Ostrumelĭen

Ostrumelĭen

Ostrumelĭen, rechtlich eine Provinz des türk. Reichs (s. Karte »Türkisches Reich«) mit administrativer Autonomie, die nach Art. 13–22 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878 neu gebildet wurde und unter unmittelbarer politischer und militärischer Autorität des Sultans, jedoch unter Verwaltung eines christlichen Generalgouverneurs stehen soll, faktisch aber seit dem unblutigen Staatsstreich vom 18. Sept. 1885 unter dem Namen Südbulgarien mit Bulgarien (s. d., S. 587) vereinigt ist. O. umfaßt die Südabhänge des Balkans und das Gebiet der obern Maritza und Tundscha, wird im N. vom Balkan, im Osten vom Schwarzen Meer, im W. von der Wasserscheide zwischen Maritza und Isker und im S. von einer zwischen 41°36´ und 42°12´ nördl. Br. von Westen nach Osten verlaufenden Linie begrenzt. Die Pforte protestierte, konnte sich aber zur Herstellung ihrer Autorität nicht entschließen, während Serbien an Bulgarien (s. d., S. 587) den Krieg erklärte. Nach dem bulgarisch-türkischen Abkommen vom 1. März 1886 erhält die Türkei, solange die Verwaltung Bulgariens und Ostrumeliens von Einer Person geführt wird, wie es jetzt der Fall ist, den an der Südgrenze liegenden Bezirk Kyrdschali und das Pomakenland am obern Kričimfluß zurück, wodurch sich die türkische Grenze der Stadt Philippopel bis auf 22 km nähert. O. umfaßt (1900) 32,594 qkm (591,9 QM.) mit 1,099,984 Einw. (34 auf 1 qkm). 1893 zählte es 998,431 Einw., darunter 81 Proz. Bulgaren, 11 Proz. Türken, 5 Proz. Griechen. Hauptstadt ist Philippopel. Weiteres s. Bulgarien.

Geschichte. Die Provinz O. wurde durch den Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 geschaffen; dadurch sollte der südliche Teil Bulgariens, das Rußland im Frieden von Santo Stefano ganz als selbständigen Staat beansprucht hatte, der Türkei erhalten und dem russischen Machtbereich entzogen bleiben. Doch räumten die Russen O. erst im Juli 1879. Schon vorher aber war von einer europäischen Kommission ein organisches Verfassungsstatut für O. ausgearbeitet und von der Pforte genehmigt worden, die nun den Fürsten Vogorides als Aleko Pascha auf fünf Jahre zum Generalgouverneur ernannte; dieser hielt 28. Mai 1879 seinen Einzug in Philippopel, ernannte fast nur Bulgaren zu Generalsekretären (Ministern) und Präfekten und regierte im Einverständnis mit Rußland ganz nach den Wünschen der bulgarischen Bevölkerung. Dagegen betrieben die nach Jahnschem Vorbild geschaffenen »gymnastischen Gesellschaften« und die Milizen ungescheut eine großbulgarische Agitation, deren Ziele die Vereinigung mit Bulgarien und die Erregung eines Aufstandes der Bulgaren in Mazedonien waren; von den russischen Generalkonsuln Tscheretlew und Krebel begünstigt, wurde sie vom türkischen Befehlshaber der Miliz, Strecker Pascha, vergeblich bekämpft. Aleko Pascha sah sich endlich auch genötigt, den Umtrieben der Russen entgegenzutreten, und wurde daher 1884 auf Rußlands Betrieb durch Chrestowitsch (Gavril Pascha) ersetzt. Dieser wurde durch eine unblutige Revolution der Milizen 18. Sept. 1885 gestürzt und eine provisorische Regierung unter Stranski eingesetzt, welche die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien proklamierte. Fürst Alexander erkannte diese durch Erlaß vom 21. Sept. an und nannte sich Fürst von Nord- und Südbulgarien. Die Pforte protestierte, ließ es jedoch geschehen, daß der Fürst sich in O. huldigen ließ, und daß ostrumelische Truppen am Krieg Bulgariens gegen Serbien teilnahmen. Sie übertrug die Regelung der Sache den Mächten. Deren Gesandte in Konstantinopel hätten die Union wohl gebilligt und die Verschmelzung der beiden Länder gestattet, wenn nicht Rußland aus Haß gegen den Fürsten Alexander Hindernisse in den Weg gelegt hätte. Das türkisch-bulgarische Abkommen vom 5. April 1886 bestimmte daher bloß, daß Alexander auf fünf Jahre zum Generalgouverneur von O. ernannt werden und die Revision des organischen Statuts durch eine türkisch-bulgarische Kommission erfolgen solle. Noch vor der Revision berief Alexander 14. Juni eine bulgarische Nationalversammlung nach Sofia und schickte sich an, mit ihr die völlige Union durchzuführen, als er selbst 20. Aug. gestürzt wurde und nach seiner Rückkehr 7. Sept. abdankte. Obwohl weder die Pforte noch die andern Mächte die Vereinigung Ostrumeliens mit Bulgarien förmlich anerkannten, wurde sie doch tatsächlich vollzogen, indem die bulgarische Verfassung, Gesetze etc. auf O. ausgedehnt wurden. Somit bildet O. einen Teil des Fürstentums Bulgarien (s. d.). Als Fürst Ferdinand 1896 von der Pforte als Fürst von Bulgarien anerkannt ward, wurde er gleichzeitig zum Gouverneur von O. ernannt. Neuerdings hat auch dies Gebiet durch die Unruhen in Mazedonien (s. d.) schwer mit zu leiden. Vgl. Ischirkoff, Südbulgarien (Leipz. 1896); Gopćević, Bulgarien und O. (das. 1886); Serkis, La Roumélie orientale et la Bulgarie actuelle (Par. 1898); Peucker, Karte von Bulgarien mit O. u. Türkisch-Thrakien in 1: 864,000 (Wien 1903).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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