- Russische Sprache
Russische Sprache. Die r. S. gehört zur südöstlichen Abteilung der slawischen Sprachen (s. Slawische Sprachen). Man unterscheidet in ihr drei Hauptmundarten: Großrussisch, Weißrussisch und Kleinrussisch. Die beiden ersten sind einander näher verwandt als jede von ihnen dem Kleinrussischen, und man pflegt daher auch wohl unter dem Ausdruck »Großrussisch« das Weißrussische mit einzubegreifen, namentlich wenn man beide zusammen dem Kleinrussischen gegenüberstellen will. Das Kleinrussische umfaßt folgendes Gebiet: die östlichen Teile der beiden polnischen Gouvernements Sjedlez und Lublin, die südliche, kleinere Hälfte des Gouv. Grodno, den Südrand des Gouv. Minsk, ferner die Gouvernements Wolynien, Podolien, Kijew, Tschernigow, Poltawa, Charkow, das südliche Drittel von Woronesh, den Südrand von Kursk, das Gouv. Bessarabien, in dem jedoch die größere Hälfte der Bevölkerung rumänisch ist, die Gouvernements Cherson und Jekaterinoslaw, ein Drittel des Donischen und die Osthälfte des Kubangebiets. Die jahrhundertelange Zugehörigkeit der Kleinrussen zu Polen, der Umstand, daß ja auch heute ein beträchtlicher Teil derselben (die Ruthenen im östlichen Galizien und dem Nordrand von Ungarn) nicht Untertanen Rußlands sind, die Verschiedenheit der Klein- und Großrussen in Sitten und Gebräuchen, das Entstehen einer eignen Literatur bei den Kleinrussen und die verhältnismäßig starke Abweichung des Kleinrussischen vom Großrussischen in Lauten und Formen haben die Kleinrussen sich als ein eignes Volk zu fühlen, und sie, und namentlich infolge des letztern Umstandes mit ihnen viele Slawisten (unter andern Miklosich), das Kleinrussische als eine selbständige, vom eigentlichen (Groß-) Russisch verschiedene Sprache zu betrachten veranlaßt. (Vgl. darüber sowie über die Einteilung des Kleinrussischen in Dialekte den Artikel »Kleinrussische Sprache«.) Das Gebiet des Weißrussischen ist folgendes: die Westhälfte des Gouv. Smolensk, die Gouvernements Witebsk, Mohilew, Wilna, die nördliche, größere Hälfte des Gouv. Grodno und das Gouv. Minsk (mit Ausnahme des Südrandes). Das Großrussische herrscht in den andern Teilen Rußlands (soweit dort überhaupt Russisch gesprochen wird). Vgl. hinsichtlich der geographischen Ausbreitung der russischen Sprache das Kartenwerk von F. A. Rittich: »Etnografičeskaja karta jevropejskoj Rossii« (Petersb. 1875, 6 Blätter) und die danach entworfene Karte in »Petermanns Geographischen Mitteilungen«, 54. Ergänzungsheft, Gotha 1878, und bezüglich des klein- und weißrussischen Sprachgebiets »Petermanns Geographische Mitteilungen«, Bd. 24, Heft 9, Gotha 1878 (»Die Hauptstämme der Russen«, mit Karte). Innerhalb des Großrussischen im weitern Sinn unterscheidet Dahl (in der Einleitung zu seinem Wörterbuch, s. unten) folgende Dialekte: den Nowgoroder, den Wladimirschen, den sibirischen, den Rjasanschen, den neurussischen (taurischen), den Dialekt des großrussischen Teiles der Donischen Kosaken und den Smolensker. Die Sprache der Stadt Moskau und ihrer nächsten Umgebung bildet die Grundlage der russischen Schriftsprache. Schriftsprache ist das Russische übrigens erst seit Peter d. Gr.; bis dahin bediente man sich statt dessen des mit der Einführung des Christentums Ende des 10. Jahrh. nach Rußland gekommenen Kirchenslawischen (s. d.). Auch die heutigestags im Russischen gebräuchliche Form der Buchstaben ist eine erst unter Peter d. Gr., zum Teil sogar durch ihn selber, vorgenommene Umgestaltung der bis dahin für das Kirchenslawische üblichen alten Form der Cyrillica (s. d.). Die erste Grammatik, in der das Russische vom Kirchenslawischen zu trennen versucht und das Russische zugrunde gelegt wurde, war die epochemachende Grammatik Lomonossows (s. d., Petersburg 1755 u. ö.). Von den folgenden grammatischen Werken sind zu nennen die von N. Gretsch (s. d.), vor allem seine »Prostrannaja russkaja grammatika« (Petersb. 1827). Eine Übersetzung dieses Buches und, in seinem zweiten Teil, Bearbeitung der andern grammatischen Werke Gretschs ist Ch. Ph. Reiff, Grammaire raisonnée de la langue russe, Petersb. 1828 bis 1829, 2 Bde., ferner: A. Wostokow (s. d.), Sokraščennaja russkaja grammatika (das. 1831) und das daraus erweiterte Werk »Russkaja grammatika polnêje izložennaja« (12. Aufl., das. 1874). Eine, wenn auch dem heutigen Stande der Wissenschaft nicht mehr entsprechende, historische Grammatik ist Buslajews »Istoričeskaja grammatika russkago jazyka« (Mosk. 1858, 2 Bde.; 5. Aufl. 1881; auch in kürzerer Fassung als Lehrbuch [Učebnik] erschienen, das. 1869, 6. Aufl. 1882). Besonders hervorzuheben sind: Sobolewskis, Lekcii po istorii russkago jazyka (2. Aufl., Petersb. 1891), Jagić, Kritičeskija zamêtki po istorii russkago jazyka (das. 1889) sowie die einzelne Teile der russischen Grammatik behandelnden Schriften von J. Grot, Kolossow, Potebnja, Bogorodickij, Brandt, Fortunatow, Schachmatow etc. Zum Erlernen der russischen Sprache für Deutsche gibt es eine ziemlich große Anzahl von mehr oder minder brauchbaren Lehrbüchern, von denen wir als die bessern anführen: Nikolitsch, Etymologischer Teil der russischen Grammatik (6. Aufl., Reval 1875); Pihlemann, Praktischer Leitfaden zum Erlernen der russischen Sprache (10. Aufl., das. 1889); Alexejew, Neues Lehrbuch der russischen Sprache (1. Kursus, 10. Aufl., Leipz. 1905; 2. Kursus, 4. Aufl. 1901), und Körner, Ausführliches Lehrbuch der russischen Sprache (Sondershaus. 1892). Endlich sind zu nennen die Unterrichtsbriefe nach der Methode Toussaint-Langenscheidt von Garbell, Körner und Perwow (Berl. 1902 ff.). Kleinere Werke sind die von Asbóth, Rost, v. Marnitz, Bernecker etc. Von neuern Wörterbüchern der russischen und deutschen Sprache sind zu nennen das von Schmidt (zuletzt 1890, 2 Tle.), das von Pawlowsky (russisch-deutscher Teil, 3. Aufl., Riga 1900; deutsch-russischer Teil, 3. Aufl. 1886), das von Lenstroem (2. Stereotypausgabe, Sondershaus. 1891, 2 Tle.) und das von Booch, Frey und Messer (russisch-deutscher Teil, 4. Aufl., Leipz. 1886; deutsch-russischer Teil, 6. Aufl. 1896). Kleinere Wörterbücher gibt es von Werblunskij, Schmidt, Potocki, Koiransky, Mjeskowskij u.a., ein Konversations-Wörterbuch von Jürgens (in »Meyers Sprach führern«, Leipz. 1888). Als das beste Wörterbuch für Nichtrussen gilt Makarows »Dictionnaire russefrançais (4. Aufl., Petersb. 1884, 2 Tle.) et françaisrusse« (5. Aufl., das. 1887, 2 Tle.), wovon auch eine kleinere Ausgabe in 2 Teilen existiert (3. Aufl. 1884 und 7. Aufl. 1892). Von dem entsprechenden Lexikon der russischen und deutschen Sprache von Makarow, Engelhardt und Scherer ist bis jetzt nur der russisch deutsche Teil erschienen (1885; kleine Ausgabe von Scherer, 3. Aufl. 1888). Von den ganz in russischer Sprache geschriebenen Wörterbüchern müssen genannt werden die von der Akademie herausgegebenen und das von W. J. Dahl. Das Wörterbuch der Akademie erschien zuerst Petersburg 1789–94 (in 6 Bdn., neue Ausg. 1806–22), dann herausgegeben von A. Wostokow als »Wörterbuch der kirchenslawischen und russischen Sprache«, 1843 (4 Bde., 2. Aufl. 1867–68); eine ganz neue Bearbeitung erscheint seit 1891 (bis jetzt 2 Bde.). Dahls »Erklärendes Wörterbuch der lebenden großrussischen Sprache« erschien 1863–66 zu Moskau in 4 Bänden (2. Aufl., Petersb. 1880–1882; eine 3. Aufl. unter der Redaktion von Baudouin de Courtenay erscheint das. seit 1903).
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.