- Bukarest
Bukarest (rumän. Bucuresci, spr. bukureschti), Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Rumänien im Distrikt Ilfov, 41°25' 30'' nördl. Br. und 26°6' 9'' östl. L. Die Stadt liegt in einer fruchtbaren Tiefebene, 81–105 m ü. M., 68 km nördlich von der Donau und 280 km westlich vom Schwarzen Meer entfernt, hat einen Flächeninhalt von ca. 50 qkm, wovon nur ein Drittel auf Gebäude entfällt, u. gewährt mit ihren ca. 33,000 bunten Häusern und 118 Kirchen mit schimmernden Dächern, die sämtlich zwischen zahlreichen Gärten und weiten Plätzen liegen, einen malerischen Anblick.
B. ist auf einer Ausdehnung von ca. 320 qkm von einem 72 km langen Festungsgürtel mit 18 Haupt- und 18 Zwischenforts umgeben, die untereinander und mit dem Nordbahnhof durch eine Bahnlinie verbunden sind. Die Stadt wird auf eine Länge von 7 km vom Fluß Dambovitza in zwei Hälften geteilt. Zehn Fahr- und eine Eisenbahnbrücke führen über den regulierten Fluß. Im Zentrum der Stadt, wo der Handel seinen Sitz hat, sind die Straße Lipscani und die nach N. ziehende Calea Victoriei bemerkenswert. Hier finden sich die meisten größern öffentlichen Gebäude und solide, schöne Wohnhäuser mit zwei und mehr Stockwerken, mit eleganten Magazinen, während in andern Stadtteilen die Häuser meist villenartig gebaut, von Höfen und Gärten umgeben sind. Zur großen Zierde gereichen der Stadt die neuangelegten und meist elektrisch beleuchteten Boulevards: Independentzei, Elisabeta, Academiei, Ferdinand, Pache-Protopopescu, Carol I; dann die neuern Boulevards: Maria, Neatarnarei, Nordului, Tabacari und Coltza. Bemerkenswert ist auch die 20 km lange Gürtelstraße, die als Chaussee Bonaparte, Stefan Cel Mare etc. die Stadt umgibt. Durch Kanalisierung und Parzellierung der sumpfigen Gegenden beim Filaretbahnhof ist jetzt ein schöner Stadtteil »Gramont« erstanden. Den innern Verkehr vermitteln Tramkars (Omnibusse), Pferde- und elektrische Straßenbahnen sowie einige tausend Stadtdroschken (Birjari), die zu den besten zählen. Die zahlreichen Kirchen haben meist die gewöhnliche Kreuzform; nur sehr wenige zeichnen sich durch Größe oder künstlerischen Charakter aus. Wie die Häuser, sind auch sie meist niedrig, eine Folge der Erdstöße, die wiederholt (besonders 1793 und 1802) die Gegend heimsuchten.
Als die vornehmsten Kirchen Bukarests sind zu nennen: die Metropolitankirche (1793 erbaut), auf einem Hügel, umgeben von der Wohnung des Erzbischofs von Rumänien und dem Sitzungsgebäude der Deputiertenkammer, die Kirche Radu-Voda (1568 erbaul), in der Nähe die Kapelle Bucur, welch letztere man für das älteste Gebäude der Stadt hält; die Kirche Mihail-Voda (von 1595), deren Kloster jetzt als Staatsarchiv dient; die Kirche Curtea-Veche (1393 gegründet, nach dem Brand von 1847, der fast den vierten Teil der Stadt in Asche legte, neu erbaut). Mehrere andre Kirchen wurden neuerdings restauriert, so St. Georg im Handelsquartier, St. Spiridon mit originellen Glockentürmen, Sarindar, Amzei, St. Voivozi, die Kirche Antim, eine der schönsten der Stadt. Auch die durch harmonische Verhältnisse und Skulpturenschmuck ausgezeichnete Kapelle Stavropoleos (von 1724) verdient Erwähnung. Außer den rumänischen Kirchen hat B. noch eine kath. Kathedrale, eine ältere, die frühere Hauptkirche, Baratzia genannt, und 2 Kapellen; ferner 2 protestantische, eine armenische und eine neue griechische Kirche.
Sonstige öffentliche Gebäude sind: das nach dem Kriege 1877/78 umgebaute und erweiterte königliche Palais an der Hauptstraße; die Universität (worin der Senat seine Sitzungen hält), ein Neubau auf der Stelle des alten Klosters St. Sava, am gleichnamigen Boulevard gelegen, mit Gärten, der Bronzestatue des walachischen Fürsten Michael (gest. 1601) von C. Beleuze und den Marmorstatuen des Gelehrten I. Heli ade und des Gymnasiallehrers Lazar; das alte Hospital Coltza, dessen viereckiger, von den Soldaten Karls XII. von Schweden erbauter, lange Zeit als Feuerwarte benutzter Turm jetzt abgetragen ist; das Hospital Brancovanu mit einer 1885 vollendeten, im byzantinischen Stil erbauten Kirche Domnitza Balasa inmitten eines schönen öffentlichen Gartens; das Nationaltheater mit 1000 Plätzen, worin das Lustspiel in rumänischer Sprache und die italienische Oper gepflegt werden; zwei gedeckte Markthallen; die 1884 erbaute Militärschule; das mustergültige Militärhospital; das Finanzministerium; die Münze und mehrere Kasernen im westlichen Teil der Stadt. Hier befinden sich auch das Asyl Helena, eine 1860 von der Fürstin Helena Cusa gegründete Waisenanstalt, und das Kloster Kotrotscheni, die königliche Sommerresidenz sowie der neuangelegte botanische Garten mit dem botanischen Institut, auf der entgegengesetzten Seite das Kloster Bakareschti, jetzt Gefängnis. Von den neuern öffentlichen Gebäuden sind zu erwähnen: das Kriegsministerium, Domänenministerium, die Paläste der Banca Nationala sowie der Depositen- und Diskontobanken, das Palais der Versicherungsgesellschaft »Dacia Romania«, das neue prächtige Postgebäude und das in den letzten Jahren vergrößerte Athenäum, ein Prachtbau mit schöner Kuppel, geräumigem Saal für Konzerte und Vorträge und Nebengelassen für Kunstausstellungen, ferner das neue Heim der deutschen Liedertafel mit Theater und Konzertsälen. Besonders sei noch das Gebäude der Fondatiunea Carol mit Bibliothek erwähnt, ein Geschenk des Königs an die rumänische Studentenschaft anläßlich seines 25jährigen Regierungsjubiläums; ferner die Paläste der griechischen Gesandtschaft, der öffentlichen Beamten mit einem Sanatorium, der theologischen Fakultät auf dem Dambovitzakai, der medizinischen Fakultät, das Palais des Zentralseminars in Geagoga, wo sich auch die neuen städtischen Lagerhäuser befinden. B. hatte 1899: 282,071 Einw., 51.81 Proz. männliche, 48,19 Proz. weibliche; der Religion nach waren 200,916 griechisch-orthodox, 36,827 katholisch und protestantisch, 43,274 Juden, 639 Armenier, 378 Mohammedaner etc. Gewerbe und Industrie sind in stetem Wachsen begriffen. Besonders entwickelt ist das Kleingewerbe, namentlich Schuh- und Pelzfabrikation, Konfektion von Kleidern und Wäsche etc. Seit dem Bestehen des Industriegesetzes in Rumänien hat in B. die Großindustrie einen raschen Aufschwung genommen. Heute hat B. eine große Anzahl Fabriken aufzuweisen. Der Handel ist sehr bedeutend, da B. den Mittelpunkt der Handelsverbindungen des Landes bildet. Es bestehen mehrere Bankinstitute, unter denen Banca Nationala (Kapital 12 Mill. Fr.), Banque de Roumanie (Gründungskapital 1 Mill. Pfd. Sterl.) und Banque Agricole (Kapital 1899: 9 Mill. Fr.) am bedeutendsten sind. B. ist Knotenpunkt der Eisenbahnen Giurgewo-Chitila (hier Anschluß an die Hauptlinie Verciorova-Ungheni) und B.- Fetesci. B. hat eine Universität, 4 Lyzeen, 2 Gymnasien, ein Priesterseminar, 3 Bildungsanstalten für Volksschullehrer, 4 Mädchengewerbeschulen, 32 Elementarschulen für Knaben und 37 für Mädchen. Es bestehen ferner 10 Spezialschulen und zwar: die Schule der schönen Künste, die Kunstgewerbeschule, die Zentralschule für Ackerbau, das Technikum für Straßen- und Brückenbau, die Tierarzneischule, ein Konservatorium, dann die höhere Kriegsschule, eine Artillerieschule, eine Offizierschule, endlich eine Schule für militärische Verwaltung. Die Akademie der Wissenschaften besitzt eine bedeutende historische Sammlung und eine schöne Bibliothek. Für die öffentliche Gesundheitspflege sind von Privatstiftungen unterhaltene Spitäler und Versorgungshäuser mit zusammen 1200 Betten vorhanden. 7 Krankenhäuser gehören der Ephorie der Zivilspitäler an (74 Mill. Fr. Vermögen). Die Verpflegung ist für Einheimische wie für Fremde unentgeltlich. Das Budget 1901–1902 weist eine Einnahme von 12,8 Mill. Fr. auf, worunter 1,3 Mill. Fr. direkte und 7 Mill. indirekte Steuern. Die Gemeindeschuld beträgt 90 Mill. Fr. und erfordert jährlich 5,4 Mill. Fr. für Zinsen etc. Als Landeshauptstadt ist B. Sitz des Erzbischof-Primas von Rumänien, des Senats und der Kammer, sämtlicher Ministerien, des Kassationshofs, eines Appellhofs (mit 3 Sektionen), des Rechnungshofs und aller Zentralverwaltungsbehörden des Landes, zahlreicher Gesandten und Ministerresidenten sowie eines deutschen Berufskonsuls. Zur Literatur: Hans Kraus, Rumänien und B. (Bukar. 1896); »Anuarul Statistic al orasului Bucuresci pe anul 1896« (das. 1898); G. Benger, Rumänien im Jahre 1900 (Stuttg. 1900).
Geschichte. Die Gründung der Stadt schreibt man einer sagenhaften Persönlichkeit, dem Schäfer Bucur, zu; in den Chroniken erscheint sie als Kriegsplatz seit dem 14. Jahrh. Nachher war B. abwechselnd mit Tergovischt die Hauptstadt der Walachei. Als 1594 der Hospodar Michael von der Pforte abfiel, ward B. 1595 nach der Schlacht bei Kalugareni von dem Großwesir Mohammeds III., Sinan Pascha, erobert, fiel aber schon im nächsten Jahr wieder in die Hände Michaels. Im 17. Jahrh., unter dem Fürsten Matth. Bassarab, zählte B. 6000 Häuser und 100,000 Einw. und erhielt mannigfache Verschönerungen. Fürst Konstantin Brankowan verlegte 1698 die Residenz von Tergovischt endgültig nach B., das aber unter den seinem gewaltsamen Tode folgenden Wirren so litt, daß es 1713 nur noch 50,000 Einw. zählte. 1716 wurde die Stadt von 1200 Serben unter Dettin geplündert, 1738 von der Pest heimgesucht. Am 30. Okt. 1771 siegten die Russen unter v. Essen bei B. über die Türken, welche die Moldau und Walachei räumen mußten und erst durch den Friedensschluß vom 16. Juli 1774 zurückerhielten. Unter Alexander Ypsilantis (1774–82) wurde B. verschönert, aber 10. Nov. 1789 von den Österreichern unter Friedrich Josias von Sachsen-Koburg eingenommen und erst im Frieden vom 4. Aug. 1791 wieder herausgegeben. Erdbeben (1793 und 1802), Pest (1794 und 1812), Feuersbrünste (1804) und Überschwemmungen (1805 und 1806) trafen die Stadt. Am 28. Mai 1812 ward hier der Friede zwischen Rußland und der Pforte geschlossen, durch den letztere ganz Bessarabien und ein Drittel der Moldau mit den Festungen Chotin, Akjerman, Bender, Ismail und Kilia an Rußland abtrat. Seit 1829 begann das rasche Wachstum der Bevölkerung und die Verschönerung der Stadt. Nach der Vereinigung der Walachei und Moldau zum Fürstentum Rumänien wurde B. 1861 zur Hauptstadt erhoben. Vgl. Sulzer, Geschichte des transalpinischen Dacien (Wien 1782); Berindey, Bucuresci, étude historique en langue roumaine (in der »Revista Romana«, 1861); ferner die größern Schriften der beiden Lokalhistoriker von B.: G. Ionnescu-Gion und M. D. Ionescu.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.