Kirchenslawisch

Kirchenslawisch

Kirchenslawisch, die Sprache des Gottesdienstes, der Bibel und der andern kirchlichen Bücher bei den griechisch-katholischen Slawen (Russen, Serben, Bulgaren). Lange Zeit war das K. bei den genannten Völkern sogar die allgemeine Schriftsprache, bei den Russen bis in den Anfang des 18. Jahrh., in Serbien noch länger. Welches Volk diese Sprache ursprünglich gesprochen hat, läßt sich mit Bestimmtheit bis jetzt nicht angeben, wenn auch bei weitem die meisten Gelehrten der Ansicht sind, daß das K. in seiner ältesten uns bekannten Form die Sprache der Bulgaren des 9. Jahrh. repräsentiert, und es daher auch als Altbulgarisch bezeichnen. Um die Mitte des 9. Jahrh. übersetzten nämlich Methodius und Cyrillus (s. d. 3) für die zum Christentum bekehrten und noch zu bekehrenden Slawen, und zwar zunächst für die Mähren, die Bibel und andre kirchliche Schriften in eine slawische Sprache. Die wahrscheinlichste Annahme ist, daß diese Sprache das den beiden Slawenaposteln von ihrer Vaterstadt Thessalonich her bekannte Bulgarisch gewesen sei. Miklosich (s. d.) dagegen erklärte das K. für die Sprache der im 9. Jahrh. in Pannonien seßhaften Slowenen, deren Wohnsitze sich nach seiner Ansicht bis nach Mähren hinein erstreckten, und nannte es daher Altslowenisch (oder speziell Pannonisch-Slowenisch). 888 wurden infolge der Ränke der bayrischen Geistlichkeit die Schüler und Nachfolger Methods (gest. 885) aus Mähren vertrieben und kehrten nach Bulgarien zurück, wo sich die kirchenslawische (altbulgarische) Literatur alsbald zu hoher Blüte entfaltete. Die ältesten uns erhaltenen kirchenslawischen Handschriften gehören dem Ende des 10. und dem Anfang des 11. Jahrh. an. Nach der Schriftart, in der sie abgefaßt sind, unterscheidet man glagolitische und cyrillische Denkmäler (s. Glagolica und Cyrillica). Gegen Ende des 10. Jahrh. kam von Bulgarien aus das Christentum zu den Russen, mindestens ebenso früh zu den Kroaten und Serben, mit dem Christentum zugleich aber die Bibel und die andern kirchlichen Bücher und in ihnen die kirchenslawische (altbulgarische) Sprache. Zum Unterschied von der Form, die im Laufe der Zeit das K. bei diesen letzten Völkern annahm (dem russischen K., dem serbischen K. etc.), pflegt man das ursprüngliche reine, unvermischte K. als Altkirchenslawisch zu bezeichnen. Ihrem Gegenstande nach ist die altkirchenslawische Literatur fast ausschließlich eine Literatur von Übersetzungen meist griechischer Originale, nämlich der einzelnen Teile der Bibel, von Werken der Kirchenväter, Homilien, Legenden etc. Die Hauptforscher auf dem Gebiete des Kirchenslawischen waren Dobrowsky, Kopitar, Wostokow, Miklosich, Schleicher, Jagić und Leskien (s. d.). Das beste Hilfsmittel für die Erlernung des Kirchenslawischen, das infolge seiner Altertümlichkeit die Grundlage für das Studium und die Erforschung der slawischen Sprachen überhaupt bildet, ist das »Handbuch der altbulgarischen (altkirchenslawischen) Sprache« von Leskien (Grammatik, Texte und Glossar, 4. Aufl., Weim. 1905); ferner Vondrák, Altkirchenslawische Grammatik (Berl. 1900).


http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.

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