheisenverarbeitung waren tätig 26 Eisengießereien etc. mit einer Produktion von 20,197 T. im Werte von 3,681,688 Mk. Weiter wurden 1902 in zwei chemischen Fabriken produziert: Glaubersalz 3685 T. im Werte von 93,503 Mk., englische Schwefelsäure 49,367 T. im Werte von 963,380 Mk. Die Fabrikation von Maschinen blüht hauptsächlich in Offenbach, Mainz, Darmstadt, Gustavsburg bei Mainz (Brückenbauanstalt), Worms und Gießen. Kesselschmieden finden sich in Darmstadt, Gustavsburg u. a. O., Herdfabriken in Darmstadt, Mainz, Eberstadt bei Darmstadt; Stahl-, Eisen- und andre Metall-sowie Gürtler- und Kunstgußwaren werden vorzüglich in Offenbach, Beleuchtungsapparate in Mainz, Nähmaschinen in Rüsselsheim, Fahrräder in Offenbach und Rüsselsheim, elektrische Maschinen und Apparate in Offenbach, andre physikalische etc. Instrumente in Gießen verfertigt. Bedeutende Kunst- und Bauschloffereien bestehen in Mainz, Darmstadt, Offenbach. Für die Herstellung von Wagen (auch Luxuswagen), Waggons, Wagenachsen und Wagenrädern bestehen große Etablissements in Mombach, Mainz und Offenbach. Der für H. bei weitem hervorragendste Industriezweig ist die Fabrikation von Leder, insbes. von lackiertem und gefärbtem Leder, die in ausgedehntestem Umfang hauptsächlich in Worms, Mainz und Offenbach bet ri eben wird. Die außerordentlich ausfuhrstarke Kidlederfabrikation beherrscht mit wenigen Konkurrenten den Weltmarkt. Auch in der Verfertigung von Sattlerarbeiten ragt H. hervor.
Von großer, weit über die Grenzen des Landes hinausreichender Bedeutung sind ferner die zu Mainz in zahlreichen Fabriken betriebene Fabrikation von Kunst- und feinern Gebrauchsmöbeln sowie feinern Einrichtungs- und Dekorationsgegenständen der verschiedensten Arten (Luxusmöbeln) und die Offenbacher Portefeuillefabrikation, die in Deutschland auf diesem Gebiete den ersten Rang einnimmt und die Wiener Portefeuille-Industrie in bezug auf den Betrag der Gesamtproduktion sogar noch übertrifft. Auch die Herstellung andrer Lederwaren und Etuisarbeiten, Verfertigung von Reiseartikeln (Koffern, Reisetaschen etc.), Kartonnagearbeiten u. a. ist besonders in Offenbach, wie auch in Mainz, Darmstadt, Worms, Gießen etc. von Bedeutung. Die Silberwarenfabrikation in Mainz hat Weltruf. Die Tabak- und Zigarrenfabrikation (in etwa 230 Fabriken) bildet einen der wichtigsten Industriezweige des Landes. Erstere konzentriert sich hauptsächlich in den Städten Offenbach, Gießen und Alsfeld, letztere, zum größten Teil für die Ausfuhr arbeitend, in den Kreisen Heppenheim, Bensheim, Offenbach, Darmstadt, Gießen, Worms und Bingen. Eines ausgebreiteten Rufes erfreuen sich die Erzeugnisse der chemischen Industrie. Die bemerkenswertesten Etablissements, z. T. ersten Ranges, befinden sich in Darmstadt (Alkaloide, pharmazeutische und technische Präparate), Mainz (Essigsäure, essigsaure Salze und Methylpräparate), Oppenheim (Chinin, Chinidin etc.), Marienberg im Kreis Bensheim (Blaufarbe), Neuschloß bei Lampertheim (Mineralsäure, Soda, Chlorkalk), Offenbach (Anilin-, Anilinfarben- und Alizarinfabrik) und Worms (Soda, Karbolineum, Degras, Wasserglaskompositionen und Wasserglasseife). Die Fabrikation von Zündhölzern wird schon seit längerer Zeit in H. in großer Ausdehnung, besonders in den Kreisen Darmstadt und Dieburg, betrieben und ist durch die beträchtliche überseeische Ausfuhr von Bedeutung. Ansehnliche Seifensiedereien befinden sich in Offenbach, Mainz und Worms. Es bestehen ferner Lack- und Firnis-, Buch- und Steindruckfarbenfabriken in Offenbach und Mainz, Vaselinefabriken in Offenbach und Darmstadt, Stearin- und Stearinkerzenfabriken sowie eine Zelluloid- und Zelluloidwarenfabrik in Offenbach. Von großer Wichtigkeit, auch wegen der bedeutenden Ausfuhr, ist ferner die Erzeugung von Schuhwaren, die hauptsächlich in Offenbach, Mainz, Darmstadt, Worms und Bingen ihren Sitz hat. Auch die Filzwaren- und Hutfabrikation wird in beträchtlichem Umfang, insbes. in Offenbach betrieben u. hat das Entstehen zahlreicher ansehnlicher Hasenhaarschneidereien in Offenbach, Neu-Isenburg, Rüsselsheim u. Seligenstadt veranlaßt.
Was die Industrie in Nahrungsmitteln anbelangt, so ist zunächst die Bierbrauerei hervorzuheben, die hauptsächlich in Mainz, Weisenau, Worms, Pfungstadt, Gießen, Darmstadt und Groß-Gerau in größerm Maßstab betrieben wird (Gesamtproduktion in 125 Brauereien 1902: 1,567,134 hl). Sehr ausgebreitet in einer Menge von Wasser- und Dampfmühlen ist die Mehlbereitung, nicht unerheblich auch die Essigsiederei und Branntweinbrennerei (Gesamtproduktion in 261 Brennereien 1901/02: 20,215 hl Alkohol). Die Fabrikation von moussierenden Weinen wird in beträchtlichem Umfang, besonders in Mainz und Worms, betrieben. Kartoffel- und Stärkemehl sowie Stärkezucker werden in Gernsheim und Osthofen, Rübenzucker in fünf Fabriken (Produktion 1902/03: 146,625 dz Rohzucker), davon zwei in Oberhessen und drei in Starkenburg, Kaffeesurrogate (insbes. Zichorie) in Offenbach, Worms, Rüsselsheim, Bingen etc., Schokolade und Kakao in Mainz und Darmstadt und Konserven in Mainz und Sprendlingen (in Starkenburg) fabriziert. Käsefabriken finden sich in Groß-Gerau, Nauheim und Worfelden, Sauerkrautfabriken in Büttelborn und Nauheim. Die Textilindustrie ist, abgesehen von einzelnen bedeutendern Etablissements, von mehr lokaler Bedeutung. Tuchfabriken finden sich vorzugsweise in den Kreisen Erbach, Schotten und Alsfeld. Kunstwolle und Kammgarn wird in Worms hergestellt. Die Wollweberei steht in Grünberg in hoher Blüte, ihre Erzeugnisse werden bis in die entferntesten Gegenden des Deutschen Reiches versendet. Die Fabrikation von baumwollenen Zeugen wird im Odenwald und in den oberhessischen Kreisen Alsfeld und Lauterbach, auch in Gießen betrieben. Die Leinenindustrie ist in Oberhessen zu Haus und bildet einen wichtigen Erwerbszweig der Bevölkerung in den Kreisen Alsfeld und Lauterbach (insbes. Schlitz). Außerdem werden Posamentier-, Strumpfwaren, Stramin und Wachstuch in Offenbach, Kokosmatten und Teppiche in Rüsselsheim, Korsette in Offenbach, Darmstadt und Gießen, Handschuhe in Friedberg, Darmstadt u. a. O. und Metallknöpfe in Offenbach fabriziert. Strohhutfabriken bestehen unter andern in Darmstadt und Offenbach. Für die Bewohner des Vogelsbergs ist ferner das Fertigen von Holzwaren und Schnitzarbeiten, für die des Odenwaldes, insbes. von Erbach und Michelstadt, die Herstellung seiner Elfenbeinschnitzereien ein nicht unwesentlicher Erwerbszweig. Die Industrie der Steine, Ton- und Glaswaren ist, außer der Zementfabrikation in Amöneburg bei Biebrich, in Budenheim bei Mainz und in Offenbach, der Herstellung von Zementröhren in Offenbach, einigen Fayenceofenfabriken und Fabriken andrer Tonwaren in Darmstadt, Mainz, Worms, Gießen u. a. O., einer Fabrik feuer- und säurefester Produkte in Bad-Nauheim, einer Glasfabrik bei Büdingen, einer Glasperlenfabrik in Mainz, Töpfereien und den überaus zahlreichen Ziegeleien und Feldbackstein- und Kalkbrennereien, durch wertvolle Marmorbrüche bei Auerbach, bedeutende Granit- und Syenitwerke im Odenwald und an der Bergstraße und andre Steinbrüche in großer Anzahl vertreten. Vorzügliche Tapeten liefern Darmstadt, Offenbach und Mainz; Baryt- und Bunt- (Glanz- und Chromo-) Papier und Phantasiepapier sowie Albuminpapier Offenbach; Spielkarten Darmstadt. Die Fabrikation von gewöhnlichem Papier und von Papiermasse wird vorzugsweise in den Kreisen Darmstadt und Bensheim sowie in Wimpfen und Nidda betrieben. An lithographischen Anstalten, Buch- und Notendruckereien fehlt es nicht, und es wird in diesem Fach namentlich in Mainz, Offenbach, Darmstadt, Gießen und Worms Vorzügliches geleistet. Eine Schriftgießerei befindet sich in Offenbach.
Handel und Verkehr.
Über den Umfang des besonders in Mainz sehr lebhaften Handelsverkehrs geben folgende Daten Aufschluß. Die Zahl der in den Berufszweigen des Handels und Verkehrs als ihrer Hauptbeschäftigung erwerbstätigen Personen betrug nach der neuesten Erhebung (1895) 46,057, mit ihren Angehörigen etc. 123,412 oder 11,96 Proz. der Gesamtbevölkerung. Handels- etc. Betriebe wurden 27,535 gezählt, davon 20,620 Haupt- und 6915 Nebenbetriebe. 1903 betrug in den drei Rheinhäfen bei Mainz, Worms und Bingen die Zufuhr zu Berg 520,590 Ton., zu Tal 1,050,396 T., zusammen 1,570,986 T.; die Abfuhr zu Berg 11,002 T., zu Tal 148,305 T., zusammen 159,307 T.; die gesamte Güterbewegung mithin 1,730,293 T. In Mainz, wo sich auch der Sitz einer Dampfschiffahrtsgesellschaft befindet, betrug die Gesamtzahl der 1903 angekommenen und abgegangenen Dampf- und Segelschiffe 25,524, der Flöße 129, das Gesamtgewicht der mit den Schiffen angekommenen Güter 1,153,228 T., der abgegangenen Güter 58,136 T., der Floßbestand 4346 T. Das Post- und Telegraphenwesen steht unter der Verwaltung des Reiches; das Großherzogtum bildet den Oberpostdirektionsbezirk Darmstadt. Die Länge der im Betrieb befindlichen Eisenbahnen betrug im Betriebsjahr 1902/03: 2101 km, und zwar der preußisch-hessischen Staatsbahnen 1972, der Privatbahnen 129, der Hauptbahnen 1557, der Nebenbahnen 544 km. Die Länge der Kreisstraßen einschließlich der frühern Staatsstraßen beträgt 4857 km. Sonstige Förderungsmittel des Handels sind die Bank für Handel und Industrie (in Darmstadt) sowie die sieben Handelskammern in Darmstadt, Offenbach, Gießen, Friedberg, Mainz, Worms und Bingen. Außerdem befinden sich in H. zwei Reichsbankstellen (in Mainz und Darmstadt) und sieben Reichsbanknebenstellen (in Alsfeld, Friedberg, Lauterbach, Offenbach, Gießen, Worms und Bingen). Zur Erleichterung in der Beschaffung von Geldmitteln für landwirtschaftliche Zwecke und behufs Errichtung gemeinnütziger Anlagen und Anstalten dient eine Landeskreditkasse, zur Förderung des Realkredits überhaupt die Landeshypothekenbank, beide in Darmstadt. Öffentliche Bezirks-, Kreis- und Gemeindesparkassen sind 32, andre Spar- und Darlehnskassen 367 vorhanden.
Humanitäts- und Wohltätigkeitsanstalten.
Im allgemeinen liegt die Fürsorge für Hilfsbedürftige den Orts- und Landarmenverbänden ob. Außerdem ist eine besondere Fürsorge durch den Staat für Waisen (durch die schon erwähnte Landeswaisenanstalt), Geisteskranke, Taubstumme, Blinde und Idioten getroffen. Diese werden gegen mäßige Beträge in besonders eingerichtete staatliche Anstalten aufgenommen. Es bestehen eine Landesirrenanstalt zu Heppenheim a. d. B., das Landeshospital (Irrenanstalt)zu Hofheim, die schon genannten Taubstummenanstalten, die Blindenanstalt in Friedberg, eine Anstalt für Blödsinnige bei Darmstadt, Provinzial-Siechenhäuser in Eberstadt (bei Darmstadt), Gießen und Heidesheim, Rettungsanstalten für sittlich verwahrloste Kinder in Hähnlein, Gräfenhausen, Mühlheim bei Offenbach, Arnsburg und Jugenheim (in Rheinhessen), eine Knabenarbeitsanstalt in Darmstadt, öffentliche Kleinkinderschulen in Menge, eine Staatsunterstützungskasse, Vereine gegen Verarmung und Bettelei, ein Landesversicherungsamt für Invaliditäts- und Alters-sowie Unfallversicherung, verschiedene Witwen- und Waisenversorgungsanstalten sowie Stiftungen zugunsten Hinterbliebener von Staatsdienern, Militärpersonen, Forstbeamten, Lehrern, für adlige Töchter etc., Sterbe- und Krankenkassen, darunter eine staatliche Betriebskrankenkasse, verbunden mit einer Versorgungsanstalt für staatliche Arbeiter, zwei Entbindungsanstalten und viele Kranken- und Heilanstalten, auch für Epileptische und Lungenkranke, ein Fonds für öffentliche und gemein. nützige Zwecke, eine Lebensversicherungsanstalt, Wohnungsfürsorge für Minderbemittelte u. a. Dahin ist auch die Brandversicherungsanstalt für Gebäude (mit Versicherungszwang) zu rechnen.
Staatsverfassung und Verwaltung.
Das souveräne Großherzogtum H., zu einem solchen 1806 erhoben, bildet laut Verfassungsurkunde vom 17. Dez. 1820, die durch Landes- und Reichsgesetzgebung mannigfache Abänderungen erfahren hat, als ein unter ein und derselben Verfassung stehendes Ganze eine unteilbare konstitutionelle Monarchie. Der Landesherr, der den Titel »Großherzog von H. und bei Rhein« mit dem Prädikat »Königliche Hoheit« führt, ist das Oberhaupt des großherzoglichen Hauses wie auch der evangelischen Kirche des Landes und bezieht eine Zivilliste von 1,265,000 Mk., die, gleich den übrigen Bedürfnissen des Hofes, vorzugsweise auf die als schuldenfreies unveräußerliches Familieneigentum des großherzoglichen Hauses anerkannten zwei Drittel der Domänen angewiesen ist. Die Regierung ist im großherzoglichen Haus erblich nach Erstgeburt und Linealerbfolge, auf Grund der Abstammung aus ebenbürtiger, mit Bewilligung des Großherzogs geschlossener Ehe. In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Regierung auf das weibliche Geschlecht über, nach dem Übergang gilt wiederum der Vorzug des Mannesstammes. Beim Erlöschen des Mannesstammes würden auf Grund der Erbverbrüderung vom 9. Juni 1373 folgende fürstliche Linien in der angegebenen Reihenfolge zur Thronfolge berufen sein: Königreich Sachsen, Großherzogtum Sachsen-Weimar, Herzogtum Sachsen-Meiningen, Herzogtum Sachsen-Altenburg, Herzogtum Sachsen-Koburg Gotha. Eine weitere Erbverbrüderung wurde zwischen H. und dem sächsischen und brandenburgischen Fürstenhaus 27. Mai 1457 geschlossen und 30. und 31. März 1614 erneuert. Gegenwärtiger Regent ist der Großherzog Ernst Ludwig, der seit 13. März 1892 regiert.
Der Großherzog teilt die gesetzgebende Gewalt mit der Volksvertretung, den Landständen. Diese bilden zwei Kammern, über deren Zusammensetzung das Gesetz vom 8. Nov. 1872 neue Bestimmungen enthält. Danach besteht die Erste Kammer aus den großjährigen Prinzen des großherzoglichen Hauses, den Häuptern der standesherrlichen Familien, dem Senior der freiherrlichen Familie v. Riedesel, einem protestantischen Geistlichen, den der Großherzog auf Lebenszeit mit der Würde eines Prälaten ernennt, dem katholischen Landesbischof, dem Kanzler der Landesuniversität, 2 von dem angesessenen Adel aus seiner Mitte gewählten Mitgliedern und aus höchstens 12 vom Großherzog auf Lebenszeit berufenen ausgezeichneten Staatsbürgern. Die Zweite Kammer besteht aus 10 Deputierten der acht Städte mit eignem Wahlrecht (Darmstadt 2, Mainz 2, Gießen, Offenbach, Friedberg, Alsfeld, Worms, Bingen je 1) und 40 Abgeordneten der kleinern Städte und Landgemeinden. Die Ernennung der Abgeordneten für die Zweite Kammer geschieht durch indirekte Wahl. Der Großherzog beruft, vertagt und löst die Ständeversammlung auf oder schließt dieselbe, die alljährlich einberufen werden muß. Eine willkürliche Vereinigung der Stände ist gesetzwidrig und strafbar. Erfolgt die Auflösung derselben, so wird binnen 6 Monaten eine neue Versammlung einberufen, zu der neue Wahlen stattfinden müssen. Ohne Zustimmung der Stände kann weder eine direkte noch indirekte Steuer ausgeschrieben oder erhoben werden. Das Finanzgesetz wird auf 1 Jahr gegeben. Ohne Zustimmung der Stände kann kein Gesetz erlassen, aufgehoben oder abgeändert werden. Das Recht der Initiative steht dem Großherzog zu, während die Stände nur auf dem Wege der Petition auf neue Gesetze oder auf Abänderung und Aufhebung bestehender antragen können. Den Präsidenten der Ersten Kammer ernennt der Großherzog, den der Zweiten wählt derselbe aus drei ihm hierzu vorgeschlagenen Kandidaten. Die Sitzungen der Kammern sind öffentlich. Die Minister sind verantwortlich und können von den Ständekammern in Anklagestand versetzt werden.
Die oberste Staatsbehörde bildet das Staatsministerium. Innerhalb desselben bestehen das Ministerium des Innern, das Ministerium der Justiz und das Ministerium der Finanzen. Der Staatsminister ist Präsident des Staatsministeriums, zugleich Minister des großherzoglichen Hauses und des Äußern sowie des Innern. Bei dem Ministerium des Innern bestehen besondere Abteilungen für Schulangelegenheiten (an Stelle der frühern Oberstudiendirektion), für öffentliche Gesundheitspflege (früher Obermedizinaldirektion) und für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, bei dem Ministerium der Finanzen eine Abteilung für Bauwesen (früher Oberbaudirektion), zugleich den übrigen Ministerien zur Wahrnehmung der Geschäfte der obern Bauverwaltung beigegeben, eine Abteilung für Finanzwirtschaft und Eisenbahnwesen, eine Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung (früher Oberforst- und Domänendirektion) und eine Abteilung für Steuerwesen (früher Obersteuerdirektion). Über Verwaltungsstreitigkeiten entscheidet der Verwaltungsgerichtshof im öffentlichen und mündlichen Verfahren. Die Verwaltung sämtlicher sogen. innern Angelegenheiten leitet das Ministerium des Innern. Ihm sind für einzelne Geschäftszweige besondere Zentralstellen untergeordnet, z. B. die Zentralstelle für die Landesstatistik, diejenige für die Gewerbe, die Handwerkskammer (sämtlich in Darmstadt). An der Spitze jeder Provinz des Landes steht eine Provinzialdirektion, an der eines jeden der 18 Kreise ein Kreisamt (mit einem Kreisrat). Jeder Kreis bildet einen Verband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten, mit den Rechten einer Korporation. Dasselbe gilt von den Provinzen. Für jeden Kreis besteht ein Kreistag, dessen Mitglieder zu einem Drittel von den Höchstbesteuerten, zu zwei Dritteln von den Bevollmächtigten der Gemeindevorstände auf 6 Jahre gewählt werden. Nach 3 Jahren scheidet die Hälfte aus. Den Vorsitz hat der Kreisrat. Zur Verwaltung der Angelegenheiten des Kreises ist der Kreisausschuß; bestellt, der aus dem Kreisrat und 6 von dem Kreistag auf 6 Jahre gewählten Mitgliedern besteht und zugleich als Verwaltungsgericht unterster Instanz tätig ist. In analoger Weise ist der Provinzialtag, dessen Abgeordnete von den Kreistagen der Provinz ebenfalls auf 6 Jahre gewählt werden, zur Vertretung des Provinzialverbandes und der Provinzialausschuß (bestehend aus dem Provinzialdirektor und 8 von dem Provinzialtag auf 6 Jahre gewählten Mitgliedern) zur Verwaltung der Angelegenheiten der Provinz, beide unter der Leitung des Provinzialdirektors, berufen. Die Oberaufsicht des Staates über die Provinzial- und Kreisverbände übt das Ministerium des Innern. Auf dessen Antrag kann ein Provinzial-sowie Kreistag durch landesherrliche Verordnung aufgelöst werden, worauf neue Wahlen binnen 6 Monaten stattzufinden haben. H. besitzt im Bundesrat des Deutschen Reiches 3 Bevollmächtigte und entsendet 9 Abgeordnete in den deutschen Reichstag. Über die Reichstagswahlkreise des Großherzogtums s. die Karte »Reichstagswahlen«.
Rechtspflege, Kirchenwesen.
Die Justiz ist von der Verwaltung scharf getrennt. Es bestehen: ein Oberlandesgericht zu Darmstadt (letzte Instanz, insofern nicht als solche das Reichsgericht zuständig ist), drei Landgerichte: zu Darmstadt, Gießen und Mainz (für jede Provinz eins; s. die Textbeilage »Gerichtsorganisation im Deutschen Reich«, Bd. 7), Schwurgerichte zu Darmstadt, Gießen u. Mainz, Kammern für Handelssachen zu Darmstadt, Offenbach, Gießen, Mainz und Worms, 51 Amtsgerichte, ein Rheinschiffahrtsgericht zu Mainz, ferner eine kaiserliche Disziplinarkammer zu Darmstadt sowie Militärgerichte. Zur Strafverbüßung dienen: ein Landeszuchthaus in Marienschloß, eine Zellenstrafanstalt in Butzbach, je ein Gefängnis in Darmstadt und Mainz, 3 Provinzialarresthäuser in Darmstadt, Mainz und Gießen, 47 Haftlokale (Untersuchungs- und Strafanstalten) an den Amtsgerichtssitzen (4 weitere Hastlokale sind mit den Provinzialarresthäusern vereinigt), ein Arbeitshaus in Dieburg und ein Filialarbeitshaus in Gießen zur Verbüßung von Nachhaft.
Verhältnis des Staates zur Kirche. Die unterm 23. April 1875 erlassenen fünf Kirchengesetze bilden mit mehr oder minder wesentlichen Abänderungen noch jetzt die Grundlage für die Beurteilung der Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften im Staate: 1) Gesetz, betreffend die rechtliche Stellung der Kirchen- und Religionsgemeinschaften im Staat; 2) Gesetz, betreffend den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt, abgeändert durch Gesetz vom 7. Sept. 1889; 3) Gesetz, betreffend die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, ersetzt durch das Gesetz vom 5. Juli 1887; 4) Gesetz, betreffend die Orden und ordensähnlichen Kongregationen, abgeändert durch Gesetz vom 1. Juni 1895; 5) Gesetz, betreffend das Besteuerungsrecht der Kirchen- und Religionsgemeinschaften, abgeändert durch Gesetz vom 30. März 1901. Nach der Kirchenverfassung vom 6. Jan. 1874, abgeändert durch Gesetz vom 15. März 1885, umfaßt die evangelische Landeskirche sämtliche evangelische (lutherische, reformierte und unierte) Gemeinden des Großherzogtums, unbeschadet des Bekenntnisstandes der einzelnen Gemeinden. Das Kirchenregiment wird von dem evangelischen Landesherrn nach Maßgabe der Verfassung durch die oberste Kirchenbehörde, das Oberkonsistorium, ausgeübt. Jede Kirchengemeinde verwaltet innerhalb der verfassungsmäßig bestimmten Grenzen ihre Angelegenheiten selbst, und zwar zunächst durch die Gemeindevertretung und den Kirchenvorstand. Die Gesamtheit der evangelischen Kirchengemeinden eines Dekanats (die Zahl derselben beträgt 23, die Zahl der Pfarrämter 421) findet ihre Vertretung in der in der Regel einmal jährlich zusammentretenden Dekanatssynode, bestehend aus sämtlichen Geistlichen des Dekanats und ebensovielen von den Gemeindevertretungen gewählten weltlichen Mitgliedern. Vorsitzender ist der Dekan, der von der Dekanatssynode für 6 Jahre gewählt und von dem Großherzog bestätigt wird. Die Gesamtheit der evangelischen Kirche wird durch die Landessynode vertreten. Dieselbe tritt regelmäßig alle 5 Jahre zusammen und besteht aus je einem geistlichen und je einem weltlichen von jeder Dekanatssynode gewählten Abgeordneten, dem evangelischen Prälaten und 7 (3 geistlichen und 4 weltlichen) von dem evangelischen Landesherrn zu ernennenden Mitgliedern. Der Landessynode steht das Gesetzgebungsrecht in allen kirchlichen Angelegenheiten in Gemeinschaft mit dem Landesherrn zu. Die katholische Landeskirche (Landesbistum Mainz) bildet einen Bestandteil der oberrheinischen Kirchenprovinz und steht unter einem Bischof (mit Domkapitel und bischöflichem Ordinariat, bez. Offizialat), dem wiederum 19 katholische Dekanate und 180 Pfarreien untergeordnet sind. Für den israelitischen Kultus bestehen 8 Rabbinate (1900: 24,486 Israeliten).
Finanzen, Heerwesen etc.
Die jährlichen Einnahmen und Ausgaben des Staates betragen nach dem Budget für das Etatsjahr 1903/04: 75,641,098 Mk., und zwar 57,666,689 Mk. für die Verwaltung und 17,974,409 Mk. für das Vermögen.
Der Stand der Staatsschuld war 1. April 1903:
Das Militär des Großherzogtums ist nach der Konvention vom 13. Juni 1871 als geschlossene Division (großherzoglich hessische [25.] Division) vom 1. Jan. 1872 an in den Etat und in die Verwaltung des Reichsheeres und zwar speziell in den Verband der preußischen Armee (jetzt des 18. Armeekorps) einge treten. In der Festung Mainz mit Kastel steht dem Reiche das Besatzungsrecht zu. Das hessische Kontingent behält im Frieden Garnison innerhalb des Großherzogtums; ausgenommen sind außerordentliche Fälle. – Großes Staatswappen: Schild je zweimal gespalten und geteilt mit Mittelschild, der das kleine Staatswappen zeigt. Oben die Felder mit den Figuren von Hessen, Mainz und Worms, zu Seiten des Mittelschildes Ziegenhain und Katzenelnbogen, unten Büdingen, Hanau und Nidda. Auf dem Schilde stehen die Helme von Hessen, Mainz. Katzenelnbogen, Ziegenhain und Hanau. Als Schildhalter dienen zwei gekrönte, rot bewehrte, auf Rasen stehende Löwen. Kleines Staatswappen (s. Tafel »Wappen I«, Fig. 7). In Blau ein von Silber und Rot zehnfach quergestreifter, golden gekrönter und bewehrter, schwert schwingender Löwe. Auf dem Schilde ruht eine zwei bügelige Königskrone. Landesfarben: Rot und Weiß. Orden und Ehrenzeichen sind: der Ludwigsorden, der goldene Löwenorden, das Militärverdienstkreuz, das Militärsanitätskreuz, der Verdienstorden Philipps des Großmütigen (s. Tafel »Orden I«, Fig. 17 u. 18), die Verdienstmedaille für Wissenschaft, Kunst, Industrie und Landwirtschaft (s. Tafel »Verdienstmedaillen I«, Fig. 4), ein allgemeines Ehrenzeichen, ein Ehrenzeichen für Verdienste während der Wassersnot 1882/83, ein Ehrenzeichen für Hof- und Militärdienst für 25 und 50 Dienstjahre, die Militärdienstalterszeichen für 9,10,15,20 und 21 Dienstjahre, die Landwehrdienstauszeichnung, das militärische Erinnerungszeichen an den Großherzog Ludwig I., das Felddienstzeichen und die Rettungsmedaille. Residenz- und Hauptstadt ist Darmstadt.
Vgl. Wagner, Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogtums H. (Darmst. 1829 bis 1831, 4 Bde.); Walther, Das Großherzogtum H. nach Geschichte, Land, Volk, Staat und Örtlichkeit (das. 1854); Dieffenbach, Das Großherzogtum H. in Vergangenheit und Gegenwart (2. Aufl., das. 1884); Künzel, Das Großherzogtum H. (2. Aufl. von Sol dan, Gießen 1893); Hesse, Rheinhessen in seiner Entwickelung von 1798–1834 (Mainz 1835); Becker, Geognostische Skizze des Großherzogtums H. (Darmst 1849); R. Ludwig, Geologische Skizze des Großherzogtums H. (das. 1867) und Versuch einer Statistik des Großherzogtums H. auf Grundlage der Bodenbeschaffenheit (das. 1868); Weidenhammer, Die Landwirtschaft im Großherzogtum H. (das. 1882); Dosch, Die Fischwasser und die Fische des Großherzogtums H. (Gieß. 1899); Küchler, Das Verfassungs- und Verwaltungsrecht des Großherzogtums H. (3. Aufl., von Braun und Weber, Darmst. 1894, 3 Bde.; Nachtrag 1897); Zeller, Handbuch der Verfassung und Verwaltung im Großherzogtum H. (das. 1885–86, 2 Bde.; Ergänzungsband 1893); Cosack, Das Staatsrecht des Großherzogtums H. (Freiburg 1894); »Kunstdenkmäler im Großherzogtum H. Inventarisierung und beschreibende Darstellung« (Darmstadt 1885 ff.); Greim u. Müller, Das Volksschulwesen im Großherzogtum H. (2. Aufl., Gießen 1901); Nodnagel, Das höhere Schulwesen im Großherzogtum H. (das. 1903); »Mitteilungen der großherzoglich hessischen Zentralstelle für die Landesstatistik« (Darmstadt 1862–1903, 33 Bde.) und »Beiträge zur Statistik des Großherzogtums H.« (das. 1862–1903, 52 Bde.); »Statistisches Handbuch für das Großherzogtum H.« (das. 1903). Karten: Topographische Karte von H. (1: 50,000,1832–50); Höhenschichtenkarten von Becker (1: 250,000,2 Blätter, 1874) und vom großherzoglichen Katasteramt (1889 ff.); Lepsius, Geologische Karte des Großherzogtums H. (Darmst. 1887 ff.).
Geschichte.
Der Stifter der großherzoglichen oder darmstädtischen Linie des hessischen Fürstenhauses, Georg I., der Fromme, erhielt beim Tode seines Vaters, des Landgrafen Philipp des Großmütigen (s. Hessen, S. 263), 1567 als jüngster der vier Söhne ein Achtel der hessischen Lande, nämlich die obere Grafschaft Katzenelnbogen mit Darmstadt, die allmählich den Namen Landgrafschaft H.-Darmstadt erhielt, obwohl sie nicht zum eigentlichen H. gehörte. Schon 1577 teilten die Brüder auch den Besitz der Grafen von Dietz, der Kinder Philipps des Großmütigen aus morganatischer Ehe, und Georg erhielt drei Ämter davon. Bedeutender war der Zuwachs durch den Tod des dritten Bruders, Philipp von H.-Rheinfels, 1583; Georg vertauschte den ihm zugefallenen Anteil gegen die seinem ältesten Bruder Wilhelm zugewiesenen, ihm benachbarten Dietzschen Lande, so daß sich sein Gebiet, etwa 2000 qkm umfassend, nördlich vom Main bei Homburg beginnend, südlich von diesem Fluß bis zur pfälzischen Grenze erstreckte, im Osten vom Odenwald, im Westen vom Rhein begrenzt. Als Georg 1596 starb, fiel die Hauptmasse, die Obergrafschaft, dem ältesten Sohn, Ludwig V., dem Getreuen (1596–1626), zu, während von den beiden jüngern Friedrich Homburg und Phi lipp Butzbach erhielten, welch letzteres nach dem Aussterben dieser Linie 1643 wieder mit dem Hauptland vereinigt wurde. Nach dem Erlöschen der Linie H.-Marburg (1604) ward ihr Besitz zwischen Moritz I. von H.-Kassel, dem Verfasser des ältesten Exerzierreglements, und Ludwig V., der sofort (1605) die Universität Gießen gründete, geteilt, aber letzterer verlangte beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, auf Grund des Testaments Ludwigs III., das jede Religionsänderung untersagte, von dem zur reformierten Kirche übergetretenen Unionsmitglied Landgrafen Moritz die ganze oberhessische Erbschaft, und ein reichshosrätliches Erkenntnis sprach ihm 1623 die ganze Erbschaft zu; auch genehmigte der Kaiser die Einführung der Primogenitur und bewahrte dadurch das Land fortan vor Teilungen. Unter Ludwigs V. Sohn, Georg II., dem Gelehrten (1626–61), Anhänger des Kaisers, wurde H. von den Verheerungen des Krieges bebetroffen, bis Verträge mit Schweden und Frankreich Schonung brachten. Mit H.-Kassel bestand bittere Feindschaft; erst der Westfälische Friede 1648 führte zum Ausgleich, wobei H.-Darmstadt die größere Hälfte Oberhessens behielt; die seit 1625 suspendierte Universität Gießen erstand 1650 aufs neue, den Vorrang im Reich erhielt H.-Kassel.
Georgs II. Sohn, Ludwig VI. (1661–78), förderte wie sein Vater die materielle und geistige Hebung des Landes, begünstigte die Einwanderung, verbot den Kriegsdienst außer Landes, ordnete das verfallene Schul- und Kirchenwesen nen, erließ eine neue Hofgerichtsordnung etc. Aus den Überschüssen seiner Regierung bildete er einen Hausschatz und rundete sein Land durch den Ankauf benachbarter Besitzungen (Eberstadt, Rodau, Frankenstein) ab. Sein Sohn Ludwig VII. starb kurze Zeit nach dem Antritt seiner Regierung 31. Aug. 1678, und statt des zweiten Bruders,-E ruft Ludwig (1678–1739), regierte bis 1688 als Vormünderin die Mutter Elisabeth Dorothea von Sachsen-Gotha. Auch Ernst Ludwig hielt standhaft zum Kaiser, und das Land hatte daher während der Kriege mit Frankreich 1688–1714 viel zu leiden. Wie an andern Höfen hielt dennoch auch in Darmstadt französisches Wesen seinen Einzug. Bauten, Oper und Schauspiel, Jagd sowie die Begünstigung aller schönen Künste verschlangen die frühern Ersparnisse und stürzten das Land in Schulden. Wie Ernst Ludwig, so lebte auch sein Sohn Ludwig VIII. (1739–68), der schon als Erbprinz durch Vermählung mit der Erbtochter des letzten Grafen von Hanau-Lichtenberg 300,000 Gulden Einkommen bezog, das sich nach dem Anfall der größern Hälfte der Erbschaft (die kleinere fiel nach 20jährigem Erbstreit an H.-Kassel) noch bedeutend erhöhte. In der äußern Politik österreichisch, hatte er im Österreichischen Erbfolgekrieg und im Siebenjährigen Krieg von den französischen Heeren zu leiden. Ludwig IX. (1768–90), einfach, streng und eifriger Soldatenfreund, begann mit sparsamer Lebenshaltung und suchte die zerrütteten Finanzen in Ordnung zu bringen; er residierte in Pirmasens, dem Hauptort des Fürstentums Hanau-Lichtenberg, das er schon bei Lebzeiten seines Vaters verwaltet hatte. Friedrich d. Gr. war sein Vorbild, ihm ahnte er nach und zog vor allem norddeutsche Beamte in sein Land. Seinen Hof, den Sammelpunkt der hervorragendsten deutschen Künstler und Dichter, zierte seine Gemahlin, Karoline von Pfalz-Zweibrücken, die »große Landgräfin«. Die Aufhebung aller feudalen Rechte und Einkünfte durch die französische Nationalversammlung 1790 beraubte den Landgrafen seiner hanauschen Besitzungen im Elsaß, sein Sohn Ludwig X. (1790–1830) schloß sich den verbündeten Preußen und Österreichern 1792 an, verlor aber bei deren Rückzug 1794 seinen sämtlichen linksrheinischen Besitz und erhielt im Frieden von Lüneville 1801 zur Entschädigung für seine Verluste das Herzogtum Westfalen und einen Teil von Kurmainz, im ganzen statt der abgetretenen 2200 qkm mit 100,000 Einw. über 5500 qkm mit 218,000 Einw., rundete durch einen Tauschvertrag mit Baden 1803 sein Land noch besser ab und erwarb dabei die Reichsstadt Wimpfen. Der neue Staat wurde in die drei Provinzen Starkenburg, Oberhessen und Westfalen geteilt. Als Mitglied des Rheinbundes von Napoleon begünstigt, erwarb der Landgraf 1806 die Souveränität auch über sämtliche bisher noch reichsunmittelbaren Grafen und Freiherren in seinem Gebiet, nahm 14. Aug. den Titel Großherzog Ludwig I. an und hob die formell noch bestehende, doch seit 1628 außer Übung gekommene landständische Verfassung auf. Dafür kämpften die hessischen Truppen Jahre hindurch auf den verschiedensten Kriegsschauplätzen für Napoleon, und erst 2. Nov. 1813 schloß sich Ludwig 1. den Verbündeten an. Auf dem Wiener Kongreß trat er das Herzogtum Westfalen an Preußen, einige südlich gelegene Ämter an Bayern ab und erkannte die Selbständigkeit der hessischen Seitenlinie H.-Homburg an; dafür erhielt er ehemalige geistliche und Pfälzer Gebiete auf dem linken Rheinufer mit den Städten Mainz und Worms und nannte sich daher seit 7. Juli 1816 Großherzog von H. und bei Rhein.
Ludwig I. gab dem Lande 18. März 1820 eine neue ständische Verfassung mit zwei Kammern, deren zuerst sehr beschränkte Rechte auf den Rat des Ministers v. Grolmann durch die am 17. Aug. 1820 als Landesgrundgesetz verkündete revidierte Verfassung wesentlich erweitert wurden. Auf dem ersten Landtag wurden das Steuersystem und die Heereskonskription neu geordnet und eine neue Gemeindeordnung vereinbart. Bei der Verwaltungsreorganisation traten an Stelle des bisherigen Kabinetts vier Departementsminister mit solidarischer Verantwortlichkeit; ein Staatsrat, eine Oberrechnungskammer und eine Staatshauptkasse wurden eingerichtet. Trotz der während der Kriegsjahre bedeutend angewachsenen Staatsschuld blieb der Staatshaushalt doch stets im Gleichgewicht. In wirtschaftlichen Dingen zeigte der Großherzog, von dem vortrefflichen Minister Du Thil beraten, einen klaren und unbefangenen Sinn, ging auf die preußischen Zollvereinsbestrebungen sofort ein und war einer der ersten, die 1828 dem neuen Zollverein freiwillig beitraten. Besonders für die Lage des Bauern- und Arbeiterstandes besorgt, führte er wie schon früher die Ablösbarkeit bäuerlicher Fronen, so jetzt die Aufhebung sämtlicher Staats- und Jagdfronen ein. Ihm folgte 6. April 1830 sein Sohn Ludwig II. (1830–48), der in etwas reaktionärere Bahnen einlenkte, die Bundesbeschlüsse gegen die Presse und Vereine bereitwilligst ausführte und im November 1833 den oppositionellen Landtag auflöste. Der Pensionierung der zur Kammeropposition gehörigen Beamten folgte Verschärfung der Polizeimaßregeln gegen demokratische Umtriebe. Die Regierungsmehrheit in den Kammern regelte das Verhältnis des Staats-zum fürstlichen Domanialvermögen in der Weise, daß der Großherzog ein Drittel seines bisherigen Hausbesitzes dem Land als Schuldentilgungsfonds überließ. Auch ein neues Zivilstandsgesetz wurde 1847 angenommen, nachdem die Regierung die geplante Aufhebung der Zivilehe in Rheinhessen hatte fallen lassen. Erst in dem Ende 1847 zusammenberufenen Landtag wuchs unter dem Eindruck des Schicksals Weidigs (s. d.) und der allgemeinen Gärung in Deutschland die Opposition unter der Führung Heinrichs v. Gagern, und nach der Pariser Februarrevolution gewann auch in H. die revolutionäre Bewegung die Oberhand.
Bereits 28. Febr. 1848 beantragten die Liberalen in der Kammer Berufung einer Nationalvertretung und Ernennung eines Bundesoberhaupts. Ein Edikt vom 5. März verkündete die Mitregentschaft des Erbgroßherzogs, der sofort die Erfüllung der hauptsächlichsten liberalen Forderungen versprach. An Stelle Du Thils ward Heinrich v. Gagern Minister des Innern, und im Mai folgte ihm Jaup. Das Militär wurde 7. März auf die Verfassung vereidigt. In der deutschen Frage vertrat die Regierung im Verein mit Württemberg und Nassau die von Gagern bezeichnete Richtung. Trotzdem kam es besonders im Odenwald und Vogelsgebirge zu Volksaufständen, die mit Waffengewalt niedergeworfen wurden. Ludwig II starb 16. Juni 1848, und ihm folgte Ludwig III. (1848–77). Um Freiheit für seine Reformtätigkeit zu gewinnen, vertagte Jaup im Juli die Kammern und führte darauf eine Reihe wichtiger Reformen durch: die Reorganisation der Verwaltung, die Aufhebung des Jagdrechts, eine neue Kirchen- und Schulorganisation, mündliches und öffentliches Verfahren im Strafrecht da, wo es noch nicht bestand. Nach dem Scheitern der deutschen Reichsverfassung schloß sich Jaup der preußischen Unionspolitik an und fiel mit ihr im Juli 1850. Der neue Minister, v. Dalwigk (s. d.), unterstützte Österreich bei der Restauration des Bundestags und begann, im Bunde mit dem Bischof Ketteler von Mainz, einen Verfassungskonflikt mit dem Landtag. Wichtige, 1848 erworbene Rechte, wie das Vereinsrecht, wurden ohne weiteres aufgehoben, die Beamten durch allerlei direkte und indirekte Gewaltmaßregeln zur Unterwürfigkeit gezwungen, die staatlichen Aufsichtsrechte über die katholische Kirche in H. durch die geheime Konvention vom 23. Aug. 1854 dem Mainzer Bischof übertragen. Die dagegen erhobenen Proteste der Kammern blieben erfolglos: nur mußte die Konvention von 1854 veröffentlicht werden, in Kraft blieb sie nach wie vor. In der deutschen Frage vertrat Dalwigk die preußenfeindliche mittelstaatliche Politik bei der Landesreform wie bei der schleswig-holsteinischen Angelegenheit, stand auch mit dem Hofe Napoleons III. in ununterbrochener Verbindung. Im Bundestag stimmte H. 14. Juni 1866 für die Mobilmachung der Bundesarmee gegen Preußen und ließ, obwohl die Kammern den Kriegskredit verweigerten, sein Kontingent zum 8. Bundeskorps stoßen, das der hessische Prinz Alexander befehligte. Die hessischen Truppen wurden 13. Juli bei Laufach geschlagen, und nach dem Gefecht bei Aschaffenburg kam fast ganz H. in den Besitz der Preußen, während der Großherzog nach Worms floh. Vergeblich rief Dalwigk die französische Intervention an, aber die nahe Verwandtschaft des hessischen Fürstenhauses mit dem russischen und englischen nötigten den Sieger bei dem am 3. Sept. abgeschlossenen Frieden zu Zugeständnissen: H. mußte nur 3 Mill. Gulden Kriegskosten bezahlen und die erst im März 1866 an H. gefallene Landgrafschaft Homburg nebst Meisenheim, die Kreise Biedenkopf und Wehl, den nordwestlichen Teil des Kreises Gießen, den Ortsbezirk Rödelheim und den hessischen Anteil am Ortsbezirk Niederursel, im ganzen etwa 1100 qkm mit 74,000 Einw., an Preußen abtreten, das dagegen Katzenberg, Nauheim, Reichelsheim, Trais, Dortelweil und Haarheim, 83 qkm mit 12,000 Einw., an H. überließ. Ferner trat H. für Oberhessen dem Norddeutschen Bund bei, überließ das Post- und Telegraphenwesen an Preußen, räumte diesem das Besatzungsrecht in Mainz ein und willigte in die Aufhebung der Rheinschiffahrtsakte. Die Bevölkerung, mit diesem Ergebnis des Krieges im ganzen zufrieden, erwartete nun auch eine Änderung der innern Politik. Indes hob Dalwigk nur den Vertrag mit Ketteler von 1854, der tatsächlich doch bestehen blieb, formell auf, trat aber sonst den Kammern schroff entgegen. Nur widerwillig schloß er die Militärkonvention vom 7. April 1867 und das Schutz- und Trutzbündnis vom 11. April mit Preußen ab, wodurch H. sich des Anspruchs auf eine selbständige äußere Politik begab. Der Krieg von 1870/71, in dem die hessischen Truppen als 25. Division unter Führung des Prinzen Ludwig zum 9. Armeekorps gehörten und an dessen Kämpfen rühmlichen Anteil nahmen, machte der 1866 geschaffenen Zwitterstellung Hessens ein Ende und vereinigte 18. Nov. 1870 den ganzen Staat mit dem Deutschen Reich.
Dalwigk trat 6. April 1871 zurück, und nach einem 1 1/2jährigen Übergangsstadium unter dem Ministerium Lindelof übernahm 13. Sept. 1872 der bisherige Vertreter Hessens im Bundesrat, Hofmann, ein liberaler und ehrlich national gesinnter Mann, die Leitung des Ministeriums und begann H. von der unberechtigten Herrschaft des Bischofs Ketteler und der ultramontanen Agitation zu befreien. Dem Vorgang Preußens folgend, brachte die Regierung 1874 ein neues Volksschulgesetz, das die Leitung des gesamten Volksschulwesens staatlichen Behörden übertrug, ein, und die Kammern nahmen es an; 27. Jan. 1874 ward die mit der Landessynode vereinbarte neue Verfassung der evangelischen Kirche verkündet; im September d. J. wurden dem Landtag fünf Kirchengesetzentwürfe vorgelegt, die sich im wesentlichen an die preußischen Maigesetze von 1873 und 1874, z. T. aber noch über sie hinausgehend, anschlossen und trotz des Protestes und der Gehorsamsverweigerung des Bischofs Ketteler im April 1875 Gesetzeskraft erhielten. Im Mai 1876 ward der zum Präsidenten des Reichskanzleramts ernannte Minister Hofmann durch Freiherrn v. Starck ersetzt. Am 13. Juni 1877 starb Ludwig III., und es folgte ihm sein durchaus national gesinnter Neffe, Großherzog Ludwig IV. (1877–92). Um die durch den übermäßig belasteten Hofstaat und jahrelange Defizits in Verwirrung geratenen Finanzen des großherzoglichen Hauses zu ordnen, wurden im Mai 1878 die Schulden der Zivilliste teils durch Verkauf von Domänen getilgt, teils vom Land übernommen, die Zivilliste aber um 300,000 Mk., auf 1,016,000 Mk., vermindert. Dann wurde die Zahl der Ministerien auf drei verringert (Staatsministerium, Inneres und Justiz, Finanzen). Der Einführung der neuen Justizgesetze folgte eine Reform der Steuern, die 1885 zum Abschluß kam. Staatsminister v. Starck nahm im Mai 1884 seine Entlassung, weil er mit der morganatischen Vermählung des Großherzogs mit einer Frau v. Kolemine nicht einverstanden war; im August 1884 folgte ihm Finger (s. d.), der nach Wiederbesetzung des Mainzer Bistums (1886) eine Reihe von Kirchengesetzen durchführte, welche die hessische Kirchengesetzgebung in Übereinstimmung mit der von Preußen, Württemberg und Baden brachten, insbes. die Anzeigepflicht und das staatliche Einspruchsrecht bei der Besetzung der Pfarrämter aufrecht erhielten. Als Großherzog Ludwig IV. 13. März 1892 starb, folgte ihm als Großherzog sein einziger Sohn Ernst Ludwig (s. Ernst 7), der im Sinne seines Vaters regieren zu wollen erklärte und das Ministerium desselben zunächst beibehielt.
Das wichtigste Ereignis der nächsten Zeit für das Land war der 1896 in Gemeinschaft mit Preußen bewirkte Ankauf der Ludwigsbahn, wodurch die Staatsschuld auf mehr als das Dreifache des bisherigen Betrags, nämlich auf 146,5 Mill. Mk. stieg, und die im Anschluß daran mit Preußen eingegangene Eisenbahnbetriebsgemeinschaft. Eine Parallelerscheinung dazu ist der am 16. Mai 1902 erfolgte Beitritt Hessens zum Thüringischen Lotterieverband. Im Sommer 1898 legten der Staatsminister Finger und der Finanzminister Weber ihre Ämter nieder; Nachfolger des erstern wurde der bisherige Provinzialdirektor von Rheinhessen, Karl Rothe (s. d.), die Leitung des Finanzministeriums übernahm W. Küchler, und an dessen Stelle trat 1901 F. Gnauth. Der Landtag von 1899 brachte eine neue Besoldungsordnung der Staatsbeamten, dagegen lehnte 1900 die Regierung die von der Zweiten Kammer beschlossene Erhöhung der Lehrergehälter als zu weitgehend ab. Im März 1901 ging dem Landtag der Entwurf eines neuen Landtagswahlgesetzes zu, aber das Zustandekommen dieser Verfassungsänderung erschien aussichtslos. Erst nach mehrfachen Kompromissen nahm die Zweite Kammer im Juli 1904 das von der Regierung vorgelegte neue Wahlgesetz vom 5. Jan. 1903 an, das die direkte und geheime Wahl einführt sowie 12 städtische und 43 ländliche Wahlkreise vorsieht; die Zahl der Kammermitglieder steigt dadurch von 50 auf 55. Die Zustimmung der Ersten Kammer zu diesem Gesetz stand (im August 1904) noch aus. Die Notwendigkeit einer Regelung der erbrechtlichen Verhältnisse des großherzoglichen Hauses im Falle des Aussterbens im Mannesstamme, die am 5. März 1901 in der Kammer besprochen wurde, führte zum Erlaß des Regentschaftsgesetzes vom 26. März 1902, wonach Landgraf Alexander Friedrich von Hessen der nächste Erbberechtigte ist, falls nicht der von seiner ersten Gemahlin geschiedene Großherzog noch eine zweite, mit einem Sohne gesegnete Ehe eingehen sollte. Nach dem kinderlosen erblindeten Landgrafen ist der nächste Erbberechtigte sein jüngerer Bruder, Prinz Friedrich Karl von Hessen, ein Schwager des Kaisers. Vgl. Baur, Urkunden zur hessischen Landes-, Orts- und Familiengeschichte (Darmst. 1846–73, 5 Bde.); Steiner, Geschichte des Großherzogtums H. (das. 1833–1834, 5 Bde.); Klein, Das Großherzogtum H. historisch und geographisch betrachtet (Mainz 1861); Ewald, Historische Übersicht der Territorialveränderungen der Landgrafschaft H. und des Großherzogtums H. (2. Aufl., Darmst. 1872); Soldan, Geschichte des Großherzogtums H. (Gießen 1896); Heppe, Kirchengeschichte beider H. (Marb. 1876–78, 2 Bde.); v. Zimmermann, Der Anteil der hessischen Armeedivision am Kriege 1866 (Berl. 1897); Scherf, Die Teilnahme der hessischen (25.) Division an dem Feldzug 1870/71 gegen Frankreich (Darmst. 1877); »Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde« (das., seit 1835; neue Folge 1894 ff.).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.