Russische Literatur

Russische Literatur

Russische Literatur. Wie in der politischen Geschichte der Russen, so bildet auch in der Geschichte ihrer Literatur den Hauptwendepunkt die Regierungszeit Peters d. Gr. Danach zerfällt die Geschichte der russischen Literatur in die zwei großen Hauptabschnitte: 1) die Zeit bis auf Peter d. Gr. und 2) die Zeit seit Peter d. Gr. Den zweiten Hauptabschnitt pflegt man in die Periode des 18. und die des 19. Jahrh. einzuteilen.

Die Literatur bis auf Peter d. Gr.

Die ersten Anfänge der Literatur der Russen wurzeln in ihrer ungemein reichen Volksliteratur, die man freilich erst zu Anfang des 19. Jahrh. ernstlich zu sammeln begonnen hat (s. unten, S. 282). Sie umfaßt Lieder und Märchen, ferner Sprichwörter, Rätsel und Besprechungen (bei Krankheit etc.). Unter den Liedern unterscheidet man rituelle Lieder oder Lieder mythischen Ursprungs, Heldenlieder oder Bylinen (s. d.), Familienfestlieder und historische Lieder. Lassen sich all diese bis ins 18. Jahrh. von Geschlecht zu Geschlecht immer nur mündlich fortgepflanzten und im Laufe der Überlieferung natürlich mannigfach veränderten und verstümmelten poetischen Erzeugnisse des russischen Volks in bezug auf ihre Entstehung im einzelnen auch nicht mit Sicherheit bestimmten Jahrhunderten zuweisen, so besteht doch kein Zweifel darüber, daß sie mit ihren ersten Anfängen zum Teil in die vortatarische, ja manche, wie z. B. die Lieder mythischen Ursprungs, in die vorchristliche Zeit zurückreichen. Was die Kunstliteratur anbetrifft, so ist diese von den Donauslawen nach Rußland hinübergekommen, und zwar erst mit der Einführung des Christentums (988 unter Wladimir I.). Mit dem Christentum kamen die Bibel und andre Bücher kirchlichen Inhalts nach Rußland. Die Sprache, in der sie geschrieben waren, das damalige Bulgarische, wurde infolgedessen, im Laufe der Zeit mit russischen Formen und Wörtern untermischt, in Rußland die Schriftsprache und wird in den Kirchen bis auf den heutigen Tag gebraucht und von jedem, auch dem ungebildeten Russen im ganzen verstanden (s. Kirchenslawisch). Das älteste Sprachdenkmal bildet das Ostromirsche Evangelium, eine in den Jahren 1056–57 für den Poßadnik (Präsidenten) Ostromir der Republik Nowogorod angefertigte Kopie einer kirchenslawischen Übersetzung der vier Evangelien. Sodann der Swjatoslawsche Sbornik, geschrieben 1073 für den Fürsten Swjatoslaw, Abschrift einer im 10. Jahrh. auf Veranlassung des bulgarischen Zaren Simeon gemachten bulgarischen Übersetzung von griechischen Sammelwerken, teils geistliche, teils historische, philosophische, rhetorische etc. Traktate enthaltend. Durch die Vermittelung der Bulgaren erhielt Rußland eine Flut von geistlichen Legen den und weltlichen Sagen, die oft aus Byzanz oder selbst aus dem Morgenland stammten, ein wunderliches Durcheinander von Apokryphen, Geschichte, Mythologie und Heiligenlegenden. So spielen z. B. die Sagen von Alexander d. Gr. und dem Trojanischen Kriege darin ihre Rolle; später ward manches direkt aus dem Griechischen in das Russische übertragen, und so findet man diese Literatur in den verschiedenen Codices bis ins 17. Jahrh. hinab; im Volk aber lebt manches bis heute noch. In der Mitte des 11. Jahrh. lebte in Kiew, dem eigentlichen Mittelpunkt der damaligen Bildungstätigkeit, auch der Mönch Nestor, von dem angeblich die älteste Chronik Rußlands stammt (s. Nestor). Die Quellen dieser Chronik sind byzantinische Chronikschreiber, einzelne Sagen, Heiligengeschichten und Aussagen von Zeitgenossen. Ende des 11. Jahrh. entstand das »Lied vom Heereszug Igors gegen die Polowzer«, ein Gelegenheitsgedicht von größtem poetischen Schwung (vgl. Igor). Im Anfang des 13. Jahrh. kamen die Tataren über Rußland und legten ihm ein schweres Joch auf, dessen Wucht es über drei Jahrhunderte ertrug. Das 1240 von den Tataren zerstörte Kiew wurde 1320 von dem litauischen Großfürsten Gedimin erobert und kam dann später mit Litauen an Polen. Kaum erhielten sich spärliche Reste der Kultur in den vom byzantinischen Einfluß beherrschten Klöstern, und auch nach der Befreiung von den Tataren erholte sich Rußland nur langsam unter der Leitung Moskaus. Erst mit dem 16. Jahrh. bahnt sich neue Aufklärung langsam den Weg. Iwan IV. Wasiljewitsch (1533–84) ließ in den Städten Schulen anlegen und errichtete 1564 die erste russische Buchdruckerei in Moskau. Ein literarisches Denkmal der Bildung und Zustände jener Zeit bildet der »Domostroj« (s. d.), d.h. das Buch von der Haushaltung, ein Kodex praktischer Lebensweisheit und bürgerlicher Moral. Das in der Kultur weiter vorgerückte Polen übte in literarischer Beziehung Einfluß auf Rußland durch Kiew aus, wo der an dem Russischen Kollegium wirkende Peter Mogila (1597–1647) und seine Nachfolger Wissenschaft und Bildung hoben und dem Einfluß der sich in den Schulen Südwestrußlands festsetzenden Jesuiten erfolgreich entgegenarbeiteten (vgl. Artikel »Kleinrussische Sprache und Literatur«). Mit der Befreiung Kleinrußlands (nebst der Hauptstadt Kiew) von der polnischen Herrschaft und seiner Anlehnung an Großrußland machte sich der Einfluß Kiewer Gelehrten erst recht fühlbar. Durch sie drang ein Hauch europäischer Wissenschaft nach Moskau, und auch Peter d. Gr. bediente sich ihrer, bevor er die Lehrkräfte direkt aus Europa erlangen konnte. Aus der Zahl der Kiewer Gelehrten, die nach Großrußland kamen, sind namentlich Simeon Polozkij (gest. 1682) und der heil. Dmitrij Rostowskij (gest. 1709) zu erwähnen. Durch ihren Einfluß wurde 1685 in Moskau ein Kollegium (»slawonisch-griechisch-lateinische Akademie«) gegründet; ja unter dem Zaren Alexej Michailowitsch (Vater Peters d. Gr.) zeigen sich bereits Anfänge von weltlichen Dramen, die im Hause des aufgeklärten Bojaren Artamon Sergejewitsch Matwejew ausgeführt wurden. Dramen weltlichen Inhalts dichtete auch Feofan Prokopowitsch (1681 bis 1736), der Ratgeber Peters d. Gr.

Das 18. Jahrhundert.

Mit Peter d. Gr. beginnt die neue Periode der russischen Literatur. Die weltliche Literatur tritt in den Vordergrund und an Stelle des Kirchenslawischen wird allmählich das Russische die Schriftsprache, für das auf Veranlassung Peters um 1704 durch Anähnlichung der alten kirchenslawischen Buchstaben an den lateinischen Drucktypus die heutige russische Schrift geschaffen wurde. Das gewaltsame Herausreißen Rußlands aus dem alten Gleise, das Ausbilden von neuen Kräften in der Person junger Leute, die im Ausland oder von Ausländern erzogen wurden, gab zu der merkwürdigen Erscheinung Veranlassung, daß die neue russische Literaturperiode sofort mit der Satire, mit der Kritisierung der gegebenen Verhältnisse, begann. Als erster Dichter der neuen Epoche wird der Fürst Antiochus Kantemir (1708–44) genannt. Seine in Paris erhaltene Bildung, die ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse in seiner Heimat wunderlich erscheinen ließ, machte aus ihm einen Satiriker. Sein Versmaß ist aber noch das französische. Sein gelehrter Nachfolger Waßilij Tredjakowskij (1703 bis 1769) wies bereits auf die Notwendigkeit für die russische Verskunst hin, sich an den Rhythmus des russischen Volksliedes zu halten; doch war er selbst zu talentlos, um durchzugreifen. Erst seinem vielseitig begabten Nebenbuhler Michail Lomonossow (1711 oder 1712–65) gelang es, eine durchgreifende Reform in der Sprache und namentlich im Versmaß vorzunehmen. Lomonossow (s. d.) ist als Schöpfer der russischen Metrik anzusehen, steht jedoch als Gelehrter und Denker weit höher denn als (lyrischer) Dichter. Sein Zeitgenosse Alexander Sumarokow (1718–1777) schrieb vorzugsweise Tragödien nach französischen Mustern in Alexandrinern (die ersten ständigen russischen Theater wurden 1756 in St. Petersburg und 1759 in Moskau gegründet), und ihm zur Seite als Dramatiker steht der talentvollere Jakow Knjashnin (1742–91).

Der Regierungsanfang Katharinas II. (1762) schien überaus günstig für die Entwickelung der Literatur. Sie gründete eine Reihe von satirischen Blättern, unterstützte junge Talente und schrieb selbst Komödien, Novellen u. dgl. Noch 1783 erließ sie einen Ukas über die Zulassung freier Privatbuchdruckereien, um dadurch die Volksbildung zu heben. Zu derselben Zeit wirkten in Moskau Nikolaj Nowikow (1744–1818) und sein Freund Johann Schwartz (erst seit 1776 in Rußland, gest. 1784) sehr förderlich für Literatur und Bildung. Sie gründeten Druckereien, Bibliotheken, Buchhandlungen, Zeitschriften sowie auch die »Freundschaftliche gelehrte Gesellschaft«. Am Ende von Nowikows Tätigkeit gab es in Moskau 20 Buchhandlungen, die jährlich für 200,000 Rubel Bücher in Umlauf setzten, vorher nur 2 mit einem Umsatz von 10,000 Rubel. Außerdem wurden zahlreiche Bücher (meist Übersetzungen) von Nowikow unentgeltlich im ganzen Reiche verteilt. Die satirisch-didaktischen Komödien der Kaiserin Katharina fanden einen meisterhaften Fortsetzer in Denis Fonwisin (eigentl. von Wiesen, 1745–92), dem Verfasser der Stücke: »Muttersöhnchen« (»Nedorosl'«) und »Der Brigadier«, worin die Sucht der Zeitgenossen, trotz innerer Geistesarmut europäisch gebildet zu scheinen, scharf gegeißelt wird. Das bedeutendste poetische Talent jener Zeit offenbarte sich aber in dem Hofdichter Gawriil Dershawin (1743–1816), der die Zarin in seiner »Feliza« verherrlichte. Am berühmtesten ist seine Ode »An Gott«, die in alle europäischen Sprachen übersetzt wurde, im übrigen aber mehr ein rhetorisches, nur hier und da mit Perlen echter Poesie geziertes Stück ist. Von den gleichzeitigen Dichtern mögen noch erwähnt werden: Mich. Cheraskow (1733–1807), der Verfasser des Epos »Die Rossiade«, und Ippolyt Bogdanowitsch (1743–1803), der eine Bearbeitung von Lafontaines »Psyché et Cupidon« u. d. T. »Dušenka« veröffentlichte. In die Nowikowsche Gesellschaft, die von allen Seiten junge talentvolle Leute an sich zog, trat auch der jugendliche Karamsin (1765–1826), dessen literarisches Wirken epochemachend wurde. Zuerst mit Übersetzungen und Schriften für die Jugend beschäftigt, wurde er bald zu seiner weitern Ausbildung nach Westeuropa gesandt, und dieser Aufenthalt im Ausland (1789–91) förderte nicht nur seine geistige Entwickelung, sondern schützte ihn persönlich auch vor der großen Gefahr, das alsbald über seine Moskauer Freunde hereinbrechende Schicksal teilen zu müssen. Katharinas früheres pseudoliberales System verwandelte sich in ein streng repressives; die früher von ihr geförderten Privatdruckereien wurden 1796 geschlossen, die Einfuhr ausländischer Bücher untersagt und geistliche und weltliche Zensur eingerichtet. Die Nowikowsche Gesellschaft war schon vorher aufgehoben, Nowikow selbst 1792 eingekerkert worden. Sogleich nach der Rückkehr von seiner Reise veröffentlichte Karamsin 1791–92 seine berühmten »Briefe eines russischen Reisenden«. Bis dahin kannte man die europäischen Verhältnisse nur aus mangelhaft übersetzten Büchern, und hielt sich für europäisch gebildet, wenn man die Franzosen in ihrer Kleidung und pseudoklassischen Literatur nachäffte. Jetzt führte Karamsin in seinen Briefen Natur und Gesellschaft des Westens den Russen in treuen und lebensvollen Schilderungen vor. Dabei war seine Sprache leicht und gefällig, glücklich kontrastierend mit der noch immer stark kirchenslawisch gefärbten, schwerfälligen Schriftsprache. Auch gründete Karamsin eine Monatsschrift: »Vêstnik Jevropy« (»Der europäische Bote«), in der er literarwissenschaftliche Mitteilungen machte und fortfuhr, seine Landsleute zu belehren. Übrigens bildete sich eine starke konservative Partei gegen ihn mit Schischkow, dem Präsidenten der Akademie, an der Spitze, und es entbrannte ein Kampf, an dem sich alles beteiligte, in dem aber doch alle frischen Kräfte auf der Seite Karamsins standen. Durch letztern wurden die sentimentale Dichtung und das bürgerliche Drama in Rußland eingeführt und der Kampf gegen den Pseudoklassizismus eröffnet mit seiner rührsamen Novelle »Bêdnaja Liza« (»Die arme Lisa«). In ihm erhielt Rußland auch einen Geschichtschreiber, der zuerst die ganze Geschichte des Reiches nach den Quellen bearbeitete (vgl. unten). Der Schwerpunkt seiner literarischen Tätigkeit fällt in die Regierungsjahre Kaiser Alexanders I. und somit bereits in das 19. Jahrh. Karamsin zur Seite stand sein Jugendfreund Iwan Dmitrijew (1760–1837), der mit seinem Vorgänger Iwan Chemnitzer (1745–84) als Vorläufer Krylows (s. unten) in der Fabeldichtung zu betrachten ist. Als Tragödiendichter ist Oserow (1770–1816) zu nennen, der seine Helden französisch drapierte, wenn er auch hier und da zu deutschen und englischen Mustern griff. Als Dichter ungleich höher als Karamsin steht sein jüngerer Zeitgenosse Waßilij Shukowskij (1783–1852), der wie dieser die sentimentale Dichtung, so seinerseits die Romantik in Rußland einführte. Hat er auch, in das Studium der deutschen und englischen Dichter versunken, mehr diese übersetzt als selbständig gedichtet, so verstand er doch überall sein persönliches Denken und Fühlen mit hinein zu verweben.

Das 10. Jahrhundert.

Die Napoleonischen Kriege hatten auch in Rußland eine für das Nationalbewußtsein fördernde Wirkung; namentlich war der Zug des russischen Heeres bis nach Paris von großem Einfluß auf die bedeutende Zahl von gebildeten Russen, die bei der Armee standen. Die empfängliche Jugend kam mit neuem, von Humanität, Bildung und Freiheitsliebe erfülltem Geist ins Vaterland zurück und beeilte sich, durch dichterische Ergüsse und literarisches Wirken ihrem Herzen Luft zu machen. Kaiser Alexander I., bei seinem Regierungsantritt selbst liberal gestimmt, begrüßte mit Freuden die Freiheitsgedanken, die sich in der Literatur kundgaben. Die begeisterten, von Freiheit und Fortschritt träumenden Männer bildeten Vereine und griffen in alle Gebiete der ethischen und sozialpolitischen Interessen ein. Der Dichter Rylejew (1795–1826) gab diesen Bestrebungen den eigentlichen poetischen Ausdruck. Allein mit der bald eintretenden krassen Reaktion stieg die Unzufriedenheit. Bereits begann jetzt der Kampf der Regierung mit den Neuerern, und nach der mißlungenen Revolte bei der Thronbesteigung des Kaisers Nikolaus trat bald die allgemeine Verfolgung ein. Rylejew starb durch den Strang, A. A. Bestushew (Pseudonym Marlinskij, 1797–1837), Fürst A. J. Odojewskij u.a. endigten ihr Leben in der Verbannung in den Bergwerken Sibiriens oder im Kaukasus, zu gemeinen Soldaten degradiert. Neben der himmelstürmenden romantischen Muse Shukowskijs ertönte die klangvolle Leier des genußsüchtigen, mehr realistischen Batjuschkow (1787–1855), der nach der Rückkehr mit der siegreichen Armee aus Westeuropa, in seinem Vaterland schwer enttäuscht, dem Irrsinn anheimfiel. Zu erwähnen sind noch Iwan Koslow (1779–1840), der blinde Dichter des »Mönchs«, A. F. Wojejkow (1778–1839), der Verfasser der Satire »Das Irrenhaus«, Iwan Gneditsch (1784–1833), der Übersetzer der »Ilias«, besonders hervorzuheben aber Iwan Krylow (1768–1844), der erste rein volkstümliche Dichter, in dessen Fabeln sich der nationale Humor abspiegelt, und der an poetischem Wert alle europäischen Fabeldichter überflügelt, Lafontaine nicht ausgenommen.

Diese Männer ebneten Alexander Puschkin (1799 bis 1837), dem größten russischen Dichter, den Weg; mit ihm beginnt die Periode der neuern Literatur Rußlands. Puschkin trat zuerst als Romantiker auf. Die Napoleonischen Kriege gaben ihm Gelegenheit, patriotische Lieder anzustimmen, die er Shukowskij nachdichtete. Kaum dem Knabenalter entwachsen, schrieb er seine »Ode auf die Freiheit«, die damals vom Kaiser Alexander mit Wohlwollen aufgenommen, später aber streng verboten ward. Schon einige Jahre darauf, nach den Kongressen von Aachen (1818), Troppau und Laibach, trat die Reaktion ein, und Puschkin, der sich inzwischen durch das romantische Poem »Rußlan und Ludmilla« wie durch Freiheitslieder und wohlgezielte Epigramme einen Namen erworben hatte, entging nur durch die Verwendung einflußreicher Männer der Verbannung nach Sibirien. Er wurde zuerst nach dem Süden, dann auf sein Landgut verwiesen und unter polizeiliche Aussicht gestellt. Hier in der Einsamkeit reisten seine besten Werke. Er entsagte der Romantik; der lebensmüde Byronismus erfaßte ihn, aus dem er jedoch durch die immer größer werdende Fühlung mit den Strömungen nationaler Bewegungen gerettet wurde. Gerade um jene Zeit sing man an, sich mehr mit der Volksdichtung zu beschäftigen. Die aufgefundene Sammlung der epischen Volkslieder (Bylinen, s. d.) von K. Danilow (hrsg. von Kalajdowitsch, 1818; über die spätern Sammlungen s. daselbst) erregte die Aufmerksamkeit der aufgeklärtern Forscher und Dichter. Das bis dahin vernachlässigte Element der Volksdichtung übte nunmehr seinen Einfluß auch auf die russische Kunstliteratur und gab ihr zuerst durch Puschkin und die ihn umgebenden Dichter neue Kraft und eine neue Richtung. Jetzt erst verdient die r. L. den Namen einer nationalen. Seit dieser Zeit versuchen Geist und Talent der besten Dichter und Prosaiker die Strömungen des nationalen Wesens mit den vom Westen hereingedrungenen auszugleichen. Sie sind bestrebt, das Ideal eines den Erfordernissen Rußlands angemessenen Charakters zu zeichnen, und zwar suchen die einen das Ziel mehr durch Anlehnung an die westeuropäischen Literaturen zu erreichen, die andern, indem sie sich streng an das Nationale halten, das jeder nach seiner Art zu formulieren sucht. Auf diesem Weg entstanden die zwei Hauptparteien der neuen russischen Literatur: die der Slawophilen und die der Westlinge (Zapadniki, spr. sápadniki), welche die große Masse der lesenden Kreise in zwei Lager teilen. Schon in Puschkins poetischer Erzählung »Rußlan und Ludmilla« tritt deutlich das Streben hervor, die ausländische Romantik mit dem einheimischen Volkstümlichen zu verbinden. Dann tritt in seinen nächsten größern Dichtungen (»Der Gefangene im Kaukasus«, 1821; »Der Springbrunnen von Bachtschißaraj«, 1822; »Die Zigeuner«, 1824) an die Stelle des Romantischen der Byronismus, bis endlich sein nationaler Roman in Versen: »Eugen Onegin« (1823–31), folgt, in dem zuerst wohl noch der Einfluß Byrons zu bemerken ist, bald aber unter den volkstümlichen Szenen und Naturschilderungen verschwindet, und in dessen Helden sich alle Mängel und Vorzüge der auf dem Boden der damaligen russischen Gesellschaft zur Entwickelung gekommenen Eigenheiten klar abspiegeln. Bevor noch das Werk im Druck erschien, hatte sich handschriftlich die von der Zensur unterdrückte Komödie »Gore ot uma« (»Das Unglück, klug zu sein«) von Gribojedow (1793–1829) verbreitet, in welcher der aus Westeuropa zurückkehrende Tschatzkij vergebens versucht, das ethische Niveau der Gesellschaft zu heben, ja für politisch gefährlich und schließlich für wahnsinnig erklärt wird. Die Konzeptionen der bessern Werke Puschkins oder ihre Vollendung fallen in das Jahr 1825, so außer einer Masse von lyrischen Gedichten auch »Boris Godunow«, ein national-historisches Drama. Von Kaiser Nikolaus an den Hof gezogen, erhielt Puschkin, der auch mehrere Prosanovellen veröffentlichte (»Die Hauptmannstochter«, »Dubrowskij« etc.) hier unter anderm den Auftrag, die »Geschichte des Pugatschewschen Aufstandes« zu schreiben (gedruckt Petersb. 1834) und fiel dann bald danach, kaum 38 Jahre alt, in einem Duell.

Um Puschkin bildete sich ein ganzer Kreis von Dichtern, aus dem Baratynskij (1800–44), Jasykow (1803–47) und Delwig (1798–1831) hervorragen; auch gehören hierher: der früh verstorbene Dmitrij Wenewitinow (1805–27) und der unglückliche Poleshajew (1810–38). Es ist die Lyrik der Verzweiflung, die letzterer anstimmt; die Zensur lastete wie ein schrecklicher Alp auf den Geistesprodukten, Wissenschaft und Bildung wurden unter die Polizei gestellt, die Zahl der Studierenden ward begrenzt, die Philosophie ganz aus dem Kreis der Lehrgegenstände verbannt, in den Geschichtsbüchern die Zeit der französischen Revolution gestrichen, jede Beziehung mit dem Auslande möglichst erschwert und fast alles Gedruckte an zwei Journalisten, Bulgarin und Gretsch, die in Petersburg die »Severnaja Pčela« (»Die nordische Biene«) herausgaben, gleichsam verpachtet. Aber aller Hindernisse ungeachtet brach sich die Kulturbewegung Bahn. Nicht wenig Verdienst ist dem Publizisten N. A. Polewoj (1796–1846) zuzuschreiben, wenn er auch schließlich doch von der Autokratie gebeugt und gebrochen wurde. Das geistige Leben zog sich in den 1840er Jahren in die moskauischen Kreise zurück, wo es sich fern von dem Petersburger Zentralismus und Bureaukratismus freier bewegen konnte. Junge Leute, von denen viele auf deutschen Universitäten studiert hatten, brachten die Liebe zur Beschäftigung mit der Philosophie (Schelling, Fichte und besonders Hegel) mit nach Hause. In diesen Kreisen kam die eigentliche Teilung in Slawophilen und Westlinge zur Geltung. Die einen wie die andern befleißigten sich, eine soziale Reformation der gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse hervorzurufen: die einen auf nationalem Boden, auf Grund philosophischer, kirchlicher und geschichtlicher traumhafter Prinzipien, die andern, indem sie mehr die sozialpolitischen Fragen betonten, deren Klärung sie in den westeuropäischen Schriften suchten. Zu den erstern gehören der Dichter Chomjakow (1804–60), der eigentliche Vater des Slawophilentums, rein in seinen Bestrebungen, aber, von Humanität und Patriotismus hingerissen, optimistisch einseitig, Sergej Aksakow (1791–1859; sein Hauptwerk ist die »Familienchronik«, eine patriarchalische Schilderung des russischen Familienlebens) nebst seinen Söhnen Konstantin (1817–60) und Iwan (1823–86) sowie Peter Kirejewskij (1808–56), der emsige Sammler russischer Volkslieder, und sein Bruder Iwan (1806 bis 1856). Zu der Partei der Westlinge gehörten: Alexander Herzen (Pseudonym Iskander, 1812–1870), Nikolaj Ogarew (1813–77) und vor allen der auf die Entwickelung der russischen Gesellschaft und Literatur überaus einflußreiche Kritiker Belinskij (1811–48). Letzterer verstand es, jedes neu erscheinende Werk nicht bloß von dem Standpunkt der ästhetischen Kritik aus zu beurteilen, sondern auch seinen Zusammenhang mit den Lebenserscheinungen zu zeigen, so daß er mit seinem Worte trotz der Zensur tief eingriff und als Erzieher der Gesellschaft im höhern Sinne des Wortes erscheint. Auch auf manches schriftstellerische Talent machte er zuerst aufmerksam, so auf Alexej Kolzow (1809–42), den Dichter inniger Lieder, die zum Teil vom Volke gesungen werden, ohne daß es den Verfasser kennt.

Neben Puschkin steht der feurige, groß angelegte, leider schon im 27. Lebensjahr in einem Duell gefallene Michail Lermontow (1814–41). Nach Puschkins Tode stellte er sich sofort auf die Seite derjenigen, die, eine böse Intrige erkennend, Bestrafung der Schuldigen verlangten (vgl. sein Gedicht »Am Grabe Puschkins«). Der Zar verbannte ihn nach dem Kaukasus, und der Druck seiner Gedichte ward verboten, so daß nur mit großer Mühe und ohne den Namen des Verfassers das »Lied vom Zaren Iwan Wasiljewitsch« veröffentlicht werden konnte. Lermontows ganzes Dichten und Trachten war Opposition gegen das herrschende System der Regierung, gegen den herrschenden Ton und die Ideale der Gesellschaft; er ist daher auch ein rein subjektiver Dichter, so auch in seinem in unübertroffener Prosa geschriebenen Roman: »Der Held unsrer Zeit«. Etwas später (1843) erschien Herzens Roman »Wer ist schuld?«, in dem der Held Beltow, der vergebens nach einer größern sozialpolitischen Tätigkeit strebt, Rußland verläßt und sich den Leidenschaften und, trotz seiner demokratischen Gesinnungen, dem vornehmen Müßiggang ergibt. Um dieselbe Zeit tritt der größte der russischen Humoristen, Nikolaj Gogol (1809–52), mit seinen Erzählungen und Theaterstücken auf. Die vier eben erwähnten Dichter berühren in ihren Schilderungen mehr die gebildeten oder höhern Kreise; Gogol aber führt den Leser in alle Schichten der Gesellschaft, und voll Schmerz über ihren jammererweckenden moralischen Zustand trifft er sie mit der Geißel seines Spottes. Seinem unvergleichlichen Humor läßt er die Zügel schießen, und mit Wehmut betrachtet er seine Typen, an denen er immer noch das rein Menschliche herauszufinden weiß, um den denkenden Leser nicht verzweifeln zu lassen. Dies gilt namentlich von dem größten Werke Gogols, dem unvollendet gebliebenen Roman »Die toten Seelen«. In seinen Novellen zeichnet Gogol öfters das Volksleben Kleinrußlands mit anmutigem Humor. Seine Komödien, namentlich »Der Revisor«, worin er das russische Beamtenwesen geißelt, sind unübertroffen geblieben. Gogols Schreibart ist ganz realistisch, der kleinste Zug ist aus dem Leben gegriffen, und ihm folgen darin alle spätern Romanschriftsteller. Er gilt als das Haupt der »Enthüllungsliteratur« (obličitel'naja literatura, d.h. der Literatur, welche die Mängel der Gesellschaft aufdeckt), obwohl bei ihm ein ideales Streben nicht abzuleugnen ist. Wir erwähnen nur kurz die weniger bedeutenden Dichter und Erzähler: Benediktow, Gräfin Rostoptschin, Fürst Wjasemskij, Graf Sollogub (vortreffliche Erzählungen, z. B. »Geschichte zweier Galoschen«, »Der Tarantas«), A. W. Drushinin (»Paulinchen Sachs«) und die Vertreter des historischen Romans, Sagoskin (»Jurij Miloslawskij«), Lashetschnikow (»Der Basurman«, »Der Eispalast«) und Masalskij (»Die Strelitzen«, »Die Regentschaft Birons«).

Zu Ende der 40er Jahre, mit den revolutionären Bewegungen in Westeuropa, wurde die Reaktion noch stärker, und die Zensur schlug die Literatur vollends in Banden. Da kam der Krimkrieg, und das Unglück öffnete endlich die Augen. Herzen gab im Ausland seine Zeitschrift »Kolokol« (»Die Glocke«) heraus, die Gesellschaft aus dem Schlafe läutend. Das alte System brach zusammen, und mit der neuen Regierung kam die Befreiung der Leibeignen und die Justizreform. Das lange hart geknebelte Rußland atmete tief auf; alle Fragen des sozialen und politischen Lebens wurden berührt. Man lebte wie im Fieber, und wie in den Zeiten einer Revolution machte man schnell alle Phasen der Entwickelung durch. Voran ging die Literatur, die Tendenzen und Bestrebungen formulierend, ihnen den Namen gebend und Typen zeichnend, die dann im Leben vorkommenden Charakteren Abrundung und ganzen Parteien ihre Benennung verliehen. Vor allen sind es Turgenjew und Gontscharow, an deren Romanen, in chronologischer Reihenfolge gelesen, man die Geschichte der innern Entwickelung der Gesellschaft studieren kann. Iwan Turgenjew (1818–83) begründete seinen Ruhm mit dem »Tagebuch eines Jägers« (1847–51), in dem er in kleinen trefflichen Erzählungen Land und Leute schildert. Dann folgte der Roman »Rudin« (1855), worin er einen talentvollen, strebsamen Mann vorführt, der aber für seine Tätigkeit keinen Boden findet, an Energielosigkeit leidet und schließlich in Frankreich als Barrikadenkämpfer seinen Tod findet. Wenige Jahre später erscheint das »Adlige Nest«. Der Held, Lawretzkij, ist eine gebrochene edle Natur, die, ihrer Schwachheit sich wohl bewußt, Kraft und Gelingen von den Bestrebungen der aufwachsenden Jugend erwartet. Im folgenden Roman: »Am Vorabend« (geschrieben 1859), stehen wir wirklich am Vorabend der Zeit, wo die tatkräftigen Männer erscheinen sollen. Mit Spannung erwartete man das nun folgende Werk »Väter und Söhne« (1861). Der schnelle Entwickelungsprozeß, der sich in der Gesellschaft vollzog, hatte eiligst die alten Ideale eins nach dem andern zur Seite geräumt; die Formen und Begriffe wurden scharfer Kritik unterworfen und für unhaltbar, und zugleich jede Autorität, die auf dem Hergebrachten beruht, für Vorurteil erklärt. Basarow, der Held des letztgenannten Romans, erklärt sich selbst für einen »Nihilisten«. Dieser Name kommt hier zuerst auf und ward zum Wahlspruch der Jugend, die, Basarow nachahmend, ihn an der Hand des Kritikers und Publizisten Pißarew (1841–68) an Schroffheit noch überflügelte und nicht einmal seine Kenntnisse besaß. In voller Verzweiflung schrieb Turgenjew 1867 seinen Roman »Rauch«, worin er Väter und Söhne, alle Parteien und Schichten der gebildeten Gesellschaft für bankrott erklärt, und erst 1876, nachdem er wieder Gelegenheit gehabt, in Rußland selbst Beobachtungen anzustellen, schrieb er seinen letzten Roman: »Neuland«, ein farbenreiches Gemälde der Ideen und der Agitation der russischen Sozialisten, zugleich aber auch ein düsteres Bild der innern Zustände Rußlands.

Dieselben Fragen berührt der nicht weniger verdiente und talentvolle Romanschriftsteller Iwan Gontscharow (1813–91; »Eine alltägliche Geschichte«, »Oblomow«, »Der Absturz« etc.), neben dem noch Alexej Pißemskij (1820–81) genannt sei, der das Alltagsleben mit groben, aber lebensvollen Zügen darstellt (»Tausend Seelen«). Als Kritiker und Publizisten sind als Belinskijs Nachfolger zu nennen: Dobroljubow (1836–61), A. Grigorjew (1825 bis 1864), der schon genannte Pißarew und der 1864–83 in der Verbannung in Sibirien lebende Nikolaj Tschernyschewskij (1828–89), dessen einflußreiche publizistische Tätigkeit durch den stark nihilistisch gehaltenen Tendenzroman: »Was tun?« (1863), einen Abschluß fand. Die moderne tendenziöse Richtung fand ihren Hauptdichter in Nikolaj A. Nekrassow (1821–78); er schrieb meist Gedichte lyrisch-satirischen Inhalts. Ihm zur Seite steht als Satiriker in Prosa Michail Saltykow (Pseudonym Schtschedrin, 1826–89), der mit den »Bildern aus der Provinz« seinen Ruf begründete. Ein hervorragender kleinrussischer Lyriker, Taras Schewtschenko (1814 bis 1861), sang in schwermütigen Tönen das Leid der Bedrückten und schmachtete in jahrelanger Kerkerhaft. Das Leid der Bedrückten lernte auch der 1849 zu den Bergwerken Sibiriens verurteilte und erst zu Anfang der Regierung Alexanders 11. begnadigte Fjodor Dostojewskij (1821–81) kennen, der in den »Memoiren aus dem toten Haus« (d.h. dem Zwangsarbeitshaus, 1860) seine Erlebnisse und Beobachtungen in Sibirien ergreifend schildert und dann in dem Roman »Verbrechen und Strafe« ein großartiges, erschütterndes Bild sozialer Fäulnis entwirft.

Von Erzählern sind außerdem zu erwähnen: die Vertreter der russischen Dorfgeschichte, wie W. Dal (Pseudonym Kosak Luganskij, 1801–72), Dmitrij Grigorowitsch (1822–1900; »Das Dorf«, »Die Fischer«, »Die Übergesiedelten«), die kleinrussische Schriftstellerin M. A. Markowitsch (Pseudonym Marko-Wowtschok), der schon oben genannte PißemskijRübezahl«, »Die Tischlerzunft«) und Alexej Potjechin (geb. 1829; »Ein Blitzmädel«, »Ums Geld«); ferner P. J. Iakuschkin (1820–72), W. A. Slepzow (1836–78), G. J. Lewitow (1842–77) und N. J. Naumow (geb. 1838); alsdann die Verfasser volkstümlicher Kulturgemälde, die sehr oft vom höchsten ethnographischen Wert sind, wie F. Reschetnikow (1841–71; »Die Podlipowzer«), N. Leskow (Pseudonym Stebnitzkij, 1831–95), der namentlich gelungene Typen der russischen Geistlichkeit vorführt, E. Markow (»Schwarzerdige Felder«), Pawel F. Melnikow (Pseudonym A. Petscherskij, 1819–83), der in seinen Romanen: »In den Wäldern« und »Auf den Bergen« ein großartiges Gemälde von den Sitten der russischen Sektierer (Raskolniken) an der Wolga entwirft, S. Maximow (geb. 1831, »Ein Jahr im Norden«) und Grig. P. Danilewskij (1829–90), der sich später dem rein historischen Roman zuwandte; die Schilderer des russischen Proletariats: Nikolaj G. Pomjalowskij (1835–63), Gleb J. Uspenskij (1840–1902) und Wsewolod W. Krestowskij (geb. 1840), der Verfasser der »Petersburger Geheimnisse«, endlich als Verfasser von historischen Romanen N. J. Kostomarow (1817 bis 1885, »Kudejar«), Alexej Tolstoi (s. unten), D. L. Mordowzow (»Idealisten und Realisten«), Graf E. A. Salias (geb. 1841, »Die Pugatschewzen«) u.a. Alle die Genannten aber werden weit überragt vom Grafen Lew Tolstoi (geb. 1828, s. d.), der sich in erster Linie durch die beiden großen Romane: »Krieg und Frieden« und »Anna Karenina« einen Ehrenplatz in der russischen Literatur erworben hat. Aus der neuesten Zeit sind anzuführen: N. D. Achscharumow (Intrigenromane), A. Michajlow-SchellerBrot und Schauspiele«), P. D. Boborykin (»Kitaj Gorod«), der talentvolle W. Garschin (1855 bis 1888), K. S. Baranzewitsch, M. N. Albow, ein ausgeprägter Schüler Dostojewskijs, Nemirowitsch-Dantschenko (Reiseschilderungen) und vor allen A. Tschechow sowie neuerdings L. Andrejew; ferner als die jüngsten Darsteller des Volkslebens A. Örtel, I. Salow, Mamin (Pseudonym Sibirjak) und besonders W. Korolenko sowie der durch seine Schilderungen des Lebens der »Barfüßer« in kurzer Zeit so berühmt gewordene Maxim Gorkij; von Schriftstellerinnen, außer Nadjeshda Chwoschtschinskaja (Pseudonym W. Krestowskij, 1825–89), welche die r. L. mit zahlreichen Romanen und Novellen von höchst sympathischer Tendenz und ausgezeichneter Darstellung (»Die Begegnung«, »Der Bariton« etc.) bereichert hat, namentlich W. J. Dmitrijewa, Olga Schapir und Marie Krestowskaja, Tochter des erwähnten W. Krestowskij.

Von den Lyrikern nach Nekrassow (s. oben) ist vor allen Apollon Majkow (1821–97), ein Dichter von höchster Formvollendung, aber auch im epischen Gedicht und im Drama (s. unten) ausgezeichnet, daneben als gleich große Meister der Form N. F. Schtscherbina (1821–69) und Afanaßij A. Schenschin (Fet, 1820–92) namhaft zu machen, letzterer ein Sänger der Liebe und NaturAbende und Nächte«) ohne Spur von einer Tendenz. Ferner die melancholisch gestimmten Dichter Jakow P. Polonskij (1820 bis 1898) und A. Pleschtschejew (geb. 1825); der Natur- und Volksdichter Iwan S. Nikitin (1824–1861); J. Surikow (gest. 1880) und S. Droshshin; A. M. Shemtschushnikow; der kunstsinnige Graf Alexej Tolstoi (1818–75), der auch im RomanFürst Serebrjanyj«) und im Drama (s. unten) Ausgezeichnetes leistete, und der ebenfalls noch als Dramatiker zu nennende Lew Mey (1822–62); endlich die Slawophilen Fjodor J. Tjuttschew (1803–1873), ein sinniger Naturmaler, und Iwan Aksakow (s. oben). Auch Turgenjew hat vorzügliche lyrische Dichtungen hinterlassen. Als lyrische Dichter der neuesten Zeit sind zu nennen: der pessimistisch gestimmte S. J. Nadson (1862–87), A. N. Apuchtin (geb. 1841), S. G. Frug (geb. 1860), K. M. Fofanow (geb. 1862), D. S. Mereshkowskij (geb. 1865), ferner N. M. Wilenkin (Pseudonym Minskij), Graf A. Golenischtschew-Kutusow, S. A. Andrejewskij, P. A. Koslow, Fürst D. Zertelew, K. Balmont, Jakubowitsch u.a.

Auf dramatischem Gebiete haben sich namentlich der sehr fruchtbare A. N. Ostrowskij (1823–1886) sowohl im Lustspiel als im ernsten Volksdrama und der schon genannte PißemskijBitteres Los«) hervorgetan. Das tendenziöse Gesellschaftsdrama wurde besonders von Suchowo-Kobylin, N. Ljow und Alexej Potjechin sowie auch von J. Turgenjew, ferner von N. Potjechin und N. J. Solowjew mit Erfolg kultiviert. Das historische Drama fand talentvolle Pfleger (außer Ostrowskij, der »dramatische Chroniken« lieferte) in Lew Mey (s. oben) und namentlich im Grafen Alexej Tolstoi (s. oben; »Don Juan« und die Trilogie »Der Tod Iwans des Schrecklichen«, »Zar Fjodor Joannowitsch« und »Zar Boris«). Auch ist noch der hochpoetischen lyrischen Dramen A. Majkows: »Drei Tode« und »Zwei Welten«, in welch letzterm der Kampf der griechischrömischen Welt mit der christlichen und der Sieg der letztern dargestellt wird, mit Auszeichnung zu gedenken. Endlich mögen noch als Dramatiker erwähnt werden A. J. Palm (1823–85), V. A. Krylow (Pseudonym W. Alexandrow) und D. W. Awerkijew (geb. 1836). Auch durch Ausführung im Ausland bekannt geworden sind in allerneuester Zeit L. Tolstois »Macht der Finsternis« sowie Gorkijs »Nachtasyl« und »Kinder der Sonne«.

Sehr reich ist die Übersetzungsliteratur. Im 18. Jahrh. waren es hauptsächlich Tredjakowskij und Lomonossow, daneben Iljinskij, Popowski, Woltschkow, Kosickij, Jelagin u.a., die dem russischen Publikum die Alten, die italienischen Epiker, die französischen, englischen und deutschen Dramatiker und Prosaisten zugänglich machten. Aus der spätern Zeit sind als hervorragende Übersetzer zu nennen: Podschiwalow (deutsche und französische Autoren), GneditschIlias«, »König Lear«), Sandunow (Schillers »Räuber«), Fet (Horaz, Juvenal, Goethes »Faust«), Pleschtschejew (Lenau, Hebbel, Alfieri, Byron), F. B. Müller (Shakespeare), Min (Dante), M. Michajlow (Heine), Michalowski (Byron), A. A. Sokolowskij, Jurjew (Shakespeare), Kurotschkin, Minajew, Gerbel, Weinberg (Heine), Großfürst Konstantin (Hamlet) u.a.

Die wissenschaftliche Literatur.

In der wissenschaftlichen Literatur der Russen ist das Gebiet der Geschichte am reichsten angebaut. Hier gibt es Reichsannalen, Jahrbücher, Chroniken, die man besonders in Klöstern, Archiven, selbst in Privatbibliotheken findet; doch sind die meisten nur im Manuskript vorhanden, und im Kriege von 1812 sind ihrer viele verloren gegangen. Der angebliche Vater der Geschichte ist Nestor (gest. um 1114; s. S. 280); seine »Russische Chronik« setzten Sylvester, Timofej u.a. fort. Ein zweiter Annalist zu Ende des 11. Jahrh., Waßilij, ergänzte stellenweise Nestors Annalen und berücksichtigte auch die Geschichte des südwestlichen Rußland. Vom Anfang des 13. Jahrh. bis 1630 gibt es mehrere Spezialchroniken, die man Nestor-Chroniken nennt, weil in ihnen zuerst Nestors Annalen aufgenommen sind, woran dann die Verfasser (Mönche) die Geschichte ihrer Zeit gereiht haben. Unter Iwan Wasiljewitsch wurden diese Chronographen sehr beengt, unter Alexej Michailowitsch verstummten sie ganz. An sie reihen sich die »Stufenbücher«, d.h. Auszüge aus Jahrbüchern, geordnet nach den Stufen (Verwandtschaftsgraden) der Fürsten, größtenteils unter Iwan Wasiljewitsch geschrieben (hrsg. von Müller, Mosk. 1775, 2 Bde.). Auch die Lebensgeschichten mehrerer Kirchenväter (Paterikon, seit 1661 oft gedruckt) und Heiligen (von Makarij gesammelt, seit 1689 oft gedruckt) gehören hierher. Wichtiger aber als alle diese Schriften wurden Tatischtschews Geschichtswerk über Rußland (bis 1462, nach des Verfassers Tod herausgegeben, Mosk. 1764 u. 1768) und Schtscherbatows »Russische Geschichte« (bis 1610, Petersb. 1770–91, 7 Bde.), wozu noch, als des letztern Gegner, Iwan Boltin mit seinen »Bemerkungen zu Leclercqs russischer Geschichte« (1788) kommt. Auch Lomonossow schrieb ein kurzgefaßtes Jahrbuch der russischen Geschichte und Rußlands alte Geschichte bis 1054. Der erste aber, welcher der russischen Geschichte eine literarische Form zu geben wußte, war Karamsin (1765–1826), dessen großes Geschichtswerk (12 Bde.) bis 1612 geht. Seinem Gegner, M. T. Katschenowskij, der die russische Geschichte bis zum 14. Jahrh. für historisch unglaubwürdig erklärte, trat M. P. Pogodin (gest. 1875) entgegen. Karamsin folgten N. A. Polewoj (vgl. oben), S. M. Solowjew (gest. 1879) mit seiner »Geschichte Rußlands« (bis auf Katharina II.) in 29 Bänden (1851–75) und N. Kostomarow (gest. 1885) mit einer »Geschichte Rußlands in Biographien« (2 Bde.) und »Historischen Monographien« (1851 ff. 13 Bde.). Auch Ustrjalow (gest. 1870) schrieb eine »Geschichte Rußlands«, dazu eine umfangreiche, aber unvollendet gebliebene Biographie Peters d. Gr., beide durch Schönfärberei ausgezeichnet. Die Frage über den Ursprung der Russen erörterten Ilowajskij, Sabelin, Bestushew-Rjumin. Die Geschichte Italiens wurde von Kudrjawzew, die europäische und polnische Staatengeschichte von Tratschewskij, N. und A. Popow, Kojalowitsch, die kleinrussische Geschichte von Kulisch, Antonowitsch, Nowickij u.a. behandelt. Bogdanowitsch schrieb über den Krieg von 1812, die Geschichte der Regierung Alexanders 1. und den Krimkrieg. Als Biographen von Staatsmännern glänzen Baron M. Korff (Graf Speranskij), Kowalewskij (Graf Bludow), Sablockij (Graf Kißelew), Kobeko (Cäsarewitsch Paul Petrowitsch) u.a. Die Veröffentlichung historisch wichtiger Chroniken, Aktenstücke, Memoiren etc. hat in den letzten Jahrzehnten einen besondern Aufschwung genommen. Während die zuerst von der Akademie der Wissenschaften in Petersburg begonnene und seit 1834 von der dazu gegründeten Archäographischen Kommission fortgesetzte Publikation solcher Aktenstücke fast ausschließlich den ältern Perioden der russischen Geschichte zugewendet war, sind seit 1855 eine Menge wichtiger historischer Dokumente über die neuere Geschichte Rußlands im Druck erschienen, besonders durch die Bemühungen der dazu in Petersburg gegründeten Russischen Historischen Gesellschaft. Reiches historisches Material enthalten auch die speziell historischen Zeitschriften: »Das russische Archiv«, von Bartenew in Moskau (seit 1866); »Das russische Altertum«, von Semewskij (seit 1870); »Das alte und neue Rußland« (inzwischen eingegangen); »Der historische Bote« (seit 1880) und »Kiewsches Altertum« (seit 1882). Unter den meist erst in der Neuzeit und zum Teil in den genannten Zeitschriften veröffentlichten Memoiren sind die der Fürstin Natalija Dolgorukaja (hrsg. 1867), Schachowskojs (1821), Danilows (1842), ferner der Fürstin Daschkowa (deutsch, Hamb. 1857), Dershawins (1860), Poroschins (1881), besonders aber Chrapowickijs, des Geheimschreibers der Kaiserin Katharina II. (hrsg. 1873), und Bolotows (hrsg. 1870–73) erwähnenswert. Von den Historikern des Auslandes haben die bedeutendsten durch Übersetzung auch in Rußland Eingang gefunden.

Die Geographie und Ethnographie wurde seit Katharina II. bis in die neueste Zeit namentlich durch große Expeditionen gefördert, die alle der Wissenschaft die reichste Ausbeute gewährten. In der neuern Zeit betätigte sich vor allem die Petersburger Geographische Gesellschaft sowie ihre Abteilung in Irkutsk mit statistisch-ethnographischen Expeditionen, von denen die an Ergebnissen wichtigsten die von Tschubinskij (südwestliches Rußland), Middendorf, Fedtschenko (Sibirien), Maak (Amurland, Ussurigebiet), Raade (Kaukasus), Jadrinzew, Potanin, Schtschapow, Prschewalskij, Muschketow, Grum-Grshimajlo, Roborowskij, Pjewzow, Klemens (Mongolei, Tibet), Toll (Polarregionen) u.a. waren. Bemerkenswert sind die hypsometrischen Arbeiten von Tillo. Die vom Generalstab und Ministerium des Innern herausgegebenen ethnographischen und statistischen Werke: »Rußland« (! 871) und »Beschreibung der angesiedelten Gegenden des russischen Reichs« (1861 bis 1875) sind in mancher Beziehung von Bedeutung. Sonst fand die Ethnographie und Statistik Rußlands Bearbeiter an Bunjakowskij, Sablockij-Deßjatowskij, Besobrasow, Buschen, P. v. Köppen, K. Arßenjew, Helmersen, Bloch, Nebolsin, Janson, Tschubinskij, Hagemeister u.a. Von großer Bedeutung sind auch die statistischen Arbeiten der Landschaft (Semstwo) sowie die der amtlichen Statistik in Sibirien. Eine vorzügliche »Geschichte der russischen Ethnographie« schrieb A. Pypin (1890–92, 4 Bde.).

In der Rechtswissenschaft, deren Literatur erst im 19. Jahrh. beginnt, haben sich durch Untersuchungen über die alten politischen und Rechtsinstitutionen verdient gemacht: K. D. Kawelin (»Blick auf das Rechtsleben im alten Rußland«), Leschkow, Beljajew, Kalatschow, Newolin, Tschitscherin, Rjedkin, Sergejewitsch, Leontowitsch, Nikitskij, Wladimirskij-Budanow, Engelmann, Andrejewskij, Pobjedonoszew, Kljutschewskij, A. Gradowskij, W. Semewskij etc. Andre bedeutende Juristen der Gegenwart sind: Pachmann, Foinickij, Koni, Arßenjew, Spasowicz, Martens. Rechtsgeschichtliche Werke lieferten Tschitscherin (über die unfreien Klassen im alten Rußland), Romanowitsch-Slawatinskij (über den russischen Adel), W. Semewskij (über die Bauern zur Zeit Katharinas II.), Fürst Waßiljtschikow (über Grundbesitz und Ackerbau), N. Semenow und Skrebickij (über die Geschichte der Emanzipation). Auch das volkstümliche Gewohnheitsrecht fand Bearbeiter (A. Jefimenko). Auf nationalökonomischem Gebiete waren besonders der schon oben (S. 284) genannte N. G. Tschernyschewskij und N. Michajlowskij von einflußreicher Tätigkeit. – In der Philosophie sind die Russen nie aus dem Eklektizismus herausgekommen; sie haben sich an die Systeme der ausländischen, vorzugsweise der deutschen, Philosophen angelehnt. Durch Karpow (gest. 1867) wurde den Russen auch die nähere Bekanntschaft mit den griechischen Denkern vermittelt. S. S. Gogockij gab ein philosophisches Lexikon (1859 bis 1861, 2 Bde.) heraus; die Geschichte der Philosophie behandelten M. Katkow, Troickij, M. Stasjulewitsch, in neuester Zeit Smirnow, Karejew, De Roberti u.a. Einen Versuch selbständiger Entwickelung logischer Begriffe auf Kantischer Grundlage machte W. S. SolowjewKritik der abstrakten Prinzipien«). Für die Psychologie, besonders in ihrer Anwendung auf die Pädagogik, sind wichtig die Schriften Uschinskijs und des Chirurgen Pirogow, für die Volkserziehung die Arbeiten des Barons N. A. Korff. Auch die philosophischen Hauptwerke des Auslandes sind ins Russische übersetzt und entsprechend kommentiert worden. – Von einer theologischen Wissenschaft kann in einem Land, wo jede selbständige Reflexion über die Glaubenslehre und jede freie Auslegung verboten sind, kaum die Rede sein, wenn auch die Zahl der theologischen Bücher ziemlich groß ist. Die Geschichte der russischen Kirche behandelten hauptsächlich Golubinskij (1880, 2. Aufl. 1904 ff.). und der Erzbischof Makarij (Bulgakow, gest. 1882), welch letzterer auch ein Lehrbuch der »Orthodor-dogmatischen Theologie« veröffentlichte. Große Wirkung übten in den 50er Jahren des 19. Jahrh. die theologischen Schriften des Dichters Chomjakow (vgl. oben), welcher der absterbenden romanogermanischen Welt die griechischslawische Weltidee gegenüberstellte, und in der neuesten Zeit erregten allgemeines Aufsehen die religiösmoralischen Schriften des Grafen L Tolstoi (»Worin besteht mein Glaube?« u.a.), der mit Wärme und Beredsamkeit für eine gereinigte Religion, ein demokratisches Urchristentum auftritt. – Die Naturwissenschaften finden in Rußland, nachdem sie früher besonders durch dorthin berufene deutsche Gelehrte, wie den Zoologen Pallas, die Botaniker Gärtner, Fischer von Waldheim und Regel, die Astronomen Mädler und Struve u.a., emporgebracht wurden, in neuester Zeit die eifrigste Pflege. Wir erinnern an die Botaniker Elenkowskij, N. Turtschaninow, Maximowitsch, Bunge etc.; die Zoologen E. v. Baer, Malmgren, Brandt, Middendorf, Metschnikow, die Brüder A. und W. Kowalewskij u.a.; die Geologen und Mineralogen Sokolow, Kutorga, Kotscharow, Inostranzew, Schtschurowskij, Dokutschajew etc. Besondere Berühmtheit hat in der Chemie Mendelejew und in der Medizin der Chirurg Nikolaj Pirogow erlangt. In der Mathematik taten sich hervor: Simonow, Lobatschewskij, Ostrogradskij, Tschebyschew, Bunjakowskij, Frau Sonja Kowalewskij u.a. Für Astronomie sind hauptsächlich die Leistungen der 1834 gegründeten Sternwarte zu Pulkow hervorzuheben, die durch W. und O. Struve weltberühmt geworden ist.

Auf dem Gebiete der Sprachwissenschaft und der Literaturgeschichte sind namhafte Leistungen zu verzeichnen. Um die Kenntnis der orientalischen Sprachen machten sich besonders verdient: Bitschurin (1772–1847), Saweljew, Grigorjew, Beresin, Chwolson, Waßiljew, Weljaninow-Sernow, Baron Rosen, Ilminskij, Harkavy. Der Familie der finnischen Sprachen waren die Arbeiten von Sjögren, Castrén, Schiefner, Saraitow, Radlow gewidmet, den kaukasischen und sibirischen Sprachen die von Schmidt, Baron Uslar, Tschubinow u.a. Auf dem Gebiete der russischen Sprache, resp. der slawischen Sprachen im allgemeinen waren tätig: A. G. Wostokow, der Vater der slawisch-russischen Philologie (gest. 1864), Pawskij, Biljarskij, Bußlajew, Sresnewskij, Gorskij, Newostrujew, Bodjanskij, Lamanskij, Lawrowskij, J. Grot, Potebnja, Koloßow, Baudouin de Courtenay, Jagić, Sobolewskis, Fortunatow, Schachmatow, Bogorodizkij, Brandt etc. Über die von der Akademie herausgegebenen Wörterbücher der russischen Sprache sowie über das von W. J. Dahl s. Russische Sprache. Durch Veröffentlichung von Denkmälern des alten Schrifttums haben sich Tichonrawow, Pypin, Kostomarow u.a. verdient gemacht, durch Sammlungen und Ausgaben der Denkmäler der Volkspoesie (Volkslieder oder Bylinen, Sagen, Märchen etc.) Rybnikow (»Lieder«, 1861–67, 4 Bde.), HilferdingBylinen von Onega«, 1873) P. Kirejewskij (»Volkslieder«, 1860 bis 1874), Schein, Jakuschkin, Besonow (geistliche Lieder), Barßow (Totenklagen) u.a. Schätzenswerte Untersuchungen über die slawische Mythologie und alte Kultur enthält das Werk »Die poetischen Naturanschauungen der Slawen« (1866–69, 3 Bde.) von Afanasjew (gest. 1871), der auch die beste und reichste Sammlung »Russischer Volksmärchen« herausgab. Kleinrussische Lieder, Sagen und Märchen veröffentlichten Tschubinskij, Rudschenko, Antonowitsch und Dragomanow, Golowatzkij u.a. Als die bedeutendsten Literarhistoriker sind zu nennen: Schewyrew (»Vorlesungen über die alte r. L.«, 1858–1860, 4 Bde.), Pypin (vgl. unten) und Spasovič (»Geschichte der slawischen Literaturen«, 2. Aufl., Petersb. 1879–81, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1880–84, 2 Bde.), Galachow (»Geschichte der alten und neuern russischen Literatur«, bis Puschkin reichend, 2. Aufl., Petersb. 1880, 2 Bde.), KaraulowSkizzen zur Geschichte der russischen Literatur«, Bd. 1, 2. Aufl., Odessa 1870), P. Polewoj (»Geschichte der russischen Literatur in Skizzen und Biographien«, 5. Aufl., Petersb. 1883–90, 2 Bde., und »Geschichte der russischen Literatur seit den ältesten Zeiten«, 1900), Porfirjew (»Geschichte der russischen Literatur«, 1. Teil: Die Zeit vor Peter d. Gr., 5. Aufl., Kasan 1891; 2. Teil in 3 Abtlgn.: Von Peter d. Gr. bis Alexander I., 1.–3. Aufl., das. 1888–91); A. M. Skabitschewskij (»Geschichte der neuern russischen Literatur«, 1848–90, 3. Aufl., Petersb. 1897); Pypin (»Geschichte der russischen Literatur«, das. 1898–99, 4 Bde., zum Teil neu aufgelegt). Wichtige Beiträge lieferten außerdem BuslajewHistorische Skizzen der russischen Volksliteratur«, Petersb. 1861, 2 Bde., und »Die Volkspoesie«, das. 1887), PekarskijWissenschaft und Literatur in Rußland unter Peter d. Gr.«, das. 1862, 2 Bde.), der Archimandrit Philaret (»Übersicht der russischen geistlichen Literatur«, 3. Aufl., das. 1884, 2 Bde.), L. MajkowSkizzen aus der Geschichte der russischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts«, das. 1889, und »Historisch-literarische Skizzen«, das. 1895), ferner Tichonrawow (seine »Werke« zur russischen Literaturgeschichte, Moskau 1898, 4 Bde.), Grot, Stojunin, O. Miller, Dobroljubow, Annenkow, Arßenjew, Burenin, O. Morosow, Kirpitschnikow, Petrow, Neselenow, N. Michajlowskij, Tschernyschewskij, Protopopow, Fürst Wolkonskij, Bulitsch, der besonders auf dem Gebiete der vergleichenden Literaturgeschichte hervorragende A. N. Weßelowskij, M. Suchomlinow (»Geschichte der russischen Akademie«) u.a. Als Bibliographen sind namentlich Gennadi, Huberti, Ponomarew, Neustrojew, Longinow, Meshow, Karatajew, Bitowt etc. zu erwähnen (vgl. die im Artikel »Bibliographie«, S. 820 f., angeführten Werke).

Vgl. H. König, Literarische Bilder aus Rußland (Stuttg. 1837); Wolfsohn, Die schönwissenschaftliche Literatur der Russen (Anthologie, Bd. 1, Leipz. 1843); J. P. Jordan, Geschichte der russischen Literatur (das. 1846); Courrière, Histoire de la littérature contemporaine en Russie (Par. 1874); v. Wiskowatow, Geschichte der russischen Literatur in gedrängter Übersicht (2. Aufl., Dorpat 1881); Haller, Geschichte der russischen Literatur (Riga 1882); A. v. Reinholdt, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1885); Fiedler, Der russische Parnaß. Anthologie russischer Lyriker (Dresd. 1888); M. Wallace, Rußland (4. deutsche Ausg. von Purlitz, Würzb. 1905, Kapitel 25 u. 26); Fürst S. Wolkonskij, Bilder aus der Geschichte und Literatur Rußlands (Petersb. 1896; deutsch, Basel 1898); Wengerow, Grundzüge der Geschichte der neuesten russischen Literatur (Berl. 1899); Waliszewski, Histoire de la littérature russe (Par. 1900); Polonskij, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1902, Sammlung Göschen); Kropotkin, Russian literature (Lond. 1905); A. Brückner, Geschichte der russischen Literatur (Leipz. 1905).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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  • Neuere russische Literatur — Die Periode der Neueren russischen Literatur fängt im 17. Jahrhundert an. Neue Gattungen wie die syllabische Lyrik, eine abstrakte Dramatik oder auf dem Gebiet der Prosa anekdotische Erzählungen, satirische Novellen, Abenteuer und Schelmenromane… …   Deutsch Wikipedia

  • Russische Sprache — (русский язык) Gesprochen in Russland, Mitgliedsstaaten der GUS und baltischen Staaten sowie von Emigranten in den Vereinigten Staaten, Israel, Deutschland und weiteren europäischen Ländern Sprecher Geschätzt: 163,8 Millionen Muttersprachler, 114 …   Deutsch Wikipedia

  • Russische Sprache und Literatur — Russische Sprache, Russische Literatur. Die russ. Sprache ist ein Hauptzweig des slavischen Sprachstamms, reich an Wurzeln und Bildungsformen u. wird in 2 Hauptdialecten, dem Klein und Großrussischen gesprochen; aus letzterm hat sich die… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Silbernes Zeitalter (Russische Literatur) — Als Silbernes Zeitalter werden von der russ. Philologie die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Diese Zeit war in der russischen Dichtkunst außerordentlich fruchtbar, ähnlich dem Goldenen Zeitalter im Jahrhundert davor. In der …   Deutsch Wikipedia

  • Russische Sprache — Russische Sprache. Die R. S. gehört dem Slawischen Sprachstamme an, u. zwar dem östlichen Aste desselben (s. Slawische Sprachen). Die Geschichte ihrer allmäligen Ausbildung s.u. Russische Literatur. Das Alphabet besteht aus 36 Zeichen: Darunter… …   Pierer's Universal-Lexikon

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