Niederländische Literatur

Niederländische Literatur

Niederländische Literatur. Die schone Literatur der Niederländer fängt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. an mit Heinrich von Veldeke (s. d., Bd. 9), einem Edelmann aus dem Südlimburgischen. Seine erste Dichtung (in südlimburgischer Mundart. s. Artikel »Niederländische Sprache«) war die »Sinte Servatius Legende« (hrsg. von Bormans, 1858). aus dem Lateinischen übersetzt. Später (um 1184) lieferte er eine freie Übersetzung der französischen »Eneide«, die dem Benoit de Saint-More zugeschrieben wird und ca. 30 Liebeslieder, die jedoch, wie auch die »Eneide«, nur in hochdeutsch gefärbten Handschriften erhalten und fast nur in Deutschland bekannt geworden sind. Nach 1200 fangen auch die Brabanter und Flamen an, Gedichte in der Volkssprache zu verfassen, und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts darf man die n. L. als begründet betrachten.

1) Vom 13. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts.

Die ältesten Denkmäler der niederländischen Literatur sind fast nur Übersetzungen von französischen Ritterromanen. Die deutsche Heldensage ist in den Niederlanden augenscheinlich nur wenig bekannt geblieben. Nur dürftige Spuren davon können mühsam gesammelt werden. Die Fragmente des halb epischen, halb komischen Gedichts »Van den bere Wissei an we« weisen auf Einfluß der deutschen Spielmannsdichtung hin, und die Bruchstücke einer Übersetzung des Nibelungenliedes beweisen. daß die deutsche Literatur nicht ganz unbeachtet geblieben ist; sonst aber folgte die n. L. im ganzen der Entwickelung der französischen. Die vorzüglichste Leistung der mittelniederländischen Poesie ist der ergötzliche Tierroman »Van den Vos Reinaerde« (hrsg. von Martin, 1874, und Buitenrust Hettema und Muller, 1903), der seine französischen Vorbilder, vor allem Pierre de Saint-Cloud, weil übertrifft und als das gelungenste Werk seiner Gattung zu betrachten ist. Der erste Teil wurde um 1250 von einem gewissen Willem, dem Dichter eines verloren gegangenen »Madoc«, verfaßt, der zweite Teil ist am Ende des 14. Jahrh. hinzugefügt worden. Das niederländische Original ist erst im 19. Jahrh. wieder aufgefunden worden; vorher war das Werk schon international geworden in einer nur in plattdeutscher Sprache erhaltenen Umarbeitung des zweiten Teils aus dem 15. Jahrh. von Heinric van Alkmaar. Die zahlreichen Ritterromane in Versen des 13. und 14. Jahrh. sind wie in der gleichzeitigen deutschen Literatur so auch in der niederländischen fast ausschließlich Übersetzungen aus dem Französischen, so aus dem fränkischen Sagenkreis: das »Roelandslied«, »Karel ende Elegast« (hrsg. von Kuyper, 1890), der »Roman der Lorreinen« (daraus ein Teil hrsg u. d. T. »Roman van Karel den Grooten« von Jonckbloet, 1844), »Renout van Montalbaen« (hrsg. von Matthes, 1875), »Ogier«, »Loyhier ende Malaert« und »Willem van Oringen« (übersetzt von Clays van Haarlem), »Flandrijs« (hrsg. von Franck, 1896); aus dem britischen Sagenkreis: der »Roman van Torec« (übersetzt um 1263 von Maerlant, hrsg. von J. te Winkel, 1875), de Borrons »Historie van den Grale« und »Merlins Boeck« (übersetzt um 1261 von Maerlant), »Coninc Arturs Boeck« (übersetzt 1326 von Velthem, und mit dem vorigen hrsg. von van Vloten, in »Merlijn«, 1882), Guillaume li Clercs »Ferguut« (hrsg. von Verwijs-Verdam, 1882), »Roman van Walewein« (von Penninc u. Vostaert, hrsg. von Jonckbloet, 1846), »Roman van Lancelot« (hrsg. von Jonckbloet 1846 mit der Übersetzung von Christians von Troyes' »Perchevael« und Raouls »Wrake van Ragisel«, die darin ein geschoben sind). Originaldichtungen sind wahrscheinlich der »Roman van Moriaen« (hrsg. von J. te Winkel, 1879) und »Van den Ridder metter Mouwen« (hrsg. von Jonckbloet, 1819). In verschiedenen aus dem Französischen übersetzten Romanen sind orientalisch byzantinische Erzählungen bearbeitet, z. B. in »Partenopeus« (hrsg. von Bormans, 1871, und Borkum, 1897), »Floris ende Blancefloer« von Diederic van Assenede, um 1260 (hrsg. von Moltzer. 1879), »Seghelyn van Jerusalem« von Loy Latewaert (hrsg. von Verdam, 1878), »Borchgravinne van Couchi« (hrsg. von de Vries, 1887) und »Die Seven Vroeden van binnen Ro me« (hrsg. von Stallaert, 1889, und Botermans, 1898). Die Kreuzzüge bilden den Inhalt des nur fragmentarisch erhaltenen »Godefroit van Buljoen« und zum Teil auch der Originaldichtung »Roman van Margriete van Limborch« (hrsg. von van den Bergh, 1848) von Hein van Aken aus Brüssel (etwa 1255–1330), der auch den »Roman van de Rose« (hrsg. von Verwijs, 1868) übersetzte. Sagen des klassischen Altertums bilden den Inhalt der »Historie van Troyen« (hrsg. von de Pa uw und Gaillard, 1891), die Maerlant aus dem Französischen des Benoit de Saint-More übersetzte, sowie desselben Bearbeitung von Gauthier de Chastillons lateinischen »Alexanders Geesten« (hrsg. von Franck, 1882). Jacob van Maerlant (s. d.), der später selbst die Romandichtung als unmoralische Lügenerzählung verwarf, wurde durch seine größern LehrgedichteDer Naturen Bloeme«, »Rijmbijbel«, »Spiegel historiael«, »Heymelicheyt der Heymelicheden«) und zahlreiche strophische Gedichte, in denen er die wichtigsten religiösen und sozialen Fragen seiner Zeit dialogisch behandelte oder die Sittenverderbnis beklagte und die Muttergottes verherrlichte, der Stifter einer didaktischen Schule, deren Hauptvertreter im 14. Jahrh. Jan van Boendale (s. d.) war, der Verfasser von zwei gereimten Geschichtswerken und zwei großen Lehrgedichten. Andre Geschichtschreiber sind: Jan van Heelu mit seiner epischen Beschreibung der Schlacht von Woeringen, 1288 (hrsg. von Willems, 1836); Melis Stoke mit seiner »Chronik von Holland«, 1305 (hrsg. von Huydecoper, 1772, und Brill, 1885); Philipp Utenbroeke (zwischen 1300 und 1315) mit seiner Übersetzung eines von Maerlant nicht übertragenen Teils des »Speculum historiale« von Vincentius; Lodewijk van Velthem (1316) mit seiner Fortsetzung des »Spiegel historiael« (hrsg. von Lelong, 1727, und Jonckbloet, 1840) und die ungenannten Dichter einer Reimchronik von Flandern (hrsg. von Kausler, 1840) und einer Geschichte des »Grimbergschen Oorlog« (hrsg. von Blommaert, 1854). Die bekanntesten Lehrdichter si tid: Jan Praet, »Leeringhe der Zalicheide« (hrsg. von Bormans, 1872), Gietijs van Molhem, »Rinclus«, eine Übersetzung des »Miserere« vom Renclus de Moiliens (hrsg. von P. Leendertz, 1893), Jan de Weert aus Yperen: »Nieuwe Doctrinael«, 1351 (hrsg. von Blommaert, 1351), »Spieghel der Sonden« (hrsg. von Blommaert, 1851) und »Wapene Rogier«, ein strophisches Zwiegespräch (hrsg. von Kausler, 1866). Weiter verdienen noch genannt zu werden die beiden hygien i jchen Werke »Der Manneen der Vrouwen Heymelicheyt« (hrsg. von Potter, 1895) und »Der Vrouwen Heymelicheyt« (hrsg. von Blommaert, 1846), »Dat bouc van Seden« (hrsg. von Suringar, 1891) und »Van Seden« (hrsg. von Suringar, 1892), ferner die Übersetzungen des »Lucidarius« von Honorius Augustodunensis (hrsg. von Blommaert, 1851), der »Disticha Catonis« (hrsg. von A. Beels, 1885), der Fabelsammlung des Romulus »Esopet« (hrsg. von J. te Winkel, 1881) und von Spruchgedichten aus Freidanks »Bescheidenheit« neben vielen andern Spruchsammlungen. Unter den gereimten Legenden sind die bedeutendsten »Van Sente Brandane« (hrsg. von Bonebakker, 1894), aus dem Hochdeutschen »Van St. Amand«, 1367 verfaßt von Gillis de Wevel (hrsg. von Blommaert, 1813), »Van St. Kerst inen« und »Van St. Lutgardis«, beides übersetzt vom Klosterbruder Gheraert (hrsg. von Bormans, 1850, 1858); unter den religiösen »Sproken« die »Sproke van Theophilus« (hrsg. von Verdam, 1882) und »Van Beatrijs« (hrsg. von Jonckbloet, 1859, und Kaakebeen, 1902; deutsche Übersetzung von Wilhelm Berg, Haag 1870). Vgl. de Vooys, Legendenen exempelen (Haag 1900) und Exempelen van Maria (das. 1903). Weltliche »Sproken« sind in großer Menge überliefert. Diese oft allegorische oder satirische, meistens praktische oder moralisierende Erzählungsgattung wurde gepflegt von fahrenden Dichtern, die »Sprekers« oder »Segghers« hießen. Die berühmtesten unter ihnen sind Bouden van der Lore (um 1381), Augustynken van Dordt (1355–68) und vorzüglich Willem van Hildegaersberch (s. d., gest. 1409). Der bedeutendste seiner Zeitgenossen war Dirk Potter (s. d., gest. 1428), Schreiber der gräflichen Kanzlei und Dichter eines Lehrgedichtes über die Liebe »Der Minnen loep« (1412). Um 1400 sind auch die ersten dramatischen Dichtungen auf die Bühne gebracht, augenscheinlich von fahrenden Spruchdichtern. Vier größere Stücke (»Abele spelen«) und einige PossenSotteruiën« oder »Sotte clnyten«) sind uns erhalten. Vgl. Leendertz, Middelnederlandsche dramatische poëzie (Groning. 1901). Die niederländische Prosa sing im 14. Jahrh. an, sich auszubilden. Als die frühesten Prosaschriften sind zu nennen: eine Übersetzung des Alten Testaments, ein »Leven van Jesus«, die »Kroniek van de lager Lande bi der Zee«, die »Limburgschen Sermoenen« (hrsg. von Kern, 1895), »Tondalus Visioen«, eine »Reis int heilige lant van Ridder van Mandeville«, Joh. Ypermans »Medicine boec«, das Rezeptebuch »Antidotarius«, eine »Chirurgie« (hrsg. von C. Broeckx, 1866), endlich die zwölf mystischen Werke des Jan van Ruysbroeck (1294–1381). Über die Lyrik dieser Zeit vgl. G. Kalff, Het Lied in de Middeleeuwen (Leiden 1883).

2) Vom Beginn des 15. bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts.

Daß die Kluft zwischen den adligen und bürgerlichen Kreisen sich mehr und mehr auszugleichen begann, beweisen vornehmlich die zu Anfang des 15. Jahrh. enstandenen Kammern der Rederijkers (s. d.), in denen sich beide Stände zu gemeinsamer Verfolgung literarischer Zwecke die Hand reichten. Es waren dies poetische Vereine mit zünftiger Verfassung, deren Mitglieder sich zu bestimmten Zeiten zur Aufführung von Schauspielen, anfangs nur geistlichen Spielen (Mysterien und Mirakel spielen), vereinigten. Wenn auch die hier erzielten Produkte von sehr geringem poetischen Wert sind, so sind jene Vereine doch insofern von Wichtigkeit, als sie sich mit Eifer an den damaligen politischen Händeln beteiligten und durch ihre dramatischen Arbeiten unmittelbar auf das Volk zu wirken suchten. In der Mitte des 16. Jahrh. waren die angesehensten Rederijker Matthijs de Castelein (s. d.), Verfasser einer »Konst der Rhetoriken«, J. B. Hoewaert, Dichter des didaktischen Epos »Pegasides Pleyn«, Cornelis van Ghistele, Übersetzer von Terenz, Vergil, Horaz und Ovid, und der Maler Karl van Mander, Übersetzer einer französischen Iliade. Zu ihrer Gattung (dem »Referein«) zeichnete sich die Dichterin Anna Bijns (s. d.) ous. Sie bekämpfte die liberalen Bestrebungen zur Zeit der reformatorischen Bewegungen, die in den südlichen Provinzen die Unterdrückung der Kammern durch die spanische Regierung herbeiführten, während sie in den nördlichen noch bis ins 18. Jahrh., wiewohl zuletzt hinter der Zeit zurückbleibend, fortbestanden. Die berühmteste und ein einflußreichste dieser Kammern war die Amsterdamer Gesellschaft In liefde bloeyende (»In Liebe blühend«), gegründet 1496, die gegen Ende des 16. Jahrh. zum Ausgangspunkt patriotischer Bestrebungen für die Pflege der Muttersprache und für Schöpfung einer Kunstpoesie wurde. Durchaus nicht unvolkstümlich machte sie sich zur Aufgabe, das Niederländische von den eingedrungenen burgundischen Elementen zu reinigen und durch eigne Werke in Poesie und Prosa die Literatur zu heben. Verdienste in dieser Hinsicht haben namentlich Philips van Marnix (gest. 1598), der angebliche Dichter, aber nur Bearbeiter des »Wilhelmusliedes« (»Byencorf der H. Roomsche Kercke«, Übersetzung der Genesis aus dem Urtext), Dirk Volkertszoon Coornhert (gest. 1590), Übersetzer von Cicero, Seneca und Boethius und Verfasser einer »Zedekunst«, ferner die Kaufleute Roemer Visscher (gest. 1620), Epigrammendichter, und Hendrik Laurenszoon Spieghel (1540–1612), Verfasser einer »Tweespraeck van de Nederduytsche Letterkunst« (nach Art Joachim du Bellays) und des didaktischen Epos »Hertspieghel«. Aber sie waren nur die Vorläufer der fünf großen Dichter, durch die nun die n. L. gleichzeitig mit dem nationalen Aufschwung ihre klassische Periode erlebte. Pieter Corneliszoon Hooft (1581–1647) brachte aus Italien einen geklärten Renaissancestil mit und schrieb nun sein Pastoral »Granida« (nach Art des Guarini), die Tragödien »Baeto« und »Geraert van Velsen«, die Komödie »De Warenar« (nach Plautus) und seine Tacitus nacheisernden »Leven van Henrik de Groote« und »Nederlandsche Historïen«. Joost van Vondel (1587–1679), an poetischer Begabung Hooft noch übertreffend, war als Lyriker wie als Dramendichter (»Palamedes«, »Joseph in Dothan« und »Joseph in Egypten«, »Lucifer«, »Jephtha«, »Adam in Ballingschap«, »Noach«, »Gijsbrecht van Aemstel«) von gleicher Bedeutung, daneben auch Satiriker und markiger Prosaist. Vondel bezeichnet den Höhepunkt der ältern niederländischen Literatur und ist, trotz nachweisbarer Beeinflussung durch die französischen Dramatiker Garnier und Du Bartas und durch das italienische Pastorale (in den »Leeuwendalers«) ein durchaus selbständiger Genius von großer Formvollendung und hohem Gedankenflug. Constantin Huygens (1596–1686), Vater des berühmten Mathematikers, durch umfassende Sprach- und Literaturkenntnisse ausgezeichnet, pflegte in seiner gehaltvollen Lyrik und Epigrammatik, seinen beschreibendlehrhaften und satirischen Gedichten den gesucht originellen Stil der Euphuisten und wurde nich selten dunkel und schwerfällig. Weniger bedeutend ist seine Komödie »Trijntje Cornelis«. Im Gegensatz zu Huygens vertrat Jacob Cats (1577–1660) die nüchterne Lehrhaftigkeit des Bürgertums und errang mit seinen kün stlerisch nicht immer einwandfreien, aber moralisch tüchtigen »Sinne-en Minne-Beelden« und seinen didaktischen »Maechdenplicht« und »Houwelick« (»Jungfrauenpflicht« und »Ehe«) eine jahrhundertelangne Beliebtheit und den populären Namen Vater Cats. Seine Gedichte galten neben der Bibel als zweites Hausbuch. Wie Cats, so repräsentiert auch Gerbrand Adriaensen Bredero (1585–1618). Lustspieldichter und anmutiger Lyriker, ein Stück seines Volkes. Durch seine Komödien »Jerolimo de Spaansche Brabander« und »Het Moortje« sowie durch seine possenhaften ZwischenspieleKluchten«) schuf er in großer Selbständigkeit selbst bei entlehnter Fabel das nationale holländische Lustspiel. Neben diesen fünf Hauptdichtern wirkten gleichzeitig, resp. als ihre Schüler: Daniel Heinsius, der bekannte Philolog (1580–1655), die Töchter des oben genannten Roemer Visscher Anna (1583–1651) und Maria Tesselschade (1594–1649), bedeutender als durch ihre kleinen Gedichte durch den literarischen Kreis, den sie in ihres Vaters Haus um sich sammelten, der treffliche geistliche Liederdichter Dirk Rafaelszoon Camphuysen (1586–1627), Jan Janssen Starter (geb. 1594 in England, wahrscheinlich in Deutschland während des Dreißigjährigen Krieges gestorben), ein Erotiker und Lustspieldichter von der Art BrederosDe Friesche Lusthof« und »Jan Soetekauw«), Daniel Jonctijs (1600–52), Schüler Starters, Jeremias de Decker (1609–46) und Joannes Vollenhove (1631–1708), Schüler Cats, Samuel Coster, der 1617 eine Akademie gründete, aus der später (1638) das erste holländische, mit Vondels »Gijsbrecht van Aemstel« eingeweihte Theater (Schouwburg) hervorging, Verfasser von TragödienIphigenia«, »Itys«) und des Lustspiels »Teeuwis de boer«, die politischen Dichter Jakob Westerbaen (1599–1670) und Joachim Oudaen (1628–92), letzterer auch Dramatiker (»Aaronen Titus«, »Medea«), Reyer Anslo (gest. 1669) mit einem epischen Gedicht auf die Pest zu Neapel, die Vondelschüler Jan Vos (gest. 1667) mit seinen Dramen »Johanna Gray« und »Konradijn« und Joannes Antonides van der Goes (1647–1684) mit den chinesischen Tragödien »Trazil« und »Zungchin« und dem Amsterdam verherrlichenden Gedicht »De Ystroom«, seinem Hauptwerk, der Pastoralendichter Krul u.a. Die Prosaerzählung fand ihre Hauptvertreter in Johan van Heemskerk (1597–1659), der in seiner »Batavischen Arcadia« die Süßlichkeit Scudérys und Honoré d'Urfés in die holländische Literatur einführte und mehrfache Nachahmung fand, so durch Hendrik ZoeteboomZaanlandsche Arcadia«, 1658) und Lambertus Bos (»Dortsche Arcadia«, 1662) und in Nikolaes Heinsius jun. (1655 bis etwa 1704) mit seinem Schelmenroman »De vermakelijke avonturier« (1695). In der wissenschaftlichen Prosa zeichneten sich aus: Geeraart Brandt (1626–85) mit seinen Biographien Vondels und de Ruyters, auch als Epigrammatiker beachtenswert, und der Descartesschüler Balthasar Bekker (1634–98) mit seiner »Betoverde Wereld« und Schriften gegen die Hexenprozesse. Über die sehr reichhaltige volkstümliche, großenteils nationale Liederdichtung jener Zeit vgl. F. van Duyse, Het oude Nederlandsche Lied (Haag 1901), Texte und Melodien umfassend.

3) Vom Ende des 17. bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts.

Gegen das letzte Viertel des 17. Jahrh. geriet die n. L. allmählich in Verfall. Die Literatur stellte sich in den Dienst der Politik. Die frühere gewissenhafte Kunstübung wich der Pseudogenialität; die Dichter suchten mehr dem niedrigen Publikum als den Gebildeten zu gefallen, die Reinheit und Korrektheit der Sprache wurde vernachlässigt. Dagegen erhob sich 1669 die Gesellschaft »Nil Volentibus Arduum«, deren Leiter Lodewijk Meyer, der Übersetzer Corneilles, Andries Pels, Verfasser einer Auslegung der Horazischen »Dichtkunst« und der Schrift »Gebruiken Misbruik des Toneels« (1681), und anfangs auch Antonides waren. Nur der letztere, der sich schon bald zurückzog, besaß Talent. Die übrigen waren nur sehr mittelmäßige Dichter und vorwiegend Ästhetiker. Ihr doktrinäres Verfahren, ihre übertriebenen Forderungen an Sprachkorrektheit und Glätte der Versifikation erstickten die dichterische Begeisterung. Statt die großen nationalen Dichter sich zum Vorbild zu nehmen, folgten sie zu sklavisch den französischen Klassikern: Corneille, Racine, Boileau. Diese nachzuahmen, war ihr höchstes Bestreben. Dazu kam, daß durch den langen Frieden von 1713–80 die Tatkraft der Nation erlahmte; übermäßiger Reichtum erzeugte Üppigkeit und wiegte das so energische Volk gleichsam in einen Halbschlummer. Und hierauf folgte eine Zeit ebenso nachteiliger Unruhen. Fortwährendes Unglück infolge von Krieg und Wassersnot schadete seit 1780 dem Wohlstande der Nation; fremde Heere tummelten sich in dem durch Parteiungen zerrissenen Land und schienen den Mut der Bevölkerung völlig erdrücken zu wollen. Doch unter dem stets härter werdenden Druck regte sich die Vaterlandsliebe von neuem. Die Erinnerung an die großen Zeiten der Väter feuerte die Dichter an, den Nationalgeist zu wecken. Die Wirkungen dieses Bestrebens zeigten sich erst recht deutlich nach dem Frieden von 1814. und Künste und Wissenschaften sind seitdem in erfreulichem Fortschreiten begriffen. Wir haben also im ganzen 18. Jahrh. nur wenig ausgezeichnete Namen zu nennen. Als Ausläufer der klassischen Periode sind noch zu nennen: der treffliche Kupferstecher Jan Luyken (1649–1712), als religiöser Dichter später sehr beliebt, doch weit bedeutender in seinen frühern lebensfreudigen Liedern (»Duytse Lier«), der Lyriker Jan van Broekhuizen (1649–1707) und der Landmann Huibert Corneliszoon Poot (1689–1733) mit seinen erotischen und ländlichen Gedichten. Ebenso folgen auch noch einige Lustspieldichter den Spuren Brederos, so Thomas Asselijn (1630–98). der Schöpfer des typischen komischen Liebhabers Jan Klaeszen, Abraham Alewijn (»Jan Los«, 1721) und vor allem Pieter Langendijk (1683–1756) mit seinem »Wederzijds Huwelijksbedrog« und dem »Spiegel der Vaderlandsche Kooplieden«. Dagegen folgten Willem van Focquenborgh (1640–79), Johan van Pfaffenrode und Pieter Bernagie (gest. 1699), alle drei ebenfalls Lustspieldichter, der französischen Richtung. An Tragödien und an epischen Gedichten ist während dieser Periode kein Mangel. Der Hauptvertreter der tragischen und epischen Muse war der Kritiker und Übersetzer der »Henriade«, Sijbrand Feitama (1694–1758), doch hat er in beiden Gattungen nichts Ursprüngliches geleistet. Einzelne originale Tragödien haben wir dagegen von B. Huydecoper, Jan de Marre und Onno Zwier van Haren, dessen episch-lyrisches Gedicht »De Geuzen« noch heute gelesen wird, während die einst berühmten Epopöen von Lucas Rotgans (1654–1710; »Wilhelm III«), Arnold Hoogvliet (1687–1763; »Abraham de aartsvader«) und Lucretia Wilhelmina van Merken (1721–89), die auch als Dramendichterin auftrat, heute der Vergessenheit verfallen sind. Durch seine Prosa zeichnete sich im Anfang des 18. Jahrh. der Gründer eines »Nederlandschen Spectator« (nach englischem Vorbild), Justus van Essen (1684–1735), aus. Den holländischen Roman haben am Ende des Jahrhunderts zwei Frauen, Elisabeth Wolff, geb. Bekker (1738–1804), und Agatha Deken (1741–1804) unter Einfluß von Richardson geschaffen und in den drei Werken »Sara Burgerhart«, »Willem Levend« und »Cornelia Wildschut« die lebendigste Schilderung des Bürgerlebens ihrer Zeit gegeben.

4) Vom Ende des 18. Jahrh. bis in die neueste Zeit.

Einen neuen Aufschwung erlebte die n. L. am Ende des 18. Jahrh. unter dem Einfluß der jüngern deutschen Dichtung und Ästhetik durch Hieronymus van Alphen (1746–1803), Rhijnvis Feith (1753--1824) und Pieter Nieuwland (1764–94), doch weit über alle empor ragte Willem Bilderdijk (1756 bis 1831), ein Schüler der Alten und hervorragendes, wenn auch hauptsächlich rhetorisches Talent. Als patriotische Dichter wurden am Ende des 18. Jahrh. Jacobus Bellamy (1757–86), am Anfang des 19. Jahrh. Jan Frederik Helmers (1767–1813) beliebt, besonders jedoch Hendrik Tollens (1780–1856), sonst noch durch seine häuslichen Gedichte populär. Ein humorvoller Erzähler in Versen war A. C. W. Staring (1767–1840). Als Lyriker dieser Periode sind ferner Corn. Loots (1765–1834) und Johannes Kinker (1764–1845), der Gegner Bilderdijks, als Dramatiker Samuel Iperuszoon Wiselius (1769–1845) und Hendrik Harmen Klijn (1773–1856) hervorzuheben. Der Hauptvertreter der niederländischen Prosa dieser Periode war der Politiker und Orientalist Jan Hendrik van der Palm (1763–1840), das Haupt einer ganzen Rednerschule. Er erstrebte gekünstelte Einfachheit und rhythmischen Wohllaut. Ungezwungener, doch oft zu populär schrieb Arend Fokke Simons (1755–1812), als Lyriker ein Schüler Klopstocks. Romane aus dem Mittelalter schrieb Adriaan Loosjes (1761–1818), Romane aus ihrer Zeit Maria Jacoba de Neufville (1775–1856). Eine völlige Änderung trat um 1840 ein. Vorläufer dieser Bewegung waren Jacob GeelOnderzoeken phantasie«, 1830), Jacob VosmaerHet levenen de Wandelingen van Meester Maarten Vroeg«) und Petrus van Limburg-Brouwer (1795–1847), der neben Romanen aus dem altgriechischen Leben (»Chariclesen Euphorion« und »Diophanes«) das satirisch-humoristische Werk »Het leesgezelschap te Diepenbeck« schrieb. Dann folgten Beets (1814–1903) mit seiner witzigen »Camera obscura«, Hasebroek (Pseudonym Jonathan, 1812–96) mit seinem »Waarheiden Droomen«, van Lennep (1802–68) mit seinen Romanen, Oltmans (1806–54) mit den Erzählungen: »Het slot Loevestein« und »De schaapherder«, Kneppelhout mit seinen »Studententypen«, van Koetsveld (1807–93) mit seinen »Schetsen uit de Pastorij te Mastland«, Potgieter (1808–75) mit seinen Erzählungen, Frau Bosboom-Toussaint (1812–86) mit ihren trefflichen historischen und Familienromanen, H. J. Schimmel (geb. 1824) mit seinen historischen Romanen, J. A. Alberdingk-Thym (1820–89) mit seinen »Portretten van Vondel«, J. J. Cremer (1827–80) mit seinen Dorfgeschichten, E. Douwes Dekker (Pseudonym Multatuli, 1820–87) mit seiner glühenden Schilderung sozialer Mißbräuche, namentlich auf JavaMax Havelaar«), Lodewijk Mulder (geb. 1822) und Gerard Keller (1829–90) mit Romanen und Lustspielen, Hendrik de Veer (1829–90) vorzüglich mit seinem »Trouringh voor het jonge Holland«, Jan ten Brink (1834–1901) als Novellist und Literarhistoriker, Potgieter und C. Busken Huet (1826–86) mit ihren kritisch-literarischen Schriften, ein Feld, auf dem sich auch R. C. Bakhuizen van den Brink (1810–65), N. Beets und G. Jonckbloet ausgezeichnet haben. Auch in der Poesie brachen sich um 1840 neue Anschauungen Bahn. Die Reste des französischen Klassizismus mußten dem Romantismus das Feld überlassen. Die antirevolutionären Schüler Bilderdijks, wie der Rhetoriker Isaak da Costa (1798–1860) und Alberdingk-Thym, und die jüngern freisinnigern Schüler von Tollens, wie Adriaan Bogaers (1795–1870) und Bernard ter Haar (1806–80), waren schon von Haus aus dem Romantismus nicht abgeneigt. Größern Einfluß übten aber Scott, Byron und Victor Hugo auf Jacob van Lennet, der auch in seinen »Nederlandsche Legenden« vaterländische Stoffe bearbeitete, auf Nicolaas BeetsJosé«, »Guy de Vlaming«, »Ada van Holland« u.a.) und auf W. J. Hofdij (1816 bis 1888). Die Zeitschrift »De Gids«, 1837 von E. J. Potgieter, dem eigentlichen Romantiker der holländischen Literatur, gegründet, gewann damals die größte Autorität und wußte den Romantizismus zu nationalisieren und auch neue politische und ästhetische Tatkraft zu erregen. Der Volks dichter J. P. Heije (1809–76) tat dazu das seinige, auch durch seine Kinderlieder, mit denen er sowie auch Jan Goeverneur (1809–89) die frühern Kinderlieder von van Alphen verdrängte

Die neuere Zeit brachte neben dem historischen Roman, der noch immer Pflege fand (Frau Antal-Opzoomer, Pseudonym A. S. C. Wallis, »In dagen van strijd«, 1879; »Vorstengunst«, 1883; J. A. Heuff, Pseudonym J. Huf van Buren, »De kroon van Gelderland«, 1877, »Hertog Adolf«, 1886, u.a.), den Künstlerroman, den musikgeschichtlichen und den sozialen Roman wie in den andern europäischen Literaturen und daneben eine reiche Ausbildung der Novelle. Zu nennen sind: Carel VosmaerAmazone«, 1880; »Inwijding«, 1888), Katharina van ReesMuzikale novellen«, 1876), A. Werumeus BuningMarineschetsen«, 1880), Carel van NieveltChiaroscuro«.1882; »Herman Wolsink«, 1889), Johanna van Woude (Pseudonym für Frau Ijzerman-Junius, »Een Hollandsch binnenhuisje«, 1888), Frits Smit Kleine (Pseudonym Piet Bluchtig, »Haagsche hopjes«, 1883; »Kippeveer«, 1888), Virginie Loveling (geb. 1836), Justus van Maurik (1846–1904), Therese Hoven (geb. 1860) und zahlreiche andre. Das Leben in Holländisch-Indien behandelten nach Multatuli vor allem Melati van Java (Pseudonym für Marie Sloot, »De familie van den Resident«, 1875), M. Th. H. PerelaerBorneo«, 1881; »Baboe Dalima«, 1886) und P. A. Daum (Pseudonym Maurits, »Hoe hij Raad van Indië werd«, 1888). Skizzen aus dem jüdischen Leben schrieb Herman Heijermans (Pseudonym Samuel Falkland).

Das Prosadrama wurde fast gänzlich vernachlässigt, bevor die Stiftung des »Tooneel verbond« (1870) ein neues Interesse für die Bühne erregte. Seitdem hatte Glanor (Pseudonym für Hugo Beijerman) mit dem ernsthaften Lustspiel »Uitgaan« (1873) großen Erfolg, mit »Zijn geheim« einen geringern. Später folgten die Lustspiele von Gerard Keller, Lodewijk Mulder, Johan Gram, Justus van Maurik, Rosier Faassen, welch letztere besonders bühnenfähig und darum populär sind, jedoch dem feinern Geschmack nicht genügen, u.a. P. Brooshooft gab 1883 in »Zijn meisje komt uit!« ein gelungenes Gemälde des Lebens in Niederländisch-Indien; großen Erfolg hatten »Lotos« von Frau Snijder van Wissekerke und »Eerloos« und »Goudvischje« von W. G. Nouhuys (geb. 1854) und das naturalistische »Op hoop van zegen« von H. Heijermans (geb. 1864).

Die beliebtesten Dichter von etwa 1850–80 waren J. J. L. ten Kate (1819–89), ein äußerst fruchtbarer Übersetzer (Tasso, Dante, Milton u.a.) und großes Formtalent (»De Schepping«, 1867), und vor allem P. A. de Génestet (1829–61), der gefühlvolle Lyriker des dichterisch gestimmten häuslichen Kreises. François Haver-Schmidt hat sich mit seinen Studentenpoesien »Snikkenen grimlachjes van Piet Paaltjens« (1867) überaus populär gemacht. Zu nennen ist auch der Redner und Staatsmann H. J. A. M. Schaepman (1844–1903), der Verherrlicher des PapsttumsDe Paus«, 1866; »Aya Sophia«, 1886). Carel Vosmaer (1826–88), der Übersetzer der Ilias und Odyssee (1878–88), suchte in der Form und dem Geist der griechischen Poesie eine Anregung zur Neubelebung der modernen DichtungNanno«, 1883). G. W. Lovendaal (geb. 1847) war glücklich im Kinderlied. Andre Dichter, so der Lyriker Fiore della Neve (Pseudonym für M. van Loghem, geb. 1849) und der Naturschilderer und Epiker Edw. B. Koster (geb. 1861; »Niobe«, 1893) stehen nur mit ihren Anfängen noch in dieser Zeit.

Das Drama in Versen ist nur wenig gepflegt worden. Für das höhere Lustspiel gab Helvetius van den Bergh (1799–1873) das Muster mit seinem »De Neven« (1837); von Bedeutung ist Multatulis (Pseudonym für E. D. Dekker) geistvolles Tendenzstück »De Vorstenschool« (1870). Die besten romantischen Schauspiele und Tragödien schrieben H. J. Schimmel und W. J. Hofdijk. Von 1867 an ward die dramatische Produktion durch Preisausschreiben, den Neubau des Amsterdamer Theaters (1874) und die Bemühungen literarischer Gesellschaften vielfach angeregt. Es erschienen von D. F. van Heyst »George de Lalaing« (1872), von H. Th. Boelen »Maria van Utrecht« (1873), von E. de Chateleux »Chandosse« (1877), von Marcellus Emants »Juliaan de Afvallige« (1874) und »Adolf van Gelder« (1886), von H. G. Roodhuyzen »Rebekka« (1882) und als die letzten dieser Gattung »Herodes« (1885) und »Jan Masseur« von D. M. Maaldrink.

Um 1880 begann wie ähnlich auch in Frankreich und Deutschland die moderne Bewegung, die 1885 durch die Gründung des »Nieuwen Gids« (s. Gids) ihr Kampforgan erhielt. Die Vorläufer waren der Epiker Marcellus Emants (geb. 1849; »Lilith«, 1879; »Godenschemering«, 1883), später auch als Dramatiker und Erzähler tätig, der feinfühlige Sonettist Jacques Perk (1859–81) und Hélène Swarth (geb. 1859, jetzt Lapidoth-Swarth), eine Dichterin von größter Formvollendung, tiefem Gefühl und durchgebildetem Kunstgeschmack. Als Dichter wie Ästhetiker war Willem Kloos (geb. 1859) der Führer der Modernen, ihm zur Seite Herman Gorter (geb. 1864), Impressionist in seiner Lyrik wie in der größern Dichtung »Mei« (1889), und Albert Verwey (geb. 1865), Dichter des Epos »Persephone« (1885), des Dramas »Johan van Oldenbarneveldt« (1895) und eigenartiger, doch ungleichwertiger Lyriker. Der bedeutendste und vielseitigste der Gruppe ist Frederik van Eeden (geb. 1860), als LyrikerEllen«, »Van de passielooze lelie«), Dramatiker (»Lioba«), philosophischer Dichter (»De Broeders« und »Het lied van schijnen wezen«) wie als phantastischer Erzähler (»De kleine Johannes«, »Johannes Viator« und »Van de koele meren des doods«) gleich ausgezeichnet. Außerdem gehören noch enger zu dieser Richtung: der Lyriker und Dramatiker Hendrik Jan Bocken (geb. 1866), der hervorragende Kritiker und Romandichter Lodewijk van Deyssel (Pseudonym für K. J. L. Alberdingk Thijm, geb. 1864), die Erzähler E. J. de Meester (geb. 1860), Frans Netscher (geb. 1864), A. Aletrino, Jac. van Looy und Henriette Roland Holst van der Schalk (sozialistische Romane). Nahe stehen ihr, ohne ihr jedoch anzugehören, Louis Couperus (geb. 1863), der bedeutendste holländische Romancier dieser Zeit, der sich nach Anfängen in der ältern Schule alsbald der Moderne zuwandte (»Eline Vere«, »Noodlot«, »Extaze«, »Majesteit«, »Wereldvrede«, »De stille kracht« u.a.) und der schlichtere Henri Borel (geb. 1869; »Het jongetje«, »Het recht der liefde«, »Leliane«, »Levenshonger« u.a.). Vgl. über die holländische Moderne Otto Hauser, Die niederländische Lyrik von 1875–1900 (Leipz. 1901). Über die n. L. Belgiens s. Flämische Sprache und Literatur.

Wissenschaftliche Literatur.

Sehr reich und von bedeutendem Einfluß auf die allgemeine europäische Kultur ist die Tätigkeit der Niederländer auf wissenschaftlichem Gebiet. Schon im frühen Mittelalter war das Land durch seine vorzüglichen Schulen ein berühmter Sitz wissenschaftlicher Studien und die Bildungsstätte, aus der zahlreiche ausgezeichnete Gelehrte und Staatsmänner Deutschlands wie Frankreichs hervorgingen. Obenan standen unter ihnen die Klosterschulen zu Utrecht und zu St.-Amand in Flandern, wo Hucbald (s. d.) lehrte, die Schulen in Lüttich, St. Truyen und Stavelot unfern Lüttich, zu Gemblours in Brabant u.a., die bis ins 12. Jahrh. blühten. Als die meist dem Benediktinerorden zugehörigen Klosterschulen mit diesem selbst allmählich in Verfall gerieten, traten die Domschulen an ihre Stelle, die auch den Laien zugänglich waren und namentlich zur Ausbildung des jungen Adels dienten (am berühmtesten die in Mecheln und in Doornik), sowie später (seit dem 14. Jahrh.) die aus bürgerlichen Kreisen hervorgangene Korporation der »Brüder des gemeinsamen Lebens« (s. d.), die neben der Erweckung echt christlicher Gesinnung sich besonders die Erziehung und Bildung der Jugend zur Aufgabe stellte, und aus deren bald über das ganze Land verbreiteten Schulen eine große Anzahl der hervorragendsten Gelehrten (darunter z. B. Rudolf Agricola und Erasmus von Rotterdam) hervorgingen. Durch diese Gelehrten, die meist ihre Bildung in Italien vollendeten, wurde das eben neuerwachte Studium der klassischen Literatur nach dem Norden verpflanzt und dadurch vorzugsweise der Reformation der Weg gebahnt, durch deren Einführung in den Niederlanden das wissenschaftliche Leben daselbst einen neuen Impuls erhielt, wie sie anderseits zum Befreiungskampf gegen die spanische Gewaltherrschaft und schließlich zur nationalen Selbständigkeit des Landes führte. Von jetzt an knüpft sich die Weiterentwickelung der Wissenschaften in den Niederlanden an die Universitäten, deren im 16. und 17. Jahrh. in den nördlichen Provinzen fünf neue (die erste in Leiden 1575, dann in Franeker, Utrecht, Groningen und Harderwijk) gegründet wurden, die nicht nur als Hauptsitze der Gelehrsamkeit, sondern auch als Hochburgen der Denk- und Gewissensfreiheit, im Gegensatz zu den ältern, an den Satzungen der katholischen Kirche streng festhaltenden Hochschulen (namentlich der in Löwen), bald zu großem Ansehen gelangten und von wißbegierigen Jünglingen aus ganz Europa besucht wurden.

Unter den einzelnen Disziplinen, die daselbst mit besonderm Fleiß und Erfolg kultiviert wurden, nimmt die Philologie die erste Stelle ein. Während das Studium des klassischen Altertums mit dem Anfang des 17. Jahrh. in Italien zu sinken begann, fand es gerade auf den niederländischen Universitäten die sorgsamste Pflege und hat sich dieser Teilnahme bis in die Neuzeit fast ununterbrochen zu erfreuen gehabt. Noch im 16. Jahrh. zeichneten sich durch philologische Gelehrsamkeit besonders die Professoren in Löwen Peter Nannius (gest. 1557) und W. Canter (gest. 1573) aus; als scharfsinnige Kritiker sind Lucas Fruytier (Fruterius) in Brüssel und Justus Lipsius (gest. 1606) zu nennen. Lebendiger noch entwickelte sich der Eifer für die humanistischen Studien in dem freien Norden, besonders an der Universität in Leiden, deren erster Kurator, der Staatsmann Jan Douza (gest. 1606), zugleich zu den bedeutendsten Gelehrten jener Zeit gehörte. Es bildete sich daselbst eine neue Art von Wissen, die sogen. Polyhistorie, aus, die man als Nachfolgerin des italienischen Humanismus betrachten kann. Die Leidener Gelehrten gingen nämlich bei ihren Bemühungen um die alten Schriftsteller wohl auch auf die Verbesserung der Texte und auf das Sprachliche aus; aber sie suchten insbes. die Realien, die sogen. Altertümer, zu erklären und sammelten zu diesem Zweck eine Unmasse von Kenntnissen auf. Als Begründer dieser Richtung galt Joseph Justus Scaliger, der seit 1592 in Leiden lehrte und 1609 daselbst starb. Unter den Nachfolgernauf der von ihm gebrochenen Bahn sind hervorzuheben: der vielseitige Gelehrte und Staatsmann Hugo Grotius (gest. 1645), die ausgezeichneten Gelehrten Gerhard Joh. Vossius gest. 1649) und Daniel Heinsius (gest. 1655) und die aus Deutschland eingewanderten Joh. Friedr. Gronovius (gest. 1671), der eigentliche Stifter der holländischen Latinistenschule, und der gleichberühmte, aber schon ziemlich oberflächliche Joh. G. Grävius (gest. 1703), mit dem der Verfall des philologischen Studiums beginnt, das dann in P. Burman (gest. 1741) u.a. zur Kompilation herabsinkt. Um die historische Kenntnis des Altertums insbes. machten sich Joh. Meursius (gest. 1639) und Claudius Salmasis (gest. 1653) verdient, letzterer ein Riese an Gelehrsamkeit, der aber sein ungeheures Material nicht geistig zu sichten und zu verknüpfen verstand. Eine zweite Glanzperiode der holländischen Philologie begann um die Mitte des 18. Jahrh., hervorgerufen durch den Leidener Professor Tiberius Hemsterhuis (gest. 1766), den Stifter der holländischen Hellenistenschule, zu der als Hauptvertreter derselben David Ruhnkenius, einer der größten Philologen des Jahrhunderts (gest. 1798), L. K. Valckenaer (gest. 1785) und Dan. Wyttenbach (gest. 1820) gehörten. Von jüngern verdienen Hervorhebung: die Gräzisten P. van Limburg-Brouwer (gest. 1847), Ph. W. van Heusde (gest. 1859), C. W. Cobet (gest. 1889), H. van Herwerden, S. A. Naber, J. van Leeuwen u.a.; die Latinisten Hofman-Peerlkamp (gest. 1825), J. Bake (gest. 1864), Boot u.a. Auch in der lateinischen Poesie haben sich von alters her die Niederländer zahlreich und mit Vorliebe versucht (vgl. Neulateinische Dichter). Das Studium der orientalischen Sprachen wurde ebenfalls bereits im 17. Jahrh. gefördert und zwar vorzugsweise durch Th. Erpenius und J. Golius, der ein arabisches und persisches Wörterbuch herausgab, im 18. Jahrh. durch Reland (gest. 1718) und namentlich Albr. Schultens (gest. 1750), der den Nachweis der Verwandtschaft der semitischen Sprachen führte und darauf zuerst ein methodisches Studium derselben begründete. Aus seiner Schule gingen zahlreiche verdienstliche Orientalisten hervor, wie sein Sohn Joh. Jakob und sein Enkel Heinr. Albert Schultens, N. W. Schröder, E. Scheidius, Greeve, van der Palm und besonders Hamaker, denen sich später Roorda, Weyers, Juynboll, Uylenbroek, P. A. S. van Limburg-Brouwer und in jüngster Zeit Dozy, Land, de Goeje, Houtsma, Snouck Hurgronje u.a. anreihten. Auch die Sprachen des Indischen Archipels fanden feil den letzten Jahrzehnten eifrige Pflege, vorzüglich bei P. J. Veth (gest. 1895) und namentlich das Javanische (Winter, Gericke, Roorda, Keyser, Meisma, Vreede, Poensen, Janß), das Malaiische (Pijnappel, de Hollander, van der Tuuk), das Makassarische und Bugi (Matthes, Niemann), das Sundanesische (Oosting, Coolsma), das Kawi (van der Tuuk, C. Stuart, J. H. C. Kern), das Dajak (Hardeland), das Atjeh (Snouck Hurgronje), das Fidji (Kern), das Batak (van der Tuuk, Niemann); ebenso das Sanskrit (Kern, Speyer, Warren, Uhlenbeck, Caland, Huyzinga, Vogel), das Chinesische (Hoffmann, G. Schlegel, de Groot, Groeneveldt), das Japanische (Siebold, Hoffmann). Die Brüder Halbertsma förderten das Studium des Friesischen, P. J. Cosijn, W. L. van Helten, J. H. Gallée, B. Symons, R. C. Boer, Kern das Studium der altgermanischen Sprachen, A. G. von Hamel, Salverda de Grave das Alt französische, während im 18. Jahrh. Lambertten Kate (gest. 1731) und B. Huydecoper (gest. 1778), im 19. Jahrh. M. de Vries (gest. 1892), L. A. te Winkel (gest. 1868), E. Verwijs (gest. 1880), H. E. Moltzer (gest. 1895), J. Verdam, W. L. van Helten, J. te Winkel, G. Kalff, R. A. Kollewijn, F. Buitenrust Hettema ihre Aufmerksamkeit der heimischen niederländischen Sprache zuwandten (vgl. Niederländische Sprache).

Das Feld der Geschichtschreibung wurde in den Niederlanden mit vielem Fleiß angebaut, doch kam dieselbe erst in den Befreiungskriegen über die chronikartige Berichterstattung früherer Jahrhunderte hinaus. Hauptgegenstand der historischen Darstellung war von Anfang an und blieb die vaterländische Geschichte, die nach van Meteren und Bor der Dichter P. C. Hoost (gest. 1647) in seiner noch heute für klassisch gelten den Darstellung des Befreiungskampfes (»Nederlandsche Historien«, 1642–54) in der Landessprache behandelte. Ihm zunächst stehen des Hugo Grotius »Annales et historiae de rebus belgicis« (1657) und die geschichtlichen, ebenfalls lateinisch geschriebenen Werke des friesischen Geschichtsforschers Ubbo Emmius (gest. 1626). Weiter folgten Gerard Brandt (gest. 1685) mit seiner gefällig, aber sehr breit erzählten Geschichte der niederländischen ReformationHistorie der reformatie«, 1671, 4 Bde.) und seiner trefflichen Biographie des Admirals de Ruyter (1680); Pieter Valckenier, der in seinem bekannten Werk »Verwerd Europa« ein Gemälde Europas zur Zeit Ludwigs XIV. in ermüdender Ausführlichkeit entwarf, und der Friese Lieuwe van Aitzema (gest. 1669), dessen Beschreibung der Ereignisse der Jahre 1621–1668 (»Zaken van staaten oorlog«) gar 16 Quartbände füllte. Bloße Kompilationen sind die Geschichtsdarstellungen von G. van LoonAloude hollandsche historie«, 1734), van der Vyuckt u.a. Dagegen gab Jan Wagenaar (gest. 1773) in seiner 21 Bände umfassenden »Vaderlandsche historie« eine erste Probe kritischer Geschichtsforschung und fand in Simon Stijl (gest. 1804), dem Verfasser von »Opkomsten bloei der vereenigde Nederlanden« (1774), worin zuerst eine philosophische Behandlung der Geschichte versucht wird, in Elias Luzac (gest. 1796), der eine erste ökonomische Geschichte der NiederlandeHollands Rijkdom«, 1780–83, 4 Bde.) schrieb, in J. W. te Water und Adriaan Kluit (gest. 1807), der in seiner »Historie der hollandsche staatsregering« vielleicht am tiefsten in den Geist und das Wesen der niederländischen Geschichte eindrang, würdige Nachfolger. Später schrieb der Dichter Bilderdijk (gest. 1831) eine umfangreiche »Geschiedenis des vaderlands«, die in absolutistischem Geist gehalten ist. Van Kampens Darstellung desselben Gegenstandes fand wegen ihrer gefälligen Form vielen Beifall. Inzwischen war durch die Arbeiten des Reichsarchivars H. van Wijn (gest. 1831) ein sehr nachhaltiger Anstoß zu eingehenderer Geschichtsforschung gegeben worden, der die Herausgabe mehrfacher Urkunden- und Quellensammlungen und zahlreicher darauf gestützter Monographien zur Folge hatte. Hervorzuheben sind davon vornehmlich Groen van Prinsterers »Archives, ou correspondance inédite de la maison d'Orange-Nassau« (1835–65, 15 Bde.), das Resultat unermüdlicher und gewissenhaftester Forschung, sowie die Arbeiten von Bakhuizen van den Brink (gest. 1865), J. C. de Jonge (gest. 1853), J. Bosscha (gest. 1874), J. ter Gouw (gest. 1894), Th. Jorissen (gest. 1889), R. Fruin (gest. 1899), S. Muller, P. L. Muller (gest. 1904) und P. J. BlokGeschiedenis van het nederlandsche volk«, seit 1892). Andre Abschnitte der Weltgeschichte behandelten der französische Emigrant Basnage in seiner »Histoire des juifs depuis Jésus-Christ« (1716, 15 Bde.), M. Stuart in seiner »Romeinsche geschiedenis« (1792 ff., 30 Bde.); Dozy (gest. 1883) in der »Histoire des musulmans d'Espagne« (1861, 4 Bde.), während sich Ysbrand van Hamelsveld (gest. 1812, »Allgemeene geschiedenis der christelijke kerk«, 1799 ff., 26 Bde.), Willem Moll »Kerkgeschiedenis van Nederland voor de hervorming«, 1864–71), E. J. Diest Lorgion (gest. 1876), J. G. de Hoop Scheffer (gest. 1894), Ae. W. Wybrands (gest. 1886) und J. G. R. Acquoy als Kirchenhistoriker einen Namen machten.

Auch die Literaturgeschichte wurde fleißig behandelt, zunächst durch eine Reihe biographischkritischer Lexika, wie das noch heute wertvolle »Onomasticon literarium« von Saxe (Utrecht 1775–1803, 8 Bde.), das »Biographischen critisch woordenboek der nederlandsche dichters« von Witsen Geysbeek (Amsterd. 1821–27, 6 Bde.), das »Nieuw biographischen critisch woordenboek van nederlandsche dichters« von van der Aa (das. 1844, 3 Bde.), das treffliche »Biographisch woordenboek der Nederlanden« (Haarl. 1852–77), »Vermomdeen naamlooze schrijvers« (Leiden 1883–85) von van Doorninck, »Biographisch Woordenboek der Noorden Zuidnederlandsche letterkunde« von G. Frederiks und F. J. van den Branden (Amsterd. 1878, 2. Aufl. 1892) u.a.; sodann in zusammenhängender Darstellung durch H. van Wijn (»Historischeen lett. avondstonden«, 1800), Jeronimo de VriesProeve eener geschiedenis der nederlandsche dichtkunde«. 1810, 2 Bde.), WillemsVerhandeling over de nederduitsche taalen letterkunde«, 1819–24, 2 Bde.), van KampenBeknopte geschiedenis der letterenen wetenschappen in de Nederlanden«, Haag 1821–26, 3 Bde.), Siegenbeek (»Beknopte geschiedenis der nederlandsche letterkunde«, Haarl. 1826), in neuester Zeit besonders durch die Arbeiten von JonckbloetGeschiedenis der middennederlandsche dichtkunst«, Amsterd. 1851–54, 3 Bde.; »Geschiedenis der nederlandsche letterkunde«, 3. Aufl., Groning. 1881–86, 6 Bde.; deutsch, Leipz. 1870–72, 2 Bde.), J.ten BrinkGeschiedenis der noord-nederlandsche letteren in de XIX. eeuw«, Amsterd. 1888–89, 3 Bde.; »Geschiedenis der nederlandsche letterkunde«, das. 1895), J. te WinkelGeschiedenis der nederlandsche letterkunde«, Haarl. 1887 ff.), G. KalffGeschiedenis der nederlandsche letterkunde in de XVI. eeuw«, Amsterd. 1889, 2 Bde.; »Literatuuren tooneel te Amsterdam in de XVII. eeuw«, Haarl. 1895), P. H. van Moerkerkan (»Het Nederlandsche kluchtspeel in de XVII. eeuw«, Sneek 1898). Literarhistorische Monographien schrieben unter andern J. Scheltema (gest. 1835), Bakhuizen van den Brink (gest. 1865), G. D. J. Schotel (gest. 1892), J. van Vloten (gest. 1883), Th. Jorissen (gest. 1889), A. Pierson, J.ten Brink, H. E. Moltzer (gest. 1895), Haverkorn van Rijsewijk, J. te Winkel, C. N. Wybrands, J. A. Worp, G. Kalff, R. A. Kollewijn. Wertvoll sind die sogen. »Zwolschen Herdrukken«, in Zwolle erscheinende Neudrucke älterer Literaturwerke; an literarwissenschaftlichen Zeitschriften sind zu nennen: »Tijdschrift voor Nederlandsche taal-en letterkunde« (Leiden), »Taalen Letteren« (früher im Haag, jetzt Leiden), »De Nederlandsche Spectator« (im Haag), »Oud-Holland« (Amsterd.). Als Vertreter der Kunstgeschichte sind aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. bis in die Gegenwart zu nennen: P. Scheltema, A. D. de Vries, N. de Roewer, T. van Westrheene, A. Bredius, C. Hofstede de Groot, J. Ph. van der Kellen, Jan Veth etc.

In der Philosophie haben sich die Niederländer vorzüglich dadurch einen hohen Ruhm bei der Nachwelt erworben, daß ihr Land mehreren der originellsten und kühnsten Denker des Auslandes eine Freistatt bot: namentlich Descartes, der hier sein epochemachendes System ausbildete, und Bayle, der von Holland aus durch seinen in allgemein verständlicher Sprache dargelegten Skeptizismus zu vorurteilsfreier Forschung anregte. Die Philosophie des Descartes fand in den Niederlanden zahlreiche Anhänger, die wie A. Heereboord, A. Geulincx, Balth. Bekker, (gest. 1698), der Verfasser von »De betoverde wereld«, seine Ideen verbreiteten und weiter zu entwickeln suchten. Der berühmteste der niederländischen Philosophen aber ist unstreitig Baruch Spinoza (s. d.). Die Angriffe der Gegner auf Spinoza und den englischen Philosophen Hobbes, unter denen 's Gravesande (gest. 1742) den meisten Scharfsinn aufbot, gaben oft zu anregenden Diskussionen Anlaß; allein die Philosophie selbst fand dabei nur geringe Förderung. Später bemühten sich van Hemert und Kinker, die Kantsche Philosophie in Holland einzuführen; aber auch sie wurde weder in ihrer ganzen Tiefe erfaßt noch selbständig weitergeführt. Eingehendere Pflege fand die griechische Philosophie und zwar ebensowohl durch vortreffliche philologische Behandlung der Originalwerke wie durch selbständige Erzeugnisse im griechisch-philosophischen Geist, unter denen sich besonders die von Franz Hemsterhuis (gest. 1790) und van Heusde (gest. 1859) auszeichnen. Eine zusammenhängende Darstellung der Ästhetik versuchte H. van Alphen (gest. 1803). Als die bedeutendsten Philosophen der neuern Zeit sind Opzoomer (gest. 1892), van der Wijck, Spruyt und Bolland zu nennen. Die Theologie, jahrhundertelang in schwere Bande geschlagen, suchte diese im 16. Jahrh. allmählich zu lösen, nachdem die Reformation Anlaß zu freierer Schrifterklärung und zu fruchtbringender Polemik gegeben hatte. Der Bahnbrecher in dieser Richtung war wiederum Hugo Grotius, der »Annotationes in Vetus et Novum Testamentum«, 1644–50, veröffentlichte und in seinem berühmten Buch »De veritate religionis christianae« zugleich eine vorzügliche Apologie des Christentums gab. Allein der unselige Streit der Gomaristen und Remonstranten oder Arminianer (s. d.) über die Prädestinationslehre, in dem erstere, die Verteidiger des strengen calvinistischen Lehrbegriffs, die Oberhand behielten, sowie kurz darauf der Streit der Jansenisten in den südlichen Niederlanden traten bald jedem unbefangenen wissenschaftlichen Fortschritt hindernd entgegen. Verdienstlicher war die stille Tätigkeit der Bollandisten (s. d.), welche die »Acta Sanctorum« herausgaben. Eine freiere und wissenschaftlichere Auffassung der Theologie begann erst gegen Ende des 18. Jahrh. sich Bahn zu brechen, vorzugsweise durch die Tätigkeit von H. A. Schultens, Bosveld und dem Dogmatiker van Voorst, denen sich im 19. Jahrh. Borger, van Hengel, Holwerda, van der Palm, Muntinghe, Heringa etc. anschlossen. Seit den letzten Jahrzehnten haben sich in der reformierten Kirche drei Parteien gebildet: die ortrhodoxe oder altcalvinistische, die, von Abr. Kuyper gegründet, in der Freien Universität ihren Stützpunkt hat; die Vermittelungspartei, die in den Utrechter Professoren Doedes und van Oosterzee (gest. 1882), und die sogen. moderne oder kritische Schule, die in den Leidener Professoren Scholten (gest. 1885) und Kuenen (gest. 1891) ihre besten Wortführer fand; die sogen. Groninger Schule, mit Pareau (gest. 1866) und Hofstede de Groot (gest. 1886) an der Spitze, hat ihren frühern Einfluß eingebüßt. Die vergleichende Religionsgeschichte fand in Tiele, Chantepie de la Saussaye, van Manen, Oort, Wildeboer und Kosters Bearbeiter.

Die Pflege der Rechtswissenschaft blühte in Holland namentlich nach der Mitte des 17. Jahrh. und trug nicht wenig zu der Anziehungskraft bei, welche die niederländischen Universitäten für die studierende Jugend des In- und Auslandes hatten. Gegenstand des Studiums war fast ausschließlich das römische Recht. Als die bedeutendsten Juristen jener Zeit sind Johann Voet (gest. 1714), Gerard Noodt (gest. 1725) nebst seinem Gegner Corn. van Bynkershoek (gest. 1743) und besonders Ant. Schulting (gest. 1754) zu nennen, von deren Schülern van de Keessel und der einer freiern, philosophischern Auffassung huldigende H. Const. Cras (gest. 1820) wieder Führer besonderer Schulen wurden. Das erste Handbuch des einheimischen Landrechts, das bis zum 19. Jahrh. als Leitfaden benutzt wurde, gab H. Grotius in seiner »Inleiding tot de hollandsche regtsgeleerdheid« (1631); auch ward derselbe durch seine berühmten Werke: »De jure belli et pacis« und »Mare liberum« Begründer des Staats- und Völkerrechts. Als Lehrer des kanonischen Rechts erwarb sich van Espen (gest. 1728) europäischen Ruf. Als bedeutende Staatsrechtslehrer der neuern Zeit sind Thorbecke (gest. 1872), nächst ihm J. de Bosch Kemper (gest. 1876), G. W. Vreede (gest. 1880) und J. Th. Buys (gest. 1893), als Nationalökonomen besonders de Bruin Kops (gest. 1887) und Vissering (gest. 1888) zu nennen. Für die Pflege der ältern niederländischen Rechte hat sich 1879 ein Verein gebildet unter Fruin, Pols, S. Muller, Fockema Andreae u.a., dem viele schätzbare Arbeiten zu verdanken sind.

Von den überaus glänzenden Leistungen, deren sich die Niederländer endlich auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der Mathematik nebst den verwandten Disziplinen zu rühmen haben, seien nur einige der bedeutendsten Erscheinungen erwähnt. So erinnern wir an Vesalius, den Begründer der neuern Anatomie (gest. 1567), und die lange Reihe niederländischer Anatomen, die sich durch wichtige Entdeckungen (wie z. B. Swammerdam und Leeuwenhoek durch ihre mikroskopischen Beobachtungen) verdient gemacht haben; an den Reformator der Medizin, H. Boerhaave (gest. 1738), zu dessen berühmtesten Schülern van Swieten und der Schweizer Haller gehörten; an die zahlreichen und schätzenswerten Arbeiten der Niederländer auf dem Felde der Naturgeschichte (Botanik und Zoologie) namentlich im 18. Jahrh.; an die Mathematiker Ludolf van Ceulen (gest. 1610), der die sogen. Ludolfsche Zahl bestimmte, und Snell (gest. 1626), der die trigonometrische Methode der Meridianmessung erfand und das Gesetz der Strahlenbrechung entdeckte; an Christian Huygens (gest. 1695), gleich groß als Mathematiker, Astronom und Physiker, und van Swinden (gest. 1823), den Mitbegründer des metrischen Maßsystems; an G. Mercator (gest. 1594), der die nach ihm benannte geographische Projektion entwarf; an Jansen (um 1590), den Erfinder des Fernrohrs, und Cunäus (1746), den Erfinder der Leidener Flasche, etc. Aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrh., die den neuen großen Aufschwung aller Naturwissenschaften brachte, bis in die Gegenwart sind zu nennen: die Naturhistoriker Jan van der Hoeven, H. Schlegel, der Vorläufer Darwins F. C. Donders, der Chemiker G. J. Mulder, der Meteorolog und Physiolog C. H. D. Buys Ballot etc.; aus neuester Zeit: die Physiker H. A. Lorentz und J. D. van der Waals, der Chemiker J. H. van t'Hoff, der Botaniker Hugo de Vries (Zellentheorie) etc.

Die besten Werke über die Geschichte der niederländischen Literatur sind oben (S. 660) erwähnt; außerdem seien genannt: Lina Schneider, Geschichte der niederländischen Literatur (Leipz. 1887); Mone, Übersicht der niederländischen Volksliteratur älterer Zeit (Tübing. 1838); Hoffmann von Fallersleben, Übersicht der mittelniederländischen Dichtung (1. Teil der »Horae belgicae«, 2. Ausg., Hannov. 1857); v. Hellwald, Geschichte des holländischen Theaters (Rotterd. 1874); Luc. Müller, Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden (Leipz. 1869).


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