- Krümmung
Krümmung, das Merkmal, das die krummen Linien oder Kurven von der geraden Linie und die krummen Flächen (s. Oberflächen) von der Ebene unterscheidet. Denkt man sich in einem Punkt einer Kurve die Tangente (s. d.) an die Kurve gezogen, so zeigt sich die Eigenschaft der Kurve krumm oder gekrümmt zu sein darin, daß die Kurve schon in der nächsten Nähe jenes Punktes von der Tangente abweicht, sich von dieser entfernt. Die Art oder die Stärke dieser Abweichung nennt man die K. der Kurve in dem betreffenden Punkte. Während sich im allgemeinen die K. einer Kurve von Punkt zu Punkt ändert, ist der Kreis so beschaffen, daß er in jedem seiner Punkte in derselben Weise von der Tangente abweicht, ein Kreis besitzt daher in allen seinen Punkten dieselbe K. oder, wie man sagt, seine K. ist in allen Punkten konstant. Da nun ein Kreis augenscheinlich um so stärker gekrümmt ist, je kleiner sein Halbmesser ist, so benutzt man als Maß für die K. eines Kreises vom Halbmesser r den reziproken Wert 1/r des Halbmessers und bezeichnet diesen Wert 1/r mit k. Das stimmt auch damit, daß man der geraden Linie, die gar nicht gekrümmt ist, die K. Null zuschreiben muß, denn die Gerade kann ja als ein Kreis aufgefaßt werden, dessen Halbmesser r unendlich groß ist, ihr Krümmungsmaß wird daher wirklich gleich Null. Um jetzt die K. zu ermitteln, die eine ebene Kurve in einem beliebigen Punkt P besitzt, denkt man sich einen Kreis bestimmt, der durch P geht und sich da der Kurve möglichst eng anschmiegt; die K. dieses Kreises betrachtet man dann als das Krümmungsmaß der Kurve in dem Punkte P, und den Kreis selbst nennt man den zu P gehörigen Krümmungskreis, seinen Halbmesser den Krümmungshalbmesser der Kurve. Es versteht sich von selbst, daß der Krümmungskreis die Kurve in P berühren, also mit ihr die Tangente und zwei in P zusammenfallende Schnittpunkte gemein haben muß (s. Kontakt), sein Mittelpunkt (der zu P gehörige Krümmungsmittelpunkt der Kurve) liegt daher auf der durch P senkrecht zur Tangente gezogenen Geraden (der Normalen der Kurve im Punkte P). Ist nun Q ein beliebiger Punkt der Kurve, so gibt es stets einen und nur einen Kreis, der durch P und Q geht und in P dieselbe Tangente besitzt wie die Kurve; sein Mittelpunkt wird erhalten, wenn man durch die Mitte der Sehne PQ eine Gerade senkrecht zu PQ zieht und deren Schnittpunkt mit der Normalen von P sucht. Dieser Kreis wird sich der Kurve um so enger anschmiegen, je näher man Q an P wählt, der Krümmungskreis wird also der unter diesen Kreisen sein, für den auch Q mit P zusammenfällt, also der Kreis, der drei in P zusammenfallende Schnittpunkte mit der Kurve gemein hat oder die Kurve in P in der zweiten Ordnung berührt (s. Kontakt). Die wirkliche Bestimmung des Krümmungshalbmessers und Krümmungsmittelpunktes geschieht am einfachsten mit Hilfe der Differentialrechnung (s. d. und die dort angeführten Lehrbücher); diese zeigt auch, daß die K. besonders einfach durch den zu P gehörigen Kontingenzwinkel (s. d.) der Kurve ausdrückbar ist, und daß der zu P gehörige Krümmungsmittelpunkt einer ebenen Kurve auch erklärt werden kann als der Punkt, dem sich der Schnittpunkt zwischen den zu P und Q gehörigen Normalen der Kurve immer mehr nähert, je näher man Q an P wählt. Bei den nicht in einer Ebene liegenden, den gewundenen Kurven oder Raumkurven, unterscheidet man zwei Krümmungen, weshalb man sie auch doppeltgekrümmte Kurven nennt. Die erste K. oder die K. schlechthin ist das Maß für die Abweichung der Kurve von der geraden Linie und wird genau wie bei den ebenen Kurven durch den Krümmungskreis gemessen, der drei zusammenfallende Punkte mit der Kurve gemein hat. Die Ebene dieses Krümmungskreises ist die sogenannte Schmiegungsebene oder oskulierende Ebene der Kurve, und die Abweichung der Kurve von der Schmiegungsebene wird gemessen durch die zweite K. oder Windung, die man gewöhnlich die Torsion der Kurve nennt. Der unendlich kleine Winkel zwischen den beiden Schmiegungsebenen in zwei unendlich benachbarten Punkten der Kurve heißt der Torsionswinkel der Kurve, und dividiert man diesen Winkel durch die unendlich kleine Entfernung der beiden Punkte, so erhält man eine endliche Größe, eben die Torsion der Kurve. Über die K. der Flächen vgl. Indikatrix.
http://www.zeno.org/Meyers-1905. 1905–1909.